Düsseldorfer Entscheidungen Nr. 3379
Landgericht Düsseldorf
Urteil vom 2. Juli 2024, Az. 4a O 85/21
- I.
Die Beklagte wird verurteilt, - 1.
es bei Meidung eines für jeden Fall der Zuwiderhandlung vom Gericht festzusetzenden Ordnungsgeldes bis zu EUR 250.000,00 – ersatzweise Ordnungshaft – oder einer Ordnungshaft bis zu sechs Monaten, im Fall wiederholter Zuwiderhandlung bis zu insgesamt zwei Jahren, wobei die Ordnungshaft am Geschäftsführer der Beklagten zu vollziehen ist, - zu unterlassen,
- einen Dämmungsaufbau für metallische Behälter-, Speicher- und Tankdächer umfassend im Wesentlichen senkrecht auf der Oberfläche des Behälters befestigte gewindelose Metallstangen bei Aufschweißen auf das Objekt, die 1. wenigstens eine Schicht einer ersten Dämmstofflage vollständig durchdringen, 2. wenigstens ein auf der Dämmstofflage in flächigem Kontakt befindliches Sicherungs- oder Verteilblech vollständig durchdringen und 3. wenigstens eine zweite Dämmstofflage nicht oder teilweise durchdringen,
- in der Bundesrepublik Deutschland anzubieten, herzustellen, in Verkehr zu bringen oder zu gebrauchen oder zu den genannten Zwecken einzuführen oder zu besitzen,
- wobei das wenigstens eine Sicherungs- oder Verteilblech über die gewindelosen Metallstangen kraftschlüssig auf der ersten Dämmstofflage befestigt ist und der Aufbau weiterhin eine Kunststofffolie als Abdeckung der Oberfläche der 2. Dämmstofflage aufweist, die kraftschlüssig mit dem wenigstens einen Sicherungs- oder Verteilblech verbunden ist;
- 2.
der Klägerin in einer chronologisch geordneten und nach Kalendervierteljahren und Typen gegliederten Aufstellung darüber Auskunft zu erteilen, in welchem Umfang sie die zu Ziffer 1. bezeichneten Handlungen seit dem 09.06.2016 begangen hat, und zwar unter Angabe - a) der Namen und der Anschriften der Hersteller, Lieferanten und anderer Vorbesitzer,
b) der Namen und Anschriften der gewerblichen Abnehmer und Verkaufsstellen, für welche die Erzeugnisse bestimmt waren,
c) der Menge der ausgelieferten, erhaltenen oder bestellten Erzeugnisse sowie über die Preise, die für die betreffenden Erzeugnisse bezahlt wurden, - wobei
zum Nachweis der Angaben die entsprechenden Kaufbelege (nämlich Rechnungen, hilfsweise Lieferscheine) in Kopie vorzulegen sind,
geheimhaltungsbedürftige Details außerhalb der auskunftspflichtigen Daten geschwärzt werden dürfen,
die Aufstellung mit den Daten der Auskunft in einer mittels EDV auswertbaren, elektronischen Form zu übermitteln ist; - 3.
der Klägerin in einer chronologisch geordneten und nach Kalendervierteljahren und Typen gegliederten Aufstellung darüber Rechnung zu legen, in welchem Umfang sie die zu Ziffer 1. bezeichneten Handlungen seit dem 09.07.2016 begangen hat, und zwar unter der Angabe - a) der einzelnen Lieferungen, aufgeschlüsselt nach Liefermengen,
-zeiten und -preisen und den jeweiligen Typenbezeichnungen sowie den Namen und Anschriften der Abnehmer,
b) der einzelnen Angebote, aufgeschlüsselt nach Angebotsmengen, -zeiten und -preisen und den jeweiligen Typenbezeichnungen sowie den Namen und Anschriften der gewerblichen Angebotsempfänger,
c) der betriebenen Werbung, aufgeschlüsselt nach Werbeträgern, deren Auflagenhöhe, Verbreitungszeitraum und Verbreitungsgebiet, im Falle von Internet-Werbung der Domain, der Zugriffszahlen und der Schaltungszeiträume,
d) der nach den einzelnen Kostenfaktoren aufgeschlüsselten Gestehungskosten und des erzielten Gewinns, - wobei
die Aufstellung mit den Daten der Rechnungslegung in einer mittels EDV auswertbaren, elektronischen Form zu übermitteln ist, und
es der Beklagten vorbehalten bleibt, die Namen und Anschriften der nicht gewerblichen Abnehmer und der Angebotsempfänger statt der Klägerin einem von dieser zu bezeichnenden und ihr gegenüber zur Verschwiegenheit verpflichteten, in der Bundesrepublik Deutschland ansässigen, vereidigten Wirtschaftsprüfer mitzuteilen, sofern die Beklagte dessen Kosten trägt und ihn zugleich ermächtigt und verpflichtet, der Klägerin auf konkrete Anfrage mitzuteilen, ob ein bestimmter Abnehmer oder Angebotsempfänger in der Aufstellung enthalten ist. - II.
Es wird festgestellt, dass die Beklagte verpflichtet ist, der Klägerin allen Schaden zu ersetzen, der dieser durch die zu Ziffer I.1. bezeichneten, seit dem 09.07.2016 begangenen Handlungen entstanden ist und noch entstehen wird. - III.
Die Beklagte wird weiter verurteilt, die in der Bundesrepublik Deutschland in ihrem unmittelbaren oder mittelbaren Besitz und/oder Eigentum befindlichen, oben unter Ziffer I.1. fallenden Vorrichtungen auf eigene Kosten zu vernichten oder nach ihrer Wahl an einen von der Klägerin zu benennenden Gerichtsvollzieher zum Zwecke der Vernichtung auf ihre – der Beklagten – Kosten herauszugeben. - IV.
Die Beklagte wird weiter verurteilt, die unter Ziffer I.1. bezeichneten, seit dem 09.06.2016 in Verkehr gebrachten Vorrichtungen aus den Vertriebswegen zurückzurufen, indem diejenigen Dritten, denen durch die Beklagte oder mit deren Zustimmung Besitz an den Vorrichtungen eingeräumt wurde, unter Hinweis darauf, dass die Kammer mit dem hiesigen Urteil auf eine Verletzung des Klagegebrauchsmusters erkannt hat, schriftlich und ernsthaft aufgefordert werden, die Vorrichtungen an die Beklagte zurückzugeben und den Dritten für den Fall der Rückgabe der Vorrichtungen eine Rückzahlung des gegebenenfalls bereits gezahlten Kaufpreises sowie die Übernahme der Kosten der Rückgabe zugesagt wird und endgültig zu entfernen, indem die Beklagte die erfolgreich zurückgerufenen Vorrichtungen wieder an sich nimmt. - V.
Die Kosten des Rechtsstreits trägt die Beklagte. - VI.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar, bezüglich der Ziffern I.1., III., IV. und V. des Tenors jedoch nur gegen Sicherheitsleistung in Höhe von insgesamt 500.000,00 EUR, bezüglich der Ziffern I.2. und I.3. des Tenors jedoch nur gegen Sicherheitsleistung in Höhe von insgesamt 100.000,00 EUR und bezüglich des Tenors zu V. nur gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages. - Tatbestand
- Die Klägerin ist Inhaberin des Gebrauchsmusters mit der Nummer DE 20 2016 001 XXA U1 (Anlage KAP1, im Folgenden: Klagegebrauchsmuster). Das Klagegebrauchsmuster wurde am 05.03.2016 bei dem Deutschen Patent- und Markenamt (im Folgenden: DPMA) angemeldet und am 02.05.2016 eingetragen. Die Veröffentlichung der Eintragung erfolgte am 09.06.2016. Mit Schriftsatz vom 01.02.2022 (Anlage B14) beantragte die hiesige Beklagte die Löschung des Klagegebrauchsmusters, die das DPMA, nachdem es mit Zwischenbescheid vom 26.10.2022 (Anlage KAP12) darauf hingewiesen hatte, dass der Löschungsantrag voraussichtlich keinen Erfolg haben werde, mit Beschluss vom 29.03.2023 (Anlage KAP13) zurückwies. Gegen diesen Beschluss legte die Beklagte Beschwerde ein, die sie mit Schriftsatz vom 12.06.2023 (Anlage KAP14) begründete. Über die Beschwerde hat das Bundespatentgericht noch nicht entschieden.
- Das Klagegebrauchsmuster steht in Kraft. Es betrifft einen Dämmungsaufbau für metallische warmgehende Behälter-, Speicher- und Tankdächer in Verbindung mit einer Kunststoffabdichtung.
- Anspruch 1 des Klagegebrauchsmusters lautet:
- „Dämmungsaufbau (1) für metallische Behälter-, Speicher- und Tankdächer (2) umfassend im Wesentlichen senkrecht auf der Oberfläche des Behälters (2) befestigte Gewindestangen 3a, 3b oder Metallstangen (3a, 3b) mit einseitigen Gewindeansatz bei Aufschweißen auf das Objekt oder mit zweiseitigem Gewindeansatz bei Verwendung von aufgeschweißten Gewindebuchsen, die 1. wenigstens eine Schicht einer ersten Dämmstofflage (4a) vollständig durchdringen, 2. wenigstens ein auf der Dämmstofflage (4a) in flächigem Kontakt befindliches Sicherungs- oder Verteilblech (5) vollständig durchdringen und 3. wenigstens eine zweite Dämmstofflage (6) nicht oder teilweise durchdringen,
- wobei das wenigstens eine Sicherungs- oder Verteilblech (5) über die Gewindestangen (3a, 3b) oder die Metallstangen (3a, 3b) kraftschlüssig auf der ersten Dämmstofflage (4a) befestigt ist und
- der Aufbau weiterhin eine Kunststofffolie (7) als Abdeckung der Oberfläche der 2. Dämmstofflage (6) aufweist, die kraftschlüssig mit dem wenigstens einen Sicherungs- oder Verteilblech (5) verbunden ist.“
- Wegen des Wortlauts der abhängigen Unteransprüche 3, 4, 5, 7 und 8, die die Klägerin lediglich im Wege von „insbesondere-Anträgen“ geltend macht, wird auf die Anlage KAP1 verwiesen.
- Zur Veranschaulichung wird nachfolgend die einzige Figur des Klagegebrauchsmusters eingeblendet. Sie zeigt einen klagegebrauchsmustergemäßen Dämmungsaufbau:
- Die Beklagte bietet in Deutschland an, stellt her und vertreibt Isolierungen diverser technischer Anlagen. Unter anderem isolierte sie Speicherdächer eines Heizkraftwerks der Stadtwerke B (im Folgenden: angegriffene Ausführungsform), wie aus den nachfolgend eingeblendeten, der Klageschrift entnommenen Abbildungen ersichtlich, die ursprünglich von der Website der Stadtwerke B stammen:
- Im Hinblick auf die angegriffene Ausführungsform übersandte die Klägerin der Beklagten die aus Anlage KAP5 ersichtliche Berechtigungsanfrage, auf die die Beklagte mit Schreiben ihres Prozessbevollmächtigten vom 12.04.2021 (Anlage KAP6) erwiderte. Dabei gab sie unter anderem an, die Dämmung am Heizkraftwerk der Stadtwerke B unterscheide sich von der Lehre des Klagegebrauchsmusters im Wesentlichen dadurch, dass keine Gewindestangen und auch keine Metallstangen mit einseitigem Gewindeansatz Verwendung gefunden hätten, sondern zur Befestigung der Dämmung handelsübliche, 6 Millimeter starke Stahldrähte verwendet worden seien, wobei die Dämmlagen mit allgemein im Handel erhältlichen Federspangen befestigt worden seien. Wegen des weiteren Inhalts der außergerichtlichen Korrespondenz wird auf die Anlagen KAP5 und KAP6 Bezug genommen.
- Die Klägerin ist der Auffassung, die angegriffene Ausführungsform mache von der Lehre des Klagegebrauchsmusters teils wortsinngemäß, teils mit äquivalenten Mitteln Gebrauch. Anstelle der im Anspruch vorgesehenen Gewindestangen oder Metallstangen mit einseitigem Gewindeansatz bei Aufschweißen auf das Objekt oder mit zweiseitigem Gewindeansatz bei Verwendung von aufgeschweißten Gewindebuchsen weise die angegriffene Ausführungsform als Austauschmittel gewindelose Metallstangen (bei Aufschweißen auf das Objekt) auf.
- Sie ist der Ansicht, das Austauschmittel sei gleichwirkend und für den Fachmann am Prioritätstag auffindbar gewesen. Die abweichende Lösung sei zudem derart am Sinngehalt der im Klagegebrauchsmuster unter Schutz gestellten Lehre orientiert, dass der Fachmann die abweichende Ausführung mit ihren abgewandelten Mitteln als der gegenständlichen Lehre gleichwertige Lösung in Betracht gezogen habe.
- Die übrigen Anforderungen des Anspruchs 1 verwirkliche die angegriffene Ausführungsform wortsinngemäß. Das in der nachfolgend eingeblendeten Abbildung, die der Klageschrift entnommen ist, mit einem grünen Pfeil bezeichnete Bauteil stelle die erste Dämmstofflage dar, während es sich bei dem mit einem roten Pfeil bezeichneten Bauteil um ein klagegebrauchsmustergemäßes Sicherungs- oder Verteilblech handele:
- In der nachfolgenden Abbildung, die wiederum der Klageschrift entstammt, deute der seitens der Klägerin eingefügte Pfeil auf einen Systembefestiger:
- Die Klägerin ist der Auffassung, der seitens der Beklagten erhobene Formstein-Einwand greife nicht durch. Die angegriffene Ausführungsform falle nicht unter den freien Stand der Technik, sondern liege im Schutzbereich des Klagegebrauchsmusters. Die Anlagen B1 (DE 29 46 XXB A1) und B2 (C) zeigten, wie auch das DPMA im Löschungsverfahren zutreffend festgestellt habe, schon kein – auch bei der angegriffenen Ausführungsform vorhandenes – Sicherungs- oder Verteilblech. Auch durch eine Kombination mit der Anlage B10 (Prospekt „D“, Fa. E), zu der die Beklagte im hiesigen Verfahren nicht vorgetragen habe, sei ein Dämmungsaufbau mit Sicherungs- oder Verteilblech, wie ihn auch die angegriffene Ausführungsform aufweise, weder neuheitsschädlich vorweggenommen noch ohne erfinderischen Schritt erreichbar.
- Die Klägerin meint, der einschlägige Fachmann sei – wovon auch der Beschluss des DPMA vom 29.03.2023 ausgeht – eine Fachhochschulingenieurin oder ein Fachhochschulingenieur des allgemeinen Maschinenbaus mit mehrjähriger Erfahrung im Behälterbau und Kenntnissen in der Verarbeitung von Isolationsmaterial; über Kenntnisse im Dachdeckerhandwerk verfüge er nicht. Die Klägerin ist daher der Auffassung, es sei bereits fraglich, ob diese Fachperson die Anlagen B12 (F) und B13 (G (Stand 2001), im Folgenden auch bezeichnet als „G“), die – unstreitig – nicht Gegenstand des Löschungsverfahrens sind, auffinden und heranziehen würde. Ein Anlass habe insoweit keinesfalls bestanden, da Flachdächer, auf die sich die Anlagen B12 und B13 beziehen, und Behälter-, Speicher- und Tankdächer zueinander gattungsfremd seien. Ein klagegebrauchsmustergemäßes Sicherungs- oder Verteilblech, wie es auch die angegriffene Ausführungsform zeige, ergebe sich zudem auch aus diesen Dokumenten nicht. Insgesamt falle daher die angegriffene Ausführungsform auch unter Berücksichtigung der Anlagen B1, B2, B10, B12 und B13 nicht in den freien Stand der Technik, sondern in den Schutzbereich des Klagegebrauchsmusters. Der Formstein-Einwand greife nicht durch.
- Die Klägerin ist weiterhin der Auffassung, das Klagegebrauchsmuster sei, insbesondere mit Blick auf den Beschluss des DPMA vom 29.03.2023, schutzfähig. Das vorliegende Verfahren sei nicht auszusetzen. Da bereits eine abweisende erstinstanzliche Entscheidung im Löschungsverfahren ergangen sei, verschöben sich die Aussetzungsmaßstäbe, so dass nunmehr eine Vermutung zu Gunsten des Rechtsbestandes des Klagegebrauchsmusters greife und eine Aussetzung daher eine erhebliche Wahrscheinlichkeit für die Vernichtung des Klagegebrauchsmusters erfordere. Eine solche sei vorliegend nicht gegeben. Bezüglich der Anlage B10 wendet die Klägerin ein, diese sei schon nicht zu berücksichtigen, da die Beklagte sich mit dieser Anlage im Verletzungsrechtsstreit inhaltlich nicht auseinandergesetzt habe. Zudem zeige die Anlage B10 kein klagegebrauchsmustergemäßes Sicherungs- oder Verteilblech; insbesondere beinhalte das dort vorgesehene Z-Profil kein solches Sicherungs- oder Verteilblech. Das Z-Profil könne an einem metallischen Behälterdach schon nicht – wie in Anlage B10 vorgesehen – mittels einer Sonderschraube befestigt werden, da in ein nach dem Klagegebrauchsmuster zu isolierendes metallisches Behälterdach nicht mit Bohrlöchern eingegriffen werden könne. Das Z-Profil der Anlage B10 würde zudem die Wärme eines metallenen Behälterdachs ohne große Dämmung in Richtung Oberfläche leiten; diese Wärmedämmung sei aber gerade ein von dem Klagegebrauchsmuster zu lösendes Problem, das sich aus dem Einsatzbereich des klagegebrauchsmustergemäßen Dämmungsaufbaus ergebe, der für Behälter vorgesehen sei, die beispielsweise Oberflächentemperaturen von 100°C oder mehr aufweisen könnten.
- Der Fachmann habe zudem auch keinen Anlass, die Anlage B10 mit der Anlage B1 oder B2, die ebenfalls bereits Gegenstand der Entscheidung des DPMA waren, zu kombinieren.
- Die Klägerin beantragt nach Modifikation der Anträge in der mündlichen Verhandlung,
- wie erkannt.
- Die Beklagte beantragt,
- die Klage abzuweisen,
- hilfsweise,
den Rechtsstreit bis zur Entscheidung des Bundespatentgerichts über den Rechtsbestand des Klagegebrauchsmusters auszusetzen. - Die Beklagte ist der Auffassung, den seitens der Klägerin vorgelegten Lichtbildern sei nicht zu entnehmen, dass die im Bild auf Seite 19/37 der Klageschrift erkennbaren Metallstangen die untere Dämmstoffschicht so durchdrängen, dass sie exakt in einem (Metall-) Streifen endeten, der jenem im Bild auf Seite 16/37 der Klageschrift dargestellten entspreche; es sei lediglich erkennbar, dass etwas nach oben aus dem (Metall-) Streifen herausstehe, was auch ein beliebiges Befestigungsmittel sein könne. Ferner sei den Bildern nicht zu entnehmen, dass die (System-) Befestiger am Rand der (Folien-) Abdeckung in einem (Metall-) Streifen verankert seien, der exakt unterhalb dieser (System-) Befestiger verlaufe. Aufgrund der unvollständigen Darstellung in den in der Klageschrift wiedergegebenen Bildern werde die Verletzung des Klagegebrauchsmusters bestritten.
- Darüber hinaus erhebt die Beklagte den sog. Formstein-Einwand. Sie ist der Auffassung, die angegriffene Ausführungsform falle in den freien Stand der Technik, da eine entsprechende Ausgestaltung zum Zeitpunkt der Anmeldung des Klagegebrauchsmusters bereits aus dem Stand der Technik gemäß den Anlagen B1 und B2, gegebenenfalls in Kombination mit der Anlage B10, bekannt oder zumindest nahegelegt gewesen sei. Weiter behauptet sie, der Fachmann habe fraglos über Kenntnisse im Bereich des Dachdeckerhandwerks verfügt und hätte zur Lösung der im Klagegebrauchsmuster beschriebenen Aufgabe auch auf das als Anlage B12 vorgelegte „H“ sowie auf die in dem vorgenannten Handbuch aufgeführte „I“ (Stand 2001) (Anlage B13) zurückgegriffen. Auch angesichts dieser Dokumente falle die angegriffene Ausführungsform in den freien Stand der Technik. Aus Anlage B12 ergebe sich, dass für Leichtdächer eine mechanische Befestigung zu bevorzugen sei, wobei erläutert werde, dass innerhalb der gleichen Lagensicherungsebene grundsätzlich verschiedene Verlegearten nicht kombiniert werden sollten. Anlage B13 schreibe zur Sicherung / mechanischen Befestigung explizit Metallbänder, Profile aus Metall oder Verbundbleche vor. In dem Stand der Technik gemäß Anlage B13 werde klar angegeben, dass eine unterhalb der Dachbahn befindliche Dämmschicht mechanisch zu befestigen sei, etwa durch Metallprofile, Metallbänder oder Verbundbleche. Im Ergebnis biete der Stand der Technik technische Lösungen für alle im Klagegebrauchsmuster angegebenen Teilaufgaben.
- Die Beklagte ist weiter der Auffassung, das Klagegebrauchsmuster werde sich im Löschungs-Beschwerdeverfahren als nicht rechtsbeständig erweisen. Das DPMA habe in seinem Beschluss vom 29.03.2023 mit Ausnahme des „Sicherungs- oder Verteilblechs“ im Wesentlichen alle Merkmale im gemäß den dortigen Anlagen D1 bis D7 (die hiesigen Anlagen B1 und B2 sind im Löschungsverfahren bezeichnet als D1 und D2) angegebenen Stand der Technik als offenbart angesehen, das „Sicherungs- oder Verteilblech“ sei aus der unstreitig ebenfalls in das Löschungsverfahren eingeführten Anlage B10 bekannt. Zur Veranschaulichung wird nachfolgend die Figur auf Seite 4 unten der Anlage B10 eingeblendet.
- Die in dieser Figur dargestellten Z-Profile zeigten ein Sicherungs- oder Verteilblech.
- Die Beklagte ist der Ansicht, für den Fachmann habe auch Veranlassung bestanden, die angegebenen Dokumente miteinander zu kombinieren.
- Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die zwischen den Parteien gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen sowie auf das Protokoll der mündlichen Verhandlung ergänzend Bezug genommen.
- Entscheidungsgründe
- Die Klage hat Erfolg. Sie ist vollumfänglich begründet.
- A.
Die angegriffene Ausführungsform macht teils wortsinngemäß, teils mit äquivalenten Mitteln von der Lehre des Anspruchs 1 des Klagegebrauchsmusters Gebrauch. - I.
Das Klagegebrauchsmuster betrifft einen Dämmungsaufbau für metallische warmgehende Behälter-, Speicher- und Tankdächer. - Aus dem Stand der Technik war es bekannt – so das Klagegebrauchsmuster in Absatz [0002] (im Folgenden sind Absatzangaben ohne nähere Bezugsangabe solche des Klagegebrauchsmusters) ohne einen Stand der Technik konkret zu benennen –, zur Abdichtung von Flachdächern oder auch zur Abdichtung von Dämmung auf Leichtdächern im Industrie- und Hallenbau, je nach Anforderungen an den Dachbahnwerkstoff, Abdichtungen lose zu verlegen, also mechanisch direkt am Objekt zu befestigen, und mit Heißluft zu verschweißen. Im Stand der Technik sei bei dem System der mechanischen Fixierung einer Kunststoffbahn üblicherweise zunächst ein Befestigungsplan für Saum-, Feld- oder Linienbefestigung erstellt worden, danach seien sämtliche Aufbauschichten lose verlegt und mit zugelassenen, durchgehenden Befestigungselementen bzw. mit geeignetem Klebstoff kraftschlüssig gegen Abtrag durch Windsog in/an der Tragkonstruktion/Dach- oder Hallenkonstruktion verankert/befestigt worden.
- Hieran kritisiert das Klagegebrauchsmuster in seinem Absatz [0003], dass der vorgenannte Aufbau einer Dämmung in Verbindung mit dem Abdichtungssystem insbesondere im Industriebau, bei großen Behälter-, Speicher- und Tankdächern nicht anwendbar sei. Das Klagegebrauchsmuster führt aus, Klebeverbindungen seien aufgrund zu hoher Mediumstemperaturen und aufgrund hoher Neigungen an Behälter-, Speicher- und Tankdächern nicht umsetzbar. Auch sei eine Befestigung mithilfe durchdringender Befestigungsmittel zum Behälter-, Speicher- und Tankdach nicht möglich. Zudem sei der Einsatz von starren, durchgehenden, nicht unterbrochenen Systembefestigern aufgrund der Wärmeleitung vom Behälter-, Speicher- und Tankdach zum Kunststoff-Abdichtungssystem nicht möglich, da dies zur Beschädigung der Kunststoffabdichtung durch zu hohe Temperaturen im Durchtrittsbereich/Anschlussbereich führe.
- Vor dem Hintergrund dieses Standes der Technik stellt sich das Klagegebrauchsmuster daher in seinem Absatz [0004] die Aufgabe, Dämmungsaufbauten inklusive Kunststofffolienabdichtungen für warmgehende metallische Behälter-, Speicher- und Tankdächer zur Verfügung zu stellen, die• das Durchdringen der Objektoberfläche (Metalldach) verhindern,
• eine direkte Wärmeweiterleitung (Wärmebrücke) eines starren Befestigers verhindern,
• eine Wärmeableitung/Wärmeverteilung durch das Montieren eines Sicherungs- und Verteilblechs bewerkstelligen,
• die Nutzung der Sicherungs- und Verteilbleche bedarfsabhängig ermöglichen
und bei denen
• je nach Erfordernis von Windsogzone 1 oder Windsogzone 2 die Sicherungs- und Verteilbleche dort einsetzbar sein sollen, wo es erforderlich ist. - Zur Lösung dieser Aufgabe schlägt das Klagegebrauchsmuster in seinem Anspruch 1 einen Dämmungsaufbau vor, der wie folgt gegliedert werden kann:
- 1. Dämmungsaufbau für metallische Behälter-, Speicher- und Tankdächer.
- 2. Der Dämmungsaufbau umfasst im Wesentlichen senkrecht auf der Oberfläche des Behälters befestigte Gewindestangen oder Metallstangen mit einseitigem Gewindeansatz bei Aufschweißen auf das Objekt oder mit zweiseitigem Gewindeansatz bei Verwendung von aufgeschweißten Gewindebuchsen, die
2.1. 1. wenigstens eine Schicht einer ersten Dämmstofflage vollständig durchdringen,
2.2. 2. wenigstens ein auf der ersten Dämmstofflage in flächigem Kontakt befindliches Sicherungs- oder Verteilblech vollständig durchdringen und
2.3. 3. wenigstens eine zweite Dämmstofflage nicht oder teilweise durchdringen. - 3. Das wenigstens eine Sicherungs- oder Verteilblech ist über die Gewindestangen oder die Metallstangen kraftschlüssig auf der ersten Dämmstofflage befestigt.
- 4. Der Aufbau weist weiterhin eine Kunststofffolie als Abdeckung der Oberfläche der 2. Dämmstofflage auf, die kraftschlüssig mit dem wenigstens einen Sicherungs- oder Verteilblech verbunden ist.
- II.
Die Auslegung der vorgenannten Merkmale steht zwischen den Parteien nicht in Streit. Gleichwohl sind Ausführungen zur Merkmalsgruppe 2 sowie zu Merkmal 4 veranlasst. - 1.
Nach Merkmal 2 hat der Anwender die freie Wahl, ob er Gewindestangen, also Stangen mit durchgehendem Gewinde, oder Metallstangen mit einseitigem oder mit zweiseitigem Gewindeansatz verwendet, die im Wesentlichen senkrecht auf der Oberfläche des Behälters befestigt sind. Insoweit stellt das Klagegebrauchsmuster in seinem Anspruch 1 klar, dass die Metallstangen direkt auf das Behälterdach aufgeschweißt werden können und sieht für diesen Fall die Nutzung von Metallstangen mit einseitigem Gewindeansatz vor. Der Fachmann versteht dabei, dass das Gewinde jedenfalls auf der dem Behälterdach zugewandten Seite nicht zur Befestigung erforderlich ist, da der Anspruch ausdrücklich ein Aufschweißen auf das Objekt vorsieht. - Die Merkmale 2.1, 2.2 und 2.3 enthalten Vorgaben für die Ausgestaltung der Gewinde- oder Metallstangen im Verhältnis zu den Dämmstofflagen und dem wenigstens einen Sicherungs- oder Verteilblech. Während diese Stangen die erste Dämmstofflage und ein auf der ersten Dämmstofflage befindliches Sicherungs- oder Verteilblech vollständig durchdringen, durchdringen sie eine zweite Dämmstofflage, die eine Kunststofffolie als Abdeckung aufweist (Merkmal 4), nicht oder lediglich teilweise. Eine solche Ausgestaltung führt dazu, dass die Gewinde- oder Metallstangen nicht mit der die zweite Dämmstofflage abdeckenden Kunststofffolie in Kontakt kommen. Dies verhindert, dass über die Gewinde- oder Metallstangen Wärme von dem metallischen Behälterdach direkt bis in die Kunststofffolie geleitet wird und begegnet dadurch der Gefahr der Beschädigung der Kunststofffolie durch zu hohe Temperaturen. Weiterhin fixiert eine solche Konstruktion die erste Dämmstofflage seitlich (Absatz [0006]). Dadurch, dass die Gewinde- oder Metallstangen auch das Sicherungs- oder Verteilblech vollständig durchdringen, wird dessen, von Merkmal 3 geforderte, kraftschlüssige Befestigung auf der ersten Dämmstofflage ermöglicht.
- 2.
Nach Merkmal 4 weist der Aufbau eine Kunststofffolie als Abdeckung der Oberfläche der zweiten Dämmstofflage auf, die wiederum kraftschlüssig mit dem wenigstens einen Sicherungs- oder Verteilblech verbunden ist. Diese Befestigung kann, so das Klagegebrauchsmuster in Absatz [0009], durch handelsübliche Befestigungselemente, sog. Systembefestiger, erfolgen. In der Zusammenschau erfolgt die Befestigung der Dämmstofflagen nach der Lehre des Klagegebrauchsmusters mit einem entkoppelten Befestigungssystem (Absatz [0001]), was zum Einen dazu führt, dass die über das metallische Behälterdach abgegebene Wärme nicht, jedenfalls nicht direkt, in die Kunststofffolie eingeleitet wird, und zum Anderen dazu, dass die Kunststofffolie weiterhin mit handelsüblichen Befestigungselementen fixiert werden kann, die – wie etwa im Ausführungsbeispiel gemäß der Figur des Klagegebrauchsmusters dargestellt – die Oberfläche, über die sie befestigt werden, durchdringen können. Da diese Befestigung an einem Sicherungs- oder Verteilblech erfolgt, wird das Behälterdach nicht durchdrungen. - III.
Mit Ausnahme des Merkmals 2 des Klagegebrauchsmusters verwirklicht die angegriffene Ausführungsform alle weiteren Merkmale unmittelbar wortsinngemäß. - 1.
Insbesondere bestehen keine Zweifel, dass die angegriffene Ausführungsform von den Merkmalen 2.1, 2.2 und 4 unmittelbar wortsinngemäß Gebrauch macht. - Soweit die Beklagte erstmals in ihrem Schriftsatz vom 30.04.2024, mithin mehr als zweieinhalb Jahre nach Zustellung der Klageschrift, eine Verwirklichung dieser Merkmale mit dem Argument bestritten hat, die Merkmalsverwirklichung ergebe sich nicht aus den klägerseits vorgelegten Abbildungen, ist ein solches Bestreiten schon aus prozessualen Gründen unbeachtlich: Die Klägerin hat zur tatsächlichen Ausgestaltung der angegriffenen Ausführungsform hinreichend substantiiert vorgetragen. Andere Materialen als die über die Webseite der Stadtwerke B abrufbaren Lichtbilder stehen ihr insoweit nicht zur Verfügung. Diesen Lichtbildern ist auch nach Auffassung der Kammer zweifelsfrei zu entnehmen, dass die Metallstangen die erste Dämmstofflage und ein auf dieser Dämmstofflage angebrachtes Blech vollständig und die zweite Dämmstofflage lediglich teilweise durchdringen. Das pauschale Bestreiten der Beklagten unter Hinweis darauf, dass auf den vorgelegten Bildern kein vollständiger Querschnitt des Dämmungsaufbaus abgebildet ist, genügt insoweit nicht. Sollte die Beklagte in tatsächlicher Hinsicht eine andere Ausgestaltung vortragen wollen, müsste sie sich insbesondere dazu erklären, ob und gegebenenfalls wann die in den Lichtbildern klar zu erkennenden Metallstangen eingekürzt oder entfernt werden und welche stangenartigen Bauteile stattdessen nach oben aus der ersten Dämmstofflage und aus dem auf dieser befindlichen Blech herausstehen.
- Schließlich hat die Klägerin auch nachvollziehbar dargelegt, dass die Verankerung der Systembefestiger im Sicherungs- oder Verteilblech alternativlos sei. Dazu hat sie ausgeführt, dass die konkret verwendeten Systembefestiger, deren Datenblatt sie als Anlage KAP11 vorlegt, nicht in der Dämmstofflage selbst befestigt werden könnten, da sie dort kein Gegenstück und daher keinen Halt fänden. Eine Befestigung an dem Behälterdach selbst sei nicht möglich, da sich die Durchdringung des Daches verbiete. Andere Bauteile als das auf der ersten Dämmstofflage aufliegende Blech, an denen die Systembefestiger befestigt werden könnten, sind weder ersichtlich noch von der Beklagten vorgetragen. Dies gilt umso mehr als die Beklagte auf die Berechtigungsanfrage der Klägerin außergerichtlich erklärt hat, der wesentliche Unterschied zu dem klagegebrauchsmustergemäßen Dämmungsaufbau liege darin, dass die Beklagte gewindelose Metallstangen verwende.
- 2.
Die angegriffene Ausführungsform macht von Merkmal 2 nicht unmittelbar wortsinngemäß Gebrauch. Denn unstreitig kommen bei der angegriffenen Ausführungsform gewindelose Metallstangen zum Einsatz, mithin keine der in Merkmal 2 vorgesehenen Alternativen (Gewindestangen oder Metallstangen mit einseitigem oder zweiseitigem Gewindeansatz). - IV.
Die angegriffene Ausführungsform verwirklicht Merkmal 2 durch die Ausgestaltung mit gewindelosen Metallstangen mit äquivalenten Mitteln. - 1.
Für eine äquivalente Benutzung, die auch im Gebrauchsmusterrecht Anwendung findet, muss regelmäßig dreierlei erfüllt sein (vgl. insgesamt BGH, GRUR 2015, 361 (363) – Kochgefäß). Die Ausführung muss erstens das der Erfindung zu Grunde liegende Problem mit zwar abgewandelten, aber objektivgleichwirkenden Mitteln lösen. Zweitens müssen seine Fachkenntnisse den Fachmann befähigen, die abgewandelte Ausführung mit ihren abweichenden Mitteln als gleichwirkend aufzufinden. Die Überlegungen, die der Fachmann hierzu anstellen muss, müssen schließlich drittens am Sinngehalt der im Patentanspruch unter Schutz gestellten Lehre orientiert sein. Sind diese Voraussetzungen erfüllt, ist die abweichende Ausführung mit ihren abgewandelten Mitteln aus fachmännischer Sicht als der wortsinngemäßen Lösung gleichwertige (äquivalente) Lösung in Betracht zu ziehen und damit nach dem Gebot des Art. 2 des Protokolls über die Auslegung des Art. 69 EPÜ bei der Bestimmung des Schutzbereichs des Patents zu berücksichtigen (vgl. BGH, GRUR 2002, 515 (517) – Schneidmesser I; BGH, GRUR 2007, 959 (961) – Pumpeinrichtung). Der Schutzbereich des Patents wird auf diese Weise nach Maßgabe dessen bestimmt, was der Fachmann auf der Grundlage der erfindungsgemäßen Lehre als äquivalent zu erkennen vermag und damit an dem Gebot des Art. 1 des genannten Auslegungsprotokolls ausgerichtet, bei der Bestimmung des Schutzbereichs einen angemessenen Schutz für den Patentinhaber mit ausreichender Rechtssicherheit für Dritte zu verbinden (BGH, GRUR 2011, 313 (317) – Crimpwerkzeug IV). - 2.
In Anwendung dieser Maßstäbe liegt eine äquivalente Benutzung der Lehre des Klagegebrauchsmusters vor. - a.
Die erforderliche objektive Gleichwirkung ist gegeben. Für die Frage der Gleichwirkung ist entscheidend, welche einzelnen Wirkungen die patentgemäßen Merkmale – für sich und insgesamt – zur Lösung der dem Patentanspruch zugrundeliegenden Aufgabe bereitstellen und ob diese Wirkungen bei der angegriffenen Ausführungsform durch andere Mittel erzielt werden (BGH, GRUR 2021, 574 (577) – Kranarm). - Ausgangspunkt für die Prüfung einer Patentverletzung durch eine den Sinngehalt des Patentanspruchs nicht ausfüllende Ausführung ist also ein Vergleich zwischen der patentgemäßen und der in der angegriffenen Form verwirklichten Problemlösung (BGH, GRUR 1991, 811 (814) – Falzmaschine). Das konkrete Problem des Patents muss mit der angegriffenen Ausführungsform gelöst sein (BGH, GRUR 1986, 803 (805) – Formstein). Zur Lösung des dem Patentanspruch zu Grunde liegenden technischen Problems, dessen Ermittlung ausschließlich objektiv zu erfolgen hat (BGH, GRUR 1989, 103 (104f.) – Verschlussvorrichtung für Gießpfannen), müssen von den Funktionen, Wirkungen und Bedeutungen der wortsinngemäßen Merkmale trotz der Abwandlung diejenigen erhalten bleiben, deren patentgemäßes Zusammenwirken die beanspruchte Lösung ausmacht (BGH, GRUR 2000, 1005 (1006) – Bratgeschirr). Bei der Prüfung, ob eine abgewandelte Ausführungsform der patentierten Lösung gleichwirkend ist, ist deshalb eine Untersuchung erforderlich, welche von den einzelnen Wirkungen, die mit den wortsinngemäßen Merkmalen des Patentanspruchs erzielt werden können, zur Lösung des ihm zugrundeliegenden Problems patentgemäß zusammenkommen müssen. Diese Gesamtheit repräsentiert die patentierte Lösung und muss deshalb auch bei der zu beurteilenden Ausführungsform im Wesentlichen vorhanden sein (BGH, GRUR 2021, 574 (577) – Kranarm; BGH, GRUR 2015, 361 (363) – Kochgefäß).
- Diese Voraussetzungen sind vorliegend erfüllt. Die Klägerin hat unwidersprochen vorgetragen, dass der im Anspruch des Klagegebrauchsmusters vorgesehene Gewindeansatz zur Lösung der erfindungsgemäßen Aufgabe nichts beiträgt. Die gewindelosen Metallstangen der angegriffenen Ausführungsform sind – wie Merkmal 2 fordert – im Wesentlichen senkrecht auf der Oberfläche des Behälters aufgeschweißt und erfüllen die den Gewindestangen oder Metallstangen mit einseitigem oder zweiseitigem Gewindesatz zukommenden Wirkungen objektiv in gleicher Weise.
- Sie durchdringen zunächst die erste Dämmstofflage vollständig, was zur (seitlichen) Fixierung dieser Dämmstofflage (vgl. Absatz [0006]) führt. Zudem durchdringen sie auch ein auf der ersten Dämmstofflage in flächigem Kontakt befindliches Sicherungs- oder Verteilblech vollständig, wodurch die kraftschlüssige Befestigung des Sicherungs- oder Verteilblechs auf der ersten Dämmstofflage ermöglicht wird. Eine kraftschlüssige Verbindung unter Einsatz eines Gewindes ist dabei nicht erforderlich, sie erzielt jedenfalls nach der Lehre des Klagegebrauchsmusters keine weitergehende technische Wirkung. So erwähnt etwa Absatz [0006] eine Befestigung durch Muttern und gegebenenfalls Unterlegscheiben lediglich beispielhaft. Auch in Absatz [0016], der sich auf ein bevorzugtes Ausführungsbeispiel bezieht, wird lediglich ein Aufstecken des Sicherungs- oder Verteilblechs auf die Gewindestangen oder (mit einem oder zwei Gewindeansätzen versehenen) Metallstangen genannt, wodurch eine mechanische Befestigung der darunterliegenden Dämmstofflagen bewerkstelligt werde.
- Die Nutzung eines Gewindes oder eine vorteilhafte Wirkung eines Gewindes sind insoweit weder beschrieben noch ersichtlich. Eine kraftschlüssige Befestigung über die Metallstangen ist auch bei einer Ausgestaltung mit gewindelosen Metallstangen möglich, wie die angegriffene Ausführungsform zeigt, bei der eine kraftschlüssige Verbindung durch den Einsatz von Federspangen erreicht wird. Schließlich vermeiden die Gewindestangen bzw. Metallstangen mit ein- oder zweiseitigem Gewindeansatz nach der Lehre des Klagegebrauchsmusters bereits dadurch, dass sie die zweite Dämmstofflage, auf der die Kunststofffolie aufgebracht ist, nicht bzw. nur teilweise durchdringen, eine (nachteilige) direkte Weiterleitung der Wärme von dem metallischen Behälterdach in die Kunststofffolie. Auch diese Wirkung erzielen indes die bei der angegriffenen Ausführungsform vorhandenen gewindelosen Metallstangen. Insoweit ist nicht relevant, ob die Stangen mindestens ein Gewinde aufweisen oder nicht, sondern lediglich, dass sie die zweite Dämmstofflage jedenfalls nicht vollständig durchdringen.
- Im Ergebnis ist damit bei der angegriffenen Ausführungsform das nicht wortsinngemäß verwirklichte Merkmal der Gewindestangen oder Metallstangen mit einseitigem oder zweiseitigem Gewindeansatz durch die gewindelosen Metallstangen gleichwirkend ersetzt, wobei auch diese Ausgestaltung insgesamt das technische Problem löst, das der klagegebrauchsmustergemäßen Lehre zugrunde liegt.
- b.
Zudem haben seine Fachkenntnisse den Fachmann im Prioritätszeitpunkt befähigt, die abgewandelte Ausführung mit ihren abweichenden Mitteln als gleichwirkend aufzufinden. - Die Auffindbarkeit der abgewandelten Lösung liegt dann vor, wenn die bereits bei der Auslegung des Schutzrechtsanspruchs heranzuziehenden Kenntnisse und Fähigkeiten der Fachwelt bei der Befassung mit dem Schutzrecht die Bewertung erlauben, dass aus fachlicher Sicht von einem oder einzelnen Merkmalen des Schutzrechtsanspruchs abgesehen und stattdessen ein oder mehrere bestimmte andere der Fachwelt zur Verfügung stehende Mittel eingesetzt werden können (vgl. Scharen, in: Benkard, Patentgesetz, 12. Auflage 2023, § 14 Rn. 109). Der Fachmann muss befähigt sein, die abgewandelten Mittel als gleichwirkend aufzufinden (BGH, GRUR 2002, 515 (517) – Schneidmesser I; BGH, GRUR 2011, 701 (704) – Okklusionsvorrichtung; BGH, GRUR 2016, 1031 (1035) – Wärmetauscher). Entscheidend ist, ob dieser beim Studium der in den Schutzrechtsansprüchen umschriebenen Erfindung die bei der angegriffenen Vorrichtung eingesetzten abgewandelten Mittel unter Einsatz seines Fachwissens auffinden konnte. Wenn hingegen der Durchschnittsfachmann durch die in den Schutzrechtsansprüchen beschriebene Vorrichtung nicht auf den Gedanken gebracht wurde, dass er die dort beschriebene Vorrichtung auf Grund fachmännischer Überlegungen zur Erzielung der im Wesentlichen gleichen Wirkungen abwandeln kann, wie das hinsichtlich der angegriffenen Vorrichtung behauptet wird, scheidet eine Benutzung der im Klageschutzrecht unter Schutz gestellten Erfindung aus (BGH, GRUR 1988, 896 (900) – Ionenanalyse).
- In Anwendung dieser Maßstäbe ist die Auffindbarkeit zu bejahen. Aufgrund seiner Fachkenntnisse war der Fachmann im Prioritätszeitpunkt ohne weiteres in der Lage, gewindelose Metallstangen als gleichwirkendes Mittel aufzufinden. Eine erfinderische Tätigkeit oder ein erfinderischer Schritt war insoweit nicht erforderlich. Denn der Fachmann wusste, dass kraftschlüssige Verbindungen nicht nur über Schraubverbindungen oder unter Einsatz eines Gewindes hergestellt werden können. Er hat auch erkannt, dass dem Gewinde nach der Lehre des Klagegebrauchsmusters keine weitergehende Wirkung zukommt. Der Fachmann, dem zum Prioritätszeitpunkt insbesondere Federspangen bekannt waren, hat zudem gesehen, dass alle Wirkungen der Gewindestangen oder Metallstangen mit einseitigem oder zweiseitigen Gewindeansatz auch durch im Übrigen entsprechend ausgestaltete, gewindelose Metallstangen erreicht werden können. Das Auffinden des Austauschmittels bedurfte daher keines erfinderischen Schrittes.
- c.
Schließlich ist die notwendige Orientierung am Anspruch des Klagegebrauchsmusters (Gleichwertigkeit) zu bejahen. - Die Orientierung am Anspruch des Gebrauchsmusters setzt voraus, dass der Anspruch in allen seinen Merkmalen nicht nur den Ausgangspunkt, sondern die maßgebliche Grundlage für die Überlegungen des Fachmanns bildet (BGH, GRUR 2002, 515 (517) – Schneidmesser I; BGH, GRUR 2002, 519 (521) – Schneidmesser II; BGH, GRUR 2011, 701 (705) – Okklusionsvorrichtung). Beschränkt sich das Schutzrecht bei objektiver Betrachtung auf eine engere Anspruchsfassung, als dies vom technischen Gehalt der Erfindung und gegenüber dem Stand der Technik geboten wäre, darf die Fachwelt darauf vertrauen, dass der Schutz entsprechend beschränkt ist. Dem Schutzrechtsinhaber ist es dann verwehrt, nachträglich Schutz für etwas zu beanspruchen, was er nicht unter Schutz hat stellen lassen. Dies gilt selbst dann, wenn der Fachmann erkennt, dass die erfindungsgemäße Wirkung als solche über den im Schutzrechtsanspruch unter Schutz gestellten Bereich hinaus erreicht werden könnte (BGH, GRUR 2002, 515 (518) – Schneidmesser I). Deshalb ist eine Ausführungsform aus dem Schutzbereich des Schutzrechts ausgeschlossen, die zwar offenbart oder für den Fachmann jedenfalls auffindbar sein mag, von der der Leser der Schutzrechtsschrift aber annehmen muss, dass sie – aus welchen Gründen auch immer – nicht unter Schutz gestellt werden sollte (BGH, GRUR 2011, 701 (705) – Okklusionsvorrichtung; BGH, GRUR 2012, 45 (47) – Diglycidverbindung; BGH, GRUR 2016, 921 (924) – Pemetrexed).
- In Anwendung dieser Maßstäbe ist auch die notwendige Orientierung am Anspruch des Klagegebrauchsmusters gegeben. Schon der Anspruchswortlaut bringt zum Ausdruck, dass jedenfalls an dem auf der Behälteroberfläche zu befestigenden Ende der Metallstange kein Gewinde erforderlich ist und die dortige Befestigung durch Aufschweißen erfolgen kann. Bereits hier erhält der Fachmann eine Anregung, sich mit der Notwendigkeit (mindestens) eines Gewindes auseinanderzusetzen. Auch bezüglich der gemäß Merkmal 3 geforderten kraftschlüssigen Befestigung eines Sicherungs- oder Verteilblechs über die Metallstangen setzt der Anspruch – wie der Fachmann ohne Weiteres versteht – nicht zwingend eine Befestigung unter Nutzung eines Gewindes voraus. Soweit die Klagegebrauchsmusterschrift diesbezüglich eine Befestigung durch Muttern nennt (Absatz [0006]), erfolgt dies nur beispielhaft und ist explizit erst in dem abhängigen Unteranspruch 6 unter Schutz gestellt. In der Gesamtschau erkennt der Fachmann, dass die abgewandelte Lösung (gewindelose Metallstange) nicht von der Lehre des Klagegebrauchsmusters ausgeschlossen werden sollte, so dass er sie als gleichwertig einordnet.
- B.
Der von der Beklagten erhobene Formstein-Einwand greift nicht durch. - I.
Der Formstein-Einwand besagt, dass die angegriffene Ausführungsform dann nicht in den Schutzbereich eines Patents oder Gebrauchsmusters fällt, wenn die Gesamtheit ihrer teils wortsinngemäß, teils äquivalent verwirklichten Merkmale in demjenigen Stand der Technik vorweggenommen ist oder sich aus demjenigen Stand der Technik naheliegend ergibt, der für das Klagepatent maßgeblich ist (Kühnen, Handbuch der Patentverletzung, 16. Auflage 2024, Abschn. A Rn. 276). Hintergrund für den Formstein-Einwand ist die Überlegung, dass das Klageschutzrecht im Wege der Äquivalenzbetrachtung nicht auf einen Gegenstand erstreckt werden soll, der sich im vorbekannten Stand der Technik bewegt und für den der Inhaber des Klageschutzrechts deshalb im Zuge des Erteilungsverfahrens keinen Schutz hätte erhalten können. Das nicht Erteilungsfähige im Verletzungsprozess aus dem Schutzbereich auszugrenzen, ist deshalb erforderlich, weil dem Beklagten ein Rechtsbestandsangriff gegen das Schutzrecht nichts nützen würde. Angreifbar ist stets nur der erteilte und nicht der äquivalent abgewandelte Anspruchswortlaut. Ist ersterer über seine gesamte Breite schutzfähig und bloß die äquivalente Abwandlung durch den Stand der Technik vorbekannt oder nahegelegt, muss die Nichtigkeitsklage ohne Erfolg bleiben (Kühnen, Handbuch der Patentverletzung, 16. Auflage 2024, Abschn. A Rn. 276). - 1.
Der Formstein-Einwand ist auch in einem Verfahren wegen Verletzung eines Gebrauchsmusters anwendbar (vgl. BGH, GRUR 1997, 454 (456) – Kabeldurchführung). Danach muss auch im Gebrauchsmusterrecht als Grundsatz gelten, dass ein Beklagter, der wegen Schutzrechtsverletzung in Anspruch genommen wird, eine Klageabweisung erreichen kann, wenn er darlegt und beweist, dass die als äquivalent angegriffene Ausführungsform mit Rücksicht auf den Stand der Technik keine die Voraussetzungen des § 1 GebrMG erfüllende Erfindung darstellt (vgl. BGH, GRUR 1997, 454 (456) – Kabeldurchführung). - 2.
Wird der Formstein-Einwand in einem Patentverletzungsverfahren erhoben, so erfährt er eine wichtige sachliche Einschränkung dadurch, dass aufgrund der geltenden Kompetenzverteilung zwischen Erteilungsinstanzen einerseits und Verletzungsgerichten andererseits die Prüfung der Schutzfähigkeit eines Patents ausschließlich dem Patentamt vorbehalten ist, das Verletzungsgericht die Patenterteilung als gegeben hinzunehmen hat und an die im Erteilungs- oder Nichtigkeitsverfahren getroffene Entscheidung ohne eigene Prüfungsmöglichkeit gebunden ist. Die Erörterung, ob die angegriffene Ausführungsform mit Rücksicht auf den für das Klagepatent geltenden Stand der Technik keine patentfähige Erfindung darstellt, darf sich hierzu nicht in Widerspruch setzen. Dies bedingt, dass die Zugehörigkeit der als äquivalent angegriffenen Ausführungsform zum Schutzbereich nicht allein mit solchen Erwägungen verneint werden kann, die – in gleicher Weise auf den Gegenstand des Klagepatents angewendet – zu der Feststellung führen müssten, das Schutzrecht enthalte keine patentfähige Lehre zum technischen Handeln (Kühnen, Handbuch der Patentverletzung, 16. Auflage 2024, Abschn. A Rn. 280). - Der Formstein-Einwand kann deswegen nur dann zum Ziel führen, wenn der entgegengehaltene Stand der Technik überhaupt die äquivalente Abwandlung und nicht ausschließlich solche Merkmale des Patentanspruchs betrifft, die bei der angegriffenen Ausführungsform wortsinngemäß verwirklicht sind (LG Düsseldorf, GRUR 1994, 509 (511) – Rollstuhlfahrrad). Anderenfalls würde im Verletzungsprozess nicht nur die Frage untersucht, ob die konkrete Verletzungsform, die wegen ihrer äquivalenten Abwandlung vom Anspruchswortlaut als solche noch nicht Gegenstand einer Prüfung im Erteilungsverfahren gewesen ist, eine schutzfähige Erfindung darstellt, sondern es würde in unzulässiger Weise die mit der Patenterteilung für das Verletzungsgericht bindend getroffene Feststellung über die Schutzfähigkeit des Klagepatents infrage gestellt (LG Düsseldorf, GRUR 1994, 509 (511) – Rollstuhlfahrrad).
- 3.
Auch im Gebrauchsmusterrecht besteht die Einschränkung, dass der Verletzungsrichter das Schutzrecht nach Zurückweisung des Löschungsantrags des Beklagten in der bestehenden Fassung hinzunehmen hat, so dass die Frage der Schutzwürdigkeit der angegriffenen Ausführungsform nicht losgelöst hiervon beantwortet werden kann. Der Formstein-Einwand kann deshalb nicht durchgreifen, wenn er sich in seinem sachlichen Gehalt nur gegen die Schutzwürdigkeit der als schutzwürdig hinzunehmenden Lehre richtet. So ist der Formstein-Einwand zwar auch dann zulässig, wenn der vom Beklagten gegen das Klagegebrauchsmuster erhobene Löschungsantrag ganz oder teilweise bereits rechtskräftig abgewiesen worden ist (BGH, GRUR 1997, 454 (457) – Kabeldurchführung). Auch dann gilt, dass die Zugehörigkeit der als äquivalent angegriffenen Ausführungsform zum Schutzbereich nicht ausschließlich mit solchen Überlegungen verneint werden kann, die – in gleicher Weise auf den Gegenstand des Schutzrechts angewendet – zwingend zu der Feststellung führen müssten, das durch Zurückweisung des Löschungsantrages zuerkannte Schutzrecht beinhalte keine schutzrechtsfähige Lehre zum technischen Handeln (BGH, GRUR 1997, 454 (457) – Kabeldurchführung). - 4.
Ob diese Grundsätze auch auf die Konstellation des vorliegenden Verfahrens, in dem die Beklagte zwar Partei des Löschungsverfahrens ist, dieses allerdings noch nicht rechtskräftig abgeschlossen ist, Anwendung finden, muss vorliegend nicht entschieden werden, da der Formstein-Einwand im Ergebnis bereits aus anderen Gründen nicht durchgreift (siehe dazu nachfolgend unter II.). - II.
Es ist nicht feststellbar, dass die angegriffene Ausführungsform gegenüber dem Stand der Technik zum Prioritätszeitpunkt des Klagegebrauchsmusters nicht schutzfähig gewesen wäre. Die angegriffene Ausführungsform unterscheidet sich von der klagegebrauchsmustergemäßen Vorrichtung gemäß Anspruch 1 durch das Vorsehen gewindeloser Metallstangen. Das Vorsehen gewindeloser Metallstangen beinhaltet keinen erfinderischen Schritt, da diese Gestaltung für den Fachmann nahelag. Insoweit wird auf die Ausführungen im Rahmen der Äquivalenzprüfung, die hier entsprechend gelten, Bezug genommen. Gleichwohl fällt die angegriffene Ausführungsform nicht in den für die Beurteilung des Formstein-Einwandes maßgeblichen Stand der Technik, da auch sie ein klagegebrauchsmustergemäßes Sicherungs- oder Verteilblech und damit einen aus dem Formstein-Einwand herausführenden Abstand zum Stand der Technik aufweist. - 1.
Angesichts der Offenbarungen des Standes der Technik gemäß Anlagen B1 (DE 29 46 XXB A1) und B2 (C) ist die Ausgestaltung der angegriffenen Ausführungsform schutzfähig, insbesondere neu und erfinderisch. - a.
Die Ausgestaltung der angegriffenen Ausführungsform ist gegenüber dem Stand der Technik gemäß den Anlage B1 und B2 jeweils neu. Beide Entgegenhaltungen zeigen kein (der Lehre des Klagegebrauchsmusters entsprechendes) Sicherungs- oder Verteilblech, wie es die angegriffene Ausführungsform aufweist. - aa.
Das Sicherungs- oder Verteilblech der angegriffenen Ausführungsform befindet sich in flächigem Kontakt auf einer ersten Dämmstofflage und ist dort über die gewindelosen Metallstangen kraftschlüssig befestigt. Dadurch trägt es zur Befestigung der darunterliegenden Dämmstofflage bei. Auch bei der angegriffenen Ausführungsform, die sich auf dem metallischen Dach eines warmgehenden Behälters befindet, bewerkstelligt das Sicherungs- oder Verteilblech eine Wärmeableitung / Wärmeverteilung dergestalt, dass die von den Metallstangen über den Kontakt mit dem Behälterdach aufgenommene Wärme über das Sicherungs- oder Verteilblech abgeleitet und auf eine größere Fläche, nämlich seine Oberflächen, auf denen sich wiederum Dämmstofflagen befinden, verteilt wird. Dies führt dazu, dass die über das Behälterdach abgegebene Wärme nicht in die den Dämmungsaufbau insgesamt abdeckende Kunststofffolie dergestalt eingeleitet wird, dass die Gefahr einer Beschädigung dieser Folie besteht. Darüber hinaus ermöglicht das Sicherungs- oder Verteilblech die kraftschlüssige Befestigung der abdeckenden Kunststofffolie. - bb.
In dem genannten Stand der Technik sind solche bei der angegriffenen Ausführungsform vorhandenen Sicherungs- oder Verteilbleche nicht neuheitsschädlich offenbart. Beide Dokumente zeigen Drahtgeflechte, die bei der Befestigung der Dämmstofflagen zum Einsatz kommen. Dafür, dass über eine solche geflochtene Struktur, die im Vergleich zu einem (durchgehenden) Blech eine deutlich kleinere Oberfläche aufweist, eine Wärmeableitung wie bei der angegriffenen Ausführungsform erreicht werden könnte, ist nichts ersichtlich, so dass diese Bauteile bereits keine Sicherungs- oder Verteilbleche darstellen. - Dieses Ergebnis steht im Einklang mit den Ausführungen des DPMA im gegen das Klagegebrauchsmuster gerichteten Löschungsverfahren. In seinem Beschluss vom 29.03.2023 (Anlage KAP13, die hiesigen Anlagen B1 und B2 sind dort bezeichnet als D1 und D2) hat sich das DPMA mit beiden Entgegenhaltungen auseinandergesetzt und ausgeführt, Sicherungs- oder Verteilbleche (im Sinne des Klagegebrauchsmusters) seien jeweils nicht offenbart, da ein Drahtgeflecht aufgrund seiner Struktur weder als Sicherungseinrichtung noch zur Wärmeverteilung dienen könne (Anlage KAP13, S. 6).
- b.
Die Ausgestaltung der angegriffenen Ausführungsform beinhaltet gegenüber dem vorgenannten Stand der Technik zudem einen erfinderischen Schritt. Die Ausgestaltung der angegriffenen Ausführungsform, die mit Ausnahme des Einsatzes gewindeloser Metallstangen der Lehre des Klagegebrauchsmusters entspricht, ist nicht durch eine Kombination der Anlage B1 oder der Anlage B2 mit der Anlage B10 (Prospekt „D“, Fa. E) nahegelegt. - aa.
Auch wenn die Beklagte bislang im hiesigen Verfahren zu der Anlage B10 nicht im Einzelnen vorgetragen hat, so ist die Kammer dennoch zu der Überzeugung gelangt, dass auch diese Entgegenhaltung kein Sicherungs- oder Verteilblech im Sinne der angegriffenen Ausführungsform (und des Klagegebrauchsmusters) offenbart. Die Figur auf Seite 4 unten der Anlage B10 zeigt ein solches Sicherungs- und Verteilblech nicht. - Soweit die Beklagte zum Löschungsverfahren ausführt, das DPMA habe die Funktion des Sicherungs- oder Verteilblechs nicht richtig erkannt, überzeugt dies nicht. Insoweit meint die Beklagte, da das Klagegebrauchsmuster die Aufgabe zum Gegenstand habe, ein Behälterdach thermisch zu isolieren, sei die dem Sicherungs- oder Verteilblech durch das DPMA zugeordnete Funktion der Verteilung von Wärme äußerst fraglich, da dem Behälter ja gerade keine oder möglichst wenig Wärme entzogen werden solle. Angesichts dessen sehe sie, die Beklagte, die eigentliche Funktion des Sicherungs- oder Verteilblechs weiterhin im mechanischen Bereich, nämlich in der Sicherung des Dämmungsaufbaus und der Verteilung der angreifenden Kräfte (Windsog).
- Dem folgt die Kammer nicht. Sowohl bei der angegriffenen Ausführungsform als auch bei der Ausgestaltung gemäß dem Klagegebrauchsmuster kommt dem Sicherungs- oder Verteilblech durchaus die Funktion zu, Wärme zu verteilen. Dabei verkennt die Kammer nicht, dass das Sicherungs- oder Verteilblech nicht besonders viel Wärme aufnehmen, ableiten und verteilen soll. Es nimmt aber die zwangsläufig über die auf dem metallischen Behälterdach angeschweißten Metallstangen aufgenommene Wärme auf und leitet diese ab, hält sie insbesondere von der Kunststoffisolierung fern. Diese in der angegriffenen Ausführungsform verwirklichte Funktion steht in Einklang mit der Aufgabenstellung des Klagegebrauchsmusters, die Ableitung bzw. Verteilung der (zwangsläufig übertragenen) Wärme durch Montieren eines Sicherungs- und Verteilblechs zu bewerkstelligen, um Beschädigungen der abdeckenden Kunststofffolie durch zu großen Wärmeeintrag zu vermeiden.
- Die aus der Anlage B10 bekannten Z-Profile beinhalten keine solchen Sicherungs- oder Verteilbleche und legen eine der angegriffenen Ausführungsform entsprechende Ausgestaltung auch nicht nahe. Es ist nichts dafür ersichtlich, dass die Vorrichtung, wie sie in Figur auf Seite 4 unten der Anlage B10 gezeigt ist, überhaupt – wie die angegriffene Ausführungsform – an einem warmgehenden Behälter-, Speicher- oder Tankdach verwendet werden könnte. Denn die Befestigung der dortigen Konstruktion erfolgt über sog. Shedrock-Sonderschrauben und greift in eine darunterliegende Betontragschale (der Dachkonstruktion) ein. Bei Behälter-, Speicher- und Tankdächern ist jedoch – wie auch das Klagegebrauchsmuster lehrt – ein Eingriff in das Dach unbedingt zu vermeiden. Hinzu kommt, dass die gesamte in der Figur auf Seite 4 unten der Anlage B10 gezeigte Dämmkonstruktion schon grundsätzlich von der Ausgestaltung des Dämmungsaufbaus, den die angegriffene Ausführungsform zeigt, abweicht. So sieht dieser Stand der Technik etwa nur eine Dämmstofflage sowie eine Dämmplatte mit Stufenfalz vor.
- Im Ergebnis offenbaren daher – auch unter Berücksichtigung der Argumentation der Beklagten zum Löschungsverfahren – weder die Anlagen B1 oder B2 noch die Anlage B10 ein der Ausgestaltung der angegriffenen Ausführungsform entsprechendes (und auch klagegebrauchsmustergemäßes) Sicherungs- oder Verteilblech.
- Bezüglich der Offenbarung eines Sicherungs- oder Verteilblechs durch die Anlage B10 scheint die Auffassung der Kammer von derjenigen des DPMA abzuweichen, das in seinem Beschluss vom 29.03.2023 geäußert hat, lediglich das Z-Blechprofil gemäß der Anlage B10 weise ein Sicherungs- oder Verteilblech als Bestandteil des Z-Profils auf (Anlage KAP13, S. 9). Allerdings liegt darin nach Auffassung der Kammer lediglich ein scheinbarer Widerspruch. Denn auch das DPMA hat ausgeführt, um durch Kombination mit der Anlage B1 oder B2 zu einer klagegebrauchsmustergemäßen Ausgestaltung zu kommen, sei der Fachmann gezwungen, die Ausgestaltung des Z-Blechprofils gemäß der Anlage B10 umzuformen (Anlage KAP13, S. 9f.). In Bezug auf die Kombination mit der Anlage B1 legt das DPMA weiter dar, der Fachmann müsse den Steg und die Auflagefläche des Profils beseitigen, um zu einem Sicherungs- oder Verteilblech zu gelangen, das zur Installation in einem klagegebrauchsmustergemäßen Dämmungsaufbau geeignet sei (Anlage KAP13, S. 9, 2. Absatz). Eine Ausgestaltung eines Sicherungs- oder Verteilblechs, das einen Dämmungsaufbau entsprechend der Merkmale 2.2, 3 und 4 ermöglicht, ist der Anlage B10 daher offenbar auch nach Auffassung des DPMA, an die die Kammer ohnehin nicht gebunden ist, nicht zu entnehmen.
- bb.
Schließlich ist auf Grundlage des vorgetragenen Sach- und Streitstandes auch keinerlei Anlass für den Fachmann ersichtlich, den Stand der Technik gemäß der Anlagen B1 und / oder B2 mit dem Stand der Technik gemäß der Anlage B10 zu kombinieren. - cc.
Selbst wenn der Fachmann die Entgegenhaltungen miteinander kombiniert hätte, wäre er nicht zu einer der angegriffenen Ausführungsform entsprechenden Ausgestaltung gekommen. Denn auch bei Kombination dieser Entgegenhaltungen hätte es nicht nahegelegen, ein über gewindelose Metallstangen am Behälterdach befestigtes Sicherungs- oder Verteilblech vorzusehen, das zwischen zwei Dämmstofflagen liegt und zur Befestigung einer auf der zweiten Dämmstofflage befindlichen Kunststofffolie dient. - 2.
Darüber hinaus ist auch nicht erkennbar, dass die angegriffene Ausführungsform unter Berücksichtigung des weiteren, bislang lediglich in das Verletzungsverfahren eingeführten Standes der Technik gemäß der Anlagen B12 und B13 nicht schutzfähig gewesen wäre. - a.
Es ist schon nicht erkennbar, dass der Fachmann den Stand der Technik gemäß der Anlagen B12 und/oder B13 bei der Suche nach einem (verbesserten) Dämmungsaufbau für warmgehende Behälter überhaupt berücksichtigt hätte. Denn es handelt sich insoweit um Unterlagen, die die allgemeine Gestaltung von Flachdächern betreffen. Dass diese sich mit der Problematik der Dämmung warmgehender Behälter befassen würden, ist weder vorgetragen noch ersichtlich. Dass der Fachmann bei der Entwicklung eines Dämmungsaufbaus für warmgehende Behälter keine allgemeinen Regeln für die Dämmung von Flachdächern zur Problemlösung heranziehen würde, wird auch durch die Ausführungen in Absatz [0003] der Klagegebrauchsmusterschrift belegt, nach denen zur Abdichtung von Flachdächern oder zur Abdichtung von Dämmung auf Leichtdächern bekannte Dämmungsaufbauten bei großen Behälter-, Speicher- oder Tankdächern aus mehreren, dort im Einzelnen aufgeführten Gründen nicht anwendbar sind. - Die schlichte Behauptung der Beklagten, der maßgebliche Fachmann verfüge fraglos über Kenntnisse im Bereich des Dachdeckerhandwerks und würde daher unter anderem Vorschriften und Veröffentlichungen für Flachdächer und geneigte Dächer heranziehen, da ein (leicht) gewölbtes Behälterdach mit diesen eine sehr große Ähnlichkeit habe und von den handwerklichen Anforderungen weitgehend identisch sei, führt nicht zu einer anderen Beurteilung. Ein wesentlicher Unterschied ergibt sich jedenfalls aus der Kombination der Metalloberfläche des Behälterdachs mit den möglichen hohen Mediumstemperaturen im befüllten Behälter. Dies führt – wie auch das Klagegebrauchsmuster erläutert – dazu, dass (zu) hohe Mediumstemperaturen über das Dach nach außen geleitet werden und dort die Abdichtung der Dämmungskonstruktion (nämlich die Integrität der abdichtenden Kunststofffolie) gefährden. Dass dieses Problem auch im Rahmen der Dämmung üblicher Gebäudedächer auftreten oder in den Anlagen B12 oder B13 angesprochen würde, ist weder dargelegt noch erkennbar.
- b.
Selbst wenn der Fachmann die Anlagen B12 und B13 berücksichtigen und mit dem weiteren angeführten Stand der Technik (insbesondere Anlagen B1 und B2) kombinieren würde, käme er nicht ohne erfinderischen Schritt zur Ausgestaltung der angegriffenen Ausführungsform. Das bei der angegriffenen Ausführungsform vorhandene Sicherungs- oder Verteilblech, das entsprechend der Merkmale 2.2, 3 und 4 des Klagegebrauchsmusters ausgestaltet ist, ist auch in den von der Beklagten bezeichneten Stellen der Anlagen B12 und B13 nicht offenbart. - aa.
Die Anlage B12 erläutert zwar die Möglichkeiten einer mechanischen Linienbefestigung (Anlage B12, S. 19). Die Offenbarung eines zwischen zwei Dämmstofflagen befindlichen Blechs, das von (auf dem Behälterdach aufgeschweißten) Metallstangen vollständig durchdrungen wird, kraftschlüssig auf einer ersten Dämmstofflage befestigt ist und zugleich eine kraftschlüssige Verbindung mit einer die zweite Dämmstofflage abdeckenden Kunststofffolie aufweist, ist aber nicht erkennbar. - bb.
Die Anlage B13 nennt zwar an den von der Beklagten aufgeführten Stellen (Anlage B13, S. 17 bis 20) die Möglichkeit einer Linienbefestigung mit Metallblechen (Anlage B13, S. 17 unter 4.8 (6) und (7) sowie S. 19f. unter 4.10.4.1, dort insbesondere unter (1), (3)ff. und (8)). Auf Seite 20 unter Punkt 4.10.4.1 (8) ist ausdrücklich aufgeführt, dass mit der Befestigung der Dachabdichtung gleichzeitig unter anderem auch die Dämmschicht befestigt werden kann. Weiter heißt es dort, dass es notwendig ist, die Dämmplatten für sich getrennt, mechanisch oder durch Kleben, zu befestigen, wenn sie nicht ausreichend durch die Befestigung der Dachbahnen erfasst werden. Dem könnte der Fachmann, wenn er die Anlage B13 heranziehen würde, entnehmen, dass eine unterhalb der Dachbahn befindliche Dämmschicht mechanisch, etwa durch Linienbefestigung mit Hilfe von Metallblechen, befestigt werden kann. Eine Ausgestaltung gemäß der Merkmale 2.2, 3 und 4 ergibt sich daraus aber nicht. Dass das zur Befestigung nach Anlage B13 eingesetzte Blech auf einer ersten Dämmstofflage befestigt wäre (Merkmal 3), dass es von Metallstangen vollständig durchdrungen würde (Merkmal 2.2), und dass es ebenfalls kraftschlüssig mit abdeckenden Kunststofffolie verbunden wäre (Merkmal 4), ist nicht gezeigt. - Somit ist nicht dargelegt oder ersichtlich, dass ausgehend von dem angeführten Stand der Technik für den Fachmann eine der angegriffenen Ausführungsform entsprechende Konstruktion – also eine Ausgestaltung gemäß den Merkmalen des Anspruchs 1 des Klagegebrauchsmusters mit der Abweichung, dass Gegenstand des Merkmals 2 und der darauf rückbezogenen Merkmale „gewindelose Metallstangen“ sind – nahegelegen hätte.
- 3.
Im Ergebnis hat die Beklagte keine Umstände dargelegt, aus denen sich ergeben würde, dass die angegriffene Ausführungsform angesichts des Standes der Technik im Prioritätszeitpunkt des Klagegebrauchsmusters nicht schutzfähig gewesen wäre, so dass der Formstein-Einwand nicht durchgreift. Die äquivalente Benutzung durch die angegriffenen Ausführungsform fällt in den Schutzbereich des Klagegebrauchsmusters. - C.
Das Klagegebrauchsmuster ist zur Überzeugung der Kammer schutzfähig im Sinne von § 1 Abs. 1 GebrMG, so dass der Rechtsstreit nicht mit Blick auf das zwischen den Parteien des hiesigen Rechtsstreits in der Beschwerdeinstanz anhängige Löschungsverfahren auszusetzen ist. - I.
Gemäß §§ 13 Abs. 1, 15 Abs. 1 Nr. 1 GebrMG wird der Gebrauchsmusterschutz durch die Eintragung (§ 11 GebrMG) nicht begründet, soweit gegen den als Inhaber Eingetragenen für jedermann ein Anspruch auf Löschung besteht. Ein solcher Löschungsanspruch besteht nach § 15 Abs. 1 Nr. 1 GebrMG dann, wenn der Gegenstand des Gebrauchsmusters nach den §§ 1 bis 3 GebrMG nicht schutzfähig ist. Nach den §§ 1 bis 3 GebrMG sind solche Erfindungen einem Gebrauchsmusterschutz zugänglich, die neu sind und auf einem erfinderischen Schritt beruhen. - 1.
Sofern das Verletzungsgericht das Klagegebrauchsmuster nicht für zweifelsfrei schutzunfähig hält und den Verletzungsrechtsstreit deshalb bei einem parallelen Löschungsverfahren gemäß § 19 S. 2 GebrMG zwingend aussetzen muss, ist dem Gericht grundsätzlich gemäß § 19 S. 1 GebrMG ein Aussetzungsermessen eröffnet, wenn es Zweifel an der Schutzfähigkeit hat. Diese Zweifel müssen berechtigt sein, nämlich an konkrete Aspekte der Rechtsbestandsprüfung anknüpfen. Nicht erforderlich ist hingegen, dass das Gericht die Schutzunfähigkeit für überwiegend wahrscheinlich hält, denn anders als bei einem Patent ist die Prüfung der Schutzfähigkeit des Gebrauchsmusters nicht gesetzlich dem Patentamt vorbehalten. Die Aussetzung ist daher bereits dann angebracht, wenn die Möglichkeit der Löschung oder Teillöschung nicht fernliegt (Engel, in: Benkard, Patentgesetz, 12. Auflage 2023, § 19 GebrMG, Rn. 6). Die Schutzfähigkeit eines Gebrauchsmusters muss dagegen positiv zur Überzeugung des Verletzungsgerichts feststehen, wenn es aus dem Gebrauchsmuster verurteilen will (OLG Düsseldorf, Beschluss vom 11.06.2018, I-15 W 30/18, Rn. 5 – zitiert nach juris; Kühnen, Handbuch der Patentverletzung, 16. Auflage 2024, Abschn. E Rn. 1078). - 2.
Dieser grundsätzlich geltende verringerte Prüfungsmaßstab ist allerdings regelmäßig nicht mehr anzuwenden, wenn eine Rechtsbestandsentscheidung vorliegt, die die Vermutung der Rechtsbeständigkeit des Gebrauchsmusters (in seiner geltend gemachten Fassung) begründet. Denn dann handelt es sich nicht mehr nur um ein ungeprüftes Schutzrecht, sondern die Rechtsbestandssituation ist vergleichbar mit derjenigen, die bei einem – nach Prüfung durch das fachkundige Amt – erteilten Patent besteht. Auch wenn das Verletzungsgericht im Gebrauchsmusterverletzungsverfahren selbstständig über die Schutzfähigkeit des Gebrauchsmusters zu entscheiden hat, erscheint es sachgerecht, in einer solchen Situation denselben Maßstab anzuwenden wie bei einer Aussetzungsentscheidung betreffend ein Patent nach § 148 ZPO und somit der von einer fachkundigen Stelle beschiedenen Rechtsbeständigkeit Beachtung zu verleihen (OLG Düsseldorf, Urteil vom 18.07.2019, 15 U 46/18, Rn. 104– zitiert nach juris; OLG Karlsruhe, GRUR 2014, 352 (354) – Stanzwerkzeug; Kühnen, Handbuch der Patentverletzung, 16. Auflage 2024, Abschn. E Rn. 1075). Aufgrund der Prüfung und Bejahung der Schutzfähigkeit durch die fachkundige Gebrauchsmusterabteilung besteht nunmehr eine Vermutung zu Gunsten des Rechtsbestands des Gebrauchsmusters, der zumindest gleiches Gewicht beizumessen ist wie derjenigen, die an die Erteilung eines Patents anknüpft (OLG Karlsruhe, GRUR 2014, 352 (354) – Stanzwerkzeug). - II.
Nach den vorstehend dargestellten Maßstäben spricht hier angesichts der erstinstanzlichen Entscheidung der Gebrauchsmusterabteilung eine Vermutung für den Rechtsbestand des Klagegebrauchsmusters. Diese führt jedenfalls dazu, dass die Aussetzung des Rechtsstreits nach § 19 GebrMG i.V.m. § 148 ZPO entsprechend den für ein Patent geltenden Maßstäben zu prüfen ist und es somit hinreichender Erfolgsaussichten des anhängigen Beschwerdeverfahrens bedarf. Solche sind vorliegend nicht gegeben. In Anwendung der vorstehend dargestellten Maßstäbe ist die Kammer von der Schutzfähigkeit des Klagegebrauchsmusters überzeugt. - 1.
Angesichts der Lehre der Entgegenhaltungen gemäß Anlagen B1 (DE 29 46 XXB A1) und B2 (C) ist die Lehre des Klagegebrauchsmusters schutzfähig, insbesondere neu und erfinderisch. Beide Entgegenhaltungen zeigen kein der Lehre des Klagegebrauchsmusters entsprechendes Sicherungs- oder Verteilblech. Auch eine etwaige Kombination mit der Anlage B10 (Prospekt „D“, Fa. E) legt die klagegebrauchsmustergemäße Ausgestaltung nicht nahe, so dass sie auch gegenüber diesem Stand der Technik erfinderisch ist. Insoweit wird auf die vorstehenden Ausführungen zum Formstein-Einwand verwiesen, die hier entsprechend gelten. Das Klagegebrauchsmuster grenzt sich jedenfalls durch das Vorsehen eines den Merkmalen 2.2, 3 und 4 entsprechenden Sicherungs- oder Verteilblechs, das auch die angegriffene Ausführungsform aufweist, ausreichend vom Stand der Technik ab. - 2.
Die Anlagen B12 und B13 sind bislang nicht in das Löschungsverfahren eingebracht, so dass eine Aussetzung im Hinblick auf diese Entgegenhaltungen bereits nicht in Betracht kommt. Im Übrigen würden auch insoweit die Ausführungen im Zusammenhang mit dem Formstein-Einwand entsprechend gelten. - D.
Aufgrund der unberechtigten Nutzung des Klagegebrauchsmusters ergeben sich die nachstehend aufgeführten Rechtsfolgen. - I.
Der Klägerin steht der geltend gemachte Unterlassungsanspruch gegen die Beklagte aus § 24 Abs. 1 S. 1 GebrMG zu. Die insoweit erforderliche Begehungsgefahr ergibt sich in Form der Wiederholungsgefahr aus der bereits eingetretenen Verletzung des Klagegebrauchsmusters. Die Beklagte hat die Wiederholungsgefahr auch nicht durch Abgabe einer strafbewehrten Unterlassungserklärung ausgeräumt. - II.
Darüber hinaus besteht dem Grunde nach ein Anspruch der Klägerin auf Zahlung von Schadensersatz gegen die Beklagte. Der Anspruch beruht auf § 24 Abs. 1, 2 GebrMG. - 1.
Wird ein Gebrauchsmuster verletzt, kann, da es ohne materielle Prüfung seiner Schutzfähigkeit eingetragen wird, ein Verschulden nur angenommen werden, wenn der Benutzer mit der Schutzfähigkeit rechnen musste (vgl. OLG Düsseldorf, GRUR-RS 2018, 13140). - So liegt es hier. Die Beklagte beging die Gebrauchsmusterverletzung schuldhaft. Als Fachunternehmen hätte sie die Schutzrechtsverletzung bei Anwendung der im Geschäftsverkehr erforderlichen Sorgfalt zumindest erkennen können, § 276 BGB. Sie musste zudem mit der Schutzfähigkeit des Gebrauchsmusters rechnen. Insbesondere hätte sie erkennen können, dass ein klagegebrauchsmustergemäßes Sicherungs- oder Verteilblech die Lehre des Klagegebrauchsmusters ausreichend vom Stand der Technik abgrenzt.
- 2.
Darüber hinaus ist nicht unwahrscheinlich, dass der Klägerin durch die Gebrauchsmusterverletzung ein Schaden entstanden ist. Das für die Zulässigkeit des Feststellungsantrags erforderliche Feststellungsinteresse ergibt sich daraus, dass die Klägerin derzeit nicht in der Lage ist, die Höhe des ihr zustehenden Schadensersatzes zu beziffern und ohne eine rechtskräftige Feststellung der Schadensersatzpflicht die Verjährung ihrer Ansprüche droht. - III.
Der Anspruch auf Auskunft über die Herkunft und den Vertriebsweg der angegriffenen Ausführungsform ergibt sich aufgrund der unberechtigten Benutzung des Erfindungsgegenstands unmittelbar aus § 24b Abs. 1 GebrMG, der Umfang der Auskunftspflicht aus § 24b Abs. 3 GebrMG. - Die weitergehende Auskunftspflicht und die Verpflichtung zur Rechnungslegung folgen aus §§ 242, 259 BGB, damit die Klägerin in die Lage versetzt wird, den ihr zustehenden Schadensersatzanspruch zu beziffern. Die Klägerin ist auf die tenorierten Angaben angewiesen, über die sie ohne eigenes Verschulden nicht verfügt, und die Beklagte wird durch die von ihr verlangten Auskünfte nicht unzumutbar belastet.
- IV.
Weiterhin stehen der Klägerin gegen die Beklagte die tenorierten Ansprüche auf Rückruf und Vernichtung nach § 24a Abs. 1 GebrMG und § 24a Abs. 2 GebrMG zu. Dass die Inanspruchnahme insoweit unverhältnismäßig wäre, ist weder geltend gemacht noch auf Grundlage des vorgetragenen Sach- und Streitstandes ersichtlich. - E.
Die in der mündlichen Verhandlung beantragten Schriftsatzfristen waren nicht zu gewähren. Insbesondere war der Beklagten keine Schriftsatzfrist zur Erwiderung auf etwaigen neuen Tatsachenvortrag im Schriftsatz der Klägerin vom 31.05.2024 einzuräumen. Der nicht nachgelassene Schriftsatz der Beklagten vom 28.06.2024 bietet keinen Anlass zur Wiedereröffnung der mündlichen Verhandlung, insbesondere enthält er keine Erwiderung auf etwaigen neuen, entscheidungserheblichen Tatsachenvortrag aus dem Schriftsatz vom 31.05.2024. - F.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 Abs. 1 ZPO, die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit folgt aus § 709 ZPO. - Streitwert: 500.000,00 EUR
