4c O 5/24 – Trockentrommeln für bituminösem Mischgut

Düsseldorfer Entscheidungen Nr. 3401

Landgericht Düsseldorf

Urteil vom 12. November 2024, Az. 4c O 5/24

  1. I. Die Beklagte wird verurteilt,
  2. 1. es bei Meidung eines für jeden Fall der Zuwiderhandlung fälligen Ordnungsgeldes bis zu € 250.000,00, ersatzweise Ordnungshaft bis zu sechs Monaten oder Ordnungshaft bis zu sechs Monaten, im Wiederholungsfalle Ordnungshaft bis zu zwei Jahren, letztere zu vollziehen an den Geschäftsführern der Beklagten, im Gebiet der Bundesrepublik Deutschland zu unterlassen,
  3. Trockentrommeln für Anlagen für die Herstellung von bituminösem Mischgut, bei denen sich die Trommel zwischen einem ersten Ende und einem zweiten Ende gegenüberliegend dem ersten, entlang einer Hauptachse erstreckt, welche zu dem Boden in einem Winkel angeordnet ist, und eine innere Oberfläche aufweist; wobei die Trockentrommel einen Brenner enthält, angeschlossen an die Trommel an dem zweiten Ende und eine Flamme erzeugend, die sich in das Innere der Trommel in Richtung des ersten Endes erstreckt, sowie eine Anzahl von Aufnahmeschaufeln, montiert an der inneren Oberfläche der Trommel;
  4. wobei die Trommel dadurch gekennzeichnet ist, dass ihr Inneres eine rohrförmige Abschirmungsstruktur enthält, angeschlossen an die Trockentrommel mit Hilfe von Befestigungsmitteln und welche eine im Wesentlichen parallel zu der Hauptachse verlaufende Ausdehnungsachse hat und sich von dem Brenner über eine bestimmte Länge in Richtung des ersten Endes erstreckt, so dass praktisch die Flamme wenigstens vorwiegend auf den Raum innerhalb der Abschirmungsstruktur begrenzt ist,
    wobei die Trommel ebenfalls dadurch gekennzeichnet ist, dass sie einen Trennring zwischen der Abschirmungsstruktur und der inneren Oberfläche der Trockentrommel enthält, so dass ein zu trocknendes Material in den Trennring gelangen kann,
  5. herzustellen, anzubieten, in Verkehr zu bringen oder zu gebrauchen oder zu den genannten Zwecken entweder einzuführen oder zu besitzen,
  6. wobei die Aufnahmeschaufeln im Inneren des Trennringes angeordnet und an der inneren Oberfläche der Trommel montiert sind, und zwar wenigstens entsprechend zu dem Trennring;
  7. wobei die Abschirmungsstruktur eine Anzahl von Vertiefungen enthält, die der inneren Oberfläche der Trockentrommel zugewandt sind, um praktisch das zu trocknende Material aufzunehmen, und die Abschirmungsstruktur wenigstens vorwiegend aus wärmeleitenden Materialien hergestellt ist;
  8. 2. der Klägerin ab dem 8. Februar 2014 darüber Auskunft zu erteilen und Rechnung zu legen über den Umfang der in Ziff. I.1. bezeichneten Handlungen, und zwar unter Angabe:
  9. a) der Herstellungsmengen, -zeiten und -preise und Typenbezeichnungen,
    b) der einzelnen Lieferungen, aufgeschlüsselt nach Liefermengen, -zeiten und -preisen und Typenbezeichnungen sowie der Namen und Anschriften der Abnehmer,
    c) der einzelnen Angebote, aufgeschlüsselt nach Angebotsmengen, -zeiten und -preisen und Typenbezeichnungen sowie der Namen und Anschriften der Angebotsempfänger,
    d) der betriebenen Werbung, aufgeschlüsselt nach Werbeträgern, deren Auflagenhöhe, Verbreitungszeitraum und Verbreitungsgebiet,
    e) der nach den einzelnen Kostenfaktoren aufgeschlüsselten Gestehungskosten und des erzielten Gewinns,
  10. wobei der Beklagten vorbehalten bleiben mag, die Namen und Anschriften der Angebotsempfänger und der nicht gewerblichen Abnehmer statt der Klägerin einem von dieser zu bezeichnenden und ihr gegenüber zur Verschwiegenheit verpflichteten vereidigten Wirtschaftsprüfer mitzuteilen, sofern die Beklagte die durch seine Einschaltung entstehenden Kosten trägt und ihn zugleich ermächtigt, der Klägerin auf Anfrage mitzuteilen, ob bestimmte Abnehmer und/oder Lieferungen in der erteilten Rechnungslegung enthalten sind;
  11. 3. die in der Bundesrepublik Deutschland in ihrem unmittelbaren oder mittelbaren Besitz oder Eigentum befindlichen Erzeugnisse gemäß Ziff. I. 1. auf eigene Kosten zu vernichten;
  12. 4. die unter Ziff. I. 1. bezeichneten, von der Beklagten seit dem 8. Februar 2014 in Verkehr gebrachten und in Besitz Dritter befindlichen Erzeugnisse zurückzurufen, indem diejenigen Dritten, denen durch die Beklagte oder mit deren Zustimmung Besitz an den Erzeugnissen eingeräumt wurde, unter Hinweis darauf, dass die Kammer mit dem hiesigen Urteil auf eine Verletzung des Klagepatentes erkannt hat, ernsthaft aufgefordert werden, die Erzeugnisse an die Beklagte zurückzugeben, und den Dritten für den Fall der Rückgabe der Erzeugnisse eine Rückzahlung des gegebenenfalls bereits gezahlten Kaufpreises sowie die Übernahme der Kosten der Rückgabe zugesagt wird.
  13. II. Es wird festgestellt, dass die Beklagte verpflichtet ist, der Klägerin alle Schäden zu erstatten, die dieser aus den Handlungen gemäß Ziff. I. 1., begangen seit dem in Ziff. I. 2. genannten Zeitpunkt, entstanden sind und/oder künftig entstehen werden.
  14. III. Die Kosten des Rechtsstreits trägt die Beklagte.
  15. IV. Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 750.000,00 EUR vorläufig vollstreckbar. Der Klägerin wird gestattet, die jeweilige Sicherheitsleistung in Form einer Bank- oder Sparkassenbürgschaft zu erbringen.
  16. Tatbestand
  17. Die Klägerin verfolgt aus Patentrecht gegen die Beklagte Ansprüche auf Unterlassung, Auskunftserteilung, Rechnungslegung, Rückruf und Vernichtung sowie Feststellung der Schadensersatzverpflichtung.
  18. Die Klägerin ist Inhaberin des Europäischen Patents 2 281 XXX B1 (Anlage K1a; deutsche Übersetzung Anlage K 1b; im Folgenden: Klagepatent). Es wurde am 9. Juli 2009 in englischer Verfahrenssprache angemeldet. Der Hinweis auf die Erteilung des Klagepatents wurde am 7. Dezember 2011 bekannt gemacht. Das Klagepatent steht auch mit Wirkung für die Bundesrepublik Deutschland in Kraft. Es betrifft eine Trockentrommel für Anlagen für die Herstellung von bituminösem Mischgut.
  19. Anspruch 1 des Klagepatents lautet in englischer Verfahrenssprache:
  20. „A rotary drying cylinder (1) for plants for the production of bituminous macadams, the cylinder extending, between a first end (3) and a second end (4) opposite the first, along a main axis (2) which is set at an angle to the ground, and having an inner surface (13); the drying cylinder (1) comprises a burner (7), connected to the cylinder at the second end (4), and generating a flame (9) which extends inside the cylinder towards the first end (3) and a plurality of container blades (31) mounted on the inner surface (13) of the cylinder; the cylinder being characterised in that it internally comprises a tube-shaped shielding structure (10), connected to the drying cylinder (1) by connecting means (11), having an axis of extension substantially parallel with the main axis (2) and extending from the burner (7) towards the first end (3) for a predetermined length so that, in practice, the flame (9) is at least mainly confined within the shielding structure (10), the cylinder also being characterised in that it comprises a separating ring (12) between the shielding structure (10) and the inner surface (13) of the drying cylinder (1) so that a material being dried can pass in the separating ring (12), the cylinder also being characterised in that the container blades (31) are placed inside the separating ring (12) and are mounted on the inner surface (13) of the cylinder at least at the separating ring (12); the shielding structure (10) comprising a plurality of hollows (17) facing towards the inner surface (13) of the drying cylinder (1) for containing, in practice, the material being dried and the shielding structure (10) being at least mainly made of heat conducting materials.“
  21. Die Übersetzung des Anspruchs 1 hat nachfolgenden Wortlaut:
  22. „Trockentrommel (1) für Anlagen zur Herstellung von bituminösem Mischgut, wobei sich die Trommel zwischen einem ersten Ende (3) und einem zweiten Ende (4), gegenüberliegend dem ersten, entlang einer Hauptachse (2) erstreckt, welche zu dem Boden in einem Winkel angeordnet ist, und eine innere Oberfläche (13) aufweist; wobei die Trockentrommel (1) einen Brenner (7) enthält, angeschlossen an die Trommel an dem zweiten Ende (4) und eine Flamme (9) erzeugend, die sich in das Innere der Trommel in Richtung des ersten Endes (3) erstreckt, sowie eine Anzahl von Aufnahmeschaufeln (31), montiert an der inneren Oberfläche (13) der Trommel; wobei die Trommel dadurch gekennzeichnet ist, dass ihr Inneres eine rohrförmige Abschirmungsstruktur (10) enthält, angeschlossen an die Trockentrommel (1) mit Hilfe von Befestigungsmitteln (11), und welche eine im Wesentlichen parallel zu der Hauptachse (2) verlaufende Ausdehnungsachse hat und sich von dem Brenner (7) über eine bestimmte Länge in Richtung des ersten Endes (3) erstreckt, so dass praktisch die Flamme (9) wenigstens vorwiegend auf den Raum innerhalb der Abschirmungsstruktur (10) begrenzt ist, wobei die Trommel ebenfalls dadurch gekennzeichnet ist, dass sie einen Trennring (12) zwischen der Abschirmungsstruktur (10) und der inneren Oberfläche (13) der Trockentrommel (1) enthält, so dass ein zu trocknendes Material in den Trennring (12) gelangen kann, und wobei die Trommel ebenfalls dadurch gekennzeichnet ist, dass die Aufnahmeschaufeln (31) im Inneren des Trennringes (12) angeordnet und an der inneren Oberfläche (13) der Trommel montiert sind, und zwar wenigstens entsprechend zu dem Trennring (12); wobei die Abschirmungsstruktur (10) eine Anzahl von Vertiefungen (17) enthält, die der inneren Oberfläche (13) der Trockentrommel (1) zugewandt sind, um praktisch das zu trocknende Material aufzunehmen, und wobei die Abschirmungsstruktur (10) wenigstens vorwiegend aus wärmeleitenden Materialien hergestellt ist.“
  23. Folgende Figuren sind der Klagepatentschrift entnommen und veranschaulichen die erfindungsgemäße Lehre anhand bevorzugter Ausführungsbeispiele:
  24. Figur 4 stellt einen axonometrischen Querschnitt des Trockenzylinders der Figur 2 dar, Figur 5 ein Querschnitt des Trockenzylinders von Figur 1 und Figur 3 zeigt den Trockenzylinder von Figur 3 mit dem Brenner, der in der Praxis die Flamme erzeugt.
  25. Die Beklagte ist im Bereich der Herstellung von Asphaltmischanlagen und deren Komponenten tätig. Das Stammwerk XXX Zweigniederlassung der A GmbH in XXX ist nach Angabe der Beklagten das weltweit größte und modernste Werk für den Bau von Asphaltmischanlagen. Die B Group ist ihrerseits eine A. C Company. Mit der vorliegenden Klage angegriffen wird eine Trockentrommel der Beklagten, welche auf der XXX 2022 in XXX körperlich ausgestellt wurde und welche auf YouTube www.youtube.com/XXX beworben wird. Hierbei handelt es sich um eine Weiterentwicklung des „XXX D“, von welchem die Klägerin als Anlage K 5 Auszüge überreicht hat. Nachfolgend wiedergegeben sind einzelne Sequenzen, welche aus der genannten YouTube-Werbung stammen und welche von der Klägerin erstellt und beschriftet wurden (vgl. Anlage K 6):
  26. Die Klägerin ist der Auffassung, dass die angegriffene Ausführungsform wortsinngemäßen Gebrauch von der Lehre des Klagepatents mache. Diese weise eine Abschirmungsstruktur auf, da Vertiefungen vorhanden seien, die geeignet seien zu trocknendes Material aufzunehmen. Die Menge des aufzunehmenden Materials lasse das Klagepatent offen.
  27. Die Klägerin beantragt,

    zu erkennen, wie geschehen.

  28. Die Beklagte beantragt,
  29. die Klage abzuweisen,
  30. hilfsweise: Das Verfahren wird bis zur rechtskräftigen Entscheidung über die von der Beklagten eingereichte Nichtigkeitsklage in Bezug auf das europäische Patent 2 281 XXX B1 ausgesetzt.
  31. Sie vertritt die Ansicht, dass die Lehre nach dem Klagepatent nicht verwirklicht werde. Das Klagepatent sehe vor, dass die Öffnung der Vertiefung eine radial nach außen orientierte Mittelsenkrechte aufweisen müsse, was auch in der Figur 5 gezeigt werde. Dort seien die V-förmigen Vertiefungen so ausgestaltet, dass ihre Öffnungen durch die Seitenkante 18 begrenzt seien, die der inneren Oberfläche der Trockentrommel zugewandt seien. Die Öffnungen seien Rechteckflächen; die jeweilige Mittelsenkrechte der Rechteckfläche sei radial orientiert und nach außen zu der inneren Oberfläche gerichtet. Ferner lasse das Klagepatent die Menge aufzunehmenden Materials nicht offen. Aufgenommen werden müsse das zuvor in den Aufnahmeschaufeln geförderte Material und nicht nur ein Teil davon. Das in der Vertiefung gebildete Aufnahmevolumen müsse also mindestens so groß sein wie das Aufnahmevolumen der zugeordneten Aufnahmeschaufel.
    Ausgehend von einem solchen Verständnis mache die angegriffene Ausführungsform von der Lehre nach dem Klagepatent keinen Gebrauch.
    Im Übrigen werde sich das Klagepatent im Nichtigkeitsverfahren als nicht rechtsbeständig erweisen. Die WO 95/XXX A1 (Anlage RSH 2) und die JPS 57 XXX U (Anlage RSH 3) würden die Lehre nach dem Klagepatent neuheitsschädlich offenbaren. Auch gehe der Anspruch 1 über den Inhalt der Anmeldung in der ursprünglich eingereichten Fassung hinaus, da das Merkmal „the container blades (31) are placed inside the separating ring (12)“ ursprünglich nicht offenbart sei, insbesondere nicht an der von der Anmelderin angegebenen Offenbarungsstelle (Seite 13, Zeilen 13 bis 15 der ursprünglich eingereichten Anmeldungsunterlagen).
  32. Wegen des weiteren Vorbringens der Parteien wird auf die zur Akte gereichten Schriftstücke nebst Anlagen Bezug genommen.
  33. Entscheidungsgründe
  34. A.
    Die zulässige Klage ist begründet. Eine Veranlassung zur Aussetzung des Rechtsstreits besteht nicht.
  35. I.
    Das Klagepatent betrifft eine Trockentrommel für Anlagen zur Herstellen von bituminösen Makadamen. Die Trockenzylinder in der Anlage sind in der Regel dazu bestimmt, die Zuschlagstoffe zu trocknen, um ihnen die Feuchtigkeit zu entziehen und sie für das Mischen mit flüssigem Bitumen besser geeignet zu machen.
  36. Gegenwärtig haben die Trockenzylinder des Standes der Technik ein Einspeisungsende für die zu trocknenden Materialien und ein Ausspeisungsende für die getrockneten Materialien. Der Trockenzylinder hat in der Regel eine Erstreckungsachse, die relativ zum Boden geneigt ist, um die Bewegung der zu trocknenden Materialien von einem Ende zum anderen, d.h. von stromaufwärts nach stromabwärts, zu fördern. Daher befindet sich das stromaufwärts gelegene Ende weiter über dem Boden als das stromabwärts gelegene Ende, und das stromaufwärts gelegene Ende ist das Einspeisungsende für die zu trocknenden Materialien.
  37. Die zu trocknenden Materialien werden durch das Einspeisungsende in die Trommel eingeführt, erhitzt, damit die in ihnen enthaltene Feuchtigkeit verdampft, und dann aus der Trommel herausgeführt, damit sie mit Bitumen vermischt werden können. In der Regel ist es auch möglich, in die Trommel (in einem vorbestimmten Abschnitt der Trommel) Recyclingmaterial einzuführen, das beispielsweise durch das Zerteilen bestehender Straßenbeläge gewonnen wurde.
  38. Im Inneren des Trockenzylinders finden während des Gebrauchs zwei Arten von Wärmeaustausch statt. Der erste findet in dem Teil des Zylinders statt, durch den die Rauchgase ziehen, wo die Wärme (durch Konvektion) von den Rauchgasen auf die zu trocknenden Materialien übertragen wird. Der zweite findet in dem Teil des Zylinders statt, der der Flamme am nächsten ist, wo die Wärme von der Flamme auf die zu trocknenden Materialien (durch Strahlung) und zwischen den Materialien (durch Leitung) übertragen wird.
  39. Beide Arten des Wärmeaustauschs werden in der Regel dadurch begünstigt, dass sich die zu trocknenden Materialien im Inneren des Trockenzylinders bewegen, und zwar auch in einer Richtung, die im Wesentlichen rechtwinklig zum Boden verläuft, und zwar dank des Vorhandenseins von Schaufeln im Inneren des Zylinders, die auf der Innenfläche des Zylinders verteilt sind und sich zusammen mit dem Zylinder um die Ausdehnungsachse drehen. Diese Schaufeln sammeln die zu trocknenden Materialien und befördern sie entlang der Innenfläche des Zylinders (während der Drehung des Zylinders), bis die Schwerkraft dafür sorgt, dass die zu trocknenden Materialien aus den Schaufeln austreten und in das Innere des Zylinders fallen.
  40. Die zu trocknenden Materialien sind also zwei Hauptbewegungsarten unterworfen. Die erste erfolgt vom Einspeisungsende (stromaufwärts) zum Ausspeisungsende (stromabwärts) und die zweite in einer Richtung, die im Wesentlichen rechtwinklig zum Boden im Inneren des Trockenzylinders verläuft, wodurch ein Duscheffekt entsteht.
  41. Die Schaufeln im Inneren des Zylinders sind hauptsächlich von zwei Typen. Die Lamellen des ersten Typs haben eine Öffnung, deren Breite deutlich größer ist als die Tiefe. Die Lamellen des zweiten Typs haben eine Öffnung, deren Breite normalerweise mit der Tiefe vergleichbar ist (gleich oder etwas kleiner/größer). Die ersten Schaufeln sind mit dem Bereich des Zylinders verbunden, in dem der Wärmeaustausch zwischen den Rauchgasen und den Materialien stattfindet. In diesem Bereich erzeugen die wie beschrieben geformten Schaufeln einen sehr intensiven Duscheffekt, bei dem der größte Teil der in den Schaufeln enthaltenen Materialien aufgrund der Schwerkraft in das Innere des Zylinders fällt.
  42. Der zweite Schaufeltyp ist dagegen mit der Zone an der Flamme verbunden, in der ein Wärmeaustausch zwischen der Flamme und den Materialien stattfindet. In diesem Bereich sind die so geformten Schaufeln so ausgelegt, dass sie die Schauerwirkung an der Flamme begrenzen, da sie den höchsten Rotationspunkt erreichen können, wenn sie mit einer Schauerwirkung von weniger als 20% des ursprünglich geladenen Materials entladen sind.
  43. Das Klagepatent sieht es hieran als nachteilig, dass die zu trocknenden Materialien, die zufällig durch die Flamme gelangen, an der Verbrennung teilnehmen und gleichzeitig die Flamme stören. Insbesondere wenn die zu trocknenden Materialien geschnittenes (bitumenhaltiges) Material enthalten, führt die Einwirkung der hohen Temperaturen in der Flamme zur Bildung flüchtiger Verbindungen, die beim Verlassen des Zylinders zusammen mit den Abgasen giftig für die Umgebung und für Lebewesen sein können, die sie einatmen. Gleichzeitig stören die zu trocknenden Materialien die Flamme, was ebenfalls zu Problemen hinsichtlich der Richtung der Wärmeausbreitung und des Wärmeaustauschs mit den zu trocknenden Materialien führt, wodurch sich die Leistung des Zylinders insgesamt verschlechtert. Als Beispiel für eine solche Ausgestaltung führt das Klagepatent die DE 3 XXX 521 an.
  44. Vor diesem Hintergrund des Standes der Technik stellt sich das Klagepatent daher die Aufgabe (technisches Problem), einen Trockenzylinder bereitzustellen, der die genannten Nachteile überwindet. Insbesondere ist es eine technische Aufgabe, einen Trockenzylinder bereitzustellen, der die oben genannten Nachteile überwindet sowie die Wärmeverteilung innerhalb des Zylinders und hinsichtlich des Wärmeaustausches mit den zu trocknenden Materialien verbessert.
  45. Zur Lösung dieser Aufgabe schlägt das Klagepatent deshalb eine Vorrichtung mit den nachfolgenden Merkmalen vor:
  46. 1. Trockentrommel (1) für Anlagen zur Herstellung von bituminösem Mischgut,
    2. wobei sich die Trommel zwischen einem ersten Ende (3) und einem zweiten Ende (4), gegenüberliegend dem ersten Ende entlang einer Hauptachse (2) erstreckt, welche zu dem Boden in einem Winkel angeordnet ist,
    3. und eine innere Oberfläche (13) aufweist;
    4. wobei die Trockentrommel (1) einen Brenner (7) enthält, angeschlossen an die Trommel an dem zweiten Ende (4)
    5. und eine Flamme (9) erzeugend, die sich in das Innere der Trommel in Richtung des ersten Endes (3) erstreckt,
    6. sowie eine Anzahl von Aufnahmeschaufeln (31), montiert an der inneren Oberfläche (13) der Trommel (1);
    7. wobei das Innere der Trommel eine rohrförmige Abschirmungsstruktur (10) enthält,
    8. angeschlossen an die Trockentrommel (1) mit Hilfe von Befestigungsmitteln (11),
    9. und welche eine im Wesentlichen parallel zu der Hauptachse (2) verlaufende Ausdehnungsachse hat und sich von dem Brenner (7) über eine bestimmte Länge in Richtung des ersten Endes (3) erstreckt, so dass praktisch die Flamme (9) wenigstens vorwiegend auf den Raum innerhalb der Abschirmungsstruktur (10) begrenzt ist,
    10. wobei die Trommel ebenfalls dadurch gekennzeichnet ist, dass sie einen Trennring (12) zwischen der Abschirmungsstruktur (10) und der inneren Oberfläche (13) der Trockentrommel (1) enthält, so dass ein zu trocknendes Material in den Trennring (12) gelangen kann,
    11. die Aufnahmeschaufeln (31) im Inneren des Trennringes (12) angeordnet und an der inneren Oberfläche (13) der Trommel montiert sind, und zwar wenigstens entsprechend zu dem Trennring (12);
    12. wobei die Abschirmungsstruktur (10) eine Anzahl von Vertiefungen (17) enthält, die der inneren Oberfläche (13) der Trockentrommel (1) zugewandt sind, um praktisch das zu trocknende Material aufzunehmen,
    13. und wobei die Abschirmungsstruktur (10) wenigstens vorwiegend aus wärmeleitenden Materialien hergestellt ist.
  47. Die Vorteile der erfindungsgemäßen Ausgestaltung der Trockentrommel bestehen darin, dass die Abschirmungsstruktur verhindert, dass die zu trocknenden Materialien mit der Flamme in Berührung kommen und dadurch umweltschädliche Gase entstehen; denn die Materialien durchlaufen den Trennring, wodurch sie abgeschirmt sind und nicht mit der Flamme in Berührung kommen [0041]. Die Abschirmungsstruktur besteht aus wärmeleitenden Materialien, was den Durchgang von Wärme in Richtung des Trennrings begünstigt und gleichzeitig das Material von der Flamme abschirmt. Weil die Abschirmungsstruktur eine Vielzahl von Vertiefungen aufweist, die der inneren Oberfläche der Trommel zugewandt sind, wird im Betrieb das zu trocknende Material darin aufgenommen und gehalten, während es durch den Trennring der Trockentrommel läuft [0024].
  48. II.
    Zwischen den Parteien im Streit steht die Verwirklichung des Merkmals 12, so dass sich zu den weiteren Merkmalen zu Recht Ausführungen erübrigen. Eine Verwirklichung des Merkmals 12 kann festgestellt werden.
  49. 1.
    Merkmal 12 sieht vor, dass die Abschirmungsstruktur (10) eine Anzahl von Vertiefungen (17) enthält, die der inneren Oberfläche (13) der Trockentrommel (1) zugewandt sind, um das zu trocknende Material aufzunehmen. Hinsichtlich der Abschirmungsstruktur besagt Merkmal 7 ferner, dass diese eine rohrförmige Ausgestaltung aufweisen soll, welche mit Befestigungsmitteln an die Trockentrommel angeschlossen ist und eine im Wesentlichen parallel zur Hauptachse verlaufende Ausdehnungsachse hat. Ferner befindet sich ein Trennring zwischen der Abschirmungsstruktur und der inneren Oberfläche der Trockentrommel, welcher bezweckt, dass ein zu trocknendes Material in den Trennring gelangen kann (Merkmal 10).
  50. Die Abschirmungsstruktur soll demnach rohrförmig ausgestaltet sein und mit der inneren Oberfläche der Trockentrommel einen Trennring bilden, welcher zu trocknendes Material aufnimmt. Die in der Abschirmungsstruktur vorhandenen Vertiefungen sollen, wie das Klagepatent im Anspruch 1 in der maßgeblichen englischen Verfahrenssprache besagt, in practice, das zu trocknende Material aufnehmen. In der veröffentlichten Übersetzung des Patentanspruchs ist „in practice“ mit „praktisch“ übersetzt worden, was auch in Merkmal 12 so wiedergegeben worden ist. Die technisch sinnvolle Übersetzung von „in practice“ ist vielmehr „im Betrieb“. Damit ist die sich drehende Trommel beim Trocknungs- und Erhitzungsvorgang des Materials gemeint.
  51. Wie die Vertiefungen bzw. hollows in der maßgeblichen englischen Verfahrenssprache räumlich-körperlich konkret ausgebildet sein sollen, lässt der Anspruch offen. Diese müssen anspruchsgemäß die Fähigkeit besitzen, das zu trocknende Material aufzunehmen. Zu diesem Zweck sind sie der inneren Oberfläche der Trockentrommel zugewandt. In diese Vertiefungen soll das Material bei sich drehender Trockentrommel aufgenommen, gehalten und aus solchen Vertiefungen auch wieder abgegeben werden können. Um die in Anspruch 1 geforderte Wirkung der Materialaufnahme und -abgabe zu erzielen, ist es weder erforderlich, dass eine Vertiefung nur dem nächstgelegenen Bereich der Innenfläche der Trockentrommel zugewandt ist, noch, dass seine Öffnung einen Mittelpunkt hat, die senkrecht, radial und nach außen gerichtet ist.
  52. Der Wortlaut des Patentanspruchs lässt die konkrete räumlich-körperliche Ausgestaltung offen. Gefordert wird nur, dass das zu trocknende Material beim Betrieb der Trockentrommel in Vertiefungen aufgenommen werden kann, die der inneren Oberfläche der Trommel gegenüberliegend zugewandt sind. Die Vertiefungen in der Abschirmstruktur können daher – nach einer bevorzugten Ausführungsform des Klagepatents in Figur 5 – aus kachelförmigen Elementen (16) gebildet werden, die jeweils eine von zwei abgewinkelten Seitenkanten (18) begrenzte Vertiefung (17) bilden mit einer linearen Erstreckung im Wesentlichen parallel zur Hauptachse der Trockentrommel. Sie können so nebeneinander angeordnet sein, dass die Seitenkante (18) eines Elements an die Seitenkante eines anderen Elements angrenzt [0027]. Es bestehen jedoch keine Anhaltspunkte, dass der Anspruch auf eine solche Ausgestaltung beschränkt ist.
  53. Das gilt auch hinsichtlich der Frage, wie viel Material in den Vertiefungen aufgenommen werden soll. Es ist nicht ersichtlich, dass die Vertiefungen so dimensioniert sein müssen, dass sie das gesamte oder jedenfalls große Mengen von den Behälterschaufeln bewegten Materials aufnehmen. Es muss lediglich die Eignung bestehen, das Material, das in der Trockentrommel einem Trocknungsprozess unterzogen wird, aufzunehmen. Die Menge des aufgenommenen Materials bei einem Drehvorgang der Trockentrommel in den Vertiefungen lässt der Anspruch offen.
  54. Das dargestellte Verständnis wird auch durch die Heranziehung technisch-funktionaler Erwägungen gestützt. Funktional soll in diesen Vertiefungen, wie das Merkmal 12 in seiner Zweckbestimmung deutlich macht, im Betrieb das zu trocknende Material aufgenommen werden. Dies dient, in Verbindung mit dem Umstand, dass die Abschirmungsstruktur aus wärmeleitendendem Material hergestellt ist, der Übertragung der Wärme von der Abschirmungsstruktur in Richtung des Trennrings und verhindert, dass das Material mit der Flamme in Berührung kommt. Weil die Abschirmungsstruktur eine Vielzahl von Vertiefungen aufweist, die der inneren Oberfläche der Trommel zugewandt sind, wird im Betrieb das zu trocknende Material darin aufgenommen und gehalten, während es durch den Trennring der Trockentrommel läuft.
  55. 2.
    Ausgehend von vorstehend erläutertem Verständnis der erfindungsgemäßen Lehre kann die Verwirklichung des Merkmals 12 durch die angegriffene Ausführungsform festgestellt werden.
  56. Die angegriffene Ausführungsform besteht aus einer Vielzahl kachelförmiger und nebeneinander angeordneter Elemente, die jeweils an ihren parallel zur Hauptachse der Trommel gerichteten Seiten U-förmig gebogen bzw. abgewinkelt sind. Jedes der Elemente besitzt so einen im wesentlichen U-förmigen Querschnitt mit einem flachen Boden und gewinkelten Seitenwänden. An dem Auslauf der U-förmig gebogenen Schenkel besitzen diese auf einer Seite eine C-förmige Abwinklung und auf der gegenüberliegenden Seitenkante eine in die Horizontale gerichtete L-förmige Abwinklung. Dabei ist jeweils ein Schenkel des kachelförmigen Elements einem Schenkel des benachbarten kachelförmigen Elements zugeordnet. Das zu trocknende Material wird durch die hohe Wärme innerhalb des Trennrings hindurchgeführt, durch Bewegung aufgelockert und getrocknet.
  57. Nachfolgend wiedergegeben wird – wie bereits im Tatbestand – Figur 3 der Anlage K 6, welche ein Detail der Abschirmungsstruktur wiedergibt:
  58. In den U-förmig gebogenen Schenkeln kann zu trocknendes Material aufgenommen, transportiert und getrocknet werden. Dabei mag es sich um keine großen Materialmengen handeln. Dieser Umstand ist für die Verwirklichung der patentgemäßen Lehre nach dem vorstehenden Verständnis nicht von Relevanz. Nicht erheblich ist auch, wie von der Beklagten eingewandt wurde, der Umstand, dass nicht beabsichtigt gewesen sei in den U-förmig gebogenen Schenkel Material aufzunehmen. Auf die Frage der Intention kommt es nicht an, wenn die U-förmig gebogenen Schenkel objektiv geeignet sind zu trocknendes Material aufzunehmen. Insofern wird das Merkmal 12 durch die angegriffene Ausführungsform verwirklicht.
  59. III.
    Es ergeben sich die nachfolgenden Rechtsfolgen:
  60. 1.
    Da die Beklagte das Klagepatent widerrechtlich benutzt hat, ist sie gemäß Art. 64 EPÜ, § 139 Abs. 1 PatG zur Unterlassung der Benutzungshandlungen verpflichtet.
  61. 2.
    Die Beklagte trifft auch ein zumindest fahrlässiges Verschulden. Denn die Beklagte als Fachunternehmen hätte bei Anwendung der von ihr im Geschäftsverkehr zu fordernden Sorgfalt die Benutzung des Klagepatents erkennen und vermeiden können, § 276 BGB. Für die Zeit ab Rechtshängigkeit der Klage schuldet die Beklagte daher Ersatz des Schadens, welcher der Klägerin entstanden ist und noch entstehen wird, § 139 Abs. 2 PatG.
  62. 3.
    Da die genaue Schadensersatzhöhe derzeit noch nicht feststeht, die Klägerin nämlich keine Kenntnis über den Umfang der Benutzungs- und Verletzungshandlungen durch die Beklagte hat, hat sie ein rechtliches Interesse gemäß § 256 ZPO daran, dass die Schadensersatzpflicht der Beklagten dem Grunde nach festgestellt wird.
  63. 4.
    Um die Klägerin in die Lage zu versetzen, den ihr zustehenden Schadensersatz zu beziffern, ist die Beklagten verpflichtet, im zuerkannten Umfang über ihre Benutzungshandlungen Auskunft zu erteilen und Rechnung zu legen, Art. 64 EPÜ, § 140b PatG i.V.m. § 242 BGB.
  64. 5.
    Die Ansprüche auf Rückruf und Vernichtung folgen aus Art. 64 EPÜ, § 140a und 140b PatG.
  65. IV.
    Mit Blick auf die von der Beklagten gegen das Klageschutzrecht eingewandten Entgegenhaltungen ist eine Aussetzung des Rechtsstreits gemäß § 148 ZPO bis zu einer auch nur erstinstanzlichen Entscheidung in der beim Bundespatentgericht anhängigen Nichtigkeitsklage nicht geboten.
  66. Nach Auffassung der Kammern (Mitt. 1988, 91 – Nickel-Chrom-Legierung, BlPMZ 1995, 121 – Hepatitis-C-Virus), die durch das Oberlandesgericht Düsseldorf (GRUR 1979, 188 – Flachdachabläufe; Mitt. 1997, 257, 258 – Steinknacker) und den Bundesgerichtshof (GRUR 1987, 284 – Transportfahrzeug; GRUR 2014, 1237 ff. – Kurznachrichten) bestätigt wurde, stellen ein Einspruch gegen das Klagepatent oder die Erhebung der Nichtigkeitsklage als solche noch keinen Grund dar, den Verletzungsrechtsstreit auszusetzen, da dies faktisch darauf hinauslaufen würde, dem Angriff auf das Klagepatent eine den Patentschutz hemmende Wirkung beizumessen, die dem Gesetz fremd ist (§ 58 Abs. 1 PatG). Die Interessen der Parteien sind vielmehr gegeneinander abzuwägen.
  67. Wenn das Klagepatent mit einem Einspruch oder mit einer Patentnichtigkeitsklage angegriffen ist, verurteilt das Verletzungsgericht, wenn es eine Verletzung des in Kraft stehenden Patents bejaht, grundsätzlich nur dann wegen Patentverletzung, wenn es eine Nichtigerklärung nicht für (hinreichend) wahrscheinlich hält; andernfalls hat es die Verhandlung des Rechtsstreits nach § 148 ZPO auszusetzen, bis jedenfalls erstinstanzlich über die Nichtigkeitsklage entschieden ist (BGH, GRUR 2014 1238 – Kurznachrichten). Denn eine – vorläufig vollstreckbare – Verpflichtung des Beklagten zur Unterlassung, Auskunftserteilung, Rechnungslegung, zum Rückruf sowie zur Vernichtung patentgemäßer Erzeugnisse ist regelmäßig nicht zu rechtfertigen, wenn mit hinreichender Wahrscheinlichkeit zu erwarten steht, dass dieser Verurteilung durch die Nichtigerklärung des Klagepatents die Grundlage entzogen werden wird. Der aus dem Rechtsstaatsprinzip (Art. 20 Abs. 3 GG) in Verbindung mit den Grundrechten folgende und damit verfassungsrechtlich verbürgte Justizgewährungsanspruch gebietet es, dem Verletzungsbeklagten wirkungsvollen Rechtsschutz zur Verfügung zu stellen, wenn er sich gegen den Angriff aus dem Klagepatent mit einem Gegenangriff auf den Rechtsbestand dieses Patents zur Wehr setzen will. Dies erfordert nicht nur eine effektive Möglichkeit, diesen Angriff selbst durch eine Klage auf Nichtigerklärung bzw. durch Erhebung eines Einspruchs führen zu können, sondern auch eine angemessene Berücksichtigung des Umstands, dass in diesem Angriff auch ein – und gegebenenfalls das einzige – Verteidigungsmittel gegen die Inanspruchnahme aus dem Patent liegen kann. Wegen der gesetzlichen Regelung, die für die Ansprüche nach §§ 139 ff. PatG lediglich ein in Kraft stehendes Patent verlangt und für die Beseitigung dieser Rechtsposition nur die in die ausschließliche Zuständigkeit des Patentgerichts fallende Nichtigkeitsklage zur Verfügung stellt, kann der Angriff gegen das Klagepatent anders als in anderen Rechtsordnungen nicht als Einwand im Verletzungsverfahren oder durch Erhebung einer Widerklage auf Nichtigerklärung geführt werden. Dies darf indessen nicht dazu führen, dass diesem Angriff jede Auswirkung auf das Verletzungsverfahren versagt wird. Die Aussetzung des Verletzungsstreits ist vielmehr grundsätzlich, aber auch nur dann geboten, wenn mit hinreichender Wahrscheinlichkeit zu erwarten ist, dass das Klagepatent dem erhobenen Einspruch/der anhängigen Nichtigkeitsklage nicht standhalten wird (BGH, GRUR 2014 1238 – Kurznachrichten). Dies kann regelmäßig dann nicht angenommen werden, wenn der Nichtigkeitsangriff darauf gerichtet ist, die Neuheit oder die erfinderische Tätigkeit bei Findung der klagepatentgemäßen Lehre in Frage zu stellen, sich jedoch für eine Bejahung der Patentierbarkeit, die auch insoweit von der wertenden Beurteilung der hierfür zuständigen Instanzen abhängt, noch vernünftige Argumente finden lassen.
  68. Den maßgeblichen Erfolg der Nichtigkeitsklage vermochte die Kammer nicht mit der erforderlichen hinreichenden Wahrscheinlichkeit festzustellen.
  69. 1.
    Eine neuheitsschädliche Vorwegnahme der klagepatentgemäßen Lehre durch die prioritätsältere Schrift WO 95/XXX A1 (vorgelegt als Anlage RSH 2; im Folgenden: RSH 2) konnte nicht festgestellt werden.
  70. a)
    Eine Entgegenhaltung ist dann neuheitsschädlich, wenn sich die gesamte als Erfindung beanspruchte Lehre des Klagepatents aus dieser Schrift, deren Gesamtinhalt zu ermitteln ist, für den Fachmann am Prioritätstag in einer Weise ergibt, dass ihm die dort vorgestellte technische Lösung unmittelbar und eindeutig sämtliche Merkmale der Erfindung offenbart. Dabei beschränkt sich die technische Lehre der Patentschriften nicht auf den Inhalt der Ansprüche, sondern schließt die gesamte technische Information ein, die ein Durchschnittsfachmann Ansprüchen, Beschreibung und Abbildungen entnehmen kann (vgl. BGH GRUR 2009, 382, 384 – Olanzapin).
  71. Voraussetzung der Zugehörigkeit einer Entgegenhaltung (einer Schrift oder eines anderen Dokuments) zum berücksichtigungsfähigen Stand der Technik ist, dass sie irgendwo auf der Welt in irgendeiner Weise der Öffentlichkeit vor dem Anmelde- bzw. Prioritätstag zugänglich gemacht worden ist (vgl. Moufang in Schulte, Kommentar zum PatG, 11. Aufl. § 3, Rn. 14). Öffentlich zugänglich ist ein Dokument, wenn ein unbegrenzter Personenkreis die Möglichkeit zur Kenntnisnahme hat oder hatte, ohne dass Einschränkungen durch Geheimhaltungspflichten bestanden (vgl. Moufang/Schulte, a.a.O., § 3, Rn 23 ff. m.w.N.). Die darlegungs- und Beweislast für eine solche öffentliche Zugänglichkeit obliegt dem Patentverletzer.
  72. b)
    Die Kammer vermochte nicht mit der erforderlichen Sicherheit festzustellen, dass der auf die RSH 2 gestützte Nichtigkeitsangriff hinreichende Erfolgsaussichten hat.
  73. Nachfolgend wiedergegeben wird Figur 2 der Entgegenhaltung.
  74. Die Druckschrift offenbart eine Trockentrommel 12, welche zum Erhitzen von Recyclingmaterial dient. Sie ist, wie der nicht gezeigten Figur 1 entnommen werden kann, geneigt angeordnet und weist zwei Stirnseiten 26, 32 auf. Die Trockentrommel verfügt auch über eine innere Oberfläche 13 und einen stirnseitig angeordneten Brenner, dessen Flamme 24 in der Trockentrommel 12 angeordnet ist. An der inneren Oberfläche 13 sind Aufnahmeschaufeln 46 zum Aufnehmen von zu trocknendem Material angeordnet. In der Trockentrommel sind ferner Abschirmbleche 44 vorhanden. Die Abschirmbleche 44 sind mittels Pfosten 45 an der Oberfläche 13 befestigt. In einer Verbrennungszone 38 der Trockentrommel 12 ist die Brennerflamme 24 vorwiegend angeordnet. Die Aufnahmeschaufeln sind an der inneren Oberfläche befestigt. Die Abschirmbleche 44 weisen am Übergang der Abschnitte 60, 62 eine V-förmige Vertiefung auf, die der inneren Oberfläche 13 zugewandt ist und praktisch das zu trocknende Material aufnimmt. Die Abschirmbleche 44 sind aus einem hitzebeständigen Stahl, einem wärmeleitenden Material.
  75. Entgegen der Ansicht der Beklagten wird eine rohrförmige Abschirmungsstruktur mit einem Trennring zwischen Abschirmungsstruktur und der inneren Oberfläche der Trockentrommel nicht offenbart. Figur 2 zeigt zahlreiche unabhängige und voneinander beabstandete Abschirmelemente (44). Zwischen diesen befindet sich jeweils ein großer Durchgang, so dass zu trocknendes Material nicht in einen Trennring gelangen kann, sondern vielmehr in den Bereich des mittleren Teils der Trommel hineinfällt, wo es mit der Flamme beaufschlagt wird, was der Lösung der erfindungsgemäßen Aufgabe entgegensteht. Zwar mag, worauf die Beklagte verwiesen hat, auf Seite 8 der Entgegenhaltung ausgeführt sein:
  76. „Shielding flights 44 should be positioned sufficiently close to each other so that the inner surface of the shell 13 is substantially completely shielded from the radiant heat from the flame 24 in the combustion zone 38.“
  77. Die Textstelle verdeutlicht, dass die Abschirmbleche so eng zueinander angeordnet sein sollen, dass die innere Oberfläche vollständig von der Wärme der Flamme geschützt werden soll. Die genannte Textstelle gibt jedoch keinen Anhaltspunkt die Abschirmbleche in der Weise anzuordnen, dass diese mit der inneren Oberfläche der Trockentrommel einen Trennring bilden, mit der Folge, dass zu trocknendes Material in den Trennring gelangt und geführt wird. Denn die Ausführungen zur engen Anordnung der Abschirmbleche stehen in Bezug zur Figur 2 und der dortigen Ausgestaltung, was den Schluss zulässt, dass die Entgegenhaltung bereits bei der Figur 2 von eng zueinander angeordneten Abschirmblechen ausgeht. Eine solche Ausgestaltung offenbart hingegen nicht das Merkmal 10.
  78. b)
    Auch die weitere Entgegenhaltung, die JP-U-57/XXX (Anlage RSH 3), offenbart das Merkmal 10, den Trennring zwischen der Abschirmungsstruktur und der inneren Oberfläche der Trockentrommel nicht.
  79. Nachfolgend wiedergegeben wird Figur 2 der Anlage RSH 3.
  80. Statt einer Abschirmungsstruktur nebst einem Trennring ist nur eine Vielzahl unabhängiger und voneinander beabstandeter Abschirmelemente vorhanden. Zwischen jedem Paar benachbarter Abschirmelemente befindet sich ein (großer) Durchgang, durch den das Material vertikal über den mittleren Teil der Trommel fallen kann. Ein Trennring entsprechend dem Merkmal 10 wird hierdurch nicht offenbart.
  81. 2.
    Auch das Vorliegen eines Widerrufs aufgrund einer unzulässigen Erweiterung ist nicht mit der gebotenen hinreichenden Wahrscheinlichkeit feststellbar.
  82. Die Beklagte macht insofern geltend, dass der Anspruch 1 über den Inhalt der Anmeldung in der ursprünglich eingereichten Fassung hinausgehe. Das Merkmal „the container blades (31) are placed inside the separating ring (12)“ sei ursprünglich nicht offenbart, insbesondere nicht an der von der Anmelderin angegebenen Offenbarungsstelle (Seite 13, Zeilen 13 bis 15 der ursprünglich eingereichten Anmeldungsunterlagen). Es unterscheide sich von dem ursprünglich enthaltenen Merkmal, welches wie folgt lautete:
  83. „the container blades (31) are mounted on the inner surface (13) of the cylinder at least at the separating ring (12)“.
  84. Dies ergebe sich bereits daraus, dass die beiden vorstehend genannten Teilmerkmale in Kombination das Merkmal 11 bilden würden, was bedeute, dass die Teilmerkmale nicht inhaltsgleich seien. Die von der Anmelderin genannte Offenbarungsstelle betreffe das konkrete Ausführungsbeispiel, dass anhand der Figuren beschrieben sei. Dieses Ausführungsbeispiel weise weitere Merkmale auf, die mit dem aufgenommenen Merkmal untrennbar verbunden seien. Die untrennbare Verbindung dieser Teilmerkmale ergebe sich auch aus dem erteilten Anspruch 5, in dem diese Teilmerkmale in Kombination beansprucht seien.
  85. Das überzeugt nicht. Ungeachtet des Umstandes, dass die Beklagte die entsprechenden Anmeldeunterlagen nicht zur Gerichtsakte gereicht hat, hat die Klägerin nachvollziehbar aufgezeigt, dass das Merkmal, auf dessen Grundlage die Beklagte eine unzulässige Erweiterung geltend macht, „the container blades (31) are placed inside the separating ring (12)“, von Beginn an Teil des Anspruchs 1 des Klagepatentes war.
  86. Auf Seite 13, Zeile 13 f. der öffentlich einsehbaren ursprünglichen Anmeldeunterlagen auf der Webseite des Europäischen Patentamtes heißt es in der Übersetzung der italienischen Beschreibung: „Inside the separating ring 12 there is a plurality of container blades 31 mounted on the inner surface 13 of the drying cylinder 1.”
    Am 18. Mai 2010 reichte die Anmelderin eine geänderte Beschreibung und geänderte Patentansprüche ein. In Anspruch 1 wurde das Merkmal „and a plurality of container blades (31) mounted on the inner surface (13) of the cylinder” aus dem kennzeichnenden Teil der ursprünglich eingereichten Fassung in den Oberbegriff von Anspruch 1 verschoben. Das Merkmal 11 des Patentanspruchs 1 „the container blades (31) are placed inside the separating ring (12)” wurde dem kennzeichnenden Teil von Anspruch 1 hinzugefügt. Das ursprüngliche Merkmal im kennzeichnenden Teil von Anspruch 1 war, dass die Behälterschaufeln „at least at the separating ring (12)“ also „mindestens am Trennring (12)“ angebracht und damit notwendigerweise innerhalb des Trennrings angeordnet sind, was sich auch aus Figur 4 der ersten Veröffentlichung vom 9. Juli 2009 ergibt.
  87. Nachfolgend wiedergegeben ist der am 18. Mai 2010 geänderte Patentanspruch, dessen Änderungen kenntlich gemacht wurden.
  88. „A rotary drying cylinder ( 1) for plants for the production of bituminous macadams, the cylinder extending, between a first end (3) and a second end (4) opposite the first, along a main axis (2) which is set at an angle to the ground, and having an inner surface (13); the drying cylinder (1) comprises a burner (7), connected to the cylinder at the second end (4), and generating a flame (9) which extends inside the cylinder towards the first end (3) and a plurality of container blades (31) mounted on the inner surface (13) of the cylinder; the cylinder being characterised in that it internally comprises a tube-shaped shielding structure (10), connected to the drying cylinder (1) by connecting means (11), having an axis of extension substantially parallel with the main axis (2) and extending from the burner (7) towards the first end (3) for a predetermined length so that, in practice, the flame (9) is at least mainly confined within the shielding structure (10), the cylinder also being characterised in that it comprises a separating ring (12) between the shielding structure (10) and the inner surface (13) of the drying cylinder (1) so that a material being dried can pass in the separating ring (12), the cylinder also being characterised in it comprises a plurality of container blades (31) that the container blades (31) are placed inside the separating ring (12) and are mounted on the inner surface (13) of the cylinder at least at the separating ring (12); the shielding structure (10) comprising a plurality of hollows (17) facing towards the inner surface (13) of the drying cylinder (1) for containing, in practice, the material being dried and the shielding structure (10) being at least mainly made of heat conducting materials.“
  89. Die vorstehend gekennzeichneten Änderungen im ursprünglich eingereichten Anspruch (Anm. die Durchstreichung wurde grau hinterlegt, die Einfügung fett gedruckt) macht deutlich, dass keine Aufnahme des Merkmals erfolgte, wie die Beklagte meint, sondern eine Verschiebung vom kennzeichnenden Teil in den Oberbegriff erfolgte, das zur Begründung der unzulässigen Erweiterung herangezogene Merkmal allerdings im Wesentlichen schon vorhanden war, was nachfolgender Ausschnitt des Anspruchs ohne die Änderungen zeigt (Hervorhebung durch das Gericht):
  90. „A rotary drying cylinder (1) for plants for the production of bituminous macadams, the cylinder extending, between a first end (3) and a second end (4) opposite the first, along a main axis (2) which is set at an angle to the ground, and having an inner surface (13); the drying cylinder (1) comprises a burner (7), connected to the cylinder at the second end (4), and generating a flame (9) which extends inside the cylinder towards the first end (3; the cylinder being characterised in that it internally comprises a tube-shaped shielding structure (10), connected to the drying cylinder (1) by connecting means (11), having an axis of extension substantially parallel with the main axis (2) and extending from the burner (7) towards the first end (3) for a predetermined length so that, in practice, the flame (9) is at least mainly confined within the shielding structure (10), the cylinder also being characterised in that it comprises a separating ring (12) between the shielding structure (10) and the inner surface (13) of the drying cylinder (1) so that a material being dried can pass in the separating ring (12), the cylinder also being characterised in it comprises a plurality of container blades (31) mounted on the inner surface (13) of the cylinder at least at the separating ring (12); the shielding structure (10) comprising a plurality of hollows (17) facing towards the inner surface (13) of the drying cylinder (1) for containing, in practice, the material being dried and the shielding structure (10) being at least mainly made of heat conducting materials.“
  91. B.
    Die prozessualen Nebenentscheidungen folgen aus §§ 91, 709 ZPO.
  92. Streitwert: 750.000,- Euro

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