4a O 53/20 – Rapamycin-Derivat

Düsseldorfer Entscheidungen Nr. 3168

Landgericht Düsseldorf

Urteil vom 7. Dezember 2021, Az. 4a O 53/20

  1. I. Die Beklagte wird verurteilt,
    1. es bei Meidung eines Ordnungsgeldes in Höhe von bis zu EUR 250.000,00 für jeden Fall der Zuwiderhandlung, hilfsweise Ordnungshaft bis 6 Monate, oder Ordnungshaft bis 6 Monate, im Wiederholungsfalle Ordnungshaft bis zu 2 Jahren, zu vollziehen an einem aktuellen Geschäftsführer der Beklagten,
  2. zu unterlassen,
  3. in der Bundesrepublik Deutschland
  4. ein Arzneimittel, enthaltend 40-O-(2-Hydroxyethyl)-Rapamycin sinnfällig hergerichtet zur Verwendung in Kombination mit einem (…) bei der Behandlung von hormonrezeptorpositiven Brusttumoren,
  5. anzubieten, in den Verkehr zu bringen oder zu gebrauchen, oder zu den genannten Zwecken einzuführen oder zu besitzen;
  6. 2. den Klägerinnen zu 1) und 3) unter Vorlage eines einheitlichen, chronologisch geordneten Verzeichnisses vollständig Auskunft zu erteilen, in welchem Umfang sie die im Tenor zu Ziffer I.1 bezeichneten Handlungen seit dem 22. Mai 2019 begangen hat, und zwar unter Angabe:
    a) der Namen und Anschriften der Hersteller, Lieferanten und anderer Vorbesitzer,
    b) der Namen und Anschriften der gewerblichen Abnehmer sowie der Verkaufsstellen, für die die Erzeugnisse bestimmt waren,
    c) der Menge der hergestellten, ausgelieferten, erhaltenen oder bestellten Erzeugnisse sowie der Preise, die für die betreffenden Erzeugnisse bezahlt wurden, wobei zum Nachweis der Angaben die entsprechenden Kaufbelege (nämlich Rechnungen, hilfsweise Lieferscheine) in Kopie vorzulegen sind, wobei geheimhaltungsbedürftige Details außerhalb der auskunftspflichtigen Daten geschwärzt werden dürfen;
  7. 3. den Klägerinnen zu 1) und 3) unter Vorlage eines einheitlichen, chronologisch geordneten Verzeichnisses Rechnung zu legen, in welchem Umfang sie die im Tenor zu Ziffer I.1 bezeichneten Handlungen seit dem 22. Juni 2019 begangen hat, und zwar unter Angabe:
    a) der einzelnen Lieferungen, aufgeschlüsselt nach Liefermengen, -zeiten und -preisen unter Einschluss von Produktbezeichnungen sowie der Namen und Anschriften der Abnehmer,
    b) der einzelnen Angebote, aufgeschlüsselt nach Angebotsmengen, -zeiten und -preisen unter Einschluss von Produktbezeichnungen sowie der Namen und Anschriften der Angebotsempfänger,
    c) der betriebenen Werbung, aufgeschlüsselt nach Werbeträgern, deren Auflagenhöhe, Verbreitungszeitraum und Verbreitungsgebiet, und
    d) der nach den einzelnen Kostenfaktoren aufgeschlüsselten Gestehungskosten und des erzielten Gewinns,
    wobei
    es der Beklagten nach ihrer Wahl vorbehalten bleibt, die Namen und Anschriften ihrer Angebotsempfänger und ihrer nicht gewerblichen Abnehmer statt den Klägerinnen zu 1) und 3) einem von den Klägerinnen zu 1) und 3) zu bezeichnenden, zur Verschwiegenheit verpflichteten, für die Bundesrepublik Deutschland vereidigten Wirtschaftsprüfer mitzuteilen, sofern sie dessen Kosten trägt und ihn ermächtigt und verpflichtet, den Klägerinnen zu 1) und 3) auf konkrete Anfrage darüber Auskunft zu erteilen, ob ein bestimmter Abnehmer oder ein bestimmter Angebotsempfänger in der Rechnungslegung enthalten ist, und wobei
    die Auskunft und die Rechnungslegung von der Beklagten in einer mittels EDV auswertbaren, elektronischen Form zu übermitteln sind;
    4. die jeweils in ihrem unmittelbaren oder mittelbaren Besitz oder Eigentum befindlichen, im Tenor zu Ziffer I.1 bezeichneten Erzeugnisse zu vernichten oder nach ihrer Wahl an einen von ihr zu benennenden Gerichtsvollzieher zum Zwecke der Vernichtung auf ihre Kosten herauszugeben, wobei es der Beklagten vorbehalten bleibt, allein die Packungsbeilage der Arzneimittel XXX 2,5 mg“, „XXX 5 mg“, und “ XXX 10 mg“ zu vernichten;
    5. die bereits an Abnehmer seit dem 22. Juni 2019 in Verkehr gebrachten, im Tenor zu Ziffer I.1 bezeichneten Erzeugnisse unter Hinweis auf die gerichtlich festgestellte Verletzung des Klagepatents und mit der verbindlichen Zusage zurückzurufen, etwaige Entgelte zu erstatten sowie notwendige Verpackungs- und Transportkosten sowie mit der Rückgabe verbundene Zoll- und Lagerkosten zu übernehmen und die Komponenten wieder an sich zu nehmen.
  8. II. Es wird festgestellt, dass die Beklagte verpflichtet ist,
    1. den Klägerinnen zu 1) und 3) allen Schaden zu ersetzen, der diesen durch die im Tenor zu Ziffer I.1 bezeichneten Handlungen seit dem 22. Juni 2019 bereits entstanden ist und/oder noch entstehen wird, sowie
    2. der Klägerin zu 1) weiterhin auch allen Schaden zu ersetzen, der der Klägerin zu 2) durch die im Tenor zu Ziffer I.1 bezeichneten Handlungen vom 22. Juni 2019 bis zum 8. Mai 2020 entstanden ist.
    III. Die Kosten des Rechtsstreits werden der Beklagten auferlegt.
    IV. Das Urteil ist insgesamt gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 1.000.000,00 EUR vorläufig vollstreckbar.
    Daneben sind die Ansprüche auf Unterlassung, Vernichtung und Rückruf (Ziffern I.1, I.4 und I.5 des Tenors) gemeinsam gesondert vorläufig vollstreckbar gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 750.000,00 EUR. Die Ansprüche auf Auskunft und Rechnungslegung (Ziffern I.2 und I.3 des Tenors) sind gemeinsam gesondert vorläufig vollstreckbar gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 100.000,00 EUR. Die Kostenentscheidung ist gesondert vorläufig vollstreckbar gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrags.
  9. Tatbestand
  10. Die Klägerinnen nehmen die Beklagte wegen Patentverletzung auf Unterlassung, Auskunft und Rechnungslegung, Rückruf und Vernichtung sowie Feststellung der Schadenersatzpflicht dem Grunde nach in Anspruch.
    Die Klägerin zu 1) ist die in das Register des Deutschen Patent- und Markenamts eingetragene Inhaberin des deutschen Teils des Europäischen Patents EP 3 XXX 246 B1 (nachfolgend als Klagepatent bezeichnet). Die Klagepatentschrift wurde als Anlage FBD-B-6 und in deutscher Übersetzung als Anlage FDB-B-6a zur Gerichtsakte gereicht. Das in englischer Verfahrenssprache erteilte Klagepatent wurde unter Inanspruchnahme der Prioritäten der britischen Patentanmeldungen GB XXX vom 19.02.2001 und GB XXX vom 17.10.2001 mit dem Anmeldedatum der Stammanmeldung vom 18.02.2001 angemeldet. Die Veröffentlichung der Anmeldung erfolgte am 25.07.2018, die Bekanntgabe der Erteilung am 22.05.2019. Der deutsche Teil des Klagepatents steht in Kraft. Die Einspruchsabteilung des Europäischen Patentamts hat den u.a. durch die Beklagte erhobenen Einspruch mit Entscheidung vom 21.10.2021 zurückgewiesen und das Klagepatent vollumfänglich aufrechterhalten (Mitteilung des EPA bzgl. Entscheidung vom 21.10.2021 vorgelegt als Anlage FBD 120/120a). Am Schluss der mündlichen Verhandlung vor der hiesigen Kammer hat die Begründung der Entscheidung der Einspruchsabteilung noch nicht vorgelegen. Gegen die Entscheidung ist bereits Beschwerde eingelegt worden.
  11. Die Klägerin zu 2) ist durch eine Verschmelzung mit der Klägerin zu 1) mit Wirkung vom 08.05.2020 vollständig in der Klägerin zu 1) aufgegangen. Die Klägerin zu 3), ebenfalls ein Unternehmen aus dem Novartis-Konzern, ist alleinige Lizenznehmerin, die über eine ausschließlich Lizenz am Klagepatent verfügt.
  12. Das Klagepatent betrifft ein Rapamycin-Derivat zur Behandlung eines soliden Tumors, der mit deregulierter Angiogenese assoziiert ist.
  13. Der geltend gemachte Anspruch 1 des Klagepatents lautet in der maßgeblichen englischen Verfahrenssprache:
    40-O-(2-hydroxyethyl)-rapamycin for use in combination with an aromatase inhibitor for the treatment of hormone receptor positive breast tumors.
  14. In deutscher Übersetzung:
  15. 40-O-(2-Hydroxyethyl)-rapamycin zur Verwendung in Kombination mit einem (…) bei der Behandlung von hormonrezeptorpositiven Brusttumoren.
  16. Die unten verkleinert dargestellte Formel 1 zeigt nach Absatz [0002] des Klagepatents beispielhafte Verbindungen der Rapamycin-Derivate.
  17. Die Beklagte erhielt am 17.10.2018 von dem Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte arzneimittelrechtliche Marktzulassungen für das B-Generikum „XXX“ (im Folgenden: die angegriffene Ausführungsform) in verschiedenen Dosierungen (2,5 mg/ 5 mg/10 mg).
    Die Zulassungen mit den Zulassungsnummern XX.00.00, XX.00.00 und XX.00.00 beziehen sich u.a. auf die Verwendung der angegriffenen Ausführungsformen in der BT-Indikation, d.h. zur Therapie des hormonrezeptorpositiven, HER2/neu-negativen, fortgeschrittenen Mammakarzinoms bei postmenopausalen Frauen ohne symptomatische viszerale Metastasierung. Unter dem 15.06.2019 wurde das Label unter ausdrücklicher Aufnahme der BT-Indikation in die Lauer-Taxe eingetragen.
  18. Die Klägerin ist der Ansicht, das Klagepatent werde sich auch im Beschwerdeverfahren gegen die Einspruchsentscheidung als vollumfänglich rechtsbeständig erweisen.
    Eine unzulässige Erweiterung sei zu verneinen, da insbesondere die Kombination von Aund einem (…) hinreichend unmittelbar und eindeutig bereits in der Anmeldeschrift offenbart sei. Die Entscheidung des EPA hinsichtlich des EP 603 sei nicht übertragbar, da das Klagepatent keine Auswahl eines Aromatasehemmers erfordere. Insbesondere sei keine Auswahl von A– der gebräuchliche Handelsname für 40-O-(2-Hydroxyethyl)-rapamycin – für eine Kombinationstherapie aus verschiedenen Listen erforderlich, da die Anmeldung A auch in der Kombinationstherapie klar bevorzuge. Dies sei insbesondere durch die Prüfungsabteilung des EPA bestätigt worden, die das Klagepatent im April 2019 bei – insoweit unstreitig– – ausdrücklicher Auseinandersetzung mit der EP 603- Einspruchsentscheidung erteilt hätten.
  19. Anspruch 1 nehme jedenfalls das zweite Prioritätsdatum vom 17. Oktober 2001 wirksam in Anspruch.
  20. Eine unzureichende Ausführbarkeit der klagepatentgemäßen Erfindung sei ebenfalls zu verneinen, da in der Anmeldeschrift eine therapeutische Wirkung wenigstens plausibel dargelegt sei, was für eine Ausführbarkeit hinreichend sei.
  21. Die Erfindungshöhe sei zu bejahen. Ausgehend von dem nach Auffassung der Klägerinnen nächstliegenden Stand der Technik, der Entgegenhaltung WO 00/XX (Anlage VP-B7, nachfolgend bezeichnet als Entgegenhaltung D 8), wovon die Einspruchsabteilung ebenfalls ausgehe, liege die klagepatentgemäße Erfindung unter Berücksichtigung der von der Beklagten vorgebrachten Kombinationen mit anderen Druckschriften nicht nahe. Gleiches gelte, wenn man als Ausgangspunkt die Druckschrift WO 97/XXX A1 (Anlage VP-B11, nachfolgend bezeichnet als Entgegenhaltung D 7) ansehe.
    Insbesondere erbringe das Klagepatent den Nachweis dafür, dass die Kombination von Amit einem Aromatasehemmer bei der Behandlung von Brustkrebs wirksam sein könne und dass dieser Effekt auch überraschend war. Zugleich zeige die Anmeldung, dass die beanspruchte Kombination zur Behandlung von hormonrezeptorpositiven Brusttumoren gerade auch gegenüber der Kombination der D8 wirksamer und verbessert sei. Weder die D8 noch eines der anderen von der Beklagten zitierten Dokumente enthalte einen Vorschlag zur Kombination eines Aromatasehemmers mit B. Vielmehr lehre die D8 herkömmliche zytotoxistische Wirkstoffe zu verwenden, die den Prozess der Zellteilung hemmen. Hierbei handele es sich gerade nicht um eine zielgerichtete Therapie wie zB bei B, welche gesunde Zellen zum Großteil unangetastet lasse. Die Entgegenhaltung Beuvink et al (Anlage VP B9, nachfolgend bezeichnet als D 10) lehre diese vor allem, dass die molekulare Hemmung nicht ausreiche, um eine therapeutische Anti-Tumor-Wirkung hervorzurufen. Der Fachmann habe daher kein Interesse an der in der D10 genannten Verbindung RAD001. Im Übrigen enthalte die D10 nur einen kurzen Hinweis auf in vivo-Informationen, so dass die D10 keinen fundierten Hinweis auf eine erfolgsversprechende Wirksamkeit von RAD001 gegen Tumore in vivo sowie gegen solide Tumore oder gar hormonrezeptorpositive Brusttumore gehabt habe. Soweit sich die Beklagte auf eine Kombination der D8 mit der WO 01/XX (Anlage VP B8, nachfolgend bezeichnet als D22) beziehe, verkenne diese Argumentation, dass sich die D22 ausschließlich der Behandlung von lymphoproliferativen Erkrankungen widme. Diese Erkenntnis ließe sich nicht ohne weiteres auf solide Tumore und insbesondere hormonrezeptorpositive Tumore übertragen.
    In Bezug auf die D7 tragen die Klägerinnen vor, dass sich die D7 Rapamycin und Octreotid, sowohl einzeln als auch in Kombination, als wirksamste Verbindung zur zielgerichteten Krebstherapie darstelle, während sich A in den dargelegten Versuchen als nicht signifikant wirksam dargestellt habe, so dass die D7 den Fachmann eher dazu veranlasst hätte, für die Behandlung von Tumoren gerade nicht A einzusetzen.
  22. Die Klägerinnen beantragen,
    – wie erkannt –.
    Die Beklagte beantragt,
    die Klage abzuweisen,
    hilfsweise,
    den Rechtsstreit bis zu einer rechtskräftigen Entscheidung im parallelen Einspruchsverfahren gegen das Klagepatent EP 3 XXX 246 vor dem Europäischen Patentamt auszusetzen.
  23. Die Beklagte ist der Ansicht, das Klagepatent werde im Beschwerdeverfahren wegen fehlender erfinderischer Tätigkeit vernichtet werden. Das Klagepatent nehme weder die erste noch die zweite Priorität wirksam in Anspruch. Ferner lägen der Nichtigkeitsgrund der unzulässigen Erweiterung und der mangelnden Ausführbarkeit vor.
    Es fehle an einer Ausführbarkeit auf Grund unzureichender Offenbarung. Der Ursprungsoffenbarung fehle es in Bezug auf eine verbesserte Wirkung der klagepatentgemäßen Lehre gegenüber der im Stand der Technik vorbekannten Therapiemethoden an einer hinreichenden Plausibilität. Insbesondere ließen sich die Daten zu den im Klagepatent offenbarten in vitro-Experimenten, die unstreitig andere Tumorarten beträfen, nicht auf hormonrezeptorpositiven Brustkrebs übertragen. Zur Wirksamkeit der (…)fänden sich keine experimentellen Belege in der Anmeldung, so dass der Fachmann der Anmeldung auch keine konkreten Ergebnisse zur Wirksamkeit einer Kombination eines (…) mit A entnehmen könne. Ferner enthalte das Klagepatent keinerlei Versuchsergebnisse zum Nachweis der Wirksamkeit von A bei der Behandlung von Brusttumoren, insbesondere nicht hinsichtlich der Untergruppe von hormonrezeptorpositiven Brusttumoren.
    Das Klagepatent nehme weiter die Prioritäten nicht wirksam in Anspruch. So erwähne das Dokument GB XXX (erste Priorität) vom 19.02.2001 nicht die Möglichkeit der Verwendung von (…). Das Dokument GB 0124957.2 (zweite Priorität) erwähne zwar eine Liste von (…), nicht jedoch die Verbindungen Atamestan, Roglethimide, Pyridoglutethimid, Trilostan, Testolacton und Ketoconazol. Soweit sich die Ansprüche des Klagepatents auf diese Verbindungen bezögen, könnten diese nicht von der Priorität vom 17.10.2001 profitieren. Zum Stand der Technik zählten somit die Dokumente Buzdar et al. (Anlage VP-B3), D 22 und D 10.
  24. Es fehle weiter an der erfinderischen Tätigkeit. Der Gegenstand des Klagepatents ergebe sich in naheliegender Weise aus dem Stand der Technik. Da kein Dokument des Stands der Technik die Kombination aus 40-O-(2-hydroxyethyl-rapamycin mit einem (…) zur Behandlung von Tumoren explizit offenbare, könne prinzipiell jegliches Dokument des Standes der Technik, welches entweder 40-O-(2-Hydroxyethyl)-rapamycin oder einen (…) zur Behandlung von Tumoren offenbare als ein geeigneter Stand der Technik zur Bewertung der erfinderischen Tätigkeit angesehen werden.
    Der Gegenstand der Ansprüche sei im Hinblick auf die WO 00/XXX (Anlage VP-B7/D8) in Kombination mit der D22, alternativ in Kombination mit der Entgegenhaltung D10, nicht erfinderisch. Die D8 offenbare die Kombination aus einem beliebigen Anti-Neoplastischen Wirkstoff (Wirkstoff zur Behandlung von Tumoren) mit einem (…) wie Exemestan zur Verwendung bei der Behandlung von hormonrezeptorpositiven Brusttumoren. Die angebliche Erfindung unterscheide sich demnach von der D8 allein in der Auswahl von 40-O-(2-Hydroxyethyl)-rapamycin als Anti-Neoplastischen Wirkstoff. Die D8 stelle klar, dass es ein Hauptziel in der Brustkrebstherapie sei, neue Behandlungsmethoden zu entwickeln, welches das Ansprechen des Tumors verbessere bzw. die Überlebensrate erhöhe. Der Fachmann werde also bereits durch die D8 veranlasst, nach weiteren Behandlungsmethoden zur Brustkrebsbehandlung zu suchen. Damit rücke die D22 unweigerlich ins Blickfeld des Fachmanns, da diese weitere Wirkstoffe mit Anti-Neoplastischen Eigenschaften beschreibe. Diese lehre explizit, dass 40-O-(2-Hydroxyethyl)-rapamycin zur Verwendung in der Behandlung von Brusttumoren geeignet sei sowie dass es die Metastasierung hemme, das Tumorzellenwachstum sowie die Tumorzellprofileration inhibiere und den Tod von Tumorzellen induziere. Entsprechendes gelte für die D10. In dieser würden insbesondere die anti-proliferativen Eigenschaften von RAD001, einem gebräuchlichen Synonym für 40-O-(2-Hydroxyethyl)-rapamycin, gegen eine Reihe von menschlichen Tumorzellen sowie die Hemmung des Wachstums von menschlichen Tumorzellen einschließlich die Hemmung des Wachstums von menschlichen Tumor-Xenotransplantaten in Mäusen beschrieben. Wie sich aus der Entgegenhaltung Dumont F.J (Anlage VP-B10/D34) ergebe, habe der Fachmann spätestens im September 2011 gewusst, dass es sich bei RAD001 um das erfindungsgemäße Rapamycinderivat A handele.
    Zudem sei der Gegenstand der Ansprüche im Hinblick auf die WO 97/47317 (Anlage VP-B11/D7) und dem allgemeinem Fachwissen des Fachmanns nicht erfinderisch, was durch Buzdar et al. (Anlage VP-B3/D18) belegt werde. Die D7 offenbare eine Kombination von Rapamycin oder Derivaten davon mit Somatostatin-Analoga zur Behandlung von Brustkrebs. 40-O-(2-Hydroxyethyl)-rRapamycin werde als bevorzugtes Rapamycin-Derivat im Sinne der D7 hervorgehoben und in allen Ausführungsbeispielen der D7 verwendet. Der Fachmann erkenne im Zusammenhang mit dem dort dargestellten Versuch A sowohl dass 40-O-(2-Hydroxyethyl)-rapamycin als alleiniger Wirkstoff das Wachstum von AR42J-Tumorzellen um fast 40% hemme als auch, dass die Kombination von 40-O-(2-Hydroxyethyl)-rRapamycin mit einem weiteren tumorhemmenden Wirkstoff, nämlich Octreotid, zu besseren Resultaten führe, nämlich zu einer Reduktion von rund 85%. Die D7 lehre insoweit, dass der synergistische Effekt darauf beruhe, dass Rapamycin(derivate) und der weitere Wirkstoff einen unterschiedlichen Wirkmechanismus aufwiesen. Anders als bei 40-O-(2-Hydroxyethyl)-rRapamycin wiesen Somatostatin-Analoga wie Octreotid zahlreiche Nachteile bei der Verabreichung auf, so dass der Fachmann konkrete Anlässe habe, als Alternative zu Somastostatin-Analoga andere Wirkstoffe zur Behandlung von Brustkrebs zu verwenden, welche ebenfalls einen zu 40-O-(2-Hydroxyethyl)-rapamycin unterschiedlichen Wirkmechanismus zeigten und jedenfalls weniger Nachteile als die Somatostatin-Analoga aufwiesen. Kraft allgemeinen Fachwissens sei dem Fachmann bekannt, dass (…) über einen gänzlich anderen Wirkmechanismus als 40-O-(2-Hydroxyethyl)-rapamycin verfügten sowie dass der (…) Exemestan durch die orale Verabreichbarkeit und einer langen terminalen Halbwertzeit erhebliche Vorteile gegenüber anderen (…) aufweise. Für den Fachmann sei es daher naheliegend das Somatostatin-Analogon durch einen (…) wie Exemestan auszutauschen.
  25. Es fehle schließlich am Erfordernis der ausreichenden Offenbarung, so dass eine unzulässige Erweiterung vorliege. Um zur klagepatentgemäßen Lehre zu gelangen, müsse der Fachmann – unzulässigerweise – in der Anmeldung (vorgelegt als Anlage VP-B1) eine Auswahl aus mehreren Listen treffen. Die erste Auswahl betreffe die Beschränkung auf Brusttumore, welcher in der Anmeldung lediglich als bestimmte sonstige Tumore in dieser Liste erwähnt sei. Sodann müsse er ein spezifisches Rapamycinderivat der Formel I, nämlich 40-O-(2-Hydroxyethylrapamycin), und die Kombination mit einem Aromatasehemmer als Co-Wirkstoff auswählen. Diese Mehrfachauswahl werde durch die ursprünglich eingereichte Beschreibung und die Stammanmeldung nicht offenbart, wobei auch die als Anlage VP-A1 vorgelegte Entscheidung der Einspruchsabteilung zum Schwesterpatent EP 2 XXX 603 Berücksichtigung finden müsse.
    Das Gericht hat den Parteien und den Prozessbevollmächtigten von Amts wegen gestattet, sich während der mündlichen Verhandlung an einem anderen Ort aufzuhalten und dort Verfahrenshandlungen über den von der Justiz des Landes NRW zur Verfügung gestellten Virtuellen Meetingraum (VMR) vorzunehmen. Davon haben insbesondere die Prozessbevollmächtigten Gebrauch gemacht
    Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird ergänzend Bezug genommen auf die wechselseitig zur Gerichtsakte gereichten Schriftsätze der Parteien nebst Anlagen sowie auf das Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 16.11.2021.
  26. Entscheidungsgründe
  27. Die zulässige Klage ist begründet. Die Klägerinnen haben Ansprüche gegen die Beklagte auf Unterlassung, Auskunft- und Rechnungslegung, Vernichtung, Rückruf und Feststellung der Schadensersatzpflicht nach Art. 64 Abs. 1 EPÜ i.V.m. §§ 139 Abs. 1, 3, 140a Abs. 1, 3, 140b Abs. 1 PatG, §§ 242, 259 BGB.
  28. Die Beklagte verletzt das Klagepatent unmittelbar und wortsinngemäß durch sinnfällig hergerichtetes Anbieten der angegriffenen Ausführungsform (hierzu unter I. und II.). Aus der Klagepatentverletzung resultieren die zuerkannten Rechtsfolgen (hierzu unter III.). Der Rechtsstreit wird nicht nach § 148 ZPO ausgesetzt (hierzu unter IV.).
  29. I.
    Das Klagepatent betrifft die Verwendung von Rapamycin-Derivaten zur Behandlung von soliden Tumoren.
  30. Nach Absatz [0001] des Klagepatents (nachfolgend sind Absätze ohne nähere Quellenangabe solche des Klagepatents) handelt es sich bei Rapamycin um ein bekanntes Makrolidantibiotikum, welches von bestimmten Bakterien produziert wird. Es existieren diverse Rapamycinderivate, die unter anderem in den Verbindungen nach der in Absatz [0002] dargestellten Formel 1 bestehen.
  31. Nach dem Klagepatent ist aus dem Stand der Technik eine Medikamentenkombination beinhaltend ein Rapamycin-Makrolid zur Behandlung von Zell-Hyperproliferation (Absatz [0005]) bekannt. Ferner beschreibe die WO 94/XXX immunsuppressive Wirkungen von Rapamycin-Derivaten (Absatz [0006]). Ein weiteres Dokument aus dem Stand der Technik beschreibe immunsuppressive, antiangiogene und Tumor hemmende Wirkungen von Rapamycin (Absatz [0007]). In der Druckschrift WO 94/XXX wurde das Rapamycin-Derivat 40-O-(2-Hydroxyethyl)rapamycin, in der Klagepatentschrift auch als Verbindung A bezeichnet, auch bekannt unter dem Handelsnamen B, veröffentlicht (Absatz [0008]).
  32. Das Klagepatent beschreibt es als Notwendigkeit und damit als technische Aufgabe, das Instrumentarium zur Behandlung fester Tumore zu erweitern.
  33. Zur Lösung schlägt es eine Verwendung von 40-O-(2-Hydroxyethyl)rapamycin nach Anspruch 1 des Klagepatents vor, der sich in die folgenden Merkmale gliedern lässt:
  34. 1. 40-O-(2-Hydroxyethyl)rapamycin,
    2. zur Verwendung in Kombination mit einem (…),
    3. bei der Behandlung von hormonrezeptorpositiven Brusttumoren.
  35. II.
    Bei den angegriffenen Ausführungsformen handelt es sich um ein klagepatentgemäßes Erzeugnis nach § 9 S. 2 Nr. 1 PatG.
  36. Bei einem auf eine bestimmte Verwendung gerichteten Patent – so liegt der Fall hier – ist eine unmittelbare Verletzung dann zu bejahen, wenn der Patentverletzende den geschützten Stoff für die geschützte Verwendung sinnfällig hergerichtet hat (BGH, GRUR 2001, 730 – Trigonelitin). Eine solche sinnfällige Herrichtung liegt vor, wenn das Arzneimittel so aufbereitet wird, dass es mit ihm absehbar zu dem geschützten therapeutischen Gebrauch kommt. Solches kann durch eine auf den speziellen Verwendungszweck abgestellte Formulierung und Konfektionierung des Arzneimittels sowie durch seine Dosierung, aber auch z.B. durch Beifügung einer Gebrauchsanleitung in Form eines Beipackzettels oder einen Hinweis auf der Umverpackung geschehen (vgl. OLG Düsseldorf, GRUR 2017, 1107; vgl. auch OLG Düsseldorf, BeckRS 2013, 11782; BeckRS 2014, 21947 m. w. N.).
  37. Dies ist hier der Fall.
  38. 1.
    Bei der angegriffenen Ausführungsform handelt es sich um den Wirkstoff 40-O-(2-Hydroxyethyl)rapamycin (B) nach Merkmal 1 des Klagepatents.
  39. 2.
    Die angegriffene Ausführungsform ist zur klagepatentgemäßen Verwendung sinnfällig hergerichtet.
  40. Sowohl die Marktzulassung als auch das Label der Lauer-Taxe beziehen die Indikation der angegriffenen Ausführungsform auf die Verwendung in Kombination mit Exemestan, einem (…) im Sinne des Merkmals 2, zur Behandlung von hormonrezeptorpositiven Brusttumoren nach Merkmal 3.
  41. III.
    Aus der festgestellten Klagepatentverletzung folgen die zuerkannten Rechtsfolgen.
  42. 1.
    Der Unterlassungsanspruch folgt aus Art. 64 Abs. 1 EPÜ i.V. § 139 Abs. 1 PatG. Er ist entsprechend der Antragskonkretisierung der Klägerinnen auf die sinnfällige Herrichtung der klagepatentgemäßen Kombination gerichtet.
  43. 2.
    Die Klägerinnen zu 1) und zu 3) haben ferner gegen die Beklagte einen Anspruch auf Schadensersatz dem Grunde nach (§ 139 Abs. 2 PatG) für patentverletzende Handlungen. Die Tenorierung berücksichtigt hierbei die Rechtsnachfolge der Klägerin zu 1) in Bezug auf die Ansprüche der Klägerin zu 2) vor dem Verschmelzungszeitpunkt.
  44. Als Fachunternehmen hätte die Beklagte die Klagepatentverletzung durch die angegriffene Ausführungsform bei Anwendung der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt erkennen können, § 276 BGB.
  45. Die genaue Schadenshöhe steht derzeit noch nicht fest. Da es jedoch ausreichend wahrscheinlich ist, dass den Klägerinnen durch die rechtsverletzenden Handlungen der Beklagten ein Schaden entstanden ist, der von den Klägerinnen noch nicht beziffert werden kann, weil sie ohne eigenes Verschulden in Unkenntnis über den Umfang der Verletzungshandlungen sind, ist ein rechtliches Interesse der Klägerinnen an einer Feststellung der Schadenersatzverpflichtung dem Grunde nach anzuerkennen, § 256 ZPO.
  46. 3.
    Der Anspruch auf Auskunft über die Herkunft und den Vertriebsweg der angegriffenen Ausführungsform ergibt sich aufgrund der unberechtigten Benutzung des Erfindungsgegenstands unmittelbar aus § 140b Abs. 1 PatG, der Umfang der Auskunftspflicht aus § 140b Abs. 3 PatG.
  47. Damit die Klägerinnen zu 1) und 3) in die Lage versetzt werden, ihre Schadensersatzansprüche zu beziffern, steht ihnen gegen die Beklagte ferner ein Anspruch auf Auskunft im zuerkannten Umfang aus §§ 242, 259 BGB zu. Die Klägerinnen sind auf die Angaben angewiesen, über die sie ohne eigenes Verschulden nicht verfügen; die Beklagte wird durch die von ihr verlangten Auskünfte nicht unzumutbar belastet.
  48. 4.
    Der Vernichtungsanspruch folgt aus § 140a Abs. 1 S. 1 PatG. Eine Unverhältnismäßigkeit nach § 140a Abs. 4 PatG ist angesichts dessen, dass der Beklagten vorbehalten bleibt, allein die Packungsbelege zu vernichten, nicht ersichtlich.
  49. 5.
    Ein Anspruch auf Rückruf besteht ebenfalls nach § 140a Abs. 3 PatG. Auch insoweit lässt sich keine Unverhältnismäßigkeit gemäß § 140a Abs. 4 PatG ersehen.
  50. IV.
    Der Rechtsstreit ist schließlich nicht nach § 148 ZPO auszusetzen.
  51. 1.
    Wenn das Klagepatent mit einem Einspruch oder mit einer Patentnichtigkeitsklage angegriffen ist, verurteilt das Verletzungsgericht, wenn es eine Verletzung des in Kraft stehenden Patents bejaht, grundsätzlich nur dann wegen Patentverletzung, wenn es eine Nichtigerklärung nicht für hinreichend wahrscheinlich hält; andernfalls hat es die Verhandlung des Rechtsstreits nach § 148 ZPO auszusetzen, bis jedenfalls erstinstanzlich über die Nichtigkeitsklage entschieden ist (BGH, GRUR 2014, 1237, 1238 – Kurznachrichten).
    Wurde das Klagepatent bereits – wie hier – in einem Einspruchs- oder Nichtigkeits-verfahren bestätigt, so hat das Verletzungsgericht grundsätzlich die von der zustän-digen Fachinstanz (DPMA, EPA, BPatG) nach technisch sachkundiger Prüfung getroffene Entscheidung über die Aufrechterhaltung des Klagepatents hinzunehmen. Grund, die parallele Rechtsbestandsentscheidung in Zweifel zu ziehen und von einer Verurteilung vorerst abzusehen, besteht nur dann, wenn das Verletzungsgericht die Argumentation der Einspruchs- oder Nichtigkeitsinstanz für unvertretbar hält oder wenn der Angriff auf den Rechtsbestand nunmehr auf (z. B. neue) erfolgversprechende Gesichtspunkte gestützt wird, die die bisher mit der Sache befassten Stellen noch nicht berücksichtigt und beschieden haben (vgl. ständige Rechtsprechung des OLG Düsseldorf, Urt. vom 06.12.2012, Az.: I – 2 U 46/12, BeckRS 2013, 13744; Urt. v. 17.10.2019, Az.: I-2 U 11/18, BeckRS 2019, 31342; OLG Düsseldorf, Urt. v. 08.04.2021, Az.: I-2 U 13/20, GRUR-RS 2021, 8206; GRUR-RS 2021, 32045).
    Nach der Rechtsprechung des OLG Düsseldorf zum einstweiligen Verfügungsverfahren kann dem Antragsteller bzw. Verfügungskläger im Regelfall eine einstweilige Verfügung nicht allein deshalb vorenthalten werden, weil das Verletzungsgericht seine eigene (laienhafte) Bewertung des technischen Sachverhalts an die Stelle der Beurteilung durch die zuständige Einspruchs- oder Nichtigkeitsinstanz setzt (vgl. OLG Düsseldorf, Urt. v. 09.07.2021, Az.: I-2 U 4/21 m.w.N.). Solches verbietet sich insbesondere, wenn es sich um eine technisch komplexe Materie (z.B. aus dem Bereich der Chemie) handelt, in Bezug auf die die Einsichten und Beurteilungsmöglichkeiten des technisch nicht vorgebildeten Verletzungsgerichts von vornherein limitiert sind. Geht es nicht darum, dass z.B. Passagen einer Entgegenhaltung von der Einspruchsabteilung übersehen und deshalb bei der Entscheidungsfindung überhaupt nicht in Erwägung gezogen worden sind, sondern dreht sich der Streit der Parteien darum, welche technische Information einem im Bestandsverfahren gewürdigten Text aus fachmännischer Sicht zu entnehmen und welche Schlussfolgerungen der Durchschnittsfachmann hieraus aufgrund seines allgemeinen Wissens zu ziehen imstande gewesen ist, sind die Rechtsbestandsinstanzen aufgrund der technischen Vorbildung und der auf dem speziellen Fachgebiet erworbenen beruflichen Erfahrung ihrer Mitglieder eindeutig in der besseren Position, um hierüber ein Urteil abzugeben. Es ist daher grundsätzlich ausgeschlossen, dass sich das Verletzungsgericht mit (notwendigerweise laienhaften) eigenen Erwägungen über das Votum der technischen Fachleute hinwegsetzt und eine Unterlassungsverfügung verweigert (vgl. OLG Düsseldorf, GRUR-RS 2021, 32045).
    Für die im Hauptsacheverfahren zu beantwortende Aussetzungsfrage gilt dies gleichermaßen (vgl. OLG Düsseldorf, GRUR-RS 2021, 32045). Auch hier steht es dem Verletzungsgericht regelmäßig nicht zu, sich in technisch hochkomplexen Fällen, in denen es im Wesentlichen um den Offenbarungsgehalt und die Kombinationsmöglichkeiten verschiedener Schriften geht, über die durch die für den Rechtsbestand zuständige fachkundige Stelle getroffene Bewertung hinwegzusetzen und dem Kläger die Durchsetzung seines Schutzrechts durch eine Aussetzung für einen erheblichen Zeitraum zu verwehren (vgl. OLG Düsseldorf, GRUR- RS 2021, 32045).
  52. 2.
    Dies zu Grunde gelegt, sieht die Kammer angesichts der uneingeschränkten Aufrechterhaltung des Klagepatents keinen Raum für eine Aussetzung. Die Einspruchsabteilung hat mit Entscheidung vom 21.10.2021 das Klagepatent vollumfänglich aufrechterhalten (vgl. Anlagen FBD 120/120a).
  53. Der Einwand der Beklagten, wonach es ihr mangels Vorliegen der Entscheidungsgründe bislang faktisch nicht möglich sei, eine evidente Unrichtigkeit der Entscheidung des EPA aufzuzeigen, ändert hieran nichts. Zwar kann das Verletzungsgericht in krassen Ausnahmefällen der evidenten Unrichtigkeit von der Beurteilung der Einspruchsentscheidung abweichen. Mit dem OLG Düsseldorf (vgl. GRUR 2021, 32045) sieht die Kammer diese eher theoretische Konstellation aber nicht als ausreichend an, um das Interesse der Klägerinnen an einem Titel zurücktreten zu lassen. Hier kommt noch erschwerend hinzu, dass das Klagepatent kurz vor Ende seiner Laufzeit steht und der Unterlassungsanspruch für die Klägerinnen anderenfalls faktisch nicht mehr durchsetzbar wäre.
  54. So liefe das generelle Hinausschieben der Entscheidung im hiesigen Verfahren letztlich auf einen Generalverdacht gegenüber der Rechtsbestandsinstanz und der Verlässlichkeit ihrer technischen Beurteilung hinaus, der unangebracht ist. Besonders gilt dies in technisch komplexen Angelegenheiten, um die es sich auch im hiesigen Verfahren handelt. Dass sich die getroffene Rechtsbestandsentscheidung aus der technischen Laiensicht des Verletzungsrichters als nicht nur evident falsch begründet erweist, sondern als im Ergebnis offensichtlich unzutreffend entschieden darstellt, ist zwar theoretisch denkbar, wird sich in der Praxis aber – abgesehen von ganz speziell gelagerten, krassen Ausnahmefällen abgesehen – kaum feststellen lassen. In Anbetracht dieses forensischen Befundes würde das systemwidrige Abwarten der begründeten Rechtsbestandsentscheidung wegen einer letztlich bloß gedanklich in Betracht kommenden Möglichkeit einer für das Verletzungsgericht erkennbaren Fehlentscheidung sachlich unangemessene, weil das Rechtsverfolgungsinteresse des Verletzten generalisierend zurückstellende Schlüsse aus einem allenfalls singulär denkbaren Ausnahmesachverhalt ziehen (vgl. OLG Düsseldorf, GRUR 2021, 32045).
  55. Für die Entscheidung über das Aussetzungsbegehren muss daher – gerade bei Erfindungen auf einem dem Verletzungsrichter nicht selbst zugänglichen technischen Gebiet wie hier im Bereich der Chemie/Pharmazie – die Tatsache genügen, dass die zuständige Fachinstanz in positiver Weise über das Klagepatent erkannt hat (vgl. OLG Düsseldorf, GRUR 2021, 32045). Indem das EPA im vorliegenden Fall das Klagepatent aufrechterhalten hat, hat es augenscheinlich seine vorläufige Einschätzung vom 10.03.2021 (vorgelegt als Anlage FBD 118/118a) nach der mündlichen Verhandlung bestätigt gesehen.
  56. Für die Kammer ist nach hiesiger mündlichen Verhandlung nicht erkennbar, dass die Einspruchsabteilung eine unzulässige Erweiterung oder eine fehlende erfinderische Tätigkeit auf Basis der Entgegenhaltungen D8 in Kombination mit der D10 evident falsch verneint hat, zumal die Beklagten keinerlei Anhaltspunkte für die Annahme eines solchen krassen Ausnahmefalles dargetan haben.
  57. V.
    Die Kostenentscheidung folgt aus § 91 Abs. 1 ZPO. Hierbei ist die Klägerin zu 1) im Wege der Gesamtrechtsnachfolge auf Grund der vollzogenen Verschmelzung berechtigt, etwaige Kosten der Klägerin zu 2), die bis zum Verschmelzungszeitpunkt (08.05.2020) entstanden sind, geltend zu machen.
  58. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 709 ZPO. Auf Antrag der Klägerinnen waren Teilsicherheiten festzusetzen.

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