4a O 70/22 – Adalimumab

Düsseldorfer Entscheidungen Nr. 3356

Landgericht Düsseldorf

Urteil vom 21. März 2024, Az. 4a O 70/22

  1.  I.
    Die Klage wird abgewiesen.
    II.
    Der Klägerin werden die Kosten des Rechtsstreits auferlegt.
    III.
    Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des jeweils zu vollstreckenden Betrages.
  2. Tatbestand
  3. Die Klägerin nimmt die Beklagte wegen behaupteter Verletzung des europäischen Patents EP 3 145 XXA B1 (nachfolgend: Klagepatent; Anlagen KE 1, KE 1a) auf Unterlassung, Auskunft, Rechnungslegung, Rückruf, Vernichtung und Feststellung der Schadensersatzpflicht in Anspruch.
  4. Die Klägerin ist Inhaberin des Klagepatents, das am 15. Mai 2015 angemeldet wurde und die Priorität des EP 14169XXB vom 23. Mai 2014 in Anspruch nimmt. Der Hinweis auf seine Erteilung erfolgte am 22. Juli 2020. Mit Entscheidung vom 22. Dezember 2022 (Anlagen ropB 15, ropB 15a) hielt das Europäische Patentamt das Klagepatent aufrecht. Die Einsprechende B Inc. legte Beschwerde (Anlage ropB 16) gegen die erstinstanzliche Entscheidung der Einspruchsabteilung ein, über die noch nicht entschieden ist. Das Klagepatent steht in Kraft.
  5. Anspruch 1 des Klagepatents lautet wie folgt:
  6. „1. A liquid pharmaceutical composition consisting of:
  7. – 50 mg/ mL adalimumab;
    – a citrate buffering system;
    – a sugar stabiliser;
    – a tonicifier;
    – a surfactant; and
    – water (for injection);
    – wherein said adalimumab, citrate buffer system, sugar stabiliser, tonicifier, and surfactant are present in a molar ratio of 1 : 14-40 : 288-865 : 28-576 : 0.1-3.2 respectively.“
  8. Anspruch 1 des Klagepatents lautet in deutscher Übersetzung:
  9. „1. Flüssige pharmazeutische Zusammensetzung, bestehend aus:
  10. – 50 mg/ml Adalimumab,
    – einem Citratpufferungssystem,
    – einem Zuckerstabilisator,
    – einem Mittel zum Einstellen der Tonizität,
    – einem Tensid und
    – Wasser (für Injektionszwecke),
    wobei Adalimumab, Citratpufferungssystem, Zuckerstabilisator, Mittel zum Einstellen der Tonizität und Tensid in einem Molverhältnis von 1:14 – 40:288 -865:28-576: 0,1-3,2 vorliegen.“
  11. Adalimumab ist ein monoklonaler Antikörper, der zur Klasse der Arzneimittel gehört, die als biologische Reaktionsmodifikatoren oder TNF-Hemmer (Tumor Necrosis Fak-tor) bekannt sind. Adalimumab ist ein Immunsuppressivum und wird zur Behandlung verschiedener Autoimmunkrankheiten (wie idiopathische juvenile Arthritis, Morbus Crohn, rheumatoide Arthritis, Colitis ulcerosa, Uveitis etc.) verwendet.
  12. Die Beklagte gehört zur B-Unternehmensgruppe. Ein Joint-Venture-Unternehmen (C Co, Ltd.), das im Jahr 2012 gegründet wurde und an dem eine der B-Konzerngesellschaften beteiligt war, hatte die Entwicklung und Vermarktung von sog. Biosimilars zum Gegenstand.
    Die Beklagte bietet an und vertreibt das pharmazeutische Produkt mit dem Produktnamen „D“ (nachfolgend: angegriffene Ausführungsform) in der Bundesrepublik Deutschland. Hierbei handelt es sich um ein Biosimilar zu „E“, welches den Handelsnamen des Arzneimittels Adalimumab als Referenzarzneimittel darstellt.
  13. Die Formulierung der angegriffenen Ausführungsform ist in nachfolgender Tabelle, die der Klageschrift auf Seite 11 entnommen ist, aufgeführt.
  14. Die Klägerin ist der Auffassung Anspruch 1 des Klagepatents schütze eine Kombination von Bestandteilen in Kombination mit einer Kombination von relativen Molverhältnissen – also eine Kombination von Kombinationen.
  15. Der Anspruch definiere die einzelnen Bestandteile der Zusammensetzung nach ihrer Stoffklasse oder wesentlichen Funktion als Kategorien. Es handele sich um eine generische Aufzählung. Für den Fachmann sei es dabei von ausschlaggebender Bedeutung, dass die Zusammensetzung insgesamt mit den jeweils ausgewählten Bestandteilen ein System bilde, das die Anforderungen an die Verwendbarkeit der Zusammensetzung und insbesondere an die eingangs erwähnte Stabilität der Zusammensetzung in ausreichendem Maße erfülle. Er werde daher die Zusammensetzung im konkreten Fall so wählen, dass die notwendigen Funktionen der Bestandteile in ausreichendem Maße zusammenwirken, um ein harmonisches Zusammenspiel zur Stabilisierung von Adalimumab zu erreichen. Dabei sei die Auswahl multifunktionaler Inhaltsstoffe Teil des routinemäßigen Handelns des Fachmanns.
  16. Einen Ausschluss von Histidin kenne der Klagepatentanspruch nicht. Soweit das Klagepatent in bestimmten Zusammenhängen die Verwendung von Histidin anspreche, lasse sich daraus kein allgemeiner Ausschluss von Histidin in der erfindungsgemäßen Zusammensetzung entnehmen. Es würden zweckmäßige oder spezielle Fälle beschrieben. Keine dieser Einschränkungen sei in den Anspruch aufgenommen worden.
  17. Das Citratpufferungssystem schließe ebenfalls nicht aus, dass einzelne oder mehrere der in der Zusammensetzung enthaltenen weiteren Bestandteile ebenfalls eine Pufferfunktion erfüllten. Ferner lasse der Anspruch auch offen, um welchen Zuckerstabilisator es sich im Einzelnen handele. So ergebe sich aus Absatz [0032] der Klagepatentschrift (nachfolgend sind Absätze ohne Quellenangabe solche des Klagepatents) gerade, dass Stabilisatoren auch als Osmolyte wirken könnten und somit nicht monofunktional zu verstehen seien. Insgesamt erkenne der Fachmann auf dem Gebiet der Antikörperformulierung, dass es die Zusammensetzung als Ganzes sei, die die Stabilität eines biopharmazeutischen Proteins fördere. Daher sei der Fachmann viel mehr an der Gesamtfunktion als an den Einzelfunktionen interessiert, vor allem, wenn es um die Stabilisierung gehe.
  18. Das Gleiche gelte für das Mittel zum Einstellen der Tonizität. Soweit in der Beschreibung geeignete Mittel zur Erhöhung der Osmolalität genannt werden, wie etwa in Absatz [0102] der Klagepatentschrift, handele es sich um nicht abschließende Beispiele. Maßgeblich sei der erste Satz dieses Absatzes, wonach jedwedes geeignete Mittel zum Einstellen der Tonizität verwendet werden könne. Auch daraus werde deutlich, dass es keinerlei Beschränkung gebe. So wäre ein Osmolyt einschließlich einer freien Aminosäure wie Histidin ein durchaus „geeignetes Mittel zum Einstellen der Tonizität“, da die Zugabe von Histidin oder eines beliebigen anderen Osmolyten zu einer Zusammensetzung deren Osmolalität erhöhe. Sofern sich aus Absatz [0103] des Klagepatents ergebe, dass nicht ein oder mehrere Mittel, sondern nur ein einzelnes Mittel zum Einstellen der Tonizität vorgesehen sein solle, werde daraus umso deutlicher, dass das Klagepatent selbst auch mit Blick auf die Mittel zum Einstellen der Tonizität von einer Multifunktonalität der einzelnen Bestandteile ausgehe. Diese Beschreibungsstelle beschränke keinesfalls den Anspruchsinhalt.
  19. Die angegriffene Ausführungsform mache von allen Merkmalen des Anspruchs 1 Gebrauch.
  20. Die angegriffene Ausführungsform enthalte Natriumcitrat-Dihydrat und Zitronensäure-Monohydrat als Citratpufferungssystem. Dass Histidin ein Bestandteil der angegriffenen Ausführungsform sei, schade nicht, zumal die generelle Eignung von Histidin zur Pufferung nicht bedeute, dass Histidin immer und unter jedweden Umständen und Bedingungen als Pufferungsmittel eingesetzt werde. Die angegriffene Ausführungsform sei so eingestellt, dass sich dort ein pH-Wert von 5,2 ergebe. Dies sei ein Bereich, in dem das Histidin keine nennenswerte Funktion als Puffer ausüben könne.
  21. Sorbitol sei der in der angegriffenen Ausführungsform vorhandene Zuckerstabilisator. Histidin gehöre nicht in die Stoffklasse Zucker und könne daher kein Zuckerstabilisator sein. Sorbitol sei in der angegriffenen Ausführungsform in einer Menge vorhanden, die in den vorgeschriebenen Bereich falle, nämlich mit einem Molverhältnis von Sorbitol zu Adalimumab von 396:1.
  22. Histidin stelle das geeignete Mittel zum Einstellen der Tonizität in der angegriffenen Ausführungsform dar. Es handele sich um den einzigen Bestandteil der angegriffenen Ausführungsform, der weder als Adalimumab noch als Zitratpuffersystem, Zuckerstabilisator oder Tensid angesehen werden könne. Histidin trage schlechterdings zur Osmolalität bei und insbesondere in erheblichem Maße unter Berücksichtigung der in der Zusammensetzung enthaltenen Menge. Folglich erfülle Histidin die Anforderungen an das Mittel zum Einstellen der Tonizität. Maßgeblich sei allein, wie Histidin tatsächlich wirke und was es in der Zusammensetzung der angegriffenen Ausführungsform leiste. Hinzu komme, dass typischerweise das Mittel zum Einstellen der Tonizität zum Ende hin bei der Formulierung der Zusammensetzung betrachtet werde, um insgesamt eine Zusammensetzung zur Verfügung zu stellen, die in etwa isotonisch mit dem Blut sei. Es besitze keine vorrangige Funktion.
  23. Die Klägerin beantragt,
  24. I. die Beklagte zu verurteilen,
  25. 1.
    es bei Meidung eines für jeden Fall der Zuwiderhandlung vom Gericht festzusetzenden Ordnungsgeldes bis zu EUR 250.000,00 — ersatzweise Ordnungshaft — oder Ordnungshaft bis zu sechs Monaten, im Falle wiederholter Zuwiderhandlung bis zu insgesamt zwei Jahren, wobei die Ordnungshaft an einem der Geschäftsführer der Beklagten zu vollziehen ist, zu unterlassen,
  26. flüssige pharmazeutische Zusammensetzungen, bestehend aus:
  27. – 50 mg/ml Adalimumab,
    – einem Citratpufferungssystem,
    – einem Zuckerstabilisator,
    – einem Mittel zum Einstellen der Tonizität,
    –  einem Tensid und
    – Wasser (für Injektionszwecke),
  28. wobei Adalimumab, Citratpufferungssystem, Zuckerstabilisator, Mittel zum Einstellen der Tonizität und Tensid in einem Molverhältnis von 1 : 14-40 : 288-865 : 28-576 : 0,1-3,2 vorliegen,
  29. in der Bundesrepublik Deutschland anzubieten, in den Verkehr zu bringen oder zu gebrauchen oder zu den genannten Zwecken einzuführen oder zu besitzen;
  30. 2.
    der Klägerin darüber Auskunft zu erteilen, in welchem Umfang sie die zu Ziffer I. 1. bezeichneten Handlungen seit dem 22. Juli 2020 begangen hat, und zwar unter Angabe
  31. a)
    der Namen und Anschriften der Hersteller, Lieferanten und anderer Vorbesitzer;
    b)
    der Namen und Anschriften der gewerblichen Abnehmer sowie der Verkaufsstellen, für die die Erzeugnisse bestimmt waren;
    c)
    der Menge der ausgelieferten, erhaltenen oder bestellten Erzeugnisse sowie der Preise, die für die betreffenden Erzeugnisse bezahlt wurden;
    wobei zum Nachweis der Angabe die entsprechenden Kaufbelege (nämlich Rechnungen, hilfsweise Lieferscheine) in Kopie vorzulegen sind, wobei geheimhaltungsbedürftige Details außerhalb der auskunftspflichtigen Daten geschwärzt werden dürfen;
  32. 3.
    der Klägerin darüber Rechnung zu legen, in welchem Umfang sie die zu Ziffer I. 1. bezeichneten Handlungen seit dem 22. August 2020 begangen hat, und zwar unter Angabe
  33. a)
    der einzelnen Lieferungen, aufgeschlüsselt nach Liefermengen, -zeiten, -preisen und Typenbezeichnungen sowie der Namen und Anschriften der Abnehmer;
    b)
    der einzelnen Angebote, aufgeschlüsselt nach Angebotsmengen, -zeiten, -preisen und Typenbezeichnungen sowie der Namen und Anschriften der gewerblichen Angebotsempfänger;
    c)
    der betriebenen Werbung, aufgeschlüsselt nach Werbeträgern, deren Auflagenhöhe, Verbreitungszeitraum und Verbreitungsgebiet;
    d)
    der nach den einzelnen Kostenfaktoren aufgeschlüsselten Gestehungskosten und des erzielten Gewinns;
  34. wobei der Beklagten vorbehalten bleibt, die Namen und Anschriften der nicht gewerblichen Abnehmer und der Angebotsempfänger statt der Klägerin einem von der Klägerin zu bezeichnenden, ihr gegenüber zur Verschwiegenheit verpflichteten, in der Bundesrepublik Deutschland ansässigen, vereidigten Wirtschaftsprüfer mitzuteilen, sofern die Beklagte dessen Kosten trägt und ihn ermächtigt und verpflichtet, der Klägerin auf konkrete Anfrage mitzuteilen, ob ein bestimmter Abnehmer oder Angebotsempfänger in der Aufstellung enthalten ist;
  35. 4.
    die unter I. 1. bezeichneten nach dem 22. August 2020 in der Bundesrepublik Deutschland in Verkehr gebrachten Erzeugnisse gegenüber den gewerblichen Abnehmern unter Hinweis auf den gerichtlich ( Urteil des … vom …) festgestellten patentverletzenden Zustand der Sache und mit einer verbindlichen Zusage zurückzurufen, etwaige Entgelte zu erstatten sowie notwendige Verpackungs- und Transportkosten sowie mit der Rückgabe verbundene Zoll- und Lagerkosten zu übernehmen und die Erzeugnisse wieder an sich zu nehmen;

    5.
    die in ihrem mittelbaren oder unmittelbaren Besitz oder in ihrem Eigentum befindlichen, unter I. 1. bezeichneten Erzeugnisse an einen von der Klägerin zu benennenden Gerichtsvollzieher zum Zwecke der Vernichtung auf Kosten der Beklagten herauszugeben;

  36. II. festzustellen, dass die Beklagte verpflichtet ist, der Klägerin allen Schaden zu ersetzen, der dieser durch die in I. 1. bezeichneten seit dem 22. August 2020 begangenen Handlungen entstanden ist und noch entstehen wird.
  37. Die Beklagte beantragt,
  38. I. die Klage abzuweisen;
  39. II. hilfsweise:
    Der Beklagten wird für den Fall ihrer Verurteilung zur Rechnungslegung nach ihrer Wahl vorbehalten, die Namen und Anschriften ihrer nicht-gewerblichen Abnehmer sowie die Namen und Anschriften ihrer Empfänger von Angeboten statt der Klägerin einem von der Klägerin zu bezeichnenden, zur Verschwiegenheit verpflichteten vereidigten Wirtschaftsprüfer mitzuteilen, sofern sie dessen Kosten tragt und ihn ermächtigt, der Klägerin darüber Auskunft zu geben, ob eine bestimmte Lieferung, ein bestimmter Abnehmer, ein bestimmtes Angebot oder ein bestimmter Angebotsempfänger in der Rechnungslegung enthalten ist;
  40. weiterhin hilfsweise,
  41. den Rechtsstreit bis zum rechtskräftigen Abschluss des Beschwerdeverfahrens über das europäische Patent EP 3 145 XXA auszusetzen.
  42. Die Beklagte meint, die angegriffene Ausführungsform verletze das Klagepatent nicht.
  43. Aus dem klaren Wortlaut („bestehen aus“) des Anspruchs 1 folge, dass die beanspruchte Zusammensetzung ausschließlich aus den im Anspruch aufgeführten Bestandteilen bestehe.
  44. Das Klagepatent verstehe unter einem Citratpufferungssystem ein Puffermittel und ein Säure/Base-Konjugat davon, nämlich die kombinierte Konzentration von Citrat (oder Citratsalzen) und Citronensäure. Obwohl Histidin als geeignete Komponente eines Puffers genannt werde, habe es gerade keinen Niederschlag im Anspruch gefunden.
  45. Unter einem Zuckerstabilisator verstehe das Klagepatent eine Komponente, die das Aufrechterhalten der strukturellen Integrität des biopharmazeutischen Arzneistoffs erleichtere. Typische Stabilisatoren umfassten Aminosäuren (z.B. Histidin) und Zuckerstabilisatoren (z.B. ein Zuckerpolyol wie Sorbitol) und/oder ein Disaccharid (z.B. Lactose). Im Patentanspruch des Klagepatents hätten nur Zuckerstabilisatoren einen Niederschlag gefunden. Für den Zuckerstabilisator, der die strukturelle Integrität von Adalimumab aufrechterhalte, die vor allem durch physikalische Effekte betroffen sei, seien insbesondere die Parameter für Belastungstests relevant, die auf physikalische Effekte, wie z.B. Aggregation, abstellten. Aus Sicht des Fachmanns sei ein „Zucker“ kein „Zuckerstabilisator“ gemäß des Anspruchs, wenn sein Hinzufügen bzw. ersatzloses Entfernen keinen Einfluss auf diese Belastungstests habe.
  46. Ein Mittel zum Einstellen der Tonizität meine ein Reagenz, dessen Einbeziehen in eine Zusammensetzung zweckmäßig zur Gesamtosmolalität und -osmolarität der Zusammensetzung beiträgt. Als geeignete Mittel zum Einstellen der Tonizität benenne die Klagepatentschrift wasserlösliche Metallsalze (z.B. Natriumchlorid), wasserlösliche tonisierende Zucker bzw. Zuckeralkohole (z.B. Glucose) und oder anderen wasserlösliche Polyole. In allen Beispielen des Klagepatents, die sich in den Absätzen [0142] ff. finden, werde das wasserlösliche Metallsalz Natriumchlorid als Mittel zum Einstellen der Tonizität verwendet. Dagegen fänden Aminosäuren und insbesondere Histidin in der Klagepatentschrift keine Erwähnung als Mittel zur Einstellung der Tonizität und würden vom Fachmann auch nicht als Mittel zum Einstellen der Tonizität in Erwägung gezogen. Gemäß Absatz [0103] des Klagepatents solle die pharmazeutische Zusammensetzung — ungeachtet einer tonifizierenden Wirkung durch Bestandteile, die einer anderen Funktion dienten — ein Mittel zum Einstellen der Tonizität enthalten. Bestandteile, die in der beanspruchten pharmazeutischen Zusammensetzung bereits eine andere Funktion erfüllten, könnten als solche nicht gleichzeitig „Mittel zum Einstellen der Tonizität“ im klagepatentgemäßen Sinne sein, selbst wenn auch sie eine tonifizierende Wirkung entfalten würden. Darüber hinaus solle das Mittel zum Einstellen der Tonizität insbesondere keine puffernde Wirkung entfalten.
  47. Ferner bestätige auch Absatz [0088] des Klagepatents, dass die beanspruchte pharmazeutische Zusammensetzung im Wesentlichen extrem wenig Aminosäuren (0,1 mM) enthalten oder vollständig frei von Aminosäuren – wie z.B. Histidin – sein solle.
  48. Da die angegriffene Ausführungsform Histidin enthalte, falle sie nicht in den Schutzbereich des Klagepatents. Die angegriffene Ausführungsform enthält – insoweit unstreitig – Histidin in Form von L-Histidin (0,96 mg) und L-Histidinhydrochlorid-Monohydrat (8,64 mg). Damit sei die Histidin-Konzentration mit 59,2 mM beinahe 600mal größer als die vom Klagepatent maximal gestattete Konzentration von 0,1 mM.
  49. Das Histidin/Citrat-Pufferungssystem der angegriffenen Ausführungsform sei kein Citratpufferungssystem iSd Klagepatents. Zudem liegt es in einem Stoffmengenverhältnis von 200 (171 + 29) vor, welches das beanspruchte Stoffmengenverhältnis von 14-40 weit überschreite. Andererseits enthalte die angegriffene Ausführungsform fast fünfmal mehr Histidin als Citrat, so dass Histidin eine puffernde Wirkung zukomme.
  50. Die angegriffene Ausführungsform verwende keinen Zuckerstabilisator, sondern stattdessen die Aminosäure Histidin als Stabilisator. Bei Sorbitol handele es sich ebenfalls um keinen Zuckerstabilisator, sondern Sorbitol fungiere als Mittel zum Einstellen der Tonizität. Das Hinzufügen bzw. ersatzlose Entfernen von Sorbitol aus der angegriffenen Ausführungsform habe keine merklichen Auswirkungen auf die Faktoren der thermischen Belastungstests.
  51. Da das Mittel zum Einstellen der Tonizität keine puffernde Wirkung haben solle, scheide das in der Klagepatentschrift als Puffer und als Aminosäurestabilisator identifizierte Histidin als Mittel zum Einstellen der Tonizität aus.
  52. Würde man hingegen Histidin als Mittel zum Einstellen der Tonizität einstufen, müsste man auch die übrigen Bestandteile der angegriffenen Ausführungsform als Mittel zum Einstellen der Tonizität betrachten. In diesem Fall würde das Stoffmengenverhältnis der Mittel zum Einstellen der Tonizität 597,9 betragen und damit das von Merkmal 1.4 geforderte Stoffmengenverhältnis von 28 bis 576 überschreiten.
  53. Ferner könne die Beklagte sich auf ein privates Vorbenutzungsrecht berufen, da betätigter Erfindungsbesitz bereits vor dem Prioritätstag vorgelegen habe.
  54. Die Beklagte ist weiter der Auffassung, das Klagepatent werde sich in der Beschwerdeinstanz nicht als rechtsbeständig erweisen. Unter anderem sei hier eine unzulässige Listenauswahl in der Anmeldung erfolgt, um zu der beanspruchten Merkmalskombination zu gelangen. Ferner sei das Klagepatent auch nicht neu und es mangele ihm an Erfindungshöhe. Die Entscheidung der Einspruchsabteilung sei fehlerhaft und werde abgeändert.
  55. Für die weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird ergänzend auf die Schriftsätze der Parteien samt Anlagen sowie auf das Protokoll der mündlichen Verhandlung Bezug genommen.
  56. Entscheidungsgründe
  57. Die zulässige Klage ist unbegründet. Die angegriffene Ausführungsform verwirklicht nicht sämtliche Merkmale des geltend gemachten Anspruchs 1 unmittelbar und wortsinngemäß (hierzu unter I. und II.).
  58. I.
    Das Klagepatent betrifft eine neue Proteinformulierung, insbesondere eine flüssige pharmazeutische Zusammensetzung von Adalimumab, welche Gegenstand des hiesigen Rechtstreits ist.
  59. Laut dem Klagepatent war im Stand der Technik für die Behandlung von mit Tumornekrosefaktor-alpha (TNF-α) zusammenhängenden Autoimmunerkrankungen, wie z.B. rheumatoider Arthritis, Psoriasis und anderen Autoimmunerkrankungen, die Verwendung von FDA-zugelassenen Arzneistoffen wie z.B. Adalimumab (E ®, F Corporation) bekannt.
  60. Adalimumab ist ein menschlicher monoklonaler Antikörper, der die Aktivität von menschlichem TNF-α hemmt, so dass verhindert wird, dass er TNF-Rezeptoren aktiviert, wodurch Entzündungsreaktionen, die mit Autoimmunerkrankungen einhergehen, herabreguliert werden. Zugelassene medizinische Indikationen für Adalimumab umfassen rheumatoide Arthritis, Arthropathia psoriatica, Morbus Bechterew, Morbus Crohn, ulzerative Kolitis, mäßige bis schwere chronische Psoriasis und juvenile idiopathische Arthritis.
    Adalimumab wird an einen Patienten im Allgemeinen mittels einer subkutanen Injektion verabreicht und wird folglich in einer flüssigen Form bereitgestellt, typischerweise in Packungen, wie z.B. Fläschchen, vorbefüllten Spritzen oder vorbefüllten „Stiftgeräten“. Handelsübliche Stiftgeräte (E -Stift) umfassen im Allgemeinen eine vorbefüllte 1 mL-Glasspritze, die mit 0,8 mL einer sterilen Formulierung von 40 mg Adalimumab befüllt ist, mit einer angebrachten Nadel (entweder grauer Naturkautschuk oder eine latexfreie Version) und einer Nadelabdeckung.
  61. Handelsübliche Formulierungen (E) von Adalimumab enthalten die in der Tabelle des Absatzes [0003] gezeigten Bestandteile im angegebenen Verhältnis.
  62. Das Klagepatent erläutert weiter, dass Adalimumab und dessen Herstellungsverfahren aus der WO 97/29XXC (G) als H bekannt ist und auch an anderer Stelle beschrieben wird.
  63. Obwohl die vorstehend genannte handelsübliche Formulierung von Adalimumab stabil ist (zumindest in einem gewissen Ausmaß), kann – so das Klagepatent – der relevante Antikörper über längere Zeiträume oder bei belastenden Bedingungen instabil sein, so dass eine längere Lagerung der Formulierungen ausgeschlossen ist. Ein solcher Abbau der Formulierung kann auf verschiedene Faktoren zurückzuführen sein. Das Klagepatent nennt hier unter anderem physikalische Effekte (wie z.B. unzureichende Hemmung einer Ausfällung bzw. Abscheidung, unzureichende Regulierung des osmotischen Drucks), chemische Effekte (wie z.B. unzureichende Regulierung einer Oxidation, unzureichende Hemmung einer Photooxidation, unzureichende Hemmung einer Hydrolyse von Esterbindungen, die zur Bildung von Säure-, Aldehyd- und Peroxidprodukten führt, wodurch die Stabilität des Antikörpers beeinträchtigt wird usw.).
  64. Laut dem Klagepatent kann jedweder Faktor entweder zu einem unbrauchbaren Arzneistoffprodukt (das für eine Verwendung in medizinischen Behandlungen unsicher sein kann) oder einem Arzneistoffprodukt führen, dessen Brauchbarkeit variabel und nicht vorhersagbar ist, insbesondere im Hinblick auf die unterschiedlichen Belastungen (Bewegung, Wärme, Licht), denen verschiedene Arzneistoffproduktchargen während der Herstellung, des Transports und der Lagerung ausgesetzt sein können.
  65. Das Klagepatent kritisiert, dass bezüglich der physikalischen und chemischen Stabilisierung von Adalimumab die komplexe Mischung von Komponenten in den vorstehend genannten handelsüblichen Formulierungen unterhalb der Erwartungen geblieben ist, insbesondere im Hinblick auf die große Anzahl von Komponenten. Obwohl diese spezielle Kombination von Hilfsstoffen nach dem Klagepatent eine „feine Ausgewogenheit“ darstellt (bei einer gegebenen Wechselwirkung zwischen verschiedenen technischen Faktoren) und das Ergebnis umfangreicher Forschung und Entwicklung war, sei es – so das Klagepatent – im Hinblick auf ein schlechtes Leistungsvermögen fraglich, ob eine solche große Anzahl von verschiedenen Hilfsstoffen gerechtfertigt ist. Hier sei insbesondere zu berücksichtigen, dass die Anzahl zwangsläufig die Verarbeitungs- und Kostenbelastung, Toxizitätsrisiken und Risiken von schädlichen Wechselwirkungen zwischen Komponenten erhöht, welche die Formulierung beeinträchtigen könnten. Selbst wenn das Gesamtleistungsvermögen der handelsüblichen Formulierungen nicht übertroffen werden könnte, würde eine alternative Formulierung mit einem vergleichbaren Leistungsvermögen, die jedoch wenige Komponenten enthält, einen sehr erstrebenswerten Ersatz für die handelsüblichen Formulierungen darstellen.
  66. Das Klagepatent formuliert, dass für ein garantiertes, reproduzierbares klinisches Leistungsvermögen eines pharmazeutischen Produkts auf Proteinbasis solche Produkte im Zeitverlauf in einer stabilen und einheitlichen Form verbleiben müssen. So sei vorbekannt, dass molekulare Veränderungen während jeder Stufe des Herstellungsverfahrens auftreten können, einschließlich während der Herstellung der fertigen Formulierung und während der Lagerung. Molekulare Veränderungen können eine Qualitätseigenschaft eines biopharmazeutischen Produkts modifizieren, was zu einer unerwünschten Veränderung der Identität, der Wirkungsstärke oder der Reinheit des Produkts führt.
  67. Das Klagepatent formuliert recht allgemein, dass das Primärziel einer Formulierungsentwicklung die Bereitstellung einer pharmazeutischen Zusammensetzung ist, welche die Stabilität eines biopharmazeutischen Proteins während aller Stufen von dessen Herstellung, Lagerung, Versand bzw. Transport und Verwendung unterstützt. Eine Formulierungsentwicklung für ein innovatives biopharmazeutisches Protein oder einen biologisch ähnlichen monoklonalen Antikörper (mAb) ist für die Sicherheit, die klinische Wirksamkeit und den kommerziellen Erfolg essentiell.
  68. Es sieht daher die Bereitstellung von alternativen oder verbesserten flüssigen Formulierungen von Adalimumab als seine Aufgabe an, wobei vorzugsweise die Komplexität der Formulierung vermindert werden soll.
  69. Zur Lösung dieser Aufgabe sieht das Klagepatent gemäß Anspruch 1 folgende pharmazeutische Formulierung vor:
  70. 1. Flüssige pharmazeutische Zusammensetzung
    2. Die Zusammensetzung besteht aus
    a) 50 mg/ml Adalimumab,
    b) einem Citratpufferungssystem,
    c) einem Zuckerstabilisator,
    d) einem Mittel zum Einstellen der Tonizität,
    e) einem Tensid und Wasser (für Injektionszwecke).
    3. Adalimumab, Citratpufferungssystem, Zuckerstabilisator, Mittel zum Einstellen der Tonizität und Tensid liegen in einem Molverhältnis von 1:14-40:288-865:28-576: 0,1-3,2 vor.
  71. II.
    Die angegriffene Ausführungsform verletzt Merkmal 2d) i.V.m. Merkmal 3 nicht.
  72. 1.
    Angesichts des Streits der Parteien bedarf es der Auslegung der Merkmalsgruppe 2 im Hinblick auf die Fragen, welche Anforderungen der Fachmann an die Zuordnung bestimmter Stoffe als eine der anspruchsgemäßen Komponenten stellt (unter a)) sowie insbesondere welches Mittel er zum Einstellen der Tonizität als vom Anspruch erfasst ansieht (unter b)).
  73. a)
    Anspruch 1 schützt eine flüssige, pharmazeutische Zusammensetzung (Merkmal 1), die aus 50 mg/ml Adalimumab sowie vier bestimmten Komponenten und Wasser besteht (Merkmalsgruppe 2), wobei die vier Komponenten zu Adalimumab in einem bestimmten Molverhältnis vorliegen müssen (Merkmal 3).
  74. Der Wortlaut des Anspruchs ist im Hinblick auf die Anzahl der Komponenten nach Merkmalsgruppe 2 abschließend. Die Zusammensetzung „besteht aus“ (consisting of) neben dem Wirkstoff Adalimumab und Wasser aus vier Komponenten, nämlich einem Citratpufferungssystem, einem Zuckerstabilisator, einem Mittel zum Einstellen der Tonizität und einem Tensid. Diese Aufzählung ist abschließend. Funktional trägt diese überschaubare und konkret angegebene Anzahl an Komponenten dazu bei, dass die Komplexität der Formulierung verringert wird (vgl. Abs. [0010]). Im Umkehrschluss bedeutet dies, dass andere Komponenten, die nicht im Anspruch genannt sind, keine Bestandteile der Zusammensetzung sein können. So ist insbesondere keine Aminosäure als Komponente im Anspruch genannt, die in einem bestimmten Gesamtmolverhältnis zu Adalimumab beansprucht ist.
  75. Sofern die Klägerin die Komponenten als Kategorien bezeichnet, greift dieses Verständnis insofern zu kurz als konkrete Stoffgruppen als Oberbegriffe genannt werden. Dabei handelt es sich aus Sicht des Fachmanns nur insoweit um eine generische Aufzählung als die jeweilige Stoffgruppe zum einen durch ihren Wortlaut und zum anderen durch ihre Funktion eine konkrete Charakterisierung erfährt.
  76. So unterscheidet das Klagepatent zwischen einem (Citratpufferungs-)System, einem (Zucker-)Stabilisator und einem Mittel (zum Einstellen der Tonizität). Ein System kann aus mehreren Stoffen, die miteinander wechselwirken, bestehen. Demgegenüber bezeichnen ein Stabilisator und ein Mittel zum Einstellen der Tonizität Einzelstoffe.
  77. Durch einen Blick in die Beschreibung erkennt der Fachmann weiter, dass das Klagepatent die Komponenten über ihre Funktionen definiert. Ausweislich des Absatzes [0022] umfasst ein „Puffersystem“ ein oder mehr Puffermittel und/oder (ein) Säure/Base-Konjugat(e) davon. Ein Puffermittel unterstützt beim Aufrechterhalten des pH-Werts einer gegebenen Lösung bei einem vorgegebenen Wert oder in der Nähe eines vorgegebenen Werts (vgl. Absatz [0023]). Da der Anspruch ein Citratpuffersystem fordert, erfährt der Fachmann weiter, dass das Klagepatent hierunter zweckmäßig ein Zitratsalz, das zweckmäßig mit dessen Säure/Base-Konjugat, Zitronensäure, gemischt ist, versteht (vgl. Absatz [0023]). In Absatz [0054] nennt das Klagepatent weitere Zitratsalze, die in Betracht kommen.
  78. Weiter versteht das Klagepatent unter einem Stabilisator eine Komponente, die das Aufrechterhalten der strukturellen Integrität des biopharmazeutischen Arzneistoffs, insbesondere während eines Gefrierens und/oder Lyophilisierens und/oder einer Lagerung (insbesondere, wenn er einer Belastung ausgesetzt ist), erleichtert (vgl. Abs. [0032]). Dieser Stabilisierungseffekt kann aus verschiedenen Gründen auftreten, wobei das Klagepatent anführt, dass solche Stabilisatoren typischerweise als Osmolyten wirken können, die einer Proteindenaturierung vermindernd entgegenwirken. Hier unterscheidet das Klagepatent die typischen Stabilisatoren in zwei Gruppen: Freie Aminosäuren wie z.B. Histidin und Zuckerstabilisatoren wie z.B. Mannit oder Sorbit (vgl. Abs. [0032], [0068]). Im Anspruch findet sich als Stabilisator hingegen nur der Zuckerstabilisator, gerade keine Aminosäure.
  79. Ferner bezeichnet ein Mittel zum Einstellen der Tonizität ein Reagenz, dessen Einbeziehen in eine Zusammensetzung zweckmäßig zur Gesamtosmolalität und -osmolarität der Zusammensetzung beiträgt (oder diese erhöht) (vgl. Absatz [0034]). In Absatz [0102] nennt das Klagepatent Beispiele für solche Mittel, nämlich wasserlösliche Metallsalze (z.B. Natriumchlorid), wasserlösliche tonifizierende Zucker/Zuckeralkohole und/oder andere wasserlösliche Polyole. Hervorgehoben wird an dieser Stelle, dass die Mittel zum Einstellen der Tonizität zweckmäßig keine Pufferwirkung aufweisen.
  80. Das Tensid trägt zur Stabilisierung des Wirkstoffs Adalimumab bei (vgl. Abs. [0111]) und das Wasser dient als Verdünnungsmittel (vgl. Abs. [0079]).
  81. Der Fachmann entnimmt daher der Klagepatentschrift, dass – in Zusammenschau mit den Angaben des Molverhältnisses in Merkmal 3 – die Funktionen der anspruchsgemäßen Komponenten zu beachten sind und sich in manchen Komponenten überschneiden können. Die Überschneidungen erwähnt die Klagepatentschrift jedoch ausdrücklich wie bei den osmolytischen Eigenschaften des Zuckerstabilisators. Durch die Wahl der konkreten Komponente und deren einzuhaltendes Molverhältnis im Verhältnis zu Adalimumab erreicht der Fachmann die beabsichtigte Stabilität der Zusammensetzung gegenüber chemischen und physikalischen Einflüssen. Lediglich innerhalb der Komponenten ist er frei, welche Einzelstoffe oder Stoffsysteme er verwendet. Stoffe, die innerhalb der jeweiligen Komponentengruppen nicht erfasst sind, wird er indes nicht als erfindungsgemäß erachten. Insofern differenziert er hier auch nicht mehr zwischen Haupt- und Nebenfunktionen der jeweiligen Stoffgruppe.
  82. b)
    Der Anspruch verlangt ein Mittel zum Einstellen der Tonizität (Merkmal 2d)). Wie bereits ausgeführt handelt es sich hierbei um ein Reagenz, dessen Einbeziehen in eine Zusammensetzung zweckmäßig zur Gesamtosmolalität und -osmolarität der Zusammensetzung beiträgt (vgl. Abs. [0034]). Der Anspruch verlangt „ein“ Mittel, also nicht mehrere.
  83. In den Absätzen [0100] ff. findet der Fachmann unter anderem die schon erwähnten weiteren Vorgaben, insbesondere Pufferwirkungen zu vermeiden. Hier steht die tonifizierende Wirkung der genannten Stoffe im Vordergrund. Ausschlaggebend für das fachmännische Verständnis sind schließlich die Angaben, die sich in Folge in Absatz [0103] finden. Dem Fachmann wird hier deutlich, dass in der flüssigen pharmazeutischen Zusammensetzung nur ein einzelnes Mittel zum Einstellen der Tonizität vorliegen soll und zwar ungeachtet einer tonifizierenden Wirkung von Bestandteilen, die auch einer anderen Funktion dienen. Insofern sieht die anspruchsgemäße Zusammensetzung grundsätzlich ein „bestimmtes“ Mittel zum Einstellen der Tonizität vor, auch wenn zusätzliche Tonizitätseffekte durch Komponenten erreicht werden, die eine andere vom Klagepatent angesprochene Funktion ausüben sollen.
  84. In dem gesamten Abschnitt über das Mittel zum Einstellen der Tonizität erwähnt das Klagepatent keine Aminosäuren – insbesondere kein Histidin. Als Ausführungsbeispiel für das Mittel wird Natriumchlorid näher beschrieben (vgl. Abs. [0105] bis [0109]). Ferner widmet sich der Abschnitt nach Absatz [0088] der Vorgabe „wenig/keine Aminosäuren“. So führt das Klagepatent aus, dass es zweckmäßig sei, die flüssige pharmazeutische Zusammensetzung entweder (im Wesentlichen oder vollständig) frei von Aminosäuren zu halten oder allenfalls eine oder mehr Aminosäure(n) in einer (Gesamt-) Konzentration von höchstens 0,1 mM, mehr bevorzugt höchstens 0,01 mM, insbesondere höchstens 0,001 mM vorzusehen.
  85. In der Zusammenschau mit den Absätzen [0088] und [0102] wird der Fachmann daher Abstand davon nehmen, Histidin als Mittel zum Einstellen der Tonizität zu verwenden, weil ihm bekannt ist, dass Histidin puffernde Wirkung zukommt. Da der Anspruch nur ein Mittel als Komponente zur Einstellung der Tonizität zulässt, wird er mit den Angaben aus der Beschreibung nicht ausgerechnet den Inhaltsstoff wählen, den das Klagepatent – wenn überhaupt – nur in einer sehr geringen Menge vorsieht und gleichzeitig für den Zweck des Einstellens der Tonizität aufgrund seiner Puffereigenschaften als nicht vielversprechend einstuft.
  86. 2.
    Unter Berücksichtigung dieser Auslegung verfügt die angegriffene Ausführungsform über kein Mittel zum Einstellen der Tonizität im Sinne des Klagepatents.
  87. Histidin kommt bereits nicht als ein anspruchsgemäßes Mittel in Betracht. Selbst wenn man der Auffassung folgen wollte, ein geringe Konzentration von maximal 0,1 mM wäre (noch) anspruchsgemäß, ist das Merkmal nicht verletzt. Denn die Histidin-Konzentration in der angegriffenen Ausführungsform ist mit 59,2 mM beinahe 600fach höher.
  88. III.
    Mangels Verletzung bedurfte es keiner weiteren Ausführungen mehr zum Vorliegen eines Vorbenutzungsrechts seitens der Beklagten sowie zu der Frage der Aussetzung des Rechtsstreits.
  89. IV.
    Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 Abs. 1 ZPO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit richtet sich nach § 709 ZPO.
  90. V.
    Der Streitwert wird auf 5.000.000,00 EUR festgesetzt.

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