Düsseldorfer Entscheidungen Nr. 3345
Oberlandesgericht Düsseldorf
Urteil vom 04. April 2024, I-2 U 72/23
Vorinstanz: 4b O 20/23
- I. Die Berufung der Klägerin gegen das am 24.08.2023 verkündete Urteil der 4b Zivilkammer des Landgerichts Düsseldorf wird zurückgewiesen.
- II. Die Klägerin hat die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen.
- III. Dieses Urteil und das Urteil des Landgerichts sind für die Beklagten wegen ihrer Kosten vorläufig vollstreckbar.
- Die Klägerin darf die Zwangsvollstreckung gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 120 % des aufgrund der Urteile vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagten vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 120 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leisten.
- IV. Die Revision wird nicht zugelassen.
- V. Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird auf 1.000.000,- Euro festgesetzt.
- Gründe:
- I.
- Die Klägerin nimmt die Beklagten wegen Verletzung des deutschen Teils des europäischen Patents EP 2 146 XXA B1 (nachfolgend: Klagepatent), dessen eingetragene Inhaberin sie ist, auf Unterlassung, Auskunftserteilung und Rechnungslegung, Feststellung der Schadenersatzpflicht, Vernichtung (nur die Beklagte zu 2)) sowie auf Rückruf in Anspruch.
- Das Klagepatent wurde am 30.04.2008 unter Inanspruchnahme der Priorität der DE 102007023XXB vom 20.05.2007 in deutscher Verfahrenssprache angemeldet. Die Offenlegung der Patentanmeldung erfolgte am 27.01.2010. Der Hinweis auf die Erteilung des Klagepatents wurde am 29.02.2012 veröffentlicht. Der deutsche Teil des Klagepatents steht in eingeschränktem Umfang in Kraft, nachdem das Klagepatent auf eine Nichtigkeitsklage der Beklagten zu 1) hin (5 Ni 27/19 (EP)) mit Urteil des Bundespatentgerichts vom 27.07.2021 (Anlage KAP 4) in einer eingeschränkten Fassung aufrechterhalten wurde. Die hiergegen eingelegte Berufung hat die Beklagte zu 1) zurückgenommen.
- Das Klagepatent trägt die Bezeichnung „D“. Sein Patentanspruch 1 ist in der aufrechterhaltenen und von der Klägerin geltend gemachten Fassung wie folgt formuliert, wobei die durch die Entscheidung des Bundespatentgerichts hinzugekommenen Merkmale durch Unterstreichung gekennzeichnet sind:
- „Drehantreibbares spanabhebendes Werkzeug, insbesondere Feinbearbeitungswerkzeug, wie z.B. Reibahle, mit integrierter Kühl/Schmiermittelversorgung, zur Bearbeitung von Bohrungen, insbesondere Durchgangsbohrungen, mit einem Schneidteil (24; 124; 224), an dem eine Vielzahl von Schneiden (28; 128; 228) bzw. Schneidkanten und Spannuten (30; 130; 230) ausgebildet sind, und einem Schaft (26; 126; 226), der auf einer dem Schneidteil (24; 124; 224) abgewandten Seite einen Einspannabschnitt (22; 122; 222) ausbildet, dadurch gekennzeichnet, dass im Einspannabschnitt (22; 122; 222) eine der Anzahl der Spannuten (30) entsprechende Anzahl von umfangsseitig geschlossenen Kühl-/Schmiermittelkanälen (38) mit dem Schneidteil (24; 124; 224) abgewandten Eingangsöffnungen derart ausgebildet sind, dass aus dem Schneidteil (24; 124; 224) zugewandten stirnseitigen Austrittsöffnungen (42) des Einspannabschnitts (22; 122; 222) austretendes Kühl-/Schmiermittel entlang des Schafts (26) in einem freien Strahl ohne radial außenliegende Begrenzung in jeweils eine zugeordnete Spannut (30) des Schneidteils (24) einspeisbar ist,
- das Werkzeug aus einem Hartstoff einstückig aufgebaut ist,
- die Spannnuten (30) ausschließlich im Bereich des Schneidteils (24; 124; 224) eingeschliffen sind, und
- der frei austretende Kühl-/Schmiermittelstrahl über eine bestimmte axiale Strecke (Länge des Schafts) vom Außendurchmesser des an den Einspannabschnitt (22; 122; 222) anschließenden Schaftabschnitts (26; 126; 226) gestützt ist.“
- Die nachfolgend verkleinert wiedergegebene Figur 3 der Klagepatentschrift erläutert die Erfindung auf der Grundlage der ursprünglichen Anspruchsfassung anhand eines bevorzugten Ausführungsbeispiels. Es handelt sich um eine perspektivische Ansicht eines drehantreibbaren spanabhebenden Werkzeugs in der Ausgestaltung einer Reibahle:
- Zu sehen sind insbesondere die offen ausgestalteten Kühl-/Schmiermittelkanäle (38) am Einspannabschnitt (22) sowie die Spannuten (30) des Schneidteils (24).
- Die Beklagten bieten in der Bundesrepublik Deutschland Fräswerkzeuge mit integrierter Kühl-/Schmiermittelversorgung unter der Bezeichnung „E“ an, die Beklagte zu 2) stellt diese in der Bundesrepublik Deutschland zudem her. Dazu gehören Fräswerkzeuge mit vier Kühl-/Schmiermittelkanälen und vier Spannuten, die der Bearbeitung von rostfreien Stählen, Titanlegierungen, CrCo- und Superlegierungen dienen (angegriffene Ausführungsform A), mit drei Kühl-/Schmiermittelkanälen und drei Spannuten, die im Übrigen identisch mit der angegriffenen Ausführungsform A sind (angegriffene Ausführungsform B) sowie mit vier Kühl-/Schmiermittelkanälen und zwei Spannuten, die im Übrigen ebenfalls identisch mit der angegriffenen Ausführungsform A sind (angegriffene Ausführungsform C).
- In einer Broschüre der Beklagten (Anlage KAP 8) ist ein Exemplar des Fräswerkzeugs „E“ exemplarisch wie folgt abgebildet und beschrieben:
- Nachfolgend werden zudem von der Klägerin vorgelegte Abbildungen der angegriffenen Ausführungsformen eingeblendet (vgl. Anlagenkonvolute KAP 12, KAP 15, KAP 18 bzw. S. 23 ff. der Klageschrift, Bl. 25 ff. eA LG):
- Typ A:
- Typ B:
- Typ C:
- Die Klägerin sieht in der Herstellung (nur durch die Beklagte zu 2)) und im Angebot der angegriffenen Ausführungsformen vom Typ A, B und C in der Bundesrepublik Deutschland eine unmittelbare Verletzung des Klagepatents. Nach ihrer Auffassung machen diese wortsinngemäß von der technischen Lehre des Klagepatents Gebrauch.
- Die Beklagten, die Klageabweisung beantragt haben, haben bereits erstinstanzlich eine Verletzung des Klagepatents in Abrede gestellt und sich hilfsweise auf ein privates Vorbenutzungsrecht gemäß § 12 PatG berufen.
- Mit Urteil vom 24.08.2023 hat das Landgericht Düsseldorf die Klage abgewiesen und zur Begründung im Wesentlichen ausgeführt:
- Die vom Klagepatent geforderte „der Anzahl der Spannuten entsprechende Anzahl von Kühl-/Schmiermittelkanälen“ liege nur vor, wenn die Anzahl der Kühl-/Schmiermittelkanäle mit der Anzahl der Spannuten zahlenmäßig übereinstimme. Ein solches Verhältnis von 1:1 ergebe sich auch aus der weiteren Vorgabe im Anspruch, wonach das aus den Austrittsöffnungen austretende Kühl-/Schmiermittel in „jeweils eine zugeordnete Spannut“ einspeisbar sei. Das Klagepatent ziele – wie bereits der in ihm gewürdigte Stand der Technik – darauf ab, das Kühl-/Schmiermittel eines jeden Kanals unter geringen Verlusten in genau eine Spannut einzuleiten. Auch das Bundespatentgericht halte in seinem Urteil vom 27.07.2021 eindeutig fest, dass die Kühl-/Schmiermittelkanäle und die Spannuten zahlenmäßig übereinstimmen müssten.
- Weil die Kühl-/Schmiermittelkanäle ferner so ausgebildet seien, dass das aus ihren Austrittsöffnungen austretende Kühl-/Schmiermittel einen „freien Strahl“ bilde, genüge es nicht, dass das Kühl-/Schmiermittel irgendwie aus den Kanälen austrete, schon gar nicht in alle Richtungen versprüht werde. Vielmehr solle das Kühl-/Schmiermittel die Austrittsöffnungen als ein gerichteter Strom verlassen. Ferner sei, wie sich insbesondere dem Begriff „einspeisbar“ entnehmen lasse, erforderlich, dass der jeweilige Kühl-/Schmiermittelstrahl auf den Beginn der jeweils zugeordneten Spannut ausgerichtet sei und auf diesen treffe, so dass das Kühl-/Schmiermittel von da an durch die Spannut weitergeleitet werden könne. Das vom Klagepatent erstrebte Strömungsprofil lasse sich – insbesondere wenn das Schneidteil in die Bohrung eingetaucht sei – nicht bzw. nicht sicher erzeugen, wenn die Kühl-/Schmiermittelstrahlen wahllos auf die Spannuten träfen. Erst Recht gelte dies, wenn die Strahlen gar nicht auf das Schneidteil gerichtet seien, sondern das Werkstück träfen und die Spannuten durch herumspritzende Tropfen mit Kühl-/Schmiermittel benetzt würden. Die nach dem Verständnis des Klagepatents für die Ausbildung des gewünschten Strömungsprofils in der Spannut erforderliche Strömungsgeschwindigkeit erreiche der Kühl-/Schmiermittelstrahl, wie sich Abs. [0013] entnehmen lasse, in seinem Kernbereich, mit dem der Strahl dementsprechend auf die Spannut treffen müsse. Die zielgerichtete und mit möglichst geringen Verlusten erfolgende Einspeisung von Kühl-/Schmiermittel in die Spannuten entspreche zudem der aus dem gewürdigten Stand der Technik bekannten Funktionsweise, die das Klagepatent im Grundsatz beibehalten und nur mit Blick auf den als nachteilig kritisierten Aufwand bei der Werkzeugherstellung fortentwickeln wolle. Auch das Bundespatentgericht gehe davon aus, dass jeder der Kühl-/Schmiermittelstrahlen größtenteils in die jeweils zugeordnete Spannut treffen müsse.
- Soweit der Anspruch weiter verlange, dass der Kühl-/Schmiermittelstrahl über eine bestimmte axiale Strecke (Länge des Schafts) vom Außendurchmesser des an den Einspannabschnitt anschließenden Schaftabschnitts geführt werde, dürften die diesbezüglichen Anforderungen nicht zu hoch gestellt werden und müssten sich an dem von der Vorgabe verfolgten Zweck, den Strahl möglichst vollumfänglich in die Spannut einzuspeisen, orientieren. Diesem Zweck entspreche es, dass der Schaft ein Hindernis bilde, das die aus den Austrittsöffnungen der Kanäle austretenden Strahlen davon abhalte, sich radial weiter aufzufächern. Aus der Sicht des Fachmanns, die durch die Beschreibung des Klagepatents bestätigt werde, komme es jedoch nicht darauf an, dass sich der Strahl zwingend über die gesamte Länge an den Schaft anschmiege, sondern dass dies über einen nicht unwesentlichen Teil geschehe. Entscheidend sei dabei vor allem der Endbereich des Schafts, an den sich das Schneidteil mit den Spannuten anschließe, in die der Strahl letztlich geleitet werden solle. Auch das Bundespatentgericht habe in seinem Urteil deutlich gemacht, dass es auf die durch die Beschaffenheit des Schafts gegebene Möglichkeit, den Strahl zu stützen, ankomme, nicht aber darauf, dass der Strahl sich der gesamten Länge nach an den Schaft anschmiege.
- Ausgehend von einem solchen Verständnis fehle es bei der angegriffenen Ausführungsform C mit ihren vier Kühl-/Schmiermittelkanälen und zwei Spannuten bereits an der Ausbildung einer der Anzahl der Spannuten entsprechenden Anzahl von Kühl-/Schmiermittelkanälen.
- Die Klägerin habe hinsichtlich aller angegriffenen Ausführungsformen (A, B und C) zudem nicht deren Eignung für die anspruchsgemäß erforderliche Einspeisbarkeit der Kühl-/Schmiermittelstrahlen in eine jeweils zugeordnete Spannut darzulegen vermocht. Denn die Beklagten hätten plausibel dargelegt, dass die angegriffenen Ausführungsformen ein von der erfindungsgemäßen Lehre grundlegend verschiedenes Kühlkonzept verfolgten, bei dem im Sinne eines regelrechten Flutens mit Kühl-/Schmiermittel eine große Menge an Fluid vorhanden sei, von dem nur ein kleiner Anteil in die Nuten gelange und bei dem das Werkzeug durch indirekte Benetzung der Schneiden durch Tröpfchenflug aus den Strahlen und durch Zerplatzen der Strahlen auf dem Werkstück und das nachfolgende Eindringen der zerplatzten Fluidmasse in die Nuten geschmiert und gekühlt werde. Die Klägerin habe hingegen schon nicht dargetan, dass der aus den Öffnungen austretende, frei fliegende Kühl-/Schmiermittelstrahl in seinem Kern auf die jeweils zugeordnete Spannut gerichtet sei, zumal zwischen den Parteien unstreitig sei, dass der Querschnitt der Austrittsöffnungen der Kühl-/Schmiermittelkanäle keine Überschneidung mit demjenigen der – radial nach innen versetzten – Spannuten aufweise, und dass der Strahl auch nicht mit einem Anstellwinkel aus den Öffnungen trete. In dem von der Klägerin als Anlage KAP 25 überreichten Video, welches das Austreten eines Kühl-/Schmiermittelstrahls aus den Kanälen während der ersten Umdrehungen eines angegriffenen Fräsers zeige, seien die Kühl-/Schmiermittelstrahlen weder jeweils auf eine Spannut gerichtet, noch würden sie in erheblichem Umfang in eine Spannut eingespeist. Ein Indiz für die fehlende Verwirklichung der Vorgabe sei auch die Funktionsweise der angegriffenen Ausführungsform C, die – schon wegen der fehlenden Zuordnung von Spannuten zu den Kühl-/Schmiermittelkanälen – eine Kühlung des Werkzeugs mittels eines von der patentgemäßen Lehre abweichenden Prinzips verfolge, welches ersichtlich nicht darin bestehe, Fluidstrahlen jeweils in eine Spannut einzuspeisen. Auch die weiteren Videoaufnahmen der Parteien oder die werblichen Aussagen der Beklagten ließen andere Feststellungen nicht zu.
- Letztlich fehle es auch an der erfindungsgemäß erforderlichen Stützung des freien Strahls durch den Schaft in ausreichendem Umfang, weil im Zeitpunkt des vollständigen Druckaufbaus und damit während des eigentlichen Einsatzes der Schaft nur durch die von dem Fluidstrahl abgehenden Tröpfchen benetzt werde, ohne den Strahl an sich zu stützen.
- Gegen dieses Urteil hat die Klägerin Berufung eingelegt, mit der sie ihr vor dem Landgericht erfolglos gebliebenes Begehren auf Verurteilung der Beklagten weiterverfolgt.
- Sie wiederholt und ergänzt ihr erstinstanzliches Vorbringen, wobei sie insbesondere geltend macht:
- Das Landgericht sei unzutreffend davon ausgegangen, dass die Anzahl an Kühl-/Schmiermittelkanälen mit der Anzahl an Spannuten gleichzusetzen sei. Die mathematische Formulierung des „Entsprechens“ drücke lediglich aus, dass zwei Größen zueinander in Bezug stünden, nicht jedoch, dass sie zwingend den gleichen Zahlenwert aufwiesen. Der Fachmann könne daher, wenn es ihm für eine Verbesserung der Wirtschaftlichkeit des Herstellungsverfahrens und eine wirksamere Versorgung der Schneidkanten mit Kühl-/Schmiermittel dienlich erscheine, eine größere Anzahl an Kanälen als an Spannuten vorsehen. Auch die Vorgabe einer „zugeordneten Spannut“ lege das Landgericht zu eng aus, wenn es fordere, dass das aus einer Austrittsöffnung austretende Kühl-/Schmiermittel in genau eine Spannut einzuspeisen sei. Richtigerweise müsse zwar Kühl-/Schmiermittel zumindest in jeweils eine zugeordnete Spannut einspeisbar sein, es könne jedoch auch eine Mehrzahl an zugeordneten Spannuten geben, in die das Kühl-/Schmiermittel eingespeist werde.
- Auch die einschränkende Auslegung des Landgerichts, wonach „in eine Spannut einspeisbar“ bedeute, dass der freie Strahl direkt in den Beginn einer Spannut als deren unmittelbar an den Schaft angrenzenden Eingangsabschnitt einzuführen sei, finde im Klagepatent keine Stütze. Richtigerweise sei diesem nur zu entnehmen, dass der bei der Bearbeitung beanspruchte Teil der Werkzeugschneiden mit Kühl-/Schmiermittel in ausreichender Menge versorgt werde. Es sei auch nicht zutreffend, dass das Kühl-/Schmiermittel in nur einem einzigen Strahl aus den Kanälen austreten dürfe. Vielmehr müsse es in zumindest einem freien Strahl in eine zugeordnete Spannut einspeisbar sein, aus einer Austrittsöffnung könnten also auch mehrere Kühl-/Schmiermittelstrahlen austreten, wobei sich die vom Landgericht aufgestellte Voraussetzung eines gerichteten Stroms – wenn überhaupt – nur auf denjenigen Strahl beziehen könne, welcher dazu vorgesehen sei, in die Spannut eingespeist zu werden.
- Dem Klagepatent lasse sich entgegen der Auffassung des Landgerichts ferner nicht entnehmen, dass Kühl-/Schmiermittel in erheblichem Umfang in die Spannut eingespeist werden müsse, um die gewünschte Funktionsweise zu erzielen. Richtigerweise müsse nur so viel Kühl-/Schmiermittel eingespeist werden, dass es in ausreichender Menge an die Schneiden des Werkzeugs gebracht werde. Was eine ausreichende Menge sei, sei anhand der durch die Zufuhr von Kühl-/Schmiermittel erzielten längeren Standzeit des Werkzeugs im Vergleich zur Standzeit eines Werkzeugs, dem eine solche Zuführung fehle, zu ermitteln (vgl. Abs. [0010]). Es sei überdies zu berücksichtigen, dass die absolute Menge des in die Spannuten einzuspeisenden Kühl-/Schmiermittels unter anderem deshalb variieren könne, weil es bei der Minimalmengenschmierung (MMS) nur eines Bruchteils der Menge an Kühl-/Schmiermittel bedürfe, die für die Nassbearbeitung notwendig sei.
- Die Auslegung des Landgerichts sei schließlich von einem unzutreffenden Verständnis des Begriffs des „Kühl-/Schmiermittels“ geprägt, weil unberücksichtigt bleibe, dass darunter nicht nur der flüssige, sondern auch – falls vorhanden – der gasförmige Anteil des aus den Kanälen austretenden Fluids zu verstehen sei. Generell müsse bei der Auslegung des Patentanspruchs Berücksichtigung finden, dass ein erfindungsgemäßes Werkzeug gleichermaßen für die Nassbearbeitung wie auch für die Minimalmengenschmierung (MMS) geeignet sein müsse. Dies gelte auch für den Begriff des „gestützt werdens“ durch den Schaft, der – um auch auf ein Fluid mit einem größeren gasförmigen als flüssigen Anteil (Aerosol) anwendbar zu sein – zwangsläufig als Vorhandensein einer strukturellen Begrenzung, welche mit dem Kühl-/Schmiermittelstrahl in Kontakt sei, zum Zwecke einer im Vergleich zum „ungestützten Fall“ verbesserten und gerichteten Ausbreitung des Strahls zu verstehen sei.
- Bei Zugrundelegung eines zutreffenden Verständnisses machten die angegriffenen Ausführungsformen von allen Merkmalen des Klagepatentanspruchs 1 wortsinngemäß Gebrauch.
- Soweit sich die Beklagten unter Verweis auf die im Anspruch enthaltene Zweckangabe „zur Bearbeitung von Bohrungen“ gegen die von ihr, der Klägerin, zum Verletzungsnachweis dargestellten Betriebszustände wendeten, greife dies nicht durch. Offenkundig setze der Patentanspruch den Rahmen für funktionsgerechte Betriebszustände und schränke dieser die Wertebereiche der maßgeblichen Parameter – Menge des eingesetzten Kühlmittels, Druck und Drehzahl – nicht weiter an. Auch unter Berücksichtigung der hierzu aus der Patentschrift zu entnehmenden Angaben zeigten insbesondere die von ihr zum Beweis vorgelegten Videos gemäß Anlagen KAP 25 und KAP 26 funktionsgerechte Betriebszustände.
- Das Landgericht habe das Video gemäß Anlage KAP 25 unzureichend gewürdigt, indem es insbesondere unberücksichtigt gelassen habe, dass das Vorhandensein eines zweiten Kühl-/Schmiermittelstrahls pro Austrittsöffnung unschädlich sei. Die Videoaufnahme gemäß Anlage KAP 26, welche das Werkzeug im Betriebszustand einer MMS zeige, habe das Landgericht rechtsfehlerhaft überhaupt nicht gewürdigt.
- Erstmals in der Berufungsinstanz trägt die Klägerin weiter vor: Sie habe eine Messung an dem bereits in der Videoaufnahme gemäß Anlage KAP 25 gezeigten Werkzeug durchgeführt, welche zeige, dass ein erster Kühl-/Schmiermittelstrahl vorhanden sei, der in die Spannuten eingespeist werde und die am Umfang und an der Stirnseite des Schneidabschnitts befindlichen Schneiden des Werkzeugs mit Kühl-/Schmiermittel in ausreichender Menge versorge (Videoaufnahme der Messung vorgelegt als Anlage KAP 27, Bildaufnahmen vorgelegt als Anlagen KAP 28 und KAP 29, Versuchsdokumentation vorgelegt als Anlage KAP 30).
- Ebenfalls erstmals in der Berufungsinstanz legt die Klägerin ferner eine Stellungnahme von Prof. Dr. F, Technische Hochschule G, vor (Anlage KAP 31), die nach ihrem Vorbringen die Gründe für das Vorhandensein des ersten und des zweiten Kühl-/Schmiermittelstrahls darlegt und bewertet, in welchem Umfang der an dem Schaft anliegende erste Strahl zur Versorgung der Schneiden mit Kühl-/Schmiermittel beitrage. Überdies ergebe sich aus der Stellungnahme von Prof. F, warum die von ihr vorgenommene Messung (Anlagen KAP 27–KAP 30) aufzeige, dass Kühl-/Schmiermittel in signifikanter Menge an die Schneiden des Werkzeugs gelange.
- Schließlich legt die Klägerin in der Berufungsinstanz weitere gutachterliche Stellungnahmen des von ihr bereits in einem früheren Verfahren gegen die Beklagte zu 1) beauftragten Prof. Dr.-Ing. H vom 19.01.2024 (Anlagen KAP 32, 35) und vom 09.02.2024 (Anlage KAP 34) vor, die nach ihrem Vortrag insbesondere das fachmännische Verständnis zu mehreren Aspekten der Lehre des Klagepatents betreffen und sich zudem (Anlage KAP 34) mit von den Beklagten in der Berufungsinstanz vorgelegten Untersuchungen befassen.
- Die Klägerin beantragt,
- I. das am 24.08.2023 verkündete Urteil des Landgerichts Düsseldorf, Aktenzeichen 4b O 20/23 abzuändern;
- II. die Beklagten zu verurteilen,
- 1. es bei Meidung eines für jeden Fall der Zuwiderhandlung vom Gericht festzusetzenden Ordnungsgeldes bis zu 250.000,00 Euro – ersatzweise Ordnungshaft – oder einer Ordnungshaft bis zu sechs Monaten, im Fall wiederholter Zuwiderhandlung bis zu insgesamt zwei Jahren, wobei die Ordnungshaft für die Beklagte zu 1) an ihrem Verwaltungsrat und für die Beklagte zu 2) an den Geschäftsführern zu vollziehen ist,
- zu unterlassen,
- Drehantreibbares spanabhebendes Werkzeug insbesondere Feinbearbeitungswerkzeug, wie z.B. Reibahlen, mit integrierter Kühl-/Schmiermittelversorgung, zur Bearbeitung von Bohrungen, insbesondere Durchgangsbohrungen, mit einem Schneidteil, an dem eine Vielzahl von Schneiden bzw. Schneidkanten und Spannuten ausgebildet sind, und einem Schaft, der auf einer dem Schneidteil abgewandten Seite einen Einspannabschnitt ausbildet
- in der Bundesrepublik Deutschland herzustellen (nur die Beklagte zu 2)), anzubieten, in Verkehr zu bringen oder zu gebrauchen oder zu den genannten Zwecken einzuführen oder zu besitzen,
- wobei im Einspannabschnitt eine der Anzahl der Spannuten entsprechende Anzahl von umfangsseitig geschlossenen Kühl-/Schmiermittelkanälen mit dem Schneidteil abgewandten Eingangsöffnungen derart ausgebildet sind, dass aus dem Schneidteil zugewandten stirnseitigen Austrittsöffnungen des Einspannabschnitts austretendes Kühl-/Schmiermittel entlang des Schafts in einem freien Strahl ohne radial außenliegende Begrenzung in jeweils eine zugeordnete Spannut des Schneidteils einspeisbar ist,
- das Werkzeug aus einem Hartstoff einstückig aufgebaut ist,
- die Spannuten ausschließlich im Bereich des Schneidteils eingeschliffen sind und
- der frei austretende Kühl-/Schmiermittelstrahl über eine bestimmte axiale Strecke (Länge des Schafts) vom Außendurchmesser des an den Einspannabschnitt anschließenden Schaftabschnitts gestützt ist;
- 2. ihr, der Klägerin, in einer chronologisch geordneten und nach Jahren und Typen gegliederten Aufstellung darüber Auskunft zu erteilen, in welchem Umfang die Beklagten die zu 1. bezeichneten Handlungen seit dem 29.02.2012 begangen haben, und zwar unter Angabe
- a) der Namen und der Anschriften der Hersteller, Lieferanten und anderer Vorbesitzer,
- b) der Namen und Anschriften der gewerblichen Abnehmer und Verkaufsstellen, für welche die drehantreibbaren spanabhebenden Werkzeuge bestimmt waren,
- c) der Menge der hergestellten, ausgelieferten, erhaltenen oder bestellten drehantreibbaren spanabhebenden Werkzeuge sowie über die Preise, die für die betreffenden drehantreibbaren span-abhebenden Werkzeuge bezahlt wurden;
- wobei
- – zum Nachweis der Angaben die entsprechenden Kaufbelege (nämlich Rechnungen, hilfsweise Lieferscheine) in Kopie vorzulegen sind,
- – geheimhaltungsbedürftige Details außerhalb der auskunftspflichtigen Daten geschwärzt werden dürfen,
- – die Aufstellung mit den Daten der Auskunft in einer mittels EDV auswertbaren, elektronischen Form zu übermitteln ist;
- 3. ihr, der Klägerin, in einer chronologisch geordneten und nach Jahren und Typen gegliederten Aufstellung darüber Rechnung zu legen, in welchem Umfang die Beklagten die zu 1. bezeichneten Handlungen seit dem 29.03.2012 begangen haben, und zwar unter der Angabe
- a) der Herstellungsmengen und -zeiten (nur die Beklagte zu 2)),
-
b) der einzelnen Lieferungen, aufgeschlüsselt nach Liefermengen,
-zeiten und -preisen und den jeweiligen Typenbezeichnungen sowie der Namen und Anschriften der Abnehmer, einschließlich der Verkaufsstellen, für die die Erzeugnisse bestimmt waren, - c) der einzelnen Angebote, aufgeschlüsselt nach Angebotsmengen, -zeiten und -preisen und den jeweiligen Typenbezeichnungen sowie den Namen und Anschriften der gewerblichen Angebotsempfänger,
- d) der betriebenen Werbung, aufgeschlüsselt nach Werbeträgern, deren Auflagenhöhe, Verbreitungszeitraum und Verbreitungsgebiet, im Falle von Internet-Werbung der Domain, den Zugriffszahlen und der Schaltungszeiträume, und bei direkter Werbung, wie Rundbriefen, den Namen und Anschriften der Empfänger,
- e) der nach den einzelnen Kostenfaktoren aufgeschlüsselten Gestehungskosten und des erzielten Gewinns,
- wobei
- – die Aufstellung mit den Daten der Rechnungslegung in einer mittels EDV auswertbaren, elektronischen Form zu übermitteln ist; und
- – es den Beklagten vorbehalten bleibt, die Namen und Anschriften der nicht gewerblichen Abnehmer und der Angebotsempfänger statt der Klägerin einem von dieser zu bezeichnenden und ihr gegenüber zur Verschwiegenheit verpflichteten, in der Bundesrepublik Deutschland ansässigen, vereidigten Wirtschaftsprüfer mitzuteilen, sofern die Beklagten dessen Kosten tragen und ihn zugleich ermächtigen und verpflichten, der Klägerin auf konkrete Anfrage mitzuteilen, ob ein bestimmter Abnehmer oder Angebotsempfänger in der Aufstellung enthalten ist;
- III. festzustellen, dass die Beklagten verpflichtet sind, ihr, der Klägerin, allen Schaden zu ersetzen, der ihr durch die zu II.1. bezeichneten, seit dem 29.03.2012 begangenen Handlungen entstanden ist und noch entstehen wird;
- IV. die Beklagte zu 2) weiter zu verurteilen, die in der Bundesrepublik Deutschland in ihrem unmittelbaren oder mittelbaren Besitz und/oder Eigentum befindlichen, oben unter II.1. fallenden drehantreibbaren spanabhebenden Werkzeuge auf eigene Kosten zu vernichten oder nach ihrer Wahl an einen von der Klägerin zu benennenden Gerichtsvollzieher zum Zwecke der Vernichtung auf ihre – der Beklagten zu 2) – Kosten herauszugeben;
- V. die Beklagten weiter zu verurteilen, die unter II.1. bezeichneten, seit dem 29.02.2012 im Besitz gewerblicher Abnehmer befindlichen drehantreibbaren spanabhebenden Werkzeuge aus den Vertriebswegen zurückzurufen, indem die gewerblichen Abnehmer, denen durch die Beklagten oder mit deren Zustimmung Besitz an den drehantreibbaren spanabhebenden Werkzeugen eingeräumt wurde, unter Hinweis darauf, dass der Senat mit dem hiesigen Urteil auf eine Verletzung des Klagepatents erkannt hat, schriftlich aufgefordert werden, die drehantreibbaren spanabhebenden Werkzeuge an die Beklagten zurückzugeben und den gewerblichen Abnehmern für den Fall der Rückgabe der drehantreibbaren spanabhebenden Werkzeuge eine Rückzahlung des gegebenenfalls bereits gezahlten Kaufpreises sowie die Übernahme der Kosten der Rückgabe zugesagt wird, und die erfolgreich zurückgerufenen drehantreibbaren spanabhebenden Werkzeuge wieder an sich zu nehmen.
- Die Beklagten beantragen,
- die Berufung zurückzuweisen.
- Sie verteidigen das angefochtene Urteil und treten den Ausführungen der Klägerin unter Wiederholung und Ergänzung ihres erstinstanzlichen Vorbringens im Einzelnen entgegen.
- Zu Recht habe das Landgericht die Klage abgewiesen. Die vom Klagepatent geforderte Eignung zur Erfüllung der anspruchsgemäßen Vorgaben, insbesondere soweit es die Einspeisung des Kühl-/Schmiermittels und die Stützung des Strahls betreffe, müsse allerdings entgegen der Auffassung des Landgerichts nicht nur in einem willkürlich gewählten Betriebszustand – und damit im Extremfall sogar für ein stillstehendes Werkzeug – vorliegen, sondern sei anhand des durch den Patentanspruch geforderten und vorausgesetzten Betriebszustand zu bestimmen. Dabei handele es sich um den Einsatz „zur Bearbeitung von Bohrungen“, was zugleich die Betriebsparameter festlege, unter denen eine solche Bearbeitung überhaupt möglich sei.
- Die Klägerin versuche in der Berufungsinstanz, eine willkürliche Teilmenge des Kühl-/Schmiermittels als „Strahl“ umzudeuten und so eine Merkmalsverwirklichung zu begründen. Tatsächlich sei es jedoch nicht anspruchsgemäß, wenn mehr als ein Strahl aus den Austrittsöffnungen austrete oder wenn ein Strahl in mehrere Nuten eingespeist werde. Es bestehe in der Gesamtschau der Patentschrift sehr wohl ein Konnex von Austrittsöffnungen, Strahlen und Nuten, wonach diese ein Verhältnis 1:1:1 aufwiesen und jeweils eine Austrittsöffnung einem Strahl und einer Nut zugeordnet sei. Nach den Angaben in der Patentschrift bildeten die einzelnen Strahlen zudem ein stabiles Strömungsprofil in den durch Nuten und Bohrungswandung definierten Strömungskanälen aus. Bei einer hypothetischen Aufteilung der Strahlen sei ein stabiles Profil in diesem Sinne nicht mehr vorhanden.
- Soweit das Landgericht die Auffassung vertrete, dass es ausreiche, wenn sich der Strahl über einen nicht unwesentlichen Teil des Schafts an diesen anschmiege, sei dem nicht zu folgen. Tatsächlich könne das Merkmal nur verwirklicht sein, wenn eine Stützung über die gesamte Länge des Schafts nachgewiesen werde. Wie es auch dem Verständnis des Bundespatentgerichts im Zusammenhang mit der Würdigung der NK 2 entspreche (Urteil BPatG, S. 22), seien Ausführungsformen, bei denen ein radialer Abstand ohne Anstellwinkel vorliege, nicht vom Schutzbereich des Klagepatents umfasst, da es dort zu keiner Stützung und damit Einspeisung komme.
- Von der so verstandenen Lehre machten die angegriffenen Ausführungsformen keinen Gebrauch. Eine Verwirklichung sei aufgrund der von der Klägerin auch in der Berufungsinstanz nicht bestrittenen geometrischen Ausgestaltung der angegriffenen Ausführungsformen bereits theoretisch denkbar unwahrscheinlich. Dementsprechend verwundere es nicht, dass der Klägerin auch praktisch, insbesondere mit den Videoaufnahmen gemäß den Anlagen KAP 25 und KAP 26, der Verletzungsnachweis nicht gelungen sei.
- Die von der Klägerin im Berufungsverfahren neu vorgelegten Versuche und die Ausführungen ihrer Privatgutachter seien verspätet und zudem sachlich unzutreffend.
- Erstmals in der Berufungsinstanz machen die Beklagten ferner geltend, sie hätten weitere eigene Versuche durchgeführt (Darstellung vorgelegt als B&B 22) und den bereits in erster Instanz zugezogenen Gutachter, Prof. Dr. I, um fachkundige Analyse und Kommentierung des Vortrags der Klägerin im Wege eines Gegengutachtens (Anlage B&B 23) gebeten. Dessen Stellungnahme belege, dass der von der Klägerin durchgeführte Versuch aufgrund einer fehlerhaften Durchführung nicht zeigen könne, dass ein signifikanter Anteil des Kühl-/Schmiermittels auf dem sogenannten „Weg 1“ (Oberflächenfluss) zu den Schneiden des Werkzeugs gelange. Hingegen erfüllten die von ihnen, den Beklagten, durchgeführten neuen Versuche die von Prof. I gestellten Anforderungen an die Reproduzierbarkeit deutlich besser als das Experiment der Klägerin. Ihre eigenen Versuchsreihen belegten, dass, erstens, die aufgefangene Menge des Kühl-/Schmiermittels im Wesentlichen durch die Maße der Tülle und deren Anordnung zum Werkzeug bedingt sei, zweitens ein Eindringen von Kühl-/Schmiermittel in die Tülle als Sekundärfluss (bzw. Weg 1 im Sinne der Klägerin) nicht stattfinde und drittens die Menge des die Nuten erreichenden Kühl-/Schmiermittels im Wesentlichen durch die Tröpfchen aus der Tröpfchenwolke gebildet werde. Die von der Klägerin daran geübte Kritik verfange nicht, wie sich aus der ergänzend angefertigten Stellungnahme ihres, der Beklagten, Privatgutachters (Anlage B&B 28) ergebe.
- Jedenfalls stehe ihnen das in erster Instanz näher dargelegte Vorbenutzungsrecht zu.
- Wegen des weiteren Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der wechselseitigen Schriftsätze der Parteien und der von ihnen vorgelegten Anlagen sowie auf den Tatbestand und die Entscheidungsgründe der angefochtenen Entscheidung Bezug genommen.
- II.
- Die Berufung der Klägerin ist zulässig, hat aber in der Sache keinen Erfolg. Zu Recht hat das Landgericht eine Verletzung des Klagepatents verneint und die Klage aus diesem Grund abgewiesen. Da die angegriffenen Ausführungsformen von der technischen Lehre des Klagepatents in der durch das Bundespatentgericht aufrechterhaltenen Fassung keinen Gebrauch machen, stehen der Klägerin die geltend gemachten Ansprüche auf Unterlassung, Auskunftserteilung und Rechnungslegung, Vernichtung, Rückruf sowie auf Schadenersatz aus Art. 64 EPÜ i. V. m. §§ 139 Abs. 1 und 2, 140a Abs. 1 und 3, 140b Abs. 1 und 3 PatG i.V.m. §§ 242, 259 BGB – den allein in Betracht kommenden Anspruchsgrundlagen – nicht zu.
-
1.
Das Klagepatent betrifft ein drehantreibbares spanabhebendes Werkzeug, wie zum Beispiel eine Reibahle. - Nach den einleitenden Bemerkungen des Klagepatents werden an derartige Werkzeuge unterschiedliche Anforderungen gestellt. Zum einen müssten sie eine immer höhere Bearbeitungsgenauigkeit gewährleisten, was eine hohe Maßhaltigkeit der Schneidenpositionierung und eine hohe Stabilität bei der dynamischen Beanspruchung der Schneiden und des Schafts voraussetze. Zum anderen werde von ihnen eine immer höhere Standzeit verlangt, weshalb in sie regelmäßig eine Kühl-/Schmiermittelversorgung integriert werde. Diese solle sicherstellen, dass die am höchsten beanspruchten Bereiche im Einsatz zu jedem Zeitpunkt eine ausreichende Versorgung mit Kühl-/Schmiermittel erhielten (Abs. [0002]).
- Im Stand der Technik seien verschiedene Ansätze für die Gestaltung gattungsbildender Werkzeuge mit einer integrierten Kühl-/Schmiermittelversorgung bekannt.
- So offenbare die DE 10347XXC A1 (nachfolgend: DE ’XXC) – deren Figur 1 nachfolgend zu Veranschaulichungszwecken eingeblendet ist – ein gattungsbildendes Werkzeug in der Ausgestaltung als Hochleistungsreibahle, bei dem ein mit einem Schaftteil dreh- und axialfest verbundener, aus einem Hartstoff hergestellter Schneidkopf über einen zentralen Kühl-/Schmiermittelversorgungskanal im Werkzeugschaft und ein Radialkanalystem im bzw. an der Schnittstelle zum Schneidkopf mit Kühl-/Schmiermittel versorgt werde:
- Die radial außen liegenden Mündungsöffnungen des in der DE ’XXC offenbarten Radialkanalsystems seien von einer Kühlmittel-Leithülse abgedeckt, die sich in Richtung der Werkzeugspitze bis in einen Auslaufbereich der Spannuten erstrecke und somit dafür sorgen könne, dass das zugeführte Kühl-/Schmiermittel mit möglichst geringen Verlusten in die Spannuten eingespeist werden könne (Abs. [0004]).
- Eine solche Kühl-/Schmiermittelversorgung eigne sich, so das Klagepatent weiter, auch für die sog. Minimalmengenschmierung (MMS)-Technologie, bei der das Kühl-/Schmiermittel (im Gegensatz zur sog. „Nassbearbeitung“) in extrem geringer Konzentration in einer Druckluftströmung zu den Schneiden geführt werde. Das Schmiermedium werde den Schneiden mithin während der Bearbeitung als Aerosol mit dem Ziel zugeführt, einen ausreichenden Schmierfilm in unmittelbarer Nähe zu den Schneidkanten zu erzeugen.
- Allerdings komme es bei der MMS-Technologie darauf an, das Schmiermittel in geringer Dosierung und in möglichst gleichbleibender Konzentration an die Schneiden zu leiten. Um diese Aufgabe bei gleichzeitiger Verringerung des technischen Aufwands für die Herstellung des Werkzeugs zu lösen, werde in der DE 20 2004 00 85 XXXD eine Hochleistungsreibahle offenbart, bei der sich eine Hülse am Einspannabschnitt bis zum Nutenauslaufbereich des Werkzeugs erstrecke, wobei die Hülse einstückig mit dem Einspannabschnitt ausgebildet sei und den Reibahlenschaft im Inneren zur Ausbildung axialer Kühl-/Schmiermittelkanäle aufnehme. Die Figur 3 der vom Klagepatent gewürdigten Schrift wird nachfolgend exemplarisch eingeblendet:
- Bei einer solchen Gestaltung würden, so das Klagepatent, die sich axial erstreckenden Schmiermittelkanäle derart von einem zentralen Schmiermittelkanal im Einspannabschnitt versorgt, dass der Kühlkanal vom Schaftende bis zum Nutenauslaufbereich einen konstanten Querschnitt erhalte (Abs. [0006]).
- Beide Lösungen seien allerdings mit dem Nachteil verbunden, dass sich die Kühl-/Schmiermittelversorgung der Schneiden nur durch einen entsprechend großen Aufwand bei der Herstellung des Werkzeugs erzielen lasse. Zudem müssten die Werkzeuge aus verschiedenen Komponenten zusammengestellt werden (Abs. [0007]).
- Vor dem geschilderten Hintergrund hat es sich das Klagepatent zur Aufgabe gemacht, ein drehantreibbares spanabhebendes Werkzeug der eingangs beschriebenen Art zu schaffen, das die heutzutage geforderte Standzeit der Schneiden bei einem vereinfachten Aufbau des Werkzeugs sicherstellt. Darüber hinaus soll ein Verfahren bereitgestellt werden, mit dem das Kühl-/Schmiermittel sowohl bei der Nass- als auch bei der Trockenbearbeitung (MMS-Technologie) mit geringem Aufwand, jedoch prozesssicher und in ausreichender Menge an hochbelastete Schneiden eines gattungsbildenden Werkzeugs herangebracht werden kann (Abs. [0012]).
- Zur Lösung dieser Problemstellung schlägt Patentanspruch 1 in der durch das Bundespatentgericht aufrechterhaltenen Fassung ein Werkzeug mit folgenden Merkmalen vor, wobei die gegenüber der eingetragenen Fassung hinzugekommenen Merkmale durch Unterstreichung gekennzeichnet sind:
- 1. Drehantreibbares spanabhebendes Werkzeug, insbesondere Feinbearbeitungswerkzeug, wie z.B. Reibahle, mit integrierter Kühl/Schmiermittelversorgung, zur Bearbeitung von Bohrungen, insbesondere Durchgangsbohrungen.
- 2. Das Werkzeug ist aus einem Hartstoff einstückig aufgebaut.
- 3. Das Werkzeug hat einen Schneidteil (24; 124; 224), an dem eine Vielzahl von Schneiden (28; 128; 228) bzw. Schneidkanten und Spannuten (30; 130; 230) ausgebildet sind.
- 3.1. Die Spannuten (30) sind ausschließlich im Bereich des Schneidteils (24; 124; 224) eingeschliffen.
- 4. Das Werkzeug hat einen Schaft (26; 126; 226), der auf einer dem Schneidteil (24; 124; 224) abgewandten Seite einen Einspannabschnitt (22; 122; 222) ausbildet.
- 4.1. Im Einspannabschnitt (22; 122; 222) sind eine der Anzahl der Spannuten (30) entsprechende Anzahl von Kühl-/ Schmiermittelkanälen (38) ausgebildet.
- 5. Die Kühl-/Schmiermittelkanäle (38)
- 5.1. sind umfangsseitig geschlossen,
- 5.2. haben dem Schneidteil (24; 124; 224) abgewandte Eingangsöffnungen,
- 5.3. haben dem Schneidteil (24; 124; 224) zugewandte stirnseitige Austrittsöffnungen (42),
- 5.4. sind derart ausgebildet, dass aus den Austrittsöffnungen (42) des Einspannabschnitts (22; 122; 222) austretendes Kühl-/Schmiermittel entlang des Schafts (26) in einem freien Strahl ohne radial außenliegende Begrenzung in jeweils eine zugeordnete Spannut (30) des Schneidteils (24) einspeisbar ist.
- 6. Der frei austretende Kühl-/Schmiermittelstrahl ist über eine bestimmte axiale Strecke (Länge des Schafts) vom Außendurchmesser des an den Einspannabschnitt (22; 122; 222) anschließenden Schaftabschnitts (26; 126; 226) gestützt.
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2.
Im Hinblick auf den Streit der Parteien bedürfen insbesondere die Merkmale 4.1. und 5.4. der vorstehenden Merkmalsgliederung einer näheren Erläuterung. - Ausführungen zu den Merkmalen 1. und 6., über deren Verständnis zwischen den Parteien ebenfalls keine Einigkeit besteht, erübrigen sich hingegen mit Blick auf die fehlende Verletzung (dazu unter 3.).
-
a)
Um das Kühl-/Schmiermittel sowohl bei der Nass- als auch bei der Trockenbearbeitung (MMS-Technologie) mit geringem Aufwand, jedoch prozesssicher und in ausreichender Menge an die hochbelasteten Schneiden des Werkzeugs heranzubringen (Abs. [0010]), muss es vom Einspannabschnitt über den sich anschließenden Schaftabschnitt zum Schneidteil transportiert werden. Wie dieser Transport geschehen soll, überlässt das Klagepatent nicht dem Fachmann, sondern legt sich auf eine konkrete konstruktive Gestaltung fest: Am Einspannabschnitt soll eine der Anzahl der Spannuten entsprechende Anzahl von Kühl-/Schmiermittelkanälen ausgebildet sein, wobei das aus den dem Schneidteil zugewandten stirnseitigen Austrittsöffnungen des Einspannabschnitts austretende Kühl-/Schmiermittel entlang des Schafts in einem freien Strahl ohne radial außenliegende Begrenzung in jeweils eine zugeordnete Spannut des Schneidteils einspeisbar ist (Merkmale 4.1. und 5.4.). -
aa)
Mit der Frage, wie die Forderung nach einer Ausbildung einer der Anzahl der Spannuten entsprechenden Anzahl von Kühl-/Schmiermittelkanälen ausgehend vom Anspruchswortlaut zu verstehen ist, hat sich bereits das fachkundig besetzte Bundespatentgericht in seinem im Nichtigkeitsverfahren ergangenen Urteil vom 27.07.2021 (Anlage KAP 4; nachfolgend: Urteil BPatG) auseinandergesetzt, in dem es auf Seite 12 heißt: - „Wie das Merkmal 1.4. in klarer und eindeutiger Weise formuliert, soll die Anzahl der Spannuten der Anzahl von umfangsseitig geschlossenen Kühl-/Schmiermittelkanälen entsprechen, worunter nur eine zahlenmäßige Übereinstimmung von Kühl-/Schmiermittelkanälen und Spannuten zu verstehen sein kann, denn bei weniger bzw. mehr Spannuten als Kühl-/Schmiermittelkanälen würde die Anzahl der Spannuten nicht der Anzahl von Kühl-/Schmiermittelkanälen entsprechen. Deutlich zu widersprechen ist diesbezüglich den Ausführungen der Beklagten …, wonach das Streitpatent keine zahlenmäßige Übereinstimmung von Kühl-/Schmiermittelkanälen und Spannuten erfordert. Vielmehr ist nach Merkmal 1.4. die „entsprechende Anzahl“ der Kühl-/Schmiermittelkanäle unmissverständlich auf die Anzahl der Spannuten bezogen und gerade nicht auf eine ausreichende Menge an Kühl-/Schmiermittel, wie die Beklagte vorträgt. Auch das Merkmal 1.5. spricht von jeweils den Kühl-/Schmiermittelkanälen zugeordneten Spannuten.“
- Auch wenn die Bestimmung des Sinngehalts eines Patentanspruchs Rechtserkenntnis und vom Verletzungsgericht, wie von jedem anderen damit befassten Gericht, eigenverantwortlich vorzunehmen ist (BGH, GRUR 2009, 653 Rn. 16 – Straßenbaumaschine; GRUR 2010, 858 Rn. 10 – Crimpwerkzeug III; GRUR 2015, 972 Rn. 20 – Kreuzgestänge), was die Möglichkeit einschließt, dass das Verletzungsgericht zu einem Auslegungsergebnis gelangt, das von demjenigen abweicht, welches das Bundespatentgericht in einem dasselbe Patent betreffenden Nichtigkeitsverfahren gewonnen hat, handelt es sich bei diesen Ausführungen um eine wertvolle Auslegungshilfe (OLG Düsseldorf, Urt. v. 09.12.2021 – I-2 U 9/21, GRUR-RS 2021, 39586 Rn. 59 – Halterahmen III). Abgesehen davon ist für ein abweichendes Verständnis des klaren Wortlauts des Patentanspruchs vorliegend ohnehin kein Raum. Verlangt Patentanspruch 1 eine der Anzahl von Spannuten entsprechende Anzahl von Kühl-/Schmiermittelkanälen, lässt sich dies ausgehend vom Wortlaut nicht anders verstehen, als dass die Anzahl der Kühl-/Schmiermittelkanäle der Anzahl der Spannuten entsprechen muss. Sie darf sie weder über- noch unterschreiten.
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bb)
An diesem Punkt bleibt der Fachmann, ein Diplom-Ingenieur (FH) der Fachrichtung Maschinenbau, der über mehrjährige Erfahrungen auf dem Gebiet der Entwicklung und Konstruktion von Zerspanungswerkzeugen verfügt (vgl. Urteil, BPatG, S. 9), allerdings nicht stehen. Selbst dann, wenn der Wortlaut des Patentanspruchs – wie hier – nach dem allgemeinen Sprachgebrauch oder dem Fachverständnis eindeutig zu sein scheint, ist stets eine Auslegung des Patentanspruchs geboten, in der es den technischen Sinngehalt des Patentanspruchs zu ermitteln gilt. Aus der Patentbeschreibung und den Zeichnungen, die gemäß Art. 69 Abs. 1 S. 2 EPÜ zur Auslegung heranzuziehen sind, kann sich ergeben, dass die Patentschrift Begriffe eigenständig definiert und insoweit ein eigenes Lexikon darstellt (BGH, GRUR 1999, 909, 912 – Spannschraube; GRUR 2015, 875 Rn. 16 – Rotorelemente; GRUR 2016, 361 Rn. 14 – Fugenband; GRUR 2021, 942 Rn. 22 – Anhängerkupplung II; OLG Düsseldorf, Urt. v. 29.02.2024 – I-2 U 6/20 m.w.N.). - Derartiges ist vorliegend jedoch nicht der Fall. Vielmehr wird der Fachmann anhand der Klagepatentbeschreibung auch unter Berücksichtigung der stets gebotenen funktionsorientierten Auslegung, wonach es auf den technischen Sinngehalt der verwendeten Begriffe unter Berücksichtigung von Aufgabe und Lösung, wie sie sich objektiv aus dem Patent ergeben, ankommt (BGH, GRUR 1999, 909, 911 – Spannschraube; GRUR 2016, 169 Rn. 16 – Luftkappensystem; GRUR 2020, 159 Rn. 18 – Lenkergetriebe; GRUR 2021, 1167 Rn. 21 – Ultraschallwandler; OLG Düsseldorf, GRUR-RR 2021, 345 Rn. 70 – Endoskopievorrichtung), in seiner bereits anhand des Wortlauts des Patentanspruchs gewonnenen Erkenntnis, dass die Anzahl der Kühl-/Schmiermittelkanäle der Anzahl der Spannuten entsprechen und jedem Kühl-/Schmiermittelkanal genau eine Spannut zugeordnet sein muss, bestätigt.
-
(1)
Wie der Fachmann der Klagepatentbeschreibung entnimmt, soll die der Anzahl der Spannuten entsprechende Anzahl an Kühl-/Schmiermittelkanälen eine wirksame Versorgung der Schneidkanten mit Kühl-/Schmiermittel bei gleichzeitiger Wirtschaftlichkeit des Herstellungsverfahrens sicherstellen (Abs. [0069]). Anders als im Stand der Technik ist die Zufuhr des Kühl-/Schmiermittels nicht mehr (vollständig) in das Schaftwerkzeug integriert (vgl. Abs. [0005]). Stattdessen tritt das Kühl-/Schmiermittel aus den Kühl-/Schmiermittelkanälen im Einspannabschnitt aus und wird in Gestalt von einzelnen, axial gerichteten Kühl-/Schmiermittelstrahlen „freifliegend“ in die zugeordnete Spannut eingespeist. Mit anderen Worten soll jeweils ein freier Strahl, der unter hohem Druck und mit hoher Geschwindigkeit aus der dem Schneidteil zugewandten Austrittsöffnung des Einspannabschnitts austritt, eine bestimmte, jeweils zugeordnete Spannut treffen (so auch Urteil BPatG, S. 13 unten bis S. 14 oben; vgl. auch Abs. [0031], [0041] der Klagepatentschrift). Das bedingt, dass die Anzahl der Kühl-/Schmiermittelkanäle der Anzahl der Spannuten entspricht. Den technischen Sinn einer solchen Gestaltung offenbaren dem Fachmann die Abs. [0015] und [0051] der Klagepatentbeschreibung: Zum einen werden durch die äußere Führung des Kühl-/Schmiermittels mehrfache Umlenkungen vermieden, weshalb die Zuführung verlustarm erfolgt. Zum anderen kann die Menge des den Schneiden zugeführten Kühl-/Schmiermittels durch dessen außenliegende Führung erheblich angehoben werden. Dadurch kann sowohl bei der Nass- als auch bei der Trockenbearbeitung (MMS-Technologie) im Bereich der Spannuten und auch an den für die Standzeit entscheidenden Flächen der Werkzeugschneiden selbst dann eine ausreichende Versorgung gewährleistet werden, wenn der Arbeitsdruck des Kühl-/Schmiermittels auf einem leicht beherrschbaren Niveau gehalten wird (Abs. [0012], [0031], vgl. auch Abs. [0050]). -
(2)
Die Ausführungsbeispiele des Klagepatents bestärken den Fachmann in seiner bisher gewonnenen Überzeugung. - Auch wenn diese lediglich der Beschreibung von Möglichkeiten zur Verwirklichung des Erfindungsgedankens dienen und daher grundsätzlich keine einschränkende Auslegung des die Erfindung allgemein kennzeichnenden Patentanspruchs erlauben (BGH, GRUR 2004, 1023, 1024 – Bodenseitige Vereinzelungseinrichtung; GRUR 2007 Rn. 21 – Ziehmaschinenzugeinheit; GRUR 2008, 779 Rn. 34 – Mehrgangnabe; OLG Düsseldorf, Urt. v. 11.02.2016 – I-2 U 29/15, BeckRS 2016, 9774 Rn. 51; Urt. v. 13.08.2020 – I-2 U 25/19; Urt. v. 08.04.2021 – I-2 U 3/20, GRUR-RS 2021, 8024 Rn. 49 – Halterahmen), stellen sie gleichwohl ein wichtiges Auslegungsmittel dar. Die Patentschrift ist in einem sinnvollen Zusammenhang zu lesen und ein Patentspruch ist im Zweifel so zu verstehen, dass sich keine Widersprüche zur Beschreibung und den Zeichnungen ergeben. Nur wenn und soweit sich die Lehre des Patentanspruchs nicht mit der Beschreibung und den Zeichnungen in Einklang bringen lässt und ein unauflösbarer Widerspruch verbleibt, dürfen die Bestandteile der Beschreibung oder der Zeichnungen, die im Patentanspruch keinen Niederschlag gefunden haben, nicht zur Bestimmung des Gegenstands des Patents herangezogen werden (BGH, GRUR 2011, 701 Rn. 23 – Okklusionsvorrichtung; GRUR 2015, 972 Rn. 22 – Kreuzgestänge; GRUR 2021, 1167 Rn. 21 – Ultraschallwandler).
- Dies vorausgeschickt sind die Kühl-/Schmiermittelkanäle zwar bei den in den Figuren 1 bis 3 gezeigten Gestaltungen teilweise anders als nunmehr durch Merkmal 5.1. gefordert nicht umfangsseitig geschlossen und damit nicht anspruchsgemäß. Abgesehen von diesem Detail der näheren technischen Gestaltung der Kühl-/Schmiermittelkanäle können die Figuren nebst der zugehörigen Beschreibung jedoch nach wie vor zur Ermittlung des Sinngehalts des Patentanspruchs im Übrigen herangezogen werden. Wendet sich der Fachmann vor diesem Hintergrund den in der Klagepatentschrift enthaltenen Abbildungen nebst der zugehörigen Beschreibung zu, fällt ihm in den Blick, dass sämtlichen Ausführungsbeispielen eine Gestaltung zugrunde liegt, bei der die Anzahl der Kühl-/Schmiermittelkanäle mit der Anzahl der Spannuten übereinstimmt, wobei jeder Spannut auch ein Kühl-/Schmiermittelkanal zugeordnet ist (vgl. Abs. [0040], [0044], [0069], [0070] a. E.). Ebenso wie bereits in der allgemeinen Beschreibung des Klagepatents findet sich in der besonderen Patentbeschreibung kein Hinweis, dass die Anzahl der Kühl-/Schmiermittelkanäle gegebenenfalls die Anzahl der Spannuten über- bzw. unterschreiten darf. Sämtliche Ausführungsbeispiele setzen vielmehr eine solche Übereinstimmung voraus und beschäftigen sich vorrangig mit der Geometrie der Spannuten und der Kühl-/Schmiermittelkanäle sowie mit deren Lage zueinander.
- Werden die Spannuten im Rahmen des Bohrvorgangs durch die Bohrungswandung geschlossen, bilden sie, wie sich Abs. [0048] entnehmen lässt, einen Strömungskanal, wodurch das Kühl-/Schmiermittel letztlich von den Kühl-/Schmiermittelkanälen über den freiliegenden Bereich in einen weiteren Strömungskanal strömt. Dies bedingt naturgemäß, dass jeder Austrittsöffnung der Kühl-/Schmiermittelkanäle genau eine Spannut zugewiesen ist, die als Strömungskanal fungieren kann. Auch dies bestätigt den Fachmann in seinem Verständnis, dass die Anzahl der Kühl-/Schmiermittelkanäle der Anzahl der Spannuten entsprechen muss.
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(3)
Etwas anderes ergibt sich auch nicht unter Berücksichtigung der Argumentation der Klägerin, es handele sich bei der „entsprechenden Anzahl“ um eine mathematische Formulierung, die die Notwendigkeit eines Bezugs zweier Größen zueinander, nicht aber deren zwangsläufige Gleichheit zum Ausdruck bringe, wobei sie beispielhaft auf die Beziehung „60 min ≙ 1 h“ verweist. Angesichts der in dem Beispiel gewählten unterschiedlichen Einheiten für die jeweilige Zeitangabe mag zwar die Aussage, hier sei eine (inhaltliche) Entsprechung, nicht aber eine zahlenmäßige Gleichheit gegeben, zutreffen. Schlussfolgerungen für das Verständnis der gerade nicht in unterschiedlichen Einheiten anzugebenden entsprechenden Anzahl von Kühl-/Schmiermittelkanälen und Spannuten lassen sich hieraus aber nicht ziehen. - Auch der Verweis der Klägerin auf Abs. [0069] vermag ihre Sichtweise nicht zu stützen. Die Klägerin stützt sich auf die folgende Passage:
- „Zur wirksameren Versorgung der Schneidkanten mit Kühl-/Strömungsmittel bei gleichzeitiger Verbesserung der Wirtschaftlichkeit des Herstellungsverfahrens sind im Einspannabschnitt eine der Anzahl der Spannuten entsprechende Anzahl von Kühl-/Schmiermittelkanälen ausgebildet, die jeweils eine axiale Austrittsöffnung haben.“
- Soweit sie hieraus den Schluss zieht, das „Entsprechen“ der Anzahl der Spannuten und der Anzahl der Kühl-/Schmiermittelkanäle sei unter dem Aspekt einer Verbesserung der Wirtschaftlichkeit des Herstellungsverfahrens und einer wirksameren Versorgung der Schneidkanten zu wählen, wobei der Fachmann, wenn es ihm zu diesem Zweck dienlich erscheine, auch eine größere Anzahl an Kühl-/Schmiermittelkanälen als Spannuten vorgesehen hätte, läuft diese Argumentation auf eine Reduzierung der Vorgabe auf die bloße Funktion hinaus. Die gebotene funktionale Betrachtung darf bei räumlich-körperlich oder stofflich definierten Merkmalen indes nicht dazu führen, dass ihr Inhalt auf die bloße Funktion reduziert und das Merkmal in einem Sinne interpretiert wird, der mit der räumlich-körperlichen Ausgestaltung, wie sie dem Merkmal eigen ist, nicht mehr in Übereinstimmung steht (BGH, GRUR 2016, 921 Rn. 30 ff. – Pemetrexed; OLG Düsseldorf, Urt. v. 26.11.2020 – I-2 U 65/19, GRUR-RS 2020, 37856 Rn. 69 – Trägerplatte). Anderenfalls würde die Grenze zwischen wortsinngemäßer und äquivalenter Benutzung aufgelöst, die indes schon wegen der Zulässigkeit des Formstein-Einwands nur bei einer äquivalenten Benutzung beachtlich ist (OLG Düsseldorf, GRUR-RR 2014, 185, 188 – WC-Sitzgelenk). Verlangt das Klagepatent – wie hier – eine der Anzahl der Spannuten entsprechende Anzahl von Kühl-/Schmiermittelkanälen sowie die Einspeisung des Kühl-/Schmiermittels in jeweils eine zugeordnete Spannut, dürfen diese Merkmale nicht ausschließlich von ihrer Funktion her und im Sinne eines dem wirtschaftlichen Herstellungsverfahren oder einer wirksamen Versorgung der Schneidkanten mit Kühl-/Schmiermittel dienlichen Anzahl an Kanälen verstanden werden.
-
(4)
Eine andere Sichtweise ist schließlich nicht mit Blick auf die in der Berufungsinstanz vorgelegten Stellungnahmen des Privatgutachters der Klägerin zum Verständnis der Begriffe der „entsprechenden Anzahl“ (Anlage K 32) und „zugeordnete Spannut“ (Anlage KAP 35) und den daraufhin erfolgten weiteren Vortrag der Klägerin veranlasst. -
(a)
Auf die erstmals in der Berufungsinstanz erfolgte Vorlage der Stellungnahmen des Privatgutachters finden die Beschränkungen der §§ 529, 531 ZPO keine Anwendung. Es handelt sich sowohl bei dem Gegenstand der Begutachtung als auch bei dem hierzu erfolgten Vortrag der Klägerin um Rechtsausführungen. Solche stellen kein Angriffs- und Verteidigungsmittel im Sinne der Präklusionsvorschriften dar und sind daher in der Berufungsinstanz uneingeschränkt zu berücksichtigen (vgl. MüKo ZPO-Rimmelspacher, 6. Aufl., § 520 Rn. 65). - Wie ein Patent auszulegen ist, ist eine Rechtsfrage (BVerfG, GRUR-RR 2009, 441, 442; BGH, GRUR 2004, 1023, 1025 – Bodenseitige Vereinzelungsvorrichtung; GRUR 2006, 131 Rn. 19 – Seitenspiegel; GRUR 2006, 313 Rn. 18 – Stapeltrockner; GRUR 2010, 858 Rn. 15 – Crimpwerkzeug III; GRUR 2015, 868 Rn. 25 – Polymerschaum; GRUR 2015, 972 Rn. 20 – Kreuzgestänge; GRUR 2021, 574 Rn. 32 – Kranarm; OLG Düsseldorf, Urt. v. 26.11.2015 – I-2 U 74/14, BeckRS 2016, 15016 Rn. 33; Urt. v. 29.02.2024 – I-2 U 6/20). Demgegenüber können zwar die Grundlagen der Auslegung, somit konkrete tatsächliche Umstände, die für die Auslegung von Bedeutung sein können, im Bereich der Tatsachenfeststellung liegen (vgl. BGH, GRUR 1999, 977, 980 – Räumschild; GRUR 2004, 1023, 1025 – Bodenseitige Vereinzelungsvorrichtung). Dies ist aber noch nicht dann der Fall, wenn im Sinne einer rechtlichen Wertung auf ein bestimmtes Verständnis des Fachmanns auf dem betreffenden Gebiet abgestellt wird (vgl. BGH, GRUR 2004, 1023, 1025 – Bodenseitige Vereinzelungsvorrichtung). Im Bereich der Tatsachenfeststellung liegen etwa Kenntnisse, Fertigkeiten und Erfahrungen der maßgeblichen Fachleute, mit denen sich diese dem Verständnis des Patentanspruchs genähert hätten (vgl. BGH, GRUR 2006, 131 Rn. 19 – Seitenspiegel). Soweit im Zusammenhang mit der Darstellung erstinstanzlich nicht thematisierter Aspekte der Auslegung auch neue – und bestrittene – Tatsachenbehauptungen in diesem Sinne erfolgen, ist daher eine Anwendung der Präklusionsvorschriften zu prüfen.
- In Anwendung dieser Grundsätze handelt es sich sowohl bei den Ausführungen der Klägerin unter Bezug auf die Begutachtung ihres Privatgutachters als auch bei dessen Stellungnahme selbst um Rechtsausführungen. Wenngleich der Hinweis der Klägerin, die Fachexpertise ihres Privatgutachters treffe exakt den gebotenen Empfängerhorizont, nahelegt, dass sie diesen als einschlägigen (Durchschnitts-) Fachmann ansieht, lassen sich dem Vortrag der Klägerin und der gutachterlichen Stellungnahme keine konkreten Behauptungen zu bestimmten Kenntnissen, Fertigkeiten und Erfahrungen des Fachmanns zum Prioritätstag entnehmen, die nach den dargestellten Grundsätzen als Tatsachenbehauptungen anzusehen sein könnten. Es handelt sich vielmehr insgesamt um rechtliche Erwägungen zum Verständnis des Patents und zu von dem (abstrakten) Fachmann angestellten Wertungen.
-
(b)
Die damit zu berücksichtigende Darstellung des Privatgutachters der Klägerin in der als Anlage KAP 32 vorgelegten Stellungnahme und der hierzu erfolgte Vortrag der Klägerin vermögen nicht zu überzeugen. Der Privatgutachter bezieht sich insbesondere auf Abs. [0068] des Klagepatents, in dem es heißt: - „Die angestellten Kühl-/Schmiermittelkanäle der zweiten und dritten Ausführungsformen können auch direkt aus einem zentralen Kühl-/Schmiermittelkanal abzweigen, wodurch sich entsprechende, radial verlaufende Verbindungskanäle zwischen der Kühlmitteleinspeisung und den von der Werkzeugachse beanstandeten (sic) und in Umfangsrichtung verteilten Kühl-/Schmiermittelkanälen erübrigen.“
- (Hervorhebungen hinzugefügt)
- Entgegen der in der Stellungnahme vertretenen Auffassung (Anlage K 32, S. 4 oben) lässt die zitierte Passage eine deutliche Differenzierung zwischen den Kühl-/Schmiermittelkanälen im Sinne von Merkmal 4.1. – deren nähere Ausgestaltung in der Merkmalsgruppe 5. beschrieben ist – und dem nur optionalen zentralen Kühl-/Schmiermittelkanal erkennen. Der zentrale Kühl-/Schmiermittelkanal dient der Einspeisung von Kühl-/Schmiermittel und hat bereits keine dem Schneidteil zugewandten stirnseitigen Austrittsöffnungen (Merkmal 5.3.), womit auch eine Ausbildung im Sinne des Merkmals 5.4. von vornherein nicht in Betracht kommt. Es handelt sich damit nicht um einen Kühl-/Schmiermittelkanal im Sinne des Anspruchs, weshalb aus seiner Erwähnung in einem Ausführungsbeispiel schon aus diesem Grund nicht der Schluss gezogen werden kann, es müsse keine zahlenmäßige Übereinstimmung zwischen den in Merkmal 4.1. in Bezug genommenen Kühl-/Schmiermittelkanälen und den Spannuten bestehen.
- Für das weitere unter Verweis auf die Stellungnahme ihres Privatgutachters gemäß Anlage KAP 32 erfolgte Vorbringen der Klägerin, wonach die Anzahl der Kühl-/Schmiermittelkanäle und die Anzahl der Spannuten lediglich in einer Beziehung zueinander stehen, jedoch nicht identisch sein müssten, kann auf die Erläuterungen unter (3) verwiesen werden.
-
(c)
Auch aus der als Anlage KAP 35 vorgelegten weiteren Stellungnahme des Privatgutachters der Klägerin sowie ihrem hierzu erfolgten Vorbringen ergibt sich keine andere Betrachtung. Die Stellungnahme greift, soweit es den Begriff der „zugeordneten Spannut“ angeht, im Wesentlichen die Argumentation aus der Anlage KAP 32 auf, weshalb auf die obigen Ausführungen Bezug genommen wird. -
b)
Einer näheren Betrachtung bedürfen ferner weitere Aspekte des bereits erwähnten Merkmals 5.4., wonach die Kühl-/Schmiermittelkanäle derart ausgebildet sind, dass aus den Austrittsöffnungen des Einspannabschnitts austretendes Kühl-/Schmiermittel entlang des Schafts in einem freien Strahl ohne radial außenliegende Begrenzung in jeweils eine zugeordnete Spannut des Schneidteils einspeisbar ist. -
aa)
Die Ausbildung der Kühl-/Schmiermittelkanäle soll erfindungsgemäß gewährleisten, dass austretendes Kühl-/Schmiermittel in der im Merkmal näher beschriebenen Weise in einem freien Strahl in jeweils eine zugeordnete Spannut einspeisbar ist. -
(1)
Der in der Patentschrift nicht definierte Begriff des Strahls ist nach dem Verständnis des Klagepatents durch eine (gewisse) Abgrenzbarkeit und das Vorliegen eines Kernbereichs gekennzeichnet, welcher im Zusammenwirken mit einer Bohrungswandung die Ausbildung des gewünschten Strömungsprofils ermöglicht. Erfindungsgemäß strömt das Kühl-/Schmiermittel in dieser Form von den Austrittsöffnungen in (und durch) die Spannuten. Zu Recht hat das Landgericht den Strahl vor diesem Hintergrund als einen gerichteten Strom definiert und insbesondere das Versprühen des Kühl-/Schmiermittels in alle Richtungen als nicht anspruchsgemäß erachtet. - Das Klagepatent spricht in seiner Beschreibung und in den Ausführungsbeispielen wiederholt die aus den Austrittsöffnungen austretenden „Einzelstrahlen“ an (vgl. Abs. [0015], [0018], [0019], [0031], [0034], [0047], [0048], [0053]), womit deutlich wird, dass es von einer Abgrenzbarkeit der einzelnen Strahlen untereinander ausgeht und somit, wenn es die Einspeisbarkeit „in einem freien Strahl“ anspricht, genau den aus einer Austrittsöffnung austretenden – und in jeweils eine zugeordnete Spannut einspeisbaren – Strahl meint. Darüber hinaus geht das Klagepatent davon aus, dass der Strahl über einen Kernbereich verfügt, wie sich aus dem nachfolgend zitierten, der allgemeinen Beschreibung entstammenden Passus in Abs. [0013] ergibt:
- „Untersuchungen der Kühl-/Schmiermittelströmung entlang der Werkzeugachse, d. h. vom Einspannabschnitt bis zur Werkzeugspitze haben gezeigt, dass der aus den Kühl-/Schmiermittelkanälen austretende Fluidstrahl selbst dann, wenn er unter Einwirkung der auftretenden Zentrifugalkräfte eine beträchtliche axiale Länge in Richtung Schneidkopf erfindungsgemäß ohne radial außenliegende Begrenzung zurücklegen muss, einen ausreichend großen Kernbereich mit hoher Strömungsgeschwindigkeit in dem Moment besitzt, in dem das Werkzeug in die zu bearbeitende Bohrung, insbesondere in die Durchgangsbohrung eintaucht, die einer Fein-Nachbearbeitung unterzogen werden soll.“
- (Hervorhebungen hinzugefügt)
- Ob ein Strahl aus fachmännischer Sicht (stets) in die Bereiche Kernstrahl und Tröpfchenwolke unterteilbar ist, wie die Beklagten unter Verweis auf das von ihnen vorgelegte Privatgutachten von Prof. I (Anlage B&B 23) geltend machen, bedarf keiner abschließenden Entscheidung. Jedenfalls ein ohne erkennbaren Kernstrahl als bloße Tröpfchenwolke austretendes Fluid erfüllt die Anforderungen an einen anspruchsgemäßen Strahl nicht.
-
(2)
Soweit die Klägerin in der Berufungsinstanz die Auffassung vertritt, dass aus einer Austrittsöffnung nicht notwendigerweise nur ein Strahl austreten dürfe, sondern dass auch mehrere Strahlen pro Austrittsöffnung vorhanden sein könnten, vermag der Senat dem nicht beizutreten. -
(a)
Nach dem Wortlaut des Merkmals soll im Betrieb einer anspruchsgemäßen Vorrichtung austretendes Kühl-/Schmiermittel in einem freien Strahl in jeweils eine zugeordnete Spannut eingespeist werden. Das sich danach begrifflich ergebende Verständnis, dass (genau) ein Strahl austreten und in die jeweils zugeordnete Spannut eingespeist werden soll, wird durch die Klagepatentschrift im Übrigen bestätigt. - So ist in der soeben zitierten Textstelle in Abs. [0013] die Rede davon, dass „der aus den Kühl-/Schmiermittelkanälen austretende Fluidstrahl“ einen näher beschriebenen Kernbereich besitzt. Auch an anderer Stelle wird (bezogen auf eine Austrittsöffnung) „ein“ bzw. „der“ Kühl-/Schmiermittelstrahl erwähnt (vgl. Abs. [0027] f.; [0044]). Soweit das Klagepatent den Begriff der Kühl-/Schmiermittelstrahlen im Plural gebraucht (vgl. nur Abs. [0014], [0015], [0018], [0019]), beziehen sich diese Ausführungen auf das Vorsehen mehrerer Kühl-/Schmiermittelkanäle und demnach mehrerer, der Anzahl der Kanäle entsprechender, aber jeweils einzelner Strahlen zur Einspeisung in die jeweils zugeordnete Spannut. Dies wird etwa in Abs. [0048] deutlich, wenn es dort zu einem Ausführungsbeispiel heißt:
- „Die einzelnen, über den Umfang entsprechend der Teilung des Werkzeugs verteilten Kühl-/Schmiermittelstrahlen treffen sozusagen nach frei fliegender Strömung die Spannuten 30.“
- Der Austritt des Kühl-/Schmiermittels in genau einem Strahl und dessen Einspeisung in genau eine Spannut entspricht auch der vom Klagepatent erstrebten Vermeidung von Verlusten, während das Vorsehen eines zweiten – nicht in eine Spannut eingespeisten – Strahls diesem Anliegen diametral entgegenstünde.
- Dass es sich bei der Vermeidung von Verlusten bei der Einspeisung des Kühl-/Schmiermittels um ein Ziel des Klagepatents handelt, wird bereits durch die Würdigung des Stands der Technik deutlich. So hebt das Klagepatent in Bezug auf die in der DE ’XXC offenbarte Reibahle die Einspeisung des Kühl-/Schmiermittels in die Spannuten mit möglichst geringen Verlusten hervor (Abs. [0004]). Wie das Landgericht zutreffend ausgeführt hat, sieht das Klagepatent daran nicht die gezielte und verlustarme Einspeisung, sondern den erforderlichen Herstellungsaufwand als nachteilig an (vgl. Abs. [0007]). Nur diesbezüglich grenzt sich das Klagepatent von diesem Stand der Technik ab, indem das Kühl-Schmiermittel nicht mehr in einem Kanal, sondern in einem freien Strahl in die jeweils zugeordnete Spannut eingespeist wird. Im Übrigen soll das Konzept, das Kühl-/Schmiermittel den einzelnen Spannuten unter geringen Verlusten zuzuführen, indes beibehalten werden.
- Auch in seiner allgemeinen Beschreibung und im Zusammenhang mit der Darstellung eines Ausführungsbeispiels betont das Klagepatent die Vorteilhaftigkeit einer verlustarmen Zuführung des Kühl-/Schmiermittels an die entscheidenden Stellen des Werkzeugs (vgl. Abs. [0016], [0051]). In Abs. [0016] heißt es:
- „Die Zufuhr von Kühl-/Schmiermittel an die für das Werkzeug entscheidenden Stellen ist verlustarm, da Umlenkungen der Kühl-/Schmiermittelströmung vermieden sind.“
- Dass die zitierte Passage – ebenso wie Abs. [0051] – die Vermeidung von Umlenkungen als entscheidenden Grund der verlustarmen Zuführung hervorhebt, steht nicht einer Sichtweise entgegen, wonach die Vermeidung von Verlusten an Kühl-/Schmiermittel vom Klagepatent als vorteilhaft erachtet wird. Tatsächlich ist die verlustarme Zuführung des Kühl-/Schmiermittels schon deshalb ein grundsätzliches Anliegen der Lehre des Klagepatents, weil so das bereits in der Aufgabenstellung (Abs. [0010]) genannte Ziel sichergestellt wird, dass das erfindungsgemäße Konzept auch für die Trockenbearbeitung bzw. MMS geeignet ist. Auch dies wird in dem soeben zitierten Abs. [0016] deutlich, in dem es im Anschluss an die Hervorhebung einer verlustarmen Zufuhr heißt:
- „Damit eignet sich das erfindungsgemäße Konzept nicht nur für die Nassbearbeitung, sondern auch für die sogenannte Trockenbearbeitung bzw. für die Mindermengenschmierung (MMS-Technologie).“
-
Auch Abs. [0034] schildert, dass es mit der Weiterbildung des Anspruchs 18 – gemeint sein dürfte Unteranspruch 8 der erteilten Fassung – gelingt, die Kühl-/Schmiermittelstrahlen zusätzlich zu stabilisieren, um längere axiale Distanzen zwischen Einspannabschnitt und Schneidteil so zu überbrücken, „dass die einzelnen Kühl-/Schmiermittelstrahlen die zugeordneten Spannuten mit möglichst großer Flächenüberlappung erreichen“. Dies macht ebenfalls deutlich, dass eine möglichst verlustfreie Einspeisung erstrebt ist.
Das dargestellte Verständnis steht schließlich im Einklang mit den Ausführungen des Bundespatentgerichts in seinem Urteil vom 27.07.2021, welches seiner Bewertung ebenfalls das Vorsehen eines Strahls pro Austrittsöffnung, welcher in genau eine Spannut eingespeist werden soll, zugrundelegt. Dies ergibt sich deutlich aus den nachfolgend zitierten Ausführungen auf Seite 13 des Urteils (siehe ferner S. 24 f., S. 29 f.):
- „Jeder dieser jeweils freien Strahlen, welche unter hohem Druck und hoher Geschwindigkeit aus der dem Schneidteil zugewandten Austrittsöffnungen des Einspannabschnitts austreten, soll – und dies ist nach Ansicht des Senats nach den vorgenommenen Einschränkungen nunmehr der Kern der Erfindung – eine bestimmte, jeweils zugeordnete Spannut treffen, …“
-
(b)
Ein anderes Verständnis ist auch nicht unter Berücksichtigung der von der Klägerin bereits in erster Instanz vorgelegten gutachterlichen Stellungnahme ihres Privatgutachters vom 04.04.2022 zu dem Verständnis des Begriffs „verlustarm“, die dieser im Zusammenhang mit einem früheren Verfahren erstellt hat (Anlage KAP 21), geboten. Der Gutachter der Klägerin führt aus, dass insbesondere das in Abs. [0051] erwähnte Vorsehen großflächiger Kühl-/Schmiermittelkanäle widersinnig wäre, wenn das Klagepatent beabsichtigte, die Menge des Kühl-/Schmiermittels zu reduzieren (Anlage KAP 21, S. 2). Tatsächlich nachteilig seien infolge von Umlenkungen bewirkte Strömungsverluste wie dies bei den aus dem Stand der Technik bekannten Werkzeugen der Fall sei (Anlage KAP 21, S. 2). Konkret sei bei der Nassbearbeitung die Menge des ohnehin im Kreislauf geführten, also wiederverwendeten Kühl-/Schmiermittels unerheblich, während Strömungsverluste dazu führten, dass Schmiermittel unter höherem Druck geführt werden müsse, was energetisch ungünstig sei (Anlage KAP 21, S. 2). Bei der Mindermengenschmierung (MMS) bewirke eine Umlenkung, dass sich an deren „Kanten“ Tröpfchen des Kühl-/Schmiermittels niederschlügen, so dass das Aerosol – entgegen der Zielsetzung der MMS – einen höheren Anteil an Kühl-/Schmiermittel aufweisen müsse (Anlage KAP 21, S. 3). Vor diesem Hintergrund betreffe der Begriff „verlustarm“ nicht eine möglichst geringe Menge des zugeführten Kühl-/Schmiermittels, sondern die Verringerung von Strömungsverlusten (Nassbearbeitung und MMS) und bei der MMS zudem die Vermeidung des Niederschlagens von Tröpfchen an den Umlenkstellen (Anlage KAP 21, S. 3). - Entgegen der Darstellung des Privatgutachters der Klägerin ist die vom Klagepatent erstrebte verlustarme Zuführung von Kühl-/Schmiermittel indes nicht mit der Verwendung einer möglichst geringen Menge an Kühl-/Schmiermittel gleichzusetzen. Vor diesem Hintergrund kann mit dem Argument, es komme dem Klagepatent nicht auf die Verwendung einer möglichst geringen Menge an Kühl-/Schmiermittel an, dessen verlustarme Zuführung als allgemeines Ziel der beanspruchten Lehre nicht widerlegt werden. Auch nach Auffassung des Senats handelt es sich bei der Verwendung einer möglichst geringen Menge nicht um eine Zielsetzung des Klagepatents, was schon daran deutlich wird, dass dieses sowohl bei der Nassbearbeitung als auch bei der Trockenbearbeitung bzw. MMS-Technologie Verbesserungen anstrebt (Abs. [0010]). Mehrfach ist zudem die Rede von einer erheblich angehobenen Menge des zu den Schneiden geführten Kühl-/Schmiermittels (Abs. [0015], [0050]) oder es wird zumindest die Zuführung einer ausreichenden Menge als positiv hervorgehoben (Abs. [0013], [0048], [0053]). Tatsächlich versteht das Klagepatent unter der verlustarmen Zuführung vielmehr die Reduzierung des Anteils an Kühl-/Schmiermittel, welches aus den Kanälen austritt, jedoch nicht in die Spannuten eingespeist werden kann. Vor diesem Hintergrund ist auch das Vorsehen von großflächigen Kühl-/Schmiermittelkanälen, wie in Abs. [0050] f. erwähnt, entgegen der Auffassung des Gutachters der Klägerin kein Widerspruch zu dem Anliegen einer verlustarmen Zuführung.
- Soweit der Privatgutachter der Klägerin argumentiert, bei den aus dem Stand der Technik bekannten Werkzeugen werde das Schmiermittel in axialer Richtung im Inneren des Werkzeugs zugeführt und dann radial nach außen umgeleitet, um an die Schneiden zu gelangen, und es seien gerade die durch derartige Umlenkungen bewirkten Strömungsverluste in der Zuführung des Schmiermittels, die nach der Lehre des Klagepatents vermieden werden sollten (Anlage KAP 21, S. 2), vermag auch dies nicht zu überzeugen. Zum einen ist in der Würdigung des Stands der Technik von der Vermeidung von Strömungsverlusten nicht die Rede, sondern sieht das Klagepatent – wie bereits erörtert – den Herstellungsaufwand beim Stand der Technik als nachteilig an. Zum anderen würdigt das Klagepatent die in der DE ’XXC offenbarte Reibahle, die über ein eben solches Kanalsystem verfügt wie es der Gutachter beschreibt, als gerade besonders verlustarm. Dies ergibt sich unmittelbar aus Abs. [0004], in dem es heißt:
- „In Dokument DE 10347XXC A1 ist ein gattungsbildendes Werkzeug in der Ausgestaltung als Hochleistungsreibahle gezeigt, bei der ein mit einem Schaftteil dreh- und axialfest verbundener Schneidkopf … über einen zentralen Kühl/Schmiermittelversorgungskanal im Werkzeugschaft und ein Radialkanalsystem im bzw. an der Schnittstelle zum Schneidkopf mit Kühl-/Schmiermittel versorgt wird. Die radial außen liegenden Mündungsöffnungen des Radialkanalsystems sind von einer Kühlmittel-Leithülse abgedeckt, die sich in Richtung der Werkzeugspitze bis in einen Auslaufbereich der Spannuten erstreckt und somit dafür sorgen kann, dass das zugeführte Kühl-/Schmiermittel mit möglichst geringen Verlusten in die Spannuten eingespeist werden kann.“
- (Hervorhebungen hinzugefügt)
-
bb)
Mit der weiteren Vorgabe, wonach austretendes Kühl-/Schmiermittel entlang des Schafts in einem freien Strahl ohne radial außenliegende Begrenzung in jeweils eine zugeordnete Spannut einspeisbar ist, spricht das Klagepatent die erfindungsgemäß außenliegende Zuführung der Kühl-/Schmiermittelstrahlen (vgl. Abs. [0050]) an, bei der es auf der dem Schaft abgewandten Seite des Strahls an einer Begrenzung durch ein Werkzeugbauteil fehlt (vgl. Urteil BPatG, S. 13, S. 22). - Die Vorgabe eines freien Strahls greift diese Ausgestaltung auf und beschreibt ebenfalls das Fehlen einer radialen Begrenzung, insbesondere in der Form eines Kanals wie im Stand der Technik. Der Strahl kann ungehindert – und somit frei – austreten (vgl. Merkmal 6.; Urteil BPatG, S. 22). Das Klagepatent beschreibt den Strahl dementsprechend auch als „frei fliegend“ (Abs. [0047], Abs. [0048], [0069]).
- Schließlich beschreibt die Einspeisbarkeit entlang des Schafts die grundsätzliche Richtung der Führung des Kühl-/Schmiermittels. Dass der Schaft bzw. Schaftabschnitt in diesem Zusammenhang auch eine Stützfunktion übernimmt, ergibt sich sodann aus Merkmal 6.
-
cc)
Die Ausbildung der Kanäle muss weiter gewährleisten, dass das Kühl-/Schmiermittel in dem bereits beschriebenen freien Strahl in jeweils eine zugeordnete Spannut einspeisbar ist. -
(1)
Was das Klagepatent unter einer jeweils zugeordneten Spannut versteht, wurde bereits unter a) erläutert. Mit der weiteren Vorgabe, wonach das Kühl-/Schmiermittel in eine solche Spannut einspeisbar ist, bringt der Anspruch zum Ausdruck, dass das Kühl-/Schmiermittel in die Spannut – einer im Schneidteil eingeschliffenen Vertiefung (vgl. Merkmale 3., 3.1.) – eingeleitet werden kann. Im Zusammenhang mit einem in Eingriff befindlichen Werkzeug spricht das Klagepatent auch von einer „Auffüllung“ der von den Spannuten begrenzten Strömungskanäle (Abs. [0015], siehe auch Abs. [0031], der von einem noch größeren „Füllungsgrad“ der Spannuten spricht). Wie bereits unter a) ausgeführt, legt sich das Klagepatent auf einen bestimmten Weg fest, wie in einem erfindungsgemäß ausgestalteten Werkzeug das Kühl-/Schmiermittel an die hochbelasteten Schneiden geleitet wird. Auf diese Weise kann bei Eintauchen des Werkzeugs in die zu bearbeitende Bohrung ein immer stabiler werdendes Strömungsprofil in den von Spannuten und Bohrungswandung definierten Strömungskanälen ausgebildet werden (Abs. [0013], [0015], [0023], [0048]). Darüber hinaus wird – als zusätzlicher Vorteil – durch das Auffüllen der Spannuten mit Kühl-/Schmiermittel der Abtransport der Späne verbessert (Abs. [0014], [0016], [0019], [0023], [0050]). - Nicht erfindungsgemäß ist es vor dem Hintergrund dieser konkreten Festlegung, wenn das Kühl-/Schmiermittel die Schneiden auf einem anderen Weg als demjenigen durch die Spannuten erreicht. Zwar sind die Schneiden derjenige Teil des Werkzeugs, an dem Kühlung und Schmierung in erster Linie benötigt werden und der dementsprechend mit Kühl-/Schmiermittel zu versorgen ist (vgl. Abs. [0023], [0028], [0050], [0069]). Würde man es jedoch als anspruchsgemäß ansehen, die Schneiden auf anderem Weg mit Kühl-/Schmiermittel zu versorgen, wäre damit eine Reduzierung des Merkmals auf die bloße Funktion verbunden, die – wie bereits unter a) bb) (3) ausgeführt – unzulässig ist. Darüber hinaus könnten die vom Klagepatent erstrebten weiteren Vorteile, die mit einem Transport des Kühl-/Schmiermittels gerade durch die Spannuten verbunden sind, nicht erreicht werden. Folgerichtig hält Abs. [0012] ausdrücklich fest, dass nicht nur an den Schneiden, sondern auch im Bereich der Spannuten eine Versorgung mit Schmiermittel erforderlich ist. Dort heißt es:
- „Es wurde durch Versuche herausgefunden, dass mit dieser Gestaltung der Werkzeuge sowohl bei der sogenannten Nassbearbeitung, d.h. bei Verwendung von flüssigen Kühl/Schmiermitteln, als auch bei der sogenannten „Trockenbearbeitung“ gemäß der MMS-Technologie, im Bereich der Spannuten und auch an den für die Standzeit entscheidenden Flächen der Werkzeugschneiden eine ausreichende Schmiermittelversorgung selbst dann stabilisiert werden kann, wenn der Arbeitsdruck des Kühl-/Schmiermittels auf einem leicht beherrschbaren Niveau von beispielsweise über 5 bar, vorzugsweise über 10 bar gehalten wird.“
- (Hervorhebungen hinzugefügt)
- Erst recht nicht anspruchsgemäß ist demnach eine Ausgestaltung, bei der die Kühl-/Schmiermittelstrahlen die Spannuten deutlich verfehlen und allenfalls auf das Werkstück treffen und dieses an der Bohrungsmündung fluten, wodurch das Kühl-/Schmiermittel (anschließend) drucklos über die Spannuten in Richtung Bohrungsende einfließt (vgl. Urteil BPatG, S. 20 f., siehe ferner S. 31, S. 32).
- Grundsätzlich zutreffend ist das Landgericht auch davon ausgegangen, dass das Kühl-/Schmiermittel nach der Lehre des Klagepatents in den Beginn einer Spannut als deren an den Schaft angrenzenden Eingangsabschnitt einzuleiten ist. Klarzustellen ist insofern, dass es mangels einer entsprechenden Vorgabe im Anspruch nicht entscheidend ist, ob die Einleitung des Kühl-/Schmiermittels an einem geringfügig in Richtung Werkzeugkopf versetzten Bereich der Spannut erfolgt. Jedenfalls muss aber, um im Sinne des Merkmals in eine Spannut einspeisbar zu sein, sichergestellt sein, dass das Kühl-/Schmiermittel die Spannut im Wesentlichen vollständig auffüllt, dort ein Strömungsprofil ausbilden und die zusätzliche Funktion des Abtransports der Späne übernehmen kann.
- Ein anderes Verständnis ergibt sich schließlich nicht aus der bereits erwähnten, von der Klägerin in der Berufungsinstanz vorgelegten Stellungnahme ihres Privatgutachters gemäß Anlage KAP 35, die sich auch mit dem Begriff der Einspeisbarkeit befasst (S. 4 f.). Der Gutachter der Klägerin geht darin zusammenfassend davon aus, dass das Einspeisen des Kühl-/Schmiermittels, also dessen Einleiten an der am spätesten zulässigen Stelle, an den in Eingriff stehenden Schneiden erfolgen muss, insbesondere an den verhältnismäßig hoch belasteten Werkzeugschneiden nahe der Werkzeugspitze, nicht dagegen an dem dem Einspannbereich zugewandten Beginn der Spannut (Anlage KAP 35, S. 5). Nachdem diese Ansicht allein mit dem Argument begründet wird, dass das Kühl-/Schmiermittel an die am höchsten beanspruchten Bereiche des Werkzeugs gebracht werden müsse, kann auf die obigen Ausführungen verwiesen werden. Diese Sichtweise stellt, wie erläutert, eine unzulässige Reduzierung des Merkmals auf die bloße Funktion dar, die überdies die weiteren vom Klagepatent erstrebten Effekte außer Acht lässt.
- Die dargestellten Anforderungen gelten schließlich unabhängig davon, ob die Spannuten, wie vom Klagepatent als vorteilhaft beschrieben und in den Figuren gezeigt (vgl. Abs. [0031], [0038], [0066]), geradlinig verlaufen. Die Vorgaben des Anspruchs gelten insbesondere in gleicher Weise, wenn die Spannuten, wie vom Klagepatent ausdrücklich als möglich beschrieben (vgl. Abs. [0031], [0067]), wendelförmig ausgestaltet sind.
-
(2)
Dem Anspruch lässt sich nicht entnehmen, dass der jeweilige Kühl-/Schmiermittelstrahl ohne Verluste – gleichsam zu 100 % – in eine Spannut einspeisbar sein muss. Der Fachmann wird von einer solchen Annahme bereits deshalb nicht ausgehen, weil ihm bekannt ist, dass sich der frei fliegende Strahl im Verlauf seines „freien Flugs“ über den Bereich des Schaftabschnitts zunehmend auffächern und im Querschnitt vergrößern wird (vgl. Urteil BPatG, S. 18 f.). Ist andererseits nur ein geringer Anteil des jeweiligen Kühl-/Schmiermittelstrahls in die zugeordnete Spannut einspeisbar, steht dies mit dem Wortlaut des Merkmals nicht mehr in Einklang. - Die daher notwendige Grenze zieht das fachkundige Bundespatentgericht in seinem Urteil vom 27.07.2021 bei einem größtenteils in die Spannut treffenden Strahl, wenn es auf Seite 15 ausführt:
- „Nach der im Nichtigkeitsverfahren vorgenommenen Einschränkung, wonach das Kühl-/Schmiermittel nunmehr in einem freien Strahl in jeweils eine zugeordnete Spannut einspeisbar ist, muss folglich jeder der Kühl-/Schmiermittelstrahlen größtenteils in die jeweils zugeordnete Spannut treffen.“
- Mit einer ähnlichen Formulierung greift das Bundespatentgericht dieses Verständnis an späterer Stelle auf, wenn es ausführt, der „Großteil des jeweiligen Strahles“ treffe in die jeweils zugeordnete Spannut (Urteil BPatG, S. 19). Dieses Verständnis, dem sich der Senat anschließt, steht im Einklang mit der vom Klagepatent erstrebten, bereits erörterten Einspeisung des Kühl-/Schmiermittels mit möglichst geringen Verlusten.
- Soweit die Klägerin demgegenüber unter Verweis auf Abs. [0010] die Auffassung vertritt, es müsse nur so viel Kühl-/Schmiermittel in die Spannut eingespeist werden, dass es in ausreichender Menge an die Schneiden des Werkzeugs herangebracht werde, wobei sich die ausreichende Menge anhand einer durch die Zufuhr von Kühl-/Schmiermittel erzielten längeren Standzeit des Werkzeugs im Vergleich zur Standzeit eines Werkzeugs, dem eine Kühl-/Schmiermittelzuführung fehle, bemesse, ist dem nicht zu folgen. Dies gilt bereits deshalb, weil – wie ebenfalls bereits erläutert – das Klagepatent mit Blick auf das auszubildende Strömungsprofil und den Abtransport der Späne dem in die Spannuten eingespeisten Kühl-/Schmiermittel eine eigenständige Bedeutung beimisst.
- Auch die weitere Argumentation der Klägerin, dass es sich bei dem Kühl-/Schmiermittelstrahl auch um ein Aerosol handeln könne, wobei nur der Anteil des flüssigen Schmiermediums am gesamten Kühl-/Schmiermittel den Effekt des Kühlens und Schmierens bewirke, weswegen es schon deshalb nicht zutreffe, dass das Kühl-/Schmiermittel zur Erzielung der gewünschten Funktionsweise in erheblichem Umfang oder gar zum größten Teil in die Spannuten eingespeist werden müsse, greift nicht durch. Zwar weist die Klägerin zutreffend darauf hin, dass das im Anspruch genannte Kühl-/Schmiermittel sowohl aus flüssigen als auch aus gasförmigen Bestandteilen bestehen kann. Insbesondere bei der bereits aus dem Stand der Technik bekannten sogenannten Minimalmengenschmierung (MMS) wird das Schmiermedium während der Bearbeitung als Aerosol zugeführt (vgl. Abs. [0005], [0033], [0046], [0084]). Richtig ist auch, dass es dem Klagepatent unter anderem darum geht, das Kühl-/Schmiermittel sowohl bei der Nass- als auch bei der Trockenbearbeitung (MMS) prozesssicher und in ausreichender Menge an die Schneiden zu bringen (Abs. [0010]). Ein anderes Verständnis in Bezug auf die Anforderungen des Anspruchs ergibt sich daraus jedoch nicht. Es ist an keiner Stelle zu erkennen, dass das Klagpatent die erstrebten Vorteile einer Einspeisung des Kühl-/Schmiermittels in die Spannuten im Falle eines Aerosols anders bewertet. Im Gegenteil erlaubt es die beanspruchte Lehre nach dem Verständnis des Klagepatents gerade, sowohl mit flüssigen Kühl-/Strömungsmitteln als auch mit Aerosolen (gleichermaßen) zu arbeiten (vgl. Abs. [0033]). Es kommt vor diesem Hintergrund nicht darauf an, ob die – von den Beklagten bestrittene – Behauptung der Klägerin zutrifft, wonach den gasförmigen Anteilen kein Kühlungseffekt beizumessen sei. Selbst wenn dies der Fall sein sollte, stellt dieser Umstand weder die vom Klagepatent erstrebte Ausbildung eines Strömungskanals in bzw. durch die Spannuten noch die Verbesserung des Abtransports der Späne in Frage.
-
dd)
Die Kühl-/Schmiermittelkanäle eines erfindungsgemäßen Werkzeugs sind nach den Merkmalen 5. und 5.4. derart ausgebildet, dass sie die bereits erörterten Vorgaben verwirklichen können. - Anders als bei einer bloßen Zweck- oder Funktionsangabe wird hiermit explizit eine räumlich-körperliche Vorgabe an einen bestimmten Bestandteil des beanspruchten Werkzeugs gestellt, nämlich an dessen Kühl-/Schmiermittelkanäle. Diese müssen so ausgebildet sein, dass sie im Betrieb des Werkzeugs – unabhängig davon, ob es sich dabei um dessen bestimmungsgemäßen (Haupt-)Einsatzzweck handelt – die im Merkmal näher beschriebene Einspeisbarkeit gewährleisten können. Hintergrund dieser Vorgabe ist, wie sich Abs. [0049] entnehmen lässt, dass die Durchflussmenge des Kühl-/Schmiermittels in den Spannuten entscheidend von der Profilgestaltung der Kühl-/Schmiermittelkanäle abhängt.
- Das Klagepatent befasst sich mit zwei möglichen Ausgestaltungen, um insbesondere die Vorgaben dieses Merkmals erfüllen zu können: Die Kühl-/Schmiermittelkanäle und die jeweils zugeordneten Spannuten können – erstens – in der axialen Projektion (vollständig) überlappen und somit beispielsweise in axialer Richtung fluchten, was sowohl in radialer Richtung als auch in Umfangsrichtung eine entsprechende Positionierung von Kühl-/Schmiermittelkanälen und Spannuten voraussetzt (vgl. Abs. [0040], Fig. 2; Urteil BPatG, S. 14). Die Kühl-/Schmiermittelkanäle können – zweitens – bei einem deutlichen Versatz zwischen Kanälen und Spannuten unter einem Anstellwinkel zu den jeweils zugeordneten Spannuten angeordnet sein, so dass ungeachtet des radialen Versatzes jeder Strahl die zugeordnete Spannut trifft (vgl. Abs. [0056], Fig. 4; Urteil BPatG, S. 14). In beiden Fällen ist es wesentlich, dass eine gedachte Verlängerung der Kühl-/Schmiermittelkanäle über den dazwischenliegenden Schaftabschnitt hinweg im Wesentlichen mit den Spannuten fluchtet (vgl. Urteil BPatG, S. 14 f.).
- Zwar haben die im Klagepatent beschriebenen konkreten Ausgestaltungen im Anspruch keinen Niederschlag gefunden. Nachdem aber, wie erwähnt, die Anforderungen des Merkmals gerade durch die räumlich-körperliche Ausgestaltung der Kühl-/Schmiermittelkanäle erfüllt werden soll, ist allerdings eine solche – die Erfüllung der Vorgaben des Merkmals gewährleistende – Ausbildung erforderlich, d.h. eine räumlich-körperliche Ausgestaltung, bei der eine gedachte Verlängerung der Kühl-/Schmiermittelkanäle über den dazwischenliegenden Schaftabschnitt hinweg im Wesentlichen mit den Spannuten fluchtet. Vor diesem Hintergrund kann zwar, soweit Kühl-/Schmiermittelkanäle und Spannuten in axialer Richtung nur teilweise überlappen, grundsätzlich auch auf anderem Wege als durch die Ausbildung eines Anstellwinkels sichergestellt werden, dass eine gedachte Verlängerung der Kanäle im Wesentlichen mit den Spannuten fluchtet. Nicht anspruchsgemäß ist aber jedenfalls eine Ausbildung, bei er es sowohl vollständig an einer Überschneidung der Austrittsöffnungen der Kühl-/Schmiermittelkanäle und der jeweils zugeordneten Spannuten in radialer Richtung als auch an jeglichen sonstigen Maßnahmen bei der Ausbildung der Kühl-/Schmiermittelkanäle fehlt, welche den Austritt der Strahlen in Richtung einer gedachten Flucht mit den Spannuten sicherstellt. Ob sich aus den Merkmalen 5. und 5.4 die zwingende bauliche Anweisung ergibt, die Kühl-/Schmiermittelkanäle so vorzusehen, dass sie die jeweils zugeordneten Spannuten in der axialen Projektion zumindest teilweise überlappen, kann mit Blick auf die angegriffenen Ausführungsformen dahinstehen.
- Von einem solchen Verständnis geht auch das Bundespatentgericht in seinem Urteil vom 27.07.2021 aus, wenn es im Anschluss an die Darstellung der beiden explizit offenbarten Ausgestaltungen ausführt (S. 14 f.):
- „Für beide Fälle ist es nach den Erläuterungen der Streitpatentschrift wesentlich (vgl. Absätze [0043] und [0056]), dass eine gedachte Verlängerung der Kühl-/Schmiermittelkanäle über den dazwischenliegenden Schaftabschnitt hinweg im Wesentlichen mit den Spannuten des Schneidteils fluchtet.
- Auch hier ist den Ausführungen der Beklagten … zu widersprechen, wonach das Streitpatent keine strenge geometrische Lagezuordnung in der Weise fordere, dass eine Spannut in axialer und/oder radialer Flucht zu der Austrittsöffnung genau eines Kühl-/Schmiermittelkanals liegen müsse, wozu sie auf Absatz [0026] der Streitpatentschrift verweist. Nach der im Nichtigkeitsverfahren vorgenommenen Einschränkung, wonach das Kühl-/Schmiermittel nunmehr in einem freien Strahl in jeweils eine zugeordnete Spannut einspeisbar ist, muss folglich jeder der Kühl-/Schmiermittelstrahlen größtenteils in die jeweils zugeordnete Spannut treffen.“
- In Ausführungsformen, in denen aufgrund eines radialen Versatzes von Austrittsöffnungen und Spannuten die austretenden Kühl-/Schmiermittelstrahlen die Spannuten verfehlen, sieht das Bundespatentgericht Merkmal 5.4. folgerichtig als nicht offenbart an (vgl. Urteil BPatG, S. 21/22).
-
3.
Ausgehend von dem dargestellten Verständnis machen die angegriffenen Ausführungsformen, wie das Landgericht zutreffend festgestellt hat, von der technischen Lehre des Patentanspruchs 1 in seiner eingeschränkten Fassung nicht wortsinngemäß Gebrauch. -
a)
Nach den unbeanstandet gebliebenen Tatsachenfeststellungen des Landgerichts weist die angegriffene Ausführungsform C zwei Spannuten, aber vier Kühl-/Schmiermittelkanäle auf, so dass die Anzahl der Kühl-/Schmiermittelkanäle ausgehend von dem dargestellten Verständnis nicht der Anzahl der Spannuten entspricht (Merkmal 4.1.). Damit korrespondierend ist das aus den stirnseitigen Austrittsöffnungen des Einspannabschnitts austretende Kühl-/Schmiermittel auch nicht wie von Merkmal 5.4. gefordert in jeweils eine zugeordnete Spannut einspeisbar. Die angegriffene Ausführungsform C entspricht somit schon aus diesem Grund nicht den Vorgaben des Klagepatents. -
b)
Alle angegriffenen Ausführungsformen (A, B und C) verwirklichen überdies Merkmal 5.4. nicht. -
aa)
Es fehlt bereits an der nach obiger Auslegung erforderlichen konstruktiven Ausgestaltung der Kühl-/Schmiermittelkanäle. Diese sind nicht im Sinne von Merkmal 5.4. derart ausgebildet, dass aus den Austrittsöffnungen des Einspannabschnitts austretendes Kühl-/Schmiermittel in einem freien Strahl ohne radial außenliegende Begrenzung in jeweils eine zugeordnete Spannut des Schneidteils einspeisbar ist. -
(1)
Der Senat hat seiner Entscheidung nach § 529 Abs. 1 Nr. 1 ZPO die nachfolgend wiedergegebenen, unangegriffenen Feststellungen des Landgerichts zugrunde zu legen (LG-Urteil, S. 32): - Zwischen den Parteien ist unstreitig, dass der Querschnitt der Austrittsöffnungen der Kühl-/Schmiermittelkanäle der angegriffenen Ausführungsformen keine Überschneidung mit demjenigen der Spannuten aufweist, da die Spannuten radial nach innen versetzt sind. Es handelt sich dabei nicht um die Versetzung „um ein gewisses Maß“, sondern eine Überschneidung der Querschnitte fehlt vollständig, wie sich den nachfolgenden – dem Schriftsatz der Beklagten vom 16.12.2022 (Bl. 131 f. eA LG) entnommenen – Konstruktionszeichnungen entnehmen lässt:
- Der radiale Abstand der Austrittsöffnungen ist ferner der nachfolgend eingeblendeten, dem Schriftsatz der Beklagten vom 28.07.2023 (Bl. 302 eA LG) entnommenen Abbildung zu entnehmen, in der die untere Begrenzung der Austrittsöffnung mit einer roten – erkennbar vom Schaft beabstandeten – Linie fortgeführt ist:
- Ferner ist zwischen den Parteien unstreitig, dass der Strahl nicht unter einem Anstellwinkel aus den Öffnungen tritt.
-
(2)
Davon ausgehend lässt sich eine Merkmalsverwirklichung nicht feststellen. Es fehlt vollständig an einer Überschneidung der Austrittsöffnungen der Kühl-/Schmiermittelkanäle und der Spannuten in radialer Richtung und es sind auch keine sonstigen konstruktiven Maßnahmen, etwa für den Austritt der Strahlen mit einem Anstellwinkel, vorhanden. Wie unter 2. b) dd) erläutert, ist eine solche Ausgestaltung nicht anspruchsgemäß. -
(3)
Das Vorbringen der Klägerin vermag hieran nichts zu ändern. Insbesondere zeigen die von der Klägerin in erster Instanz vorgelegten Videoaufnahmen (Anlagen KAP 25, KAP 26) auch nach ihrem eigenen Vortrag keine bauliche Ausgestaltung der Kühl-/Schmiermittelkanäle in dem dargestellten Sinne. Was das als Anlage KAP 26 vorgelegte Video anbelangt, dessen unzureichende Würdigung durch das Landgericht die Klägerin beanstandet, ist auch mit Blick auf den in diesem Video gezeigten Betriebsmodus der Minimalmengenschmierung (MMS) kein anderes Verständnis der Anspruchsmerkmale geboten. Insbesondere entbindet die bestimmungsgemäße Nutzbarkeit des Werkzeugs in diesem Modus nicht von dem Erfordernis einer Ausbildung der Kühl-/Schmiermittelkanäle entsprechend den Vorgaben des Merkmals 5.4. -
bb)
Selbst wenn man dies anders sehen sollte, ist bei den angegriffenen Ausführungsformen jedenfalls aus den Austrittsöffnungen des Einspannabschnitts austretendes Kühl-/Schmiermittel nicht entlang des Schafts in einem freien Strahl ohne radial außenliegende Begrenzung in jeweils eine zugeordnete Spannut des Schneidteils einspeisbar. -
(1)
Nach der oben dargetanen Auslegung setzt dies voraus, dass das aus einer Austrittsöffnung austretende Kühl-/Schmiermittel zumindest größtenteils in eine zugeordnete Spannut einspeisbar ist. Dies ist bereits nach dem eigenen Vortrag der Klägerin nicht der Fall. -
(a)
In erster Instanz hat die Klägerin hierzu – ohne konkrete Anteile zu benennen – geltend gemacht, dass das Schmiermittel in erheblicher Menge in die Spannuten einfließe bzw. in ausreichender Menge an die Schneiden gelange. Dass es sich dabei um den größten oder überwiegenden Teil des austretenden Kühl-/Schmiermittels handelt und dieser auch tatsächlich im Sinne des dargestellten Verständnisses in die jeweilige Spannut eingespeist wird, ergab sich schon aus ihrem erstinstanzlichen Vortrag nicht. - In zweiter Instanz hat die Klägerin ihren Vortrag unter Bezugnahme auf eine von ihr durchgeführte Messung dahingehend konkretisiert, dass im Betrieb der angegriffenen Ausführungsform ein Anteil von 17 % des austretenden Schmiermittels in die Spannuten eingespeist wird. Ungeachtet der Frage, ob es sich dabei auch um das in die jeweils zugeordnete Spannut eingespeiste Kühl-/Schmiermittel handelt, erfüllt ein Anteil von 17 % jedenfalls nicht die Anforderungen an eine größtenteils erfolgende Einspeisung. Ob die Klägerin mit ihrem Vorbringen zu der erstmals in der Berufungsinstanz durchgeführten Messung an dem bereits in der Videosequenz gemäß Anlage KAP 25 gezeigten Werkzeug gehört werden kann, kann, da die Messung die Merkmalsverwirklichung ohnehin nicht zu belegen vermag, offen bleiben. Ebenso kommt es nicht darauf an, ob die Messung der Klägerin zutreffend ist.
-
(b)
Dass das aus einer Austrittsöffnung austretende Kühl-/Schmiermittel zumindest größtenteils in eine zugeordnete Spannut einspeisbar ist, hat die Klägerin auch nicht mit ihrem Verweis auf denjenigen Betriebszustand dargetan, der in Sekunde 15 bis 17 des als Anlage KAP 25 vorgelegten Videos gezeigt ist. - Das Video gemäß Anlage KAP 25 zeigt nach dem Vortrag der Klägerin den Testbetrieb eines angegriffenen Werkzeugs mit dem Kühl-/Schmiermittel J, einer Drehzahl von 12.000 Umdrehungen pro Minute sowie einem Druck von 30 bar, wobei sich der Druck im Verlauf des Testbetriebs aufbaut, weshalb die Klägerin den in Sekunde 15 bis 17 gezeigten Betriebszustand auch als „Betrieb unter geringem Druck“ bezeichnet. Nachfolgend wird ein der Berufungsbegründung der Klägerin (dort S. 23, Bl. 180 eA OLG) entnommenes und von dieser mit einer Markierung versehenes Standbild eingeblendet, welches Sekunde 16 des genannten Videos zeigt:
- Unabhängig von der zwischen den Parteien umstrittenen Frage, ob der gezeigte „Betrieb unter geringem Druck“ in der Anfangsphase des Testlaufs für die Merkmalsverwirklichung überhaupt herangezogen werden kann, ergibt sich aus dem Vortrag der Klägerin auch in Bezug auf diesen Betriebszustand jedenfalls nicht, dass das aus einer Austrittsöffnung austretende Kühl-/Schmiermittel im Sinne des oben dargetanen Verständnisses in eine zugeordnete Spannut einspeisbar ist. Weder hat die Klägerin insoweit einen konkreten Anteil des aus einer Austrittsöffnung austretenden Kühl-/Schmiermittels benannt, der in diesem Betriebszustand in eine jeweils zugeordnete Spannut eingespeist wird, noch hat sie sich allgemein darauf berufen, dass es sich um den größten oder überwiegenden Teil des jeweiligen Schmiermittels handeln würde. Entsprechendes lässt sich auch bei Betrachtung des Videos nicht erkennen. Wie das Landgericht zutreffend ausgeführt hat, wird in der betreffenden Sequenz ein Großteil des Strahls überhaupt nicht in die Spannuten eingeleitet und ist zudem die Zuordnung des aus jeweils einer Öffnung austretenden Strahls in eine bestimmte Spannut nicht möglich.
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(c)
Soweit die Klägerin, auch in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat, betont hat, entscheidend dürfe nicht oder jedenfalls nicht allein der Anteil des aus einer Austrittsöffnung austretenden Kühl-/Schmiermittels sein, der in eine jeweils zugeordnete Spannut einspeisbar sei, greift dies nicht durch. Die Klägerin argumentiert, es müsse die absolute Menge des im Betrieb eines erfindungsgemäßen Werkzeugs eingespeisten Kühl-/Schmiermittels betrachtet werden, welche – wie sie durch ihre Versuche belegt habe – im Betrieb der angegriffenen Ausführungsform zur Kühlung und Schmierung jedenfalls ausreichend sei. Hierbei dürfe zudem nicht allein auf die sogenannte Nassbearbeitung abgestellt, sondern müssten auch die für die Minimalmengenschmierung (MMS) erforderlichen Mengen in die Betrachtung einbezogen werden. Dieser Betrachtung steht indes bereits entgegen, dass nach der oben dargestellten Auslegung eine relative Betrachtung in dem Sinne vorzunehmen ist, dass das aus einer Austrittsöffnung austretende Kühl-/Schmiermittel größtenteils in eine jeweils zugeordnete Spannut einspeisbar sein muss (siehe oben unter 2. b) cc) (2)). Im Übrigen vermag es auch nicht zu überzeugen, wenn der in nicht unter den Bedingungen einer MMS durchgeführten Versuchen ermittelte Wert des in die Spannuten eingeleiteten Kühl-/Schmiermittels mit denjenigen Werten verglichen wird, die bei der MMS benötigt werden. -
(2)
Soweit die Klägerin erstmals in der Berufungsinstanz die Auffassung vertritt, das Kühl-/Schmiermittel trete in einem ersten (in eine Spannut einspeisbaren) und einem zweiten (anderen Zwecken dienenden) Strahl aus den Austrittsöffnungen aus, weshalb für die Berechnung des Anteils nur auf den von ihr als ersten Strahl identifizierten Teil des austretenden Kühl-/Schmiermittels abzustellen sei, verbietet sich nach den obigen Ausführungen eine solche Betrachtung. Nachfolgend wird zur besseren Verdeutlichung die der Berufungsbegründung der Klägerin entnommene Abbildung eingeblendet, in der ein gelber Pfeil den von ihr als ersten Kühl-/Schmiermittelstrahl angesehenen Teil und ein grüner Pfeil den von ihr als zweiten Kühl-/Schmiermittelstrahl angesehenen Teil des bei Sekunde 50 (obere Abbildung) bzw. 56 (untere Abbildung) aufgenommenen Standbilds aus dem Video gemäß Anlage KAP 25 zeigt: - Nach dem oben dargestellten Verständnis scheidet eine solche Sichtweise unabhängig von der Abgrenzbarkeit der von der Klägerin identifizierten Strahlen bereits deshalb aus, weil lediglich ein Strahl pro Austrittsöffnung der Kühl-/Schmiermittelkanäle zulässig ist und somit schon das Vorhandensein eines zweiten – nicht in die Spannuten einspeisbaren – Strahls die Merkmalsverwirklichung ausschließen würde.
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(3)
Aus der von der Klägerin in der Berufungsinstanz als Anlage KAP 31 vorgelegten Stellungnahme von Prof. F ergibt sich nichts anderes, weshalb offen bleiben kann, ob und in welchem Umfang die Klägerin hiermit in der Berufungsinstanz noch gehört werden kann. Der Privatgutachter der Klägerin analysiert in seiner Stellungnahme unter anderem die Videosequenz gemäß Anlage KAP 25 (Anlage KAP 31, S. 1–3). Er schildert dabei insbesondere, dass sich im Betriebsmodus zwei Wege für das Kühlmittel ausbilden, um von der Schaftöffnung an die Schneiden zu gelangen. Weg 1 sei der direkte Weg des Kühl-/Schmiermittels an der Oberfläche des Werkzeugs entlang zu dessen Schneiden, wobei der andere Teil des Kühlmittels sich auf Weg 2 von der Oberfläche des Werkzeugs löse. Dies sei anhand von mit Kennzeichnungen der Wege versehenen Darstellungen von Standbildern aus dem Video gemäß Anlage KAP 25 zu erkennen, wobei die obere Abbildung eine Momentaufnahme des Videos mit hohem Druck, die untere Abbildung eine solche mit niedrigerem Druck zeige: - Unabhängig von den von dem Privatgutachter der Klägerin geschilderten Gründen für die Ausbildung der zwei Strahlen bleibt es dabei, dass das Kühl-/Schmiermittel nach der Lehre des Klagepatents in nur einem freien Strahl aus den Austrittsöffnungen treten und dass der größte Teil dieses Strahls in die Spannut einspeisbar sein soll. Dies ist auch nach der vorgelegten Stellungnahme nicht der Fall, weshalb im Übrigen auf die obigen Ausführungen Bezug genommen werden kann.
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(4)
Auf die von den Beklagten in der Berufungsinstanz ihrerseits vorgelegten Ergebnisse eigener Versuche und die zu deren Widerlegung vorgelegte Berechnung der Klägerin (Anlage KAP 33) sowie die von der Klägerin vorgelegte Stellungnahme ihres Privatgutachters (Anlage KAP 35) kommt es vor diesem Hintergrund nicht mehr an. - III.
- Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 97 Abs. 1, 269 Abs. 3 S. 2 ZPO.
- Die Anordnungen zur vorläufigen Vollstreckbarkeit ergeben sich aus §§ 708 Nr. 10, 711, 108 ZPO.
- Für eine Zulassung der Revision bestand keine Veranlassung, weil die in § 543 ZPO aufgestellten Voraussetzungen dafür ersichtlich nicht gegeben sind. Es handelt sich um eine reine Einzelfallentscheidung ohne grundsätzliche Bedeutung, mit der der Bundesgerichtshof auch nicht im Interesse einer Fortbildung des Rechts oder der Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung befasst werden muss (§ 543 Abs. 2 ZPO).