Düsseldorfer Entscheidungen Nr. 3385
Landgericht Düsseldorf
Urteil vom 3. September 2024, Az. 4a O 104/22
- I.
Die Klage wird abgewiesen. -
II.
Die Kosten des Rechtsstreits, einschließlich der Kosten der Nebenintervention, trägt die Klägerin. -
III.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages. - Tatbestand
- Die Klägerin ist Inhaberin des Europäischen Patents mit der Nummer EP 2 774 XXA B1 (Anlage K1, im Folgenden: Klagepatent), das unter Inanspruchnahme der Prioritäten der DE 10 2013 102 XXB (im Folgenden: NK6) vom 06.03.2013 und der DE 10 2014 102 XXC (im Folgenden: NK7) vom 18.02.2014 am 05.03.2014 in deutscher Sprache angemeldet wurde. Die Anmeldung wurde am 10.09.2014, der Hinweis auf die Erteilung des Klagepatents am 25.04.2018 veröffentlicht. Am 07.07.2021 wies das Europäische Patentamt (im Folgenden: EPA) einen gegen das Klagepatent gerichteten Einspruch eines Wettbewerbers zurück (Anlage K3), wobei ein Rechtsmittel nicht eingelegt wurde. Mit Schriftsatz vom 20.03.2023 erhob die B GmbH (im Folgenden auch bezeichnet als Streithelferin (der Beklagten)) bei dem Bundespatentgericht (im Folgenden: BPatG) Nichtigkeitsklage gegen das Klagepatent (Nichtigkeitsklage vorgelegt als Anlage B1, Anlagen zur Nichtigkeitsklage vorgelegt durch die Streithelferin als Anlagenkonvolut „Anlagen_Nichtigkeitsklage_NK1-NK22_komprimiert“). Das Klagepatent steht in der Bundesrepublik Deutschland in Kraft. Es betrifft eine Dichtecke.
- Anspruch 1 des Klagepatents lautet:
- „Dichtecke (1) zur Abdichtung eines sanitären Einbauteils wie beispielsweise einer Wanne, etwa einer Badewanne, Duschwanne oder einer bodenebenen Duschwanne, insbesondere zu einer umgebenden Wand, wobei die Dichtecke (1) auf Basis einer Kautschuk- und/oder Kunststofffolie (4), gegebenenfalls mit einer Vlieslage (2, 3), ausgebildet ist und insgesamt flexibel ist, wobei weiter die Dichtecke (1) einen in einem Einbauzustand als Wandabschnitt (8) nutzbaren Abschnitt aufweist und einen sich jedenfalls im gegebenen Einbauzustand rechtwinklig dazu erstreckenden eckeninnenseitigen Absatzabschnitt (10) aufweist, wobei weiter der Wandabschnitt (8) und der Absatzabschnitt (10) materialeinheitlich ineinander übergehen und darüber hinaus der einstückig mit dem Wandabschnitt (8) ausgebildete Absatzabschnitt (10) weiter einstückig in einen jedenfalls im Einbauzustand ebenfalls abgewinkelt zu dem Absatzabschnitt (10) verlaufenden und sich bezüglich des Absatzabschnittes (10) gegensinnig zu dem Wandabschnitt (8) erstreckenden Verbindungsabschnitt (9) übergeht, dadurch gekennzeichnet, dass zur Ausbildung des Absatzabschnittes (10) an dem vorgesehenen Übergang des Wandabschnittes (8) in den Absatzabschnitt (10) in der Kautschuk- und/oder Kunststofffolie und/oder der Vlieslage eine bleibende sichtbare Materialeinwirkung vorliegt, dass der Absatzabschnitt (10) sich zu einer Eckenmitte hin verbreitert und dass der Absatzabschnitt (10) im Bereich der Eckenmitte in der Draufsicht kreisbogenförmig verläuft.“
- Wegen des Wortlauts der lediglich im Rahmen von „insbesondere“-Anträgen geltend gemachten Unteransprüche 2, 10 und 11 wird auf die Klagepatentschrift (Anlage K1) Bezug genommen.
- Nachfolgend werden (verkleinert) die Figuren 1, 2, 3 und 5 der Klagepatentschrift eingeblendet, die eine erste Ausführungsform der Erfindung zeigen. Figur 1 ist eine perspektivische Darstellung einer ersten Ausführungsform einer Dichtecke entsprechend einem Einbauzustand, Figur 2 stellt einen Querschnitt durch den Gegenstand der Figur 1 in der Ebene II-II dar. Figur 3 ist eine Querschnittsdarstellung einer Dichtecke oder eines Dichtbandes im Einbauzustand und Figur 5 ist eine perspektivische Ausschnittsdarstellung einer Ecke einer Wannenform im eingebauten Zustand mit angebrachter Dichtecke erster Ausführungsform vor Verfliesung.
- Die Beklagte entwickelt, stellt her und vertreibt Baustoffe und bauchemische Erzeugnisse, insbesondere für den Innenausbau sowie Wand- und Bodenbeschichtungen. Außerdem bietet sie unter ihrer eigenen Marke Erzeugnisse von Drittunternehmen, wie etwa die Dichtecke „C“ (im Folgenden: angegriffene Ausführungsform), an und vertreibt diese. Die Beklagte bezieht die angegriffene Ausführungsform von der Herstellerin, der B GmbH, die dem Rechtsstreit mit Schriftsatz vom 29.03.2024 (Bl. 108 GA) als Nebenintervenientin auf Seiten der Beklagten beigetreten ist und daher im Folgenden, wie erwähnt, Streithelferin (der Beklagten) genannt wird. Die angegriffene Ausführungsform, von der die Beklagte ein Muster als nicht nummerierte Anlage zur Akte gereicht hat, ist ausgestaltet, wie aus der als Anlage K8 zur Akte gereichten „Technischen Produktinformation“ ersichtlich. Zur Veranschaulichung werden nachfolgend Lichtbilder der angegriffenen Ausführungsform eingeblendet, die der Anlage K9 entnommen sind und Markierungen der Klägerin enthalten:
- Zur Herstellung der angegriffenen Ausführungsform werden mit Vlies überzogene Materialstücke aus Polypropylen, die wie folgt ausgestaltet sind
-
,
in eine Spritzgussmaschine eingelegt, die die Ausnehmung mit einem dreidimensionalen Körper aus Synthetik-Kautschuk umspritzt, der ohne Verbindung mit dem vliesbeschichteten Materialstück aus Polypropylen wie folgt ausgestaltet wäre
.
Die vorstehenden Abbildungen der Materialstücke sind der Klageerwiderung entnommen. Die abgebildeten Gegenstände hat die Beklagte in der mündlichen Verhandlung vom 16.07.2024 zur Akte gereicht. - Die Klägerin ist der Auffassung, die angegriffene Ausführungsform mache von Anspruch 1 des Klagepatents unmittelbar wortsinngemäß Gebrauch. Insbesondere handele es sich um eine Dichtecke auf Basis einer Kautschuk- und/oder Kunststofffolie. Das Klagepatent lege mit dieser Vorgabe lediglich fest, dass die Dichtecke aus einem Folienteil aus Kautschuk und/oder Kunststoff bestehen solle. Eine bestimmte maximale oder einheitliche Materialstärke setze das Klagepatent insoweit nicht voraus. Das Klagepatent nutze aus, dass ein flächiges Material mit einer zur Ausbildung eines Absatzabschnittes dienenden Materialeinwirkung frei faltbar und biegbar sei und zudem als flächiges Material vorliege. Das Folienteil könne dabei unterschiedlich ausgestaltet sein, auch dreidimensional, wie sich etwa aus den Absätzen [0010] und [0034] der Klagepatentschrift (nachfolgend ohne nähere Bezugsangabe genannte Absätze sind solche der Klagepatentschrift) ergebe. Eine vollkommen flache oder ebene Ausgestaltung sei nicht erforderlich. Ebenso wenig komme es darauf an, durch welches Verfahren die angegriffene Ausführungsform hergestellt werde, da das Klagepatent als Vorrichtungspatent ein fertiges Produkt mit seiner räumlich-körperlichen Gestaltung schütze, unabhängig davon, wie es hergestellt worden sei. In technischer Hinsicht solle die Ausgestaltung auf Basis einer Kautschuk- und/oder Kunststofffolie dazu führen, dass die Dichtecken, die bei Montage – unstreitig – verputzt oder verkleidet werden, frei faltbar und biegbar seien, was vorteilhaft für den Einbau und die Verpackung sei (Absatz [0013] des Klagepatents). Dazu behauptet die Klägerin, dass Kautschuk- bzw. Kunststofffolie auch bei höheren Materialstärken als 0,5 mm frei faltbar und biegbar sei.
- Weiterhin gingen bei der angegriffenen Ausführungsform der Wandabschnitt und der Absatzabschnitt materialeinheitlich ineinander über. Zudem sei der Absatzabschnitt einstückig mit dem Wandabschnitt ausgebildet und gehe darüber hinaus weiter einstückig in einen Verbindungsabschnitt über. Nach der Lehre des Klagepatents müsse die Dichtecke weder in einem bestimmten Verfahren noch aus einem einzigen Material gefertigt sein. Die Folie könne aus unterschiedlichen Materialien, insbesondere Kautschuk und Kunststoff, gefertigt sein und aus unterschiedlichen Stücken bestehen. Dass bei der fertigen Dichtecke Wandabschnitt und Absatzabschnitt materialeinheitlich ineinander übergehen, bedeute nicht, dass diese Abschnitte aus dem identischen Material bestehen müssten, sondern lediglich, dass sie „entsprechend“ ineinander übergingen. Dadurch, dass das Klagepatent fordere, dass der einstückig mit dem Wandabschnitt ausgebildete Absatzabschnitt weiter einstückig in einen Verbindungsabschnitt übergehe, verdeutliche das Klagepatent, dass die Dichtecke in einem Stück und nicht in mehreren Einzelteilen, die beim Einbau zusammengefügt werden müssen, vorliege. Ein wesentlicher Teil der Lehre des Klagepatents sei, dass eine Dichtecke in einem Stück gelehrt werde, die trotz des Umstandes, dass sie auf Basis einer Folie gegeben sei, durch die Ausbildung des Absatzabschnitts und ohne das Zusammensetzen von Einzelteilen auf der Baustelle vorteilhaft als Dichtecke verwendet werden könne.
- In technischer Hinsicht dienten diese Vorgaben für die räumlich-körperliche Ausgestaltung der Dichtecke nicht der Reduktion von Herstellungsaufwand und –kosten, sondern sollten sicherstellen, dass die Dichtecke entsprechend der Aufgabe, die sich das Klagepatent in Absatz [0005] stelle, ordnungsgemäß abdichte. Beim Einbau solle die klagepatentgemäße Dichtecke keine verbleibenden Lücken in ihren einzelnen Abschnitten aufweisen, sondern solle – was sich aus Absatz [0014] der Klagepatentschrift ergebe – in einer integralen Gesamtausbildung vorliegen, was wiederum durch die Vorgaben der Materialeinheitlichkeit und der Einstückigkeit sichergestellt sei. Durch die Verwendung des Begriffs „integral“, also eine verschiedene Teile einstückig einbeziehende Gesamtausbildung, verdeutliche das Klagepatent, dass es nicht darauf ankomme, was Ausgangspunkt des Herstellungsverfahrens gewesen sei, sondern darauf, dass Wandabschnitt, Absatzabschnitt und Verbindungsabschnitt so miteinander verbunden seien, dass es ein Stück ergebe, also eine einstückige Verbindung vorliege.
- Schließlich weise die angegriffene Ausführungsform eine bleibende sichtbare Materialeinwirkung in Form einer – in dem dritten der mit Anlage K9 vorgelegten Bilder mit blauer Farbe gekennzeichneten – Knicklinie auf. Das Klagepatent fordere insoweit, wie bereits die Einspruchsabteilung zutreffend festgestellt habe, einen Effekt im Material im Sinne einer voreingeformten Struktur in der Dichtecke. Der breit gewählte Begriff der „Materialeinwirkung“ beziehe sich auf eine räumlich-körperliche Struktur der Dichtecke, nicht jedoch auf deren Herstellung, die für den vorliegenden Vorrichtungsanspruch unerheblich sei. Insoweit beinhalte der Begriff der Materialeinwirkung auch keine Vorgabe im Hinblick auf das für die Herstellung der Dichtecke verwendete Verfahren.
- Der technische Sinngehalt der Materialeinwirkung ergebe sich aus dem Wortlaut des Anspruchs selbst, nach dem die Materialeinwirkung zur Ausbildung eines Absatzabschnitts diene. Auch aus der Beschreibung der Klagepatentschrift (Absätze [0007], [0009]) folge, dass die Materialeinwirkung die Ausbildung des Absatzabschnittes erleichtern oder – in einem durch den Unteranspruch 2 geschützten bevorzugten Ausführungsbeispiel – bereits vorgeben solle. Die bleibend sichtbare Materialeinwirkung gebe eine bestimmte Gestaltung vor, die einen anwendungsrichtigen Einbau der Dichtecke begünstige, Absatz [0013]. Sie erleichtere die Ausbildung des Absatzabschnitts, der insbesondere dafür verantwortlich sei, den zwischen Wannenecke und Wand entstehenden Freiraumzwickel zu überbrücken, Absatz [0016]. Angesichts dieser technischen Funktion komme es auf die von der Beklagten und der Streithelferin betonte Unterscheidung des Herstellungsverfahrens nach Urformverfahren und Umformverfahren nicht an. Beide Verfahren ermöglichten die Ausbildung einer klagepatentgemäßen Materialeinwirkung. Die Verwendung des Urformverfahrens beeinträchtige auch nicht die abdichtende Funktion der Dichtecke, wie dies etwa bei einem Durchschneiden der Kautschuk- bzw. Kunststofffolie der Fall sei. Daraus, dass die Klagepatentschrift im Zusammenhang mit den beschriebenen Ausführungsbeispielen – wie die Beklagte und die Streithelferin anführen – nur nachgelagerte Bearbeitungsvorgänge schildere, bei denen es sich um Umformverfahren handele, ergebe sich keine Einschränkung des Schutzbereichs des weiter gefassten Anspruchs. Zudem führe die Klagepatentschrift in ihren Absätzen [0007] und [0009] eine „vorgeformte Krümmung“ ([0007]) bzw. „vorgeformte Kante“ ([0009]) an, die gerade keine nachträgliche Umformung, sondern einen urgeformten Effekt beschrieben.
- Die Klägerin ist weiter der Auffassung, das Klagepatent sei rechtsbeständig, wie es auch die Einspruchsabteilung bereits bestätigt habe. Insbesondere nehme das Klagepatent bereits die Priorität der NK6 wirksam in Anspruch. Zudem sei die Lehre des Klagepatents angesichts des maßgeblichen Standes der Technik, zu dem die NK7 als zweites Prioritätsdokument nicht gehöre, neu und erfinderisch. Die seitens der Beklagten als neuheitsschädlich angeführte EP 1 038 XXD A2 (NK14 im Nichtigkeitsverfahren) sei – wie bereits die Einspruchsabteilung (dort als D2 bezeichnet) festgestellt habe – nicht neuheitsschädlich. Auch angesichts der Bauteile D, E und F (NK15 im Nichtigkeitsverfahren) beruhe die Lehre des Klagepatents auf erfinderischer Tätigkeit.
- Schließlich ist die Klägerin der Auffassung, ein Anspruch auf Auskunft und Rechnungslegung stehe ihr im beantragten Umfang gegen die Beklagte zu. Er umfasse auch die im Antrag näher bezeichneten Verbrauchsmaterialien, deren Angebot und Vertrieb in einem ursächlichen Zusammenhang mit der geltend gemachten Patentverletzung stünden und einen hinreichenden Bezug zu der angegriffenen Ausführungsform aufwiesen. Der Zusammenhang ergebe sich etwa daraus, dass die Beklagte die angegriffene Ausführungsform als „im System geprüft“ (s. Anlagen K7 und K8) mit den im Klageantrag genannten Verbrauchsmaterialien anbiete. Die Klägerin behauptet, der Verkauf der verschiedenen Komponenten über einen einzelnen Händler sei dabei ebenso branchentypisch, wie der Einbau eines sanitären Einbauteils mit den dafür erforderlichen Materialien nur eines Herstellers.
- Die Klägerin beantragt,
- I. die Beklagte zu verurteilen,
- 1. der Klägerin darüber Auskunft zu erteilen, in welchem Umfang sie (die Beklagte) seit dem 25.04.2018
- Dichtecken
- anbietet bzw. angeboten hat, in Verkehr bringt bzw. gebracht hat oder zu den genannten Zwecken einführt bzw. eingeführt hat oder besitzt bzw. besessen hat,
-
zur Abdichtung eines sanitären Einbauteils wie beispielsweise einer Wanne, etwa einer Badewanne, Duschwanne oder einer bodenebenen Duschwanne, insbesondere zu einer umgebenden Wand, wobei die Dichtecke auf Basis einer Kunststofffolie, mit einer Vlieslage, ausgebildet ist und insgesamt flexibel ist, wobei weiter die Dichtecke einen in einem Einbauzustand als Wandabschnitt nutzbaren Abschnitt aufweist und einen sich jedenfalls im gegebenen Einbauzustand rechtwinklig dazu erstreckenden eckeninnenseitigen Absatzabschnitt aufweist, wobei weiter der Wandabschnitt und der Absatzabschnitt materialeinheitlich ineinander übergehen und darüber hinaus der einstückig mit dem Wandabschnitt ausgebildete Absatzabschnitt weiter einstückig in einen jedenfalls im Einbauzustand ebenfalls abgewinkelt zu dem Absatzabschnitt verlaufenden und sich bezüglich des Absatzabschnittes gegensinnig zu dem Wandabschnitt erstreckenden Verbindungsabschnitt übergeht, dadurch gekennzeichnet, dass zur Ausbildung des Absatzabschnittes an dem vorgesehenen Übergang des Wandabschnittes in den Absatzabschnitt in der Kunststofffolie eine bleibende sichtbare Materialeinwirkung vorliegt, dass der Absatzabschnitt sich zu einer Eckenmitte hin verbreitert und dass der Absatzabschnitt im Bereich der Eckenmitte in der Draufsicht kreisbogenförmig verläuft;
[Anspruch 1] - und zwar unter Angabe
- a) der Namen und Anschriften der Hersteller, Lieferanten und anderer Vorbesitzer,
- b) der Namen und Anschriften der gewerblichen Abnehmer, einschließlich der Verkaufsstellen, für die die Erzeugnisse bestimmt waren,
- c) der Menge der ausgelieferten, erhaltenen oder bestellten Erzeugnisse sowie der Preise, die für die betreffenden Erzeugnisse bezahlt wurden;
- wobei zum Nachweis der Angaben die entsprechenden Kaufbelege (Rechnungen, hilfsweise Lieferscheine) in Kopie vorzulegen sind, wobei geheimhaltungsbedürftige Details außerhalb der auskunftspflichtigen Daten geschwärzt werden dürfen, und
- wobei die Auskunft in einer mittels EDV auswertbaren, elektronischen Form zu übermitteln ist;
- 1. der Klägerin darüber Rechnung zu legen, in welchem Umfang sie (die Beklagte) seit dem 10.10.2014 die zu Ziffer I.1. bezeichneten Handlungen begangen hat, und zwar unter Angabe:
-
a) der einzelnen Lieferungen, aufgeschlüsselt nach Liefermengen,
-zeiten, -preisen und Typenbezeichnungen sowie den Namen und Anschriften der Abnehmer, - b) der einzelnen Angebote, aufgeschlüsselt nach Angebotsmengen, -zeiten, -preisen und Typenbezeichnungen sowie den Namen und Anschriften der gewerblichen Angebotsempfänger,
- c) der betriebenen Werbung, aufgeschlüsselt nach Werbeträgern, deren Auflagenhöhe, Verbreitungszeitraum und Verbreitungsgebiet sowie bei Internetwerbung der Internetadressen, der Schaltungszeiträume und der Zugriffszahlen, und bei direkter Werbung, wie Rundbriefen, den Namen und Anschriften der Empfänger,
- d) der nach den einzelnen Kostenfaktoren aufgeschlüsselten Gestehungskosten und des erzielten Gewinns, wobei diese Angaben erst ab dem 25.05.2018 zu machen sind;
- wobei es der Beklagten vorbehalten bleibt, die Namen und Anschriften der nichtgewerblichen Abnehmer und der Angebotsempfänger statt der Klägerin einem von dieser zu bezeichnenden und ihr gegenüber zur Verschwiegenheit verpflichteten, in der Bundesrepublik Deutschland ansässigen, vereidigten Wirtschaftsprüfer mitzuteilen, sofern die Beklagte dessen Kosten trägt und ihn zugleich ermächtigt und verpflichtet, der Klägerin auf konkrete Anfrage mitzuteilen, ob ein bestimmter Abnehmer oder Angebotsempfänger in der Aufstellung enthalten ist, und
- wobei die Rechnungslegung in einer mittels EDV auswertbaren, elektronischen Form zu übermitteln ist;
- 2. der Klägerin darüber Rechnung zu legen, in welchem Umfang sie (die Beklagte) seit dem 25.05.2018
- zusammen mit den unter Ziffer I.1. bezeichneten Dichtecken Verbrauchsmaterialien – nämlich das „G“; das „H“; der „I“; die „J“; die „K“; die „L“; die „M“; die „N“; die „O“ – anbietet bzw. angeboten hat, in Verkehr bringt bzw. gebracht hat oder zu den genannten Zwecken einführt bzw. eingeführt hat oder besitzt bzw. besessen hat, und zwar unter jeweiliger Angabe:
-
a) der einzelnen Lieferungen, aufgeschlüsselt nach Liefermengen,
-zeiten, und -preisen, einschließlich der Rechnungsnummern, und den jeweiligen Typenbezeichnungen sowie den Namen und Anschriften der Abnehmer, -
b) der einzelnen Angebote, aufgeschlüsselt nach Angebotsmengen,
-zeiten, -preisen und den jeweiligen Typenbezeichnungen sowie den Namen und Anschriften der gewerblichen Angebotsempfänger, - c) der betriebenen Werbung, aufgeschlüsselt nach Werbeträgern, deren Auflagenhöhe, Verbreitungszeitraum und Verbreitungsgebiet sowie bei Internetwerbung der Internetadressen, der Schaltungszeiträume und der Zugriffszahlen, und bei direkter Werbung, wie Rundbriefen, den Namen und Anschriften der Empfänger,
- d) der nach den einzelnen Kostenfaktoren aufgeschlüsselten Gestehungskosten und des erzielten Gewinns
- wobei es der Beklagten vorbehalten bleibt, die Namen und Anschriften der nichtgewerblichen Abnehmer und der Angebotsempfänger statt der Klägerin einem von dieser zu bezeichnenden und ihr gegenüber zur Verschwiegenheit verpflichteten, in der Bundesrepublik Deutschland ansässigen, vereidigten Wirtschaftsprüfer mitzuteilen, sofern die Beklagte dessen Kosten trägt und ihn zugleich ermächtigt und verpflichtet, der Klägerin auf konkrete Anfrage mitzuteilen, ob ein bestimmter Abnehmer oder Angebotsempfänger in der Aufstellung enthalten ist, und
- wobei die Rechnungslegung in einer mittels EDV auswertbaren, elektronischen Form zu übermitteln ist;
- II. festzustellen,
- 1. dass die Beklagte verpflichtet ist, der Klägerin für die zu I.1. bezeichneten, in der Zeit vom 10.10.2014 bis zum 24.05.2018 begangenen Handlungen eine angemessene Entschädigung zu zahlen;
- 2. dass die Beklagte verpflichtet ist, der Klägerin allen Schaden zu erstatten, der ihr durch die zu Ziffer I.1. bezeichneten, seit dem 25.05.2018 begangenen Handlungen entstanden ist und noch entstehen wird.
- Wegen des Inhalts der auf die Unteransprüche 2, 10 und 11 bezogenen „insbesondere-Anträge“ wird Bezug auf die Klageschrift genommen.
- Die Beklagte beantragt,
- die Klage abzuweisen,
- und regt an, hilfsweise den Rechtsstreit bis zur erstinstanzlichen Entscheidung über die gegen das Klagepatent gerichtete Nichtigkeitsklage auszusetzen.
- Die Streithelferin schließt sich dem Klageabweisungsantrag der Beklagten sowie der Anregung zur hilfsweisen Aussetzung des Rechtsstreits an.
- Die Beklagte ist der Auffassung, die angegriffene Ausführungsform verwirkliche die Lehre des Klagepatents nicht. Auch wenn sich der Anspruch 1 auf eine Vorrichtung beziehe, sei der Schutzbereich des Klagepatents gleichwohl auf Dichtecken beschränkt, die im Wege eines Umformverfahrens unter Verwendung eines bestimmten Vorproduktes, nämlich der im Anspruch beschriebenen Folie, ausgebildet worden seien. Dies habe in verschiedenen Vorgaben des Klagepatentanspruchs zur räumlich-körperlichen Ausgestaltung der Dichtecke, die Folge des Herstellungsverfahrens seien, Niederschlag gefunden. Im Ergebnis stellten die Begrifflichkeiten des Anspruchs Anforderungen an die Herstellung der klagepatentgemäßen Dichtecke.
- Bei der angegriffenen Ausführungsform handele es sich bereits wegen des Vorhandenseins eines Spritzgussteils nicht um eine Dichtecke auf Basis einer Folie. Dazu behauptet die Beklagte unter Bezugnahme auf einen Lexikonauszug, der Fachmann verstehe unter Folie eine als Bahnenware hergestellte ununterbrochen zusammenhängende und aufrollbare Materialschicht mit einer einheitlichen Stärke bis 0,5 Millimeter. Das Klagepatent enthalte keine Hinweise auf ein abweichendes Verständnis. Die Lehre des Klagepatents beziehe sich auf im Umformverfahren hergestellte Dichtecken, nämlich auf Dichtecken, die durch umformende Bearbeitung einer als Ausgangsmaterial vorliegenden Kautschuk- und/oder Kunststofffolie hergestellt worden seien. Vorteilhaft an dieser Ausgestaltung sei der damit verbundene geringe technische Aufwand. Ein flächiges Gebilde mit einer im Verlauf unterschiedlichen Materialstärke, besonders mit Erhebungen über 0,5 Millimeter, sowie ein aus mehreren aneinandergesetzten unterschiedlichen Stoffen hergestelltes flächiges Gebilde stellten keine Folie dar.
- Bei der angegriffenen Ausführungsform gingen zudem der Wandabschnitt und der Absatzabschnitt nicht materialeinheitlich ineinander über. Der Fachmann verstehe diese Vorgabe des Klagepatents dahingehend, dass eine aus einem einheitlichen Material bestehende Folie den Wandabschnitt und den Absatzabschnitt ausbilde. Die Klagepatentschrift verwende den Begriff der Materialeinheitlichkeit, dessen Verständnis sich schon aus dem allgemeinen Sprachgebrauch ergebe, nur in Verbindung mit den Begriffen entweder der Einstückigkeit, der Einheitlichkeit oder der Integrität, so etwa in Absätzen [0009] und [0014]. Soweit der Anspruch von einem „Inanderübergehen“ spreche, beziehe sich das nicht auf einen Materialwechsel, sondern auf die räumlich-körperliche Anbindung des Wandabschnitts an den Absatzabschnitt. Die Verwendung unterschiedlicher Materialien sei gerade durch die Vorgabe der Materialeinheitlichkeit ausgeschlossen. Auch die Formulierung „Kautschuk- und/oder Kunststofffolie“ bedeute nicht, dass die Dichtecke auf Basis zweier Folien, etwa einer Kautschukfolie und einer Kunststofffolie gebildet sein dürfe; dieser Wortlaut decke vielmehr den weiten Überschneidungsbereich zwischen den beiden Stoffgruppen ab, in dem eine Folie aus einem Werkstoff sowohl als Kautschuk- als auch als Kunststofffolie bezeichnet werden könne. Dies stehe im Einklang mit der Funktion der von dem Klagepatentanspruch geforderten ununterbrochenen, nämlich integral einstückigen Ausbildung der Dichtecke, die darin liege, die Gefahr der Undichtigkeit der Dichtecke zu vermindern bzw. auszuschließen.
- Auch gehe bei der angegriffenen Ausführungsform kein einstückig mit dem Wandabschnitt ausgebildeter Absatzabschnitt darüber hinaus weiter einstückig in einen Verbindungsabschnitt über. Ausgehend von dem allgemeinen Sprachverständnis verstehe der Fachmann unter Einstückigkeit, dass zwei Körper aus demselben Materialstück gebildet seien. Dies werde dadurch bestätigt, dass die Klagepatentschrift häufig die Begriffe „einstückig“ und „integral“, was als „unversehrt, ungeteilt“ zu verstehen sei, miteinander kombiniere. Die Klagepatentschrift enthalte keine Abgrenzung der Vorgabe „einstückig“ zu den weiteren verwendeten Begriffen „materialeinheitlich“ und „integral“. Vielmehr werde der Begriff „einstückig“ in den Absätzen [0008], [0010], [0014] und [0043] mit den Begriffen „materialeinheitlich“, „integral“, „eingeformte Kantenausbildung“ und dem Begriff der „Kunststofffolie“ kombiniert, ohne für den Fachmann erkennbare Rangfolge oder Unterscheidung. Dem Anspruchswortlaut, nach dem die Einstückigkeit „darüber hinaus“ gegeben sei, entnehme der Fachmann, dass die Einstückigkeit zusätzlich zur Materialeinheitlichkeit vorliegen müsse. Funktion der Vorgabe der Einstückigkeit sei wiederum, die Gefahr von fertigungsmäßig verursachten Undichtigkeiten zu vermeiden; es solle sich um eine in Bezug auf die Wasserundurchlässigkeit unversehrte Folie handeln.
- Schließlich sei bei der angegriffenen Ausführungsform auch keine bleibende sichtbare Materialeinwirkung vorhanden. Der Fachmann verstehe die Vorgabe der Materialeinwirkung dahingehend, dass sie nachgelagerte Bearbeitungsvorgänge beschreibe, in denen die im Anspruch genannte Folie als Ausgangsmaterial umformend bearbeitet werde. Schon im Einklang mit dem allgemeinen Sprachgebrauch setze eine Materialeinwirkung zunächst voraus, dass es ein (Ausgangs-)Material gebe, auf das eingewirkt werden könne. In Anspruch 1 sowie den Absätzen [0006], [0066] und [0071] gebe die Klagepatentschrift zudem an, auf welche Weise die Materialeinwirkung vorzunehmen bzw. nicht vorzunehmen sei. Danach dürfe die Materialeinwirkung nicht zu einem Durchschneiden der Folie führen. Die Klagepatentschrift erläutere anhand von Beispielen zahlreiche weitere optionale Beschränkungen zum Herstellungsprozess, worin sich zeige, was klagepatentgemäß unter einer Materialeinwirkung zu verstehen sei. Diese Einschränkungen ergäben aus Sicht eines Fachmanns nur dann einen Sinn, wenn die Materialeinwirkung als Umformung einer vorgegebenen Folie verstanden werde. Durch die Materialeinwirkung werde eine Veränderung der Textur des Ausgansstoffes in der Weise verursacht, dass die dem Material innewohnenden Rückstellkräfte aufgehoben würden. Anders verhalte es sich bei einer Herstellung im Spritzgussverfahren, die schon keinen Effekt im Material erzeuge, erst recht keinen lokal begrenzten Effekt an dem vorgesehenen Übergang des Wandabschnitts in den Absatzabschnitt.
- Auch das Gesamtbild der Lehre des Klagepatents stütze ihr Verständnis. Der Umstand, dass die Dichtecke „auf Basis“ einer Folie ausgebildet werde, die dem geschützten Erzeugnis unterbrechungsfrei als materialeinheitliches und einstückiges Vorprodukt zugrunde liege, verleihe der Forderung nach einer bleibenden sichtbaren Materialeinwirkung überhaupt erst einen Sinn. Nach Auffassung der Beklagten zeige auch die Entscheidung des EPA im Einspruchsverfahren ein entsprechendes Verständnis der bleibenden sichtbaren Materialeinwirkung.
- Die Beklagte ist weiter der Ansicht, keinesfalls bestünden Rechnungslegungsansprüche bezüglich der im Antrag bezeichneten Zusatzgeschäfte. Ein kausaler Zusammenhang zwischen dem Angebot der angegriffenen Ausführungsform und dem Absatz weiterer Verbrauchsmaterialien bestehe nicht. Sie führt aus, die im Auskunfts- und Rechnungslegungsantrag bezeichneten „Zusatzmaterialien“ kämen schon bei ihrer Verwendung auf einer Baustelle allesamt unabhängig davon zum Einsatz, ob und in welchem Umfang der jeweilige Bauherr die angegriffene Ausführungsform, also eine konkrete Dichtecke, einsetze.
- Die Beklagte behauptet, Abnehmer der angegriffenen Ausführungsform seien ausschließlich der Groß- und Einzelhandel. Diese richteten ihre Bestellungen nach den eigenen Lagerbeständen aus, und zwar ohne Rücksicht auf den Bestand damit für den konkreten Einsatzzweck auf der Baustelle etwa zusammengehöriger weiterer Baustoffe. Aufgrund dieser Vertriebsstruktur lägen ihr schon keine Informationen darüber vor, in welchem Umfang der Absatz weiterer Verbrauchsmaterialien mit dem Vertrieb der angegriffenen Ausführungsform zusammenhängen könnte. Sie biete weitere Verbrauchsmaterialien nicht im Verbund mit der angegriffenen Ausführungsform an.
- Die Beklagte ist weiter der Auffassung, das Klagepatent sei nicht rechtsbeständig. Es sei neuheitsschädlich durch die EP 1 038 XXD A2 (NK14 im Nichtigkeitsverfahren), die als Entgegenhaltung D2 bereits Gegenstand des gegen das Klagepatent geführten Einspruchsverfahrens war, vorweggenommen. Jedenfalls sei die Lehre des Klagepatents angesichts einer Kombination der EP 1 038 XXD A2 (NK14 im Nichtigkeitsverfahren) sowie offenkundiger Vorbenutzungen durch die vor dem Prioritätszeitpunkt in den Markt eingeführten Produkte D, E und F (Anlage B3 (Anlage NK15 im Nichtigkeitsverfahren) und B4) nicht erfinderisch.
- Die Streithelferin schließt sich im Wesentlichen der Argumentation der Beklagten an. Auch sie ist der Auffassung, die angegriffene Ausführungsform verwirkliche die Lehre des Klagepatents nicht und sieht im Anspruch Hinweise auf die Herstellung der klagepatentgemäßen Dichtecke im Umformverfahren.
- Ferner schließt sich die Streithelferin der Ansicht der Beklagten an, nach der das Klagepatent nicht rechtsbeständig sei. Insoweit vertieft die Streithelferin den Vortrag, indem sie anführt, das Klagepatent habe die Priorität der NK6 (DE 10 2013 102 XXB) nicht wirksam in Anspruch genommen, da die NK6 weder die Vorgabe des materialeinheitlichen Übergangs von Wandabschnitt und Absatzabschnitt noch eine bleibende sichtbare Materialeinwirkung offenbare. Da die NK7 (DE 10 2014 102 XXC) selbst die Priorität der NK6 in Anspruch nehme, handele es sich insoweit nicht um die erste Anmeldung im Sinne des Art. 87 Abs. 1 EPÜ und damit um Stand der Technik. Da das Klagepatent die Priorität der NK6 aber nicht wirksam in Anspruch nehme, sei die NK7 neuheitsschädlich. Auch die Entgegenhaltungen NK12 (DE 10 2012 101 XXE A1) und NK13 (EP 2 604 160 A1) stünden der Lehre des Klagepatents neuheitsschädlich entgegen, ebenso wie eine eigene offenkundige Vorbenutzung der Klägerin in einem YouTube-Video vom 08.10.2013 (NK9, NK10). Auch die als NK11 in das Nichtigkeitsverfahren eingeführte vorgelegte Mitteilung auf www.P.de sei neuheitsschädlich. Schließlich sei die Lehre des Klagepatents nicht erfinderisch gegenüber einer Kombination der Entgegenhaltungen NK14 (EP 1 038 XXD A2) und NK15 (Sopro Dichtecke AEB 642).
- Im Übrigen schließt sich die Streithelferin der Argumentation der Beklagten an, nach der kein Anspruch auf Rechnungslegung bezüglich Verbrauchsmaterialien bestehe. In diesem Zusammenhang ist die Streithelferin der Auffassung, selbst wenn der Verkauf aller Materialien über einen einzelnen Händler als branchentypisch unterstellt werde, begründe dies den erforderlichen Kausalzusammenhang nicht.
- Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die zwischen den Parteien gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen sowie auf das Protokoll der mündlichen Verhandlung ergänzend Bezug genommen.
- Entscheidungsgründe
- Die Klage hat keinen Erfolg. Sie ist unbegründet.
-
A.
Die angegriffene Ausführungsform macht von der Lehre des Klagepatents keinen Gebrauch. -
I.
Das Klagepatent betrifft eine Dichtecke. - Aus dem Stand der Technik führt die Klagepatentschrift in ihrem Absatz [0002] zunächst die DE 100 31 214 B4 an, aus der ein selbstklebendes Band zum Abdichten bekannt sei, das auf sich selbst gefaltet werden könne. Eine Dichtecke, die allerdings keine Vlies- oder Gewirkelage vorsieht, ist – so die Klagepatentschrift – beispielsweise aus der DE 295 21 688 U1 bekannt. Aus der DE 299 05 152 U1 sei die Abdichtung der Duschwanne zum umgebenden Boden bekannt. Üblicherweise werde eine Dichtecke hinsichtlich Längs- und Schmalrändern einer Badewanne oder eines sonstigen sanitären Gegenstands dann mit einem Dichtband in der erforderlichen Länge kombiniert. In Absatz [0003] führt die Klagepatentschrift die WO 2010/129043 A2 an, aus der eine Dichtecke bekannt sei, die aus Polyurethan, Aluminium oder Stahl bestehen könne. Der Absatzabschnitt dieser Dichtecke sei auch in der Eckenmitte parallel zum Wandabschnitt gebildet. Die CH 704155 B1 habe einen entsprechenden Offenbarungsgehalt. Darüber hinaus verweist das Klagepatent auf die EP 0 281 403 A2.
- Ohne weitere Einzelheiten des Standes der Technik zu benennen, kritisiert das Klagepatent die bekannten Dichtecken in Absatz [0004] dahingehend, dass sie insbesondere im Hinblick auf die Abdichtung einer Wannenform zu einer aufsteigenden Wand oder gegebenenfalls auch einem umgebenden Boden noch nicht zufriedenstellend seien.
- Vor diesem Hintergrund stellt sich das Klagepatent in Absatz [0005] die Aufgabe, eine Dichtecke anzugeben, die insbesondere auch zur Abdichtung einer Wannenform im Hinblick auf eine aufsteigende Wand günstig ist.
- Zur Lösung dieser Aufgabe schlägt das Klagepatent in seinem Anspruch 1 eine Dichtecke mit folgenden Merkmalen vor:
-
1. Dichtecke (1) zur Abdichtung eines sanitären Einbauteils wie beispielsweise einer Wanne, etwa einer Badewanne, Duschwanne oder einer bodenebenen Duschwanne, insbesondere zu einer umgebenden Wand, wobei
1.1 die Dichtecke (1) auf Basis einer Kautschuk- und/oder Kunststofffolie (4),
1.2 gegebenenfalls mit einer Vlieslage (2, 3), ausgebildet ist und
1.3 insgesamt flexibel ist.
2. Die Dichtecke (1) weist weiter auf
1.1 einen in einem Einbauzustand als Wandabschnitt (8) nutzbaren Abschnitt und
2.2 einen sich jedenfalls im gegebenen Einbauzustand rechtwinklig dazu erstreckenden eckeninnenseitigen Absatzabschnitt (10).
3. Der Wandabschnitt (8) und der Absatzabschnitt (10) gehen materialeinheitlich ineinander über.
4. Der einstückig mit dem Wandabschnitt (8) ausgebildete Absatzabschnitt geht darüber hinaus weiter einstückig in einen Verbindungsabschnitt (9) über.
5. Der Verbindungsabschnitt (9)
5.1 ist jedenfalls im Einbauzustand ebenfalls abgewinkelt zu dem Absatzabschnitt (10) verlaufend und
5.2 erstreckt sich bezüglich des Absatzabschnittes (10) gegensinnig zu dem Wandabschnitt (8).
6. Zur Ausbildung des Absatzabschnittes (10) liegt an dem vorgesehenen Übergang des Wandabschnittes (8) in den Absatzabschnitt (10) in der Kautschuk-und/oder Kunststofffolie und/oder der Vlieslage eine bleibende sichtbare Materialeinwirkung vor.
7. Der Absatzabschnitt
1.1 verbreitert sich zu einer Eckenmitte hin und
1.2 verläuft im Bereich der Eckenmitte in der Draufsicht kreisbogenförmig. -
II.
Unter Zugrundelegung der nachstehenden Erwägungen zum Verständnis der beanspruchten Lehre stellt die angegriffene Ausführungsform keine klagepatentgemäße Dichtecke dar, da sie nicht alle Merkmale des Anspruchs 1 des Klagepatents verwirklicht. Es fehlt jedenfalls an einer Verwirklichung des Merkmals 4. Auch eine Verwirklichung des Merkmals 3 ist nicht sicher feststellbar. -
1.
Vorliegend sind zunächst Ausführungen zu den Merkmalen 4 und 3 des Klagepatents veranlasst. -
a.
Nach Merkmal 4 geht der einstückig mit dem Wandabschnitt ausgebildete Absatzabschnitt darüber hinaus weiter einstückig in den Verbindungsabschnitt über. - Der Fachmann erkennt, dass dieses Merkmal eine Einstückigkeit an zwei Stellen der klagepatentgemäßen Dichtecke fordert, nämlich zwischen Wandabschnitt und Absatzabschnitt sowie zwischen Absatzabschnitt und Verbindungsabschnitt. Unter Einstückigkeit im Sinne des Merkmals 4 versteht der Fachmann, dass es sich um ein Bauteil aus einem Stück handelt, mithin nicht um ein – in der räumlich-körperlichen Ausgestaltung des Endproduktes erkennbar – aus mehreren Stücken zusammengesetztes Bauteil. Dies folgt zum einen bereits aus dem Begriffswortlaut, der dahingehend zu verstehen ist, dass die verschiedenen, im Merkmal 4 näher bezeichneten Abschnitte als ein Stück vorliegen. Darüber hinaus erkennt der Fachmann, dass die Funktion der einstückigen Ausgestaltung in der Gewährleistung der Dichtigkeit der klagepatentgemäßen Dichtecke liegt. So heißt es in Absatz [0014] zu bevorzugten Ausführungsbeispielen, dass Verbindungsabschnitt und Absatzabschnitt integral einstückig, materialeinheitlich ineinander übergingen und auch durch die Einformung der Gestaltung, welche die integrale Gesamtausbildung der Dichtecke nicht beeinträchtige, keine Gefahr einer fertigungsmäßig etwa verursachten Undichtigkeit gegeben sei. Dadurch verknüpft das Klagepatent die Einstückigkeit mit der integralen Gesamtausbildung und der Dichtigkeit der Dichtecke. Durch die Einstückigkeit und die sich – in Zusammenschau mit der nach Merkmal 3 geforderten Materialeinheitlichkeit – daraus ergebende integrale Gesamtausbildung begegnet die Lehre des Klagepatents der Gefahr fertigungsmäßig bedingter Undichtigkeiten. Die klagepatentgemäße Dichtecke soll also gerade keine verschiedenen Stücke bzw. Übergänge zwischen solchen Stücken aufweisen, die die Gefahr einer Undichtigkeit erhöhen.
- Demgegenüber ist der Lehre des Klagepatents kein Hinweis darauf zu entnehmen, dass mit Einstückigkeit lediglich gemeint wäre, dass die Dichtecke in der Einbausituation als ein einheitliches Bauteil vorliegen soll. Das philologische Argument der Klägerin, die Verwendung des in der Beschreibung des Klagepatents genutzten Begriffes „integral“ nehme Bezug auf eine verschiedene Teile einstückig einbeziehende Gesamtausbildung, findet keine Stütze in der Klagepatentschrift. Zunächst ist für den Fachmann ohne weiteres ersichtlich, dass Nahtstellen beziehungsweise Übergänge zwischen verschiedenen Teilen einer Gesamtausbildung die Gefahr von Undichtigkeiten erhöhen, was das Klagepatent gerade vermeiden möchte. Auch ist nicht erkennbar, dass die Klagepatentschrift die aus dem Stand der Technik vorbekannten Vorrichtungen hinsichtlich einer etwaigen Mehrteiligkeit kritisiert. Vielmehr kritisiert das Klagepatent die aus dem Stand der Technik bekannten Vorrichtungen lediglich dahingehend, dass sie im Hinblick auf die „Abdichtung einer Wannenform […] noch nicht zufriedenstellend“ seien (Absatz [0004]).
- Allerdings enthält Merkmal 4, in Abweichung zur Auffassung der Beklagten und der Streithelferin, keine Vorgabe bezüglich des Herstellungsverfahrens klagepatentgemäßer Dichtecken. Vielmehr befasst sich das Merkmal mit der räumlich-körperlichen Ausgestaltung der fertigen Dichtecke, indem es die Einstückigkeit bestimmter Abschnitte der Dichtecke fordert. Eine Bezugnahme auf ein konkretes Herstellungsverfahren liegt darin – im Gegensatz zu der seitens der Beklagten angeführten Entscheidung des Bundesgerichtshofs (BGH, X ZR159/98, Urteil vom 19.06.2001, GRUR 2001, 1129 – zipfelfreies Stahlband) – nicht. In der vorgenannten Entscheidung des Bundesgerichtshofes ist das Herstellungsverfahren zur Beschreibung der geschützten Vorrichtung in den auf die Vorrichtung gerichteten Anspruch aufgenommen, nämlich im dortigen Merkmal C, das lautete „hergestellt nach dem Verfahren gemäß Anspruch 1“ (BGH, X ZR159/98, Urteil vom 19.06.2001, GRUR 2001, 1129, Rn. 33 – zipfelfreies Stahlband). Ebenso verhält es sich in dem der jüngeren Entscheidung des Bundesgerichtshofes (BGH, X ZR 28/22, Urteil vom 16.04.2024, GRUR 2024, 1005 – Pulsationsdämpfer) zugrundeliegenden Sachverhalt. Das dortige Merkmal 3a forderte, dass „deren Innenwandung (15) zumindest teilweise spanlos gefertigt ist“ (s. Rn. 11 der Entscheidung), wodurch die geschützte Vorrichtung über das Herstellungsverfahren (spanlos gefertigt) beschrieben wird. Eine vergleichbare Konstellation liegt im vorliegenden Verfahren indes nicht vor. Ein bestimmtes Herstellungsverfahren, etwa ein Umformverfahren, ist nicht zur Beschreibung der geschützten Vorrichtung in den Anspruch aufgenommen. Vielmehr enthält Merkmal 4 räumlich-körperliche Vorgaben. Die Einstückigkeit mag aus dem jeweiligen Herstellungsverfahren resultieren; eine Beschränkung auf Dichtecken, die im Wege eines Umformverfahrens hergestellt worden sind, ergibt sich daraus jedoch nicht zwingend. Maßgeblich ist hier nicht das zur Herstellung der Dichtecke verwendete Verfahren, sondern deren räumlich-körperliche Ausgestaltung (Einstückigkeit bestimmter Abschnitte).
-
b.
Merkmal 3 fordert, dass der Wandabschnitt und der Absatzabschnitt materialeinheitlich ineinander übergehen. Dies bedeutet, dass insoweit, also im Übergangsbereich zwischen Wandabschnitt und Absatzabschnitt, keine Materialwechsel vorliegen, dieser Bereich also aus den gleichen, einheitlich angeordneten Materialien besteht. - Dieses Verständnis wird zunächst durch den allgemeinen Sprachgebrauch nahegelegt, nach dem das Material einheitlich ist. Damit ist nicht notwendigerweise ausgeschlossen, dass Wandabschnitt und Absatzabschnitt (jeweils) aus mehreren Materialien gebildet sein können, solange sie jedenfalls im Übergangsbereich einheitlich aus den mehreren Materialien (etwa mehreren einheitlich angeordneten Materiallagen) bestehen. Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus der Klagepatentschrift, die den Begriff „materialeinheitlich“ außerhalb des Anspruchs lediglich an zwei Stellen nennt, nämlich in den Absätzen [0009] und [0014], wobei sich die Angabe in Absatz [0014] auf den Übergang von Absatzabschnitt und Verbindungsabschnitt bezieht, der jedoch nicht Gegenstand der von Merkmal 3 geforderten Materialeinheitlichkeit ist. Auch in Absatz [0009] bezieht sich die Angabe „materialeinheitlich“ nicht ausschließlich auf den Übergang von Wandabschnitt und Absatzabschnitt. Dort heißt es, dass das Folienteil letztlich im Einbauzustand in integraler, materialeinheitlicher Weise die Dichtecke ausbilde. An beiden Fundstellen verwendet die Klagepatentschrift zudem im Zusammenhang mit dem Begriff „materialeinheitlich“ den Begriff „integral“. Dem entnimmt der Fachmann zunächst, dass die Materialeinheitlichkeit (auch) damit in Zusammenhang steht, dass die Dichtecke als einheitliches Bauteil vorliegt. Darüber hinaus entnimmt der Fachmann der Verknüpfung des Begriffs „materialeinheitlich“ mit dem Übergang von Wandabschnitt und Absatzabschnitt in Merkmal 3 bereits dem Wortlaut nach, dass jedenfalls Wandabschnitt und Absatzabschnitt jedenfalls im Übergangsbereich aus dem gleichen (im Sinne von identischen), einheitlich angeordneten Material bestehen. Auch wenn die Klagepatentschrift die Materialeinheitlichkeit nicht ausdrücklich mit der Vermeidung fertigungsmäßiger Undichtigkeiten verknüpft, so sieht der Fachmann, dass die Gestaltung der Dichtecke insgesamt zu einer zuverlässigen Abdichtung führen soll. Sie soll zum einen an die spezielle (Wannen-Eck-) Einbausituation nach dem Klagepatent angepasst sein und zum anderen – wie in Absatz [0014] explizit im Zusammenhang mit der integralen Gesamtausbildung benannt, zu der wiederum Materialeinheitlichkeit und Einstückigkeit beitragen – der Gefahr fertigungsmäßig verursachter Undichtigkeiten begegnen. Aus dem Umstand, dass die Materialeinheitlichkeit in der Klagepatentschrift jeweils im Zusammenhang mit dem Begriff „integral“ genannt wird, schließt der Fachmann, dass sie jedenfalls zur angestrebten integralen Gesamtausbildung beiträgt. Dem entnimmt er, dass – jedenfalls der im Anspruch genannte Übergangsbereich – aus den gleichen, einheitlich angeordneten Materialien besteht.
- Diesem Verständnis steht nicht entgegen, dass der Anspruch in Merkmal 1.1 von einer Kautschuk- und/oder Kunststofffolie spricht. Das Argument der Klägerin, der Fachmann entnehme dieser Formulierung, dass die Folie aus unterschiedlichen Materialien, nämlich Kautschuk und Kunststoff, gefertigt sein könne, steht nicht im Gegensatz zu dem vorstehend dargelegten Verständnis. Denn nach dem Klagepatent ist es – wie ausgeführt – durchaus möglich, dass die Folie mehrere Lagen aufweisen kann, also etwa mit Vlieslagen versehen oder dergestalt ausgebildet ist, dass mehrere Lagen, z.B. eine Kautschuk- und eine Kunststofflage, aufeinanderliegen. Erforderlich ist gleichwohl, dass der Übergangsbereich zwischen Wandabschnitt und Absatzabschnitt aus einheitlichem Material (bzw. einheitlichen Materialien) besteht.
-
2.
Auf Grundlage dieses Verständnisses macht die angegriffene Ausführungsform von der Lehre des Anspruchs 1 des Klagepatents keinen Gebrauch. -
a.
Es fehlt jedenfalls an einer Verwirklichung des Merkmals 4. Bei der angegriffenen Ausführungsform ist jedenfalls der Absatzabschnitt nicht einstückig mit dem Verbindungsabschnitt ausgebildet. Denn die angegriffene Ausführungsform weist dort einen in der Dichtecke sicht- und tastbaren Übergang zwischen zwei Bauteilen, nämlich einem Folienteil und einem (im Wege des Spritzgussverfahrens in das Folienteil eingeformten) Kautschukteil, auf, der aus der Verwirklichung des Merkmals 4 herausführt. Bereits in der Eckenmitte liegt bei der angegriffenen Ausführungsform keine Einstückigkeit vor, denn der (sich gemäß Merkmal 2.2 rechtwinklig zum Wandabschnitt erstreckende) Absatzabschnitt liegt dort in dem aus Kautschuk hergestellten Spritzgussteil, während der Verbindungsabschnitt jedenfalls im Übergangsbereich zum Absatzabschnitt aus dem eingespritzten Kautschukteil und dem Folienteil zusammengefügt ist. Dies ist jedenfalls auf der Innenseite der Dichtecke, an der auch im oberen (an den Absatzabschnitt angrenzenden) Bereich des Verbindungsabschnitts die vliesbedeckte Folie zu sehen ist, klar erkennbar. Daher liegt dort eine Art Nahtstelle, an der – im Endprodukt erkennbar – mehrere Stücke zusammengefügt sind. Dies steht – wie im Rahmen der Auslegung ausgeführt – einer Einstückigkeit im Sinne des Klagepatents, das durch diese Vorgabe die Gefahr fertigungsbedingter Undichtigkeiten vermeiden möchte, entgegen. - Hinzu kommt, dass mit seitlichem Versatz von der Eckenmitte nach außen weder Wandabschnitt und Absatzabschnitt noch Absatzabschnitt und Verbindungsabschnitt jeweils einstückig ausgebildet sind. Maßgeblich ist insoweit, wie sich aus den Merkmalsgruppen 2 und 5 ergibt, der Einbauzustand, in dem – in Abhängigkeit von der konkreten Einbausituation – der sich rechtwinklig zum Wandabschnitt (Merkmal 2.2) und abgewinkelt zum Verbindungsabschnitt (Merkmal 5.1) erstreckende Absatzabschnitt ausgebildet wird. Erst nach dem Einbau ist exakt zu bestimmen, wo der jeweilige Abschnitt endet und ein neuer Abschnitt beginnt. Dass der konkrete Einbau der angegriffenen Ausführungsform so erfolgen würde, dass der Absatzabschnitt, der nach Absatz [0027] durchaus auslaufend vorgesehen sein kann, endet bevor – in horizontaler Ausdehnung – das Kautschukteil der angegriffenen Ausführungsform endet, ist weder vorgetragen noch ersichtlich. Am (horizontalen) Ende des Kautschukteils ist aber wiederum ein Übergang deutlich fühl- und sichtbar, der der von Merkmal 4 geforderten Einstückigkeit entgegensteht. Dieser Übergang mag sich – in Abhängigkeit von der konkreten Einbausituation – durch alle drei Abschnitte und damit auch durch deren Übergangsbereiche ziehen, jedenfalls unmittelbar am Ende des Kautschukteils ist aber – wie gesehen und ertastet werden kann – keine Einstückigkeit gegeben.
- Dass die angegriffene Ausführungsform – wie die Klägervertreterin in der mündlichen Verhandlung erklärt hat – wahrscheinlich irgendwann reißen würde, wenn man fest genug an ihr zieht, wobei der Riss nicht zwingend im Übergangsbereich zwischen Kautschuk- und Folienteil auftreten würde, führt – die Richtigkeit dieser Annahme unterstellt – nicht zu einer Merkmalsverwirklichung. Denn die in Merkmal 4 vorgeschriebene einstückige Ausgestaltung bestimmter Abschnitte der Dichtecke soll der Gefahr der (fertigungsbedingten) Undichtigkeit begegnen. Dass sich diese Gefahr bei der angegriffenen Ausführungsform (möglicherweise) nicht realisiert, erlaubt aber nicht – etwa im Wege eines Umkehrschlusses – die Feststellung, dass eine Einstückigkeit im Sinne des Klagepatents vorliegen würde, und genügt daher nicht, um eine Verwirklichung des Merkmals 4 anzunehmen.
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b.
Darüber hinaus ist zweifelhaft, mithin nicht hinreichend sicher feststellbar, dass die angegriffene Ausführungsform Merkmal 3 verwirklichen würde. - Ein aus der Merkmalsverwirklichung herausführender Materialwechsel im Übergangsbereich kann nicht ausgeschlossen werden. Auf Grundlage des Klägervortrags ist jedenfalls zweifelhaft, ob bei der angegriffenen Ausführungsform eine Materialeinheitlichkeit im gesamten Bereich des Übergangs vom Wandabschnitt zum Absatzabschnitt vorliegt. Ein solcher Übergang ist nicht nur in der Eckenmitte zu verorten, sondern überall dort, wo im Einbauzustand ein Absatzabschnitt (rechtwinklig zum Wandabschnitt) ausgebildet wird. Bei dem zur Akte gereichten Muster der angegriffenen Ausführungsform dürften (abhängig von der konkreten Einbausituation) jedenfalls zu den seitlichen Enden des eingespritzten Kautschuks hin Stellen erkennbar sein, an denen der Absatzabschnitt in der mit Vlies überzogenen Kunststofffolie gebildet wird, während am unteren Ende des Wandabschnitts jedenfalls (ggfs. zusätzlich zur mit Vlies überzogenen Kunststofffolie) Kautschuk eingespritzt ist. Auch dürften Stellen erkennbar sein, an denen zwar sowohl Absatzabschnitt als auch Wandabschnitt im Übergangsbereich sowohl Kautschuk als auch eine mit Vlies überzogene Kunststofffolie aufweisen, die Positionierung dieser Materialien zueinander aber variiert, indem sich die Kunststofffolie auf der Vorderseite des Absatzabschnitts, aber auf der Rückseite des Wandabschnitts befindet, während der Kautschuk am unteren Ende des Wandabschnitts auf der Vorderseite der Dichtecke und am oberen Ende des Absatzabschnitts auf der Rückseite des Absatzabschnitts positioniert ist. Auch wenn die gleichen Materialien verwendet werden, steht deren unterschiedliche Anordnung zueinander der anspruchsgemäßen Materialeinheitlichkeit entgegen.
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3.
Soweit die Klägervertreterin in der mündlichen Verhandlung ausgeführt hat, eine Verletzung des Anspruchs 1 des Klagepatents könne auch schon allein in dem eingespritzten Kautschukteil gesehen werden, sind Ausführungen zu den Merkmalen 1. und 1.1 veranlasst. Auch dieses Kautschukteil ist keine klagepatentgemäße Dichtecke, da es jedenfalls an einer Verwirklichung des Merkmals 1.1 durch dieses Teil fehlt. Es dürfte sich zudem bereits nicht um eine Dichtecke im Sinne des Merkmals 1 handeln. -
a.
Nach Merkmal 1.1 ist die Dichtecke auf Basis einer Kautschuk- und/oder Kunststofffolie ausgebildet. - Erforderlich ist insoweit, dass jedenfalls ein Bestandteil der Dichtecke ein dünnes, flächiges Gebilde aus Kautschuk- und/oder Kunststoff ist, wobei die Dichtecke bereits vor dem Einbau dreidimensional ausgestaltet sein kann.
- Nach dem allgemeinen Sprachgebrauch bezeichnet der Begriff „Folie“ ein dünnes, flächiges Gebilde. Ein entsprechendes Verständnis entnimmt der Fachmann auch den Ausführungen in der Klagepatentschrift, die etwa in Absätzen [0007] und [0009] von einer flächigen Ausbildung des Materials bzw. von einem Folienteil, das im Wesentlichen flächig vorliegen kann, spricht. Zwar enthält das Klagepatent keine Vorgaben zur maximalen Materialstärke der Folie oder dazu, dass sie eine einheitliche Materialstärke aufweisen müsste. Auch führt es aus der Lehre des Klagepatents nicht heraus, wenn die Dichtecke nicht komplett flächig oder eben vorliegt, sondern bereits dreidimensionale Gestaltungen, wie etwa vorgeformte Kanten, enthält. Dies erläutert die Klagepatentschrift ausdrücklich in Absätzen [0009], [0010] und [0034]. Danach kann eine sogleich dreidimensionale Gestaltung der Dichtecke vorliegen, so dass sie in einem Anlieferungszustand bereits dem Einbauzustand entspricht (Absatz [0010]). Allerdings gibt die Klagepatentschrift in Absatz [0009] an, dass eine Dichtecke sich auch bei Ausbildung vorgeformter Kanten noch günstig in flächiger Übereinanderlage versenden und vorhalten lasse. Absatz [0034] führt zu einer bevorzugten Ausführungsform aus, dass aufgrund der Gestaltung der dortigen Ausführungsform im Hinblick auf einen Transport oder eine Lagerung nicht immer eine unmittelbar flächige Lagenausbildung der Dichtecke, sondern nur eine (Übereinander-)Lagenbildung mit Faltenausbildung oder eine dreidimensionale Übereinanderschachtelung gelinge, wobei oftmals der durch die Ausgestaltung gegebene Vorteil wesentlicher erscheine als die vollkommen ebene Übereinanderlage im Transport- oder Lagerzustand. Dem entnimmt der Fachmann, dass zwar keine durchgehend flächige oder ebene Ausgestaltung der Dichtecke vorliegen muss, eine solche aber auch nicht völlig entbehrlich ist.
- Entgegen der Auffassung der Beklagten und der Streithelferin entnimmt der Fachmann dem Merkmal 1.1 auch nicht die zwingende Vorgabe, dass eine klagepatentgemäße Dichtecke im Wege eines Umformverfahrens aus (nur) einer Folie als Ausgangsmaterial hergestellt worden sein müsse. Wiederum ist zu betonen, dass Anspruch 1 als Vorrichtungsanspruch formuliert ist, der die Vorrichtung aufgrund ihrer räumlich-körperlichen Ausgestaltung schützt. Das Herstellungsverfahren ist insoweit grundsätzlich ohne Belang. Auch die Formulierung „auf Basis“ einer Kautschuk- und/oder Kunststofffolie beinhaltet nicht, dass nur Dichtecken in den Schutzbereich des Klagepatents fallen würden, bei deren Herstellung umformend auf (nur) eine Folie als Ausgangsmaterial eingewirkt worden wäre. Vielmehr genügt es, wenn jedenfalls ein Bestandteil der fertigen Dichtecke eine Kautschuk- und/oder Kunststofffolie ist.
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b.
Das nunmehr auch isoliert angegriffene Kautschukteil verwirklicht Merkmal 1.1 nicht. Es ist schon keine Folie im Sinne von Merkmal 1.1, da es sich nicht um ein dünnes, flächiges Gebilde handelt. Zwar führt es aus der Lehre des Klagepatents – wie ausgeführt – nicht heraus, wenn eine gewisse dreidimensionale Gestaltung vorhanden ist. Das Kautschukteil ist – isoliert betrachtet – indes komplett dreidimensional gestaltet, ein dünnes flächiges Gebilde, das auch dreidimensionale Gestaltungen enthält, stellt es hingegen nicht dar. -
c.
Zudem dürfte es sich bei dem isoliert angegriffenen Kautschukteil schon nicht um eine Dichtecke im Sinne des Merkmals 1, nämlich zur Abdichtung eines sanitären Einbauteils, handeln. Denn Dichtecken bedürfen zur Abdichtung eines sanitären Einbauteils nach dem Verständnis des Fachmanns offenbar auch einer gewissen seitlichen Erstreckung, um sie etwa an Dichtbänder anzuschließen, die die Längs- und Schmalränder des sanitären Einbauteils abdichten, wie es gemäß den Ausführungen in Absatz [0002] bereits im Stand der Technik bekannt war. Durch Aufnahme der Zweckangabe „zur Abdichtung eines sanitären Einbauteils“ in den Anspruch wird deutlich, dass eine klagepatentgemäße Dichtecke zu einer solchen Abdichtung geeignet sein muss. Es ist aber nicht ersichtlich, dass das isolierte Kautschukteil (gegebenenfalls in Verbindung mit weiteren, separat erhältlichen dichtenden Bauteilen, wie etwa Dichtbändern) überhaupt für die Abdichtung sanitärer Einbauteile geeignet wäre. Auch die Klägerin hat nicht vorgetragen, dass das isolierte Kautschukteil zum seitlich dichtenden Anschluss geeignet wäre. -
III.
Da die angegriffene Ausführungsform von der Lehre des Klagepatents keinen Gebrauch macht, stehen der Klägerin die gegen die Beklagte geltend gemachten Ansprüche nicht zu. -
B.
Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 91 Abs. 1, 101 Abs. 1 ZPO, die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit folgt aus § 709 ZPO. -
C.
Der nicht nachgelassene Schriftsatz der Beklagten vom 09.08.2024 bietet keinen Anlass zur Wiedereröffnung der mündlichen Verhandlung. - Streitwert: 100.000,00 EUR