Düsseldorfer Entscheidungen Nr. 3193
Landgericht Düsseldorf
Urteil vom 7. Dezember 2021, Az. 4a O 111/19
- I. Die Beklagte wird verurteilt,
- 1. es bei Meidung eines Ordnungsgeldes in Höhe von bis zu EUR 250.000,00 für jeden Fall der Zuwiderhandlung, hilfsweise Ordnungshaft bis 6 Monate, oder Ordnungshaft bis 6 Monate, im Wiederholungsfalle Ordnungshaft bis zu 2 Jahren, zu vollziehen an einem aktuellen Geschäftsführer der Beklagten,
- zu unterlassen, in der Bundesrepublik Deutschland Arzneimittel enthaltend
- 40-O-(2-Hydroxyethyl)rapamycin sinnfällig hergerichtet zur Verwendung als alleiniger Wirkstoff bei der Behandlung eines soliden Tumors, wobei es sich bei dem soliden Tumor um einen Pankreastumor handelt und 40-O-(2-Hydroxyethyl)rapamycin in einer Einzeldosisform für die orale Verabreichung umfassend 0,25 bis 10 mg 40-O-(2-Hydroxyethyl)rapamycin zusammen mit einem oder mehreren pharmazeutisch unbedenklichen Verdünnungsmitteln oder Trägem verabreicht wird,
- anzubieten, in den Verkehr zu bringen oder zu gebrauchen, oder zu den genannten Zwecken einzuführen oder zu besitzen,
- 2. den Klägerinnen zu 1) und zu 3) unter Vorlage eines einheitlichen, chronologisch geordneten Verzeichnisses vollständig Auskunft zu erteilen, in welchem Umfang sie die im Tenor zu I.1 bezeichneten Handlungen seit dem 21.08.2019 begangen hat, und zwar unter Angabe:
- a) der Namen und Anschriften der Hersteller, Lieferanten und anderer Vorbesitzer,
b) der Namen und Anschriften der gewerblichen Abnehmer sowie der Verkaufsstellen, für die die Erzeugnisse bestimmt waren,
c) der Menge der hergestellten, ausgelieferten, erhaltenen oder bestellten Erzeugnisse sowie der Preise, die für die betreffenden Erzeugnisse bezahlt wurden, - wobei zum Nachweis der Angaben die entsprechenden Kaufbelege (nämlich Rechnungen, hilfsweise Lieferscheine) in Kopie vorzulegen sind, wobei geheimhaltungsbedürftige Details außerhalb der auskunftspflichtigen Daten geschwärzt werden dürfen;
- 3. den Klägerinnen zu 1) und zu 3) unter Vorlage eines einheitlichen, chronologisch geordneten Verzeichnisses Rechnung zu legen, in welchem Umfang sie die im Tenor zu I.1. bezeichneten Handlungen seit dem 21.09.2019 begangen hat, insbesondere unter Angabe:
- a) der einzelnen Lieferungen, aufgeschlüsselt nach Liefermengen, -zeiten und -preisen unter Einschluss von Produktbezeichnungen sowie der Namen und Anschriften der Abnehmer,
b) der einzelnen Angebote, aufgeschlüsselt nach Angebotsmengen, -zeiten und -preisen unter Einschluss von Produktbezeichnungen sowie der Namen und Anschriften der Angebotsempfänger,
c) der betriebenen Werbung, aufgeschlüsselt nach Werbeträgern, deren Auflagenhöhe, Verbreitungszeitraum und Verbreitungsgebiet, und
d) der nach den einzelnen Kostenfaktoren aufgeschlüsselten Gestehungskosten und des erzielten Gewinns, - wobei
- es der Beklagten nach ihrer Wahl vorbehalten bleibt, die Namen und Anschriften ihrer Angebotsempfänger und ihrer nicht gewerblichen Abnehmer statt den Klägerinnen zu 1) und zu 3) einem von den Klägerinnen zu 1) und zu 3) zu bezeichnenden, zur Verschwiegenheit verpflichteten, für die Bundesrepublik Deutschland vereidigten Wirtschaftsprüfer mitzuteilen, sofern sie dessen Kosten trägt und ihn ermächtigt und verpflichtet, den Klägerinnen zu 1) und zu 3) auf konkrete Anfrage darüber Auskunft zu erteilen, ob ein bestimmter Abnehmer oder ein bestimmter Angebotsempfänger in der Rechnungslegung enthalten ist;
- die Auskunft und Rechnungslegung von der Beklagten in einer mittels EDV auswertbaren, elektronischen Form zu übermitteln sind;
- 4. die jeweils in ihrem unmittelbaren oder mittelbaren Besitz oder Eigentum befindlichen, im Tenor zu I.1. bezeichneten Erzeugnisse zu vernichten oder nach ihrer Wahl an einen von ihr zu benennenden Gerichtsvollzieher zum Zwecke der Vernichtung auf ihre Kosten herauszugeben, wobei es der Beklagten vorbehalten bleibt, allein die Packungsbeilage der Arzneimittel „A XXX 2,5 mg“, „A XXX 5 mg“ und „A XXX 10 mg“ zu vernichten;
- 5. die bereits an Abnehmer seit dem 21.08.2019 in Verkehr gebrachten, im Tenor zu I.1. bezeichneten Erzeugnisse unter Hinweis auf die gerichtlich festgestellte Verletzung des Klagepatents und mit der verbindlichen Zusage zurückzurufen, etwaige Entgelte zu erstatten sowie notwendige Verpackungs- und Transportkosten sowie mit der Rückgabe verbundene Zoll- und Lagerkosten zu übernehmen und die Komponenten wieder an sich zu nehmen.
- II. Es wird festgestellt, dass die Beklagte verpflichtet ist,
- 1.
den Klägerinnen zu 1) und zu 3) allen Schaden zu ersetzen, der diesen durch die im Tenor zu I.1. bezeichneten Handlungen seit dem 21.09.2019 bereits entstanden ist und/oder noch entstehen wird, - 2.
der Klägerin zu 1) weiterhin auch allen Schaden zu ersetzen, der der Klägerin zu 2) durch die im Tenor zu I. 1. bezeichneten Handlungen vom 21.09.2019 bis zum 08.05.2020 entstanden ist. - III. Die Kosten des Rechtsstreits werden der Beklagten auferlegt.
- IV. Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von EUR 1.000.000,00 vorläufig vollstreckbar.
- Die Ansprüche auf Unterlassung, Vernichtung und Rückruf (Ziffern I. 1., I. 4, I. 5 des Tenors) sind gemeinsam gesondert vorläufig vollstreckbar gegen Sicherheitsleistung in Höhe von EUR 750.000,00. Die Ansprüche auf Auskunft und Rechnungslegung (Ziffern I. 2. und I. 3 des Tenors) sind gemeinsam gesondert vollstreckbar gegen Sicherheitsleistung in Höhe von EUR 100.000,00. Die Kostenentscheidung ist gesondert vorläufig vollstreckbar gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des jeweils zu vollstreckenden Betrags.
- Tatbestand
- Die Klägerinnen nehmen die Beklagte wegen angeblicher Patentverletzung auf Unterlassung, Auskunft und Rechnungslegung, Rückruf und Vernichtung sowie Feststellung einer Schadenersatzpflicht in Anspruch.
- Die Klägerin zu 1) ist seit dem 30.07.2020 als alleinige Inhaberin des deutschen Teils des Europäischen Patents EP 3 342 XXX B1 (Anlagen FBD 5, 5a; nachfolgend als Klagepatent bezeichnet) in das Register des Deutschen Patent- und Markenamts eingetragen (vgl. den als Anlage MW 1 vorgelegten Registerauszug). Ursprünglich waren als Inhaberinnen die Klägerin zu 1) sowie die Klägerin zu 2) eingetragen. Das in englischer Verfahrenssprache erteilte Klagepatent wurde mit Anmeldedatum der Stammanmeldung vom 18.02.2002 unter Inanspruchnahme der Prioritäten der britischen Patentanmeldungen GB XXX vom 19.02.2001 und GB XXX vom 17.10.2001 angemeldet. Die Veröffentlichung der Anmeldung erfolgte am 04.07.2018, die Bekanntgabe der Erteilung am 21.08.2019. Das Klagepatent steht in Kraft. Die Beklagte legte gegen das Klagepatent vor der Einspruchsabteilung des EPA Einspruch ein. Die Entscheidung der Einspruchsabteilung steht noch aus. Die Einspruchsabteilung teilte ihre vorläufige Einschätzung im Schreiben vom 13.04.2021 (Anlage FBD 13, deutsche Übersetzung im Parallelverfahren 4a O 54/20 als Anlage BK 13b vorgelegt) mit.
- Die Klägerin zu 2) ist durch eine Verschmelzung mit der Klägerin zu 1) mit Wirkung vom 08.05.2020 vollständig in der Klägerin zu 1) aufgegangen. Die Klägerin zu 2) ist erloschen. Als Datum des Erlöschens ist im als Anlage FBD 11 vorgelegten Handelsregisterauszug der 08.05.2020 angegeben.
- Die Klägerin zu 3) wird insbesondere durch eine (bestätigende) Lizenzvereinbarung (Anlage FBD 2) als alleinige Lizenznehmerin ausgewiesen.
- Das Klagepatent betrifft ein Rapamycin-Derivat zur Behandlung von Pankreas-Krebs.
- Der geltend gemachte Anspruch 1 des Klagepatents lautet in der maßgeblichen englischen Verfahrenssprache:
- 40-O-(2-hydroxyethyl)-rapamycin for use as the sole active ingredient in the treatment of a solid tumor, wherein the solid tumor is a pancreatic tumor and 40-O-(2-hydroxyethyl)-rapamycin is administered in a unit dosage form for oral administration comprising from 0.25 to 10 mg 40-O-(2- hydroxyethyl)-rapamycin together with one or more pharmaceutically acceptable diluents or carriers.
- In deutscher Übersetzung:
- 40-O-(2-Hydroxyethyl)rapamycin zur Verwendung als alleiniger Wirkstoff bei der Behandlung eines soliden Tumors, wobei es sich bei dem soliden Tumor um einen Pankreastumor handelt und 40-O-(2-Hydroxyethyl)rapamycin in einer Einzeldosisform für die orale Verabreichung umfassend 0,25 bis 10 mg 40-O-(2-Hydroxyethyl)rapamycin zusammen mit einem oder mehreren pharmazeutisch unbedenklichen Verdünnungsmitteln oder Trägern verabreicht wird.
- Wegen des Wortlauts des insbesondere geltend gemachten Anspruchs 2 des Klagepatents wird auf die Klageschrift Bezug genommen.
- Die unten verkleinert dargestellte Formel 1 zeigt nach Abschnitt [0002] des Klagepatents beispielhafte Verbindungen der Rapamycin-Derivate.
- Die Beklagte erhielt am 30.08.2018 vom Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte die Marktzulassung für das A-Generikum „A XXX“ (nachfolgend als angegriffene Ausführungsform bezeichnet) unter den folgenden Bezeichnungen und Wirkstoffstärken:
- – A XXX 2,5 mg Tabletten
– A XXX 5 mg Tabletten
– A XXX 10 mg Tabletten - Die Marktzulassung erstreckt sich auf die folgende Indikation (vgl. den Auszug aus der AMS Datenbank zu den Marktzulassungen der angegriffenen Ausführungsform, vorgelegt als Anlage FBD 7):
- A XXX ist zur Behandlung von inoperablen oder metastasierten gut oder mäßig differenzierten neuroendokrinen Tumoren pankreatischen Ursprungs bei Erwachsenen mit progressiver Erkrankung indiziert.
- In der Lauer-Taxe war die angegriffene Ausführungsform unter ausdrücklicher Aufnahme der Pankreastumor-Indikation
- „zur Behandlung von inoperablen oder metastasierten gut oder mäßig differenzierten neuroendokrinen Tumoren pankreatischen Ursprungs bei Erwachsenen mit progressiver Erkrankung“
- in das Label gelistet. Am 01.03.2020 ersetzte die Beklagte die Pankreastumor-Indikation durch die Brustkrebs-Indikation.
- Die Klägerinnen sind der Ansicht, hinsichtlich sämtlicher geltend gemachter Ansprüche aktivlegitimiert zu sein. Hinsichtlich des Unterlassungsanspruchs folge die Aktivlegitimation bereits aus der Registereintragung. Die Klägerin zu 2) sei im Wege der Verschmelzung in die Klägerin zu 1) aufgegangen, so dass diese nunmehr Gesamtrechtsnachfolgerin der Klägerin zu 2) sei. Die Klägerin zu 3) sei alleinige Lizenznehmerin der Klägerin zu 1), zumal auch das Klagepatent von der insoweit vorgelegten Bestätigungsvereinbarung erfasst werde. Der Antrag auf Erteilung des Klagepatents sei am 08.02.2018 mit dem Anmeldedatum des Stammpatents eingereicht worden.
- Die Klägerin ist der Ansicht, dass es in Bezug auf den Rückruf- und Vernichtungsanspruch bereits an schlüssigem Vortrag der Beklagten zu einer etwaigen Unverhältnismäßigkeit fehle. Der Feststellungsantrag im Hinblick auf den Schadensersatzanspruch sei an die Verschmelzung der Klageparteien angepasst worden. Durch den Austausch der Indikation durch die Beklagte sei die Wiederholungsgefahr nicht entfallen und der Unterlassungsanspruch bestehe mithin weiterhin. Entsprechend sei auch für die weiteren Ansprüche keine zeitliche Begrenzung angezeigt. Der Vernichtungsanspruch bestehe, solange sich noch verletzende Erzeugnisse im Besitz der Beklagten befänden. Dass dies nicht der Fall sei, habe die Beklagte nicht einmal behauptet.
- Die Klägerinnen sind der Ansicht, das Klagepatent werde sich im Einspruchsverfahren als vollumfänglich rechtsbeständig erweisen.
- Das Klagepatent beruhe nicht auf einer unzulässigen Erweiterung. Die Ursprungsanmeldung WO 02/XXX (im Anlagenkonvolut MW 2 vorgelegt, deutsche Übersetzung im Verfahren 4a O 54/20 als Anlage BK 8a; nachfolgend parallel zum Einspruchsverfahren als D 1 bezeichnet) offenbare die Verwendung von A in der Monotherapie zur Behandlung von Pankreas-Tumoren in der beanspruchten Dosierungsform unmittelbar und eindeutig. Eine Listenauswahl sei nicht erforderlich.
- Zwar beanspruche die Anmeldung D 1 auch die Kombinationstherapie mit A zur Behandlung dieser Tumore. Es handele sich bei der Mono- und bei der Kombinationstherapie aber um separate, individuell offenbarte Lehren und nicht nur Möglichkeiten auf einer Liste. Auf Seite 1 in den Zeilen 17 -18 werde A als bevorzugte Verbindung offenbart. In den Zeilen 22 f. auf S. 1 werde die Behandlung solider Tumore als bevorzugt offenbart. Bereits auf Seite 2 in den Zeilen 29-30 offenbare die D 1, dass es sich bei einem solchen soliden Tumor um einen Pankreas-Tumor handeln kann (sog. Pointer). In ihren Beispielen (Seite 12 ff.) werde zusätzlich die Behandlung von Pankreastumoren mit A in der Monotherapie hervorgehoben. Auf Seite 16 werde ausdrücklich die Monotherapie offenbart. Auf S. 17 f. der D 1 werde die beanspruchte Dosierungsform offenbart. Dabei werde der Pankreastumor nicht ausgewählt, sondern konkret benannt. Dies werde von der Einspruchsabteilung in ihrer vorläufigen Auffassung bestätigt. Der Fachmann müsse nicht aus Listen auswählen, sondern A als Verbindung A sei der Kern der Erfindung, der als Mono-Wirkstoff mit einer Dosierung offenbart werde. Schließlich habe sich die Einspruchsabteilung zur Listenauswahl in einer Entscheidung zu dem Parallelpatent EP 3 143 XXX (nachfolgend EP XXX) – das A zur Verwendung bei der Behandlung eines soliden Tumors der Lunge, ausgenommen Lymphdrüsenkrebs, als alleinigen Wirkstoff schützt, wobei Unteransprüche auch eine Einzeldosis beanspruchen – abschlägig geäußert und eine unzulässige Erweiterung verneint.
- Ausgehend von der Entgegenhaltung WO 97/XXX (Anlagen MW 5, D17, D17-DE; nachfolgend parallel zum Einspruchsverfahren als D 17 bezeichnet) mangele es der klagepatentgemäßen Erfindung nicht an Erfindungshöhe.
- Die Entgegenhaltung D 17 sei im Rahmen der Aussetzungsentscheidung schon deshalb nicht zu berücksichtigen, weil sie bereits Gegenstand des Erteilungsverfahrens gewesen sei. Auch sei die Entgegenhaltung D 17 im Rahmen von Einwendungen Dritter durch den Prüfer berücksichtigt worden. Das Klagepatent habe demgegenüber das erste Mal experimentelle in-vivo Daten geliefert, bei denen A zur Behandlung von Pankreastumoren eingesetzt und später in klinischen Studien bestätigt worden sei.
- Die Entgegenhaltung D 17 offenbare Somatostatin-Verbindungen wie Octreotid. Bei dieser Wirkstoffklasse handele es sich um eine andere Wirkstoffklasse als die von A. Die D 17 offenbare Versuche, die zeigten, dass Octreotid und Rapamycin (sowohl einzeln als auch in Kombination) die wirksamsten Verbindungen zur zielgerichteten Krebstherapie seien, während sich A in den dargestellten Versuchen in der Monotherapie als nicht vergleichbar wirksam erwiesen habe. Der Fachmann hätte der D 17 daher entnommen, für die Behandlung von Tumoren, Octreotid, gegebenenfalls noch Rapamycin zu verwenden, aber gerade nicht A. Darüber hinaus stehe die Kombinationstherapie unter Verwendung von mindestens Octreotid bei der D 17 im Vordergrund. Die D 17 hätte den Fachmann damit von der klagepatentgemäßen Lehre weggeführt.
- Die auf den Seiten 14 bis 15 der D 17 offenbarten in vitro-Experimente zeigten zwar eine Wirkung von A auf Zellen eines Pankreas-Karzinoms. Zum einen werde dort aber lediglich eine geringe Wirkung offenbart. Darüber hinaus sei diese Offenbarung für den Fachmann von untergeordneter Relevanz, da in vivo-Daten als relevanter erachtet würden. Die in vitro-Versuche fänden immer in einem künstlichen System statt und seien daher im Hinblick auf Erfolg oder Misserfolg einer Therapie im Organismus weniger aussagekräftig. Tatsächlich würde sich der Fachmann an in vivo- Ergebnissen orientieren, sofern diese nicht im Einklang mit in-vitro-Ergebnissen stünden.
- Der Fachmann würde sich bei der D 17 also an den auf den Seiten 16 und 17 dargestellten in vivo-Ergebnissen orientieren. Aus diesen Ergebnissen gehe hervor, dass A in der Monotherapie keinen signifikanten Einfluss auf das Tumorwachstum habe. Aus den dargestellten Ergebnissen sei für den Fachmann ersichtlich, dass ein Somatostatinanaloga wie Octreotid für die primäre Anti-Tumor-Wirkung verantwortlich sei und gerade nicht A. Die gesamte Entgegenhaltung D 17 sei von der Kernlehre getragen, dass jede Zusammensetzung ein Somatostatinanaloga wie Octreotid enthalten müsse.
- Tatsächlich müsse der Fachmann auf Grund der offenbarten Ergebnisse sogar davon ausgehen, dass A selbst gar keine Wirkung habe. Denn die verhältnismäßig geringfügigen Abweichungen in der Tumorgröße im Vergleich zur Kontrollgruppe in vivo müssten unter Berücksichtigung des Standardfehlers („SE“) betrachtet werden, der in der Kontrollgruppe im Vergleich zu den Versuchsgruppen etwa doppelt so groß sei. Hieraus müsse man schließen, dass die Tumorgrößen in einigen A-Mäusen auf die gleiche Größe gewachsen seien wie die der Kontrollgruppe und dass einige Tumore in den Kontrollmäusen viel kleiner gewesen seien als die mittlere Tumorgröße der A-Mäuse.
- Die Tatsache, dass in der D 17 die Kontrollmäuse eine Woche vor den A-Mäusen getötet worden seien (im in-vivo-Experiment werden die Tumorgrößen der A-Mäuse nach vier Wochen und die der Kontrollmäuse nach drei Wochen vergleichen), lasse keine anderweitigen Rückschlüsse zu. Der Schluss, dass die Tumore in den Kontrollmäusen in der vierten Woche exponentiell gewachsen wären und dass die Tumorgrößen in den A-Mäusen damit erheblich kleiner gewesen seien als in den Kontrollmäusen, stelle eine unzulässige ex-post-facto-Analyse dar.
- Darüber hinaus sei die Tatsache der früheren Tötung der Kontrollmäuse auch deshalb nicht relevant, weil die Autoren der D 17 die beiden Gruppen im Einklang mit wissenschaftlichen Standards als vergleichbar angesehen hätten. Die Argumente der Beklagten zur Kontrollgruppe seien bloße Spekulation über einen hypothetischen Verlauf.
- Ausgehend von der D 17 habe der Fachmann jedenfalls keine begründete Aussicht auf Erfolg gehabt, dass A in der Monotherapie eine wirksame Behandlung von Pankreaskrebs bieten könne.
- Im Übrigen lege die D 17 eine Einzeldosisform für die orale Verabreichung umfassend 0,25 mg bis 10 mg nicht nahe. Das Abstellen auf eine vermeintliche Differenzierung zwischen Einzel- bzw. Einheitsdosen und Tagesdosen gehe an der Sache vorbei. Unabhängig von der Frage, ob der Begriff der Einheitsdosis in Anspruch 1 des Klagepatents (auch) eine Tagesdosis bedeute, stehe für den Fachmann fest, dass abzustellen sei auf die in z.B. einer Tablette enthaltene A dosis und dass diese Einheitsdosis auch für sich genommen bereits wirksam sein solle.
- Auch die in der D 17 genannten Dosen bezögen sich auf Einheitsdosen. Diese in der D 17 offenbarten Einheitsdosen führten den Fachmann aber weg von der klagepatentgemäßen Einheitsdosis.
- Die auf Seite 19 der D 17 vorgeschlagene Einheitsdosis für A betrage 20 mg, also doppelt so viel wie die maximal beanspruchte Einheitsdosis im Klagepatent. Der Fachmann hätte also eine solche Dosis von A gewählt, hätte er sich für A in der Monotherapie entschieden. Eine Dosis von 0,25 bis 10 mg wäre für ihn nicht als niedrigste mögliche Dosis in Betracht gekommen.
- Etwas anderes ergebe sich auch nicht ausgehend von der Entgegenhaltung Shah et al., Journal of Surgical Research 97:123-130 (vorgelegt im Anlagenkonvolut MW 5, D 20, D 20-DE, nachfolgend parallel zum Einspruchsverfahren als D 20 bezeichnet). Die D 20 stelle schon keinen nächstliegenden Stand der Technik dar, da diese ein früheres Stadium (Grundlagenforschung) widerspiegele als die D 17. Aber selbst wenn die D 20 als Ausgangspunkt herangezogen werde, so beruhten die Ansprüche des Klagepatents auf erfinderischer Tätigkeit.
- Die D 20 offenbare lediglich, dass Rapamycin in seiner Eigenschaft als mTOR-Hemmer das Wachstum von Pankreaskrebszellen blockiere. Sie liefere allerdings keinen Hinweis darauf, dass A eine entsprechende Wirkung aufweise noch offenbare sie die beanspruchte Dosierungsform.
- Zum Prioritätszeitpunkt seien Rapamycin und das Rapamycinderivat A nicht ohne weiteres austauschbar gewesen. Denn A sei zu diesem Zeitpunkt lediglich als Immunsuppressivum in der Transplantationsmedizin bekannt gewesen. Hinzu komme, dass A als Endderivat von Rapamycin in vivo nicht in Rapamycin umgewandelt werde. Dass Rapamycin und seine Derivate unterschiedliche Eigenschaften aufwiesen, zeige schon die D 17, die sich auf Rapamycin und seine Derivate als Immunsuppresiva beziehe, sich aber nur auf Rapamycin beziehe, wenn von einer Anti-Tumor-Wirkung die Rede sei. Schon aus diesem Grund habe für den Fachmann auf Basis der D 20 keine Veranlassung bestanden, zu einer weiteren Schrift zu greifen, die sich A widme. Die D 17 hätte der Fachmann nicht in Betracht gezogen, weil diese sich vornehmlich Octreotid widme. Aber selbst wenn er die D 20 mit der D 17 kombiniert hätte, so wäre er lediglich zu einer Kombination von Rapamycin mit Octreotid gelangt.
- Eine hinreichende Offenbarung der klagepatentgemäßen Lehre sei ebenfalls gegeben. Das Klagepatent offenbare die erstrebte Wirkung von A in der beanspruchten Dosierung bei der Behandlung von Pankreastumoren und mache sie hinreichend plausibel.
- Die wichtigsten Erkenntnisse fänden sich in den Absätzen [0024] bis [0031] des Klagepatents in den Beispielen B1 bis B7. Die Ergebnisse dieser in vivo-Versuche zeigten, dass die Verabreichung von A allein oder in Kombination das Tumorwachstum aller in der Klagepatentschrift benannten Tumore reduziere. Die experimentellen Daten zeigten eine Anti-Tumor-Wirkung von A auch gegen bestimmte Pankreastumore. Das Beispiel B3, welches die Behandlung von humanen soliden Pankreas-Tumorimplantate in Ratten betrifft, zeige eine signifikante Anti-Tumor-Wirkung von A.
- Die offenbarten Testergebnisse belegten zudem die Wirkung von A auf einen bei soliden Tumoren involvierten Stoffwechselmechanismus und machten daher zumindest plausibel, dass A jede Art der im Klagepatent genannten soliden Tumore zu behandeln vermöge.
- Das Beispiel B 4 zeige, dass A keine negativen Wechselwirkungen mit einem zweiten Anti-Tumor-Mittel aufweise.
- Schließlich zeigten die im Klagepatent vorhandenen Daten, dass A neben dem Wachstum solider Tumore auch den komplexen Angiogeneseprozess und die VECF-indizierte Proliferation beeinflusse, also das Wachstum von Blutgefäßen, die für die Versorgung des Tumors mit Nährstoffen verantwortlich sind.
- Die nachträglich durchgeführten Studien, die – insoweit unstreitig – zeigen, dass A bei der Behandlung von soliden Pankreas-Tumoren besonders wirksam ist, dürften angesichts der dargestellten Plausibilität berücksichtigt werden.
- Auch die beanspruchte Einheitsdosis sei ausgehend von der Klagepatentschrift plausibel. Der Fachmann verstehe ohne Weiteres, dass die in den Beispielen (z.B. B 3) offenbarten Dosen in Mäusen- und Rattenmodellen nicht diejenigen seien, die auch zur Behandlung von Menschen verwendet werden. Er hätte somit auf die Dosierungen zurückgegriffen, die in Absatz [0042] des Klagepatents für die Behandlung von Menschen offenbart seien.
- Die von der Beklagten zitierte Einspruchsentscheidung zum Patent EP 2 XXX 103 vom 08.11.2017, Az. XXX/18 (vorgelegt im Anlagenkonvolut MW 2, nachfolgend parallel zum Einspruchsverfahren als D 31 bezeichnet) führe zu keinem anderen Ergebnis.
- Das Klagepatent und die EP 103 seien nicht vergleichbar, da sie nicht auf derselben Ursprungsoffenbarung beruhten. Aus der D 31 gehe hervor, dass die Beschwerdekammer in der Schrift keine ausreichenden Daten offenbart gesehen habe.
- Die Klägerinnen beantragen:
- – wie erkannt –.
- Die Beklagte beantragt,
- die Klage abzuweisen,
- hilfsweise,
- den Rechtsstreit bis zur erstinstanzlichen Entscheidung im Einspruchsverfahren vor dem EPA betreffend das Klagepatent auszusetzen.
- Die Beklagte rügt die Aktivlegitimation der Klägerinnen. Die Beklagte erklärt sich mit Nichtwissen zur Aktivlegitimation der Klägerin zu 1), da kein Übertragungsvertrag vorgelegt worden sei. Außerdem fehle es an einer Darlegung seitens der Klägerinnen, nach welcher Rechtsordnung und unter Anwendung welcher Vorschriften die in der Replik als Verschmelzung im Wege der Gesamtrechtsnachfolge und in den vorgelegten Dokumenten als Fusion bezeichnete Übernahme der Klägerin zu 2) durch die Klägerin zu 1) stattgefunden haben soll.
- Weiterhin bestünden Bedenken hinsichtlich der Aktivlegitimation der Klägerin zu 3). Die teilweise schlechte Lesbarkeit der Unterschriften sowie die Verwendung von für eine exklusive Lizenz untypischen Regelungen ließen zumindest Zweifel an der Wirksamkeit der entsprechenden Vereinbarung aufkommen. Auch die als Anlage FBD 12 vorgelegte Bestätigungsvereinbarung sei nicht geeignet, entsprechende Zweifel auszuräumen, da das Klagepatent nicht von dieser Vereinbarung umfasst sei. Da in der zugehörigen Anlage 1 zwar das korrekte Anmeldeaktenzeichen des Klagepatents, aber ein falsches Anmeldedatum ausgewiesen sei, und das Datum der Erteilung fehle bestünden zumindest Zweifel, dass das Klagepatent überhaupt von der Anlage 1 umfasst sei.
- Die Beklagte ist der Ansicht, dass der Rückruf- und der Vernichtungsanspruch unverhältnismäßig seien. Auf Grund der zwischenzeitlichen Aufgabe der klagepatentgemäßen Indikation müsse eine zeitliche Begrenzung in den Antrag eingeführt werden. Außerdem dürfte der für den Verletzer entstandene Schaden im Vergleich zu dem durch die Verletzung entstandenen Schaden des Patentinhabers deutlich überwiegen. Insofern behauptet die Beklagte, dass die angegriffene Ausführungsform nur für einen kurzen Zeitraum und nur in geringen Stückzahlen vertrieben worden sei.
- Die Anpassung des Schadenersatzantrags sei deshalb nicht hinreichend, weil eine Abtretung etwaiger Ansprüche der Klägerin zu 2) an die Klägerin zu 1) bisher weder vorgetragen noch nachgewiesen seien.
- Das Klagepatent werde im Einspruchsverfahren wegen unzulässiger Erweiterung, fehlender erfinderischer Tätigkeit sowie unzureichender Offenbarung vernichtet werden.
- Die Lehre des Klagepatents sei im Hinblick auf die Lehre der Ursprungsanmeldung D 1 unzulässig erweitert. Die beanspruchte Merkmalskombination ergebe sich aus einer unzulässigen Auswahl aus mehreren Listen. Um zur beanspruchten Lehre zu gelangen, müsse der Fachmann die Behandlung von Pankreaskrebs aus einer Vielzahl von Krebsarten auswählen. Ferner müsse sich der Fachmann zwischen der Monotherapie und der Kombinationstherapie entscheiden. Schließlich müsse er A aus einer Liste aus Rapamycin und Rapamycin-Derivaten auswählen. Offenbar habe die Einspruchsabteilung in ihrem Vorbescheid nicht berücksichtigt, dass sich das offenbarte Beispiel B 3 lediglich auf exokrine Pankreastumore beziehe und nicht auf endokrine Pankreastumore. Schon allein aus diesem Grund läge eine unzulässige Verallgemeinerung vor. So habe auch die Beschwerdekammer des EPA in ihrer Entscheidung betreffend das EP 2 XXX 604 (nachfolgend EP 604) – das die Verwendung von A bei der Behandlung von soliden Tumoren mit Ausnahme von Lymphdrüsenkrebs betrifft, wobei es sich bei dem soliden Tumor um einen Nierentumor handelt und A als alleiniger Wirkstoff verabreicht wird – die Monotherapie für die Behandlung eines soliden Tumors nicht eindeutig und unmittelbar ursprungsoffenbart gesehen.
- Ferner sei das Klagepatent aufgrund mangelnder Ausführbarkeit zu widerrufen. So wie die Beschwerdekammer dies in Bezug auf ein ähnliches Patent EP 2 XXX 103 (nachfolgend EP 103) entschieden habe, sei A zur Behandlung von neuroendokrinen Pankreastumoren erst Recht im Jahr 2002 nicht ausführbar offenbart gewesen.
- Ferner sei die klagepatentgemäße Erfindung schon ausgehend von der D 17 naheliegend. Dies gelte erst recht, wenn man von einer hinreichenden Plausibilität der klagepatentgemäßen Erfindung ausgehe.
- Dass die Prüfungsabteilung des EPA das Klagepatent trotz Kenntnis der D 17 erteilt habe, sei unerheblich, da dies auf einem Missverständnis seitens des EPA beruhe, das die Patentinhaberin mitverursacht habe, und zwar in Bezug auf die Vergleichbarkeit der Tumorgrößen in den in vivo-Experimenten.
- Schon die in vitro-Versuche, dargestellt auf Seite 15 der D 17 zeigten eine Anti-Tumor-Wirkung bei Pankreastumoren in der Monotherapie mit A (dort als Compound B bezeichnet).
- Ähnliche Ergebnisse zeigten die in vivo-Versuche auf Seite 16 der D 17. Aus den Ausführungen über der Tabelle auf Seite 16 der D 17, wonach die Kontrollmäuse nach drei Wochen getötet worden waren, weil die Tumore exzessiv riesig geworden seien, werde klar, dass die Werte der Kontrolltiere und die Werte der anderen Tiere nicht direkt miteinander verglichen werden dürften. Es müsse berücksichtigt werden, dass die Tumore in den Kontrolltieren nach vier Wochen viel größer gewesen wären. Der Fachmann habe annehmen müssen, dass am Ende der vierten Woche die Tumore der Kontrolltiere einen viel höheren Wert als 4020 mm3 erreicht hätten. Der Fachmann hätte logischerweise ein exponentielles Tumorwachstum in der Kontrollgruppe erwartet. Hierbei handele es sich gerade nicht um eine unzulässige rückschauende Betrachtungsweise, da die D 17 ausdrücklich ausführe, dass die Tumore der Kontrollgruppe exzessiv riesig wurden. Im Prüfungsbescheid vom 09.07.2021 (Anlage MW 7) zu einem ähnlichen Patent der Patentinhaberin EP 3 XXX 602 (nachfolgend EP 602) habe das EPA dies bereits berücksichtigt.
- Somit zeigten auch die in vivo-Ergebnisse der D 17 eine Wirksamkeit von A gegen Pankreaskrebs.
- Wenn überhaupt, weise Anspruch 1 des Klagepatents als nicht in der D 17 offenbartes Merkmal einzig die Dosierungsform von 0,25 bis 10 mg auf. Das Klagepatent zeige jedoch keinen technischen Effekt, den die Verabreichung einer solchen Dosierungsform haben könnte, zumal die Patentansprüche keine zeitliche Frequenz der Verabreichung angeben und die Beschreibung einer Einzeldosis keine Dosierungsanleitung entspreche.
- Die D17 in Kombination mit der D20 würde die klagepatentgemäße Erfindung vorwegnehmen.
- Auch die Prioritäten würden nicht wirksam in Anspruch genommen.
- Das Gericht hat den Parteien und den Prozessbevollmächtigten von Amts wegen gestattet, sich während der mündlichen Verhandlung an einem anderen Ort aufzuhalten und dort Verfahrenshandlungen über den von der Justiz des Landes NRW zur Verfügung gestellten Virtuellen Meetingraum (VMR) vorzunehmen. Davon haben insbesondere die Prozessbevollmächtigten Gebrauch gemacht.
- Für die weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird auf die ausgetauschten Schriftsätze samt Anlagen sowie auf das Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 14.09.2021 verwiesen.
- Entscheidungsgründe
- Die zulässige Klage ist begründet. Die Klägerinnen haben Ansprüche gegen die Beklagte auf Unterlassung, Auskunft- und Rechnungslegung, Vernichtung, Rückruf und Feststellung der Schadensersatzpflicht nach Art. 64 Abs. 1 EPÜ i.V.m. §§ 139 Abs. 1, 3, 140a Abs. 1, 3, 140b Abs. 1 PatG, §§ 242, 259 BGB.
- Sämtliche Klägerinnen sind aktivlegitimiert (hierzu unter I.). Die Beklagte verletzt das Klagepatent unmittelbar und wortsinngemäß durch sinnfälliges hergerichtetes Anbieten der angegriffenen Ausführungsform (hierzu unter II, III und IV.). Aus der Klagepatentverletzung resultieren die zuerkannten Rechtsfolgen (hierzu unter V.). Eine Aussetzung des Rechtsstreits nach § 148 ZPO ist nicht veranlasst (hierzu unter VI.).
- I.
Sämtliche Klägerinnen sind für sämtliche geltend gemachten Ansprüche aktivlegitimiert. - 1.
Die Klägerin zu 1) ist hinsichtlich sämtlicher geltend gemachter Ansprüche aktivlegitimiert. - a)
Die Aktivlegitimation der Klägerin zu 1) in Bezug auf den in die Zukunft gerichteten Unterlassungsanspruch sowie den Rückruf- und Vernichtungsanspruch folgt unmittelbar aus ihrer nunmehr erfolgten Eintragung in das Patentregister. - b)
In Bezug auf den Schadenersatz-/Entschädigungsanspruch sowie den Auskunfts- und Rechnungslegungsanspruch ist allein die materielle Rechtslage entscheidend (BGH, GRUR 2013, 713 – Fräsverfahren). Der insoweit voll darlegungs- und beweisbelastete Kläger hat seine materielle Inhaberschaft darzulegen und zu beweisen. Es gelten die üblichen Beweislastregeln. - Hinsichtlich ihres originären Schadenersatz-/Entschädigungs- und Auskunftsanspruchs greift aber die Indizwirkung des Registers insoweit ein, als dass die Klägerin zu 1) seit der Anmeldung des Klagepatents immer wenigstens als Mitinhaberin eingetragen war. Insoweit stellt die Beklagte zu Recht die Aktivlegitimation der Klägerin zu 1) auch nicht in Frage.
- Hinsichtlich des Antrags zu Ziffer II.2, mit welchem die Klägerin zu 1) den Schadensersatzanspruch der Klägerin zu 2) geltend macht, hat die Klägerin zu 1) ihre Aktivlegitimation ebenfalls hinreichend dargelegt. In Ziffer 11 des als Anlage FBD 11 vorgelegten Handelsregisterauszugs der Klägerin zu 2) heißt es insoweit:
- „[…]
XXX - Hieraus folgt eindeutig eine Gesamtrechtsnachfolge der Klägerin zu 1). Das Bestreiten mit Nichtwissen geht insoweit ins Leere, weil die Beklagte gerade nicht die Echtheit des entsprechenden Handelsregisterauszugs bestreitet.
- 2.
Die Klägerin zu 3) ist als exklusive Lizenznehmerin ebenfalls in Bezug auf sämtliche geltend gemachten Ansprüche aktivlegitimiert. - a)
Der ausschließliche Lizenznehmer ist aus originärem Recht aktivlegitimiert (BGH, GRUR 2004, 738 – Flügelradzähler). Die Abgrenzung zwischen einer einfachen und einer ausschließlichen Lizenz erfolgt dahingehend, ob dem Lizenznehmer, wenn auch nur für ein umgrenztes Gebiet, ein ausschließliches Benutzungsrecht eingeräumt wird. Die Lizenz kann dabei sachlich, räumlich oder zeitlich eingeschränkt sein (Groß, Der Lizenzvertrag, 10. Auflage 2011, Kapitel A, Rn 37). - b)
Die Klägerin zu 3) beruft sich insoweit auf die als Anlage FBD 2 vorgelegte (bestätigende) Lizenzvereinbarung vom 28.07.2020. Zwar wird in dem bestätigenden Lizenzvertrag zunächst nur ein anderes Klagepatent genannt. Allerdings wird der ursprüngliche Lizenzvertrag vom 26.06.2018 dort als Annex 2 eingebunden und bestätigt, dass dieser Vertrag in vollem Umfang in Kraft bleibt. Die Kammer ist davon überzeugt, dass das Klagepatent Teil des ursprünglichen Lizenzvertrags ist. In dem vorgelegten Annex 1 wird es mit seiner korrekten Anmeldenummer (18155724.0) aufgeführt. Bei dem falschen Anmeldedatum handelt es sich um einen Übertragungsfehler, bei dem – wie sich aus den Anlagen FBD 25, 25a ergibt – fälschlicherweise der Tag des Antrags auf Erteilung des Patents (08.02.2018) als Anmeldedatum in der Tabelle aufgenommen wurde. Das Klagepatent ist damit aber hinreichend bestimmt genannt zumal die Beklagte auch nicht behauptet hat, dass zu dem entsprechenden Anmeldedatum ein weiteres Schutzrecht der Klägerin zu 1) existiert, welches statt des Klagepatents gemeint gewesen sein könnte. - c)
Sofern die Beklagte aufgrund verschiedener, ihrer Ansicht nach unüblicher Klauseln an der Wirksamkeit der Lizenz zweifelt, vermag die Kammer dem nicht beizutreten. Die fehlende Gegenleistungspflicht für die Nutzung von 15 Schutzrechten, die fehlende Verteidigungsregelung im Falle von Rechtsbestandsangriffen sowie die fehlende doppelte Schriftformklausel mögen ungewöhnlich sein für Vertragsparteien, die sich ansonsten im Markt als Wettbewerber gegenüberstehen. Bei den Klägerinnen handelt es sich indes um Unternehmen, die konzernrechtlich verflochten sind und im Wesentlichen die gleichen wirtschaftlichen Interessen verfolgen. Abgesehen davon vermag das bloße Fehlen bestimmter Pflichtenregelungen oder eine unübliche Handhabung nicht bereits einen schwerwiegenden Mangel darzustellen, der die Wirksamkeit des gesamten Vertrages beseitigt. - Die Bezugsvereinbarung, wonach die Klägerin zu 3) A und weitere diesen Wirkstoff enthaltende (Zwischen-)Produkte von der Klägerin zu 1) bzw. autorisierten Händlern zu erwerben hat, beseitigt die Exklusivität der Lizenz nicht. Innerhalb dieser zulässigen sachlichen Beschränkung ist die Klägerin zu 1) aufgrund der exklusiven Vereinbarung an einem eigenen Vertrieb gehindert (vgl. Urteil der Kammer v. 03.11.2020, Az. 4a O 60/19). Schließlich ist die Klägerin zu 1) von jeglicher Verletzungshandlung auch selbst betroffen, da sie zum einen bis Ende September 2019 Mehrheitsgesellschafterin der 100%igen Muttergesellschaft der Klägerin zu 3) war und insoweit an den Erträgen wirtschaftlich partizipiert hat. Zum anderen partizipiert sie wirtschaftlich an jeder Verwendung der klagepatentgemäßen Erfindung über die Bezugsverpflichtung, da sie so unmittelbar den Bezug des Wirkstoffes A reguliert.
- II.
Das Klagepatent betrifft die Verwendung von 40-O-(2-Hydroxyethyl)rapamycin (nachfolgend unter seinem Handelsnamen „A“ bezeichnet) zur Behandlung von Pankreastumoren. - Laut dem Klagepatent handelt es sich bei Rapamycin um ein bekanntes Makrolidantibiotikum, welches von bestimmten Bakterien produziert wird. Es existieren diverse Rapamycinderivate, die unter anderem in den Verbindungen nach der in Absatz [0002] des Klagepatents (nachfolgend sind Absätze ohne nähere Beschreibung solche des Klagepatents) dargestellten Formel I bestehen.
- Nach dem Klagepatent ist aus dem Stand der Technik – der streitgegenständlichen D 17 – eine Arzneimittelkombination bekannt, die eine Somatostatinklasse und ein Rapamycin-Makrolid umfasst, zur Verwendung bei der Prävention oder Behandlung der Zell-Hyperproliferation (Abs. [0004]). Ferner beschreibe unter anderem die WO 94/09010 immunsuppressive Wirkungen von Rapamycin-Derivaten der Formel I (Abs. [0006]). Es sei nunmehr festgestellt worden, dass Verbindungen der Formel I starke antiproliferative Eigenschaften haben, wodurch sie sich für die Chemotherapie gegen Krebs eignen, insbesondere bei festen Tumoren, vor allem bei fortgeschrittenen festen Tumoren (Abs. [0006]).
- Das Klagepatent beschreibt es als Notwendigkeit, das Instrumentarium der Krebsbehandlung von festen Tumoren zu erweitern, insbesondere in Fällen, in denen die Behandlung mit krebsbekämpfenden Verbindungen nicht mit einer Regression oder Stabilisierung der Erkrankung verbunden ist.
- Zur Lösung der insoweit indirekt formulierten Aufgabe schlägt das Klagepatent eine Verwendung nach Anspruch 1 vor, der sich wie folgt gliedern lässt:
- 1. 40-O-(2-Hydroxyethyl)rapamycin zur Verwendung als alleiniger Wirkstoff bei der Behandlung eines soliden Tumors.
- 2. Bei dem soliden Tumor handelt es sich um einen Pankreastumor.
- 3. 40-O-(2-Hydroxyethyl)rapamycin wird in einer Einzeldosisform für die orale Verabreichung umfassend 0,25 bis 10 mg 40-O-(2-Hydroxyethyl)rapamycin zusammen mit einem oder mehreren pharmazeutisch unbedenklichen Verdünnungsmitteln oder Trägern verabreicht.
III.
Mit Blick auf die Einwendungen hinsichtlich des Rechtsbestandes bedarf es der Auslegung des Begriffes der Einzeldosisform nach Merkmal 3 des Anspruchs. - Das Klagepatent beansprucht eine Einzeldosisform für die orale Verabreichung, wobei der Wirkstoff A in einer Menge von bis zu 0,25 mg bis 10 mg enthalten ist. Hierbei handelt es sich nicht um eine Tagesdosenangabe. Vielmehr handelt es sich um eine Einzeldosenform für die orale Verabreichung, mit welcher eine wirksame Tagesdosierung in für die Krebstherapie geeigneter Form verabreicht werden kann. Dies folgt aus Abschnitt [0042] des Klagepatents. Dort werden zunächst geeignete Tagesdosen offenbart, nämlich von 0,1 bis 25 mg. Diese können als Einzeldosen oder in geteilten Dosen verabreicht werden. Sodann wird auf die Art und Weise der Verabreichung von A eingegangen und beschrieben, dass der Wirkstoff sowohl oral als auch per Injektion verabreicht werden kann. Daraufhin wird eine übliche Einzeldarreichungsform in oraler Form von 0,1 mg bis 10 mg offenbart. Damit wird also der Wirkstoffgehalt einer Einzeldosis von A unterhalb der als bevorzugt angegebenen Tagesdosis von bis zu 25 mg explizit als „geeignet“ angesehen. Der Fachmann entnimmt der Beschreibung, dass die Gabe einer Dosis von 25 mg (höchste Tagesdosis) jedenfalls in oraler Form nicht mehr geeignet erscheint. Der Fachmann erkennt, dass die Eignung die Wirksamkeit mit einschließt.
- IV.
Bei der angegriffenen Ausführungsform in der zum Zeitpunkt der Klageerhebung vertriebenen Form handelt es sich um ein klagepatentgemäßes Erzeugnis nach § 9 S. 2 Nr. 1 PatG. - Bei einem auf eine bestimmte Verwendung gerichteten Patent – so liegt der Fall hier – ist eine unmittelbare Verletzung dann zu bejahen, wenn der Patentverletzende den geschützten Stoff für die geschützte Verwendung sinnfällig hergerichtet hat (BGH, GRUR 2001, 730 – Trigonelitin). Eine solche sinnfällige Herrichtung liegt vor, wenn das Arzneimittel so aufbereitet wird, dass es mit ihm absehbar zu dem geschützten therapeutischen Gebrauch kommt. Solches kann durch eine auf den speziellen Verwendungszweck abgestellte Formulierung und Konfektionierung des Arzneimittels sowie durch seine Dosierung, aber auch z.B. durch Beifügung einer Gebrauchsanleitung in Form eines Beipackzettels oder einen Hinweis auf der Umverpackung geschehen (vgl. OLG Düsseldorf, GRUR 2017, 1107; vgl. auch OLG Düsseldorf, BeckRS 2013, 11782; OLG Düsseldorf, BeckRS 2014, 21947 m. w. Nachw.).
- Dies ist hier der Fall.
- Bei der angegriffenen Ausführungsform handelt es sich um den Wirkstoff 40-O-(2-Hydroxyethyl)rapamycin (A) nach Merkmal 1 des Klagepatents, welcher zur Verwendung als alleiniger Wirkstoff zur Behandlung solider Pankreas-Tumore in einer Einzeldosisform für die orale Verabreichung umfassend 0,25 bis 10 mg 40-O-(2-Hydroxyethyl)rapamycin zusammen mit einem oder mehreren pharmazeutisch unbedenklichen Verdünnungsmitteln oder Trägern (Merkmal 3) sinnfällig hergerichtet ist. Dies wird von der Beklagten zu Recht nicht in Abrede gestellt, so dass es insoweit keiner weiteren Erörterung bedarf.
- IV.
Aus der festgestellten Klagepatentverletzung folgen die zuerkannten Rechtsfolgen. - 1.
Der Unterlassungsanspruch folgt aus Art. 64 Abs. 1 EPÜ i.V. § 139 Abs. 1 PatG. Er ist entsprechend der Antragskonkretisierung der Klägerinnen auf die sinnfällige Herrichtung der klagepatentgemäßen Kombination gerichtet. - Die bloße Umstellung der Indikation führt nicht zu einer Beseitigung der vorher gegebenen Wiederholungsgefahr.
- An die Beseitigung oder Widerlegung der Wiederholungsgefahr sind strenge Anforderungen zu stellen (BGH, GRUR 59, 367). Sie ist nur dann zu bejahen, wenn unstreitig oder bewiesen ist, dass besondere Umstände gegeben sind, welche zuverlässig erwarten lassen, dass jede Wahrscheinlichkeit für die Wiederholung fehlt oder beseitigt ist (BGH, GRUR 2003, 1031 – Kupplung für optische Geräte). Eine bloße Einstellung der Verletzung führt nicht zu einer entsprechenden Beseitigung. Die Beklagte hat keine weiteren Umstände vorgetragen, die neben der bloßen Umstellung der Indikation auf eine Beseitigung der Wiederholungsgefahr schließen lassen. Sie hat insbesondere keine Unterlassungs- und Verpflichtungserklärung abgegeben.
- 2.
Die Klägerinnen zu 1) und zu 3) haben ferner gegen die Beklagte einen Anspruch auf Schadensersatz dem Grunde nach (§ 139 Abs. 2 PatG) für klagepatentverletzende Handlungen. Die Tenorierung berücksichtigt hierbei die Rechtsnachfolge der Klägerin zu 1) in Bezug auf die Ansprüche der Klägerin zu 2) vor dem Verschmelzungszeitpunkt. - Als Fachunternehmen hätte die Beklagte die Patentverletzung durch die angegriffene Ausführungsform bei Anwendung der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt erkennen können, § 276 BGB.
- Die genaue Schadenshöhe steht derzeit noch nicht fest. Da es jedoch ausreichend wahrscheinlich ist, dass den Klägerinnen durch die rechtsverletzenden Handlungen der Beklagten ein Schaden entstanden ist, der von den Klägerinnen noch nicht beziffert werden kann, weil sie ohne eigenes Verschulden in Unkenntnis über den Umfang der Verletzungshandlungen sind, ist ein rechtliches Interesse der Klägerinnen an einer Feststellung der Schadenersatzverpflichtung dem Grunde nach anzuerkennen, § 256 ZPO.
- Eine zeitliche Begrenzung der entsprechenden Ansprüche auf Grund der Produktumstellung der Beklagten ist nicht angezeigt (vgl. Grabinski/Zülch in Benkard, PatG, 11. Auflage 2015, § 139 Rn. 80).
- 3.
Der Anspruch auf Auskunft über die Herkunft und den Vertriebsweg der angegriffenen Ausführungsform ergibt sich aufgrund der unberechtigten Benutzung des Erfindungsgegenstands unmittelbar aus § 140b Abs. 1 PatG, der Umfang der Auskunftspflicht aus § 140b Abs. 3 PatG. - Damit die Klägerinnen zu 1) und 3) in die Lage versetzt werden, ihre Schadensersatzansprüche zu beziffern, steht ihnen gegen die Beklagte ferner ein Anspruch auf Auskunft im zuerkannten Umfang aus §§ 242, 259 BGB zu. Die Klägerinnen sind auf die Angaben angewiesen, über die sie ohne eigenes Verschulden nicht verfügen; die Beklagte wird durch die von ihr verlangten Auskünfte nicht unzumutbar belastet.
- 4.
Der Vernichtungsanspruch folgt aus § 140a Abs. 1 S. 1 PatG. Eine Unverhältnismäßigkeit nach § 140a Abs. 4 PatG ist angesichts dessen, dass der Beklagten vorbehalten bleibt, allein die Packungsbeilage zu vernichten, nicht ersichtlich. Die Beklagte wendet zwar insoweit eine Unverhältnismäßigkeit ein. Es fehlt hierzu aber konkreter Vortrag. Der pauschale Verweis auf einen recht kurzen Vertriebszeitraum und eine relativ geringe Stückzahl ist insoweit nicht hinreichend. Die Beklagte hat keine konkreten Schäden, die drohen, genannt, insbesondere fehlt Vortrag zu den konkreten Umsätzen der Beklagten mit der klagepatentverletzenden angegriffenen Ausführungsform. - 5.
Ein Anspruch auf Rückruf besteht ebenfalls nach § 140a Abs. 3 PatG. Auch insoweit lässt sich keine Unverhältnismäßigkeit gemäß § 140a Abs. 4 PatG ersehen. Zur Begründung wird auf die Ausführungen zum Vernichtungsanspruch Bezug genommen. - V.
Der Rechtsstreit ist nicht nach § 148 ZPO auszusetzen. - Nach § 148 ZPO kann das Gericht bei der Vorgreiflichkeit eines anderen Verfahrens einen Rechtsstreit aussetzen. Die Vorgreiflichkeit ist aufgrund der angenommenen Verletzung des Schutzrechtes hinsichtlich des anhängigen Einspruchsverfahrens gegeben. Die Durchführung eines Rechtsbestandsverfahrens stellt ohne Weiteres noch keinen Grund dar, den Verletzungsrechtsstreit auszusetzen. Die Patenterteilung ist auch für die (Verletzungs-) Gerichte bindend. Jedoch darf dies nicht dazu führen, dass jedem Angriff auf den Rechtsbestand jede Auswirkung auf das Verletzungsverfahren versagt wird. Die Aussetzung des Verletzungsstreits im Rahmen der nach § 148 ZPO zu treffenden Ermessenentscheidung ist vielmehr grundsätzlich, aber auch nur dann geboten, wenn mit hinreichender Wahrscheinlichkeit zu erwarten ist, dass das Klagepatent dem erhobenen Einspruch nicht standhalten wird (vgl. BGH, GRUR 2014, 1237, 1238 – Kurznachrichten; OLG Düsseldorf, Urteil vom 11.06.2015 – Az. I-2 U 64/14, S. 29 f.).
- Hierbei ist insbesondere zu berücksichtigen, dass es bereits einen ausführlichen qualifizierten Hinweis der Einspruchsabteilung gibt, nach dem das Klagepatent derzeit als rechtsbeständig angesehen wird. Auch wenn die Ausführungen insbesondere zur Erfindungshöhe offen formuliert sind, lässt sich dem Hinweis nicht entnehmen, dass ein Widerruf hinreichend wahrscheinlich ist. Vorliegend handelt es sich um eine komplexe technische Materie aus dem Bereich Chemie/Pharmazie. Da die Mitglieder der Einspruchsabteilung sich – aufgrund ihrer technischen Vorbildung und der auf dem speziellen Fachgebiet gegebenen beruflichen Erfahrung im Vergleich zur hiesigen Patentstreitkammer, die als Verletzungsgericht lediglich mit juristisch vorgebildeten Fachleuten besetzt ist – für die Beantwortung der hier interessierenden Streitfragen, welche technische Information im Einspruchsverfahren gewürdigten Texten aus fachmännischer Sicht zu entnehmen ist und welche Schlussfolgerungen der Durchschnittsfachmann hieraus aufgrund seines allgemeinen Fachwissens zu ziehen imstande gewesen ist, freilich in der besseren Position befinden, ist es grundsätzlich ausgeschlossen, dass sich die Kammer mit ihren eigenen (notwendigerweise laienhaften) Erwägungen über das Votum der technischen Fachleute hinwegsetzt (vgl. OLG Düsseldorf, Beschluss vom 06.11.2020, Az. I-15 U 4/19; BeckRS 2018, 43555 m.w.N.). Der hiesige Fall ist auch nicht deswegen anders gelagert, weil mehrere Entscheidungen der Beschwerdekammer als ebenfalls sachkundige, höherrangige Rechtsbestandsinstanz zu parallelen Schutzrechten – insbesondere dem EP XXX – existieren, welche die Schutzrechte widerrufen haben. Denn die Sachverhalte erscheinen zwar im Hinblick auf den Stand der Technik und die relevanten Entgegenhaltungen identisch zu sein, sind es jedoch nicht im Hinblick auf die geschützte technische Lehre. Das Klagepatent betrifft die Verwendung von A als alleinigen Wirkstoff für die Indikation des Pankreastumors. Das EP 604 beschäftigt sich mit A als alleinigen Wirkstoff für die Indikation des Nierentumors.
- Nach diesen Grundsätzen kann die Kammer keine hinreichende Wahrscheinlichkeit erkennen, dass die Einspruchsabteilung das Klagepatent widerrufen wird.
- 1.
Das EPA sieht keine wirksame Inanspruchnahme der Priorität, weil die beanspruchte Menge an A nicht in den Prioritätsdokumenten offenbart wird, so dass der maßgebliche Tag der Anmeldetag (14. Februar 2002) ist (vgl. qualifizierter Hinweis der Einspruchsabteilung des EPA, Anlage (im Verfahren 4a O 110/19) FBD 19, Seite 13; nachfolgend bezeichnet als EPA). Dem ist die Klägerin im Rahmen der Aussetzungsfrage nicht mehr entgegengetreten, so dass die Kammer den Anmeldetag ebenfalls als maßgeblichen Veröffentlichungstag zugrunde legt. - 2.
Für die technisch nicht fachkundig besetzte Kammer ist nicht mit hinreichender Sicherheit erkennbar, dass das EPA das Klagepatent wegen unzulässiger Erweiterung widerrufen wird. - a)
Nach Art. 100 lit.c) EPÜ kann als Einspruchsgrund vorgebracht werden, dass der Gegenstand eines europäischen Patents über den Inhalt der ursprünglichen Anmeldung, bei der Teilanmeldung über den Inhalt der ursprünglich eingereichten Stammanmeldung, hinausgeht. Der Inhalt in diesem Sinne ist alles, was der Fachmann unmittelbar und eindeutig der Gesamtheit der Anmeldungsunterlagen unter Berücksichtigung seines Fachwissens entnimmt (Schäfers/Sendrowski in Benkard, EPÜ, 3. Auflage 2019, Art. 123, Rn 85). Jede Einschränkung durch Auswählen von Individuen aus einer Gruppe oder durch Beschränkungen des Zahlenbereichs ist nach Art. 123 Abs. 2 EPÜ unzulässig, wenn die entsprechende Auswahl nach Art. 54 EPÜ als neu gelten müsse (vgl. Singer/Stauder/Luginbühl, EPÜ, 8. Aufl., Art 123 Rn. 99). Bei einer Einschränkung durch Auswahl aus zwei Listen wird regelmäßig von einer unzulässigen Änderung ausgegangen. Ob es zulässig ist, verschiedene ausgewählte Merkmale miteinander zu kombinieren, hängt insbesondere davon ab, ob es Hinweise (Pointer) auf solche Kombinationen gibt. Allenfalls zu berücksichtigen ist, ob Merkmale als bevorzugt hervorgehoben sind und ob eine Liste aus gleichwertigen Alternativen besteht (vgl. Singer/Stauder/Luginbühl, EPÜ, 8. Aufl., Art 123 Rn. 100). - b)
Zwar findet sich der erteilte Klagepatentanspruch 1 nicht explizit als Anspruch in der Stammanmeldung ausformuliert. Mit dem EPA ist die Kammer indes der Auffassung, dass der Gegenstand von Anspruch 1 sich aus der sonstigen Beschreibung der D 1 eindeutig ergibt. - So offenbart das konkrete Beispiel B 3 die Verwendung von A zur Behandlung von CA20948 Pankreastumoren bei Ratten. Dort wird ausdrücklich ein repräsentatives Experiment beschrieben, bei welchem den Ratten eine orale Dosis von A als alleinigem Wirkstoff, also in der Monotherapie, verabreicht wird (D 1, Seite 13, dritter Absatz). Das Beispiel B 3 offenbart im Weiteren ein weiteres in vivo-Experiment bei welchem das Tumorwachstum einer menschlichen AR242J-Pakreastumorzelllinie bei täglicher Verabreichung von A in der Monotherapie untersucht wurde (D 1, Seite 13, letzter Absatz und Seite 14, erster Absatz). Beide dort beschriebenen Experimente zeigen eine Wirksamkeit der entsprechenden Therapie. Hierin ist ein klarer Hinweis (Pointer) für den Fachmann zu sehen, A als alleinigen Wirkstoff und als oral verabreichtes Mittel zu verwenden (vgl. EPA, S.9).
- In Abschnitt C der D 1 (Seite 16) wiederum wird der Aufbau einer klinischen Studie offenbart, die die Wirksamkeit von A in der Monotherapie untersuchen soll (D 1, Seite 16, Absatz 2). Hier wird ebenfalls die orale Verabreichung des Wirkstoffs offenbart (D 1, Seite 16, Absatz 3). Die beanspruchte Dosierung ist als besonders bevorzugt auf Seite 18 der D 1 (erster Absatz) offenbart (vgl. EPA, S. 9).
- Dass es sich bei den in Beispiel 3 offenbarten Pankreastumorzelllinien um sogenannte exokrine Pankreastumore handelt, also eine Unterart der Pankreastumore, schadet nicht. Denn in der Zusammenschau von Beispiel 3 und der in Abschnitt C genannten klinischen Studie offenbart die D 1 dem Fachmann allgemein die Verwendung von A in der Monotherapie zur Behandlung solider Tumore wie Pankreastumore, ohne eine Begrenzung auf exokrine Tumore. Dies wird bestätigt durch den letzten Absatz auf Seite 3 der D 1, wo der Pankreastumor allgemein und nicht nur die spezielle endokrine Form in der Aufzählung solider Tumore genannt wird. Ebenfalls erscheint eine hinreichende Offenbarung der klagepatentgemäßen Erfindung ausgehend von der klinischen Studie in Abschnitt C vorzuliegen. Diese offenbart die Verwendung von A bei der Behandlung solider Tumore in oraler Verabreichung. Der Fachmann müsste, um zum klagepatentgemäßen Gegenstand zu gelangen, lediglich aus der Aufzählung der soliden Tumore auf Seite 2 der D 1 den Pankreastumor auswählen, der sowohl endokrine als auch exokrine Tumore einschließt. Sofern man hierein eine Auswahl aus einer Liste erkennen wollte, erscheint die Auswahl aus einer einzigen Liste im Hinblick auf die unzulässige Erweiterung unbedenklich.
- c)
Die D 1 offenbart starke antiproliferative Eigenschaften von Rapamycin-Derivaten, insbesondere bei festen/soliden Tumoren (D 1, S. 2). Auf Seite 3 heißt es dann explizit, dass die D1 unter soliden Tumoren andere als Lymphdrüsenkrebs versteht. Dieser Beschreibungsteil findet sich in Absatz [0010] des Klagepatents wieder. Indem das Klagepatent eine Behandlung nur von soliden Tumoren beansprucht, liegt in dem Fehlen des Zusatzes „mit Ausnahme von lymphatischen“ Krebs daher keine unzulässige Erweiterung. - d)
Die als Anlage D 31 vorgelegte Entscheidung der Technischen Beschwerdekammer zum Patent EP 2 275 103 (Anlage MW 5, D 31, D 31- DE im Verfahren 4a O 111/19; nachfolgend EP 103) stützt sich nicht auf den Widerrufsgrund der unzulässigen Erweiterung nach Art. 100 lit. c) EPÜ und führt daher nicht dazu, die vorläufige Einschätzung des EPA zum Klagepatent in Zweifel zu ziehen. - e)
Die nunmehr ergangene Entscheidung der Beschwerdekammer zum EP 604, T XXX/XXX (Anlagenkonvolut MW 9 im Verfahren 4a O 111/19, S. 4, 5) – deren Entscheidungsgründe am Schluss der mündlichen Verhandlung noch nicht vorlagen – rückt die Einschätzung des EPA im hiesigen Verfahren in kein anderes Licht. Das EP 604 beansprucht A zur Verwendung bei der Behandlung von soliden Tumoren mit Ausnahme von Lymphdrüsenkrebs, wobei es sich bei dem soliden Tumor um einen Nierentumor handelt und Everolismus als alleiniger Wirkstoff verabreicht wird. Aus dem Protokoll lassen sich die genauen Gründe der Beschwerdekammer nicht entnehmen. Die Entscheidung erscheint aber auch deswegen nur bedingt relevant, weil für den hier einschlägigen Fall des Pankreastumors die D1 das konkrete Beispiel B. 3 zeigt. Dies ist nicht ersichtlich für den Nierentumor. - Mangels näherer Erläuterungen zum EP 140 im Verletzungsverfahren, das sich mit einer Behandlung von Hirntumoren befasst, werden auch hier keine Zweifel an der ausreichenden Offenbarung in der D 1 gesät.
- Schließlich hat die Entscheidung der Einspruchsabteilung zum EP 2 XXX 603 (An-lage BK 1b im Verfahren 4a O 54/20) – deren Begründung von der Beschwerde-kammer geteilt worden sei, aber aufgrund der Rücknahme des Rechtsmittels nicht mehr entschieden wurde –, das sich mit der Wirkstoffkombination aus A und Exemestan für die Indikation Brustkrebs beschäftigt, aus den oben genannten Gründen keine entscheidende Auswirkung auf die Aussetzungsentscheidung
- 3.
Für die technisch nicht fachkundig besetzte Kammer ist nicht mit hinreichender Sicherheit erkennbar, dass die Einspruchsabteilung des EPA das Klagepatent wegen mangelnder Ausführbarkeit auf Grund unzureichender Offenbarung nach Art 83 EPÜ vernichten wird. - a)
Für die Ausführbarkeit einer Erfindung ist es nach Auffassung der Technischen Beschwerdekammern des EPA notwendig, dass in der Anmeldung zumindest glaubhaft gemacht wird, dass die in ihr enthaltene Lehre die angeblich gelöste Aufgabe auch tatsächlich löst. Nachträglich veröffentlichte Beweisstücke dafür, dass der beanspruchte Gegenstand die Aufgabe tatsächlich löst, werden berücksichtigt, wenn an Hand der im Patent enthaltenen Offenbarung bereits glaubhaft erscheint, dass die Aufgabe tatsächlich gelöst wird (Rechtsprechung der Beschwerdekammern 2019, Abschnitt I.D.4.6). Es ist also die Ausführbarkeit der Erfindung durch den Fachmann an Hand des Informationsgehalts der Anmeldung in Verbindung mit dem allgemeinen Fachwissen unter Berücksichtigung eines dargestellten Ausführungswegs und der gegebenen Ausführungsbeispiele glaubhaft zu machen (Schäfers/Wieser/Kinkeldey in Benkard, EPÜ/, 3. Aufl. 2019, Art. 83, Rn. 90). Im Einspruchsverfahren liegt die Darlegungslast für den Einwand unzureichender Offenbarung und damit auch die für die Ausführbarkeit durch einen Fachmann ausreichende Beschreibung beim Einsprechenden. Ebenso trägt dieser grundsätzlich auch die Beweislast für sein Vorbringen, das bedeutet, Zweifel hinsichtlich des Beweisergebnisses gehen zu seinen Lasten (Benkard, a.a.O.). - b)
Vor diesem Hintergrund erscheint sowohl die Verwendung von A in der Monotherapie zur Behandlung von Pankreastumoren als auch die anspruchsgemäße Dosierungsform hinreichend ausführbar offenbart zu sein. - aa)
Zur Behandlung von Pankreas-Tumoren mit A (dort Verbindung A genannt) in der Monotherapie offenbart Absatz [0023] des Klagepatents ein in vivo-Experiment, bei dem Ratten eine Pankreas-Tumorzellsuspension von CA20948-Ratten injiziert wird. Absatz [0023] offenbart insoweit, dass die Verabreichung von A in der Monotherapie kontinuierlich das Tumorwachstum der Pankreastumore im Vergleich zur Kontrollgruppe verringert. Aus Absatz [0024] ergibt sich, dass die Verabreichung einer dort konkret benannten Tagesdosis A das Wachstum von humanen AR42J Pankreastumormodellen verringert. Es werde nach Abschnitt [0024] bei derartigen humanen Tumoren, die Mäusen implantiert wurden, eine gut krebsbekämpfende Wirkung von A gezeigt. - Die in vivo-Experimente in den Absätzen [0021] (Lungentumore) und [0022] (Hauttumore) zeigen eine tumorhemmende Wirkung von A in der Monotherapie für weitere solide Tumore.
- Das in Absatz [0025] offenbarte in vivo-Experiment B 4 zeigt, dass die durch die Gabe von Doxorubicin verursachten Körpergewichtsverluste, wenn die Behandlung mit A hinzukommt, nicht verschlimmert werden. Hieraus folgert der Fachmann, dass es zumindest plausibel erscheint, dass es bei der Gabe von A und weiteren bekannten Chemotherapeutika zu keinen unerwünschten Wechselwirkungen kommt. Das in Absatz [0027] offenbarte in vivo-Experiment B 6 zeigt eine deutliche Verringerung der Gefäßdichte und der Gefäßgrößenverteilung bei der Gabe von A im Vergleich zur Kontrollgruppe und zeigt dem Fachmann damit, dass A einen signifikanten Einfluss auf die Nährstoffversorgung von soliden Tumoren hat. Das in Absatz [0028] beschriebene in vivo-Experiment B 7 offenbart wiederum, dass A in Kombination mit einem antiangiogenen Wirkstoff synergetische Effekte auf das Wachstum der Lymphknotenmetastasen hat.
- Die genannten Stellen offenbaren ein Konzept, dass in seiner Gesamtheit die therapeutische Wirksamkeit von A bei der Behandlung von Pankreastumoren zumindest plausibel erscheinen lässt.
- Zu diesem Schluss kommt ebenfalls die Einspruchsabteilung des EPA. So führt die Einspruchsabteilung unter anderem aus, dass die Beispiele A.2 in vitro und B 6 in vivo eine antiangiogenese Wirksamkeit von A zeigten und dass die Anti-Tumor-Wirkung in verschiedenen soliden Tumoren in vivo getestet worden sei (EPA, S.12). Insofern liege jedenfalls eine Plausibilität vor. Die Einsprechenden hätten keine entsprechenden Daten vorgelegt, die zeigten, dass A nicht wirken würde. Die Einspruchsabteilung zeigt damit, dass sie keine hohen Anforderungen an die Plausibilität stellt, sondern hier die Plausibilität ebenfalls aus einer Zusammenschau der verschiedenen offenbarten Experimente herleitet. Eine solche Herangehensweise erscheint der technisch nicht fachkundig besetzten Kammer nicht unvertretbar.
- Aus der vorgelegten Entscheidung D 31 der Technischen Beschwerdekammer zum Patent EP 103 lässt sich nicht erkennen, dass bei ihrer Berücksichtigung die Einspruchsabteilung die Ausführbarkeit des Klagepatents verneinen wird. Denn mangels einer Vergleichbarkeit der offenbarten Datenlage kann die Kammer nicht erkennen, welch ein Rückschluss auf das Klagepatent gezogen werden sollte. Die Technische Beschwerdekammer stößt sich ausweislich Rn 4.4.1 der D 31 primär daran, dass im EP 103 keine Daten vorgelegt würden, sondern lediglich ihrer Auffassung nach hypothetische Studien offenbart seien. Dies ist beim hiesigen Klagepatent nicht der Fall. Denn dort sind in den Beispielen (insbesondere B 3) mehrere in vivo-Experimente mit konkreten Ergebnissen nach der Verabreichung von A offenbart.
- bb)
Die im Klagepatent beanspruchte Dosierungsform erscheint ebenfalls ausführbar offenbart zu sein. - Wie oben bereits dargestellt, offenbart das Klagepatent in den Beispielen B 1 bis B 7 mehrere in vitro-Experimente an Mäusen bzw. Ratten mit konkreten Dosierungsangaben zum Wirkstoff A. Im Beispiel B 3 ist beispielsweise eine Verabreichung einer Tagesdosis A zwischen 0,5 mg und 2,5 mg pro kg Körpergewicht offenbart (Abschnitt [0023]). Der Fachmann erkennt insoweit, dass bereits eine solche Dosis eine Wirksamkeit entfaltet, sieht aber auch, dass nicht unmittelbar von der Dosierung bei Ratten auf die Dosierung bei Menschen geschlossen werden kann.
- In Abschnitt [0042] des Klagepatents (ebenfalls so in der D1 offenbart) wird sodann die beanspruchte Einheitsdosis als übliche Dosierungsform offenbart. Außerdem offenbart Abschnitt C.1 des Klagepatents (Abschnitte [0029] bis [0039]) abstrakt den Ablauf einer klinischen Studie zur Untersuchung des klinischen Nutzens von A in der Monotherapie bei soliden Tumoren, wobei zwei Alternativen (Eskalierung Wirkstoff (a) und Wirkstoff (b) in fester Dosis; Wirkstoff (a) in fester Dosis und Wirkstoff (b) eskaliert) beschrieben werden. Mit der Offenbarung der Dosierung scheint plausibel dargelegt zu sein, dass diese spezifische Dosis effektiv für die Behandlung von Pankreastumoren ist.
- Schließlich wurde dies später durch klinische Studien bestätigt, aus denen eine Zulassung – insbesondere auch für (neuro-)endokrine Pankreastumore folgte. Die Klägerin hat vorgetragen, dass A in der klagepatentgemäßen Beanspruchung wirksam ist, was zur Zulassung eines entsprechenden Medikaments in diversen Ländern auch in Europa geführt hat. Eine Nacharbeit der klinischen Studien hat damit notwendigerweise stattgefunden, denn ohne solche klinischen Studien wäre das entsprechende Medikament nicht zugelassen worden. Dem sind die Beklagten nicht mehr substantiiert entgegengetreten. So stellt auch das EPA (Seite 12) fest, dass seitens der Einsprechenden keine experimentellen Daten vorgelegt worden sind, die zeigen, dass A nicht wirken würde.
- 4.
Der Neuheitsangriff basierend auf der D 17 rechtfertigt bereits deswegen keine Aussetzung des Rechtsstreits, weil es sich bei der Entgegenhaltung um geprüften Stand der Technik handelt. - Darüber hinaus ist eine neuheitsschädliche Vorwegnahme der klagepatentgemäßen Erfindung durch die D17 nicht hinreichend wahrscheinlich, weil A weder als alleiniger Wirkstoff zur Behandlung von Pankreastumoren unmittelbar und eindeutig offenbart noch die zur Behandlung eines soliden Pankreastumors beanspruchte Dosis (vgl. EPA, S. 14;).
- 5.
Ein Widerruf des Klagepatents wegen fehlender erfinderischer Tätigkeit ausgehend von der Entgegenhaltung D 17 ist für die technisch nicht fachkundig besetzte Kammer ebenfalls nicht mit hinreichender Sicherheit zu erkennen. - a)
Die Einspruchsabteilung sieht die von den Parteien im hiesigen Verfahren primär behandelte Entgegenhaltung D 17 als tauglichen Ausgangspunkt für die Prüfung der erfinderischen Tätigkeit an (vgl. EPA, Seite 20). Die Kammer kann eine hinreichende Wahrscheinlichkeit dafür, dass der Fachmann ausgehend von der D17 zu der beanspruchten Erfindung hingeführt wird und insofern nicht erfinderisch tätig ist, nicht erkennen. - Die D 17 betrifft die Kombination aus einem Somatostatinanalogon und Rapamycin bzw. dessen Derivaten. Die D 17 offenbart ein in vitro-Experiment mit Pankreastumorzellen (Seite 15 unten, Abschnitt B). Ferner benennt sie als Rapamycinderivat ausdrücklich A und verwendet hierfür die Bezeichnung Verbindung B. Unter Abschnitt A (Seite 14 f.) werden die Ergebnisse eines in vitro – Tests offenbart, unter Abschnitt B (Seite 15 f.) die Ergebnisse eines in vivo – Experiments.
- Bei dem in-vitro-Experiment wurde nach Gabe der einzelnen Wirkstoffe das Zellvolumen der Tumore mit einer Kontrollgruppe verglichen. Die Ergebnisse sind in der folgenden Tabelle offenbart:
- Aus der oben eingeblendeten Tabelle ist ersichtlich, dass die in vitro-Experimente der D 17 zwar eine Anti-Tumor-Wirkung von A (dort Verbindung B) zeigen, diese aber im Vergleich zu den weiteren getesteten Wirkstoffen bzw. Kombinationen am schlechtesten abschneidet.
- Bei dem für den Fachmann aussagekräftigerem in vivo – Experiment wurden die Tumorvolumina einer Kontrollgruppe mit den Tumorvolumina bei der Gabe von Octreotidpamoat allein, A allein, Rapamycin allein, A in Kombination mit Octreotidpamoat sowie Rapamycin in Kombination mit Octreotidpamoat miteinander verglichen. Dabei sind die Wirkstoffwerte nach 4 Wochen abgenommen worden. Die D 17 offenbart die folgende tabellarische Ergebnisübersicht:
Oberhalb dieser tabellarischen Aufstellung heißt es in der D 17 (Seite 16 Mitte): - XXX
- aa)
Nach dem Problem-Solution-Approach, der vom EPA im Rahmen der Prüfung der erfinderischen Tätigkeit angewendet wird, ist zunächst nach der klagepatentgemäßen Aufgabe und ihrer Lösung zu fragen. In einer Gesamtbetrachtung der Klagepatentschrift stellt sich das Klagepatent die Aufgabe einer wirksamen Therapie von Pankreastumoren und löst diese Aufgabe durch die Gabe von A in der Monotherapie in der Dosierungsform 0,25 bis 10 mg (vgl. auch EPA, S. 20). - Ausgehend hiervon erscheint zweifelhaft, ob der Fachmann ausgehend von der D 17 A als wirksames Anti-Tumor-Mittel in Betracht zöge.
- (1)
Sowohl in dem in vitro- als auch in dem in vivo-Experiment schneidet A in der Monotherapie am schlechtesten ab. Gerade der Unterschied zwischen Einzeldosierung und Kombinationstherapie (A allein Volumen 3685, in Kombination mit Occtreotid Volumen 130) spricht dafür, dass der Fachmann davon weggeführt wird, A in der Monotherapie überhaupt als alternativ wirksames Tumormittel in Betracht zu ziehen. Hierfür ist der Unterschied in den offenbarten Wirkungsgraden zu erheblich. Die D 17 stellt als ihren Kern die Kombination des Somatostatin-Analogon mit einem Rapamycin-Derivat heraus, wenn es auf S. 13 heißt, dass in überraschenderweise festgestellt wurde, dass eine Kombination von zwei Wirkstoffen, von denen angenommen wird, dass sie durch grundverschiedene Mechanismen wirken wie z.B. ein Somatostatin-Analogon und Rapamycin oder ein Derivat davon, kombiniert werden können und synergistisch die Zellhyperproliferation hemmen. Angesichts des Offenbarungsgehalts der D 17 erscheint es der Kammer nachvollziehbar, dass der Fachmann sich im Bereich der Arzneimittelforschung für Indikationen, die in hohem Maße letale Auswirkungen bei den Betroffenen haben, dem vielversprechendsten Wirkstoff zuwenden wird und diesen zu einem klinischen Einsatz bringen möchte. Insofern scheint das Ziel einer effektiven Pankreaskrebsbehandlung die maximale Tumorreduzierung darzustellen. Eine solche offenbart die D 17 mit dem Wirkstoff A in der Monotherapie jedoch nicht. Dass der Fachmann dennoch diesen zum alleinigen Einsatz auswählt, lässt eher auf eine unzulässige rückschauende Betrachtungsweise schließen. - (2)
Etwas anderes dürfte auch nicht aus dem Umstand folgen, dass die Kontrollmäuse in der D 17 bereits nach 3 Wochen getötet worden waren. - Für die technisch nicht fachkundig besetzte Kammer ist nicht mit hinreichender Sicherheit erkennbar, dass der Fachmann unter Berücksichtigung des früheren Todes der Kontrollmäuse in dieser Gruppe nicht den in der Tabelle angegebenen Wert von 4020 als Tumorvolumen berücksichtigt hätte, sondern diesen Wert verdoppelt hätte (also 8040) und deshalb aus dem Tumorvolumen von XXX bei den A-Mäusen auf eine erhebliche Anti-Tumor-Wirkung von A geschlossen und daraufhin die Verbindung als Mono-Wirkstoff in Betracht gezogen hätte.
- Aus der Entgegenhaltung D 17 selbst lässt sich eine solche Folgerung nicht ableiten. Zwar wird auf den Umstand hingewiesen, da aber keine weiteren Werte wie z.B. die Tumorgrößen nach einer oder zwei Wochen angegeben sind, fehlen dem Fachmann Daten, aus welchen er ein wöchentliches Tumorwachstum ableiten kann. In diesem Zusammenhang erscheint der Einwand der Klägerin plausibel, dass eine hypothetische Verdopplung gerade nicht zwingend ist, sondern der Fachmann aufgrund seines allgemeinen Fachwissens ebenso in seine Überlegungen miteinbezieht, dass sich ein sog. Plateaueffekt einstellen kann, der seine Ursache in begrenzten Nährstoffen oder begrenztem Raum haben kann. Die in der mündlichen Verhandlung angesprochene Kontrollüberlegung, bei einer Verdopplung des Tumors in 7 Tagen sei der D 17 eine signifikante Anti-Tumor-Wirkung mit einem T/C-Wert von 45% bei der Monotherapie mit A zu entnehmen, überzeugt daher nicht, weil der Fachmann eine Verdopplung des Tumors weder aus der D 17 noch zwingend aufgrund seines allgemeinen Fachwissens zugrunde legt.
- Schließlich zieht er einen solchen zwingenden Rückschluss auch nicht aus einer Kombination mit der Entgegenhaltung US 6,183,721 B1 (Anlagen B 4-D 18, B 7- D 18 Ü im Verfahren 4a O 110/19; nachfolgend parallel zum Einspruchsverfahren als D 18 bezeichnet). Zwar wird dort im letzten Absatz von Spalte 3 und im ersten Absatz von Spalte 4 ein Experiment beschrieben, bei welchem ebenfalls AR42J Pankreastumorzellen in Mäuse injiziert werden, was dem in vitro-Experiment der D 17 entspricht. In Spalte 4 in den Zeilen 5 ff. heißt es:
- Im Gegensatz dazu zeigten die Kontrollgruppen eine kontinuierliche Tumorwachstumsrate, bei welcher sich das Volumen etwa alle sieben Tage verdoppelte.
- Allerdings heißt es in dem vorherigen Satz:
- Bei diesem Test wurde eine vorübergehende Tumorverringerung bis zu 70 % nach einer Woche und eine Verzögerung des Tumorwachstums für zwei Wochen bei einer Einfachgabe des Wirkstoffs nach XXX beobachtet.
- Hinsichtlich der Wirkstoffmäuse sind also Beobachtungen in einem Zeitraum von lediglich drei Wochen (eine Woche Verringerung, zwei Wochen Verzögerung) gezeigt. Zum Beobachtungszeitraum der Kontrollmäuse fehlt indes jegliche Zeitangabe. Insofern ist auch hier nicht eindeutig und unmittelbar offenbart, dass der Pankreastumor auch nach einer Zeitspanne von drei Wochen sein Tumorwachstum weiterhin alle sieben Tage verdoppelt.
- (3)
Schließlich vermögen die teilweise widersprüchlichen Aussagen des EPA zu parallelen Patenten in Bezug auf die D 17 die Kammer nicht zu der Annahme bewegen, dass eine mangelnde Erfindungshöhe ausgehend von der D 17 wahrscheinlich ist. So hat die Prüfungsabteilung zu dem EP 602 (Anlage BK 24b im Verfahren 4a O 54/20) zwar formuliert, dass unter Berücksichtigung des Weiterwachsens der Tumore der Unterschied der Tumorvolumina in der Kontroll- und Substanz-B Gruppe noch größer gewesen wäre und gleiches gelte, wenn beide Werte nach 3 Wochen bestimmt worden wären, wobei daher die D 17 (dort als D 3 bezeichnet) eine signifikante Wirkung auf das Tumorwachstum zeige. Dem steht aber die Entscheidung der Einspruchsabteilung zum EP 3 XXX 995 (Anlage FBD-C 25 im Verfahren 4a O 54/20) entgegen, dass aus der D 17 nicht abgeleitet werden könne, dass A bei der Behandlung von festen Tumoren auf der Grundlage des Xenograft-Modells wirksam ist, da der Effekt auf das Tumorvolumen geringer als der Standardfehler und im Vergleich zur Behandlung mit Rapamycin und Octreotidpamoat am wenigsten wirksam ist und die schlechtesten Ergebnisse liefert. - (4)
Da die D17 von einem Einsatz des Wirkstoff A eher wegführt, kommt es nicht entscheidend darauf an, ob der Fachmann ausgehend von der D 17 als Routinemaßnahme das beanspruchte Dosis-Wirkungsverhältnis ermittelt. Es erscheint zudem fraglich, ob der Fachmann angesichts des Offenbarungsgehalts der D 17 die dort angegebene Tagesdosis noch verringert hätte. - Die D 17 offenbart in Abschnitt C eine Tagesdosis von Rapamycin oder einem Derivat zwischen 0,5 bis 500 mg (D 17, S. 18). In Beispiel B auf Seite 19 wird für eine Formulierung von A z.B. eine Kapsel mit einer Menge von 20 mg A offenbart. Hinsichtlich der offenbarten Tagesdosen weichen Klagepatent und D 17 erheblich voneinander ab (bis zu 25 mg/bis zu 500 mg). Angesichts der in der D 17 offenbarten Tagedosis erscheint fraglich, ob der Fachmann die dort angegebene Einzeldosis, die im Vergleich zur offenbarten maximalen Tagesdosis schon recht niedrig erscheint (bei 500 mg Tagesdosis wären das 25 Tabletten am Tag) überhaupt noch verringert hätte. Die D 17 zeigt darüber hinaus eine Kapseldosierung, welche die beanspruchte maximale Einzeldosis um das Doppelte überschreitet.
- Eine Vergleichbarkeit mit dem der Entscheidung „XXX“ zugrundeliegenden Fall (BGH, GRUR 2020, 603) drängt sich schon deswegen nicht auf, weil aufgrund der D 17 keine hinreichende Erfolgsaussicht ersichtlich ist, klinische Studien mit A als Mono-Wirkstoff durchzuführen und dabei routinemäßig ein entsprechendes Dosis-Wirk-Verhältnis zu bestimmen.
- b)
Da die D 17 von der Lehre des Klagepatents weg lehrt, ist einerseits kein Anlass des Fachmanns ersichtlich, diese mit der D 19 (Anlage BK 18 im Verfahren 4a O 54/20) zu kombinieren. Anderseits offenbart auch eine Kombination der D 17 mit der D 19 keine Monotherapie mit A zur Behandlung eines soliden Pankreas-Tumors. Gegenstand der D 19 ist die Verwendung von A zur Linderung und Hemmung von lymphoproliferativen Erkrankungen, vornehmlich Lymphknotenkrebs. - c)
Auch eine Kombination der D 17 mit dem allgemeinen Fachwissen führt nicht zu einer Vorwegnahme der erfindungsgemäßen Lehre. So kann die technisch nicht fachkundig besetze Kammer nicht erkennen, dass der Fachmann allein mit dem Wissen der D 17 und Hinweisen, dass Rapamycin und seine Derivate wirksam bei der Behandlung verschiedener Tumorarten sein können und A mTOR durch Bindung an das gleiche Enzym (FKBP-12) wie Rapamycin hemme zur klagepatentgemäßen Lehre gelangen konnte. So hat die Klägerin plausibel eingewendet, dass der Fachmann nicht ohne erfinderisches Zutun A zur Behandlung eines Pankreastumors hätte einsetzen können, da A bis dahin nur als Immunrepressivum bekannt war und sich in Struktur und Funktion von Rapamycin und seinen Derivaten wie z.B. Temsirolimus unterschied. - d)
Schließlich ist nicht mit hinreichender Wahrscheinlichkeit ersichtlich, dass eine Kombination der Entgegenhaltung Shah et al., Journal of Surgical Research 97:123-130 (vorgelegt im Anlagenkonvolut MW 5, D 20, D 20-DE im Verfahren 4a O 111/19, nachfolgend parallel zum Einspruchsverfahren als D 20 bezeichnet) mit der D 17 eine mangende Erfindungshöhe begründen kann. Dies schon deshalb nicht, weil kein Anlass ersichtlich ist, wieso sich der Fachmann ausgehend von D 17 der D 20 zuwenden sollte. Insoweit wird auf die Ausführungen zum Offenbarungsgehalt der D 17 Bezug genommen. Abgesehen davon handelt es sich um bereits im Erteilungsverfahren berücksichtigten Stand der Technik. - 4.
Ausgehend von der D 20 ist ebenfalls nicht ersichtlich, wie der Fachmann ohne erfinderische Tätigkeit A als Mono-Wirkstoff zur Verwendung gegen solide Pankreastumore im beanspruchten Dosierungsschema eingesetzt hätte. Die D 20 beschäftigt sich mit der mTOR-Hemmung (dort FRAP genannt, vgl. Abbildung 1 der D 20) von Rapamycin und offenbart, dass Rapamycin das Wachstum von Pankreastumorzellen blockiert (vgl. D 20 DE, S. 128 unten). Auch wenn fraglich ist, ob die D 20 angesichts der D 17 der nächstliegende Stand der Technik ist, man dies aber mit dem EPA (vgl. EPA, S. 20) annimmt, müsste der Fachmann das in der D 20 verwendete Rapamycin durch A ersetzen und in der beanspruchten Dosierung verwenden. Es ist nicht ersichtlich, wie er dies ohne weitergehende erfinderische Überlegungen anstellen sollte. - V.
Die Kostenentscheidung richtet sich nach § 91 Abs. 1 ZPO. Hierbei ist die Klägerin zu 1) im Wege der Gesamtrechtsnachfolge auf Grund der vollzogenen Verschmelzung berechtigt, etwaige Kosten der Klägerin zu 2), die bis zum Verschmelzungszeitpunkt (08.05.2020) entstanden sind, geltend zu machen. - Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 709 ZPO, wobei auf Antrag Teilsicherheiten auszusprechen waren (vgl. § 108 ZPO).
- VI.
Der Streitwert wird auf EUR 1.000.000,00 festgesetzt.