Düsseldorfer Entscheidungen Nr. 3387
Landgericht Düsseldorf
Urteil vom 10. Oktober 2024, Az. 4a O 105/22
- I. Die Klage wird abgewiesen.
- II. Die Kosten des Rechtsstreits trägt die Klägerin.
- III. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des jeweils zu vollstreckenden Betrages.
- Tatbestand
- Mit der vorliegenden Klage, die den Beklagten jeweils am 19.01.2023 zugestellt worden ist, macht die Klägerin Ansprüche auf Unterlassung, Auskunft und Rechnungslegung sowie Schadensersatzfeststellung und Erstattung von Abmahnkosten wegen Patentverletzung geltend.
- Die Klägerin ist Inhaberin des europäischen Patents EP 2 758 XXA B1 (Anlage K13, im Folgenden: Klagepatent). Das Klagepatent, das die Priorität der DE 102011113XXB vom 19.09.2011 in Anspruch nimmt, wurde am 18.09.2012 angemeldet. Am 12.02.2020 wurde der Hinweis auf seine Erteilung im Patentblatt veröffentlicht. Unter dem 20.04.2023 reichte die Beklagte zu 1) eine gegen das Klagepatent gerichtete Nichtigkeitsklage (Anlage MB5) bei dem Bundespatentgericht ein, über die noch nicht entschieden ist. Der deutsche Teil des Klagepatents steht in Kraft. Das Klagepatent betrifft eine Vorrichtung und ein Verfahren zum Stapeln von Beuteln aus Kunststofffolie.
-
Anspruch 1 des Klagepatents lautet:
- „Vorrichtung (1) zum paketweisen Stapeln von aus Kunststofffolie hergestellten Beuteln (7), wobei die Vorrichtung (1) zumindest ein Zugmittel, vorzugsweise einen oder zwei Zahnriemen (2, 2a, 2b), aufweist, wobei die Vorrichtung (1) zumindest eine Kassettenablage (6) aufweist, auf die Beutel (7) flach aufeinander auflegbar sind und die an dem Zugmittel befestigbar ist, und dass die Kassettenablage (6) zumindest ein Mittel zum Klemmen der aufgelegten Beutel (7) aufweist, dadurch gekennzeichnet, dass das Mittel zum Klemmen aus zwei Kassettenblechen (8) besteht.“
- Zur Veranschaulichung werden nachfolgend (verkleinert) die Figuren 4, 5 und 6 sowie die Figuren 14, 15 und 18 der Klagepatentschrift eingeblendet. Die Figuren 4 und 5 sind schematische Darstellungen einer oder mehrerer Kassettenablage(n) in Seitenansicht (Figur 4) und in Vorderansicht in Schnittdarstellung entlang der Linie A-B aus Figur 4 (Figur 5). In Figur 6 ist ein Teil einer Kassettenablage mit rechtsseitigem Kassettenblech gemäß der Erfindung in perspektivischer Ansicht dargestellt. Figur 14 zeigt Teile mehrerer Kassettenablagen auf einem einzigen Zahnriemen in perspektivischer Ansicht. Figur 15 zeigt eine Kassettenablage mit rechts- und linksseitigem Kassettenblech auf einem einzigen Zahnriemen in perspektivischer Ansicht. In Figur 18 ist eine Kassettenablage in einer besonders bevorzugten Ausgestaltung auf zwei Zahnriemen in perspektivischer Ansicht dargestellt.
- Die Beklagte zu 1) ist ein Maschinenbauunternehmen mit Sitz in A. In ihrem Internetauftritt (Anlage K2) wirbt sie damit, dass sie „B“ anbiete und Mitglied der B Alliance sei, der – unter anderem – auch das Maschinenbauunternehmen C Ltd. Sti. (im Folgenden: C) mit Sitz in der Türkei angehört. Der Beklagte zu 2) ist alleiniger Geschäftsführer der Beklagten zu 1).
- Im Juni 2022 war über den YouTube-Kanal der C ein Video einer Maschine abrufbar, die eine Vorrichtung zum Stapeln von Beuteln aufwies, die mit dem Schriftzug „D GmbH“ sowie einem Logo der Beklagten zu 1) versehen war. Die Vorrichtung zum Stapeln von Beuteln dieser Maschine war wie folgt ausgestaltet:
- Nachdem die Klägerin von diesem Video Kenntnis genommen hatte, machte sie mit patentanwaltlichem Schreiben vom 10.06.2022 Ansprüche wegen Verletzung des Klagepatents gegen die Beklagte zu 1) geltend und räumte dieser unter Fristsetzung bis zum 01.07.2022 die Möglichkeit einer außergerichtlichen Lösung ein. Nachdem die Beklagte zu 1) die Ansprüche durch rechtsanwaltliches Schreiben zurückgewiesen hatte, bestellte sich der rechtsanwaltliche Vertreter der Klägerin und forderte die Beklagte zu 1) unter Fristsetzung bis zum 09.09.2022 zur Abgabe einer strafbewehrten Unterlassungs- und Verpflichtungserklärung auf (Anlage K5). Mit Email vom 09.09.2022 (Anlage K6) teilte der rechtsanwaltliche Vertreter der Beklagten zu 1) mit, auch wenn die Beklagte zu 1) keinen rechtlichen Anlass für die Abgabe einer Unterlassungserklärung sehe, habe sie die C aufgefordert, das Video freiwillig zu entfernen.
- Auf der F-Messe 2022, die im Oktober 2022 in E stattfand und die die weltweit größte Fachmesse im Bereich der Kunststoff- und Kautschukindustrie darstellt, hatte die Beklagte zu 1) einen Messestand angemietet, auf dem sowohl sie als auch die C ausstellten. Der Messestand stellte sich wie folgt dar:
- Auf diesem Messestand war eine Maschine ausgestellt, die eine Vorrichtung zum Stapeln von aus Kunststofffolie hergestellten Beuteln aufwies (im Folgenden: angegriffene Ausführungsform), deren Ausgestaltung sich aus dem als Anlage K17 zur Akte gereichten Video sowie dem nachfolgend eingeblendeten, der Klageerwiderung entnommenen, Lichtbild ergibt:
- Die Steuerkonsole der Maschine samt Display ist in dem Video gemäß Anlage K17 wie folgt dargestellt:
- Mit rechtsanwaltlichem Schreiben vom 21.10.2022 (Anlage K11) forderte die Klägerin die Beklagte zu 1) unter Fristsetzung bis zum 28.10.2022 im Hinblick auf die auf der F-Messe ausgestellte Vorrichtung, die sie als gegenüber der Vorrichtung aus dem YouTube-Video nur geringfügig geändert bezeichnete, erfolglos zur Abgabe einer strafbewehrten Unterlassungserklärung auf.
- Die Klägerin ist der Ansicht, die angegriffene Ausführungsform mache von der Lehre des Anspruchs 1 des Klagepatents unmittelbar wortsinngemäß Gebrauch. Insbesondere weise die angegriffene Ausführungsform ein klagepatentgemäßes Mittel zum Klemmen auf, nämlich die in dem nachfolgend eingeblendeten Lichtbild erkennbaren vier weißen Kunststoffelemente, zwischen denen die Beutel liegen.
- In Anspruch 1 des Klagepatents sei der Begriff des Klemmens dahingehend definiert, dass die in der Kassettenablage aufeinanderliegenden Beutel so eingeklemmt werden, dass die Beutel, nachdem sie kantengerade gestapelt worden seien, unverrutschbar festsäßen und der so gebildete kantengerade Stapel der Beutel mittels eines Roboters oder zugehörigen Greifarms aus der Kassettenablage entnommen werden könne. Von einem „Klemmen“ im Sinne des Klagepatents sei regelmäßig auszugehen, wenn die kantengerade in der Kassettenablage aufeinanderliegenden Beutel so gehalten würden, dass die Beutel unverrutschbar festsäßen und der kantengerade Stapel erhalten bleibe. Danach reiche es aus, wenn die Breite des Mittels zum Klemmen gleich oder sogar geringfügig größer sei als die Breite der Beutel. Eine Funktion der Mittel zum Klemmen, um die Beutel in Längsrichtung zu halten, sei von der Lehre des Klagepatents nicht vorgegeben.
- Die Klägerin ist der Ansicht, die angegriffene Ausführungsform weise auch auf Grundlage des Verständnisses der Beklagten klagepatentgemäße Mittel zum Klemmen auf. Dazu behauptet sie, die Beutel hätten bei der auf der F-Messe 2022 ausgestellten angegriffenen Ausführungsform ebenfalls eine Breite gehabt, die größer gewesen sei als der Abstand zwischen den Kunststoffblöcken. Dies sei dem als Anlage K17 zur Akte gereichten Video sowie den als Anlage K18 vorgelegten Screenshots aus dem Video zu entnehmen, in denen zu erkennen sei, dass sich die Seitenflächen der auf der Kassettenablage aufgelegten Beutel leicht nach oben wölbten. Die Klägerin behauptet weiter, bei der angegriffenen Ausführungsform seien die Beutel auch nicht in Längsrichtung verrutschbar.
- Die bei der angegriffenen Ausführungsform vorhandenen vier seitlich angeordneten Kunststoffblöcke genügten der Vorgabe des Klagepatentanspruchs 1, dass das Mittel zum Klemmen aus zwei Kassettenblechen bestehe. Für das Verständnis der Vorgabe, dass das Mittel zum Klemmen aus zwei Kassettenblechen bestehe, sei auf die Funktion der Kassettenbleche abzustellen. Unter Berücksichtigung der Funktion sei dem Fachmann klar, dass die Kassettenbleche keineswegs zwangsläufig aus blechartigen Materialien bestehen müssten. Er erkenne, dass als Material für die Mittel zum Klemmen alle Materialien in Betracht kämen, die eine ausreichende Festigkeit aufwiesen, um dazwischen kantengerade Stapel von Kunststoffbeuteln bilden und festhalten zu können. Nach dem maßgeblichen funktionalen Verständnis verdeutliche die Angabe „zwei Kassettenbleche“ lediglich, dass durch die Mittel zum Klemmen auf der Kassettenablage ein Raum gebildet werde, in dem die Beutel gerade aufeinanderliegen könnten. Dementsprechend müssten die Mittel zum Klemmen auf beiden Seiten der Kassettenablage angeordnet sein. Eine Vorgabe bezüglich des Materials enthalte das Klagepatent nicht, der Begriff „Kassettenblech“ mache in erster Linie deutlich, dass die Mittel zum Klemmen an der Kassettenablage angeordnet seien. Die Klagepatentschrift beschreibe das Material der Mittel zum Klemmen an keiner Stelle und schränke es auch nicht ein.
- Die Klägerin ist der Auffassung, bezüglich aller im Klageantrag aufgeführten Benutzungshandlungen bestehe eine Begehungs- oder Wiederholungsgefahr. Unter Verweis auf das Video gemäß Anlage K17 behauptet sie, die Beklagte zu 1) habe die angegriffene Ausführungsform auf der F-Messe im Jahr 2022 in Betrieb genommen. Sie meint, darin liege die Benutzungshandlung des „Gebrauchens“. Die Klägerin führt aus, auf dem Messestand habe die Beklagte zu 1) die tatsächliche Verfügungsgewalt über die aus dem Ausland nach Deutschland gebrachte angegriffene Ausführungsform erlangt. Sie ist der Auffassung, dadurch werde ein Einführen des patentierten Erzeugnisses bewirkt. Auch hätten die Beklagten die angegriffene Ausführungsform auf der Messe besessen und zuvor eingeführt, um sie Kunden in Deutschland anzubieten. Das Ausstellen auf der F-Messe stelle aufgrund der Ausgestaltung des gemeinsamen Messestandes, nach der für Messebesucher eine Trennung zwischen Bereichen und Maschinen der C und der Beklagten zu 1) nicht ersichtlich gewesen sei, ein Anbieten im patentrechtlichen Sinne durch die Beklagte zu 1) dar. Jedenfalls bestehe eine Erstbegehungsgefahr dafür, dass die Beklagte zu 1) die von der C hergestellten Maschinen nach Deutschland einführe, wenn sie diese an Kunden in Deutschland weiterveräußere. Darüber hinaus seien Benutzungshandlungen der C auf der F-Messe den Beklagten zuzurechnen, da die C und die Beklagte zu 1) gemeinsam als Aussteller auf einem gemeinsamen Messestand aufgetreten seien und für Messebesucher nicht ersichtlich gewesen sei, dass es eine räumliche oder thematische Trennung der angebotenen Maschinen auf dem Messestand gegeben habe. Daher hafteten die Beklagten selbst dann, wenn es sich um ein Anbieten durch die C gehandelt haben sollte, da Schuldner der Ansprüche nach §§ 139 ff. PatG auch derjenige sei, der die Verwirklichung des Benutzungstatbestandes durch einen Dritten ermögliche oder fördere, obwohl er sich mit zumutbarem Aufwand Kenntnis verschaffen könne, dass die von ihm unterstützte Handlung das absolute Recht des Patentinhabers verletze. Die Beklagte zu 1) habe dafür Sorge zu tragen, dass Schutzrechte Dritter nicht durch sie oder ihre B Alliance – Partner verletzt würden. Der Beklagte zu 2) sei als alleiniger Geschäftsführer der Beklagten zu 1) in vollem Umfang für deren patentverletzende Benutzungshandlungen verantwortlich.
- Die Klägerin ist weiter der Auffassung, die vorliegende Klage habe sich von Anfang an ausschließlich gegen die auf der F-Messe ausgestellte Vorrichtung gerichtet. Der Vortrag bezüglich der in dem YouTube-Video dargestellten Vorrichtung sei lediglich zur Illustration der vorprozessualen Korrespondenz erfolgt.
- Schließlich ist die Klägerin der Ansicht, das Klagepatent sei rechtsbeständig. Insbesondere sei die Lehre des Anspruchs 1 durch keine der Entgegenhaltungen D1 (EP 2 210 XXC A2, Anlage MB6), D2 (DE 33 35 XXD A1, Anlage MB7), D3 (WO 2000 068XXE A1, Anlage MB8), D4 (EP 1 568 XXF A1, Anlage MB9) oder D5 (DE 31 38 XXG, Anlage MB10) neuheitsschädlich offenbart.
- Die Klägerin beantragt,
- I. die Beklagten zu 1. und 2. zu verurteilen,
- 1. es bei Meidung eines für jeden Fall der Zuwiderhandlung fälligen Ordnungsgeldes bis zu 250.000,00 €, ersatzweise Ordnungshaft bis zu sechs Monaten, oder Ordnungshaft bis zu sechs Monaten, im Falle wiederholter Zuwiderhandlung bis zu insgesamt zwei Jahren, zu unterlassen,
- Vorrichtungen zum paketweisen Stapeln von aus Kunststofffolie hergestellten Beuteln,
- bei denen die Vorrichtung zumindest ein Zugmittel, vorzugsweise einen oder zwei Zahnriemen, aufweist, wobei die Vorrichtung zumindest eine Kassettenablage aufweist, auf die Beutel flach aufeinander auflegbar sind und die an dem Zugmittel befestigbar ist,
- und wobei die Kassettenablage zumindest ein Mittel zum Klemmen der aufgelegten Beutel aufweist, dadurch gekennzeichnet, dass das Mittel zum Klemmen aus zwei Kassettenblechen besteht,
- in der Bundesrepublik Deutschland anzubieten und/oder zu gebrauchen und/oder zu den genannten Zwecken entweder einzuführen oder zu besitzen;
- 2. der Klägerin darüber Auskunft zu erteilen, in welchem Umfang die Beklagten die unter Ziffer I. 1. bezeichneten Handlungen seit dem 12.03.2020 begangen haben, und zwar unter Vorlage eines chronologisch geordneten Verzeichnisses unter Angabe
- (a) der Namen und Anschriften der Hersteller, Lieferanten und anderer Vorbesitzer,
- (b) der Namen und Anschriften der gewerblichen Abnehmer sowie der Verkaufsstellen, für die diese Erzeugnisse in der Bundesrepublik Deutschland bestimmt waren,
- (c) der Menge der hergestellten, ausgelieferten, erhaltenen und bestellten Erzeugnisse sowie der Preise, die für die betreffenden Erzeugnisse bezahlt wurden,
- wobei zum Nachweis der Angaben die entsprechenden Einkaufs- und Verkaufsbelege (Rechnungen) in Kopie oder, falls keine Rechnungen ausgestellt wurden, Lieferpapiere in Kopie vorzulegen sind, und wobei geheimhaltungsbedürftige Details außerhalb der auskunftspflichtigen Daten geschwärzt werden dürfen;
- 3. der Klägerin schriftlich darüber Rechnung zu legen, in welchem Umfang die Beklagten die vorstehend zu Ziffer I. 1. bezeichneten Handlungen seit dem 12.03.2020 begangen haben, und zwar unter Vorlage eines chronologisch geordneten Verzeichnisses unter Angabe:
- (a) der einzelnen Lieferungen, aufgeschlüsselt nach Liefermengen, -zeiten, -preisen und Typenbezeichnungen sowie ausgeschlüsselt nach Namen und Anschriften der gewerblichen Abnehmer;
- (b) der einzelnen Angebote, aufgeschlüsselt nach Angebotsmengen, -zeiten und -preisen unter Einschluss von Typenbezeichnungen sowie der Namen und Anschriften der Angebotsempfänger, wobei den Beklagten vorbehalten bleibt, Namen und Anschriften ihrer Angebotsempfänger statt der Klägerin einem von dieser zu bezeichnenden, ihr gegenüber zur Verschwiegenheit verpflichteten, vereidigten Wirtschaftsprüfer mit Sitz in der Bundesrepublik Deutschland mitzuteilen, sofern die Beklagten dessen Kosten tragen und ihn ermächtigen und verpflichten, der Klägerin auf konkrete Anfrage mitzuteilen, ob ein bestimmter Angebotsempfänger in dem Verzeichnis enthalten ist;
- (c) der betriebenen Werbung, aufgeschlüsselt nach Werbeträgern, der Auflagenhöhe, Verbreitungszeitraum und Verbreitungsgebiet, im Falle von Internetwerbung der jeweiligen Domain, Zugriffszahlen und Schaltungszeiträumen;
- (d) der nach den einzelnen Kostenfaktoren aufgeschlüsselten Gestehungskosten und des erzielten Gewinns;
- II. festzustellen, dass die Beklagten als Gesamtschuldner verpflichtet sind, der Klägerin allen Schaden zu ersetzen, der ihr durch die zu I. 1. bezeichneten, seit dem 12.03.2020 begangenen Handlungen entstanden ist und in Zukunft noch entstehen wird;
- III. die Beklagten zu verurteilen, zur Erstattung der vorprozessualen Abmahnkosten einen Betrag in Höhe von 7.730,00 € nebst Zinsen in Höhe von 5 %-Punkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit der Klage an die Klägerin zu zahlen.
- Die Beklagten beantragen,
- die Klage abzuweisen,
- hilfsweise, den Rechtsstreit gemäß § 148 ZPO bis zur erstinstanzlichen Entscheidung in dem gegen das Klagepatent anhängigen Nichtigkeitsverfahren Az. 7 NI 15/23 auszusetzen.
- Die Beklagten sind der Ansicht, die angegriffene Ausführungsform mache von der Lehre des Klagepatents keinen Gebrauch. Ein Anspruch auf Auskunft und Rechnungslegung bestehe jedenfalls insoweit nicht, als er über die im Unterlassungsantrag aufgeführten Benutzungshandlungen des Anbietens, Gebrauchens, Einführens und Besitzens hinausgehe.
- Die angegriffene Ausführungsform weise keine Mittel zum Klemmen im Sinne des Klagepatents auf. Insoweit sei ein kraftschlüssiges Halten (in Abgrenzung zu einem bloß formschlüssigen Führen) erforderlich. Ein Klemmen setze voraus, dass die eingelegten Beutel mit Druck festgehalten würden oder die Mittel einen engen Raum ausbildeten, in den die Beutel gezwängt werden müssten. Es treffe zwar zu, dass Anspruch 1 eine Ausgestaltung zulasse, bei der die Breite der Klemmmittel nicht kleiner sei als die Breite der Beutel. Erforderlich sei aber, dass überhaupt eine Krafteinwirkung stattfinde, etwa in Längsrichtung oder von oben nach unten.
- Die Beklagten sind der Auffassung, die vier Kunststoffblöcke der angegriffenen Ausführungsform klemmten die Beutel nicht. Sie behaupten, die Beutel würden lediglich in den Raum zwischen den Kunststoffblöcken eingelegt. Dadurch seien die Beutel in Längsrichtung verrutschbar. Bei der auf der F-Messe 2022 ausgestellten Maschine sei die Breite zwischen den Blöcken nicht kleiner gewesen als die Breite der Beutel. Die Kunststoffbeutel hätten allein formschlüssig und ohne Krafteinwirkung zwischen den Kunststoffblöcken aufgelegen.
- Darüber hinaus enthalte der Anspruchswortlaut räumlich-körperliche Anforderungen im Hinblick auf Anzahl, Material und Form der Kassettenbleche. Die zahlenmäßige Beschränkung sei auf genau zwei Kassettenbleche gerichtet, während bei der angegriffenen Ausführungsform vier Kunststoffblöcke vorhanden seien. Zudem gebe das Klagepatent in Anspruch 1 „Blech“ als Material und Form des Mittels zum Klemmen vor. Unter Blechen verstehe der Fachmann Walzenerzeugnisse aus Metall, deren Breite und Länge sehr viel größer als ihre Dicke sei.
- Die Beklagten sind der Ansicht, es fehle auch an Patentverletzungshandlungen. Sie behaupten, die C habe die angegriffene Ausführungsform eingeführt, in Besitz gehabt und auf der F-Messe ausgestellt. Die Beklagten hätten die angegriffene Ausführungsform auf der F-Messe nicht in Betrieb genommen oder gebraucht. Bereits das seitens der Klägerin als Anlage K17 vorgelegte Video belege durch die Darstellung des Displays der Steuerkonsole, dass die angegriffene Ausführungsform von der C ausgestellt worden sei. Entsprechendes ergebe sich durch das auf der Maschine mehrfach angebrachte Logo der C.
- Die Beklagte zu 1) habe die angegriffene Ausführungsform auf der F-Messe auch nicht beworben oder angeboten. Aus der gemeinsamen Anmietung eines Messestandes mit der C folge kein Bewerben oder Anbieten der angegriffenen Ausführungsform durch die Beklagte zu 1). Aus der Gestaltung des Messestandes habe sich eine klare Trennung der Bereiche und Angebote der Beklagten zu 1) von denen der C ergeben. Auch eine Verantwortlichkeit der Beklagten zu 1) für die angeblich patentverletzenden Handlungen der C bestehe daher nicht.
- Schließlich könne von einer Präsentation auf einer internationalen Messe nicht zwingend auf eine inländische Verletzungshandlung geschlossen werden. Der Messeauftritt der C sei nicht auf den deutschen Markt ausgerichtet gewesen. In Bezug auf die angegriffene Ausführungsform seien – unstreitig – lediglich englischsprachige Werbematerialien vorhanden gewesen.
- Die Beklagten sind der Ansicht, auf Grundlage der Auslegung der Klägerin sei der Anspruch 1 des Klagepatents jedenfalls nicht rechtsbeständig, so dass -hilfsweise- der Rechtsstreit bis zur erstinstanzlichen Entscheidung des gegen das Klagepatent geführten Nichtigkeitsverfahrens auszusetzen sei. Auf Grundlage des Verständnisses der Klägerin sei Anspruch 1 des Klagepatents gegenüber den Entgegenhaltungen D1 (EP 2 210 XXC A2, Anlage MB6), D2 (DE 33 35 XXD A1, Anlage MB7), D3 (WO 2000 068XXE A1, Anlage MB8), D4 (EP 1 568 XXF A1, Anlage MB9) und D5 (DE 31 38 XXG, Anlage MB10) nicht neu.
- Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird auf die zwischen den Parteien gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen sowie auf das Protokoll der mündlichen Verhandlung ergänzend Bezug genommen.
- Entscheidungsgründe
- Die zulässige Klage hat keinen Erfolg. Sie ist unbegründet.
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A.
Es liegt keine Teilklagerücknahme vor. Die Klägerin hat ihre Klage von Anfang an auf eine Ausgestaltung gemäß der im Jahr 2022 auf der F-Messe ausgestellten Vorrichtung (angegriffene Ausführungsform) gestützt. Dies ergibt sich aus der Auslegung der Klageschrift. Zunächst spricht die ursprüngliche Formulierung der Anträge, die Teile des Patentanspruchs durch die Beschreibung der angegriffenen Ausführungsform ersetzt hatte, für ein solches Verständnis. Denn die in dem YouTube-Video dargestellte Ausführungsform ist in dem so formulierten Antrag nicht beschrieben. Hinzu kommt, dass die Klägerin zwar meint, die auf der F-Messe 2022 ausgestellte angegriffene Ausführungsform sei nur geringfügig gegenüber der in dem YouTube-Video gezeigten Maschine modifiziert; die Patentverletzungsargumentation erfolgt aber ausschließlich anhand der Ausgestaltung der auf der F-Messe 2022 ausgestellten Vorrichtung. Auch die Gliederung der Klageschrift, in der die Vorgänge um das YouTube-Video unter der Überschrift „vorprozessuale Korrespondenz“ geschildert werden, spricht dafür, dass durch diese Ausführungen der Verlauf der Auseinandersetzung der Parteien dargestellt werden sollte, zumal unter der Überschrift „Patentverletzung“ ausschließlich auf die auf der F-Messe ausgestellte Maschine abgestellt wird. -
B.
Die Klage ist unbegründet. Der Klägerin stehen die gegen die Beklagten geltend gemachten Ansprüche nicht zu. Die angegriffene Ausführungsform macht von der Lehre des Anspruchs 1 des Klagepatents keinen Gebrauch. -
I.
Das Klagepatent betrifft ein Verfahren und eine Vorrichtung zum Stapeln von Beuteln aus Kunststofffolie. - Aus dem Stand der Technik nennt das Klagepatent zunächst die DE 35 05 109 C1, aus der eine Vorrichtung zum Stapeln von mit zwei Positionierlöchern versehenen Gegenständen, vorzugsweise Beuteln aus Kunststofffolie, bekannt sei, bei der die Stapelstrecke aus intermittierend angetriebenen Zugmitteln bestehe, die mit paarweise angeordneten aufragenden, auf Tragplatten zu befestigenden Stapelstiften versehen seien (Absatz [0002]). In Absatz [0004] führt die Klagepatentschrift die US 4,451,249 A an, die eine Vorrichtung und ein Verfahren zur Erzeugung thermoplastischer Beutel betreffe. Mit der Maschine erzeugte Abschnitte, die jeweils zwei Beutel festlegten, würden auf eine Stapelvorrichtung eines intermittierend schaltbaren Förderers überführt, der eine Anzahl solcher Stapelvorrichtungen aufweise, die längs seiner Längsrichtung in einem Abstand voneinander angeordnet seien. Dadurch, dass die Stapelvorrichtungen in die Abschnitte auf der Stapelvorrichtung in wenigstens einem Punkt eingriffen, würden die Abschnitte als lagegenauer Stapel erhalten. Ohne Benennung eines konkreten Standes der Technik gibt das Klagepatent in seinem Absatz [0005] das Ablegen von Beuteln auf Ablegebänder, auf die die Beutel jeweils frei fallengelassen würde, als bekannt an.
- Nachteilig an dem Sammelsystem mit Stapelstiften sei – so das Klagepatent in seinem Absatz [0003] –, dass die Beutel nach dem Stapeln zumindest ein Aufhängeloch, Positionierloch oder dergleichen aufwiesen. An dem Ablegen der Beutel auf Ablegebänder, auf die die Beutel frei fallengelassen werden, sieht es das Klagepatent als nachteilig an, dass es nicht möglich sei, kantengerade Stapelpakete zu erzeugen, wobei es wiederum nicht möglich sei, die nicht kantengeraden Stapelpakete automatisch, etwa mittels eines Roboters und zugehörigen Greifarms, abzupacken (Absatz [0006]). Bezüglich der US 4,451,249 A benennt das Klagepatent nicht ausdrücklich einen Nachteil.
- Ausgehend von diesem Stand der Technik stellt sich Klagepatent in seinem Absatz [0007] die Aufgabe, eine Möglichkeit zu schaffen, mittels derer die zuvor beschriebenen Nachteile reduziert oder vermieden werden.
- Zur Lösung dieser Aufgabe schlägt das Klagepatent in seinem Anspruch 1 eine Vorrichtung mit folgenden Merkmalen vor:
-
1. Vorrichtung zum paketweisen Stapeln von aus Kunststofffolie hergestellten Beuteln,
2. die Vorrichtung weist zumindest ein Zugmittel auf, vorzugsweise einen oder zwei Zahnriemen,
3. die Vorrichtung weist zumindest eine Kassettenablage auf, auf die Beutel flach aufeinander auflegbar sind und die an dem Zugmittel befestigbar ist,
4. die Kassettenablage weist zumindest ein Mittel zum Klemmen der aufgelegten Beutel auf,
5. das Mittel zum Klemmen besteht aus zwei Kassettenblechen. -
II.
Unter Zugrundelegung der nachstehenden Erwägungen zu der beanspruchten Lehre handelt es sich bei der angegriffenen Ausführungsform nicht um eine klagepatentgemäße Vorrichtung zum Stapeln von aus Kunststofffolie hergestellten Beuteln, da sie nicht alle Merkmale des geltend gemachten Anspruchs 1 verwirklicht. Es fehlt jedenfalls an der Verwirklichung des Merkmals 5. -
1.
Nach Merkmal 5 besteht das Mittel zum Klemmen aus zwei Kassettenblechen. Damit enthält der Patentanspruch ausdrückliche Vorgaben unter anderem zu Material und Form der Kassettenbleche. Durch die Bezeichnung als „Kassettenblech“ beinhaltet der Anspruch Vorgaben bezüglich des Materials und der Form dahingehend, dass es sich um ein Erzeugnis aus Metall handelt, dessen Breite und Länge deutlich größer als seine Dicke ist. - Da der Begriff des Kassettenblechs in der Klagepatentschrift nicht näher definiert ist, misst der Fachmann dem Wortbestandteil „Blech“ die oben genannte Bedeutung bei, die dem allgemeinen Sprachgebrauch und dem fachmännischen Verständnis entspricht. Die Klagepatentschrift gibt ihm keinerlei Anlass, von diesem Verständnis abzuweichen. An keiner Stelle der Klagepatentschrift findet sich ein Hinweis darauf, dass die Kassettenbleche aus einem nicht-metallischen Material bestehen oder andersartig geformt sein können. Dass – wie die Klägerin vorträgt – der Fachmann erkenne, dass das Material der Kassettenbleche lediglich eine ausreichende Festigkeit aufweisen müsse, um kantengerade Stapel von Beuteln bilden und festhalten zu können, führt nicht zu einem anderen Verständnis. Es mag zutreffen, dass die Funktion der Kassettenbleche als Mittel zum Klemmen nicht erfordert, dass diese aus einem metallischen Material bestehen oder die oben beschriebene Form aufweisen. Der Anspruch 1 des Klagepatents enthält aber neben der Funktionsangabe, dass es sich um ein Mittel zum Klemmen der aufgelegten Beutel handeln muss (Merkmal 4), in seinem Merkmal 5 konkrete räumlich-körperliche Vorgaben zur Ausgestaltung dieses Mittels zum Klemmen, das er durch die Verwendung des engeren Begriffs „Kassettenblech“ konkretisiert. Angesichts dieser Begrifflichkeiten und Anspruchssystematik ergibt sich das Verständnis des Fachmanns hier nicht zuvorderst aus der Funktion der Kassettenbleche. Denn erforderlich ist nicht nur, dass die Kassettenbleche die Funktionsangabe des Merkmals 4 erfüllen, also zum Klemmen der aufgelegten Beutel geeignet sind. Darüber hinaus müssen sie die mit der Verwendung des Begriffs „Blech“ in Merkmal 5 verbundenen räumlich-körperlichen Vorgaben erfüllen. Diese räumlich-körperlichen Vorgaben dürfen nicht durch eine rein funktionale Auslegung sinnentleert werden.
- Vor diesem Hintergrund bleibt für eine den Wortlaut des Merkmals 5 über das allgemeine Sprachverständnis hinaus erweiternde funktionale Auslegung kein Raum. Der Fachmann hat keinen Anlass, das Merkmal 5 über das allgemeine Sprachverständnis hinaus zu erweitern und unter Kassettenblechen auch solche Bauteile zu verstehen, die weder metallisch noch blechartig geformt sind. Vielmehr erkennt er, dass die beanspruchte Vorrichtung mit Kassettenblechen aus dünnem metallischem Material funktioniert. Daher wird er die Beschränkung des Anspruchswortlauts auf Kassettenbleche ernstnehmen und die damit verbundenen Auswahlentscheidungen des Patentanspruchs als gegeben hinnehmen.
-
2.
Auf Grundlage dieses Verständnisses macht die angegriffene Ausführungsform von der Lehre des Anspruchs 1 des Klagepatents keinen Gebrauch. - Die vier Kunststoffblöcke der angegriffenen Ausführungsform stellen keine Kassettenbleche im Sinne des Merkmals 5 dar. Denn sie bestehen nicht aus einem metallischen Material und weisen auch nicht die Form eines Blechs auf.
-
III.
Vor diesem Hintergrund müssen die weiteren zwischen den Parteien in Streit stehenden Punkte hier nicht geklärt werden. -
1.
Zunächst kann dahinstehen, ob die vier Kunststoffblöcke – wie die Klägerin in der mündlichen Verhandlung geltend gemacht hat – insgesamt zwei Kassettenbleche (Merkmal 5) darstellen. -
2.
Ferner kann dahinstehen, ob die vier Kunststoffblöcke – abgesehen von ihrer Anzahl, ihrem Material und ihrer Form – überhaupt zum Klemmen der aufgelegten Beutel geeignet sind und damit die Funktionsangabe des Merkmals 4 erfüllen. Ob ein Mittel zum Klemmen einen Kraftschluss erfordert oder ob ein Formschluss ausreicht, muss daher nicht geklärt werden. Ebenso wenig muss Beweis über die konkrete Ausgestaltung, nämlich die Breite des Zwischenraums zwischen den Kunststoffblöcken im Verhältnis zur Breite der Beutel, der auf der F-Messe 2022 ausgestellten angegriffenen Ausführungsform erhoben werden. -
3.
Schließlich muss auch nicht geklärt werden, ob – wie die Beklagten in der mündlichen Verhandlung geltend gemacht haben – Merkmal 3 des Anspruchs 1 des Klagepatents erfordert, dass Kassettenablage und Zugmittel zwei räumlich-körperlich getrennte Bauteile sein müssen. Aus diesem Grund müssen zu der Art der Anbringung der Kunststoffblöcke der angegriffenen Ausführungsform, die zwischen den Parteien in Streit steht, keine tatsächlichen Feststellungen getroffen werden. -
IV.
Da die angegriffene Ausführungsform von der Lehre des Klagepatents keinen Gebrauch macht, stehen der Klägerin die gegen die Beklagten geltend gemachten Ansprüche nicht zu. -
C.
Mangels Verletzung erübrigen sich Ausführungen zu der hilfsweise beantragten Aussetzung des Verfahrens. -
D.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 Abs. 1 ZPO, die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit folgt aus § 709 S. 1, 2 ZPO. - Streitwert: 250.000,00 EUR