4b O 161/10 – Sprüh-Testsysteme

Düsseldorfer Entscheidungen Nr. 3162

Landgericht Düsseldorf

Urteil vom 11. Februar 2021, Az. 4b O 161/10

  1. I. Die Beklagten werden verurteilt,
    der Klägerin in einer geordneten Aufstellung unter Vorlage von Rechnungen, hilfsweise Lieferscheinen, weiter hilfsweise Quittungen, hinsichtlich der Angaben zu 1. – 3. darüber Rechnung zu legen, in welchem Umfang sie im Falle der Beklagten zu 1) und 3) seit dem 5. Januar 2002 und im Falle der Beklagten zu 2) seit dem 20. August 2010
    Testsysteme,
    zur Durchführung eines Verfahrens zur Diagnose oder Therapiekontrolle der Sprue oder Zöliakie,
    Abnehmern im Gebiet der Bundesrepublik Deutschland angeboten und/oder an solche geliefert haben,
    bei dem Antikörper gegen Gewebe-Transglutaminase (tTG) aus Körperflüssigkeiten durch eine Immunreaktion mit Gewebe-Transglutaminase, deren immunreaktiven Sequenzen oder Analoga nachgewiesen werden, wobei die Immunreaktion nicht mit einem Gewebeschnitt eines tierischen oder menschlichen Gewebes durchgeführt wird,
    – Klagepatent EP 0 912 XXX B1 (Hauptanspruch 1) –
    und zwar unter Angabe
    1. der Herstellungsmengen und Herstellungszeiten, aufgeschlüsselt nach Typenbezeichnungen,
    2. der Menge der erhaltenen oder bestellten Erzeugnisse, sowie der Namen und Anschriften der Hersteller, Lieferanten und anderer Vorbesitzer,
    3. der einzelnen Lieferungen, aufgeschlüsselt nach Liefermengen, -zeiten und -preisen und der jeweiligen Typenbezeichnungen, sowie den Namen und Anschriften der Abnehmer einschließlich der Verkaufsstellen, für welche die Erzeugnisse bestimmt waren,
    4. der einzelnen Angebote, aufgeschlüsselt nach Angebotsmengen, -zeiten und -preisen und der jeweiligen Typenbezeichnungen, sowie den Namen und Anschriften der Angebotsempfänger,
    5. der betriebenen Werbung, aufgeschlüsselt nach Werbeträgern, deren Auflagenhöhe, Verbreitungszeitraum und Verbreitungsgebiet, im Falle von Internet-Werbung der Domain, der Zugriffszahlen und der Schaltungszeiträume,
    6. der nach den einzelnen Kostenfaktoren aufgeschlüsselten Gestehungskosten und des erzielten Gewinns,
    wobei den Beklagten vorbehalten bleibt, die Namen und Anschriften der nicht-gewerblichen Abnehmer und Angebotsempfänger statt der Klägerin einem von der Klägerin zu bezeichnenden, ihr gegenüber zur Verschwiegenheit verpflichteten, vereidigten Wirtschaftsprüfer mitzuteilten, sofern die Beklagten dessen Kosten tragen und ihn ermächtigen und verpflichten, der Klägerin auf konkrete Anfrage mitzuteilen, ob ein bestimmter Abnehmer oder Angebotsempfänger in der Aufstellung enthalten ist.
    II. Es wird festgestellt, dass die Beklagten als Gesamtschuldner verpflichtet sind, der Klägerin allen Schaden zu ersetzen, der ihr durch die zu I. bezeichneten, im Falle der Beklagten zu 1) und 3) in der Zeit seit dem 5. Januar 2002 und im Falle der Beklagten zu 2) seit dem 20. August 2010 begangenen Handlungen entstanden ist und noch entstehen wird.
    III. Die Kosten des Rechtsstreits werden der Klägerin zu 15 % und den Beklagten gesamtschuldnerisch zu 85 % auferlegt.
    IV. Das Urteil ist für die Klägerin gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 700.000,00 € vorläufig vollstreckbar, wobei für die teilweise Vollstreckung des Urteils folgende Teilsicherheiten festgesetzt werden:
    Ziffer I. des Tenors: 500.000,00 €.
    Ziffer III. des Tenors: 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages.
    Für die Beklagten ist das Urteil gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des jeweils zu vollstreckenden Betrages vorläufig vollstreckbar.
  2. Tatbestand
  3. Die Klägerin nimmt die Beklagten als Gesamtschuldner wegen Verletzung des deutschen Teils des europäischen Patents 0 912 XXX B1 (Anlage K 1; im Folgenden: Klagepatent) auf Rechnungslegung sowie Feststellung der Schadensersatzpflicht in Anspruch.
    Das Klagepatent wurde am 14.07.1997 unter Inanspruchnahme einer deutschen Priorität vom 18.07.1996 von Herrn Prof. Dr. A und Frau Dr. B angemeldet. Die Anmeldung wurde am 6. Mai 1999 veröffentlicht. Der Hinweis auf die Patenterteilung erfolgte am 5. Dezember 2001. Das Klagepatent wird beim Deutschen Patent- und Markenamt unter dem Aktenzeichen DE 597 05 XXX.8 geführt (vgl. Anlage K 2). Es ist zwischenzeitlich durch Zeitablauf erloschen.
    Mit Vertrag vom 29.07.1997 (Anlage K 4a, in deutscher Übersetzung Anlage K 4b) räumten die Patentinhaber der Klägerin eine alleinige, exklusive, weltweite Lizenz für das Klagepatent ein.
    Den gegen das Klagepatent erhobenen Einspruch wies die Einspruchsabteilung des Europäischen Patentamts mit Beschluss vom 11. April 2006 zurück. Mit Schriftsatz vom 07.04.2010 (Anlage K 3c) wurde ferner Nichtigkeitsklage gegen das Klagepatent vor dem Bundespatentgericht eingelegt. Mit Urteil vom 28.06.2011 wurde das Klagepatent für nichtig erklärt. Der Bundesgerichtshof änderte auf die hiergegen gerichtete Berufung der Klägerin das Urteil des Bundespatentgerichts mit Urteil vom 19.04.2016 ab und wies die Nichtigkeitsklage ab (siehe Anlage K 31).
    Das Klagepatent betrifft ein Verfahren zur Diagnose oder Therapiekontrolle der Sprue oder Zöliakie, in dem Antikörper aus Körperflüssigkeiten durch eine Immunreaktion mit Gewebe-Transglutaminase (tissue transglutaminase; im Folgenden: tTG), deren immunreaktiven Sequenzen oder Analoga nachgewiesen werden. Gegenstand der Erfindung ist auch die Verwendung von tTG und den genannten Substanzen zur Diagnose und Therapiekontrolle der Sprue oder Zöliakie sowie ein orales pharmazeutisches Mittel, das tTG, deren immunreaktive Sequenzen oder deren Analoga als Wirkstoff enthält und zur Behandlung von Sprue oder Zöliakie eingesetzt werden kann.
    Der von der Klägerin geltend gemachte Klagepatentanspruch 1 lautet:
    Verfahren zur Diagnose oder Therapiekontrolle der Sprue oder Zöliakie, dadurch gekennzeichnet, dass Antikörper gegen Gewebe-Transglutaminase (tTG) aus Körperflüssigkeiten durch eine Immunreaktion mit Gewebe-Trans-glutaminase (tTG), deren immunreaktiven Sequenzen oder Analoga nachgewiesen werden, wobei die Immunreaktion nicht mit einem Gewebeschnitt eines tierischen oder menschlichen Gewebes durchgeführt wird.
    Hinsichtlich des Wortlauts der in Form von „insbesondere, wenn“- Anträgen geltend gemachten Klagepatentansprüche 2, 3, 4, 5, und 6 wird auf die Anlage K 1 verwiesen.
    Die Klägerin ist einer der führenden Hersteller pharmazeutischer Produkte sowie medizinisch-chirurgischer und diagnostischer Geräte. Sie beschäftigt sich darüber hinaus auch mit der Forschung und Entwicklung in diesen Bereichen, unter anderem auch auf dem Gebiet medizinischer Labordiagnostika.
    Die C GmbH – später firmierend unter C Vertriebs GmbH, war eine im Jahr 2000 gegründete Gesellschaft mit Sitz in D und auf dem Gebiet der Entwicklung und Herstellung diagnostischer Geräte von Autoimmunerkrankungen tätig. Zu ihrer Produktpalette gehören unter anderem sogenannte ELISA-Tests. Sie verschmolz im Jahre 2010 auf die Beklagte zu 1).
    Bei der Beklagten zu 2) handelt es sich um die persönlich haftende Gesellschafterin der Beklagten zu 1). Der Beklagte zu 3) war vom 05.01.2002 bis zum 05.12.2010 Geschäftsführer der C GmbH bzw. C Vertriebs GmbH und ist seit dem 06.12.2010 Geschäftsführer der Beklagten zu 2).
    Die Klägerin hat sich ursprünglich gegen die von den Beklagten bzw. zuvor von der C GmbH (nachfolgend gemeinsam „die Beklagten“) unter der Bezeichnung „E“ (Katalognummer 3533) und „F“ (Katalognummer 3534) angebotenen und gelieferten Testsysteme zum Nachweis der Zöliakie (angegriffene Ausführungsform I) gewandt sowie gegen die von der Beklagten angebotenen und gelieferten Produkte mit der Bezeichnung „E New Generation“ (Katalognummer 3503), „F New Generation“ (Katalognummer 3504) und die Produkte mit der Bezeichnung „FA Neue Generation“ (Katalognummer 3516) und „G Neue Generation“ (Katalognummer 3510) (angegriffene Ausführungsform II). Hierbei handelt es sich um Festphasen-Enzym-Immunassays für die quantitative und qualitative Bestimmung von Antikörpern gegen Gliadin-tTG-Komplexe (von den Beklagten als „Neo-Epitop“ bezeichnet) in menschlichem Serum.
    Nachdem die Beklagte zu 1) auf ihr Anerkenntnis in der mündlichen Verhandlung vom 14.09.2010 mit Teil-Anerkenntnisurteil vom 27.09.2010 hinsichtlich der angegriffenen Ausführungsform I verurteilt worden ist, wendet sich die Klägerin nunmehr allein gegen die angegriffene Ausführungsform II.
    Die Klägerin sieht in dem Vertrieb der angegriffenen Ausführungsform II eine mittelbare Verletzung des Klagepatents. Sie behauptet, dass mit der angegriffenen Ausführungsform II zumindest auch Antikörper gegen tTG aus Körperflüssigkeiten durch eine Immunreaktion mit tTG-Epitopen nachgewiesen würden. Dies würden von der Beklagten selbst veröffentlichte Dokumente eindeutig bestätigen. So heiße es in der deutschsprachigen Gebrauchsanleitung der angegriffenen Ausführungsform II, dass die tTG mit „Gliadin-spezifischen Peptiden“ quervernetzt sei. Diese seien kurz und damit nicht in der Lage, die etwa 700 Aminosäuren enthaltende tTG komplett zu umschließen oder zu verändern.
    Die Klägerin bestreitet die Behauptung der Beklagten, dass durch die Verbindung von Gliadin und tTG ein völlig neues Molekül entstehe, bei dem die Epitope der tTG entweder zerstört oder verdeckt würden. Da es sich sowohl bei tTG als auch bei Gliadin um Proteine handele, die über eine dreidimensionale Struktur verfügten und damit dreidimensional gefaltete Aminosäureketten aufweisen würden, sei bei einer Verbindung nur eine bestimmte Bindungsstelle betroffen. Diese sei bei Enzymen wie der tTG im aktiven Zentrum. Daher würden sich nicht sämtliche Aminosäuren zu einer neuen Substanz vermischen, sondern beide Strukturen blieben im Wesentlichen erhalten. Zwar könnten durch die Verbindung einzelne Epitope an der Bindungsstelle verdeckt werden, keinesfalls aber alle.
    Die Klägerin bestreitet insofern, dass sich eine kovalente Bindung zwischen tTG und Gliadin ausbilde, die dazu führe, dass die verbleibenden Bereiche der tTG keine anti-tTG Antikörper mehr binden könnten. Auch wenn man von einer kovalenten Bindung ausginge, stünden weiterhin Epitope der tTG für eine Immunreaktion zur Verfügung, weil die tTG über viele verschiedene Epitope am gesamten Molekül verfüge, an denen auch nach der „Verwebung“ mit Gliadin noch tTG-spezifische Epitope verbleiben würden. Es handele sich insofern bei dem gebildeten Komplex auch nach der Verwebung zumindest noch um ein Analogon im Sinne des Klagepatents, das mit tTG-Antikörpern reagiere.
    Sofern die Beklagten behaupten würden, dass bereits die unterschiedlichen Mengen- und Gewichtsverhältnisse von tTG im Gegensatz zu Gliadin eine gänzlich neue Struktur zeigen würden, könne dies nicht überzeugen, weil das Molekulargewicht nichts mit der Struktur zu tun habe.
    Die Klägerin bestreitet vor diesem Hintergrund die Existenz von Antikörpern, die spezifisch an Neo-Epitope binden und durch eine „Verwebung“ des Gliadins mit tTG stimuliert werden können, mit Nichtwissen. Sofern die angegriffene Ausführungsform II jedoch neben Antikörpern gegen tTG auch solche gegen Neo-Epitope nachweisen könne, handele es sich allenfalls um eine verbesserte Ausführungsform, die der Patentbenutzung nicht entgegenstehe.
    Die Klägerin hat zur Untermauerung ihres Vortrags sogenannte Kompetitionsversuche durch den von ihr beauftragten privaten Gutachter Dr. H durchführen lassen. Diese orientierten sich an dem Versuchsaufbau entsprechender Versuche aus dem in Mailand gegen die Beklagten geführten parallelen Prozess und zeigten, dass die angegriffene Ausführungsform II in der Lage sei, tTG-Antikörper zu binden. Um den Einwänden der Beklagten Rechnung zu tragen, seien die Versuche mit und ohne Waschungen durchgeführt worden, um Rückstände von Kalzium zu entfernen. Während sie – die Klägerin – entsprechende Versuchsprotokolle zu den Akten gereicht habe, seien die von den Beklagten durchgeführten Versuche nicht nachvollziehbar. Es fehlten entsprechende Protokolle und die Beklagten hätten sich bei der Durchführung nicht an den im parallelen Prozess vorgegebenen Ablauf gehalten.
    Nachdem die Parteien den Rechtsstreit in der mündlichen Verhandlung vom 14.01.2021 übereinstimmend hinsichtlich des von der Klägerin geltend gemachten Unterlassungsanspruchs für erledigt erklärt haben, beantragt die Klägerin nunmehr,
    wie erkannt.
    Die Beklagten beantragen,
    die Klage abzuweisen.
    Die Beklagten meinen, dass die angegriffene Ausführungsform II das Klagepatent nicht verletze. Sie tragen vor, dass der von der angegriffenen Ausführungsform II durchgeführte Test auf einer eigenständigen Entwicklung und auf über das Klagepatent hinausgehenden Erkenntnissen beruhe.
    Die Beklagten hätten herausgefunden, dass Gliadin mit tTG zu einem eigenständigen Stoff in Form eines Antigens reagiere, das sogenannte Neo-Epitope aufweise. Dieser durch eine „Verwebung“ des Gliadins mit tTG entstehende Komplex habe eigenständige Eigenschaften, die nicht mehr mit den Eigenschaften der tTG korrelieren würden. Denn es handele sich dabei nicht um modifizierte Epitope, sondern um eine gänzlich neue Molekülstruktur. Dies ergebe sich bereits aus dem Umstand, dass das Verhältnis von tTG zu Gliadin bei mindestens 1:4 liege. Dadurch seien die Epitope der tTG großflächig verdeckt, so dass die Mikrotiterplatten der angegriffenen Ausführungsform II keine Epitope für tTG-Antikörper zeigen würden. Denn die Neo-Epitope würden nur spezifische und ihnen eigene Antikörper binden.
    In diesem Zusammenhang durchgeführte Versuche hätten ergeben, dass der Körper bei Zöliakie-Patienten in einem frühen Stadium zunächst Antikörper gegen das Neo-Epitop bilde, bevor erst später die Bildung von Antikörpern gegen tTG hinzukämen. Dies lasse sich auch in der praktischen Anwendung der angegriffenen Ausführungsform II erkennen. Denn diese sei geeignet, die Ziel-Antikörper bereits in einem so frühen Stadium nachzuweisen, in welchem die erfindungsgemäßen tTG-Tests noch nicht anschlagen würden. Die entsprechenden wissenschaftlich-technischen Erkenntnisse seien inzwischen auf die Resonanz von anerkannten Fachleuten gestoßen sowie Gegenstand von wissenschaftlich anerkannten Veröffentlichungen.
    Den Beklagten sei es gelungen, den Gliadin-Peptid-tTG-Komplex in aufgereinigter Form künstlich herzustellen, der die ausschließliche Grundlage für die Entwicklung der angegriffenen Ausführungsform II bilde.
    Vor diesem Hintergrund sei unklar, auf welche Variante der Erfindung sich die Klägerin überhaupt berufe. Da die Neo-Epitope keine Gewebe-Transglutaminase darstellen würden, verbliebe allein die Variante der „immunreaktiven Sequenzen oder Analoga“ der Gewebe-Transglutaminase. Es handele sich bei dem Komplex jedoch nicht um ein Fragment der tTG, das proteolytisch, synthetisch oder gentechnisch hergestellt worden sei, sondern vielmehr um ein ganz neues Molekül.
    Soweit die Beklagte zu 1) in ihren Werbeprospekten aus dem Jahr 2009 noch damit geworben habe, dass mit der angegriffenen Ausführungsform II neben dem Nachweis von Antikörpern gegen Neo-Epitope auch ein solcher von Antikörpern gegen tTG möglich sei, seien die geschilderten Reaktivitäten unzutreffend.
    Dass die angegriffene Ausführungsform II nicht zum Nachweis von tTG-Antikörpern geeignet sei, hätten auch die von ihr – der Beklagten – durchgeführten Kompetitionstests gezeigt, mittels derer es nicht möglich gewesen sei, die Antikörper, die die angegriffene Ausführungsform II detektiere, durch die zusätzliche Zugabe von tTG zu verdrängen. Da die Zugabe des Kompetitors keinen Einfluss auf das Ergebnis der Tests gehabt habe, sei belegt, dass das von der angegriffenen Ausführungsform II eingesetzte Antigen keine tTG sei und damit der detektierte Antikörper kein tTG-Antikörper sein könne, sondern sich ausschließlich gegen das Neo-Epitop richte.
    Das Gericht hat Beweis erhoben gemäß Beschluss vom 6. Oktober 2016 (Bl. 198 dA) durch Einholung eines Sachverständigengutachtens durch den Sachverständigen Prof. Dr. Dr. I (Bl. 245 dA dA), sowie gemäß Beschluss vom 17. Juli 2017 durch Einholung eines Ergänzungsgutachtens durch den Sachverständigen Prof. Dr. Dr. I (Bl. 351 dA), gemäß Beweisbeschluss vom 6. November 2018 durch Einholung eines Ergänzungsgutachtens durch den Sachverständigen Dr. J (Bl. 517 dA) und gemäß Beschluss vom 16. Oktober 2020 durch Anhörung der beiden Sachverständigen in der mündlichen Verhandlung vom 14. Januar 2021.
  4.  Entscheidungsgründe
  5. Die Klage ist zulässig und begründet.
    Die Klägerin hat gegen die Beklagten Ansprüche auf Auskunft, Rechnungslegung und Schadensersatz dem Grunde nach aus Art. 64 Abs. 1 EPÜ i.V.m. §§ 139 Abs. 2, 140b Abs. 1 und 3 PatG, §§ 242, 259 BGB.
  6. I.
    Die Klägerin ist aktivlegitimiert. Sie erhielt mit Lizenzvertrag vom 29.07.1997 (Anlage K 4a, in deutscher Übersetzung Anlage K 4b) von den Patentinhabern eine das Klagepatent betreffende ausschließliche Lizenz (vgl. zur Berechtigung des ausschließlichen Lizenznehmers Bundesgerichtshof, GRUR 2004, 758 – Flügelradzähler; Bundesgerichtshof, GRUR 2008, 896 – Tintenpatrone I; Kühnen, Handbuch der Patentverletzung, 12. Aufl. 2020, Kap. D, Rn. 142 ff.).
  7. II.
    Die vorliegende Erfindung basiert auf der Entdeckung, dass die tTG das Autoantigen der Sprue bzw. der Zöliakie ist, siehe Absatz [0001] des Klagepatents (alle folgenden, nicht näher bezeichneten Absätze sind solche des Klagepatents) und betrifft ein Verfahren zur Diagnose oder Therapiekontrolle der Sprue oder Zöliakie, in dem Antikörper aus Körperflüssigkeiten durch eine Immunreaktion mit tTG, deren immunreaktiven Sequenzen oder Analoga nachgewiesen werden. Daneben gehört zum Gegenstand der Erfindung auch die Verwendung von tTG und den genannten Substanzen zur Diagnose und Therapiekontrolle der Sprue oder Zöliakie sowie ein orales pharmazeutisches Mittel zur Behandlung derselben.
    Die Zöliakie ist eine Erkrankung der Dünndarmschleimhaut mit Erstmanifestation vorwiegend im späten Säuglings- und Kleinkindalter. Tritt das entsprechende Krankheitsbild erst beim Erwachsenen auf, so wird sie als „einheimische Sprue“ bezeichnet. Beide Begriffe bezeichnen also die gleiche Krankheit. Die Sprue geht mit einer entzündlichen Veränderung der Schleimhaut und einer dadurch verursachten generalisierten Malabsorption einher, Absatz [0003].
    Als krankheitsauslösende Faktoren sind die Klebereiweiße (Glutene) von Weizen, Gerste, Roggen und z.T. Hafer bekannt. Unter den Glutenen wird den alkohollöslichen Prolaminen, speziell dem α-Gliadin, die Rolle des krankheitsauslösenden Agens zugeschrieben. Die Sprue tritt daher bevorzugt in Ländern auf, in denen Weizen als wichtige Nahrungsquelle dient (Europa, USA, Australien). Untersuchungen belegen jedoch, dass eine subklinische Ausprägung, d.h. eine morphologische Veränderung der Schleimhaut ohne schwerwiegende Symptome weit häufiger als bislang vermutet auftritt, Absatz [0004].
    Die Therapie der Sprue besteht in der strikten Einhaltung einer lebenslangen glutenfreien Diät, wobei nicht nur Gluten enthaltende Produkte aus Weizen, sondern auch aus Roggen, Gerste und Hafer ausgeschlossen werden müssen. Dies bedeutet für die Patienten gravierende Einschränkungen sowohl der Essensgewohnheiten, als auch der sozialen Interaktionen, Absatz [0007].
    Sofern die Sprue rechtzeitig diagnostiziert und therapiert wird, besitzt sie eine gute Prognose. Jedoch sind aufgetretene Komplikationen häufig nicht gänzlich reversibel. Wird die Krankheit dagegen nicht erkannt und behandelt, so kann es durch Malabsorption zu schwerwiegenden Krankheitserscheinungen kommen, Absatz [0008].
    Nach dem Klagepatent sei die Dünndarm-Biopsie für die Diagnose der Sprue und der Verlaufskontrolle unter glutenfreier Diät als Goldstandard bekannt. Jedoch würden zunehmend auch nicht-invasive Methoden der Diagnostik an Bedeutung gewinnen, die auf immunologischen Markern beruhten. Da in den Seren der Sprue-Patienten Antikörper der igA- und der igG- Klasse vorkämen, die zum einen gegen Gliadin und zum anderen gegen ein Autoantigen des Endomysiums gerichtet seien, könnten die Seren im ELISA (Enzyme-linked Immunosorbent Assay; ein antikörperbasiertes Nachweisverfahren) auf igG-und igA-Antikörper gegen Gliadin, sowie durch indirekte Immunfluoreszenz auf igG- und igA-Antikörper gegen Endomysium getestet werden. Während Antikörper gegen Gliadin nicht spezifisch genug für die Sprue seien, werde für die igA-Antikörper gegen Endomysium von einer hohen Sensitivität und Spezifität (97-100 %) berichtet, Absatz [0009]. Für den Immunfluoreszenz-Nachweis würden jedoch Ösophagusschnitte von Primaten benötigt, wobei es Versuche gebe, die Endomysium-Antikörper auch auf Nabelschnurmaterial nachzuweisen, Absatz [0009].
    Da bei rechtzeitiger Diagnose und konsequenter Einhaltung einer glutenfreien Diät die Erkrankung in Remission gehalten und damit auch das erhöhte Malignom-Risiko der Patienten auf den Normalwert gesenkt werden könne, sei es von großem Interesse, einen geeigneten Nachweistest für die Sprue zu entwickeln. Große Screening-Programme seien bisher jedoch daran gescheitert, dass die invasiven Duodenal-Biopsien für symptomfreie Personen unzumutbar und viel zu aufwendig seien. Zudem sei ein auf Antikörpern gegen Gliadin beruhender ELISA-Nachweis auf Grund seiner geringen Spezifität kaum brauchbar. Außerdem sei der auf Primaten-Ösophagus basierende Immunfluoreszenz-Nachweis von Endomysium-Antikörpern der igA- Klasse als generelle Screeningmethode zu aufwendig. Ferner sei die Beurteilung subjektiv und erlaube die Erfassung von Sprue-Patienten mit einer igA-Defizienz nicht, die immerhin 2 % der Patienten betreffe, Absatz [0013].
    Die der Erfindung zu Grunde liegende Aufgabe (das technische Problem) wird vom Klagepatent dahingehend beschrieben, einen nicht-invasiven, spezifischen, quantitativen, schnellen, leichten und kostengünstig durchzuführenden Nachweistest für die Sprue/Zöiiakie und deren Therapie-Kontrolle bereitzustellen, Absatz [0013] f..
    Zur Lösung dieser Aufgabe schlägt das Klagepatent mit dem von der Klägerin geltend gemachten Anspruch 1 Folgendes vor:
    1. Verfahren zur Diagnose oder Therapiekontrolle der Sprue oder Zöliakie,
    2. wobei Antikörper gegen Gewebe-Transglutaminase (tTG) aus Körperflüssigkeiten nachgewiesen werden.
    3. durch eine Immunreaktion mit Gewebe-Transglutaminase (tTG), deren immunreaktiven Sequenzen oder Analoga,
    4. wobei die Immunreaktion nicht mit einem Gewebeschnitt eines tierischen oder menschlichen Gewebes durchgeführt wird.
    Ein dieser Lehre entsprechender Test lasse sich schnell und kostengünstig durchführen und ermögliche ein effizientes Screening der Bevölkerung auf tTG-Antikörper, Absatz [0018]. Da der erfindungsgemäße immunologische Nachweis mittels bekannter Methoden durchgeführt werde, könne zur Detektion der Patientenantikörper jedes beliebige direkte oder indirekte Verfahren zur Anwendung kommen, Absatz [0021]. Außerdem erfasse der Test auch Sprue-Patienten mit einer igA-Defizienz, Absatz [0036].
  8. III.
    Im Hinblick auf den Streit der Parteien bedürfen die Merkmale 1, 2 und 3 des Klagepatents der Auslegung.
  9. 1.
    Bei der geschützten Erfindung handelt es sich um ein Verfahren zur Diagnose oder Therapiekontrolle der Sprue oder Zöliakie. Dies bedeutet, dass das in den Merkmalen 2 bis 4 näher beschriebene Verfahren jedenfalls geeignet sein muss, eine entsprechende Diagnose treffen zu können oder Kontrolle durchzuführen. Diese Eignung ist demnach nicht mehr gegeben, wenn durch das erfindungsgemäße Verfahren zwar Antikörper gegen tTG nachgewiesen werden, aber nicht in ausreichendem Umfang, um damit eine Diagnose oder Therapiekontrolle zu ermöglichen.
  10. 2.
    Das Merkmal 2 schreibt vor, dass Antikörper gegen tTG aus Körperflüssigkeiten nachgewiesen werden.
    Nach dem Merkmal genügt es, wenn überhaupt tTG-Antikörper nachgewiesen werden. Dazu muss weder jeder potentielle tTG-Antikörper nachgewiesen werden, noch wird eine Beschränkung dahingehend vorgenommen, dass nur ein ausschließlicher Nachweis von tTG-Antikörpern der klagepatentgemäßen Lehre entsprechen würde.
    Vielmehr macht das Klagepatent keine Vorgaben dahingehend, dass die Antikörper gegen tTG von anderen Antikörpern unterschieden werden müssten. Es ist ausreichend, wenn es – wie von Merkmal 3 vorgeschrieben – zu einer Immunreaktion mit tTG, deren immunreaktiven Sequenzen oder Analoga kommt. Dies muss – siehe die obigen Ausführungen unter Ziff. 1 zu Merkmal 1 – in einem Umfang sein, der die Eignung zur Diagnose bzw. Therapiekontrolle sicherstellt.
    Eine mögliche praktische Umsetzung wird in Absatz [0024] beschrieben. Darin heißt es, dass die tTG beispielsweise in einem ELISA direkt oder indirekt an eine Trägersubstanz gebunden wird. Nach der Inkubation mit den nachzuweisenden Antikörpern würden die Antigen-gebundenen Antikörper dann direkt oder indirekt mittels Enzym-gekoppelter Substanzen nachgewiesen.
    Sollte es in diesem Zusammenhang zu ähnlichen Immunreaktionen anderer Antikörper gegen andere Antigene kommen, die eine Diagnose oder Therapie in vergleichbarer Weise ermöglichen, ändert dieser Umstand nichts daran, dass die tTG-Antikörper gleichwohl nachgewiesen werden. Denn auch in diesem Fall trägt die Immunreaktion der tTG-Antikörper zur Diagnose bei, sie ist lediglich nicht von der Reaktion der anderen Antikörper unterscheidbar. Das ist insoweit unschädlich, als dass die Immunreaktion der tTG-Antikörper nicht nur einen unerheblichen Anteil der Gesamtreaktion ausmachen darf, es sich also nicht um völlig untergeordnete Reaktionen handelt, die zu einer Diagnose oder Therapiekontrolle nichts beitragen. Es muss also eine Kausalität der Immunreaktion der tTG-Antikörper für die Diagnose bzw. Therapiekontrolle gegeben sein.
    Der Patentanspruch verlangt nicht, dass ausschließlich tTG-Antikörper nachgewiesen werden. Es genügt vielmehr, wenn das Vorhandensein von tTG-Antikörpern – neben anderen Antikörpern – ein positives Testergebnis erzeugt. Es mag zwar das Testergebnis verbessern, wenn auch andere Antikörper verwendet werden. Dies ändert aber nichts an der Verwirklichung des Merkmals 2 der erfindungsgemäßen Lehre.
    Ebenso muss das erfindungsgemäße Verfahren nicht geeignet sein, jede denkbare Konzentration von tTG-Antikörpern in jeder Art von Serum nachzuweisen. Das Merkmal 2 ist auch dann verwirklicht, wenn nur bestimmte tTG-Antikörper oder nur höhere Konzentrationen nachweisebar sind. Insofern mag es sich dann schlichtweg um eine verschlechterte Ausführungsform handeln.
  11. 3.
    Das Merkmal 3 sieht vor, dass der in Merkmal 2 genannte Nachweis durch eine Immunreaktion mit tTG, deren immunreaktiven Sequenzen oder Analoga erfolgt.
    Der Nachweis des Vorliegens von Antikörpern gegen tTG muss demzufolge nicht zwingend durch eine Immunreaktion mit tTG selbst nachgewiesen werden, sondern ausreichend ist der durch eine Immunreaktion mit deren immunreaktiven Sequenzen oder Analoga erfolgende Nachweis.
  12. a)
    Der Begriff der tTG wird zunächst allgemein in Absatz [0016] beschrieben. Darin heißt es, dass die tTG zur Klasse der Transglutaminasen gehöre. Es handele sich bei diesen um Enzyme, die Ca2+-abhängig einen Acyltransfer katalysieren, wobei die γ-Carboxamidgruppen von Peptid-gebundenen Glutaminresten als Acyl-Donoren reagieren. Ferner kommen Transglutaminasen in verschiedenen Organen, Geweben, im Plasma und in interstiellen Blutgerinnseln vor.
    Absatz [0017] beschreibt sodann die für die erfindungsgemäße Lehre relevante tTG näher. Darin heißt es, diese sei ein Monomer mit einem Molekulargewicht von 75-85 kDA. Die Beschreibung nennt in diesem Zusammenhang Studien, die darauf hinweisen, dass die tTG an der Wundheilung beteiligt ist. In Absatz [0020] heißt es sodann, dass die erfindungsgemäß eingesetzte tTG humanen, tierischen, synthetischen oder rekombinanten Ursprungs sein könne.
  13. b)
    Der Begriff der „Analoga“ wird in Absatz [0020] des Klagepatents definiert. Darin heißt es:
    „Als tTG-Analoga werden im Sinne der Erfindung alle antigenen Strukturen verstanden, die mit Antikörpern gegen tTG eine Immunreaktion eingehen, z.B. synthetische Peptide.“
    Diese Definition der Analoga ist sehr weitreichend. Denn sie definiert nicht unmittelbar die Struktur der Analoga selbst, sondern lediglich mittelbar durch ihre Eignung, eine Reaktion mit tTG-Antikörpern einzugehen. Als Beispiel dafür werden synthetische Peptide genannt.
    Der Bundesgerichtshof hat die in der Beschreibung des Klagepatents aufgestellte Definition im Wesentlichen übernommen und Folgendes ausgeführt (siehe Anlage K 31, S.5, Rz. 9):
    „Ein Analogon im Sinne des Merkmals 3.3 ist eine antigene Struktur (etwa eines Polypeptids oder Proteins), die mit Rezeptoren von Antikörpern gegen Gewebe-Transglutaminase aus Körperflüssigkeiten eine Immunreaktion eingeht und diese dadurch nachweist.“
    Die Definition des Bundesgerichtshofs ist damit ebenso weitreichend wie die des Klagepatents.
    Demgegenüber hat der Sachverständige Prof. I in seinem Gutachten vom 10. April 2017 auf S. 7 (Bl. 251 dA) Folgendes festgehalten:
    „Der Fachmann versteht unter dem Begriff des „tTG-Analogons“ jedes strukturell ähnliche Protein aus verschiedenen Organismen und damit jede Gewebetransglutaminase mit gleicher Enzymfunktion und homologer Aminosäuresequenz.“
    Der Sachverständige stellt – anders als nach der Definition durch das Klagepatent selbst – unmittelbare Anforderungen an das Analogon auf, indem er auf strukturell ähnliche Proteine der tTG abstellt. In der Anhörung hat er erläutert, dass er den Begriff der Homologie gewählt habe, weil das Analogon seines Erachtens nach einen Bezug zum Hauptantigen – hier also der tTG – haben müsse.
    Der Begriff der Homologie findet sich auch in der Beschreibung des Klagepatents. Dort heißt es in Absatz [0017], dass bei der tTG auf Protein-Ebene eine 84 %-ige Homologie zwischen dem menschlichen Enzym und dem Enzym aus Mausmakrophagen, sowie eine 81 %-ige Homologie zwischen dem menschlichen und Meerschweinchen-Enzym bestehe. Auch der Sachverständige hat in diesem Zusammenhang ausgeführt, dass die Homologie davon abhänge, in welchem Wirt die tTG herangezogen werde. Denn dadurch entstünden Unterschiede, auch wenn das Protein seine Struktur nicht gänzlich verändere.
    Das Klagepatent legt sich in dieser Hinsicht jedoch nicht fest. Während es in Merkmal 2 von Antikörpern gegen tTG aus Körperflüssigkeiten spricht und sich damit auf Antikörper aus menschlicher tTG beschränkt, reicht nach Merkmal 3 jegliche Form der tTG bzw. deren Analoga. Praktisch gesehen ist wohl ein gewisser Grad der Homologie erforderlich, damit eine derartige Immunreaktion stattfinden kann. Zahlenmäßig legt sich das Klagepatent aber nicht fest. So reicht bei dem in der Beschreibung des Klagepatents genannten Ausführungsbeispiel 2 die tTG der Leber eines Meerschweinchens, die eine Sequenz-Homologie zur humanen tTG von mehr als 80 % aufweise.
    Vor diesem Hintergrund bleibt es bei der Begriffsdefinition des Klagepatents, das allein auf die Eignung abstellt, mit tTG-Antikörpern eine Immunreaktion einzugehen. Eine Voraussetzung für derartige Immunreaktionen mag darin liegen, dass die als Antigen eingesetzte tTG bzw. deren Analoga einen gewissen Grad der Homologie zur menschlichen tTG aufweisen. Dieser muss aber nur derartig ausgeprägt sein, dass es für die eben dargestellte Immunreaktion reicht.
  14. c)
    Der Begriff der immunreaktiven Sequenzen wird ebenfalls in Absatz [0020] definiert. Insofern heißt es:
    „Als immunreaktive Sequenzen sind proteolytisch, synthetisch oder gentechnisch hergestellte Fragmente der tTG und deren durch Austausch von Aminosäuren erhaltene Varianten zu verstehen.“
    Der Sachverständige Prof. I hat dieser Definition in seinem Gutachten vom 10. April 2017 auf S. 7 (Bl. 251 dA) im Wesentlichen entsprochen und Folgendes festgehalten:
    „Als „immunreaktive Sequenz“ würde der Fachmann jede aus der tTG abgeleitete Struktur (jedes Epitop oder jede beliebige Kombination von Epitopen) verstehen, die sich durch das gleiche Bindungsverhalten (qualitativ) an einen tTG-spezifischen Antikörper auszeichnet.“
    Insgesamt kommt es damit – anders als bei einem Analogon – für das Vorliegen einer immunreaktiven Sequenz also auch auf den Ursprung an. So muss es sich dabei um „Fragmente der tTG“ bzw. um eine „aus der tTG abgeleitete Struktur“ handeln.
  15. IV.
    Angebot und Vertrieb der angegriffenen Ausführungsform II verletzen den Anspruch 1 des Klagepatents mittelbar.
    Nach § 10 PatG ist es jedem Dritten verboten, ohne Zustimmung des Patentinhabers im Geltungsbereich des Gesetzes anderen als zur Benutzung der patentierten Erfindung berechtigten Personen Mittel, die sich auf ein wesentliches Element der Erfindung beziehen, zur Benutzung der Erfindung anzubieten oder zu liefern, wenn der Dritte weiß oder es aufgrund der Umstände offensichtlich ist, dass diese Mittel dazu geeignet und bestimmt sind, für die Benutzung der Erfindung verwendet zu werden.
  16. 1.
    Die angegriffene Ausführungsform II ist dazu geeignet, für ein Verfahren zur Diagnose oder Therapiekontrolle der Sprue oder Zöliakie eingesetzt zu werden, das dadurch gekennzeichnet ist, dass Antikörper gegen Gewebe-Transglutaminase (tTG) aus Körperflüssigkeiten durch eine Immunreaktion mit Analoga der tTG nachgewiesen werden, wobei die Immunreaktion nicht mit einem Gewebeschnitt eines tierischen oder menschlichen Gewebes durchgeführt wird.
    Insbesondere steht es zur Überzeugung des Gerichts fest, dass die angegriffene Ausführungsform II die Merkmale 1, 2 und 3 verwirklicht, da das mittels der angegriffenen Ausführungsform II durchgeführte Verfahren den Nachweis des Vorliegens von Antikörpern gegen tTG durch eine Immunreaktion mit tTG-Analoga erbringt, wodurch eine Diagnose bzw. Therapiekontrolle ermöglicht wird (siehe im Ergebnis unten, Ziff. c).
    Dies haben vor allem die von dem Sachverständigen Dr. J durchgeführten Kompetitionsversuche gezeigt (siehe unten, Ziff. a)). Bestätigt wird dies auch durch das Gutachten des Sachverständigen Prof. Dr. Dr. I (siehe unten, Ziff. b)).
  17. a)
    Der Sachverständige J hat zur Klärung der Frage, ob die angegriffene Ausführungsform II von der technischen Lehre des Klagepatentanspruchs Gebrauch macht, einen experimentellen Ansatz auf der Grundlage von Kompetitionstests erarbeitet und durchgeführt.
  18. aa)
    Ein Kompetitionstest ermöglicht es, die Spezifität der Bindung eines Antikörpers gegen ein Antigen aus Seren zu untersuchen, indem eine gezielt hervorgerufene Konkurrenzsituation um Antigen-Bindungsstellen genutzt wird. Seren – die zellfreie wässrige Fraktion des Blutes – enthalten ein undefiniertes, heterogenes Gemisch unterschiedlicher Antikörper, die gegen unterschiedlichste Antigene gerichtet sind und einen immunologischen Status des Spenders zum Zeitpunkt der Blutentnahme widerspiegeln. Da es weder zur klonalen Heterogenität, noch zu den unterschiedlichen Bindungseigenschaften dieser Antikörper verlässliche Informationen gibt, weisen die Seren untereinander deutliche Unterschiede in ihren Bindungseigenschaften auf. Jedoch beinhalten sie auf Grund der spezifischen Bindungseigenschaften aller Antikörper, die gegen ein bestimmtes Antigen gerichtet sind, einen gemeinsamen Nenner. An dieser Stelle setzt das Kompetitionsverfahren an. Denn das Antigen stellt den Schlüssel dar, der eine übergreifende Untersuchung aller Antikörper-Varietäten in einer bestimmten Antigen-Spezifität im komplexen Kontext eines Serums erlaubt.
    Ein Kompetitionstest für Antikörper beruht auf der Absättigung der Bindungsstellen eines Antikörpers durch das entsprechende Antigen. Denn sind alle Bindungsstellen besetzt, ist die Bindungskapazität des Antikörpers erschöpft. Er kann kein weiteres Antigen mehr binden. Diese Situation tritt in Gegenwart eines hohen Antigen-Überschusses auf. Die Bindung von Antigen-Antikörper ist zwar nicht absolut, sondern stellt eine Gleichgewichtsreaktion dar, die sich zwischen freiem Antikörper und freiem Antigen auf der einen Seite und dem Antigen-Antikörperkomplex auf der anderen Seite einstellt. Durch die hohe Affinität des Antikörpers zum Antigen liegt das Gleichgewicht jedoch per se weit auf der Seite des Antigen-Antikörperkomplexes und verstärkt sich mit zunehmender Antigenkonzentration. Entsprechen sich die Konzentrationen, stellt sich ein stabiles Gleichgewicht ein.
  19. bb)
    Der von dem Sachverständigen J eingesetzte Kompetitionstest stellt ein vergleichendes Antikörper-Bindungsexperiment dar, das einerseits einen Ansatz verwendet, der vorab mit Antigenen versetzt wurde (Kompetitionsansatz) und andererseits einen Ansatz ohne Antigen (Kontrollansatz). Im Kompetitionsansatz bilden sich nach kurzer Zeit Antigen-Antikörperkomplexe, während im Kontrollansatz alle Antikörper-Bindungsstellen unbesetzt bleiben. Werden beide Ansätze in ein mit Antigenen beschichtetes Reaktionsgefäß überführt, können im Rahmen des Kompetitionsansatzes kaum Antikörper mit der gebundenen Form des Antigens interagieren, weil sie durch die Vorbehandlung vorwiegend als Antigen-Antikörperkomplex vorliegen und somit keine weitere Bindung mehr eingehen können. Dagegen können die freien Antikörper aus dem Kontrollansatz ungehindert mit den Antigenen der Reaktionsgefäße reagieren. Dieser Unterschied zwischen dem Kompetitions- und dem Kontrollansatz lässt sich dann durch Messungen erfassen.
    Die Versuche des Sachverständigen J lassen sich in drei Teile aufgliedern, die sich jeweils aus verschiedenen Experimenten zusammensetzen, die wiederum verschiedene Versuche umfassen.
  20. (i)
    Im ersten Versuchsteil hat der Sachverständige J einerseits humane tTG-Varianten und andererseits zwei monoklonale tTG-Antikörper sowie Nachweis-Antikörper im ELISA-Test auf ihre Eignung für den Einsatz in den nachgeschalteten Experimenten untersucht (siehe unten, Ziff. (aa)).
    Parallel dazu hat er mögliche Kalziumeffekte auf Bindungseigenschaften der tTG mittels spezieller Waschgänge untersucht. Denn – so der Sachverständige – die Transglutaminase werde in Gegenwart von Kalzium aktiviert, was mit erheblichen Konformationsänderungen einhergehe, die auch das aktive Zentrum betreffen würden (siehe unten, Ziff. (bb)).
  21. (aa)
    Als tTG-Variante wählte der Sachverständige J solche aus Insektenzell-Expressionen, weil auch das tTG-Nachweisverfahren der Firma K, mit dem später die Vergleichstests durchgeführt wurden, auf der Basis von tTG aus Insektenzell-Expressionen arbeitet.
    Als monoklonale tTG-Antikörper wurden CUB 7402 und A 033 als anti-tTG-Referenzantikörper in die nachfolgenden Untersuchungen einbezogen. Grundlage für die Auswahl dieser Antikörper sei – so der Sachverständige J – der Umstand gewesen, dass beide Antikörper zuvor in den Versuchen von Dr. H eingesetzt worden seien und damit ein Bezugspunkt zu den von ihm durchgeführten Experimenten hergestellt sei.
  22. (bb)
    Die Waschgänge zur Vermeidung von Kalzium-Rückständen seien so ausgelegt gewesen, dass sie mit stringenteren Bedingungen einhergingen, als dies für ELISA-Verfahren üblich und auch in den Versuchen von Dr. H zu Grunde gelegt worden sei. Das beziehe sich vor allem auf die höhere Kochsalzkonzentration. Daneben habe er auch EDTA zugesetzt, das zusätzlich Kalzium-Ionen abfange. Dabei hätten die zunächst durchgeführten Experimente jedoch widersprüchliche und inkonsistente Ergebnisse geliefert, wobei der Verdacht nahegelegen habe, dass die hohe Kochsalzkonzentration dafür verantwortlich sein könnte und dazu geführt habe, dass zu viel von dem Antigen-Material von der Platte gewaschen geworden sei. Daher seien die Waschpuffer nachfolgend niedriger konzentriert und der physiologischen Kochsalzkonzentration entsprechend eingestellt worden. Die Zugabe von EDTA habe in diesem Zusammenhang keinen zusätzlichen Effekt gezeigt.
    Zusammen mit einer Reduzierung der seriellen Verbindungen für die tTG-Referenz-Antikörper von sechs auf drei Stufen hätten die Versuche dann reproduzierbare Ergebnisse geliefert.
  23. (ii)
    Der zweite Versuchsteil bestand aus fünf Experimenten und diente der Etablierung des Kompetitionstests für die eingesetzten Seren und die externen tTG-Referenz-Antikörper. Die Experimente umfassten neben der Überprüfung der Seren (siehe unten, Ziff. (aa)) eine Bestimmung der Äquivalenzarbeitskonzentration der externen tTG-Referenz-Antikörper (siehe unten, Ziff. (bb)) sowie die Durchführung eines Kompetitionstests auf dem Testkit des neutralen Anbieters K inklusive Waschgängen zur Untersuchung von Kalziumeffekten (siehe unten, Ziff. (cc) und (dd)).
  24. (aa)
    Die Qualitätsprüfung bezog sich auf eine Auswahl von je sieben tTG-positiv bzw. -negativ ausgewiesenen Seren. Die von dem Sachverständigen J durchgeführten Versuche belegten die Spezifität des tTG-Ansatzes für die Seren A1, A3, A4 sowie für die tTG-Referenz-Antikörper.
    Für die Seren A2 und A8 konnte wegen der zu stark ausgeprägten Reaktion zunächst keine Auswertung erfolgen, sondern es musste zunächst eine größere Probenverdünnung vorgenommen werden. Dann konnte auch die Spezifität des tTG-Kompetitionsansatzes für diese beiden Seren belegt werden.
    Insgesamt erlaubte die Qualitätsprüfung also eine Auswahl von fünf Seren für die Verwendung der sich anschließenden Experimente.
  25. (bb)
    Hinsichtlich der Bestimmung der Äquivalenzarbeitskonzentration hat der Sachverständige J im Rahmen seines Gutachtens ausgeführt, dass diese eine Bezugsgröße zwischen den Antikörper-Antigen-Bindungen der polyklonalen Seren und denen der monoklonalen tTG-Referenz-Antikörper darstelle. Dem liege die Überlegung zu Grunde, dass die gemessenen Extinktionen in einem proportionalen Verhältnis zur Anzahl der Antikörper stünden, die durch tTG auf der Festphase gebunden würden. Dies gelte auch für Bindungen der konjugierten Detektionsantikörper, die zum Nachweis der Serum-Antikörper eingesetzt würden. So sei über die Höhe der Extinktion ein Rückschluss auf die Menge der gebundenen Antikörper möglich und damit auf deren Antigen-bindende Valenzen.
    Zur Bestimmung der Äquivalenzarbeitskonzentration hat der Sachverständige die durchschnittlichen Extinktionen der Einzelseren aus Experiment 4, Versuche 1, 2, 3, 4 erfasst und aus diesen einen Durchschnittswert ermittelt. Dieser Wert lag bei einer optischen Dichte von 2,5.
    Die Beklagten meinen, dass die auf diese Weise ermittelte Äquivalenzarbeitskonzentration für die monoklonalen tTG-Referenzantikörper keinen Sinn mache. Der Sachverständige habe in unzulässiger Weise einen Mittelwert über alle Versuche errechnet. Man könne allenfalls Mittelwerte der gleichen Seren über verschiedene Versuche mitteln, nicht jedoch verschiedene Seren über einen Kamm scheren. Die optische Dichte hätte vielmehr auf 1,5 eingestellt werden müssen.
    Dem vermag sich die Kammer nicht anzuschließen. Der Sachverständige hat sich zu diesem Einwand im Rahmen der Anhörung überzeugend geäußert und ausgeführt, dass normalerweise optische Dichten von 0,5 bis 1,5 verwendbar seien. Da es sich vorliegend aber um Untersuchungen mit einem qualitativen Charakter handele, sei eine derartige Einschränkung nicht vorzunehmen. Denn bei qualitativen Tests gehe es in der Regel um Ja-Nein-Antworten, die im Gegensatz zu quantitativen Untersuchungen keine Begrenzung auf einen bestimmen Messbereich erforderten. Im Übrigen hätten die Extinktionen regelmäßig nicht weit außerhalb des gesetzten Rahmens gelegen.
  26. (cc)
    Zudem wurde im zweiten Versuchsteil eine Kalibrierung vorgenommen, zu deren Zweck die einzusetzende Konzentration für beide monoklonalen tTG-Referenz-Antikörper durch serielle Verdünnungsreihen ausgetestet wurden, die das Reaktionsspektrum der Seren abdecken und dem mittleren Aktivitätsniveau des Serum-Kontingentes entsprechen sollte.
    In diesem Zusammenhang hat der Sachverständige J im Rahmen der mündlichen Verhandlung ausgeführt, dass die Kalibrierung dem Zweck diene, den Kompetitor in bestimmten Konzentrationen sowie konzentrationsabhängige Effekte darzustellen. Wenn man mit einem Kompetitor arbeite, müsse man für eine vollständige Inhibition extreme Mengen einsetzen. Es sei besser, einen Punkt zu suchen, bei dem man eine fast vollständige Inhibierung erreiche. Dabei handele es sich um eine submaximale Konzentration. Denn eine Übersättigung könne zu unspezifischen Reaktionen führen.
    Konkret habe er bei seinen Versuchen zum einen auf den Arbeiten von Dr. H aufgesetzt und zum anderen durch verschiedene Tests ermittelt, wo dieser submaximale Bereich liege. Dies hätte ergeben, dass die von Dr. H in seinen Tests zu Grunde gelegte Konzentration von 10µg/100µl einen starken Kompetitionseffekt hervorrufe – wie dies auch in den von Dr. H durchgeführten Versuchen der Fall war. Diese Konzentration sei deshalb für alle weiteren Versuche beibehalten worden.
    Dass es sich bei dieser Konzentration um den submaximalen Bereich handele, habe sich im Vergleich der Test-Kits von K mit den Kits von L und M gezeigt. Bei dem K-Kit seien im Verhältnis mehr Antikörper zur selben Menge an Inhibitor vorhanden gewesen, was zu weniger ausgeprägten Inhibitionseffekten geführt habe.
    Entsprechende Überlegungen hätten sich auch durch die von ihm durchgeführten Gliadin-Tests bestätigt. Denn eine zu hohe tTG-Konzentration hätte sich auch auf diese Tests in der Form ausgewirkt, dass sich dort Effekte gezeigt hätten. Da dies aber nicht der Fall gewesen sei, zeige dies, dass die tTG tatsächlich nur an die tTG-spezifischen Antikörper gebunden habe.
    Zudem konnte der Sachverständige I bestätigen, dass sich entsprechende Effekte sonst auch bei den Versuchen mit den negativen Seren gezeigt hätten. Insofern hat der Sachverständige J ausgeführt, dass zwar das negativ getestete Serum B 8 im Kompetitionstest mit der angegriffenen Ausführungsform II angeschlagen habe, allerdings habe dieses Serum auch im Gliadin-Test reagiert, so dass dies kein eindeutiger Hinweis auf das Vorliegen weiterer, neben den tTG- und den Gliadin-Antikörpern vorliegenden Antikörper sei.
    Die Beklagten haben gegen die von dem Sachverständigen J vorgenommene Kalibrierung vorgebracht, man hätte bei der Bestimmung der Kompetitorkonzentration die Kapazität auf der Platte der angegriffenen Ausführungsform II berücksichtigen müssen. Der Sachverständige J hat dem – aus Sicht der Kammer zutreffend – entgegengehalten, dass man es sich damit zu einfach mache. Es wären unverhältnismäßig aufwändige Versuche notwendig gewesen, um ein Gleichgewicht zwischen den relevanten Parametern herzustellen, für die man genau hätte wissen müssen, wie die Seren und auch die Assays definiert sind. Vor diesem Hintergrund bleibe es mangels besserer Erkenntnisse bei den grundsätzlich getroffenen Aussagen.
  27. (dd)
    Der Sachverständige J hat zwar zunächst die bereits im ersten Versuchsteil vorgenommenen Waschungen auch in den weiteren Versuchen mit den Kits von K, L und M fortgeführt. Allerdings zeigten sich bereits bei den Versuchen mit den Kits von K starke Reduktionen. Nach den Ausführungen des Sachverständigen sei es durch die Waschungen zu einer starken Beeinträchtigung der Funktionalität gekommen. Trotz der Wiederholung verschiedener Versuche seien – unabhängig von der zusätzlichen Verwendung von EDTA – keine interpretierbaren Ergebnisse erzielt worden.
    Im Rahmen der Anhörung hat der Sachverständige J eingeräumt, dass er auf Grund dieser Umstände keine abschließende Aussage dazu treffen könne, inwiefern durch die mittels tTG-Inhibitor inhibierten tTG-Antikörper auf Grund des Kalziums wieder eine Reaktion auf dem Assay stattfinden könne.
    Er hat jedoch im Rahmen seines Gutachtens ausgeführt, dass deutlich zu erkennen sei, dass die Reaktionsprofile der Seren und die Kompetitionseffekte der im Waschgang behandelten Ansätze dieselben Muster aufwiesen, wie sie unter Standardbedingungen zu beobachten gewesen seien. Dies sei als Indiz dafür zu werten, dass die tTG-spezifischen Bindungen nicht durch Kalzium-Rückstände beeinflusst werden.
    Weiterhin hat der Sachverständige im Rahmen der Anhörung auf die von Dr. H durchgeführten Versuche verwiesen, der Versuche mit und ohne Waschungen durchgeführt hat, jedoch unter weniger stringenten Bedingungen. So hat Dr. H nur eine statt drei Waschungen durchgeführt und eine niedrigere Natriumchlorid-Konzentration gewählt. Gegen die von Dr. H gewählten Versuchsbedingungen hatte der Sachverständige J keine Einwände und hat zudem bestätigt, dass auch bei der kommerziellen Anwendung von ELISA-Tests die von ihm gewählten stringenten Versuchsbedingungen keine Anwendung finden.
    Im Übrigen hätten die Kompetitionsversuche auf dem Assay der Firma K eindeutige Kompetitionseffekte gezeigt, sofern sie ohne vorgeschaltete Waschgänge zur Untersuchung von Kalziumeffekten erfolgten.
  28. (iii)
    Während die vorgeschalteten Versuchsteile der Vorbereitung dienten, stellten die Experimente des dritten Versuchsteils die entscheidenden Schritte zur Beantwortung der Beweisfragen dar. Dieser Versuchsteil umfasste drei Experimente, mit denen die eigentlichen tTG-Kompetitionsversuche auf den Testkits der Beklagten mit den Bezeichnungen „L tTG A New Generation Ref. 3503“, „L tTG GA Generation, Ref. 3516“ und „N New Generation, Ref. 3510“ durchgeführt wurden.
    In diesem Rahmen hielt der Sachverständige fest, dass die von ihm durchgeführten Kompetitionsansätze mit monoklonalen tTG-Referenz-Antikörpern zeigten, dass Epitope der tTG im Gliadin-Peptid-tTG-Komplex zugänglich waren, wobei die Spezifität der Antikörper-Bindungen durch die tTG-spezifische Inhibition bestätigt worden sei.
    Seine Schlussfolgerung beruht darauf, dass die Reduktion der Signalstärken bei den Seren A1, A3 und A4 deutlich war und klare Kompetitionseffekte zeigte. So habe sich bei diesen Seren ohne Zusatz von tTG zunächst ein deutliches Signal ergeben. Nach der Zugabe des Kompetitors sei dieser Wert durch die Inhibition unter den Cut-Off-Wert gerutscht. Im Einzelnen hat der Sachverständige im Rahmen der Anhörung auf verschiedene Versuche verwiesen. So habe sich der Kompetitionseffekt im Hinblick auf die angegriffene Ausführungsform II insbesondere bei dem Serum A 4 im Experiment 7, Versuch 3 (Seite 187 der Anlage zum Gutachten vom 24.06.2020, Bl. 517 dA) gezeigt. Dort ergibt sich aus der Zeile A4+ (also nach der Zugabe des Kompetitors) ein Wert, der deutlich unter dem für diese Versuchsreihe ermittelten Cut-Off-Wert (siehe Zeile „cut off“) liegt, wohingegen dieser Wert ohne Zugabe des Kompetitors deutlich über diesem Cut-Off-Wert lag. Genau so verhält es sich mit den Seren A 1, A 3 und A 4 im Experiment 8, Versuch 1 (Seite 190 der Anlage zum Gutachten vom 24.06.2020, Bl. 517 dA; zum Cut-Off-Wert siehe Zeile „CC“), wobei der Sachverständige in diesem Zusammenhang eingeräumt hat, dass das Serum A 1 grenzwertig gewesen sei. Außerdem hervorgehoben hat der Sachverständige das Serum A 3 im Experiment 8, Versuch 3 (Seite 196 der Anlage zum Gutachten vom 24.06.2020, Bl. 517 dA).
    Gegenüber den Produkten „L tTG A New Generation“ und „L tTG GA New Generation“ fielen die Kompetitionseffekte auf dem Nachweis-Kit „N New Generation“ zwar schwächer aus, sie waren dennoch deutlich genug, um als tTG-spezifische Inhibition der Antikörperbindung gegen den auf der Platte befindlichen Gliadin-Peptid-tTG-Komplex gewertet zu werden.
    Hingegen waren die eingesetzten Seren A2 und A8 nicht zu inhibieren, obwohl tTG-Kompetitionsversuche auf den tTG-Nachweis-Kits der Firma K und der Klägerin deutliche tTG-Kompetitionseffekte gezeigt hatten. Für die abweichenden Ergebnisse konnte der Sachverständige J jedoch verschiedene Erklärungsansätze aufzeigen. Ein Grund könne beispielsweise darin liegen, dass diese Seren überwiegend an Neo-Epitope binden würden und deshalb nicht durch tTG zu inhibieren wären. Außerdem könnten die Antikörper dieser Seren eine deutlich höhere Affinität zu den Epitopen des Festphasen-gebundenen tTGs besitzen als zum freien tTG. Insofern würde das Festphasen-gebundene tTG erfolgreicher um Antigenbindungen konkurrieren. Letztlich sei es möglich, dass in den Seren vorhandene Gliadin-Antikörper mit den tTG-kreuzvernetzten Gliadin-Peptiden interagieren und so die tTG spezifischen Signale überlagern könnten.
    Der Sachverständige hat im Rahmen seines Gutachtens jedoch ausgeführt, dass der Umstand, dass bei zwei von fünf Seren keine Kompetition zu beobachten gewesen sei, die Spezifität der Antikörper-Bindungen nicht in Frage stelle.
  29. (iv)
    Die Kammer schließt sich der vom Sachverständigen J gezogenen Schlussfolgerung an. Der Sachverständige hat vor Durchführung der Tests ein umfangreiches Protokoll erstellt und mit den Parteien abgestimmt. Die von ihm aufgefundenen Ergebnisse sind nachvollziehbar dargestellt und die Argumentation zur Beantwortung der Beweisfragen ist plausibel. Sofern nicht alle Versuche die positive Beantwortung der Beweisfragen stützen, hat der Sachverständige verschiedene Ansätze präsentiert, die die Abweichungen erklären, ohne das Gesamtergebnis in Frage zu stellen.
    Es war in diesem Zusammenhang für die Überzeugungsbildung der Kammer nicht erforderlich, alle Kompetitionstests erfolgreich durchzuführen. Dass die angegriffene Ausführungsform II in der Lage ist, Antikörper gegen tTG nachzuweisen, ist durch die erfolgreich mit den Seren A 1, A 3 und A 4 durchgeführten Kompetitionsversuche ausreichend belegt worden.
    Ebenso wenig war dazu ein 100 %-iger Kompetitionseffekt notwendig. Der Sachverständige J hat im Rahmen der Anhörung ausgeführt, dass es nicht zu einem vollständigen Kompetitionseffekt komme, weil es schon bei der Immobilisierung der tTG auf den Test-Kits dazu komme, dass Epitope verlegt würden. Denn nach der Bindung des Antigens an die Festphase sei kein Raum mehr zwischen Antigen und Platte vorhanden. Da das jeweilige Assay entscheidend dafür sei, ob Antikörper binden könnten oder nicht, habe er zwei verschiedene monoklonale Antikörper verwendet, um dadurch eine größere Breite abzudecken.
    Sofern die Beklagten behaupten, dass das Gutachten des Sachverständigen J unter Mängeln leide, vermögen diese – selbst wenn man deren Vorhandensein unterstellt – nichts an dem überzeugend gefundenen Ergebnis zu ändern. So tragen die Beklagten vor, dass im Text Verweise zu den Abbildungen fehlen würden, Daten in den Abbildungen der Tabellen nicht verlässlich zu den Rohdaten zurückzuverfolgen und Experimente nicht immer klar identifiziert worden seien, Tabellen auf dem Kopf eingefügt worden seien, Verweise auf nicht existierende Kapitel existierten und teilweise die Zuordnung von Daten zur Grafik fehlten. Dies vermag jedoch nichts an der Verständlichkeit und Nachvollziehbarkeit des Gutachtens insgesamt zu ändern und ist von den Beklagten so auch nicht vorgetragen worden.
    Sofern die Beklagten darüber hinaus behaupten, dass es fehlerhafte Versuchsdurchführungen gegeben habe, die eine Wiederholung erfordert hätten, ist dem entgegenzuhalten, dass der Sachverständige sich nicht auf die Durchführung einzelner Versuche beschränkt hat, sondern ganze Testreihen und die entscheidenden Tests der dritten Versuchsreihe sogar mehrfach durchgeführt hat. Sofern es bei einzelnen Versuchen zu Abweichungen oder Fehlern gekommen sein mag, hat der Sachverständige dies offen gelegt und erläutert, aus welchem Grund die mittels des fehlerhaften Versuchs gefundenen Ergebnisse einbezogen werden konnten oder nicht. So hat der Sachverständige J beispielsweise ausgeführt, dass es zu einem Pipettierfehler gekommen sei, weil er auf den Test mit den monoklonalen Antikörpern den falschen Detektionsantikörper gegeben habe. Die entsprechenden Ergebnisse seien nicht verwertbar gewesen und daher von ihm ausgeklammert worden. Im Übrigen hätten sich jedoch in diesem Zusammenhang eindeutige Messergebnisse ergeben.
    Die vom Sachverständigen gewählte Vorgehensweise ist damit nachvollziehbar und gibt keinen Anlass, an den von ihm gefundenen Ergebnissen zu zweifeln.
  30. (v)
    Die Beklagten haben dem Sachverständigen J entgegengehalten, dass die Ergebnisse des Kompetitionstests sich nicht mit den in Affenspeiseröhren durchgeführten Versuchen in Einklang bringen lassen würden. Sie haben insofern auf die Fluoreszenzbilder der Anlage CBH 29 verwiesen, die visuell zeigen würden, dass sich unterschiedliche Antigene in unterschiedlichen Bereichen der Speiseröhre befinden würden. Dem hat der Sachverständige jedoch in nachvollziehbarer Weise entgegen gehalten, dass es sich dabei nicht um Versuche auf Assays handelt, sondern um eine Immunantwort im lebenden Organismus, der sich von der im Darm des Menschen unterscheidet.
    Ebenso wenig ändert der Verweis der Beklagten auf die Anlage CBH 27 etwas an dem von den Sachverständigen aufgefundenen Gesamtergebnis. Dabei handelt es sich um die Studie von Rok et al. „Synthetic Neoepitopes of the Transglutaminase-Deamidated Gliadin Complex as Biomarkers for Diagnosing and Monitoring Celiac Disease“ in Gastroenterology 2019, 156: 582-591, die die Eigenständigkeit und Spezifität von Neo-Epitopen bestätigen soll. In diesem Zusammenhang hat der Sachverständige J darauf verwiesen, dass die Studie selbst von Einschränkungen (limitations) ausgeht (siehe S. 589, li. Sp., 2. Absatz). Diese würden sich daraus ergeben, dass die Untersuchungen anhand eines synthetischen Epitops durchgeführt worden seien, bei dem Peptid-Sequenzen aneinander gereiht worden seien. Dann seien Kombinationen dieser Peptid-Sequenzen und Permutationen untersucht worden, so dass es sich quasi um ein Screening verschiedener Sequenzen gehandelt habe.
  31. (vi)
    Sofern die Beklagten auf eigens durchgeführte Kompetitionstests verweisen, die eine spezifische Bindung von tTG-Antikörpern nicht bestätigt hätten (siehe Anlage CBH1 sowie zu den Ergebnissen Anlage CBH 9, zum Versuchsbericht Anlage CBH 10 und darüber hinaus die Anlagen CBH 23 und CBH 24), vermag dies nichts an der Überzeugung der Kammer zu ändern.
    Für ihre Tests verwendeten die Beklagten Proben, die sowohl im Neo-Epitop-ELISA als auch im tTG-ELISA positive Ergebnisse zeigten. Nach eigenen Angaben führten sie eine Kalibrierung in Bezug auf jede einzelne Probe durch, indem eine Konzentrationsreihe des Kompetitors eingesetzt worden sei. Für die Tests seien dann 1:100 verdünnte Serumproben mit einem Kompetitor mit Konzentrationen von jeweils 0,125 U/ml, 0,25 U/ml, 0,5 U/ml, 1 U/ml blockiert worden, bevor diese auf Neo-Epitop-A oder Neo-Epitop-B-Platten im Vergleich zu tTG-A oder tTG-B-Platten eingesetzt wurden.
    Die Beklagten tragen vor, dass die Zugabe von tTG bei der angegriffenen Ausführungsform II keine das Ergebnis der Tests beeinflussende Wirkung auf die zum Nachweis dienende Farbreaktion gehabt habe.
  32. (aa)
    Der Sachverständige J hat hinsichtlich der von den Beklagten aufgefundenen Ergebnisse festgehalten, dass diese im klaren Gegensatz zu den Ergebnissen der von Dr. H durchgeführten Tests – die nach seiner Auffassung dem Standard entsprochen hätten – liegen würden.
    Eine mögliche Erklärung dafür sieht er in der Auswahl der Seren-Kontingente. Denn es sei davon auszugehen, dass jeweils spezielle diagnostische Kriterien für die Auswahl der Seren angelegt worden seien, die sich voneinander unterscheiden könnten. Bei der von ihm selbst durchgeführten Studie sei die Auswahl der Seren allein an Hand der Zuordnung zur International Classification of Diseases-10 (IDC-10) K90.0 und den Anamnese-Parametern tTG IgA positiv- oder negativ-getestet vorgenommen. Es könne also sein, dass in dem von ihm genutzten Kontingent Seren vorhanden gewesen seien, die sowohl den Charakteristika der Kontingente der Beklagten als auch der Klägerin entsprachen und sich daraus Überschneidungen mit den Ergebnissen beiden Parteien ergeben hätten.
  33. (bb)
    Der Sachverständige I hat betont, dass eine Konzentration des Kompetitors eingesetzt werden müsse, über die eine signifikante Blockierung aller möglich verfügbaren Epitope ermöglicht werde. Die von den Beklagten eingesetzten sogenannten Enzym-Units der tTG würden demgegenüber keinen Rückschluss auf die tatsächlich eingesetzte Konzentration zulassen. Insofern seien die uneinheitlichen Ergebnisse der von den Beklagten durchgeführten Versuche (siehe Anlage CBH 1) voraussichtlich auf den Umstand zurückzuführen, dass keine hinreichende Blockierung der tTG-spezifischen Gesamtreaktivität der Patientenseren gewährleistet gewesen sei. Insofern sei die Interpretation der entsprechenden Ergebnisse durch die Beklagten eher spekulativer Natur.
  34. b)
    Die Feststellungen des Sachverständigen I bestätigen die durch den Sachverständigen J aufgefundenen Ergebnisse. Auch er ist – in Kenntnis des Gutachtens des Sachverständigen J – zu dem Ergebnis gekommen, dass die angegriffene Ausführungsform II von der Lehre des Klagepatents Gebrauch macht.
  35. aa)
    Zunächst bedarf in diesem Zusammenhang die Frage, ob es bei der Komplexbildung von tTG mit Gliadin-Peptiden zur Bildung von Neo-Epitopen im Grenzbereich kommt, keiner Klärung. Denn die Frage, ob der entstehende tTG-Gliadin-Peptid-Komplex noch Epitope in relevantem Ausmaß für die Bindung von tTG-Antikörpern aufweist, stellt sich unabhängig davon, ob dieser Komplex an der Verbindungsstelle zwischen Gliadin-Peptid und tTG auch sogenannte Neo-Epitope aufweist. Insofern ist auch die von den Beklagten zitierte Literatur, mit der diese das Vorhandensein von Neo-Epitopen darzulegen versuchen, nicht zielführend (siehe dazu die Anlagen CBH 2, CBH 7, CBH 22, CBH 27). Ebenso wenig relevant ist in diesem Zusammenhang der Umstand, ob und inwiefern die angegriffene Ausführungsform II frühere Diagnosen der Zöliakie ermöglicht als die erfindungsgemäße Lehre (siehe dazu die Anlagen CBH 6, CBH 11, CBH 28).
    Die Bildung von Neo-Epitopen kann insofern unterstellt werden und wird auch von den Sachverständigen nicht in Abrede gestellt. So hält der Sachverständige I fest, dass ein Komplex aus Gliadin-Peptiden mit der tTG die Bindung von Serumantikörpern sowohl gegen tTG selbst, als auch gegen das Gliadin-Peptid, sowie gegen die „Grenzflächen“ zwischen dem Gliadin-Peptid und der tTG ermögliche. An diesen Übergängen entstünden potentielle neue Epitope.
    Ferner geht der Sachverständige davon aus, dass theoretisch Serumantikörper, die gegen diese Neo-Epitope gerichtet sind, nicht oder nur eingeschränkt an das Gliadin oder die tTG gebunden würden; ebenso wenig würden tTG-spezifische Serumantikörper an derartige Neo-Epitope binden. Vor diesem Hintergrund hält er die Durchführung von Kompetitionsversuchen für zielführend, bei denen Seren von Zöliakie-Patienten mit nachgewiesener IgA- oder IgG-Reaktivität durch Zugabe von tTG in ihrer spezifischen Bindung an tTG neutralisiert würden. Derartig vorbehandelte Seren würden ein stark reduziertes Bindungsverhalten auf ELISA-Platten mit immobilisiertem tTG aufweisen, nicht jedoch auf Platten mit Neo-Epitopen.
    Somit bestätigen auch die Ausführungen des Sachverständigen I, dass das Vorhandensein von Neo-Epitopen nichts damit zu tun hat, ob der Gliadin-Peptid-tTG-Komplex daneben noch tTG-Epitope aufweist und damit tTG-Antikörper binden kann.
  36. bb)
    Der Sachverständige I geht davon aus, dass die angegriffene Ausführungsform II einen Komplex aus rekombinanter tTG mit 11-merem synthetischen Gliadin-Peptid als Antigen verwendet. Er führt aus, dass dieser Komplex auch tTG-spezifische Antikörper bindet und damit zum Nachweis reaktiver, polyklonaler Antikörper aus dem Serum von Zöliakiepatienten geeignet ist.
    Ausgangspunkt seiner Schlussfolgerungen stellt vor allem die Werbebroschüre der Beklagten (Anlage K 8, in deutscher Übersetzung Anlage K 8a) dar sowie der darin zitierte Aufsatz von O et al. „Molecular Characterization of Covalent Complexes between Tissue Transglutaminase and Gliadin Peptides“ (Anlage CBH 3).
  37. (i)
    In der Werbebroschüre wird die angegriffene Ausführungsform mit der Bezeichnung „L®tTG der neuen Generation“ beschrieben wie folgt (siehe die deutsche Übersetzung, Anlage K 8a, S. 3):
    „Aufgrund seiner Formulierung ist der L®tTG der neuen Generation in der Lage drei verschiedene Arten von Antikörpern nachzuweisen:
    • Antikörper gegen tTG
    • Antikörper gegen desaminierte Gliadinpeptide
    • Antikörper gegen Neo-Epitope“
    Damit wird in der Broschüre ausdrücklich der Nachweis von tTG-Antikörpern festgehalten. Zwar behaupten die Beklagten in diesem Zusammenhang, dass die in der Werbebroschüre getroffenen Aussagen nicht mehr den aktuellen Stand der Technik wiederspiegeln würden. Jedoch hat der Sachverständige für seine Feststellungen nicht lediglich die in der Broschüre getätigten Aussagen für seine Feststellungen herangezogen, sondern auch den darin in Bezug genommenen Aufsatz von O et al. „Molecular Characterization of Covalent Complexes between Tissue Transglutaminase and Gliadin Peptides“ (Anlage CBH 3) sowie die in der Broschüre in Bezug genommenen Studien (siehe S. 5 der Anlage K 8a). Es ist nicht ersichtlich, dass der Aufsatz von O oder die Studien nach dem aktuellen Stand der Technik keine Gültigkeit mehr beanspruchen können.
  38. (ii)
    Der Sachverständige zieht seine Schlussfolgerungen vor allem aus der in Anlage CBH 3 gezeigten Figur 6 auf Seite 9, in welcher die Lysinreste innerhalb der dreidimensionalen Struktur der tTG markiert dargestellt sind wie folgt:
  39. Aus dieser Figur – so der Sachverständige – lasse sich eine Vorstellung davon ableiten, wieviel Oberfläche ein Gliadin-Unadecapeptid im Vergleich zur tTG einnehmen könne. Daraus schließt er, dass unzweifelhaft genügend Epitope für die Bindung von Serumantikörpern an tTG auch nach der Komplexbildung mit Gliadin-Peptiden verbleiben würden.
    Der Sachverständige I kann die Behauptung der Beklagten, dass bei der Komplexbildung von tTG mit Gliadin-Peptiden eine vollständige und großflächige Abdeckung aller möglichen, tTG-betreffenden B-Zell-Epitope stattfinde, nicht bestätigen. Aus seiner Sicht sei die Behauptung, dass auf Grund des Verhältnisses von Gliadin-Peptid zu tTG von 4:1 das tTG vollständig abgedeckt und nicht mehr zugänglich für tTG-Antikörper sei, spekulativ. Selbst bei maximaler Belegung mit vier 11-meren Gliadin-Peptiden mit einem Molekulargewicht von 1,2 kDa könnten nicht alle B-Zell-Epitope der tTG mit einem Gewicht von 85 kDa verdeckt werden.
    Die Beklagten wenden dagegen ein, dass weder in der Anlage K 8, noch in irgendeiner anderen Publikation behauptet werde, dass das vom Sachverständigen I in Bezug genommene Peptid B-α1 oder irgendein anderes Peptid mit 11 Aminosäuren Länge (also 1,2 kDa groß) in den Herstellungsprozessen für die angegriffene Ausführungsform II verwendet werde. Auch ergebe sich dies weder aus dem Artikel von O et al. „Tissue transglutaminase and gluten deamidation“ aus dem Jahre 2002 (Anlage CBH 14), auf den der Sachverständige Bezug nehme, noch beziehe sich die Anlage K 13/13a auf ein 11-mer Peptid, sondern spreche allgemein nur von zwei Peptiden. Die Beklagten bleiben jedoch eine detaillierte Erläuterung des Herstellungsprozesses und der dabei verwendeten Peptide schuldig, die eine konkrete Beurteilung erst ermöglichen würden. Insofern ist ihr dahingehender Vortrag nicht substantiiert genug.
    Zudem hat der Sachverständige in Bezug auf den Einwand der Beklagten, dass das in Bezug genommene Peptid B-α1 nur in einigen wenigen Experimenten verwendet worden sei und es daneben auch ein Peptid α1 gebe, das kein N-terminales Biotin aufweise sowie ein weiteres Peptid α2, das nur im zweiten Teil mit dem ersten Peptid deckungsgleich sei, wobei beide Peptide in der Lage seien, sich an sechs statt nur an vier verschiedenen Positionen zu vernetzen, klargestellt, dass es nicht darauf ankomme, ob ein 11-meres oder ein 13-meres Gliadin-Peptid oder proteolytisch prozessiertes Gliadin verwendet werde, das in einer Anzahl von vier oder sechs Positionen an tTG binden könne. Denn dies ändere nichts an der grundsätzlichen Schlussfolgerung des Fachmanns, dass allein auf Grund der unterschiedlichen Molekulargewichte die tTG nicht so großflächig abgedeckt werde, dass keine aktiven oder sichtbaren tTG-Epitope mehr erkannt werden könnten.
    Sofern die Beklagten behaupten, dass durch die von ihr vorgenommenen Prozesse über die sechs Bindungsstellen hinaus sogar noch weitere Reaktionsstellen freigelegt würden, ist unklar, auf Grund welcher Tatsachengrundlage die Beklagten diese Schlussfolgerung ziehen. Jedenfalls wird diese Behauptung nicht unter Verweis auf O oder andere Fachliteratur aufgestellt.
  40. cc)
    Laut dem Sachverständigen I sei mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit davon auszugehen, dass auch deshalb immer eine tTG-spezifische Serumtätigkeit erkannt werde, weil die durch die Komplexe ausgelöste Gliadin-Peptid-Präsentation auf tTG-reaktiven B-Zellen erfolgen würde. Dies wiederum führe zu einer Gliadin-spezifischen Subpopulation von T-Zellen, die wiederum die Sekretion von tTG-spezifischen Antikörpern aus den tTG-spezifischen B-Lymphozyten stimulieren würden.
    Im Einzelnen erläutert der Sachverständige I unter Verweis auf den Artikel von Molberg et al. „Tissue transglutaminase selectively modifies gliadin peptides that are recognized by gut-derived T cells in celiac disease“, in Nature Medicine 4, S. 713-717, 1998, dass Gliadin-Peptide, die sich dadurch auszeichnen, dass sie über spezifische HLA-Komplexe auf den B-Zellen der Zöliakiepatienten präsentiert werden, mit Gliadin-spezifischen T-Zellen interagieren. Es sei naheliegend, dass gerade diese Komplexe auch zur theoretischen Ausprägung von Neo-Epitopen an den Grenzflächen zwischen tTG und Gliadin-Peptid führen würden. Eben diese Peptide reflektiere die O-Publikation. Das bedeute, dass eben nicht beliebige Polypeptide oder beliebig große Sekundärstrukturen für die T-Zell-relevante Komplexbildung eingesetzt werden.
    Die gebildeten Komplexe würden von den tTG-spezifischen B-Zellen der Zöliakiepatienten erkannt, welche wiederum verantwortlich für die Sekretion der tTG-spezifischen Antikörper und die polyklonale Serumaktivität seien.
    Wesentlich sei dabei, dass die B-Zellen, die die Gliadin-Peptid-tTG-Komplexe erkennen, diese nicht nur binden, sondern auch prozessieren und entsprechend prozessierte Peptide wieder über HLA-Komplexe an ihrer Oberfläche präsentieren. Durch diese antigenpräsentierende Funktion der B-Zellen werde die beschriebene tTG-Reaktivität noch weiter verstärkt und führe letztendlich zur Ausprägung hochaffiner Antikörper mit hoher Spezifität gegen tTG.
  41. dd)
    Sofern die Beklagten behaupten, dass durch die Vernetzung des Gliadins mit tTG ein Molekül mit anderen Charakteristika entstehen würde, als sie noch die tTG aufgewiesen hätte, konnte der Sachverständige I diesen Vortrag nicht bestätigen.
    Die Beklagten behaupten, dass die Gliadin-Peptide mit der tTG chemisch kovalent zu einem neuen Molekül reagieren würden, es sich also nicht nur um eine „Verwebung“, sondern eine echte chemische Verbindung handeln würde, bei der die tTG-spezifischen Epitope zerstört bzw. eingeschlossen würden.
    Der Sachverständige verweist in diesem Zusammenhang auf den Artikel von Seissler et al. „Autoantibodies from patients with coeliac disease recognize distinct functional domains of the autoantigen tissue transglutaminase“ (Clinical & Experimental Immunology, Heft 125, S. 216 ff., 2001; siehe Anlage K 19), aus dem sich ergebe, dass das N-terminale und das C-terminale Drittel der tTG die dominanten B-Zell-Epitope der tTG beinhalteten, während die katalytische Region sich nur durch eine geringe Antigenität auszeichne. Unter Berücksichtigung des Inhalts der K 19 und der technischen Lehre aus Abbildung 6 der CBH 3 werde offensichtlich, dass im N-terminalen Bereich der tTG kein reaktives Lysin sitze, das eine Peptidbrückenbindung zu einem Gliadin-Peptid bilden könne. Daher sei es äußerst unwahrscheinlich, dass die konformationellen B-Zell-Epitope des N-terminalen Bereichs der tTG maskiert sein könnten.
  42. (i)
    Die Beklagten wenden dagegen ein, dass der Sachverständige I fälschlicherweise davon ausgehe, dass nur Lysine innerhalb des Peptids in der Lage seien, Transamidierungen einzugehen. Sie behaupten, dass der N-Terminus zwar kein Lysin aufweise, aber trotzdem transamidiert werden könne. Es könne damit zu Kreuzvernetzungen des N-Terminus kommen. In diesem Zusammenhang verweisen sie auf einen Artikel von Eckert et al. “Transglutaminase Regulation of Cell Function”, in Physiol. Rev., 2014 (Anlage CBH 19), der in der Figur 1 zeige, dass auch Glutamine mit dem N-Terminus von Proteinen reagieren könnten. Sofern der Sachverständige I es für “unwahrscheinlich” halte, dass B-Zell-Epitope des N-terminalen Bereichs der tTG maskiert seien, beruhe diese Annahme auf unzureichendem Fachwissen. Außerdem gehe der Sachverständige sodann nicht weiter auf die C-terminalen Epitope ein.
    Der Sachverständige hat daraufhin erläutert, dass es sicherlich technische Möglichkeiten gebe, an die acetylierte Aminosäure HLA-präsentierbare Peptide zu koppeln. Er bezweifelt jedoch, dass diese Art der Kopplung in der Natur bzw. im Patienten zu Stande kommen würde. Es werde nur über natürlich vorkommende Komplexe gewährleistet, dass Neo-Epitope verfügbar gemacht werden, die auch in der Natur vorkämen und gegen die in den Zöliakiepatienten auch Antikörper gebildet werden könnten. Damit bleibe er bei der Aussage, dass es eher unwahrscheinlich sei, dass die konformationellen B-Zell-Epitope des N-terminalen Bereichs der tTG natürlicherweise durch HLA-präsentierbare Peptide maskiert oder verändert sein könnten.
  43. (ii)
    Die Beklagten argumentieren ferner, dass offen bleibe, ob durch die Bindung der Gliadine die Konformation der tTG so verändert werde, dass Antikörper die konformationellen Epitope nicht mehr erkennen könnten. In diesem Zusammenhang verweisen die Beklagten auf einen Aufsatz von Iversen R, Di Niro R, Stamnaes J, Lundin KEA, Wilson PC, Sollid LM “Transglutaminase 2-specific autoantibodies in celiac disease target clustered, N-terminal epitopes not displayed on the surface of cells” (Journal of immunology, 2013) (Anlage CBH 15), in dem es heißt, dass die Epitope, die von TG-2 spezifischen Autoantikörpern in der Zöliakie erkannt würden, konformationell seien, was es schwierig mache, die spezifischen strukturellen Regionen zu bestimmen, die erkannt würden.
    Da die Beklagten selbst einräumen, dass die spezifische Struktur des Komplexes aus Gliadin-Peptid und tTG nicht bekannt sei, stützt der Aufsatz die Annahme der Beklagten hinsichtlich der konformationellen Änderung nicht. Auch der Sachverständige I hält fest, dass die Anlage CBH 15 zwar die Existenz von Autoantikörpern als Konformationsantikörper bestätige, nicht jedoch die These einer konformationellen Änderung der tTG nach Bindung der Gliadin-Peptide.
  44. (iii)
    Hinsichtlich der von dem Sachverständigen I geäußerten Zweifel an Strukturveränderungen durch die Komplexbildung tragen die Beklagten vor, dass die Konformation der tTG durch viele Faktoren, wie Kalzium-Ionen und Guanosintriphosphat (GTP) beeinflusst werde. Die Anwesenheit von GTP entscheide sogar darüber, ob tTG in einer offenen oder geschlossenen Form vorliege, die strukturell sehr unterschiedlich seien. Damit erkläre sich, dass die Bindung von einem Peptid ebenfalls weitreichende konformationelle Veränderungen mit sich bringe. Da tTG-Antikörper gegen konformationelle Epitope gerichtet seien, habe die Veränderung unmittelbare Konsequenzen für die Antikörper-Bindung an tTG. In diesem Zusammenhang verweisen die Beklagten auch auf einen Aufsatz von Sblattero et al. (2002) (Anlage CBH 20). Darin seien verschiedene Fragmente der tTG generiert und auf die Bindung von Antikörpern untersucht worden. Das Vorhandensein der C- oder N-terminalen Domäne spiele in diesem Zusammenhang eine entscheidende Rolle.
    Der Vortrag der Beklagten stellt lediglich heraus, dass konformationelle Änderungen zwar nicht ausgeschlossen werden können, er stellt jedoch keinen Beleg für die von ihnen behauptete konformationelle Änderung und das damit einhergehende vollständige Verdecken der tTG-Epitope dar.
    Ebenso verhält es sich mit dem Vortrag der Beklagten, dass in einer Veröffentlichung aus März 2017 durch die Bindung von Gliadin-Peptiden an tTG eine Veränderung von einer geschlossenen (inaktiven) zu einer offenen (aktiven) Form hin berichtet werde. Zum einen wird diese Veröffentlichung nur auszugsweise wiedergegeben und nicht in Gänze zu den Akten gereicht. Zum anderen ist auch hier nicht erkennbar, inwiefern darin die von den Beklagten behauptete konformationelle Änderung der tTG zum Ausdruck kommt und tatsächlich über die Antigenität im Hinblick auf tTG-Antikörper entscheidet.
  45. (iv)
    Die Beklagten wenden ein, dass sich mit allen möglichen Tests unspezifische Bindungen von tTG-Antikörpern erzeugen lassen würden, die weder molekularen, noch therapeutischen Bezug zu tTG bzw. Zöliakie hätten.
    So haben sie Versuche durchgeführt mit mikrobieller TG (im Folgenden: mTG), bei dem es sich um ein völlig anderes Molekül handele und das keine Bindungen mit anti-tTG-Antikörpern eingehen könne. Dennoch könne mTG mit Gliadin zu Neo-Epitopen mit derselben Spezifität und Sensitivität reagieren, wie die unter Verwendung von tTG hergestellten Epitope. Die von den Beklagten durchgeführten Versuche hätten ergeben, dass die mit mTG produzierten Epitope und die Neo-Epitope der angegriffenen Ausführungsform II gleichermaßen anschlagen würden, was bedeute, dass für die Ergebnisse bezogen auf die angegriffene Ausführungsform II nicht die Reaktion mit tTG-Antikörpern aus Patientenseren ausschlaggebend sein könne. Die Beklagten meinen daher, dass auf Grund des Umstandes, dass Neoepitope auf Basis von mikrobiell hergestellter mTG Neoepitop-Antikörper in gleichem Maße binden wie Neoepitope auf Basis von tTG, letztere offensichtlich nicht an tTG-Antikörper binden würden.
    Jedoch lassen die von den Beklagten durchgeführten Versuche mit mTG keine relevanten Rückschlüsse darauf zu, inwiefern der Gliadin-Peptid-tTG-Komplex Epitope aufweist, an die tTG-Antikörper binden können. Denn zum einen ist mTG anderen Ursprungs als tTG und damit nicht mit dieser vergleichbar. Zudem haben die Beklagten keine Kompetitionsversuche mit mTG durchgeführt. Daher bleibt völlig unklar, was dort unter welchen Voraussetzungen bindet. Insgesamt bleiben die von den Beklagten gewählten Versuchsbedingungen unklar.
  46. (v)
    In diesem Zusammenhang hat auch der Sachverständige J festgestellt, dass weitreichende molekularbiologische und proteinbiochemische Untersuchungen erforderlich wären, um Neo-Epitope im Hinblick auf ihre Antikörper-bindenden Aminosäuresequenzen (lineare Epitope) und strukturelle bzw. konformationelle Eigenschaften (konformationelle Epitope) zu charakterisieren. Erst dann könnten sie von tTG-Epitopen abgegrenzt werden.
  47. c)
    Insgesamt hat der Sachverständige I zahlreiche Argumente vorgebracht, die die Argumentation der Klägerin stützen. Wenngleich für die genaue Analyse der Neo-Epitope im Einzelnen weitreichende Untersuchungen notwendig wären und damit letzte Zweifel nicht gänzlich ausgeräumt werden können, steht es jedoch auf Grund der Zusammenschau aus den Ergebnissen der von dem Sachverständigen J durchgeführten Versuche und der theoretischen Erwägungen des Sachverständigen I fest, dass es sich bei den von der angegriffenen Ausführungsform II verwendeten Gliadin-Peptid-tTG-Komplexen um Analoga der tTG handelt.
    Die Sachverständigen haben im Rahmen der Anhörung zwar ausgeführt, dass für eine genaue Bestimmung der Epitope des Gliadin-Peptid-tTG-Komplexes ein sogenanntes Epitop-Mapping notwendig wäre, mit dem die einzelnen Aminosäuren und die Region auf dem Protein untersucht werden. Der Aufwand und die Kosten für eine solche Analyse stehen jedoch außer Verhältnis, da der Nachweis mittelbar durch Kompetitionstests erfolgen kann und hier geschehen ist. Dies ist für die Überzeugungsbildung des Gerichts ausreichend. Da die Bindung der tTG-Antikörper durch die Kompetition unterdrückt wurde, ist der Nachweis, dass die angegriffene Ausführungsform II tTG-Antikörper durch eine Immunreaktion mit tTG bzw. einem Analogon nachweisen kann, indirekt erbracht worden.
  48. aa)
    Durch die Kompetitionstests wurde eine Immunreaktion mit Analoga der tTG nachgewiesen, siehe Merkmal 3 des Klagepatents.
    Durch die von dem Sachverständigen J durchgeführten Versuche wurde nachgewiesen, dass tTG-Antikörper an den auf der angegriffenen Ausführungsform II befindlichen Gliadin-Peptid-tTG-Komplex binden. Dieser Komplex weist tTG-Epitope auf (siehe unten, Ziff. (i)), so dass es sich dabei zumindest um ein tTG-Analogon im Sinne des Klagepatents handelt (siehe unten, Ziff. (ii)).
  49. (i)
    Zunächst hat der Umstand, dass die Tests mit monoklonalen Antikörpern durchgeführt wurden, gezeigt, dass der Komplex Zugänge zu tTG-Epitopen aufweist.
    Die Sachverständigen konnten im Rahmen der Anhörung ausschließen, dass die Bindung der tTG-Antikörper an Neo-Epitope statt an tTG-Epitope erfolgt. Der Sachverständige J hat ausgeführt, dass durch den monoklonalen Antikörper ein bestimmtes Epitop präzise definiert werde. Man kenne dadurch die Bindungsstelle des Antikörpers bzw. die Position des Epitops, das sich in der Nähe des aktiven Zentrums befinde. Der Sachverständige I hat insofern ausgeführt, dass man von hochgradig spezifischen Reaktionen zwischen dem Epitop und dem Paratop des Antikörpers ausgehe. Je spezifischer diese Reaktion sei, desto geringer sei die Wahrscheinlichkeit des Auftretens einer Kreuzreaktion. Insofern hätten die Kompetitionsversuche auf jeden Fall tTG-spezifische Reaktivitäten aus den Seren nachgewiesen. Zwar könnten bei der Konjugation des Gliadin-Peptids mit der tTG möglicherweise tTG-spezifische Epitope zerstört worden sein. Dies betreffe aber nicht alle dieser Epitope. Der Sachverständige J hat in diesem Zusammenhang festgehalten, dass die tTG-Epitope klar definiert bleiben und Neo-Epitope eigenständig daneben stehen.
  50. (ii)
    Für die Verwirklichung der erfindungsgemäßen Lehre reicht der durch die Kompetitionstest erfolgte Nachweis, dass die Gliadin-Peptid-tTG-Komplexe tTG-Epitope aufweisen, an die tTG-Antikörper binden können. Diese Bindungsfähigkeit zeigt, dass es sich bei dem Gliadin-Peptid-tTG-Komplex zumindest um tTG-Analoga handelt.
    So kann dieser Komplex zwar nicht unmittelbar als tTG im Sinne des Klagepatents angesehen werden. Denn dies setzt voraus, dass es sich um einen Stoff mit den in der Beschreibung des Klagepatents näher erläuterten Eigenschaften handelt. So muss es sich um ein Monomer mit einem Molekulargewicht von 75-85 kDa handeln, das bestimmte, der Wundheilung förderliche Eigenschaften hat. Ob diese Eigenschaften auch dem Gliadin-Peptid-tTG-Komplex zugeschrieben werden können, ist unklar und war nicht Gegenstand der Untersuchung durch die Sachverständigen. Insofern konnten sich diese auch nicht eindeutig darauf festlegen, dass es sich nach dem fachmännischen Verständnis bei dem Gliadin-Peptid-tTG-Komplex um tTG im Sinne des Klagepatents handelt.
    Die Sachverständigen sind sich jedoch einig, dass es sich bei den Gliadin-Peptid-tTG-Komplexen jedenfalls um tTG-Analoga handelt. Auch nach der Definition des Klagepatents, das in dieser Hinsicht allein auf die Eignung abstellt, eine Reaktion mit tTG-Antikörpern einzugehen, handelt es sich bei den Komplexen um tTG-Analoga.
  51. (iii)
    Sofern die Beklagten meinen, dass bei den Kompetitionstests „extreme Versuchsbedingungen“ vorliegen würden und die Parameter vielmehr so eingestellt werden müssten, dass sie mit den Bedingungen verglichen werden können, unter denen der Test mit tTG-Antikörpern aus Patientenseren in Berührung komme, kann dem nicht gefolgt werden. Da sich in den Patientenseren polyklonale Antikörper befinden, kann der Nachweis von tTG auf den Mikrotiterplatten auf diese Weise nicht geführt werden. Dies haben die Beklagten indirekt dadurch eingeräumt, dass sie zu Beginn des Verfahrens auf eigens durchgeführte Kompetitionstests abgestellt haben.
  52. bb)
    Der Sachverständige J hat sowohl im Rahmen seines Gutachtens, als auch der Anhörung bestätigt, dass die Bindungen der tTG-Antikörper an die angegriffene Ausführungsform II jedenfalls in einzelnen Seren ausreichend ist, um kausal und damit geeignet für eine Diagnose oder Therapiekontrolle der Zöliakie zu sein, siehe Merkmal 1 und 2 des Klagepatents.
  53. (i)
    In der Anhörung hat der Sachverständige J bestätigt, dass es Seren gab, die bei seinen Tests ohne Zugabe von tTG ein eindeutig positives Signal lieferten und nach der Zugabe von tTG in den Bereich des Cut-Offs rutschten (insofern wird auf die Ausführungen unter Ziff. a) bb) (iii) verwiesen). Mit anderen Worten zeigten die Versuche, dass aus einer zuvor eindeutig positiven Diagnose durch die mit dem Kompetitor erfolgende Unterdrückung eine grenzwertige Bewertung der Diagnostik wurde. Dies sei ein Hinweis darauf, dass die tTG-Antikörper inhibiert werden. Daraus lässt sich der Umkehrschluss ziehen, dass sie einen nicht nur untergeordneten Beitrag zum positiven Testergebnis liefern, wenn sie nicht zuvor inhibiert worden sind. Durch die angegriffene Ausführungsform II werden demnach in nicht nur unerheblichem Umfang Antikörper gegen tTG nachgewiesen, siehe Merkmal 2 des Klagepatents.
    Vor diesem Hintergrund greift auch der Einwand der Beklagten, dass nach der Komplexbildung der tTG mit Gliadin nur noch ein geringer Prozentsatz an Rest-Epitopen vorhanden sei, der noch zu einer vereinzelten Bindung mit tTG-Antikörpern führen könne, nicht durch. Die von dem Sachverständigen J durchgeführten Versuche belegen vielmehr, dass es sich bei den Bindungen der tTG-Antikörper mit der tTG auf der Mikrotiterplatte der angegriffenen Ausführungsform II nicht nur um „Restaffinitäten“ handelt. Der Umstand, dass bei den Tests monoklonale, hochspezifische Antikörper eingesetzt wurden, zeigt auch, dass es sich – anders als von den Beklagten behauptet – nicht um eine unspezifische Detektion von deamidierten Gliadin-Peptiden des Neo-Epitops handelt, die tTG-ähnliche Epitope bilden.
  54. (ii)
    Die Inhibition der tTG-Antikörper durch die angegriffene Ausführungsform II liefert nicht nur einen Beitrag zum positiven Testergebnis für das Vorliegen einer Zöliakie. Der Sachverständige hat darüber hinaus bestätigt, dass umgekehrt die Stellung einer Diagnose nicht mehr möglich wäre, würde man die tTG-Antikörper hinwegdenken. Das heißt, dass sich die angegriffene Ausführungsform II für ein Verfahren zur Diagnose oder Therapiekontrolle der Sprue oder Zöliakie eignet, siehe Merkmal 1 des Klagepatents.
  55. 2.
    Auch im Übrigen liegen die Voraussetzungen für eine mittelbare Patentverletzung vor.
    Es handelt sich bei der angegriffenen Ausführungsform II um ein Mittel, das für das klagepatentgemäße Verfahren eingesetzt werden kann. Damit bezieht es sich auf ein wesentliches Element der Erfindung.
    Es ist außerdem unstreitig, dass die Beklagten die angegriffene Ausführungsform II in der Bundesrepublik Deutschland anbieten und liefern, was auch „zur Benutzung der Erfindung“ erfolgt. Es ist für die Beklagten aufgrund der Umstände zudem jedenfalls offensichtlich, dass die angegriffene Ausführungsform II zur Verwendung im Rahmen des klagepatentgemäßen Verfahrens geeignet ist.
  56. V.
    Auf Grund der festgestellten Patentverletzung stehen der Klägerin die von ihr geltend gemachten Ansprüche auf Schadensersatz, Auskunft und Rechnungslegung zu.
  57. 1.
    Die Klägerin hat gegen die Beklagten dem Grunde nach einen Anspruch auf Zahlung von Schadensersatz aus Art. 64 EPÜ i.V.m. § 139 Abs. 1 und 2 PatG.
    Das für die Zulässigkeit des Feststellungsantrags gemäß § 256 Abs. 1 ZPO erforderliche Feststellungsinteresse ergibt sich daraus, dass die Klägerin derzeit nicht in der Lage ist, den konkreten Schaden zu beziffern und ohne eine rechtskräftige Feststellung der Schadensersatzpflicht die Verjährung von Schadensersatzansprüchen droht.
    Die Beklagten sind zum Schadensersatz verpflichtet, weil sie die Patentverletzung schuldhaft begingen. Als Fachunternehmen hätten sie die Patentverletzung bei Anwendung der im Geschäftsverkehr erforderlichen Sorgfalt zumindest erkennen können, § 276 BGB. Es ist auch nicht unwahrscheinlich, dass der Klägerin durch die Schutzrechtsverletzung ein Schaden entstanden ist.
    Die Haftung der Beklagten zu 1) für die vor dem Zeitpunkt der Verschmelzung entstandenen Verbindlichkeiten folgt aus § 20 Abs. 1 Nr. 1 UmwG. Danach gehen die Verbindlichkeiten des übertragenden Rechtsträgers – also der zuvor unter C GmbH firmierenden C Vertriebs GmbH – auf den übernehmenden Rechtsträger – hier der Beklagten zu 1) – über.
    Die Beklagte zu 2) haftet als persönlich haftende Gesellschafterin der Beklagten zu 1) für den tenorierten Zeitraum.
    Die Haftung des Beklagten zu 3) ergibt sich aus der Garantenstellung, die dieser als Geschäftsführer der Beklagten zu 2) innehat.
    Eine Garantenstellung kann insbesondere dann bestehen, wenn der Schutz von Rechten Dritter eine organisatorische Aufgabe ist, zu der zu allererst der gesetzliche Vertreter berufen ist (BGH, Urt. v. 15.12.2015, Az. X ZR 30/14, in GRUR 2016, 257 – Glasfasern II, Rn. 112 m.w.N.). Kraft seiner Verantwortung für die Organisation und Leitung des Geschäftsbetriebs und der damit verbundenen Gefahr, dass dieser so eingerichtet wird, dass die Produktion oder Vertriebstätigkeit des Unternehmens die fortlaufende Verletzung technischer Schutzrechte Dritter zur Folge hat, ist der gesetzliche Vertreter einer Gesellschaft deshalb grundsätzlich gehalten, die gebotenen Überprüfungen zu veranlassen oder den Geschäftsbetrieb so zu organisieren, dass die Erfüllung dieser Pflicht durch dafür verantwortliche Mitarbeiter gewährleistet ist. Er muss insbesondere dafür sorgen, dass grundlegende Entscheidungen über die Geschäftstätigkeit der Gesellschaft nicht ohne seine Zustimmung erfolgen und dass die mit Entwicklung, Herstellung und Vertrieb betrauten Mitarbeiter der Gesellschaft die gebotenen Vorkehrungen treffen, um eine Verletzung fremder Patente zu vermeiden (BGH, a.a.O. Rn. 117 m.w.N.).
    Im Übrigen bedarf es hier keiner näheren Feststellungen dazu, dass die schuldhafte Verletzung eines Patents durch eine Gesellschaft auf einem schuldhaften Fehlverhalten ihrer gesetzlichen Vertreter beruht (vgl. BGH, a.a.O. Rn. 118).
  58. 2.
    Der Klägerin steht gegen die Beklagte auch ein Anspruch auf Rechnungslegung und Auskunft aus § 140b Abs. 1 PatG zu. Der Anspruch auf Auskunft über die Herkunft und den Vertriebsweg der angegriffenen Ausführungsform II ergibt sich aufgrund der unberechtigten Benutzung des Erfindungsgegenstands unmittelbar aus § 140b Abs. 1 PatG, der Umfang der Auskunftspflicht aus § 140b Abs. 3 PatG. Die weitergehende Auskunftspflicht und die Verpflichtung zur Rechnungslegung folgen aus §§ 242, 259 BGB, damit die Klägerin in die Lage versetzt wird, den ihr zustehenden Schadensersatzanspruch zu beziffern. Die Klägerin ist auf die tenorierten Angaben angewiesen, über die sie ohne eigenes Verschulden nicht verfügt, und die Beklagten werden durch die von ihr verlangten Auskünfte nicht unzumutbar belastet.
    Hinsichtlich der Haftung der Beklagten zu 1) für den Zeitraum vor der Verschmelzung sowie der Haftung der Beklagten zu 2) und 3) gelten die obigen Ausführungen entsprechend (siehe oben, Ziffer 1.).
  59. VI.
    Die prozessualen Nebenentscheidungen beruhen auf den §§ 91, 91a Abs. 2, 93, 100 Abs. 4, 709 S. 1 und 2, 794 Abs. 1 Nr. 3 ZPO.
  60. 1.
    Nach dem Anerkenntnis der Beklagten zu 1) im Hinblick auf die angegriffene Ausführungsform I sind die diesbezüglich angefallenen Kosten der Klägerin gemäß § 93 ZPO aufzuerlegen. Denn die Beklagte zu 1) hat die insoweit gegen sie gerichteten Anträge sofort anerkannt im Sinne des § 93 ZPO.
  61. a)
    Nach § 93 ZPO sind dem Kläger die Prozesskosten aufzuerlegen, wenn der Beklagte nicht durch sein Verhalten zur Erhebung der Klage Veranlassung gegeben hat und der Anspruch sofort anerkannt wird. Veranlassung zur Klageerhebung hat der Beklagte dann gegeben, wenn sein Verhalten vor Prozessbeginn ohne Rücksicht auf Verschulden und materielle Rechtslage gegenüber dem Kläger so war, dass dieser annehmen musste, er werde ohne Klage nicht zu seinem Recht kommen (vgl. Zöller/Herget, 33. Aufl. 2020, § 93 Rn. 3). An der Veranlassung zur Klage fehlt es in der Regel, wenn der Beklagte nicht ordnungsgemäß abgemahnt worden ist (vgl. Kühnen, Handbuch der Patentverletzung, 12. Aufl. 2020, Kap. C, Rn. 161). Bei Bestimmung eines frühen ersten Termins ist das Anerkenntnis dann als sofort im Sinne des § 93 ZPO anzusehen, wenn es innerhalb der Klageerwiderungsfrist erfolgt (vgl. Zöller/Herget, a.a.O., Rn. 4).
    Anlass zur Klage auf Unterlassung, Rechnungslegung und Feststellung der Schadensersatzpflicht wegen Patentverletzung ist dann gegeben, wenn Tatsachen vorliegen, die im Kläger vernünftigerweise die Überzeugung oder Vermutung hervorrufen mussten, er werde ohne die Klage nicht zu seinem Recht kommen (vgl. Benkard/Grabinski/Zülch, PatG, 11. Aufl. 2015, § 139 Rn. 163). Die Patentverletzung als solche, auch wenn sie sich aus Sicht des Klägers als vorsätzlich begangen darstellt, ist keine solche Tatsache (vgl. OLG Düsseldorf, Beschluss vom 07.08.2002, Az. 2 W 10/02, m.w.N.). Der Verletzte wird deshalb in der Regel den Verletzer vor Erhebung der Klage abmahnen müssen, wenn er für den Fall des sofortigen Anerkenntnisses der Kostenfolge des § 93 ZPO entgehen will (vgl. Benkard, a.a.O., m.w.N.).
  62. b)
    Nach den vorstehend dargestellten Grundsätzen hat die Beklagte zu 1) keine Veranlassung zur Klage gegeben und die in Bezug auf die angegriffene Ausführungsform I gerichteten Anträge sofort im Sinne des § 93 ZPO anerkannt.
  63. aa)
    Zwischen den Parteien steht außer Streit, dass die Klägerin die Beklagte zu 1) nicht vorgerichtlich abmahnte. Eine solche Abmahnung war jedoch nicht entbehrlich.
    Ob eine Abmahnung entbehrlich ist, beurteilt sich nicht nach der Prognose, inwieweit sie tatsächlich erfolgsversprechend sein kann, sondern entscheidend ist vielmehr, ob aus der Sicht des Klägers zu der Zeit, zu der er entscheiden muss, ob er im betreffenden Einzelfall abmahnt oder dies unterlässt, eine Verwarnung des Verletzers bei Anlegung eines objektiven Maßstabs für ihn zumutbar ist (vgl. OLG Düsseldorf, Beschluss vom 07.08.2002, Az. 2 W 10/02).
    Unzumutbarkeit ist nur dann gegeben, wenn a) die mit einer vorherigen Abmahnung notwendig verbundene Verzögerung unter Berücksichtigung der gerade im konkreten Fall gegebenen außergewöhnlichen Eilbedürftigkeit schlechthin nicht mehr hinnehmbar ist, etwa um besonderen Schaden von dem Kläger abzuwenden, oder b) sich dem Kläger bei objektiver Sicht der Eindruck geradezu aufdrängen musste, der Verletzer baue auf die grundsätzliche Abmahnpflicht und wolle sich diese zunutze machen, um mindestens eine Zeit lang ungestört die Verletzungshandlungen begehen zu können und sich gegebenenfalls nach damit erzieltem wirtschaftlichen Erfolg unter Übernahme vergleichsweise niedriger Abmahnkosten zu unterwerfen (vgl. OLG Düsseldorf, a.a.O.).
  64. (i)
    Dies war vorliegend nicht der Fall. Für die Klägerin war hier vielmehr eine Abmahnung mit der Setzung einer kurzen Frist ohne weiteres möglich. Es sind keine Umstände dafür ersichtlich, dass sich der Klägerin aus objektiver Sicht aufdrängen musste, die Beklagte zu 1) baue auf die grundsätzliche Abmahnpflicht, um dadurch eine Zeit lang noch eine Verletzungshandlung begehen zu können und sich dann unter Übernahme vergleichsweise niedriger Abmahnkosten zu unterwerfen.
  65. (ii)
    Dass hier eine Abmahnung entbehrlich gewesen wäre, weil die damit verbundene Verzögerung aus der Sicht der Klägerin bei ihr zu schwerwiegenden Schäden hätte führen können, ist nicht ersichtlich. Die Klägerin hat die Beklagte zu 1) mit Schreiben vom 11.12.2009 darauf hingewiesen, dass sie exklusive Lizenzrechte an dem Klagepatent besitzt. Sodann wartete sie vier Monate zu, bis sie schließlich ein Antwortschreiben der Beklagten zu 1) erreichte, in dem diese mitteilte, dass sie keine patentverletzenden Produkte anbiete. Zwar erfolgte damit nur eine zögerliche Antwort der Beklagten zu 1) auf die Lizenzvorschläge der Klägerin. Aber es wäre gerade aus diesem Grunde für die Klägerin ein Leichtes gewesen, mit einer Abmahnung nachzufassen und die Lizenzverhandlungen zu beschleunigen. Stattdessen macht es den Anschein, als hätte die Klägerin die Verhandlungen weiter laufen lassen. Das lange Zuwarten der Klägerin zeigt, dass eine außergewöhnliche Eilbedürftigkeit nicht bestand.
    Die Klägerin kann sich auch nicht mit Erfolg darauf berufen, eine Abmahnung sei ihr deshalb nicht zumutbar gewesen, weil sie aus ihrer Sicht davon hätte ausgehen müssen, dass diese ohne Erfolg bleiben würde. Allein der Umstand, dass die Beklagte zu 1) vier Monate mit einer Antwort auf das Schreiben vom 11.12.2009 zuwartete und weitere drei Monate vergehen ließ, bis sie zu dem übersandten Lizenzvertrag Stellung genommen hatte, vermag nicht die Annahme zu begründen, eine Abmahnung werde auf keinen Fall Erfolg haben und darauf könne als von vornherein zwecklos verzichtet werden. Gerade vor dem Hintergrund der Anfrage der Beklagten zu 1) in Bezug auf die Übersendung eines Lizenzvertrages mussten aus der Sicht der Klägerin Unsicherheiten hinsichtlich des Verhaltens der Beklagten zu 1) bleiben, die eine Abmahnung nicht entbehrlich machten.
    Soweit die Klägerin weiterhin darauf verweist, dass die Beklagte zu 1) über die Existenz eines Klagepatents informiert gewesen sei und damit eine vorsätzliche Patentverletzung begangen habe, vermag auch dies nichts an der Erforderlichkeit einer vorherigen Abmahnung zu ändern. Denn allein der Umstand eines vorsätzlichen Handelns gibt keinen Anlass für die Annahme, dass der Verletzer sich einer Abmahnung nicht beugen werde (vgl. OLG Düsseldorf, a.a.O.; OLG Hamburg, Beschluß vom 17.07.1995, Az. 3 W 64/95, in BeckRS 9998, 00326).
    Angesichts dieser Umstände kann bei Anlegung des erforderlichen objektiven Maßstabs keine Rede davon sein, dass die Klägerin bei Klageerhebung davon ausgehen durfte, dass eine Abmahnung in keinem Fall, das heißt mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit, Erfolg haben werde. Im Gegenteil blieben aus Sicht der Klägerin erhebliche Unsicherheiten hinsichtlich der Reaktion der Beklagten zu 1) auf eine Abmahnung, so dass es ihr durchaus zumutbar war, diese vor Einleitung des Klageverfahrens abzumahnen.
  66. bb)
    Die Beklagte zu 1) hat das Anerkenntnis sofort im Sinne des § 93 ZPO erklärt. Der Beklagten zu 1) wurde in der prozessleitenden Verfügung vom 09.08.2010 (Bl. 24 dA) keine Frist zu Klageerwiderung gesetzt, sondern ein früher erster Termin für den 14.09.2010 bestimmt. Die Beklagte zu 1) hat bereits mit Schriftsatz ihrer Prozessbevollmächtigten vom 30.08.2010 die Anträge betreffend die angegriffene Ausführungsform I anerkannt. So erfolgte die Anerkenntniserklärung vor Beginn der Klageerwiderungsfrist und damit sofort im Sinne des § 93 ZPO.
  67. 2.
    Soweit die Parteien den Rechtsstreit hinsichtlich des Unterlassungsanspruchs in der mündlichen Verhandlung übereinstimmend für erledigt erklärt haben, war nur noch eine Kostenentscheidung unter Berücksichtigung des bisherigen Sach- und Streitstands nach billigem Ermessen veranlasst. Dies führte zur Auferlegung der Kosten auf die Beklagten, da diese ohne den Eintritt des erledigenden Ereignisses in dem Rechtsstreit aller Voraussicht nach unterlegen gewesen wäre. Aus den Entscheidungsgründen ergibt sich, dass die von der Klägerin geltend gemachten Ansprüche vollumfänglich begründet sind. Insofern wären die Beklagten der Klägerin auch zur Unterlassung verpflichtet gewesen, Art. 64 EPÜ i.V.m. § 139 Abs. 1 PatG, wobei die Wiederholungsgefahr aufgrund der bereits begangenen Verletzung vermutet wird (vgl. BGH GRUR 2003, 1031, 1033 – Kupplung für optische Geräte).
  68. VII.
    Der Streitwert wird auf 1.400.000,00 € bis zum 1. September 2010 und ab dem 2. September 2010 auf 700.000,00 € festgesetzt, wobei davon jeweils 10 % auf die gesamtschuldnerische Pflicht zum Schadensersatz entfallen.

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