4a O 54/23 – Träger-Anschlussrahmen II

Düsseldorfer Entscheidungen Nr. 3355

Landgericht Düsseldorf

Urteil vom 21. März 2024, Az. 4a O 54/23

  1. I.
    Die Verfügungsbeklagte wird im Wege der einstweiligen Verfügung verurteilt, es bei Meidung eines für jeden Fall der Zuwiderhandlung vom Gericht festzusetzenden Ordnungsgeldes bis zu EUR 250.000,00 – ersatzweise Ordnungshaft – oder einer Ordnungshaft bis zu sechs Monaten, im Fall wiederholter Zuwiderhandlung bis zu insgesamt zwei Jahren, letztere zu vollziehen an den jeweiligen Geschäftsführern,
  2. zu unterlassen,
  3. in Bezug auf die Verfügungsklägerin und/oder deren Abnehmer, insbesondere, aber nicht ausschließlich die B GmbH und die C GmbH,
    gegenüber dem Betreiber der Verkaufsplattform D zu behaupten, die in der Bundesrepublik Deutschland verfügbaren Produkte mit den nachfolgend aufgeführten E verletzten die Rechte der Verfügungsbeklagten aus dem deutschen Teil des europäischen Patents mit der Nummer EP 2 947 XXA B1:
    F
    G
    H
    I
    J
    K
    L
    M
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    O
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    Modell „T“
    U
    V
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    X
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    AB
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    AD
    AE
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    AH
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    AJ
  4. II.
    Die Verfügungsbeklagte wird im Wege der einstweiligen Verfügung weiter verurteilt, die unter Ziff. I. genannte Produkte betreffenden Schutzrechtsverletzungsanzeigen (Complaints) gegenüber dem Betreiber der Verkaufsplattform D unverzüglich zurückzunehmen, und zwar dergestalt, dass sie die jeweiligen Schutzrechtsverletzungsanzeigen (Complaints) widerruft und mitteilt, dass sie keine solchen Einwände gegen die Wiederaufnahme des Verkaufs dieser Produkte hat, soweit die Produkte mit folgenden E betroffen sind
    J
    L
    U
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    AB
    AC
    AD
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    AI
  5. und / oder
  6. ein Bestätigungsschreiben zur Verfügung zu stellen, dass die unter den genannten E benannten Produkte wieder zum Verkauf freigegeben werden können.
  7. III.
    Die Verfügungsbeklagte trägt die Kosten des Verfahrens.
  8. Tatbestand
  9. Die Verfügungsklägerin vertreibt Leuchten, Leuchtmittel und Zubehör in über 100 Ländern, unter anderem in der Bundesrepublik Deutschland. Die Produkte der Verfügungsklägerin werden jedenfalls von Drittanbietern wie der B GmbH, die die Produkte der Verfügungsklägerin von deren Abnehmern erworben haben, über den D in Deutschland angeboten und vertrieben.
  10. Die Verfügungsbeklagte ist eine weltweit agierende LED-Herstellerin mit Sitz in Taiwan. Sie ist Inhaberin des europäischen Patents EP 2 947 XXA B1 (Anlage KAP1, deutsche Übersetzung in Anlage HE08, im Folgenden: Verfügungspatent). Das in englischer Verfahrenssprache abgefasste Verfügungspatent wurde am 22.05.2015 unter Inanspruchnahme zweier Prioritäten taiwanesischer Anmeldungen vom 23.05.2014 und vom 03.02.2015 angemeldet. Die Anmeldung wurde am 25.11.2015 offengelegt, der Hinweis auf die Erteilung des Verfügungspatents wurde am 01.08.2018 veröffentlicht. Das Verfügungspatent steht unter anderem in der Bundesrepublik Deutschland in Kraft. Unter dem 14.09.2023 reichte die Verfügungsklägerin Nichtigkeitsklage gegen den deutschen Teil des Verfügungspatents beim Bundespatentgericht ein, die dort unter dem Aktenzeichen 2 Ni 16/23 (EP) geführt wird und über die noch nicht entschieden ist.
  11. Das Verfügungspatent betrifft nach seinem Absatz [0002] (Absatzangaben ohne nähere Bezeichnung sind solche des Verfügungspatents) eine lichtemittierende Vorrichtung, einen Träger-Anschlussrahmen und eine aus dem Träger-Anschlussrahmen hergestellte lichtemittierende Vorrichtung, insbesondere einen Träger-Anschlussrahmen zur Aufnahme eines Leuchtdioden(LED)-Chips und eine aus dem Anschlussrahmen hergestellte lichtemittierende Vorrichtung.
  12. Anspruch 1 des Verfügungspatents lautet in deutscher Übersetzung:
  13. „Lichtemittierende Einrichtung, die Folgendes umfasst: einen Träger (110); einen Leuchtdioden-Chip, LED-Chip, der in dem Träger getragen wird; und eine Einkapselung, die den LED-Chip abdeckt, wobei der Träger Folgendes umfasst:
    mindestens einen Elektrodenabschnitt (112), wobei der eine oder jeder der mehreren Elektrodenabschnitte mindestens einen Elektrodenabschnittsquerschnitt (112A) besitzt; und
    ein Gehäuse (111), das einen Gehäusequerschnitt (111A) besitzt, wobei das Gehäuse mindestens teilweise den mindestens einen Elektrodenabschnitt abdeckt; wobei
    der Gehäusequerschnitt (111A) und der Elektrodenabschnittsquerschnitt (112A) nicht höhengleich sind und
    der eine oder jeder der mehreren Elektrodenabschnitte ferner einen zentralen Bereich (112A1) und zwei Kantenbereiche (112A2) aufweist, wobei sich der Elektrodenabschnittsquerschnitt auf mindestens einem der beiden Kantenbereiche befindet, der zentrale Bereich und die beiden Kantenbereiche von dem Gehäusequerschnitt (111A) vorstehen und der zentrale Bereich (112A1) von den beiden Kantenbereichen (112A2) vorsteht.“
  14. Zudem ist die Verfügungsbeklagte Inhaberin des am 22.05.2015 angemeldeten Gebrauchsmusters DE 20 2015 009 XXC U1 (im Folgenden: Verfügungsgebrauchsmuster, Anlage HE06), das aus der Anmeldung des Verfügungspatents abgezweigt ist und am 30.06.2017 eingetragen wurde. Die Veröffentlichung der Eintragung erfolgte am 10.08.2017.
  15. Mit Schriftsatz vom 06.06.2023 hat die Verfügungsbeklagte eine gegen die Verfügungsklägerin gerichtete Klage (Anlage KAP7) bei dem Landgericht Düsseldorf (Az. 4a O 28/23) eingereicht, mit der sie die Verfügungsklägerin (zunächst) wegen einer Verletzung des Verfügungspatents durch die Leuchte „AK“, Typ AL, 350mA, in Anspruch nimmt.
  16. In der Folge leitete die Verfügungsbeklagte wegen des Vertriebs bestimmter Leuchtmittel der Verfügungsklägerin über den D sog. Complaint-Verfahren bei AM ein (nachfolgend auch zusammenfasend bezeichnet als „Complaint“). Erläuterungen zu dem Complaint-Verfahren sind über die Internetseite von AM abrufbar und auf Seite 10 des Schriftsatzes vom 11.01.2024 (Bl. 97 GA) eingeblendet. Zur Einleitung dieser Verfahren nutzte die Verfügungsbeklagte ein über den Internetauftritt von AM abrufbares Formular „Mitteilung über eine Rechtsverletzung“, auf dem das betroffene Schutzrecht und die E der betroffenen Produkte angegeben werden können. Die Verfügungsbeklagte gab als betroffenes Schutzrecht das Verfügungspatent an, als betroffene Produkte nannte sie – mit Ausnahme des Produktes „Modell „T“” – die E der aus dem Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung ersichtlichen Produkte, die der Produktbezeichnung im Antrag jeweils in Fettdruck vorangestellt ist und den aus dem Tenor zu Ziffer I. ersichtlichen E entsprechen. Daraufhin sperrte AM die aus dem Antrag ersichtlichen Produkte, die über den D – mit Ausnahme des Produktes „Modell „T“, das von der C GmbH angeboten wurde – allesamt von der B GmbH angeboten wurden. Das Leuchtmittel des Modells, das zu diesem Zeitpunkt Gegenstand des von der Verfügungsbeklagten gegen die Verfügungsklägerin bei dem Landgericht Düsseldorf geführten Verletzungsverfahrens war, war in keinem der Produkte verbaut. In sechs der seitens der Verfügungsbeklagten bezeichneten Produkte (aufgelistet auf Seite 18f. der Antragsschrift, Bl. 20f. GA) war gar kein Leuchtmittel verbaut; sie waren – ebenso wie das Modell T“ – geeignet, unterschiedlichste Leuchtmittel aufzunehmen. In einem weiteren in dem Complaint genannten Produkt wurde ein sog. Filamentleuchtmittel, also ein Leuchtstab, verwendet. Die B GmbH informierte die Verfügungsklägerin am 09.10.2023 (Email-Korrespondenz vorgelegt als Anlage KAP19) über die Sperrung der Produkte, die C GmbH informierte die Verfügungsklägerin am 19.10.2023 über die Sperrung des von ihr angebotenen Produktes. Nachdem die B GmbH auf die Produktsperre hin Kontakt mit der hiesigen Verfügungsbeklagten gesucht hatte, kam es zu einer Email-Korrespondenz mit deren Prozessbevollmächtigten. In der Korrespondenz verwiesen die Prozessbevollmächtigten darauf, dass Hintergrund des Complaints der von der Verfügungsbeklagten gegen die Verfügungsklägerin geführte Rechtsstreit wegen Verletzung des Verfügungspatents sei, im Zuge dessen die Verfügungsbeklagte ihre Prozessbevollmächtigten beauftragt habe, die patentverletzenden Produkte von AM entfernen zu lassen. Sie boten der B GmbH an, ihr Unterlagen für einen Einspruch gegen den Complaint zur Verfügung zu stellen, falls die B GmbH eine strafbewehrte Unterlassungs- und Verpflichtungserklärung hinsichtlich der von ihr angebotenen und von dem Complaint betroffenen Produkte der Verfügungsklägerin abgeben würde. Wegen der weiteren Einzelheiten des Email-Verkehrs wird auf die Anlage KAP2 Bezug genommen.
  17. Mit anwaltlichem Schreiben vom 24.10.2023 forderte die Verfügungsklägerin die Verfügungsbeklagte unter Fristsetzung bis 31.10.2023 (Anlage KAP3) dazu auf, die Complaint-Verfahren zurückzunehmen und eine strafbewehrte Unterlassungs- und Verpflichtungserklärung abzugeben. Das Schreiben wurde am 27.10.2023 sowohl der Verfügungsbeklagten in Taiwan als auch unter c/o-Adresse bei der AN GmbH ausgeliefert (Zustellungsbestätigungen in den Anlagen KAP4 und KAP5), und per Email unter anderem an die jetzigen Verfahrensbevollmächtigten der Verfügungsbeklagten, die im Verfahren 4a O 28/23 bereits beauftragt waren, übersandt. Die Verfügungsbeklagte verweigerte die Annahme der Abmahnung in Taiwan mit dem Argument, sie könne nicht zugeordnet werden, und veranlasste deren Rücksendung.
  18. Unter dem 06.11.2023 hat die Verfügungsklägerin den vorliegenden Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung bei dem Landgericht Düsseldorf eingereicht und als Zustelladresse die Anschrift der AO GmbH angegeben. Diese sandte die Unterlagen unter dem 16.11.2023 an das Gericht zurück und gab an, die Zustellung müsse bei dem Mutterkonzern in Taiwan (also der Verfügungsbeklagten) erfolgen; die Verfügungsbeklagte habe ihr die Weiterleitung der Dokumente nach Taiwan untersagt. Nachdem die Verfügungsklägerin im Verfahren 4a O 28/23 mit Schriftsatz vom 06.12.2023, den dortigen Prozessbevollmächtigten zugestellt am 08.12.2023, u.a. bezüglich der vorliegend gegenständlichen Ansprüche Widerklage erhoben hat, ist der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung seitens des Gerichts den dortigen Prozessbevollmächtigen übersandt worden, wo er am 14.12.2023 zugegangen ist.
  19. Insgesamt hat die Verfügungsbeklagte zwischenzeitlich den Complaint bezüglich der 17 auf Seiten 11 bis 13 des Schriftsatzes vom 11.01.2024 (Bl. 98-100 GA) aufgeführten Produkte zurückgenommen, wobei die Rücknahme hinsichtlich aller genannten Produkte – möglicherweise mit Ausnahme des Produktes „Modell T“ – auch umgesetzt ist.
  20. Gegenstand von laufenden Complaint-Verfahren sind derzeit noch insgesamt 14 Leuchten, deren E im Tenor zu Ziffer II. aufgeführt sind. Bezüglich zehn dieser Leuchten, deren Ausgestaltung hier nicht näher dargestellt wird, sieht die Verfügungsbeklagte eine Verletzung des Verfügungsgebrauchsmusters. In weiteren vier Ausführungsformen, die in Übereinstimmung mit der Bezeichnung im Klageverfahren (4a O 28/23) auch vorliegend als angegriffene Ausführungsformen 2 bis 5 bezeichnet werden, sieht die Verfügungsbeklagte eine Verletzung des Verfügungspatents. Im Einzelnen handelt es sich um folgende Leuchten, die ausgestaltet sind, wie aus den nachfolgend eingeblendeten Abbildungen, die zum Teil mit Anmerkungen der Verfügungsbeklagten versehen sind, ersichtlich:
  21.  (E: V, im Folgenden: angegriffene Ausführungsform 2):
  22. sowie nach Abnahme des Lampenschirms und weiterer Bauteile
  23. Die nachstehend eingeblendeten weiteren mit Anmerkungen der Verfügungsbeklagten versehenen Abbildungen einer 300-fachen Vergrößerung der angegriffenen Ausführungsform 2 sind dem Schriftsatz der Verfügungsbeklagten vom 12.02.2024 entnommen:
  24.  (E X, im Folgenden: angegriffene Ausführungsform 3):
  25. sowie nach Abnahme des Lampenschirms und weiterer Bauteile
  26. Die nachstehend eingeblendeten weiteren mit Anmerkungen der Verfügungsbeklagten versehenen Abbildungen einer 200- bis 300-fachen Vergrößerung der angegriffenen Ausführungsform 3 sind dem Schriftsatz der Verfügungsbeklagten vom 12.02.2024 entnommen:
  27.  (E AD, im Folgenden: angegriffene Ausführungsform 4):
  28. sowie nach Abnahme der Abdeckung und weiterer Bauteile
  29. Die nachstehend eingeblendeten weiteren mit Anmerkungen der Verfügungsbeklagten versehenen Abbildungen einer 200- bis 300-fachen Vergrößerung der angegriffenen Ausführungsform 4 sind dem Schriftsatz der Verfügungsbeklagten vom 12.02.2024 entnommen:
  30.  (E AI, angegriffene Ausführungsform 5):
  31. sowie nach Abnahme des Lampenschirms und weiterer Bauteile
  32. Die nachstehend eingeblendeten weiteren mit Anmerkungen der Verfügungsbeklagten versehenen Abbildungen einer 200- bis 300-fachen Vergrößerung der angegriffenen Ausführungsform 5 sind dem Schriftsatz der Verfügungsbeklagten vom 12.02.2024 entnommen:
  33. Die Verfügungsklägerin ist der Ansicht, das einstweilige Verfügungsverfahren sei zulässig. Die Zustellung der Antragsschrift sei unter mehreren Gesichtspunkten wirksam erfolgt. Zunächst handele es sich bei der deutschen Tochtergesellschaft der Verfügungsbeklagten um eine Niederlassung im Sinne von § 21 ZPO, so dass die dortige Zustellung wirksam sei. Zudem erstrecke sich die Prozessvollmacht der anwaltlichen Vertreter der Verfügungsbeklagten im Hauptsacheverfahren nach der dortigen Erhebung der Widerklage gemäß § 82 ZPO auf das hiesige Verfahren. Die Erhebung der Widerklage sei zulässig und nicht rechtsmissbräuchlich gewesen. Zudem sei der Verfügungsantrag der Verfügungsbeklagten jedenfalls tatsächlich zugegangen, so dass etwaige Mängel ohnehin gemäß § 189 ZPO geheilt seien.
  34. Die Verfügungsklägerin ist der Auffassung, der Antrag sei auch begründet. Das Vorgehen der Verfügungsbeklagten durch Complaint-Verfahren stelle eine unberechtigte Schutzrechtsverwarnung und damit einen Eingriff in ihren eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb sowie eine gezielte Behinderung im Sinne des § 4 Nr. 4 UWG dar. Mit der Einleitung der Complaint-Verfahren habe die Verfügungsbeklagte die Rechtsdurchsetzung nicht nur angedroht, sondern vermeintliche Rechte bereits durchgesetzt. Keine der vier angegriffenen Ausführungsformen 2 bis 5 mache von der Lehre des Verfügungspatents Gebrauch, da alle angegriffenen Ausführungsformen Elektrodenabschnittsquerschnitte aufwiesen, die höhengleich oder jedenfalls teilweise höhengleich mit dem Gehäusequerschnitt seien.
  35. Sie behauptet, die angegriffenen Ausführungsformen 2 bis 5 seien ausgestaltet, wie aus den von ihr als Anlagen KAP15 (angegriffene Ausführungsformen 2 und 3), KAP16 (angegriffene Ausführungsform 4) und KAP19 (angegriffene Ausführungsform 5) vorgelegten Datenblättern ersichtlich. Sie meint, aus den Darstellungen auf dem Deckblatt der Anlage KAP15 und auf Seite 2 der Anlage KAP16 ergebe sich, dass Elektrodenabschnittsquerschnitte und Gehäusequerschnitte jeweils in einer Ebene lägen. Bezüglich der angegriffenen Ausführungsform 5 folge dies aus den Angaben auf Seite 9 der Anlage KAP19.
  36. Es fehle daher jeweils an einem Vorstehen der beiden Kantenbereiche von dem Gehäusequerschnitt und an einem verfügungspatentgemäßen Elektrodenabschnittsquerschnitt. Elektrodenabschnittsquerschnitt und Gehäusequerschnitt seien nicht „nicht höhengleich“ im Sinne des Verfügungspatents. Die Verfügungsbeklagte verorte den Elektrodenabschnittsquerschnitt und die Kantenbereiche in nicht verfügungspatentgemäßer Weise.
  37. Nach der Lehre des Verfügungspatents sei unter dem Elektrodenabschnitt die Elektrode selbst zu verstehen. Aus Absatz [0036] ergebe sich, dass der zentrale Bereich und die beiden Kantenbereiche zusammen den Flügelbereich des Elektrodenabschnitts bildeten. Dieser Flügelbereich rage insgesamt aus dem Gehäuse und damit über den Gehäusequerschnitt hinaus, wobei es sich bei dem Gehäusequerschnitt nicht um einen Querschnitt im mathematischen Sinne, sondern um die Stirnseite des Gehäuses handele. Dieses Verständnis des Gehäusequerschnitts ergebe sich aus Absatz [0008] des Verfügungspatents und werde durch die Figuren, in denen die zum Gehäusequerschnitt gehörende Bezugsziffer 111A ausnahmslos die Umrandung des Gehäuses bezeichne, bestätigt. Auch aus Absatz [0035] folge, dass es sich bei dem Gehäusequerschnitt um eine Oberfläche, also eine reale Fläche, handele. Nach der Lehre des Verfügungspatents sei der zentrale Bereich (des Elektrodenabschnitts) der gesamte Bereich, der am weitesten hinausrage; die Seiten, die sich zwar über das Gehäuse hinaus erstreckten, aber gerade nicht der weiter hinausragende, zentrale Bereich seien, bildeten die Kantenbereiche. Der verfügungspatentgemäße Kantenbereich sei ein eigener Bereich, der sich von dem zentralen Bereich optisch abgrenze. Die in Draufsicht schrägen Seiten des zentralen Bereichs seien nicht Teil der Kantenbereiche. Dafür spreche Absatz [0013], in dem es heiße, dass der zentrale Bereich über die Kantenbereiche hinausstehe. Zudem könne ein Verlauf, der einen geraden und einen schrägen Verlauf aufweise, kein Querschnitt sein. Zur Veranschaulichung wird nachfolgend eine mit Markierungen der Verfügungsklägerin versehene Abbildung der Figur 7 des Verfügungspatents, die dem Schriftsatz vom 01.02.2024 entnommen ist, eingeblendet. Nach dem Verständnis der Verfügungsklägerin findet sich der zentrale Bereich in der roten Umrandung, während die Kantenbereiche blau umrandet sind:
  38. Dieses Verständnis werde bestätigt durch die Ausgestaltungen gemäß der nachfolgend eingeblendeten Figuren 9 und 10, die ausdrücklich nicht Teil des Gegenstandes des Verfügungspatents seien:
  39. Denn bei diesen Gestaltungen sei kein Kantenbereich vorgesehen, der von dem Gehäuse vorstehe und von dem wiederum ein zentraler Bereich noch weiter vorstehe. Selbst wenn die jeweiligen Kanten bzw. Ecken unter den Anspruchswortlaut fallen würden, erstreckten sie sich nicht über den Gehäusequerschnitt hinaus. Insbesondere wiesen gerade die Figuren 9 und 10 keine zwei Bereiche auf, die unterschiedlich weit aus dem Gehäuse herausragten. Auch dies spreche dafür, dass der Bereich mit dem schrägen Verlauf zum zentralen Bereich und nicht zum Kantenbereich gehöre.
  40. Auch unter einem Elektrodenabschnittsquerschnitt verstehe das Verfügungspatent keinen Querschnitt im mathematischen Sinne, sondern die Stirnseite eines Bereichs des Elektrodenabschnitts. Dafür sprächen die Absätze [0035] und [0037], aus denen jeweils folge, dass es sich bei dem Elektrodenabschnittsquerschnitt um eine reale Oberfläche und nicht die Oberfläche nach einem vertikalen Schnitt handele. Auch Absatz [0045] beschreibe den Elektrodenabschnittsquerschnitt der Figur 10 als konvex gekrümmte Oberfläche. Anspruchsgemäß stelle der Elektrodenabschnittsquerschnitt die Stirnfläche mindestens eines Kantenbereichs dar. Die im Anspruch für den Elektrodenabschnittsquerschnitt genannte Bezugsziffer 112A sei falsch; die Ziffer 112A bezeichne tatsächlich nicht den Elektrodenabschnittsquerschnitt, sondern den gesamten herausstehenden Bereich des Elektrodenabschnitts, also den Flügelabschnitt. Der Elektrodenabschnittsquerschnitt könne auch nicht irgendwo auf dem Kantenbereich bzw. auf einem Teil davon verortet sein. Aus der Beschreibung ergebe sich, dass der Elektrodenabschnittsquerschnitt die gesamte Stirnseite des Kantenbereichs sei. Dieses Verständnis spiegele sich in Absätzen [0043] und [0044] wider, in denen von dem Elektrodenabschnittsquerschnitt der beiden Kantenbereiche die Rede sei. Noch deutlicher seien Absätze [0045] und [0046], in denen der Elektrodenabschnittsquerschnitt als Außenlinie der Kantenbereiche – nicht als Teil der Kontur – bezeichnet werde. Auch wenn die dort beschriebene Figur 10 nicht in den Schutzbereich der Erfindung falle, sei grundsätzlich davon auszugehen, dass den in der Verfügungspatentschrift verwendeten Begriffen das gleiche Verständnis zugrunde zu legen sei.
  41. Die Vorgabe „nicht höhengleich“ des Verfügungspatents bedeute, dass der Gehäusequerschnitt und der Elektrodenabschnittsquerschnitt, also die Stirnseiten beider Teile, nicht auf gleicher Höhe endeten, sondern sich ihre Außenkanten in lateraler Richtung unterschiedlich weit ausdehnten. Dieses Verständnis werde ausdrücklich in Absatz [0035] beschrieben.
  42. Auf eine Verletzung des Verfügungsgebrauchsmusters komme es für die Frage der Berechtigung der verfahrensgegenständlichen Complaints nicht an, da dieses – unstreitig – nicht Gegenstand der Complaint-Verfahren und auch nicht Gegenstand des Antrags auf Erlass einer einstweiligen Verfügung sei.
  43. Die Verfügungsklägerin ist der Auffassung, die Verfügungsbeklagte sei ohne weiteres passivlegitimiert, da sie die als unberechtigte Schutzrechtsanzeigen einzuordnenden Complaints ausgesprochen habe. Sie behauptet, es sei hinlänglich bekannt, dass AM auf Schutzrechtsverletzungsanzeigen rigoros mit der Sperrung der Produkte reagiere, um nicht selbst in Anspruch genommen zu werden. Die Verfügungsbeklagte sei nicht davon ausgegangen, dass der Verfügungsklägerin Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben werden würde. Es sei zudem schlicht falsch, dass sie oder ihre Abnehmer zu einer Stellungnahme im Complaint-Verfahren aufgefordert worden seien. Sie behauptet, das in dem Modell mit der E L verbaute Leuchtmittel stamme zudem von der Verfügungsbeklagten und legt insoweit das zugehörige Datenblatt vor (Anlage KAP9).
  44. Die Verfügungsklägerin ist weiter der Auffassung, die Sache sei dringlich. Zum Einen habe sie in zeitlicher Hinsicht umgehend reagiert, indem sie sich noch am 09.10.2023 an ihre Verfahrensbevollmächtigten gewendet habe. Zum Anderen drohten ihr erhebliche Umsatzeinbußen, da zu befürchten stehe, dass ihre Abnehmer kurzfristig auf Konkurrenzprodukte ausweichen würden. Der Verfügungsgrund entfalle auch nicht durch die gleichzeitige Verhandlung mit der Hauptsache; eine Entscheidung in der Hauptsache sei nur gegen Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar, ein Urteil im Verfügungsverfahren könne hingegen ohne Sicherheitsleistung vollstreckt werden. Es sei auch nicht absehbar, ob beide Verfahren zeitgleich entschieden würden. Zudem ziehe sich das Verfahren bereits über Monate, wobei die betroffenen Produkte nach wie vor gesperrt seien. Der Dringlichkeit stehe schließlich nicht entgegen, dass sie nicht versucht habe, die Antragsschrift in Taiwan zustellen zu lassen; vielmehr sei eine Zustellung in Deutschland über eine Niederlassung gemäß § 21 ZPO die naheliegende Wahl gewesen.
  45. Die Verfügungsklägerin beantragt, nachdem sie in der mündlichen Verhandlung klargestellt hat, dass sie den Beseitigungsantrag nur noch bezüglich der Produkte mit den im Tenor unter Ziffer II. genannten E geltend macht, im Wege der einstweiligen Verfügung
  46. wie erkannt.
  47. Die Verfügungsbeklagte beantragt,
  48. den Antrag auf Erlass der einstweiligen Verfügung zurückzuweisen.
  49. Die Verfügungsbeklagte ist der Auffassung der auf Erlass der einstweiligen Verfügung gerichtete Antrag sei mangels wirksamer Zustellung bereits als unzulässig zurückzuweisen. Auch nach Erhebung der Widerklage im Verfahren 4a O 28/23 sei die Zustellung an ihre dortigen Prozessbevollmächtigten nicht wirksam gewesen. Insbesondere lägen die Voraussetzungen des § 82 ZPO nicht vor. Denn die Widerklage sei rechtmissbräuchlich und damit nicht wirksam erhoben, so dass keine Identität der Ansprüche von Klageverfahren und Verfügungsverfahren gegeben sei. Auch liege keine wirksame Zustellung an die AO GmbH vor. Bei dieser Gesellschaft handele es sich nicht um eine Niederlassung im Sinne von § 21 ZPO. Zudem fehle ein Bezug des Antrags auf Erlass einer einstweiligen Verfügung zum Geschäftsbetrieb der Gesellschaft. Es sei auch fraglich, ob der besondere Gerichtsstand nach § 21 ZPO überhaupt dazu führe, dass an die Niederlassung zugestellt werden könne. Eine Heilung gemäß § 189 ZPO habe nicht stattgefunden, da diese Vorschrift nicht über die Beachtung der Erfordernisse an Auslandszustellungen hinweghelfen könne.
  50. Die Verfügungsbeklagte meint weiter, dem Antrag fehle auch das Rechtsschutzbedürfnis, was wiederum zur Unzulässigkeit führe. Zum Einen handele es sich bei den von ihr vorgenommenen Mitteilungen an AM nicht um Abnehmerverwarnungen, sondern um bloße Berechtigungsanfragen, zum Anderen habe die Verfügungsklägerin selbst nicht in ausreichender Weise an einer Entsperrung der betroffenen Produkte mitgewirkt. Dazu behauptet sie, die Verfügungsklägerin habe offenbar nicht auf die Anfrage von AM nach der Berechtigung zum Vertrieb der Produkte geantwortet. Sie bestreitet mit Nichtwissen, dass die Verfügungsklägerin von AM in keiner Weise zur Stellungnahme aufgefordert worden wäre. Sie selbst wisse nicht, ob AM nach Einleitung der Complaint-Verfahren die Verfügungsklägerin zur Stellungnahme aufgefordert habe; sie gehe aber davon aus, da die Verfügungsklägerin dazu schweige, wie die Complaint-Verfahren weiter verlaufen seien. Insoweit behauptet sie, sie sei davon ausgegangen, dass AM zunächst die Verfügungsklägerin zur Stellungnahme auffordern würde. Sie habe lediglich gegenüber AM erklärt, dass ihrer Meinung nach ein bestimmtes Schutzrecht verletzt sei; wie AM damit weiter umgehe, habe außerhalb ihres Einflussbereichs gelegen. Sie habe auch nicht gewusst, welche Händler überhaupt betroffen gewesen seien. Sie habe nur die E des jeweiligen Produktes angeben können, Händler habe sie nicht benennen können. Ihr sei bei Abgabe der Mitteilung nicht bewusst gewesen, dass AM auf den Complaint hin nicht nur die Verfügungsklägerin, sondern auch deren Abnehmer bzw. Third Party Seller kontaktieren würde. Sie selbst habe auch keinen Abnehmer der Verfügungsklägerin zur Unterlassung aufgefordert. Ihre eigene Korrespondenz mit einzelnen Third Party Sellers über die Abgabe strafbewehrter Unterlassungserklärungen habe den Hintergrund, dass diese Third Party Seller mit der Bitte, die Mitteilungsverfahren gegen sie zurückzuziehen, an die Verfügungsbeklagte herangetreten seien. Als reines Entgegenkommen habe sie diesen angeboten, für den Fall der Abgabe einer strafbewehrten Unterlassungserklärung die Mitteilung (den Complaint) zurückzuziehen, um über konkrete Schutzrechtsverletzungen hinausgehende Schäden durch eine etwaige Sperrung von Accounts der Third Party Seller zu vermeiden.
  51. Sie meint weiter, sie habe der Verfügungsklägerin keinen Anlass zur Stellung eines Verfügungsantrages gegeben. Vielmehr hätte die Verfügungsklägerin in einem ersten Schritt auf die Anfrage von AM antworten müssen.
  52. Darüber hinaus ist die Verfügungsbeklagte der Auffassung, sie sei nicht passivlegitimiert, da nicht sie über die Sperrung von Produkten entschieden habe, sondern AM. Die mit dem Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung geltend gemachten Ansprüche bestünden auch inhaltlich nicht, da die Produkte, hinsichtlich derer sie die Mitteilung an AM nicht ohnehin zwischenzeitlich zurückgenommen habe, entweder das Verfügungspatent oder das Verfügungsgebrauchsmuster verletzten. Dass das Verfügungsgebrauchsmuster nicht explizit in den Complaint-Verfahren genannt worden sei, schade nicht, da der Verfügungsklägerin insoweit kein Anspruch auf Unterlassung einer entsprechenden Mitteilung an AM zustehen könne. Maßgeblich sei, ob das Herstellen, Anbieten und Inverkehrbringen der betroffenen Produkte an sich auf Grund eines Schutzrechtsverstoßes verboten sei; darauf, gegen welches Schutzrecht genau verstoßen werde, komme es nicht an. Anderenfalls würde der Verfügungsklägerin ein an sich verbotenes Verhalten erlaubt.
  53. Die Verfügungsbeklagte bestreitet mit Nichtwissen, dass sie Herstellerin des in der Leuchte mit der E L verbauten Leuchtmittels sei. Weder lasse sich dem seitens der Verfügungsklägerin vorgelegten Datenblatt entnehmen, dass das dort beschriebene LED-Modul in der Leuchte verbaut sei, noch sei für die Verfügungsbeklagte anhand der vorliegenden Informationen überprüfbar, wer genau dieses Modul wo hergestellt habe, so dass sie nicht überprüfen könne, ob eine ihrer Lizenznehmerinnen Herstellerin der Leuchte sei und ob ihre Schutzrechte auch gerade für Deutschland bzw. die EU erschöpft seien. Es obliege der Verfügungsklägerin, neben der genauen Herkunft der LED auch das bestimmungsgemäße Inverkehrbringen der LED in der EU mit Zustimmung des Schutzrechtsinhabers darzulegen und zu beweisen.
  54. Die vier angegriffenen Ausführungsformen 2 bis 5 machten von der Lehre des Verfügungspatents Gebrauch. Die Verfügungsklägerin komme nur deshalb zur Nichtverletzung, weil sie die zwei Kantenbereiche falsch verorte. Konkret gehe es darum, ob der in der nachfolgend eingeblendeten, dem Schriftsatz vom 12.02.2024 entnommenen Abbildung von Figur 7 von der Verfügungsbeklagten rot eingekreiste Bereich dem Kantenbereich oder dem zentralen Bereich zuzurechnen sei:
  55. Richtigerweise gehöre dieser Bereich zum Kantenbereich, wofür auch die Gestaltung gemäß Figur 9 spreche, in der der Elektrodenabschnittsquerschnitt ein schräg verlaufender Bereich sei. Da dieser Bereich dem Kantenbereich und dem Elektrodenabschnittsquerschnitt zuzuordnen sei, wiesen alle angegriffenen Ausführungsformen einen Elektrodenabschnittsquerschnitt auf, der nicht höhengleich mit dem Gehäusequerschnitt sei; auch sei die Anforderung erfüllt, dass der zentrale Bereich und die beiden Kantenbereiche von dem Gehäusequerschnitt vorstünden. Zur Veranschaulichung des Verständnisses der Verfügungsbeklagten wird nachfolgend eine von der Verfügungsbeklagten mit Anmerkungen versehene Abbildung der angegriffenen Ausführungsform 2, die dem Schriftsatz vom 11.01.2024 entnommen ist, eingeblendet:
  56. Letztlich sei diese Auslegung aber nicht entscheidend, da – wie die Verfügungsbeklagte erstmals mit Schriftsatz vom 12.02.2024 behauptet – die nunmehr vorgelegten hochauflösenden Fotografien ergäben, dass bei allen vier angegriffenen Ausführungsformen der Kantenbereich und damit jedenfalls auch die beiden Enden der Elektrodenabschnittsquerschnitte dem Gehäusequerschnitt vorstünden. Auf den Fotografien aller vier angegriffenen Ausführungsformen sei ein solches Vorstehen gut zu erkennen, es sei eine deutliche Kante sichtbar. Die Verfügungsbeklagte hat in der mündlichen Verhandlung zu den Lichtbildern erläutert, es dürfe so sein, dass sich durch den Hitzeeintrag beim Verlöten im Herstellungsprozess ein Teil des Gehäuses verflüssigt habe und nach unten gelaufen sei. Durch die hohe Auflösung und starke Vergrößerung könne auf den Lichtbildern auch eine glatte Oberfläche rau erscheinen. Ein Höhenunterschied zwischen Kantenbereich und Gehäusequerschnitt sei bezüglich der angegriffenen Ausführungsformen 2 bis 5 auf den Lichtbildern zu erkennen.
  57. Schließlich ist die Verfügungsbeklagte der Ansicht, ein Verfügungsgrund sei nicht gegeben. Es fehle schon an der erforderlichen Dringlichkeit. Der Verfügungsklägerin sei zuzumuten, die Entscheidung in der Hauptsache abzuwarten, da die Verhandlung in beiden Verfahren am gleichen Tag stattfinde. Allein die Möglichkeit der Vollstreckung eines Urteils in einem einstweiligen Verfügungsverfahren ohne Sicherheitsleistung führe nicht zu zeitlichem Verzug, da die Sicherheit in Eilfällen in bar erbracht werden könne. Die Sicherheitsleistung an sich stelle keinen Nachteil dar, weil auch bei einer unrechtmäßigen Vollstreckung eines Verfügungsurteils Schadensersatz zu leisten sei. Zudem habe die Verfügungsklägerin das Verfahren selbst verschleppt, indem sie die Zustellung nicht in Taiwan betrieben habe, nachdem der jetzige Verfahrensbevollmächtigte der Verfügungsbeklagten bereits auf den dortigen Zustellversuch am 06.11.2023 mitgeteilt habe, insoweit nicht mandatiert zu sein. Wenn der Verfügungsklägerin die Sache wirklich dringlich gewesen wäre, hätte sie nicht versucht, die Zustellung über zivilprozessuale Schachzüge durch Erhebung einer – nach Auffassung der Verfügungsbeklagten – rechtmissbräuchlichen Widerklage zu erreichen, sondern durch Betreibung der Zustellung von auf Mandarin übersetzten Dokumenten in Taiwan. Durch das Verhalten der Verfügungsklägerin sei auch die Dringlichkeitsvermutung des § 12 Abs. 1 UWG widerlegt. Schließlich falle die Interessenabwägung zu Lasten der Verfügungsklägerin aus, da sie über die Widerklage zum gleichen Zeitpunkt wie im einstweiligen Verfügungsverfahren ein Urteil anstrebe. Außerdem sei zu beachten, dass die Verfügungsklägerin offenbar nicht auf eine Anfrage von AM geantwortet habe; sie habe sich auch nicht direkt bei ihr, der Verfügungsbeklagten, gemeldet, um die Möglichkeit einer einvernehmlichen Lösung auszuloten.
  58. Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die zwischen den Parteien gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen sowie auf das Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 20.02.2024 ergänzend Bezug genommen.
  59. Entscheidungsgründe
  60. Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung hat Erfolg. Er ist zulässig und begründet.
  61. A.
    Der Antrag auf Erlass der einstweiligen Verfügung ist zulässig.
  62. I.
    Zunächst ist der Antrag nicht wegen fehlender Zustellung an die Verfügungsbeklagte unzulässig. Unabhängig davon, ob es sich bei der AN GmbH um eine Niederlassung der Verfügungsbeklagten handelt, an die gemäß § 21 ZPO hätte zugestellt werden können, ist jedenfalls die Zustellung an die Verfahrensbevollmächtigten vom 14.12.2023 nach § 82 ZPO wirksam, da nach § 82 ZPO die Vollmacht für den Hauptprozess unter anderem die Vollmacht für das eine einstweilige Verfügung betreffende Verfahren umfasst. Eine solche Konstellation ist vorliegend gegeben, so dass sich die Vollmacht der Verfahrensbevollmächtigten in dem bei dem Landgericht Düsseldorf geführten Verfahren 4a O 28/23 auf das vorliegende einstweilige Verfügungsverfahren erstreckt. Das vorliegende einstweilige Verfügungsverfahren bezieht sich auf einen Streitgegenstand, der zum Zeitpunkt der Zustellung des Verfügungsantrags vom 14.12.2023 – im Wege der Widerklage – in das Verfahren 4a O 28/23 wirksam eingeführt war. Eine Einführung in das Hauptsacheverfahren scheiterte insbesondere nicht an einer etwaigen Unzulässigkeit. Denn die dortige Widerklage war nicht wegen Rechtsmissbrauchs nach § 8c Abs. 1 UWG oder allgemein nach den Grundsätzen von Treu und Glauben rechtsmissbräuchlich, so dass auch die Wirkung des § 82 ZPO ohne weiteres eingetreten ist.
  63. Die Erhebung der Widerklage in dem Verfahren 4a O 28/23 war nicht rechtsmissbräuchlich. Zunächst betrifft die insoweit von der Verfügungsbeklagten angeführte Vorschrift des § 8c Abs. 1 UWG lediglich gesetzliche Unterlassungs- und Beseitigungsansprüche aus dem UWG, eine analoge Anwendung auf den allgemeinen deliktsrechtlichen Unterlassungsanspruch aus §§ 823, 1004 BGB scheidet aus (Feddersen, in: Köhler/Bornkamm/Feddersen, UWG, 42. Auflage 2024, § 8c Rn. 9). Ob die Geltendmachung des allgemeinen deliktsrechtlichen Unterlassungsanspruchs rechtsmissbräuchlich ist, ist nach dem allgemeinen Grundsatz von Treu und Glauben (§ 242 BGB) zu beurteilen. Dabei können auch Umstände, die im Rahmen von § 8c Abs. 1 UWG einen Rechtsmissbrauch begründen, herangezogen werden. Im Übrigen sind aber, weil und soweit die Besonderheiten des wettbewerbsrechtlichen Rechtsschutzes nicht vorliegen, höhere Anforderungen an den Rechtsmissbrauch im Sinne des § 242 BGB zu stellen (Feddersen, in: Köhler/Bornkamm/Feddersen, UWG, 42. Auflage 2024, § 8c Rn. 9).
  64. Vorliegend ist die Erhebung der Widerklage bereits nicht nach § 8c Abs. 1 UWG, und damit auch nicht nach dem allgemeinen Grundsatz von Treu und Glauben, rechtsmissbräuchlich.
  65. Zwar trifft es im Ansatz zu, dass die Erhebung der Widerklage gemäß § 8c Abs. 1 UWG rechtsmissbräuchlich sein kann, wenn der Anspruchsberechtigte neben dem Verfügungs- auch ein Hauptsacheverfahren einleitet, ohne dass hierfür eine sachliche Notwendigkeit besteht und ohne abzuwarten, ob eine inhaltsgleiche Verfügung ergeht und als endgültige Regelung anerkannt wird (BGH GRUR 2000, 1089 (1093) – Missbräuchliche Mehrfachverfolgung; Feddersen, in: Köhler/Bornkamm/Feddersen, UWG, 42. Auflage 2024, § 8c Rn. 35 m.w.N.). Vorliegend bestand aber ein sachlicher Grund für die Einleitung des Hauptsacheverfahrens vor Abschluss des einstweiligen Verfügungsverfahrens. Denn die Verfügungsklägerin hatte zunächst versucht, ein einstweiliges Verfügungsverfahren gegen die Verfügungsbeklagte zu betreiben. Allerdings bereitete schon die Zustellung des Antragsschriftsatzes erhebliche Schwierigkeiten, da die deutsche Tochtergesellschaft der in Taiwan ansässigen Verfügungsbeklagten die entsprechenden Unterlagen mit dem Hinweis, die Zustellung müsse bei dem Mutterkonzern in Taiwan (also der Verfügungsbeklagten) erfolgen, die Verfügungsbeklagte habe ihr die Weiterleitung der Dokumente nach Taiwan untersagt, an das Gericht zurückgesandt hat. Um zeitliche Verzögerungen, während derer die Produktsperre bei AM hätte fortdauern können, zu vermeiden, hat die Verfügungsklägerin in dem laufenden Hauptsacheverfahren, das unter umgekehrtem Rubrum bereits von der anwaltlich vertretenen Verfügungsbeklagten gegen sie, die Verfügungsklägerin geführt wurde, Widerklage erhoben. Ein solches Vorgehen ist, wie die Verfügungsklägerin ausführt, prozessökonomisch und vermeidet Verzögerungen. Die Verfolgung sachfremder Ziele liegt darin nicht. Der Verfügungsklägerin ging es ersichtlich darum, möglichst schnell gerichtlich überprüfen zu lassen, ob die seitens der Verfügungsbeklagten erhobenen Complaints und die daraufhin erfolgten Produktsperren auf der Verkaufsplattform D rechtswidrig waren. Zudem stand eine zeitnahe Entscheidung über den Antrag auf Erlass der einstweiligen Verfügung bei Einreichung des Widerklageschriftsatzes wegen der Schwierigkeiten hinsichtlich der Zustellung des Antragsschriftsatzes nicht zu erwarten. Schließlich hat die Verfügungsklägerin der Verfügungsbeklagten auch nicht die Möglichkeit genommen, eine Abschlusserklärung abzugeben. Durch Erhebung der Widerklage hat sie ihr vielmehr die Möglichkeit eröffnet, insoweit ein – ggfs. sofortiges – Anerkenntnis zu erklären.
  66. Bei Anwendung der Maßstäbe des § 8c Abs. 1 UWG ist ein Rechtsmissbrauch im Ergebnis daher nicht erkennbar. Etwas Anderes ergibt sich auch nicht nach dem allgemeinen Grundsatz von Treu und Glauben.
  67. II.
    Der Antrag ist auch nicht wegen fehlenden Rechtsschutzbedürfnisses unzulässig. Der Vortrag der Verfügungsbeklagten zu einer angeblich fehlenden Mitwirkung der Verfügungsklägerin an der Aufhebung der Sperre und einer vermeintlich unterbliebenen Reaktion auf eine angebliche Anhörung durch AM ist ersichtlich ins Blaue hinein getätigt und vollkommen unsubstantiiert. Vielmehr ergibt sich aus der Akte, dass die Verfügungsklägerin, die nach dem eigenen Vortrag der Verfügungsbeklagten am 04.01.2024 von dieser über den Widerruf der Complaints bzgl. 17 Produkten informiert worden war (Anlage HE03), – sollte eine Mitwirkung erforderlich gewesen sein – diese umgehend vorgenommen hat, da die Verfügungsbeklagte bereits am 05.01.2024 von AM (Appeals) die Nachricht erhalten hat, dass die Produkte „reinstated“ worden seien. Schließlich hat die Verfügungsbeklagte der Verfügungsklägerin durch die Mitteilung an AM, die zur Sperre von insgesamt 31 Produkten führte, ohne Weiteres ausreichenden Anlass zur Stellung des Antrags auf Erlass einer einstweiligen Verfügung gegeben.
  68. B.
    Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung ist begründet. Die Verfügungsklägerin hat Umstände dargelegt und glaubhaft gemacht, die sowohl einen Verfügungsanspruch als auch einen Verfügungsgrund begründen.
  69. I.
    Der Verfügungsklägerin stehen die geltend gemachten Verfügungsansprüche gegen die Verfügungsbeklagte zu.
  70. Die Verfügungsklägerin hat in der mündlichen Verhandlung klargestellt, dass sie die geltend gemachten Ansprüche zunächst auf einen Eingriff in den Gewerbebetrieb (§§ 823 Abs. 1, 1004 BGB) und sodann auf § 4 Nr. 4 UWG (gezielte Behinderung) stützt, so dass die Prüfung in dieser Reihenfolge vorgenommen wird.
  71. 1.
    Der Unterlassungsanspruch ergibt sich aus einem rechtswidrigen Eingriff in den eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb der Verfügungsklägerin und folgt aus § 823 Abs. 1 BGB i.V.m. § 1004 BGB analog.
  72. a.
    Das hier streitgegenständliche Verhalten – namentlich die Erhebung von Complaints („Infringement-Meldung“) gegenüber AM – ist nach den rechtlichen Maßstäben einer Schutzrechtsverwarnung gegenüber einem Abnehmer zu beurteilen (LG Düsseldorf, GRUR-RS 2022, 52103; LG München I, GRUR-RS 2021, 31805; LG München I, GRUR-RS 2020, 29773). Wie bei einer Abnehmerverwarnung wendet sich der Abmahnende mit der Schutzrechtsverletzungsanzeige mit dem Vorwurf einer Schutzrechtsverletzung an einen Dritten. Etwas Anderes ergibt sich auch nicht aus dem Vortrag der Verfügungsbeklagten, sie habe nur eine Berechtigungsanfrage stellen und eine Prüfung durch AM herbeiführen wollen. Der Vortrag, dass sie davon ausgehe, dass AM die Verfügungsklägerin zur Stellungnahme aufgefordert und die Verfügungsklägerin vermutlich versäumt habe, fristgerecht zu antworten, erfolgt offensichtlich ins Blaue hinein. Dass die Verfügungsbeklagte für ihren Complaint ein Formular zur „Mitteilung über eine Rechtsverletzung“, in dem unstreitig die betroffenen Produkte und das betroffene Schutzrecht angegeben werden können, nutzte, deutet bereits darauf hin, dass die Verfügungsbeklagte gegenüber AM erklärt hat, dass – nach ihrer Auffassung – die 30 in den Mitteilungen benannten Produkte das Verfügungspatent verletzen. Es ist lebensfremd, dass die Verfügungsbeklagte als erfahrene Wirtschaftsteilnehmerin davon ausging, das Verfahren werde den Verlauf einer schlichten Berechtigungsanfrage nehmen. Wäre es ihr wirklich auf eine inhaltliche Überprüfung angekommen, hätte sie die Berechtigungsanfrage unmittelbar an die Verfügungsklägerin richten können. Dass der Complaint gegenüber AM durchaus dazu führen könnte, dass die dort genannten Produkte auf der Verkaufsplattform D gesperrt werden, ergibt sich zudem unmittelbar aus den von der Verfügungsbeklagten auf Seite 10 des Schriftsatzes vom 11.01.2024 (Bl. 97 GA) eingeblendeten Erläuterungen von AM zu dem von der Verfügungsbeklagten gewählten Complaint-Verfahren. Bereits aus der Überschrift der Erläuterungen folgt, dass es sich bei der das Complaint-Verfahren einleitenden Mitteilung um eine Mitteilung an AM über eine Rechtsverletzung und nicht um eine an AM gerichtete Bitte um Prüfung handelt. Wie die Verfügungsbeklagte angesichts dessen zu der Einschätzung kommt, es handele sich um eine schlichte Berechtigungsanfrage, erschließt sich nicht. Hinzu kommt, dass es in den Erläuterungen wörtlich heißt
  73. „AM hat ein großes Interesse daran, Verstöße zu verhindern, und wir werden umgehend auf Deine Benachrichtigung reagieren, indem wir geeignete Maßnahmen ergreifen, zu denen auch die Entfernung der betreffenden Information oder des betreffenden Produkts gehören kann.“
  74. Weitere Maßnahmen, die AM auf die Mitteilung möglicherweise würde ergreifen können, sind in den Erläuterungen nicht aufgeführt. Insbesondere hat der letzte Satz der Erläuterungen, nach dem der Mitteiler AM erlaubt, die übermittelten Informationen für die Bearbeitung der Meldung zu verwenden, was auch die Weiterleitung des eingereichten Formulars an alle Parteien beinhalte, die an der Bereitstellung des mutmaßlich rechtsverletzenden Inhalts beteiligt seien, ganz offensichtlich vor allem einen datenschutzrechtlichen Hintergrund und lässt keinerlei Rückschluss darauf zu, dass eine Anhörung oder gar inhaltliche Prüfung durchgeführt werden würde, bevor die Produkte gesperrt würden. Vielmehr kann eine solche Weiterleitung auch dann erfolgen, wenn die Produktsperre bereits erfolgt ist und die Partei, deren Produkt von der Sperre betroffen ist, sich daraufhin an AM wendet. Es ist nichts dafür ersichtlich, dass AM die Produkte, die als schutzrechtsverletzend gemeldet wurden, nach Erhalt des Complaints – bzw. der Mitteilung über eine Rechtsverletzung – für die Dauer einer Anhörung weiterer Beteiligter und anschließenden Prüfung online belassen würde. Denn dann könnte AM selbst eine Rechtsverletzung vorgeworfen werden.
  75. Im Ergebnis steht fest, dass die Verfügungsbeklagte über die Complaints gegen die Produkte der Verfügungsklägerin versucht, die geschäftlichen Aktivitäten des behaupteten Schutzrechtsverletzers zu unterbinden. Dies wird durch die mit der B GmbH geführte Korrespondenz bestätigt, in der die Verfahrensbevollmächtigten der Verfügungsbeklagten angeben, die Verfügungsbeklagte habe sie beauftragt, die patentverletzenden Produkte von AM entfernen zu lassen. Wertungsmäßig macht es keinen Unterschied, ob der Dritte – wie im Falle der Abnehmerverwarnung – selbst vom Kauf eines Produkts abgehalten werden soll oder – wie hier – der Verkauf des Produkts dadurch verhindert werden soll, dass ein Händler bzw. eine Internethandelsplattform hierzu aufgefordert wird. Da sie die Complaints selbst erklärt hat, ist die Verfügungsbeklagte ohne Weiteres passivlegitimiert.
  76. Nach der Rechtsprechung des BGH können unberechtigte Schutzrechtsverwarnungen einen rechtswidrigen und gegebenenfalls schuldhaften Eingriff in das Recht am eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb nach § 823 Abs. 1 BGB darstellen und Ansprüche auf Schadensersatz und Unterlassung begründen (BGH, GRUR 2011, 152, Rz. 67 – Kinderhochstühle im Internet; BGH GRUR 2005, 882 – Unberechtigte Schutzrechtsverwarnung; BGH GRUR 2006, 432 Rz. 20 – Verwarnung aus Kennzeichenrecht II; BGH GRUR 2006, 433 Rz. 17 – Unbegründete Abnehmerverwarnung; LG Düsseldorf, GRUR-RS 2022, 52103). Die fehlende Berechtigung der Schutzrechtsverletzungsanzeige gegenüber AM kann sich wie bei der unberechtigten Abnehmerverwarnung aus formellen oder aus materiellen Gründen ergeben (vgl. LG Düsseldorf, GRUR-RS 2022, 52103; LG München I – GRUR-RS 2021, 31805 Rn. 52). Maßgebend ist dabei die objektive Rechtslage (LG Düsseldorf, GRUR-RS 2022, 52103; Köhler/Alexander, in: Bornkamm/Feddersen/Köhler, UWG, 42. Auflage 2024, § 4 Rn. 4.170).
  77. b.
    Die Überprüfung der formellen Anforderungen an die Schutzrechtsverletzungsanzeige ist vorliegend nicht möglich, weil keine der Parteien die Complaints zur Akte gereicht hat.
  78. c.
    Die Complaints genügen den materiell-rechtlichen Anforderungen an eine Schutzrechtsverletzungsanzeige nicht. Sie sind materiell unberechtigt, da die zu den dort aufgeführten E gehörigen Produkte das Verfügungspatent nicht verletzen.
  79. aa.
    Soweit die Verfügungsbeklagte den Complaint bezüglich 17 Produkten zurückgenommen und insoweit zu einer angeblichen Verletzung des Verfügungspatents nicht weiter vorgetragen hat, ist davon auszugehen, dass im Hinblick auf diese Produkte keine Verletzung des Verfügungspatents vorliegt. Jedenfalls bezüglich der Produkte, die etwa gar keine Leuchteinheit aufweisen, obwohl das Verfügungspatent sich auf eine lichtemittierende Einrichtung bezieht, ist zudem offensichtlich, dass keine Verletzung vorliegt.
  80. bb.
    Auch bezüglich der Produkte, zu denen die Verfügungsbeklagte ausführt, sie verletzten das Verfügungsgebrauchsmuster, ist die Schutzrechtsverwarnung unberechtigt. Denn unstreitig hat die Verfügungsbeklagte die Complaints auf eine vermeintliche Verletzung des Verfügungspatents gestützt. Eine solche liegt jedoch – davon geht die Kammer angesichts des Vortrags der Verfügungsbeklagten, die insoweit eine Verletzung des Verfügungspatents nicht mehr geltend macht, sondern sich auf eine vermeintliche Verletzung des Verfügungsgebrauchsmusters beruft – nicht vor. Es trifft auch nicht zu, dass es nicht darauf ankomme, welches Schutzrecht genau verletzt sei, solange überhaupt ein der Verfügungsbeklagten zustehendes Schutzrecht verletzt sei, da der Verfügungsklägerin ansonsten ein verbotenes Verhalten erlaubt werden würde. Bei einer Schutzrechtsverwarnung muss der andere Teil wissen, welches Schutzrecht Gegenstand der Verwarnung ist, um zu prüfen, ob und wie er sich gegen die Verwarnung verteidigt. Zudem spiegeln Antrag und Tenor wider, dass es vorliegend allein um Complaints wegen Verletzung des Verfügungspatents geht.
  81. cc.
    Schließlich liegt auch in Bezug auf die angegriffenen Ausführungsformen 2 bis 5 eine unberechtigte Schutzrechtsverwarnung vor. Denn keine der angegriffenen Ausführungsformen verletzt die Lehre des Verfügungspatents.
  82. (1).
    Das Verfügungspatent betrifft eine lichtemittierende Vorrichtung.
  83. Aus dem Stand der Technik führt das Verfügungspatent in seinem Absatz [0003] zunächst Leuchtdioden (LEDs) an und verweist auf deren Vorteile einer langen Lebensdauer, eines kleinen Volumens, einer hohen Stoßfestigkeit, einer geringen Wärmeerzeugung und eines geringen Stromverbrauchs, weshalb sie verbreitet als Anzeigeelemente oder Lichtquellen in Haushaltsgeräten und verschiedenen anderen Geräten verwendet würden. Es sei sogar möglich, dass die LEDs in Zukunft zu gängigen Belichtungsquellen würden, die sowohl Stromspar- als auch eine Umweltschutzfunktion aufwiesen. In seinem Absatz [0004] führt das Verfügungspatent weiter aus, in den letzten Jahren seien von den Herstellern auf diesem Gebiet Träger-Anschlussrahmen vom Zerteilungstyp entwickelt worden. Insbesondere werde ein Kunststoffkörper an ein Metallblechmaterial geformt, dann würden ein Chipbond-Prozess, ein Drahtbond-Prozess und ein Ummantelungsprozess durchgeführt, und dann würden das Metallblechmaterial und der Kunststoffkörper gleichzeitig zerteilt, um einzelne lichtemittierende Vorrichtungen zu bilden, die voneinander getrennt seien.
  84. Hieran kritisiert das Verfügungspatent in seinem Absatz [0004], dass während des Zerteilungsprozesses meist eine große Menge an Kunststoff- und Metallstaub erzeugt würde, die die Oberflächen der Endprodukte erheblich verschmutze und daher die Zuverlässigkeit der Produkte verschlechtere. Zudem gestatte der aus dem Stand der Technik bekannte Prozess keine Einschaltprüfung vor dem Ummantelungsprozess, weshalb Messungen erst vorgenommen werden könnten, nachdem die Produkte vereinzelt worden seien. Die vereinzelten Endprodukte seien jedoch zufällig angeordnet, so dass maschinelle Messungen erst nach einer Oberflächenausrichtung und einer Richtungskorrektur vorgenommen werden könnten. Dies erfordere die Verwendung zusätzlicher Geräte und sei zeitaufwändig.
  85. Ohne ausdrücklich eine Aufgabe zu formulieren, erklärt das Verfügungspatent in Absatz [0005], durch die verfügungspatentgemäßen Vorteile eines näher beschriebenen Träger-Anschlussrahmens könnten die Produktionsgeschwindigkeit und der Produktionsertrag der lichtemittierenden Vorrichtung erheblich verbessert werden.
  86. Vor diesem Hintergrund schlägt das Verfügungspatent in seinem Anspruch 1 eine lichtemittierende Einrichtung mit folgenden Merkmalen vor:
  87. 1. Lichtemittierende Einrichtung, die Folgendes umfasst:
    2. einen Träger (110);
    3. einen Leuchtdioden-Chip, LED-Chip,
    1.1 LED-Chip, der in dem Träger getragen wird; und
    4. eine Einkapselung, die den LED-Chip abdeckt,
    5. der Träger umfasst Folgendes:
    1.1 mindestens einen Elektrodenabschnitt (112),
    1.1.1 wobei der eine oder jeder der mehreren Elektrodenabschnitte mindestens einen Elektrodenabschnittsquerschnitt (112A) besitzt; und
    1.2 ein Gehäuse (111),
    1.2.1 das einen Gehäusequerschnitt (111A) besitzt,
    1.2.2 das Gehäuse deckt mindestens teilweise den mindestens einen Elektrodenabschnitt ab;
    6. der Gehäusequerschnitt (111A) und der Elektrodenabschnittsquerschnitt sind (112A) nicht höhengleich und
    7. der eine oder jeder der mehreren Elektrodenabschnitte weist auf
    1.1 einen zentralen Bereich (112A1) und
    1.2 zwei Kantenbereiche (112A2)
    8. der Elektrodenabschnittsquerschnitt befindet sich auf mindestens einem der beiden Kantenbereiche;
    9. der zentrale Bereich und die beiden Kantenbereiche stehen von dem Gehäusequerschnitt (111A) vor;
    10. der zentrale Bereich (112A1) steht von den beiden Kantenbereichen (112A2) vor.
  88. (2).
    Die angegriffenen Ausführungsformen 2 bis 5 machen von Merkmal 6 des Verfügungspatents keinen Gebrauch. Nach Merkmal 6 sind der Gehäusequerschnitt und der Elektrodenabschnittsquerschnitt nicht höhengleich.
  89. (a).
    Zur Prüfung dieses Merkmals ist zunächst die verfügungspatentgemäße Lage des Gehäusequerschnitts und des Elektrodenabschnittsquerschnitts zu verorten.
  90. (aa).
    Nach der Lehre des Verfügungspatents wird der Gehäusequerschnitt durch die in die gleiche Richtung wie der Flügelabschnitt zeigende Stirnseite des seitlich an den Elektrodenabschnitt angrenzenden Gehäuses gebildet. Insoweit besteht auch zwischen den Parteien Einigkeit.
  91. (bb).
    Das Verfügungspatent versteht unter dem Elektrodenabschnittsquerschnitt zunächst die Stirnseite eines Bereichs des Elektrodenabschnitts, was zwischen den Parteien zu Recht außer Streit steht. Ebenfalls unstreitig ist, dass der Elektrodenabschnittsquerschnitt sich – entsprechend Merkmal 8 – auf (mindestens) einem (in Merkmalsgruppe 7 beschriebenen) Kantenbereich (des Elektrodenabschnitts) befindet.
  92. Die Kantenbereiche umfassen unstreitig jedenfalls die in der nachfolgend eingeblendeten Figur 7 seitens der Kammer rot eingefassten Bereiche.
  93. Unabhängig davon, ob die Kantenbereiche jeweils auch die in der nachstehend eingeblendeten Abbildung der Figur 7 seitens der Kammer rot umrandeten Bereiche umfassen,
  94. liegt der Elektrodenabschnittsquerschnitt jedenfalls in dem Bereich, in dem der Kantenbereich seitlich an den Gehäusequerschnitt angrenzt.
  95. Dies folgt aus den Angaben in Absatz [0036], die in Zusammenhang mit dem Ausführungsbeispiel gemäß der nachfolgend eingeblendeten Figur 5 stehen.
  96. Zunächst heißt es dort, dass die Elektrodenabschnitt-Querschnittfläche nicht auf einer Ebene mit der Gehäusequerschnittfläche ist. Die Kammer verkennt nicht, dass diese Passage lediglich auf ein Ausführungsbeispiel bezogen ist, das nicht geeignet ist, einen weiter gefassten Anspruch zu beschränken. Allerdings formuliert die Verfügungspatentschrift in der Folge, dass der Elektrodenabschnitt in diesem Fall einen zusätzlichen seitlichen Bereich aufweist, der vorteilhaft ist, weil er die Bindekraft mit dem Lötmaterial erhöhen kann, wodurch die Bindekraft der Komponenten der lichtemittierenden Vorrichtung nach dem anschließenden Bonding-Prozess der Komponenten erhöht wird. In Absatz [0037] führt die Verfügungspatentschrift als weiteren Vorteil an, dass das Lötmaterial während des Bonding-Prozesses der Komponenten entlang der Seitenfläche des Flügelabschnitts [des Elektrodenabschnitts, Ergänzung durch die Kammer] hochsteigen und die Seitenfläche bedecken kann, und in diesem Fall wenigstens ein Teil des nicht von der Antioxidationsschicht bedeckten Querschnitts von dem Lötmaterial bedeckt werden kann, wodurch die Oxidation des Querschnitts verringert wird. Verfügungspatentgemäß werden diese Vorteile gerade dadurch erreicht, dass der Flügelabschnitt eine (weitere) Seitenfläche ausbildet. Diese zusätzliche Seitenfläche bildet er gerade dadurch aus, dass die Elektrodenabschnitt-Querschnittfläche nicht auf einer Ebene mit dem Gehäusequerschnitt liegt.
  97. Bestätigt wird dieses Verständnis durch die Angaben des Verfügungspatents in Absatz [0035], nach denen die Elektrodenabschnitt-Querschnittfläche und die Gehäusequerschnittfläche miteinander auf einer Ebene sein (d.h. eine ebene Oberfläche bilden) können, was allerdings – wie auch das Bundespatentgericht in seinem Hinweis vom 14.02.2024 (Bl. 372 ff. in 4a O 28/23) ausführt – nicht verfügungspatentgemäß ist. Aus Absatz [0035] ergibt sich ferner, dass die beiden Bauteile, wenn sie nicht miteinander auf einer Ebene sind, keine ebene Oberfläche bilden. Auch dies verdeutlicht, dass der Elektrodenabschnittsquerschnitt jedenfalls dort verortet sein muss, wo der Gehäusequerschnitt und der Kantenbereich aufeinandertreffen.
  98. Hinzu kommt, dass – soweit erkennbar – der Elektrodenabschnittsquerschnitt bei allen in der Verfügungspatentschrift dargestellten beispielhaften Gestaltungen unabhängig von seinem konkreten Verlauf (seitlich) unmittelbar an den Gehäusequerschnitt angrenzt.
  99. (b).
    Dass Gehäusequerschnitt und Elektrodenabschnittsquerschnitt gemäß Merkmal 6 nicht höhengleich sind, bedeutet, dass diese Bauteile im Übergangsbereich nicht in einer Ebene liegen dürfen.
  100. Denn nur dann können die in den Absätzen [0036] und [0037] geschilderten Vorteile der verfügungspatentgemäßen Ausgestaltung erreicht werden, die gerade voraussetzen, dass eine weitere Seitenfläche ausgebildet wird. Dieses Verständnis wird bestätigt durch die Angaben in Absatz [0036], nach denen der Vorteil der Gestaltung gemäß Figur 5 gegenüber der Ausgestaltung gemäß Figur 1 gerade durch die in Figur 5 gezeigte zusätzliche Seitenfläche erreicht wird. Die vorstehende Auslegung steht im Einklang mit den Ausführungen des Bundespatentgerichts im Hinweis vom 14.02.2024 (Bl. 372 ff. der Akte 4a O 28/23, dort S. 7). In Anwendung dieser Auslegung hat das Bundespatentgericht zudem erklärt, dass lediglich die Figuren 5 und 7 verfügungspatentgemäße Ausführungsbeispiele zeigen dürften (S. 5 des Hinweises, Bl. 376 der Akte in 4a O 28/23).
  101. Dazu, in welcher Größenordnung der Höhenunterschied sich verfügungspatentgemäß bewegen soll, gibt die Verfügungspatentschrift einen Anhaltspunkt, indem sie zu den in dem Ausführungsbeispiel gemäß Figur 7 ausgewiesenen Abständen D1 und D3 Werte benennt. In Absatz [0042] beziffert sie den Abstand D1 mit 0,1 mm und den Abstand D3 mit 0,075 mm. Angesichts dieser Angaben ist erkennbar, dass der Höhenunterschied zwischen Elektrodenabschnittsquerschnitt und Gehäusequerschnitt in dem Ausführungsbeispiel gemäß Figur 7 etwa 0,025 mm beträgt. Ein Höhenunterschied in dieser Größenordnung ist daher ausreichend. Dazu, ob auch ein deutlich geringerer Höhenunterschied verfügungspatentgemäß ist, verhält sich die Verfügungspatentschrift nicht. Die Funktion des Höhenunterschiedes, eine zusätzliche Seitenfläche zur Erhöhung der Bindekraft mit dem Lötmaterial auszubilden, bestätigt, dass ein deutlich geringerer Höhenunterschied nicht der Lehre des Verfügungspatents unterfällt, da der verfügungspatentgemäße Vorteil bei einer entsprechenden Ausgestaltung nicht erreicht würde.
  102. (c).
    Auf Grundlage dieses Verständnisses verwirklichen die angegriffenen Ausführungsformen Merkmal 6 nicht, da jeweils der an den Gehäusequerschnitt (seitlich) angrenzende Bereich mit dem Gehäusequerschnitt in einer Ebene liegt und daher mit diesem höhengleich ist.
  103. Die Verfügungsklägerin hat bezüglich aller vier angegriffenen Ausführungsformen schlüssig dargelegt, dass sich Elektrodenabschnittsquerschnitt und Gehäusequerschnitt in einer Ebene befinden. Sie hat zu den in den angegriffenen Ausführungsformen verbauten Leuchtmitteln gehörige Datenblätter vorgelegt, die sie von den Herstellern der Leuchtmittel erhalten hat. Aus diesen Datenblättern ergibt sich jeweils, dass Elektrodenabschnittsquerschnitt und Gehäusequerschnitt in einer Ebene liegen. Dies hat die Verfügungsklägerin unter Bezugnahme auf in den Datenblättern enthaltene Abbildungen nachvollziehbar dargelegt. Das zu der angegriffenen Ausführungsform 4 gehörige Datenblatt (Anlage KAP16) zeigt auf seiner Seite 2 eine Abbildung und eine Zeichnung, aus denen sich ergibt, dass kein Höhenunterschied zwischen den entsprechenden Bereichen besteht. Ebenso verhält es sich mit dem zur angegriffenen Ausführungsform 5 gehörigen Datenblatt (Anlage KAP19), das auf Seite 9 eine Zeichnung enthält, die keinen Höhenunterschied zeigt. Schließlich zeigt auch das zu den angegriffenen Ausführungsformen 2 und 3 gehörige Datenblatt (Anlage KAP15) auf seinem Deckblatt ein Produkt und auf Seite 35 eine Zeichnung, die in dem relevanten Bereich keinen Höhenunterschied ausweisen.
  104. Soweit die Verfügungsbeklagte mit Schriftsatz vom 12.02.2024 vorträgt, den hochauflösenden Fotografien aller vier angegriffenen Ausführungsformen sei zu entnehmen, dass der Elektrodenabschnittsquerschnitt auch in dem Bereich, in dem er seitlich an den Gehäusequerschnitt angrenzt, von dem Gehäusequerschnitt vorstehe, verfängt das nicht. Zur angegriffenen Ausführungsform 2 hat die Verfügungsbeklagte angegeben, bei der entsprechenden Aufnahme handele es sich um eine 300-fache Vergrößerung, insgesamt hat sie erklärt, es handele sich bei allen Aufnahmen um 200- bis 300-fache Vergrößerungen. Sie hat aber nicht dazu vorgetragen, wie weit der jeweilige Elektrodenabschnittsquerschnitt tatsächlich gegenüber dem Gehäusequerschnitt vorstehen würde und ob und an welcher Stelle sie eine entsprechende Messung vorgenommen hätte. Ohne einen entsprechenden Vortrag sind die seitens der Verfügungsbeklagten vorgelegten Lichtbilder aber nicht ergiebig. Den zu den angegriffenen Ausführungsformen 4 und 5 gehörigen Lichtbildern ist – angesichts der erheblichen Vergrößerung – bereits kein relevanter Höhenunterschied zu entnehmen. Bezüglich aller angegriffenen Ausführungsformen kommt hinzu, dass die Verfügungsklägerin unter Vorlage von Datenblättern nachvollziehbar vorgetragen hat, dass ein im Rahmen der Produktion wiederholbar herbeigeführter und kontrollierter Höhenunterschied nicht gegeben sei. Diesen Vortrag vermögen die Ausführungen der Verfügungsbeklagten auch unter Heranziehung der vorgelegten Lichtbilder nicht zu erschüttern. Aus den zu den angegriffenen Ausführungsformen 2 und 3 vorgelegten Lichtbildern ergeben sich etwa durchaus Unterschiede zwischen den Ausführungsformen, obwohl beide denselben Spezifikationen des Datenblatts gemäß Anlage KAP15 unterliegen. Aus der dortigen Zeichnung auf Seite 35 ergibt sich zudem, dass in dem relevanten Bereich Toleranzen von +/- 0,10 mm zulässig sind. Hinzu kommt, dass die Verfügungsbeklagte in der mündlichen Verhandlung selbst vorgetragen hat, durch den Hitzeeintrag beim Verlöten im Herstellungsprozess dürfte sich ein Teil des Gehäuses der angegriffenen Ausführungsformen verflüssigt haben und nach unten gelaufen sein; zudem ließen die hohe Auflösung und starke Vergrößerung eine glatte Oberfläche rau erscheinen. Auch unter Berücksichtigung dieses Vortrages ist nicht erkennbar, dass die angegriffenen Ausführungsformen einen für die Verwirklichung des Merkmals 6 ausreichenden Höhenunterschied zwischen Elektrodenabschnittsquerschnitt und Gehäusequerschnitt aufweisen würden. Vielmehr spricht der Vortrag zur Verflüssigung eines Teils des Gehäuses beim Löten dagegen, dass ein solcher Höhenunterschied bei den angegriffenen Ausführungsformen vorhanden ist, da er nicht eine (gezielte) Herbeiführung eines Höhenunterschiedes belegt, sondern vielmehr verdeutlicht, dass die Frage, ob und gegebenenfalls in welcher Größenordnung überhaupt ein Höhenunterschied vorliegt, dem Zufall unterliegt bzw. eine Herstellungstoleranz darstellt. Der Vortrag, dass in den zu den angegriffenen Ausführungsformen vorgelegten Lichtbildern wegen der hohen Auflösung und starken Vergrößerung glatte Oberflächen rau wirken würden, steht im Einklang damit, dass die Gehäusequerschnitte auf den Lichtbildern im Übergangsbereich zum Teil ausgefranst wirken. Wenn diese Wirkung auf der starken Vergrößerung und hohen Auflösung beruht, lässt sich den Lichtbildern dort auch kein relevanter Höhenunterschied entnehmen.
  105. d.
    Bezüglich der Rechtswidrigkeit des Eingriffs bestehen keine Bedenken. Denn die Verfügungsbeklagte hat offenbar mehr oder weniger ungeprüft Complaints bezüglich 30 Produkten, von denen mehrere ganz offensichtlich nicht patentverletzend sind, erhoben. Von den in den Complaints insgesamt 30 unter Angabe der E benannten Produkten vertritt die Verfügungsbeklagte nunmehr nur noch bezüglich vier Produkten, dass diese das Verfügungspatent verletzen würden. Die erforderliche Interessenabwägung geht daher zu Lasten der Verfügungsbeklagten aus.
  106. e.
    Die für den in die Zukunft gerichteten Unterlassungsanspruch erforderliche Wiederholungs- oder Begehungsgefahr liegt vor. Die tatsächlich erfolgten Eingriffe in den Gewerbebetrieb der Verfügungsklägerin begründen eine Wiederholungsgefahr, die fortbesteht. Allein die Rücknahme eines Teils der Complaints lässt die Wiederholungsgefahr nicht entfallen. Eine entsprechende strafbewehrte Unterlassungs- und Verpflichtungserklärung hat die Verfügungsbeklagte nicht abgegeben.
  107. 2.
    Der geltend gemachte Beseitigungsanspruch ergibt sich ebenfalls aus § 823 Abs. 1 BGB i.V.m. § 1004 BGBG analog wegen eines rechtswidrigen Eingriffs in den eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb. Zu den Voraussetzungen des Anspruchs wird auf die Ausführungen im Zusammenhang mit dem Unterlassungsanspruch verwiesen, die hier (mit Ausnahme der Ausführungen zur Wiederholungsgefahr) entsprechend gelten. Das zusätzliche Erfordernis der fortdauernden Beeinträchtigung ist bezüglich der 14 Produkte, deren E im Tenor zu Ziffer II. genannt sind, gegeben, da die Produkte noch gesperrt sind.
  108. 3.
    Die geltend gemachten Ansprüche ergeben sich auch unter dem Gesichtspunkt einer gezielten Mitbewerberbehinderung gemäß § 4 Nr. 4 UWG.
  109. a.
    Der Unterlassungsanspruch folgt ebenfalls aus §§ 8 Abs. 1, 3 Abs. 1, 4 Nr. 4 UWG.
  110. aa.
    Bei den Parteien handelt es sich um Mitbewerber im Sinne von § 2 Abs. 1 Nr. 4 UWG, da beide in Deutschland Leuchtmittel an Abnehmer vertreiben.
  111. bb.
    Die Mitteilung der Complaints gegenüber AM stellt auch eine unlautere geschäftliche Handlung in Form einer gezielten Behinderung der Verfügungsklägerin als Mitbewerberin der Verfügungsbeklagten dar. Denn – wie im Zusammenhang mit den Ansprüchen wegen Eingriffs in den eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb dargestellt – handelt es sich bei den seitens der Verfügungsbeklagten erhobenen Complaints um unberechtigte Schutzrechtsverwarnungen. Sie sind darauf gerichtet, den Absatz des Mitbewerbers zu behindern und sind daher als gezielte Behinderung im Sinne von § 4 Nr. 4 UWG zu qualifizieren (vgl. Köhler/Alexander, in: Köhler/Bornkamm/Feddersen, UWG, 42. Auflage 2024, § 4 Rn. 4.177f.).
  112. cc.
    Wiederum hat die Verfügungsbeklagte die durch die erfolgte Verletzung begründete Wiederholungsgefahr nicht durch Abgabe einer strafbewehrten Unterlassungserklärung ausgeräumt.
  113. b.
    Der Beseitigungsanspruch ist ebenfalls aus §§ 8 Abs. 1, 3 Abs. 1, 4 Nr. 4 UWG begründet.
  114. II.
    Schließlich liegt auch ein Verfügungsgrund vor.
  115. 1.
    Gemäß § 12 Abs. 1 UWG wird der Verfügungsgrund vermutet. Die entsprechende Vermutung hat die Verfügungsbeklagte nicht widerlegt. Vielmehr ist die Sache offensichtlich eilbedürftig. Denn nach wie vor sind 14 Produkte der Verfügungsklägerin auf der Verkaufsplattform D gesperrt, wodurch erhebliche Umsatzeinbußen drohen und die Gefahr besteht, dass sich die Abnehmer der Verfügungsklägerin nach alternativen Produkten umsehen.
  116. Die Verfügungsklägerin hat durch ihr Verhalten auch nicht zu erkennen gegeben, dass ihr die Sache nicht eilig wäre. Sie hat vielmehr versucht, die Zustellung schnell zu erreichen. Die Erhebung der Widerklage in dem anhängigen Klageverfahren war vor diesem Hintergrund prozessökonomisch. Dass die Erhebung der Widerklage der Verfügungsklägerin zugleich die Möglichkeit eröffnete, den Antrag auf Erlass der einstweiligen Verfügung in Deutschland an die dortigen Prozessbevollmächtigten der hiesigen Verfügungsbeklagten zuzustellen, hat im Ergebnis zu einer Beschleunigung des einstweiligen Verfügungsverfahrens geführt. Das entsprechende Vorgehen der Verfügungsklägerin belegt somit, dass ihr die Sache eilig ist. Ihr kann im Ergebnis auch nicht mit Erfolg vorgeworfen werden, dass sie sich – unter Ausnutzung der von der deutschen Zivilprozessordnung vorgesehenen Möglichkeiten – um eine schnelle Zustellung und damit eine kurze Verfahrensdauer bemüht hat.
  117. 2.
    Dass die Widerklage und das einstweilige Verfügungsverfahren am gleichen Tag verhandelt worden sind, lässt den Verfügungsgrund nicht entfallen. Dieser Umstand führt nicht dazu, dass die Interessenabwägung zu Lasten der Verfügungsklägerin ausgehen würde. Denn die Verfügungsklägerin hat auch im Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung ein Interesse daran, dass über ihren Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung schnell entschieden wird. Dies gilt umso mehr, als im Hauptsachverfahren ein hilfsweiser Aussetzungsantrag gestellt ist und für die Verfügungsklägerin keine Gewissheit besteht, dass über die Verletzungsklage oder die Widerklage in einem Verkündungstermin inhaltlich entschieden werden wird. Auch die dem Gericht grundsätzlich eröffnete Möglichkeit, über die Widerklage durch Teilurteil zu entscheiden, nimmt der Verfügungsklägerin nicht das Interesse an einer Entscheidung über den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung.
  118. C.
    Die Kostenentscheidung beruht auf § 92 Abs. 2 Nr. 1 ZPO. Die Voraussetzungen dieser Norm liegen nach der teilweisen Rücknahme des auf Beseitigung gerichteten Antrags vor.
  119. Eines Ausspruchs zur vorläufigen Vollstreckbarkeit bedurfte es nicht.
  120. Verfahrenswert: 50.000,00 EUR

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