4c O 29/23 – Fußbodenpaneel

Düsseldorfer Entscheidungen Nr. 3396

Landgericht Düsseldorf

Urteil vom 2. Juli 2024, Az. 4c O 29/23

  1. I. Die Klage wird abgewiesen.
    II. Die Klägerin trägt die Kosten des Rechtsstreits.
    III. Dieses Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages vorläufig vollstreckbar.
  2. Tatbestand
  3. Die Klägerin nimmt die Beklagten auf Unterlassung, Auskunft und Rechnungslegung, Vernichtung, Rückruf und Feststellung einer Forderung auf angemessene Entschädigung als auch auf Schadensersatz, jeweils dem Grunde nach, aus vermeintlicher Patentverletzung in Anspruch (EP 1 891 XXX B1).
  4. Die Klägerin ist eingetragene Inhaberin des Europäischen Patents EP 1 891 XXX B1 (Anlage K1, im Folgenden: Klagepatent). Unter Inanspruchnahme einer Priorität vom 16. Juni 2005 (DE XXX) wurde das Klagepatent am 14. Juni 2006 angemeldet. Die Offenlegung der Anmeldung erfolgte unter dem 27. Februar 2008 und der Hinweis auf die Erteilung wurde am 07. August 2013 bekannt gemacht. Das Klagepatent steht mit Wirkung für die Bundesrepublik Deutschland in Kraft. Es betrifft ein Fußbodenpaneel mit einem Holzwerkstoffkern, einer Dekorschicht und Verriegelungsprofilen.
  5. Beide Beklagten haben gegen das Klagepatent Nichtigkeitsklage beim Bundespatentgericht erhoben (Klageschrift als Anlage B3), welche unter dem Aktenzeichen 8 Ni 67/23 (EP) anhängig ist. Ein Hinweis nach § 83 Abs. 1 PatG ist noch nicht ergangen.
  6. Anspruch 1 des Klagepatents lautet:
  7. „Fußbodenpaneel (1) mit rechteckigem Format, mit einem Holzwerkstoffkern (2) und einer Dekorschicht (4) an einer Oberseite (3) des Fußbodenpaneels (1), mit paarweise gegenüberliegenden Seitenkanten (5, 6, 7, 8), wobei wenigstens ein Paar Seitenkanten (7, 8) formschlüssig wirkende komplementäre Hakenprofile aufweist, nämlich einen Aufnahmehaken (9), der einer Unterseite des Fußbodenpaneels (1) zugewandt ist, sowie an der gegenüberliegenden Seitenkante (8) einen Arretierhaken (10), der der Oberseite (3) des Fußbodenpaneels (1) zugewandt ist, wobei sowohl der Aufnahmehaken (9) als auch der Arretierhaken (10) eine distale Seitenfläche (11, 17) mit wenigstens einem hervorstehenden Rastelement (13, 14) aufweist, welchem eine Aufnahmetasche (21, 22) im komplementären Aufnahmehaken (9) zugeordnet ist, und der Arretierhaken (10) durch eine Arretierbewegung senkrecht zur Ebene des Fußbodenpaneels (1) mit dem Aufnahmehaken (9) verriegelbar ist, wobei zwischen dem Rastelement (13, 14) des Arretierhakens (10) und der Oberseite (3) des Fußbodenpaneels (1) bezogen auf die Gesamtdicke des Fußbodenpaneels (1) wenigstens ein Abstand von einem Drittel der Gesamtdicke des Fußbodenpaneels (1) vorgesehen ist, und wobei die distale Seitenfläche (11) des Arretierhakens (10) zwei Rastelemente (13, 14) aufweist, dadurch gekennzeichnet, dass ein erstes näher an der Oberseite (3) des Fußbodenpaneels (1) angeordnetes Rastelement (13) des Arretierhakens (10) weiter von der distalen Seitenfläche (11) des Arretierhakens (10) hervorsteht, als das zweite Rastelement (14).“
  8. Dem Klagepatent sind folgende Figuren zur Erläuterung der klagepatentgemäßen Lehre entnommen:
  9. Fig. 1 zeigt eine perspektivische Ansicht eines Fußbodenpaneels. Fig. 2 zeigt eine ausschnittsweise Darstellung eines Arretierhakens (in der Klagepatentschrift, Abs. [0022], unzutreffend als Aufnahmehaken bezeichnet). Fig. 3 zeigt eine ausschnittsweise Darstellung eines Aufnahmehakens (in der Klagepatentschrift, Abs. [0022], unzutreffend als Arretierhaken bezeichnet). Fig. 4 zeigt beide Haken in zusammengefügtem Zustand.
  10. Die Beklagten stellen her und vertreiben Fußbodenpaneele, die sie an die Baumarktkette „A“ (B AG) veräußern. Diese veräußert diese wiederum unter der Bezeichnung „C“. Die Klägerin hat mehrere dieser C Laminatböden der Serie „D“ (im Folgenden: angegriffene Ausführungsform) bei A erworben und im Einzelnen untersucht.
  11. Im Rahmen der Untersuchung wurden folgende Ablichtungen, die die angegriffene Ausführungsform jeweils im Querschnitt zeigen, gefertigt.
  12. (Anlage K10 = Bl. 90 d. Anlagenbandes Klägerin, Markierungen und Beschreibungen durch Klägerin hinzugefügt)
  13. (Anlage K12, S. 2 = Bl. 93 d. Anlagenbandes Klägerin)
  14. Die Klägerin ist der Ansicht, die angegriffene Ausführungsform mache unmittelbar wortsinngemäß von der Lehre des Klagepatents Gebrauch.
  15. Ein Rastelement nach der klagepatentgemäßen Lehre sei dann anzunehmen, wenn zwei Bereiche „fest“ miteinander in Kontakt stünden und ein Kraftschluss zu einer Verriegelungswirkung führe. Deswegen sei auch das von der Klägerin als oberes Rastelement bezeichnete Element ein solches entsprechend der klagepatentgemäßen Lehre. Ebenso sei eine Verrastung (erst) unter einer von oben einwirkenden Belastung eines von zwei verbundenen Paneelen ausreichend für das Vorhandensein eines Rastelements. Da die angegriffene Ausführungsform bei Belastung von oben wie nachfolgend dargestellt eine Verdrehung erfahre, komme es insoweit zu einer Verrastung, was für die Verwirklichung der klagepatentgemäßen Lehre ausreichend sei.
  16. (Replik vom 29. Januar 2024, S. 11 = Bl. 123 d.A.)
  17. Die klagepatentgemäße Lehre verlange weiterhin, dass zwischen einem beliebigen von potentiell mehreren Rastelementen und der Oberseite des Fußbodenpaneels bezogen auf die Gesamtdicke des Fußbodenpaneels wenigstens ein Abstand von einem Drittel der Gesamtdicke des Fußbodenpaneels vorgesehen sei. Nicht erforderlich sei, dass dieser Abstand bei jedem von mehreren Rastelementen gewahrt werde. Dies ergebe sich aus der Verwendung des Singulars insoweit. Ebenso ergebe sich dies aus der Bezeichnung des aus der WO‘XXX bekannten Fußbodenpaneels als „gattungsgemäß“.
  18. Die Klägerin behauptet zunächst, das vorprozessuale Vorbringen der Beklagten, dass die beiden in der folgenden Darstellung links mit einem Pfeil gekennzeichneten Abschnitte produktionsbedingt von einem Fügespalt getrennt würden und nicht unmittelbar formschlüssig aneinander anlägen, sei unzutreffend. Vielmehr wiesen die im Handel erhältlichen Produkte der Beklagten einen entsprechenden Spalt nicht auf.
  19. (Klageschrift vom 25. Mai 2023, S. 15 = Bl. 17 d.A.)
  20. Ebenso rage bei den im Handel erhältlichen Produkten der Beklagten, anders als in den von der Beklagten vorgelegten Konstruktionszeichnungen, das untere Rastelement (nach der Terminologie der Klägerin, vgl. die oben aus der Anlage K10 entnommene Abbildung) in seiner seitlichen Erstreckung weg vom Aufnahmehaken über das obere Rastelement hinaus.
  21. Weiter meint die Klägerin, ein „leichtes Spiel“ zwischen Bauteilen – wie von der Beklagten vorgetragen und der Klägerin bestritten – stünde dem Vorhandensein von formschlüssig wirkenden komplementären Hakenprofilen nach der klagepatentgemäßen Lehre nicht entgegen, weshalb es auf die tatsächliche Beschaffenheit insoweit nicht ankäme.
  22. Das Klagepatent werde sich zudem gegenüber dem Nichtigkeitsangriff der Beklagten als rechtsbeständig erweisen.
  23. Die Klägerin beantragt,
    I. die Beklagten zu verurteilen,
  24. 1 es bei Meidung eines für jeden Fall der Zuwiderhandlung fälligen Ordnungsgeldes bis zu € 250.000,00, ersatzweise Ordnungshaft bis zu sechs Monaten oder Ordnungshaft bis zu sechs Monaten, im Wiederholungsfall bis zu insgesamt zwei Jahren, wobei die Ordnungshaft am jeweiligen Geschäftsführer der Beklagten zu vollziehen ist, zu unterlassen
  25. Fußbodenpaneele mit rechteckigem Format, mit einem Holzwerkstoffkern und einer Dekorschicht an einer Oberseite des Fußbodenpaneels, mit paarweise gegenüberliegenden Seitenkanten, wobei wenigstens ein Paar Seitenkanten formschlüssig wirkende komplementäre Hakenprofile aufweist, nämlich einen Aufnahmehaken, der einer Unterseite des Fußbodenpaneels zugewandt ist, sowie an der gegenüberliegenden Seitenkante einen Arretierhaken, der der Oberseite des Fußbodenpaneels zugewandt ist, wobei sowohl der Aufnahmehaken als auch der Arretierhaken eine distale Seitenfläche mit wenigstens einem hervorstehenden Rastelement aufweist, welchem eine Aufnahmetasche im komplementären Aufnahmehaken zugeordnet ist, und der Arretierhaken durch eine Arretierbewegung senkrecht zur Ebene des Fußbodenpaneels mit dem Aufnahmehaken verriegelbar ist, wobei zwischen dem Rastelement des Arretierhakens und der Oberseite des Fußbodenpaneels bezogen auf die Gesamtdicke des Fußbodenpaneels wenigstens ein Abstand von einem Drittel der gesamten Dicke des Fußbodenpaneels vorgesehen ist, und wobei die distale Seitenfläche des Arretierhakens zwei Rastelemente aufweist,
  26. in Deutschland herzustellen, anzubieten, in Verkehr zu bringen oder zu gebrauchen oder zu den genannten Zwecken einzuführen oder zu besitzen,
  27. wenn ein erstes näher an der Oberseite des Fußbodenpaneels angeordnetes Rastelement des Arretierhakens weiter von der distalen Seitenfläche des Arretierhakens hervorsteht, als das zweite Rastelement;
  28. 2 der Klägerin darüber Auskunft zu erteilen, in welchem Umfang sie die zu Ziff. I.1. bezeichneten Handlungen seit dem 27. März 2008 begangen haben, und zwar unter Angabe
  29. a) der Namen und Anschriften der Hersteller, Lieferanten und anderer Vorbesitzer,
  30. b) der Namen und Anschriften der gewerblichen Abnehmer sowie der Verkaufsstellen, für die die Fußbodenpaneele bestimmt waren,
  31. c) der Menge der hergestellten, ausgelieferten, erhaltenen oder bestellten Fußbodenpaneele sowie der Preise, die für die betreffenden Paneele bezahlt wurden;
  32. wobei zum Nachweis der Angaben die entsprechenden Kaufbelege (Rechnungen, hilfsweise Lieferscheine) in Kopie vorzulegen sind, wobei die geheimhaltungsbedürftigen Details außerhalb der auskunftspflichtigen Daten geschwärzt werden dürfen;
  33. 3 der Klägerin darüber Rechnung zu legen, in welchem Umfang sie die zu Ziff. 1. bezeichneten Handlungen seit dem 27. März 2008 begangen haben, und zwar unter Angabe
  34. a) der Herstellungsmengen und -zeiten,
  35. b) der einzelnen Lieferungen, aufgeschlüsselt nach Liefermengen, -zeiten und -preisen und Typenbezeichnungen sowie den Namen und Anschriften der Abnehmer,
  36. c) der einzelnen Angebote, aufgeschlüsselt nach Angebotsmengen, -zeiten und -preisen und Typenbezeichnungen sowie den Namen und Anschriften der gewerblichen Angebotsempfänger,
  37. d) der betriebenen Werbung, aufgeschlüsselt nach Werbeträgern, deren Auflagenhöhe, Verbreitungszeitraum und Verbreitungsgebiet,
  38. e) der nach den einzelnen Kostenfaktoren aufgeschlüsselten Gestehungskosten und des erzielten Gewinns,
  39. wobei
  40. (1) sich die Verpflichtung zu e) erst auf Handlungen ab dem 7. September 2013 bezieht,
  41. (2) den Beklagten vorbehalten bleibt, die Namen und Anschriften der nicht gewerblichen Abnehmer und der Angebotsempfänger statt der Klägerin einem von der Klägerin zu bezeichnenden, ihr gegenüber zur Verschwiegenheit verpflichteten, in Deutschland ansässigen, vereidigten Wirtschaftsprüfer mitzuteilen, sofern die Beklagten dessen Kosten tragen und ihn ermächtigen und verpflichten, der Klägerin auf konkrete Anfrage mitzuteilen, ob ein bestimmter Abnehmer oder Angebotsempfänger in der Aufstellung enthalten ist;
  42. 4 die in ihrem unmittelbaren und mittelbaren Besitz oder in ihrem Eigentum befindlichen, unter Ziff. 1. bezeichneten Fußbodenpaneele an einen von der Klägerin zu benennenden Gerichtsvollzieher zum Zwecke der Vernichtung auf ihre – der Beklagten – Kosten herauszugeben,
  43. 5 die unter Ziff. 1. bezeichneten, seit dem 27. März 2008 in Verkehr gebrachten Fußbodenpaneele gegenüber den gewerblichen Abnehmern schriftlich unter Hinweis auf den gerichtlich (Urteil des LG Düsseldorf vom …) festgestellten patentverletzenden Zustand der Sache und mit der verbindlichen Zusage zurückzurufen, etwaige Entgelte zu erstatten sowie notwendige Verpackungs- und Transportkosten sowie mit der Rückgabe verbundene Zoll- und Lagerkosten zu übernehmen und die Paneele wieder an sich zu nehmen;
  44. II. festzustellen,
  45. 1. dass die Beklagten verpflichtet sind, der Klägerin für die zu Ziff. I.1. bezeichneten, in der Zeit vom 27. März 2008 bis zum 6. September 2013 begangenen Handlungen eine angemessene Entschädigung zu zahlen;
  46. 2. dass die Beklagten als Gesamtschuldner verpflichtet sind, der Klägerin allein Schaden zu ersetzen, der ihr durch die in Ziff. I.1. bezeichneten, seit dem 7. September 2013 begangenen Handlungen entstanden ist und noch entstehen wird.
  47. Die Beklagten beantragen,
    die Klage abzuweisen;
  48. hilfsweise,
  49. das Verfahren bis zum rechtskräftigen Abschluss des Nichtigkeitsverfahrens der Beklagten gegen das Klagepatent auszusetzen.
  50. Die Beklagten sind der Ansicht, die Klage sei unbegründet. Bei zutreffender Auslegung verwirkliche die angegriffene Ausführungsform die klagepatentgemäße Lehre nicht.
  51. Die Klägerin nehme bereits die Untergliederung der klagepatentgemäßen Lehre in einzelne Merkmale unzutreffend vor. So müsse nicht nur dem hervorstehenden Rastelement auf der distalen Seitenfläche des Arretierhakens eine Aufnahmetasche zugeordnet sein, sondern ebenfalls dem hervorstehenden Rastelement auf der distalen Seite des Aufnahmehakens. Dies ergebe sich aus der entsprechenden Formulierung im Patentanspruch, wo es heiße „wobei sowohl der Aufnahmehaken (9) als auch der Arretierhaken (10) eine distale Seitenfläche (11, 17) mit wenigstens einem hervorstehenden Rastelement (13, 14) aufweist, welchem eine Aufnahmetasche (21, 22) im komplementären Aufnahmehaken (9) zugeordnet ist“. Der mit dem Wort „welchem“ eingeleitete Zusatz beziehe sich auf beide Rastelemente. Die Bezugnahme nur auf den komplementären Aufnahmehaken sei ersichtlich ein Schreibversehen, gemeint sei eine Aufnahmetasche im jeweils komplementären Haken, wie der Fachmann ohne weiteres erkenne.
  52. Die klagepatentgemäße Lehre verlange weiterhin, dass nicht nur zwischen einem beliebigen von potentiell mehreren Rastelementen und der Oberseite des Fußbodenpaneels bezogen auf die Gesamtdicke des Fußbodenpaneels wenigstens ein Abstand von einem Drittel der Gesamtdicke des Fußbodenpaneels vorgesehen sei, sondern zwischen jedem vorhandenen Rastelement. Dies folge aus dem technisch-funktionalen Sinn dieses Merkmals.
  53. Zudem sei ein Rastelement nach allgemeinem Sprachgebrauch ein Element, das in eine ineinandergreifende Haltevorrichtung oder Ähnliches gleitet, sich dort festhakt oder einschnappt. Von einem solchen Verständnis gehe auch das Klagepatent aus. Insbesondere seien zwei gegenüberliegende Flächen, die ohne zu verriegeln in Kontakt stehen, kein Rastelement im Sinne der klagepatentgemäßen Lehre.
  54. Die Beklagten behaupten, die tatsächliche Beschaffenheit der angegriffenen Ausführungsform entspreche der als Anlage B2 vorgelegten Konstruktionszeichnung (= Bl. 3 d. Anlagenbandes Beklagte). Insbesondere rage das von der Klägerin als unteres Rastelement bezeichnete Element in seiner seitlichen Erstreckung weg vom Aufnahmehaken nicht über das obere Rastelement hinaus und der in der Konstruktionszeichnung dargestellte Fügespalt sei bei ihren Produkten vorhanden.
  55. Die Beklagten hätten zudem eigene Untersuchungen angestellt. Hierbei seien Rückstellmuster der Produktion mit dem Produktionsdatum 23. Dezember 2022 verwendet worden. Die konstruktive Beschaffenheit stelle sich abweichend von den Ergebnissen der Klägerin dar. Vielmehr entspreche sie den Abbildungen in der Duplik vom 17. April 2024, S. 12 und 13 (= Bl. 157-158 d.A.).
  56. Eine Verdrehung von 2° könne bei der angegriffenen Ausführungsform in der Praxis nicht durch Belastung erreicht werden. Selbst wenn es zu einer solchen komme, entstehe keine Beschaffenheit wie von der Klägerin mittels Zeichnung vorgetragen. Es komme zu keiner Verrastung. Vielmehr lösten sich die beiden Flächen, an denen die Klägerin das obere Rastelement ausmacht, voneinander (dargestellt in der Duplik vom 17. April 2024, S. 15 Ill. 9 = Bl. 160 d.A.).
  57. Die Beklagte zu 2) habe überdies bereits im Jahr 2003 Fußbodenpaneele unter der Bezeichnung „XXX“ vermarktet, die der angegriffenen Ausführungsform im Wesentlichen entsprochen hätten.
  58. Schließlich halten die Beklagten das Klagepatent für nicht rechtsbeständig. Die Druckschriften DE 202 03 XXX U1 (Anlage B 3_D1, im Folgenden D1), WO 02/XXX A1 (Anlage B 3_D2, Übersetzung als Anlage B 3_D2a, im Folgenden D2), WO 01/XXX A1 (Anlage B 3_D3, im Folgenden D3), WO 01/XXX A1 (Anlage B 3_D4, Übersetzung als Anlage B 3_D4a, im Folgenden D4) und EP 1 282 XXX B1 (Anlage B 3_D7, im Folgenden D7) nähmen die klagepatentgemäße Lehre jedenfalls in der Auslegung der Klägerin neuheitsschädlich vorweg. Sofern man, der Ansicht der Beklagten entsprechend, ein weiteres Merkmal gegenüber der Merkmalsgliederung der Klägerin verlange, so sei dies jedenfalls nicht erfinderisch, wie sich mit Blick auf die Druckschriften WO 01/XXX A1 (Anlage B 3_D5) und EP 1 367 XXX A2 (Anlage B 3_D6) ergebe.
  59. Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Parteivorbringens wird auf die wechselseitigen Schriftsätze nebst Anlagen sowie auf das Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 28. Mai 2024 verwiesen.
  60. Entscheidungsgründe
  61. Die zulässige Klage ist unbegründet.
    I.
  62. Das Klagepatent betrifft ein Fußbodenpaneel mit einem Holzwerkstoffkern, einer Dekorschicht und Verriegelungsprofilen. Das Fußbodenpaneel weist insbesondere zwei formschlüssig wirkende komplementäre Hakenprofile auf, Abs. [0001] (genannte Absätze hier und im Folgenden ohne anderen Zusatz sind solche der Klagepatentschrift).
  63. Laut dem Klagepatent, Abs. [0002], seien gattungsgemäße Fußbodenpaneele aus der WO 01/XXX A1 (Anlage K3, im Folgenden WO‘XXX) bekannt. Gemäß dem Ausführungsbeispiel der Fig. 5 der WO‘XXX seien bei diesem Stand der Technik an wenigstens zwei gegenüberliegenden Seitenkanten die erwähnten Hakenprofile vorgesehen.
  64. Die Fig. 5 der WO‘XXX stellt sich wie nachfolgend abgebildet dar.
  65. (Anlage K3, S. 15 = Bl. 29 d. Anlagenbandes Klägerin)
  66. Die beiden Rastelemente vergrößerten das Maß an Hinterschneidung und erhöhten die Haltekraft, die einem Auseinanderbewegen der Hakenprofile entgegenwirke. Die beiden übrigen Seitenkanten könnten komplementäre Profile aufweisen, die auf einer Nut und einer Feder basierten. Diese Profile würden sich durch schräges Ansetzen eines neuen Fußbodenpaneels mit seiner Seitenkante an eine Seitenkante eines liegenden Fußbodenpaneels und anschließendes Herabschwenken des neuen Fußbodenpaneels in die Ebene des liegenden Fußbodenpaneels miteinander verbinden lassen. Letztere Profile seien formschlüssig ausgebildet. Profile dieser Kategorie dienten dazu, Fußbodenpaneele einer ersten Paneelreihe mit Fußbodenpaneelen einer folgenden Paneelreihe zu verbinden.
    Die eingangs erwähnten formschlüssig wirkenden komplementären Hakenprofile dienten hingegen dazu, Fußbodenpaneele miteinander zu verbinden, die in derselben Reihe angeordnet seien, Abs. [0003]. Sowohl die Verriegelung eines neuen Fußbodenpaneels an einer vorderen Reihe als auch die Verhakung mit einem Fußbodenpaneel derselben Paneelreihe würden durch die Schwenkbewegung herbeigeführt, Abs. [0004]. Die Verhakung erfolge dabei, indem der Arretierhaken in den Aufnahmehaken herabgeschwenkt werde.
    Der Arretierhaken bewege sich dabei innerhalb einer Drehebene, die senkrecht zur Oberseite des Fußbodenpaneels ausgerichtet sei. Auf diese Weise geschehe die Verriegelung des Fußbodenpaneels an der Vorderreihe gleichzeitig mit der Verhakung mit einem Fußbodenpaneel derselben Paneelreihe. Die Rastelemente wiesen eine Hinterschneidung auf, die einem Auseinanderbewegen zusammengefügter Hakenprofile entgegenwirke, Abs. [0005].
    Aus der WO 01/XXX A1 (Anlage K4) sei ein allgemeiner Stand der Technik bekannt, so das Klagepatent, Abs. [0006]. Eine Ausführungsform mit formschlüssigen Haken sei in Fig. 5.1 (nachfolgend abgebildet) dieser Druckschrift gezeigt.
  67. (Anlage K4, S. 38 = Bl. 70 d. Anlagenbandes Klägerin)
  68. Die ausschnittsweise Darstellung zeige die komplementären Hakenprofile im zusammengefügten Zustand. Beide Hakenprofile wiesen an distalen Seitenflächen Rastelemente mit hervorstehender Krümmung auf. Die Rastelemente griffen jeweils in Aufnahmetaschen des Hakenprofils des benachbarten Fußbodenpaneels ein.
    Es habe sich allerdings gezeigt, so das Klagepatent, Abs. [0007], dass die Dekorschicht an der Oberseite des Fußbodenpaneels während und nach der Arretierung der Hakenelemente schadhaft werde. Die Dekorschicht löse sich ab und die Oberseite des Fußbodenpaneels schüssele, das heiße, an den Seitenkanten stelle sich an der Oberseite die Dekorschicht auf.
    Weitere Fußbodenpaneele mit Aufnahmehaken, Arretierhaken und daran vorgesehenen Rastelementen seien bekannt aus der DE 201 20 XXX U1, DE 200 02 XXX U1, EP 1 512 XXX A1, DE 202 03 XXX U1 und EP 1 350 XXX A1, Abs. [0008].
    Vor diesem Hintergrund stellt sich das Klagepatent die Aufgabe, ein vereinfacht gestaltetes Fußbodenpaneel zu schaffen, das gut handhabbar und gut verhakbar ist, Abs. [0009].
    Zur Lösung dieser Aufgabe schlägt das Klagepatent eine Vorrichtung mit folgenden Merkmalen vor:
  69. 1. Fußbodenpaneel (1) mit rechteckigem Format,
    1.1 mit einem Holzwerkstoffkern (2) und einer Dekorschicht (4) an einer Oberseite (3) des Fußbodenpaneels (1),
    1.2 mit paarweise gegenüberliegenden Seitenkanten (5, 6, 7, 8),
    1.3 wobei wenigstens ein Paar Seitenkanten (7, 8) formschlüssig wirkende komplementäre Hakenprofile aufweist, nämlich
    1.3.1 einen Aufnahmehaken (9), der einer Unterseite des Fußbodenpaneels (1) zugewandt ist,
    1.3.2 sowie an der gegenüberliegenden Seitenkante (8) einen Arretierhaken (10), der der Oberseite (3) des Fußbodenpaneels (1) zugewandt ist,
    1.4 der Aufnahmehaken (9) weist eine distale Seitenfläche (17) mit wenigstens einem hervorstehenden Rastelement auf,
    1.5 der Arretierhaken (10) weist eine distale Seitenfläche (11) mit wenigstens einem hervorstehenden Rastelement (13, 14) auf, welchem eine Aufnahmetasche (21, 22) im komplementären Aufnahmehaken (9) zugeordnet ist,
    1.6 der Arretierhaken (10) ist durch eine Arretierbewegung senkrecht zur Ebene des Fußbodenpaneels (1) mit dem Aufnahmehaken (9) verriegelbar,
    1.7 wobei zwischen dem Rastelement (13, 14) des Arretierhakens (10) und der Oberseite (3) des Fußbodenpaneels (1) bezogen auf die Gesamtdicke des Fußbodenpaneels (1) wenigstens ein Abstand von einem Drittel der Gesamtdicke des Fußbodenpaneels (1) vorgesehen ist,
    1.8 die distale Seitenfläche (11) des Arretierhakens (10) weist zwei Rastelemente (13, 14) auf,
    1.9 ein erstes näher an der Oberseite (3) des Fußbodenpaneels (1) angeordnetes Rastelement (13) des Arretierhakens (10) steht weiter von der distalen Seitenfläche (11) des Arretierhakens (10) hervor, als das zweite Rastelement (14).
  70. Es ist zwischen den Parteien streitig, ob die klagepatentgemäße Lehre ein zusätzliches Merkmal 1.4.1. wie nachstehend wiedergegeben erfordert
  71. 1.4.1 welchem eine Aufnahmetasche (21, 22) im komplementären [Aufnahme]haken (9) zugeordnet ist,
  72. Ob es eines entsprechenden Merkmals bedarf, was durch Auslegung des maßgeblichen Patentanspruchs zu bestimmen ist, bedarf vorliegend keiner Entscheidung, da die Kammer eine Verwirklichung des Merkmals 1.7 bei der angegriffenen Ausführungsform bereits nicht feststellen kann. Ausführungen zu weiteren Merkmalen erübrigen sich vor diesem Hintergrund.
  73. II.
  74. Die Kammer kann eine Verwirklichung des Merkmals 1.7 bei der angegriffenen Ausführungsform nicht feststellen.
  75. 1.
    Merkmal 1.7 besagt, dass zwischen dem Rastelement (13, 14) des Arretierhakens (10) und der Oberseite (3) des Fußbodenpaneels (1) bezogen auf die Gesamtdicke des Fußbodenpaneels (1) wenigstens ein Abstand von einem Drittel der Gesamtdicke des Fußbodenpaneels (1) vorgesehen ist. Damit muss zwischen jedem Rastelement des Arretierhakens und der Oberseite des Fußbodenpaneels bezogen auf die Gesamtdicke des Fußbodenpaneels wenigstens ein Abstand von einem Drittel der Gesamtdicke des Fußbodenpaneels vorgesehen sein.
  76. Die sprachliche Fassung des Satzteils ist nicht eindeutig. Es ist an der entsprechenden Stelle die Rede von „dem“ Rastelement, was weder mit „einem“ Rastelement noch mit „allen“ Rastelementen sprachlich gleichzusetzen ist. Der Anspruchswortlaut ist hinsichtlich der Anzahl der Rastelemente insgesamt uneinheitlich. So heißt es in Merkmal 1.5, dass die distale Seitenfläche des Arretierhakens wenigstens ein hervorstehendes Rastelement aufweisen muss. In Merkmal 1.8 werden zwei Rastelemente auf der distalen Seitenfläche des Arretierhakens beansprucht.
  77. Technisch-funktionale Erwägungen hingegen stützen das vorgenannte Verständnis, wonach zwischen jedem Rastelement des Arretierhakens und der Oberseite des Fußbodenpaneels bezogen auf die Gesamtdicke des Fußbodenpaneels wenigstens ein Abstand von einem Drittel der Gesamtdicke des Fußbodenpaneels vorgesehen sein muss. So heißt es in der Beschreibung:
  78. [0013] Bei dem bekannten Fußbodenpaneel wurde festgestellt, dass ein Rastelement an einer distalen Seitenfläche eines Hakenelements dann Beschädigungen an der Dekorschicht hervorruft, wenn es nahe der Oberseite des Fußbodenpaneels angeordnet ist. Nahe der Oberseite weist der Holzwerkstoffkern eine hohe Dichte auf. Wenn in diesem Bereich Druck durch ein Rastelement ausgeübt wird, treten Stauchungen im Material auf, die das Material spalten. Innere Risse wachsen. Schichten des Holzwerkstoffs schälen ab.
  79. [0014] Die Erfindung sieht vor, das Rastelement des Arretierhakens in größerer Materialtiefe anzuordnen, das heißt mit einem größeren Abstand von der Oberseite des Fußbodenpaneels.
  80. [0015] Das Rastelement hat einen vergrößerten Abstand zu der Oberseite des Fußbodenpaneels und liegt nunmehr in einem weichen Bereich des Holzwerkstoffs, der eine verhältnismäßig geringe Dichte im Vergleich zur Dichte nahe der Oberfläche aufweist. Eine Spaltung des Materials nahe der Dekorschicht tritt nicht auf, weil das weichere Material nachgiebiger ist. Zudem bewirkt der vergrößerte Abstand des Rastelements zur Oberseite des Fußbodenpaneels, dass Druck und Stauchungen nicht bis an die Dekorschicht heranreichen können.
  81. In technisch-funktionaler Hinsicht dient der Abstand der Rastelemente zur Oberfläche also dazu, Beschädigungen an der Oberseite zu verhindern. Dieses im Stand der Technik vorbekannte Problem soll durch eine Beabstandung des Rastelementes zur Oberfläche vermieden werden. Allerdings genügt hierfür nicht die Beabstandung lediglich eines Rastelementes. Denn jedes Rastelement, welches den Abstand nicht wahrt, verursacht potentiell Beschädigungen an der Oberfläche. Sollen entsprechende Beschädigungen ausgeschlossen werden, so müssen sämtliche Rastelemente zur Oberfläche beabstandet sein.
  82. Das Klagepatent grenzt sich vom in Bezug genommenen Stand der Technik und insbesondere auch von der in Abs. [0002] genannten Fig. 5 der WO‘XXX (Anlage K3, S. 15 = Bl. 29 d. Anlagenbandes Klägerin, bereits abgebildet sub I.), anders als die Klägerin meint, auch über das Merkmal 1.7 ab.
    Die Figur zeigt, wie die Klägerin zurecht vorträgt, ein Ausführungsbeispiel, bei dem der Arretierhaken zwei vorstehende Rastelemente aufweist (two snapping hooks 23) von denen jedenfalls das obere im oberen Drittel der Paneele vorgesehen ist. Die Klagepatentschrift kritisiert (Abs. [0013]) jedoch die Anordnung der Rastelemente beim vorbekannten Stand der Technik und somit auch bei der WO‘XXX. Diese führe zu Beschädigungen, weshalb insoweit eine abweichende Konstruktion (auch gegenüber der WO‘XXX) vorteilhaft ist. Gelöst wird dieses Problem durch die Vorgaben des Merkmals 1.7.
  83. 2.
    Unter Zugrundelegens des vorstehenden Verständnisses verwirklicht die angegriffene Ausführungsform Merkmal 1.7 nicht.
  84. a.
    Die Beschaffenheit der angegriffenen Ausführungsform ist in weiten Teilen unstreitig und aus den von der Klägerin vorgelegten Fotos sowie der von den Beklagten vorgelegten Konstruktionszeichnung ersichtlich:
  85. (Anlage K10 = Bl. 90 d. Anlagenbandes Klägerin)
  86. (Anlage B 2 = Bl.3 d. Anlagenbandes Beklagte)
  87. b.
    Das von der Klägerin als oberes Rastelement bezeichnete Element der angegriffenen Ausführungsform (bezeichnet als „oberes Rastelement“ in der Anlage K10 und als „distale Seitenfläche von Arretierhaken“ in der Anlage B 2) weist keinen Abstand von einem Drittel der Gesamtdicke des Fußbodenpaneels zur Oberseite des Fußbodenpaneels auf. Dies ist zwischen den Parteien unstreitig, hinsichtlich Merkmal 1.7 war allein die Auslegung der klagepatentgemäßen Lehre im Streit.
  88. Damit bestehen die klägerseits geltend gemachten Ansprüche mangels Verwirklichung der klagepatentgemäßen Lehre durch die angegriffene Ausführungsform nicht.
  89. III.
  90. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 709 S. 1, S. 2 ZPO, diejenige über die Kosten aus § 91 ZPO.
  91. Der Streitwert wird auf 500.000,00 EUR festgesetzt, § 51 Abs. 1 GKG.

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