Düsseldorfer Entscheidungen Nr. 3373
Landgericht Düsseldorf
Urteil vom 21. März 2024, Az. 4c O 14/23
- I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Die Kosten des Rechtsstreits werden der Klägerin auferlegt.
III. Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages vorläufig vollstreckbar. - Tatbestand
- Die Klägerin begehrt von der Beklagten Schadensersatz infolge einer Abmahnung aus dem deutschen Patent DE 10 2013 113 XXA (Anlage CBH 4; im Folgenden auch: Klagepatent E) sowie aufgrund einer erwirkten und vollzogenen einstweiligen Verfügung aus demselben Patent.
- Die Klägerin gehört zum weltweit tätigen Unternehmen der B Gruppe, welche im Jahr 1XXB gegründet wurde. Die Produktpalette der Klägerin umfasst u.a. elektronische Schaltgeräte und Motorsteuerungen, Feldbus-Komponenten und Feldbus-Systeme, industrielle Kommunikationstechnik, Mess-, Steuerungs- und Regelungstechnik, elektrische Schutzgeräte sowie insbesondere auch Stromversorgungseinrichtungen.
- Die Beklagte ist Teil der C-Gruppe, einem weltweit tätigen Technologieunternehmen mit Sitz in D, der aus dem Jahr 1XXC stammt. Maßgebliches Tätigkeitsfeld der Beklagten ist die Verbindungstechnik, wobei die Beklagte insbesondere die Produktion verantwortet (vgl. Anlage CBH 1). Die noch im Handelsregister eingetragene Komplementärin E GmbH ist bereits im Jahr 2021 auf die weitere persönlich haftende Gesellschafterin F & Co. KG verschmolzen worden und infolge dessen im Handelsregister gelöscht (vgl. Anlagen CBH 2, 3). Die Beklagte firmierte in der Vergangenheit und bis zu der umfassenden Umstrukturierung Ende 2021 als G GmbH & Co KG.
- Vorliegend erhob die Klägerin gegen das Klagepatent E am 28. Juni 2017 zulässig und fristgemäß beim Deutschen Patent- und Markenamt Einspruch. Mit Beschluss in der Anhörung vom 07. Mai 2019 hielt die Einspruchsabteilung des DPMA das Patent der Beklagten beschränkt aufrecht (Anlage CBH 5). Die Klägerin legte gegen diesen Beschluss am 15. Mai 2019 Beschwerde zum BPatG ein. Mit Beschluss vom 09. August 2021 hob das BPatG die Entscheidung des DPMA auf und widerrief das Patent der Beklagten vollständig (Anlage CBH 6). Die Beklagte erhob hiergegen am 22. November 2021 eine nicht zugelassene Rechtsbeschwerde zum BGH (Az: X ZB 10/21), über welche bis zum Schluss der mündlichen Verhandlung vor der Kammer noch nicht entschieden wurde.
- Unmittelbar nach der Entscheidung des DPMA in der Anhörung im Mai 2019 über den Einspruch der Klägerin gegen das Klagepatent E und ohne die schriftliche Begründung der Entscheidung abzuwarten, mahnte die Beklagte die Klägerin am 09. Mai 2019 mit anwaltlichem Schreiben ab und forderte sie bis zum 16. Mai 2019 zur Abgabe einer strafbewehrten Unterlassungserklärung auf (Anlage CBH 7). Die Beklagte kam dieser Aufforderung nicht nach.
- Mit Antrag vom 17. Mai 2019 beantragte die Beklagte vor der hiesigen Kammer des Landgerichts Düsseldorf den Erlass einer einstweiligen Verfügung auf Unterlassung und Auskunftserteilung wegen der vermeintlichen Patentverletzung des Klagepatents E durch die Halterahmen der Klägerin in ihrer ursprünglichen Ausgestaltung. Die Kammer erließ die Unterlassungsverfügung gegen Anordnung einer Sicherheitsleistung der Beklagten nach mündlicher Verhandlung mit Urteil vom 05. September 2019, wobei der Antrag zur Erteilung von Auskünften abgewiesen wurde (vgl. Az. 4c O 30/19). Die Verfügungsklägerin und hiesige Beklagte ließ das Urteil am 17. September 2019 an die Klägervertreter durch einen Gerichtsvollzieher zustellen und übergab gleichzeitig eine Bankbürgschaft vom 10. September 2019 als Sicherheit (vgl. Anlage CBH 8). Auf die Berufung gegen das Kammerurteil im einstweiligen Verfügungsverfahren wurde dieses aufgrund nur fehlerhaft erbrachter Sicherheitsleistung durch Urteil des OLG Düsseldorf am 25. Juni 2020 aufgehoben und der Verfügungsantrag zurückgewiesen (Anlage CBH 9).
- In Reaktion auf die Aufhebung der einstweiligen Verfügung erweiterte die Beklagte vor der Kammer ein bereits in der Hauptsache anhängiges Verletzungsverfahren um das hiesige Klagepatent E. Denn neben dem Verfahrenskomplex zum Klagepatent E waren vor der Kammer weitere Verletzungsverfahren gegenständlich, in denen die Beklagte gegen die Klägerin die Verletzung von zwei Patenten sowie zwei Gebrauchsmustern durch Halterahmen der Klägerin geltend machte. Die geltend gemachten Schutzrechte entstammen einer Patentfamilie, die auf zwei Patente zurückgeht, das Patent DE 10 2013 113 XXD (im Folgenden auch: Klagepatent D) und das hiesige Klagepatent E.
- Mit Urteil vom 8. April 2021 verurteilte die Kammer die Klägerin sodann aufgrund einer Verletzung des Klagepatents E, geltend gemacht in der Hauptsache. Die Berufung gegen dieses Urteil ist beim OLG Düsseldorf seit dem 07. Mai 2021 anhängig (Az.: I-2 U 10/21). Auf den vollständigen Widerruf des Klagepatents E durch das Bundespatentgericht setzte das OLG Düsseldorf den Rechtsstreit nach § 148 ZPO bis zur Rechtskraft dieser Entscheidung aus.
- Hinsichtlich des Klagepatents D verurteilte die Kammer die Klägerin antragsgemäß wegen Patentverletzung (Az. 4c O 78/18), was vom OLG Düsseldorf bestätigt wurde (Az. I-2 U 13/20; Anlage ES 3), wobei dieser Verurteilung eine eingeschränkte Anspruchsfassung zugrundelag, wie sie vom DPMA Anfang Oktober 2020 beschlossen wurde. Gegen das OLG-Urteil legte die Klägerin Nichtzulassungsbeschwerde ein. Im parallelen Rechtsbestandsverfahren hat das BPatG das Klagepatent D gemäß Hilfsantrag R eingeschränkt aufrechterhalten (Anlage CBH 13). Hiergegen geht die Beklagte im Wege der nichtzugelassenen Rechtsbeschwerde zum BGH vor. Auch diese Entscheidungen des BGH lagen bis zum Schluss der mündlichen Verhandlung in dem hiesigen Rechtsstreit nicht vor.
- Anspruch 1 des Klagepatents E lautet in der von der Einspruchsabteilung aufrechterhaltenen Fassung gemäß Hilfsantrag C wie folgt (vgl. Anlage CBH 5, S. 30 f. GA):
-
1. Halterahmen für einen Steckverbinder zur Aufnahme gleichartiger und/oder unterschiedlicher Module (3, 3′),
1.1 mit einem Grundabschnitt zur Fixierung eines aufgenommenen Moduls in einer Ebene und
1.2 mit einem Verformungsabschnitt, der einen Einführzustand und einen Haltezustand annehmen kann.
2. Der Einführzustand erlaubt ein Einführen wenigstens eines Moduls in einer Richtung quer zur Ebene in den Halterahmen.
3. Im Haltezustand ist ein aufgenommenes Modul fixiert
4. Der Grundabschnitt und der Verformungsabschnitt sind wenigstens teilweise aus unterschiedlichen Werkstoffen gebildet.
5. Der Grundabschnitt ist als Grundrahmen (1) ausgeführt.
6. Der Verformungsabschnitt ist als wenigstens zwei einander gegenüberliegende Wangenteile (2, 2′) am Grundrahmen (1) ausgeführt.
7. Die Wangenteile (2, 2′) weisen jeweils federelastische Laschen (22, 22′) auf,
7.1 die sich in der Richtung quer zur Ebene über einen umlaufenden Abschnitt das Grundrahmens (1) hinaus erstrecken und
7.2 in denen jeweils ein Rastfenster (23, 23′) als Rastelement zur Aufnahme einer Rastnase (31, 31′) eines Moduls (3, 3′) angeordnet ist und
7.3 wobei benachbarte Laschen (22, 22′) durch einen in dem jeweiligen Wangenteil (2, 2′) hinein verlaufenden Schlitz (21, 21′) gebildet sind. - Nachfolgende verkleinert wiedergegebene Figuren sind der Klagepatentschrift entnommen und beziehen sich auf ein Ausführungsbeispiel. Die Figur 1 zeigt einen Grundrahmen, die Figuren 2a und 2b ein erstes Wangenteil aus zwei verschiedenen Perspektiven und die Figuren 4a und 4b einen Halterahmen mit einem eingefügten PE-Modul aus zwei verschiedenen Perspektiven.
- Die Klägerin ist der Ansicht, dass der geltend gemachte Zahlungsanspruch sowohl aus unberechtigter Abmahnung als auch als Vollziehungsschaden aufgrund der einstweiligen Verfügung folge. Hierzu behauptet sie, unter dem Eindruck der Abmahnung und Drohung der gerichtlichen Durchsetzung des Klagepatents E durch die Beklagte die Produktion ihrer eigenen, abgemahnten Halterahmen auf eine andere technische Lösung so umgestellt zu haben, dass das behauptete Schutzrecht der Beklagten nicht mehr berührt werde. Dazu seien Entwicklungs- und Umbauarbeiten an den Produktionsmaschinen sowie den Produkten selbst erforderlich gewesen. Kataloge hätten angepasst sowie alte Auflagen vernichtet werden müssen. Printmedien, Messeexponate, Bilder und Videos hätten überarbeitet und erneuert werden müssen.
- Die unberechtigte Abmahnung habe sie in ihrem Recht am eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb verletzt. Sie habe die Handlungsfreiheit der Klägerin als Wettbewerberin beeinträchtigt. Die seitens der Klägerin angestrengten Produktionsänderungen seien haftungsbegründend auf die Abmahnung zurückzuführen. Die Abmahnung sei rechtswidrig erfolgt. Eine Güterabwägung müsse zulasten der Beklagten ausfallen. Für ein anderes Ergebnis hätte es besonderer Umstände bedurft, welche es vorliegend nicht gebe. Insbesondere sei auf Seite der Klägerin kein Informationsvorsprung vorhanden gewesen. Die Beklagte habe die unberechtigte Schutzrechtsverwarnung auch zu vertreten, da sie mindestens fahrlässig gehandelt habe. Allein das Vorliegen einer positiven Entscheidung des DPMA beseitige das Verschulden nicht, umso weniger als nicht einmal die Entscheidungsgründe vorgelegen hätten. Die Beklagte habe daher mit dem Widerruf rechnen müssen. Im Zeitpunkt der Abmahnung sei gar keine Grundlage vorhanden gewesen, auf die die Beklagte ihre gewissenhafte Prüfung und Überzeugungsbildung hätte stützen können. Sie habe lediglich auf die Entscheidung der Einspruchsabteilung vertraut, ohne eine eigene Überprüfung dieser Entscheidung auf ihre Belastbarkeit hin, vorzunehmen.
- Ebenso sei ein ersatzfähiger Vollziehungsschaden gegeben. Daran ändere die fehlerhafte Vollziehung, welche Grund für die Aufhebung der einstweiligen Verfügung war, nichts. Auch dafür habe die Beklagte einzustehen. Die Klägerin habe bereits vor der Vollziehung mit der Betriebsumstellung begonnen. Ein Zuwarten bis zur Vollziehung sei ihr nicht zumutbar gewesen. Die Vorbereitung für den Fall der Verurteilung und Vollziehung nebst der geschaffenen Möglichkeit ein alternatives Produkt führen zu können, erfülle die Verpflichtung der Klägerin Schäden gering zu halten und sei, als Ausläufer der von der Klägerin beachteten Schadensminderungspflicht von der Beklagten zu ersetzen. Es sei auch kein anderer Grund als der drohende Erlass einer einstweiligen Verfügung ersichtlich, weshalb die Klägerin hätte ihre Halterahmen verändern sollen. Bei Zuwarten bis zum Erlass einer einstweiligen Verfügung und einem damit einhergehenden Produktionsstopp wären die Kosten ungleich höher gewesen, und zudem zweifellos als Vollziehungsschaden zu qualifizieren.
- Die in Rede stehenden Ansprüche seien auch nicht von vornherein ausgeschlossen. Zulasten der Klägerin gebe es keine anderen Schutzrechte, aufgrund derer sie ohnehin zu einer Unterlassung des Vertriebs der angegriffenen Ausführungsformen angehalten sei. Soweit gegen Entscheidungen des OLG Düsseldorf sowie des BPatG Nichtzulassungsbeschwerden und Rechtsbeschwerden anhängig seien, seien diese kein Teil des regulären Rechtszugs. Im Übrigen sei nicht zu erwarten, dass insbesondere die durch die Beklagten angestrengten Verfahren erfolgreich verlaufen würden; derlei habe die Beklagte nicht aufgezeigt.
- Die Klägerin beantragt,
- die Beklagte zu verurteilen, an die Klägerin € 59.850,82 nebst Zinsen hieraus in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen.
- Die Beklagte beantragt,
- die Klage abzuweisen.
- Die Beklagte ist der Auffassung, dass die Klage unbegründet sei. Selbst wenn die Abmahnung und Vollziehung unberechtigt gewesen sein sollten, bestünden andere Unterlassungstitel, aufgrund derer die Klägerin die angegriffenen Ausführungsformen nicht in unveränderter Form hätte weitervertreiben dürfen.
- Zu berücksichtigen sei auch, dass das Klagepatent E bisher nicht rechtskräftig widerrufen worden sei, weshalb Abmahnung und Vollziehung nicht rechtswidrig gewesen seien. Zudem bestehe aus dem Kammerurteil vom 8. April 2021 zum Klagepatent E ein Unterlassungstitel gegen die Klägerin, unabhängig davon, ob das Berufungsverfahren derzeit ausgesetzt sei. Entsprechendes gelte angesichts des Klagepatents D; hier habe das OLG Düsseldorf mit Urteil vom 8. April 2021 die Kammerentscheidung vom 19. Dezember 2019 (Az. 4c O 78/18; Anlage ES 2) aufrechterhalten, und insoweit nur die Fassung des Klagepatentanspruchs an die vom DPMA eingeschränkte Anspruchsfassung angepasst. Auf die gegen die OLG-Entscheidung eingelegte Nichtzulassungsbeschwerde komme es nicht an; der Titel habe weiterhin Bestand. Darüber hinaus habe die Nichtzulassungsbeschwerde der Klägerin keine Aussichten auf Erfolg.
- Es liege überdies kein rechtswidriger Eingriff in einen eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb vor. Das Klagepatent E bestehe derzeit fort. Außerdem habe die Klägerin bereits vor Erhalt der Abmahnung vom 9. Mai 2019 mit der Entwicklung neuer geänderter Ausführungsformen begonnen. Vorgelegte Rechnungen seien am 1. Mai 2019 bestellt worden. Die Rechtswidrigkeit könne allenfalls nach einer Güter- und Interessenabwägung festgestellt werden, insbesondere bei einem Vorgehen gegen den Hersteller. Jedenfalls treffe die Beklagte kein Verschulden. Sie habe auf die erstinstanzliche Entscheidung vertrauen dürfen; selbst das BPatG habe nur aufgrund einer Dokumentenkombination, die bereits vorlag, die erfinderische Tätigkeit verneint. Dies sei der Beklagten nicht anzulasten.
- Der Anspruch auf Erstattung von Vollziehungsschaden sei aus denselben Erwägungen heraus ausgeschlossen. Im Übrigen gingen die meisten Schadensposten nicht kausal auf die einstweilige Verfügung zurück.
- Wegen des weiteren Vorbringens der Parteien wird auf die zur Akte gereichten Schriftstücke nebst Anlagen Bezug genommen.
- Entscheidungsgründe
- A.
Die zulässige, insbesondere nun vor dem zuständigen Gericht rechtshängige, Klage ist unbegründet. -
I.
Die Klägerin hat gegen die Beklagte keinen Anspruch auf Schadensersatz wegen unberechtigter Schutzrechtsverwarnung gem. § 823 Abs. 1 BGB. Ebenso wenig steht ihr ein Anspruch gem. § 945 ZPO auf Ersatz eines Vollziehungsschadens zu. -
1.
In der Rechtsprechung ist anerkannt, dass die unberechtigte Verwarnung aus einem gewerblichen Schutzrecht unter dem Gesichtspunkt eines rechtswidrigen und schuldhaften Eingriffs in das Recht am eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb zum Schadensersatz verpflichten kann. Dem liegt die Erwägung zu Grunde, dass der notwendige Ausgleich zwischen dem durch Art. 14 GG verfassungsrechtlich geschützten Interesse des Schutzrechtsinhabers, sein Recht geltend machen zu können, und dem gleichfalls durch das Grundgesetz geschützten Interesse des Wettbewerbs, sich außerhalb des Schutzbereichs bestehender Rechte unter Beachtung der Gesetze frei entfalten zu können, nicht mehr wirksam gewährleistet wäre, wenn es dem Schutzrechtsinhaber gestattet wäre, Schutz in einem Umfang zu beanspruchen, der ihm nicht zusteht und wenn er den wirtschaftlichen Nutzen aus einer schuldhaften Verkennung des Umfangs des ihm zustehenden Schutzes ziehen dürfte, ohne für einen hierdurch verursachten Schaden seiner Mitbewerber einstehen zu müssen (BGH, GRUR 2016, 630 Rn. 15 – Unberechtigte Schutzrechtsverwarnung II). Eine Abmahnung bezüglich einer Patentverletzung ist dabei regelmäßig dann unberechtigt, wenn das ihr zugrunde liegende Schutzrecht rechtskräftig vernichtet worden ist. - In entsprechender Weise kann dem Verletzer ein Schadensersatz nach § 945 ZPO zustehen, wenn eine einstweilige Verfügung beruhend auf einem rechtskräftig vernichteten Schutzrecht als von Anfang an unbegründet anzusehen ist.
-
2.
Ob die vorgenannten Voraussetzungen gegeben sind, bedarf keiner abschließenden Klärung. Denn einem etwaigen Anspruch steht hier – derzeit – schon entgegen, dass unabhängig von dem hier mitunter in Streit stehenden einstweiligen Verfügungsurteil die Klägerin auch aus anderen rechtlichen Gründen, weder die mit der Abmahnung angegriffenen Ausführungsformen noch die nunmehr abgewandelten Modelle der Halterahmen anbieten und vertreiben darf. -
a.
Für die Regelung des § 945 ZPO ist anerkannt, dass ein zu ersetzender Schaden nicht entstanden ist, wenn der durch die Vollziehung einer ungerechtfertigt ergangenen einstweiligen Verfügung Betroffene ohnehin materiell-rechtlich – etwa wegen eines anderweitigen Verstoßes gegen wettbewerbsrechtliche Bestimmungen – verpflichtet gewesen wäre, das ihm durch die einstweilige Verfügung untersagte Verhalten zu unterlassen. In einem solchen Fall entfällt zwar nicht die Kausalität zwischen der Vollziehung der einstweiligen Verfügung und der Einstellung des darin untersagten Verhaltens, für die es allein auf die reale Ursache des haftungsbegründenden Ereignisses ohne Berücksichtigung von Ersatzursachen ankommt. Ein Ersatz der durch Vollziehung einer ungerechtfertigten einstweiligen Verfügung erlittenen Vermögenseinbuße scheidet dann aus normativen Gründen aus. Ein Betroffener soll im Wege des Schadenersatzes keine Kosten ersetzt bekommen, die ihm auch bei rechtskonformem Verhalten auf jeden Fall entstanden wären (vgl. OLG Düsseldorf, Urt. v. 21.09.2023, Az. I-2 U 124/22; Cepl/Voß, Prozesskommentar zum Gewerblichen Rechtsschutz, 3. Aufl., § 945, Rn. 9 m.w.N.). - Der Anspruchsausschluss aus normativen Gründen trägt mithin dem Umstand Rechnung, dass andere materiell-rechtliche Gründe, als derjenige aus dem der Gegner des Schadensersatzanspruchs gegen den Kläger vorgegangen ist, vorhanden sind und der Kläger mit dem Schadensersatz daher einen Ausgleich erhalten würde, der ihm mangels rechtmäßigen Verhaltens nicht zustehen würde. Anknüpfungspunkt des Anspruchsausschlusses ist somit die materielle Rechtslage, unabhängig von dem (Nicht-) Bestehen von gerichtlichen Entscheidungen gegen den Schadensersatzkläger, insbesondere dann, wenn sie noch nicht rechtskräftig sind. Ein solcher Titel kann eine alternative Verhaltenspflicht allenfalls in besonderer Weise manifestieren, ist aber keine Voraussetzung für den Anspruchsausschluss. Schon das Bestehen einer anderen materiellen Verpflichtung des Klägers, ein bestimmtes Verhalten zu unterlassen, begründet aus normativen Erwägungen einen Anspruchsausschluss.
- Diese rechtliche Wertung ist auf den Schadensersatzanspruch wegen unberechtigter Schutzrechtsverwarnung zu übertragen (BGH, GRUR 2018, 832 Rn. 62, Ballerinaschuh).
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b.
Nach diesen Voraussetzungen steht den streitgegenständlichen Schadensersatzansprüchen jedenfalls das Klagepatent D entgegen. - Aus diesem heraus ist die Klägerin sowohl von der Kammer als auch bestätigend vom OLG Düsseldorf insbesondere zur Unterlassung verurteilt worden. Die Kammer ist davon überzeugt, dass die angegriffenen Ausführungsformen, wie sie Gegenstand der Abmahnung waren, Gebrauch von der technischen Lehre dieses Schutzrechts machen. Die Kammerentscheidung betraf zwar eine erste Abwandlungsform, die Verwirklichung durch die angegriffenen Ausführungsformen besteht aber erst recht.
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aa.
Das Klagepatent D lautet in der erteilten Fassung in seinem Anspruch 1 wie folgt:
„Halterahmen für einen Steckverbinder zum Einbau in ein metallisches Steckverbindergehäuse und zur Schutzerdung desselben, sowie zur Aufnahme gleichartiger und/oder unterschiedlicher Module (3), wobei der Halterahmen aus mindestens zwei verschiedenen Werkstoffen gebildet ist, von denen zumindest ein Werkstoff elektrisch leitfähig ist, dadurch gekennzeichnet, dass der Halterahmen einen Grundrahmen (1) und mindestens ein Wangenteil (2, 2′) aufweist, dass der Grundrahmen (1) als Druckgussteil ausgeführt ist, dass das mindestens eine Wangenteil (2, 2′) aus federelastischem Blech besteht, und dass das mindestens eine Wangenteil (2, 2′) im Wesentlichen flächig ausgebildet ist und eine rechteckige Grundform aufweist.“ -
bb.
Das Klagepatent D betrifft einen Halterahmen für Steckverbinder sowie Verfahren zur Herstellung eines entsprechenden Halterahmens und passender Steckverbinder. - Wie es in Absatz [0004] einleitend ausführt, werden derartige Halterahmen benötigt, um mehrere zueinander gleichartige und/oder auch unterschiedliche Module aufzunehmen. Bei diesen Modulen kann es sich beispielsweise um Isolierkörper handeln, die als Kontaktträger für elektronische und elektrische und möglicherweise auch für optische und/oder pneumatische Kontakte vorgesehen sind. Von besonderer Wichtigkeit ist es, dass der Halterahmen eine vorschriftsmäßige Schutzerdung gemäß der Steckverbinder-Norm EN61984, beispielsweise zum Einfügen des mit Modulen bestückten Halterahmens in metallische Steckverbindergehäuse, ermöglicht.
- In Absatz [0005] würdigt das Klagepatent D unter Bezugnahme auf die DE 27 36 XXE A1 solche Vorrichtungen als vorbekannt, die zur Montage von Reihenklemmen auf einer Trägerschiene (auch als „Hutschiene“ bekannt) geeignet sind, wobei ein Kamm aus Blattfedern in ein U-förmiges Profil eingesetzt ist.
- Das Klagepatent D nimmt in Absatz [0006] ferner Bezug auf die EP 0 860 XXF B1, welche einen Halterahmen zur Halterung von Steckverbindermodulen und zum Einbau in Steckverbindergehäuse bzw. zum Anschrauben an Wandflächen offenbart. Die Steckverbindermodule werden in den Halterahmen eingesetzt und wirken mit Halterungsmitteln an den Steckverbindermodulen mit an gegenüberliegenden Wandteilen des Halterahmens vorgesehenen Ausnehmungen zusammen. Dabei sind die Ausnehmungen als allseitig geschlossene Öffnungen in den Seitenteilen des Halterahmens ausgebildet. In den Absätzen [0007] und [0008] würdigt das Klagepatent weiterhin Halterahmen nach der DE 295 08 XXG U1 und der DE 20 2013 103 XXH U1 als vorbekannt.
- Ausgehend von der EP 2 581 XXI A2 beschreibt das Klagepatent D in Absatz [0009] einen Halterahmen für Steckverbindermodule, der zwei Rahmenhälften aufweist, die durch Linearverschieben der einen relativ zur anderen Rahmenhälfte miteinander verrastbar sind. An den Rahmenhälften sind jeweils zueinander korrespondierende Rastmittel vorgesehen, die aufgrund des Linearverschiebens die Rahmenhälften in zwei verschiedene Raststellungen verbringen können. Dies bewirkt eine Beabstandung der Rahmenhälften zueinander.
- Hieran kritisiert das Klagepatent D insbesondere, dass solche Halterahmen bei der Montage eine sehr aufwändige Bedienung erfordern. Denn der gesamte Rahmen muss zur Lösung/Entrastung auch nur eines Moduls aus dem Steckverbinder gelöst werden. Dabei ist möglich, dass weitere Module herausfallen, obwohl deren Entnahme nicht erwünscht ist (vgl. Absatz [0010]).
- Als weiteren Stand der Technik würdigt das Klagepatent D in Absatz [0011] die EP 1 801 927 B1 als vorbekannt, welche einen Halterahmen, bestehend aus einem einteiligen Kunststoffspritzteil, offenbart. Der Rahmen ist als umlaufender Kragen ausgebildet und verfügt an seiner Steckseite über mehrere durch Schlitze getrennte Wandsegmente. Je zwei gegenüberliegende Wandsegmente bilden einen Einfügebereich für ein Steckermodul. Dabei weisen die Wandsegmente fensterartige Öffnungen auf, um an den Schmalseiten der Module vorgesehene Vorsprünge aufzunehmen. Außerdem ist an den Wandsegmenten eine Führungsnut vorgesehen, oberhalb der Öffnungen und geformt mittels eines nach außen versetzten Fenstersteges, der seinerseits an der Innenseite abgeschrägt ist. An den Schmalseiten der Steckermodule sind zudem Rastarme ausgestaltet, die unterhalb der seitlichen Krangenwand verrasten. Es existieren somit zwei unabhängige Rastmittel, die die Steckermodule im Halterahmen fixieren.
- An diesem Stand der Technik kritisiert es das Klagepatent D als nachteilig, dass der gattungsmäßig aus Kunststoff gebildete Halterahmen nicht zur Schutzerdung und damit nicht zum Einbau in metallische Gehäuse geeignet ist. Außerdem ist die Herstellung von Kunststoffrahmen im Spritzgussverfahren schwierig und erfordert hohen Aufwand. Ebenfalls aufgrund der Materialbeschaffenheit ist die Hitzebeständigkeit nicht immer ausreichend, z.B. bei einer speziellen Anwendung in der Nähe eines Hochofens (vgl. Abs. [0012]).
- Das Klagepatent D stellt sich daher, wie es in Absatz [0014] formuliert, die Aufgabe, eine Bauform für einen Halterahmen anzugeben, die eine gute Hitzebeständigkeit und eine hohe mechanische Robustheit aufweist und die insbesondere auch beim Einbau in ein metallisches Steckverbindergehäuse eine entsprechende Schutzerdung, insbesondere eine PE („Protection Earth“), ermöglicht. Außerdem soll eine komfortable Bedienbarkeit, insbesondere beim Auswechseln einzelner Module, gewährleistet werden.
- Zur Lösung dieser Aufgabe schlägt das Klagepatent D in Anspruch 1 eine Vorrichtung vor, die folgende Merkmale aufweist:
-
1.1 Halterahmen für einen Steckverbinder, zum Einbau in eine metallisches Steckverbindergehäuse und zur Schutzerdung desselben sowie zur Aufnahme gleichartiger und/oder unterschiedlicher Module,
1.2.1 wobei der Halterahmen aus mindestens zwei verschiedenen Werkstoffen gebildet ist,
1.2.2 von denen zumindest ein Werkstoff elektrisch leitfähig ist,
dadurch gekennzeichnet, dass
1.3 der Halterahmen einen Grundrahmen und mindestens ein Wangenteil aufweist,
1.4 dass der Grundrahmen als Druckgussteil ausgeführt ist,
1.5 dass das mindestens eine Wangenteil aus federelastischem Blech besteht,
1.6 und dass das mindestens eine Wangenteil im Wesentlichen flächig ausgebildet ist und eine rechteckige Grundform aufweist. -
cc.
Die ursprünglichen Produkte der Klägerin, wie sie von der Abmahnung in Bezug genommen wurden, unterscheiden sich von der dem Kammerurteil im Verfahren 4c O 78/18 zugrundeliegenden Halterahmen lediglich in der Größe der Rastfenster; diese waren in der Abwandlungsform kleiner ausgebildet als in den hier relevanten ursprünglichen Ausführungsformen. Im Übrigen aber lag eine identische Ausgestaltung vor, insbesondere wurden die Laschen noch nicht separat, sondern weiterhin als zusammenhängendes Wangenteil ausgebildet. Die nachfolgende Grafik mit Erläuterung der Klägerin, entnommen der Seite 25 der Klageschrift, stellt die unterschiedlichen Gestaltungen der Wangenteile/Laschen gegenüber: - Das Klagepatent D hat aber die Rastfenster nicht zum Gegenstand, sondern betrifft die Ausgestaltung von Halterahmen sowie Wangenteil. Diese sind anspruchsgemäß ausgebildet. Anderes haben die Parteien, insbesondere die Klägerin, im hiesigen Rechtsstreit auch nicht behauptet – selbst unter Einbeziehung derjenigen Anspruchsfassung wie sie dem OLG-Urteil zugrunde lag und die auf einer beschränkten Aufrechterhaltung durch das DPMA von Anfang Oktober 2020 beruhte. Die Klägerin verweist lediglich darauf, dass dann, wenn das weitere Merkmal zu um 180° gefaltete Wangenteile hinzukäme, eine Verletzung ausscheiden würde. Im Übrigen wehrt sich die Klägerin hier aber nicht gegen den Verletzungsvorwurf.
-
dd.
Diesem Ergebnis steht auch nicht entgegen, dass das BPatG mit Beschluss vom 20. Juni 2022 lediglich eine beschränkte Fassung des Klagepatents aufrechterhalten hat und hierbei gerade die Faltung des Wangenteils um 180° in den Anspruch aufgenommen hat. Denn diese Entscheidung des BPatG ist bislang nicht rechtskräftig, weil die Beklagte gegen den Beschluss Rechtsbeschwerde zum BGH eingelegt hat. - Gemäß § 705 ZPO tritt die Rechtskraft von Urteilen vor Ablauf der für die Einlegung des zulässigen Rechtsmittels oder des zulässigen Einspruchs bestimmten Frist nicht ein. Solange ein Rechtsmittel gegen eine gerichtliche Entscheidung noch statthaft ist, selbst wenn es letztlich unzulässig ist, tritt Rechtskraft erst mit Ablauf der Rechtsmittelfrist ein. Bei Verwerfung eines statthaften, aber unzulässigen Rechtsmittels tritt die Rechtskraft erst mit der Rechtskraft der Verwerfungsentscheidung ein (vgl. Musielak/Voit/Lackmann, 20. Aufl. 2023, ZPO § 705 Rn. 3). Derlei ergibt sich auch aus der Regelung des § 544 ZPO. Dies zeigt, dass es für die Bemessung des Rechtkrafteintritts nicht nur auf die im regulären Instanzenzug verfügbaren Rechtsmittel ankommt, sondern darüber hinaus all jene in den Blick zu nehmen sind, die nur ausnahmsweise zum Tragen kommen könnten und solange der Rechtskraft entgegenstehen.
- Aus diesem Grund ist die Kammer gehalten, das Klagepatent D in der erteilten Fassung zu würdigen (vgl. BPatG, GRUR 1992, 380 – Sammeltasche; Osterrieth, PatR, Rn. 882, beck-online). Gerade aber dieser Fassung unterfallen die angegriffenen Ausführungsformen, mit der Folge, dass die Klägerin aus normativen Gründen an der Geltendmachung ihres Klageantrags gehindert ist.
-
B.
Die prozessualen Nebenentscheidungen folgen aus §§ 91 Abs. 1, 709 ZPO. - Streitwert: 59.850,82 Euro
