I – 2 U 116/05 – Saugfähige Faserstoffbahn

Düsseldorfer Entscheidungen Nr. 3142

Oberlandesgericht Düsseldorf

Urteil vom 24. Juni 2021, Az. I – 2 U 116/05

Vorinstanz: 4a O 264/04

  1. A.
    Die Berufung der Beklagten gegen das am 6. Oktober 2005 verkündete Urteil der 4a Zivilkammer des Landgerichts Düsseldorf wird mit der Maßgabe zurückgewiesen,
  2. dass die Verurteilung zur Unterlassung (Tenor Ziff. I. 1.) für die Zeit ab dem
    13. Oktober 2008 gegenstandslos ist,
  3. von der Verurteilung im Übrigen zusätzlich auch die angegriffene Ausführungsform II („K“) erfasst ist
  4. und der Hauptsachetenor nunmehr im Übrigen folgende Fassung erhält:
  5. I. Die Beklagte wird – unter Abweisung der Klage im Übrigen – verurteilt,
  6. 1. der Klägerin unter Vorlage eines einheitlichen, geordneten Verzeichnisses darüber Rechnung zu legen, in welchem Umfang sie
  7. saugfähige Faserstoffbahnen, bestehend aus einem hohen Anteil miteinander verpresster Zellstofffasern
  8. in der Zeit vom 25. April 1999 bis zum 31. Oktober 2008 im Geltungsbereich des deutschen Gebrauchsmusters 298 18 XXA angeboten, in Verkehr gebracht oder zu den genannten Zwecken eingeführt oder besessen hat,
  9. bei denen die Zellstofffasern in einem Prägemuster aus punkt- oder linienförmigen Prägebereichen miteinander verpresst und in den Prägebereichen des Prägemusters infolge hoher Druckbeaufschlagung klebstoff- und bindemittelfrei dergestalt fusioniert sind, dass benachbarte Zellstofffasern im Prägebereich sehr fest und innig miteinander verbunden sind, so dass sich die Verbindung bei Gebrauchstemperatur durch Einwirkung von Wasser nicht löst,
  10. wobei die Faserstoffbahn einen Zusatz an Hilfs- und Füllstoffen aufweist und wobei der Zusatz ein superabsorbierendes Polymer (SAP) umfasst, wobei der Anteil 0,5 bis 70 Gew.-% beträgt,
  11. und zwar unter Angabe
  12. a) der einzelnen Lieferungen, aufgeschlüsselt nach Typenbezeichnungen, Liefermengen, -zeiten und -preisen sowie der Namen und Anschriften der Abnehmer,
  13. b) der einzelnen Angebote, aufgeschlüsselt nach Typenbezeichnungen, Angebotsmengen, -zeiten und -preisen sowie der Namen und Anschriften gewerblicher Angebotsempfänger,
  14. c) der betriebenen Werbung, aufgeschlüsselt nach Werbeträgern und Medien durch deren Herstellungs- und Verbreitungsauflage, Verbreitungszeitraum und Verbreitungsgebiet,
  15. d) der nach den einzelnen Kostenfaktoren aufgeschlüsselten Gestehungskosten und des erzielten Gewinns,
  16. wobei die Beklagte hinsichtlich der Angaben zu lit. a) und b) Rechnungen, hilfsweise Lieferscheine, in Kopie vorzulegen hat;
  17. 2. die im Gebiet der Bundesrepublik Deutschland in der Zeit vom 25. April 1999 bis zum 31. Oktober 2008 im unmittelbaren oder mittelbaren Besitz oder Eigentum der Beklagten befindlichen, unter Ziffer I. 1. beschriebenen Erzeugnisse zu vernichten oder nach Wahl der Beklagten an einen von der Klägerin zu benennenden Gerichtsvollzieher zum Zwecke der Vernichtung auf Kosten der Beklagten herauszugeben.
  18. II. Es wird festgestellt, dass die Beklagte verpflichtet ist, der Klägerin allen Schaden zu ersetzen, der ihr und/oder Herrn „B“ durch die unter Ziffer I. 1. bezeichneten, in der Zeit vom 25. April 1999 bis zum
    31. Oktober 2008 begangenen Handlungen entstanden ist oder noch entstehen wird.
  19. B.
    Die Kosten des Berufungsverfahrens trägt die Beklagte.
  20. C.
    Das Urteil und das Urteil des Landgerichts sind vorläufig vollstreckbar.
  21. Die Beklagte darf die Zwangsvollstreckung der Klägerin gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 1.500.000,- € abwenden, wenn nicht die Klägerin vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
  22. D.
    Die Revision wird nicht zugelassen.
  23. E.
    Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird auf 4.500.000,- € festgesetzt, wovon 1.500.000,- € auf die Anschlussberufung der Klägerin entfallen.
  24. Gründe
  25. I.
  26. Herr „B“ ist eingetragener Inhaber des deutschen Gebrauchsmusters 298 18 XXA (nachfolgend: Klagegebrauchsmuster), das am 12. Oktober 1998 unter Inanspruchnahme zweier Prioritäten vom 18. Oktober 1997 sowie vom 4. Juni 1998 angemeldet wurde. Die Bekanntmachung der am 11. Februar 1999 erfolgten Eintragung im Patentblatt erfolgte am 25. März 1999.

    Der Gebrauchsmusterinhaber, der einer der Geschäftsführer der Klägerin und von den Wirkungen des § 181 BGB befreit ist, ermächtigte die Rechtsvorgängerin der Klägerin mit Erklärung vom 28. Juni 2004, die ihm gegen die Beklagte zustehenden Ansprüche auf Unterlassung und Vernichtung im eigenen Namen geltend zu machen. Zudem trat er etwaige Ansprüche auf Auskunftserteilung, Rechnungslegung und Feststellung der Schadenersatzpflicht an die Klägerin ab.

  27. Das Klagegebrauchsmuster war Gegenstand eines mit Löschungsantrag der Beklagten vom 11. März 2005 aufgenommenen Löschungsverfahrens, das nach Ablauf der zehnjährigen Schutzdauer des Klagegebrauchsmusters als Feststellungsverfahren fortgeführt wurde. Nachdem die Gebrauchsmusterabteilung II des Deutschen Patent- und Markenamtes das Klagegebrauchsmuster durch Beschluss vom 11. Oktober 2007 vollumfänglich gelöscht hatte, stellte die Beklagte nach Ablauf der Schutzdauer den bisherigen Löschungsantrag im Beschwerdeverfahren auf Feststellung der Unwirksamkeit des Klagegebrauchsmusters um und verwies hinsichtlich des Feststellungsinteresses auf den zwischen den Parteien anhängigen Verletzungsrechtsstreit. In der Folge hob der Gebrauchsmusterbeschwerdesenat des Bundespatentgerichts diesen Beschluss durch Entscheidung vom 14. Januar 2009 auf und verwies den Vorgang an die Gebrauchsmusterabteilung des Deutschen Patent- und Markenamtes zurück. Die Gebrauchsmusterabteilung II stellte daraufhin mit Beschluss vom 4. September 2013 fest, dass das Klagegebrauchsmuster unwirksam gewesen sei, soweit es über den Gegenstand nach Hilfsantrag II, der nunmehr im hiesigen Verfahren allein streitgegenständlich ist, hinausgehe. Im Übrigen wies die Gebrauchsmusterabteilung II den auf die Feststellung der Unwirksamkeit des Klagegebrauchsmusters gerichteten Feststellungsantrag zurück. Gegen diese Entscheidung legte die Beklagte mit Schriftsatz vom 25. Oktober 2013 beim Deutschen Patent- und Markenamt Beschwerde ein, die das Bundespatentgericht mit einem am 1. Dezember 2017 an Verkündungs Statt zugestellten Beschluss (vgl. Anlagen rop 14 und rop 14a) zurückgewiesen hat.
  28. Hinsichtlich des vollständigen Inhalts der vorgenannten Entscheidungen wird zur Vermeidung von Wiederholungen auf die Anlagen rop 3 bis rop 5 sowie rop 14/14a Bezug genommen.
  29. Das Klagegebrauchsmuster betrifft eine saugfähige Faserstoffbahn. Der eingetragene Schutzanspruch 1, welcher der landgerichtlichen Entscheidung zugrunde lag, lautet:
  30. „Saugfähige Faserstoffbahn (100), bestehend aus einem hohen Anteil miteinander verpresster Zellstofffasern (1),
  31. dadurch gekennzeichnet, dass die Zellstofffasern in einem Prägemuster aus punkt- oder linienförmigen Prägebereichen (3) miteinander verpresst und in den Prägebereichen (3) des Prägemusters infolge hoher Druckbeaufschlagung klebstoff- und/oder bindemittelfrei fusioniert sind.“
  32. Die durch die Gebrauchsmusterabteilung II aufrechterhaltene und zuletzt streitgegenständliche Fassung des Schutzanspruchs 1 ist wie folgt formuliert (wobei Änderungen durch Unterstreichung kenntlich gemacht sind):
  33. „Saugfähige Faserstoffbahn (100), bestehend aus einem hohen Anteil miteinander verpresster Zellstofffasern (1),
  34. dadurch gekennzeichnet, dass die Zellstofffasern in einem Prägemuster aus punkt- oder linienförmigen Prägebereichen (3) miteinander verpresst und in den Prägebereichen (3) des Prägemusters infolge hoher Druckbeaufschlagung klebstoff- und bindemittelfrei dergestalt fusioniert sind, dass benachbarte Zellstofffasern im Prägebereich sehr fest und innig miteinander verbunden sind, so dass sich die Verbindung bei Gebrauchstemperatur durch Einwirkung von Wasser nicht löst.“
  35. Darüber hinaus sind die durch die Klägerin im Hauptantrag in Kombination mit Schutzanspruch 1 geltend gemachten Unteransprüche 10 und 11 wie folgt gefasst:
  36. Unteranspruch 10:
    „Faserstoffbahn (100) nach einem der vorhergehenden Ansprüche, dadurch gekennzeichnet, dass die Faserstoffbahn (100) einen Zusatz an Hilfs- und Füllstoffen, beispielsweise Titandioxid, Kreide oder Karolin, aufweist.“
  37. Unteranspruch 11:
    „Faserstoffbahn (100) nach Anspruch 10, dadurch gekennzeichnet, dass der Zusatz ein superabsorbierendes Polymer (SAP) umfasst, wobei der Anteil 0,5 bis 70 Gew.-%, vorzugsweise zwischen 5 und 30 Gew.-% der Gesamtmasse, beträgt.“
  38. Wegen des Wortlauts der nur „insbesondere“ geltend gemachten Unteransprüche 2 bis 5, 9 sowie 15 bis 17 wird auf den als Anlage rop 6 vorgelegten „Hilfsantrag II“ Bezug genommen.
  39. Die nachfolgend eingeblendete und der Klagegebrauchsmusterschrift entnommene Figur 1 zeigt ein bevorzugtes Ausführungsbeispiel der Erfindung. Es handelt sich um eine perspektivische Darstellung eines Abschnittes der Faserstoffbahn.
  40. Zu sehen ist eine aus Zellstofffasern (1) bestehende Faserstoffbahn (100), bei der die Zellstofffasern in den Prägebereichen (3) miteinander fusioniert sind. Die Prägebereiche (3) wechseln sich daher mit den Bereichen (2) lockerer Festigkeit ab.
  41. Die Beklagte, die ursprünglich als „„C““ und nach einer Rechts-
    formänderung ab dem 29. März 2011 als „„D““ firmierte sowie zwischenzeitlich unter der Unternehmensnummer 0478.866.XXC in der „D“ NV aufgegangen ist, stellt her und vertreibt saugfähige Faserstoffbahnen zur Verwendung in Hygieneartikeln. Zu den von der Beklagten in E hergestellten Produkten zählen Slipeinlagen, die sie in der Bundesrepublik Deutschland über die Märkte der Handelskette „F“ vertreibt. Die Klägerin erwarb dort in der Bundesrepublik Deutschland Slipeinlagen mit der Produktbezeichnung „G“ und „H“ (nachfolgend: angegriffene Ausführungsform I). Jeweils ein aufgeschnittenes Exemplar dieser Slipeinlagen reichte die Klägerin als Anlagen
    K 4 und K 5 zur Gerichtsakte. Zudem wurden durch die Klägerin zwei weitere, unverschlossene Packungen als Anlage K 6 zur Gerichtsakte gereicht. Auf die Anlagen wird Bezug genommen.
  42. Nachdem die Beklagte zwischenzeitlich das streitgegenständliche Produkt „I“ bei der Handelskette F zurückgezogen hatte, brachte sie nach dem Schluss der mündlichen Verhandlung vor dem Landgericht ein neues Produkt unter der Marke „K“ in Verkehr, welches unter anderem in der Bundesrepublik Deutschland über die Einzelhandelskette „L“ vertrieben wird (nachfolgend: angegriffene Ausführungsform II). Die angegriffene Ausführungsform II weist einen wesentlich höheren Anteil Superabsorber (SAP) auf, der auch anders verteilt ist. Bei SAP handelt es sich um Kunststoffe, die in der Lage sind, ein Vielfaches ihres Eigengewichts an polaren Flüssigkeiten aufzusaugen. Die Flüssigkeit wird in einer Art Kugel aufgenommen, die mit der Menge der ins Innere des Partikels geleiteten Flüssigkeit ihren Durchmesser exponentiell vergrößert. Die Größe der Partikel nimmt mit der Menge der aufgenommenen Flüssigkeit stark zu. Während sich die Partikel vollsaugen, entwickeln sie aufgrund dieses Effekts eine Art „Sprengkraft“ gegenüber in ihrer Umgebung liegenden Strukturen. Die Klägerin ließ auch die angegriffene Ausführungsform II untersuchen. Hinsichtlich des Ergebnisses dieser Untersuchungen wird auf die Anlage rop 1 Bezug genommen.
  43. Die Klägerin hat vor dem Landgericht geltend gemacht, die angegriffene Ausführungsform I mache von der technischen Lehre des Klagegebrauchsmusters wortsinngemäß Gebrauch.
  44. Die Beklagte, die um Klageabweisung, hilfsweise um Aussetzung des Rechtsstreits bis zu einer rechtskräftigen Entscheidung über den gegen das Klagegebrauchsmuster eingereichten Löschungsantrag gebeten hat, hat erstinstanzlich eine Verletzung des Klagegebrauchsmusters durch die angegriffene Ausführungsform I lediglich insoweit in Abrede gestellt, als die Zellstoffmuster in linien- und nicht in punktförmigen Prägebereichen miteinander verpresst seien. Zudem könne sich die Beklagte auf ein privates Vorbenutzungsrecht berufen. Die Slipeinlage „M“, Artikelnummer 3060 bzw. 30600, die der angegriffenen Ausführungsform I bis auf marginale Unterschiede entspreche, sei vor der Priorität des Klagegebrauchsmusters in der Bundesrepublik Deutschland vertrieben worden. Im Übrigen sei das Klagegebrauchsmuster sowohl unter den Gesichtspunkten der fehlenden Neuheit und Erfindungshöhe, als auch im Hinblick auf eine offenkundige Vorbenutzung durch die Slipeinlage „M“ nicht schutzfähig.
  45. Durch Urteil vom 6. Oktober 2005 hat das Landgericht Düsseldorf (unter Abweisung der Klage im Übrigen) wie folgt erkannt:
  46. I. Die Beklagte wird – unter Abweisung der Klage im Übrigen – verurteilt,
  47. 1. es bei Meidung eines vom Gericht für jeden Fall der Zuwiderhandlung festzusetzenden Ordnungsgeldes bis zu 250.000,- EUR, ersatzweise Ordnungshaft, oder einer Ordnungshaft bis zu sechs Monaten, im Falle wiederholter Zuwiderhandlung bis zu insgesamt zwei Jahren zu unterlassen,
  48. saugfähige Faserstoffbahnen, bestehend aus einem hohen Anteil miteinander verpresster Zellstofffasern
  49. im Geltungsbereich des deutschen Gebrauchsmusters 298 18 XXA anzubieten, in Verkehr zu bringen oder zu den genannten Zwecken einzuführen oder zu besitzen,
  50. bei denen die Zellstofffasern in einem Prägemuster aus punkt- oder linienförmigen Prägebereichen miteinander verpresst und in den Prägebereichen des Prägemusters infolge hoher Druckbeaufschlagung klebstoff- und/oder bindemittelfrei fusioniert sind;
  51. 2. der Klägerin unter Vorlage eines einheitlichen, geordneten Verzeichnisses darüber Rechnung zu legen, in welchem Umfang sie die zu Ziffer I. 1. bezeichneten Handlungen seit dem 25. April 1999 begangen hat, und zwar unter Angabe
  52. a) der einzelnen Lieferungen, aufgeschlüsselt nach Typenbezeichnungen, Liefermengen, -zeiten und -preisen sowie der Namen und Anschriften der Abnehmer,
  53. b) der einzelnen Angebote, aufgeschlüsselt nach Typenbezeichnungen, Angebotsmengen, -zeiten und -preisen sowie der Namen und Anschriften gewerblicher Angebotsempfänger,
  54. c) der betriebenen Werbung, aufgeschlüsselt nach Werbeträgern und Medien durch deren Herstellungs- und Verbreitungsauflage, Verbreitungszeitraum und Verbreitungsgebiet,
  55. d) der nach den einzelnen Kostenfaktoren aufgeschlüsselten Gestehungskosten und des erzielten Gewinns, der nicht durch den Abzug von Gemeinkosten gemindert ist, es sei denn, diese können ausnahmsweise den im Urteilsausspruch zu Ziffer I. 1. genannten Gegenständen unmittelbar zugeordnet werden,
  56. wobei die Beklagte hinsichtlich der Angaben zu lit. a) und b) Bestell-, Lieferscheine, Rechnungen und Angebotsunterlagen vorzulegen hat;
  57. 3. die im Gebiet der Bundesrepublik Deutschland im unmittelbaren oder mittelbaren Besitz oder Eigentum der Beklagten befindlichen unter Ziffer I. 1. beschriebenen Erzeugnisse zu vernichten oder nach Wahl der Beklagten an einen von der Klägerin zu benennenden Treuhänder zum Zwecke der Vernichtung auf Kosten der Beklagten herauszugeben.
  58. II. Es wird festgestellt, dass die Beklagte verpflichtet ist, der Klägerin allen Schaden zu ersetzen, der ihr und/oder Herrn „B“ durch die unter Ziffer I. 1. bezeichneten, seit dem 25. April 1999 begangenen Handlungen entstanden ist oder noch entstehen wird.
  59. Zur Begründung hat das Landgericht im Wesentlichen ausgeführt:
  60. Nach dem technischen Sinngehalt des Klagegebrauchsmusters sei das Merkmal 3., wonach in den Prägebereichen des Prägemusters infolge hoher Druckbeaufschlagung klebstoff- und/oder bindemittelfrei fusionierte Zellstoffasern vorliegen, dahingehend zu verstehen, dass die durch Druckbeaufschlagung komprimierten Fasern in den Prägebereichen des Prägemusters so fest und innig miteinander verbunden sein sollen, dass die Fasern bei Gebrauchstemperatur auch durch die Einwirkung von Feuchtigkeit nicht gelöst werden. Davon ausgehend sei das Klagegebrauchsmuster sowohl unter dem Gesichtspunkt der Neuheit, als auch des erfinderischen Schrittes schutzfähig.
  61. Zudem stehe auch die von der Beklagten behauptete offenkundige Vorbenutzung der Schutzfähigkeit der Erfindung nach dem Klagegebrauchsmuster nicht entgegen. Das Vorbringen der Beklagten lasse nicht erkennen, dass diese sich schon vor dem Prioritätszeitpunkt des Klagegebrauchsmusters im Erfindungsbesitz befunden habe. Anhand des Vortrages der Beklagten sowie auf der Grundlage des durch die Beklagte als Anlage B 19a vorgelegten Gutachtens sei nicht ersichtlich, dass die angeblich vorbenutzte Faserstoffbahn Prägebereiche aufgewiesen habe, bei denen die Zellstofffasern fusioniert sind, das heißt durch die Einwirkung von Wasser nicht gelöst würden.
  62. Wegen weiterer Einzelheiten der Begründung wird auf das Urteil des Landgerichts Bezug genommen.
  63. Gegen dieses Urteil hat die Beklagte mit Schriftsatz vom 13. Oktober 2005 Berufung eingelegt, mit der sie eine vollständige Abweisung der Klage anstrebt. Die der Klägerin gesetzte Frist zur Berufungserwiderung lief am 31. Juli 2006 ab.
  64. Die Beklagte macht, nachdem das Klagegebrauchsmuster im nunmehr allein streitgegenständlichen Umfang im Gebrauchsmusterlöschungsverfahren aufrechterhalten wurde, in zweiter Instanz geltend:
  65. Die zuletzt streitgegenständliche Fassung von Schutzanspruch 1 sehe ein Nichtlösen benachbarter Zellstofffasern bei der Einwirkung von Wasser vor, die nicht mit der Einwirkung von Feuchtigkeit gleichgesetzt werden könne. Insbesondere übe eine längere Einwirkdauer von Wasser einen weit größeren Einfluss aus als die Einwirkung (allein) von Feuchtigkeit. Da es Ziel des Klagegebrauchsmusters sei, eine erhöhte Festigkeit der Faserstoffbahn zu erreichen und das Klagegebrauchsmuster zugleich keinerlei Grenzwerte nenne, innerhalb derer ein eventuelles „teilweises Lösen“ noch als ein „Nicht-Lösen“ aufgefasst werden könne, liege ein „Nicht-Lösen“ im Sinne des Klagegebrauchsmusters nur vor, wenn sich keine der zahlreichen Faserverbindungen im Prägebereich löse, wobei von einem „Lösen“ bereits dann auszugehen sei, wenn der Prozess des Lösens eingeleitet wurde. Denn bereits in diesem Moment verringere sich die Festigkeit in den Prägebereichen. Im Übrigen differenziere das Klagegebrauchsmuster nicht danach, ob in der Faserstoffbahn SAP enthalten seien oder nicht. In beiden Fällen dürfe sich die Verbindung unter Einwirkung von Wasser nicht lösen.
  66. Gehe man davon aus, mache die angegriffene Ausführungsform I von der technischen Lehre des Klagegebrauchsmusters keinen Gebrauch. Das durch die Beklagte als Anlage BK 14 vorgelegte Gutachten belege, dass die Faserverbindungen im Prägebereich bei der Zugabe von Wasser geradezu „explodierten“. Der Superabsorber (SAP) führe dazu, dass sich die Faserverbindungen in den Prägebereichen unter Einwirkung von Wasser lösen und die Festigkeit der geprägten Faserstoffbahn verringere.
  67. In Bezug auf die angegriffene Ausführungsform II habe die Klägerin selbst vorgetragen, dass die Faserfusion dort durch den Superabsorber aufgesprengt werde.
  68. Überdies erschöpfe sich der Gehalt der nunmehr in den Hauptantrag aufgenommenen Unteransprüche 10 und 11 nicht in einem entsprechenden Anteil an SAP. Vielmehr müssten mehrere (mindestens zwei) Hilfs- und Füllstoffe vorhanden sein, wobei es sich bei einem von diesen um SAP handele. Zudem ergebe sich aus dem Wortlaut von Unteranspruch 10 unmissverständlich, dass es sich um einen Zusatz gerade zur Faserstoffbahn handeln müsse. Dazu habe die Klägerin, die sich stets auf die angegriffenen Ausführungsformen in ihrer Gesamtheit beziehe, jedoch nicht vorgetragen. Aus dem systematischen Zusammenhang der geltend gemachten Anspruchsfassung folge weiter, dass sich der in Bezug genommene Anteil von SAP auf die Gewichtsverhältnisse nach Einwirkung von Wasser beziehe. Die Messungen der Klägerin bezögen sich indes auf die Gewichtsverhältnisse im trockenen Zustand. Da SAP durch die hohe Wasseraufnahme im nassen Zustand bis zu 300-mal mehr wiegen würden als im trockenen Zustand wäre der Anteil an SAP in den angegriffenen Ausführungsformen auf Basis der Messungen der Klägerin (Anlage K 7) wesentlich höher als 70 Gew.-% und würde daher außerhalb des beanspruchten Bereichs liegen. Abgesehen davon fehle es auch an einem schlüssigen Nachweis dafür, dass die angegriffenen Ausführungsformen überhaupt SAP im beanspruchten Bereich enthielten.
  69. Davon abgesehen sei das Klagegebrauchsmuster in der nunmehr streitgegenständlichen Fassung auch nicht schutzfähig. Die im Hauptantrag streitgegenständliche Anspruchskombination sei nicht Gegenstand der Entscheidung im parallelen Gebrauchsmusterlöschungsverfahren, so dass insoweit keine Bindungswirkung gemäß § 19 S. 3 GebrMG eingetreten sei. Die Entscheidung des Bundespatentgerichts befasse sich naturgemäß allein mit der Schutzfähigkeit des einzigen unabhängigen Anspruchs und begnüge sich bezüglich der Unteransprüche mit der Aussage, diese würden durch Schutzanspruch 1 getragen.
  70. Entgegen der Auffassung des Bundespatentgerichts liege eine offenkundige Vorbenutzung durch das Produkt „M“ vor. Lege man diese offenkundige Vorbenutzung zugrunde, seien die Merkmale des im Gebrauchsmusterlöschungsverfahren aufrechterhaltenen Schutzanspruchs 1 neuheitsschädlich vorweggenommen. Einziges zusätzliches Merkmal gegenüber dem vorbenutzten Produkt sei die Verwendung von SAP in einem Bereich von 0,5 – 70 Gew.-%. Die Verwendung von SAP für Faserstoffbahnen sei indes bereits vor dem Prioritätstag, etwa aus der US 5,128,193, bekannt gewesen, wobei auch der beanspruchte Bereich im Stand der Technik vorweggenommen sei.
  71. Im Übrigen habe der Bundesgerichtshof in der Entscheidung „Schutzverkleidung“ (GRUR 2019, 1171) neue Grundsätze für das Vorbenutzungsrecht aufgestellt und dabei insbesondere erstmals höchstrichterlich die Auswirkungen einer Modifikation der vorbenutzten Ausführung behandelt. Soweit der Senat von einer Verletzung des Klagegebrauchsmusters durch die angegriffenen Ausführungsformen ausgehe, stehe der Beklagten auch mit Blick auf den derzeitigen Hauptantrag der Klägerin ein Vorbenutzungsrecht zu. Bei der vorbenutzten Ausführungsform „M“ seien sämtliche Merkmale von Schutzanspruch 1 des Klagegebrauchsmusters jedenfalls dann Lisiert, wenn dies auch bei den angegriffenen Ausführungsformen der Fall sei. Das demgegenüber zusätzliche Merkmal sei die Verwendung von SAP in einem Bereich von 0,5 bis 80 Gew.-%. Hierbei handele es sich indes um eine für den Fachmann selbstverständliche Abwandlung, welche die Grenzen des Vorbenutzungsrechts nicht überschreite.
  72. Der erstmals in der Berufungserwiderung vom 31. Juli 2006 erfolgten Erweiterung der Klage auf die angegriffene Ausführungsform II hat die Beklagte mit Schriftsatz vom 28. Februar 2007 widersprochen (vgl. Bl. 296 GA).
  73. Die Parteien haben den Rechtsstreit in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat am 2. April 2014 für die Zeit ab dem 13. Oktober 2008 in der Hauptsache übereinstimmend für erledigt erklärt, soweit die Beklagte gemäß Ziffer I. 1. des Tenors des landgerichtlichen Urteils vom 6. Oktober 2005 zur Unterlassung verurteilt worden ist.
  74. Die Beklagte beantragt im Übrigen,
  75. das Urteil des Landgerichts Düsseldorf vom 6. Oktober 2005 (4a O 264/04) abzuändern und die Klage (einschließlich ihrer Erweiterung im Berufungsverfahren) abzuweisen.
  76. Die Klägerin beantragt zuletzt,
  77. 1. die Berufung der Beklagten, soweit sich der Rechtsstreit nicht in der Hauptsache erledigt hat, mit der Maßgabe zurückzuweisen, dass bei der Beschreibung der Handlungen gemäß Ziff. I. 1. die Worte „fusioniert sind“ ersetzt werden durch:
  78. „dergestalt fusioniert sind, dass benachbarte Zellstofffasern im Prägebereich sehr fest und innig miteinander verbunden sind, so dass sich die Verbindung bei Gebrauchstemperatur durch Einwirkung von Wasser nicht löst.“
  79. sowie am Ende der Beschreibung der Handlungen zusätzlich eingefügt wird:
  80. „wobei die Faserstoffbahn einen Zusatz an Hilfs- und Füllstoffen aufweist und wobei der Zusatz ein superabsorbierendes Polymer (SAP) umfasst, wobei der Anteil 0,5 bis 70 Gew.-% beträgt.“
  81. Im Hinblick auf die durch die Klägerin formulierten Hilfsanträge wird auf den Schriftsatz der Klägerin vom 5. Februar 2016 (Bl. 741 – 746 GA) Bezug genommen.
  82. Die Klägerin verteidigt das angefochtene Urteil und tritt den Ausführungen der Beklagten unter Wiederholung und Vertiefung ihres erstinstanzlichen Vorbringens wie folgt entgegen:
  83. Bereits in der Klageschrift habe die Klägerin in Übereinstimmung mit dem Verständnis des Durchschnittsfachmanns die Einwirkung von Feuchtigkeit mit der Einwirkung von Wasser gleichgesetzt. Die Nassfestigkeit der Prägepunkte sei von der Beklagten gleichwohl erstinstanzlich bis zum Schluss der mündlichen Verhandlung nicht bestritten worden. Auf dieser Grundlage seien die Analysen der angegriffenen Ausführungsformen vorgenommen worden. Daher seien durch das Einfügen von Merkmal 3.1. in den Anspruchswortlaut keine neuen Feststellungen zur Verletzung notwendig.
  84. Auch die angegriffene Ausführungsform II mache wortsinngemäß von der technischen Lehre des Klagegebrauchsmusters Gebrauch. Zwar enthalte diese einen wesentlich höheren Anteil an Superabsorbern, durch welche die Faserfusionen in der Mitte der Prägepunkte quasi „aufgesprengt“ würden. An den Randbereichen der Prägebereiche blieben diese jedoch erhalten.
  85. Überdies sei für eine Verwirklichung der Unteransprüche 10 und 11 weder eine Mehrzahl an Hilfs- und Füllstoffen, noch ein „Beimischen zur Gesamtmasse“ Voraussetzung. Einer Verwirklichung der beanspruchten Lehre stehe es insbesondere auch nicht entgegen, wenn sich der Superabsorber an der Grenzfläche (Oberfläche) der Faserstoffbahn befinde. Zudem seien die in Unteranspruch 11 genannten Gewichtsprozente auf das Produkt vor dem Gebrauch bezogen.
  86. Davon ausgehend stelle die Beklagte das Vorhandensein von Superabsorber im unbenutzten Produkt in den in den Unteransprüchen 10 und 11 genannten Mengen nicht in Abrede. Es sei ihr als Herstellerin des Produktes ohne Weiteres möglich, den Anteil an Superabsorber, den sie ihren Faserstoffbahnen zugebe, zu benennen. Davon nehme sie jedoch – aus augenscheinlichen Gründen – Abstand. Dass sämtliche angegriffenen Ausführungsformen Superabsorber enthielten, gehe im Übrigen bereits aus den wechselseitigen Gutachten hervor.
  87. Der Senat hat Beweis durch Einholung von Sachverständigengutachten erhoben. Wegen des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf das schriftliche Gutachten von Prof. Dr.-Ing. Schabel vom 7. November 2015 (nachfolgend: Gutachten Schabel), das Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 23. August 2018 (Bl. 906 ff. GA), das schriftliche Gutachten von Prof. Dr. Heinze vom 24. Januar 2020 (Bl. 1079 ff. GA, nachfolgend: Gutachten Heinze), wobei Letzterer sein Gutachten am 30. August 2020 (Bl. 1216 GA) ergänzt und zusätzlich mit Schreiben vom 14. Februar 2021 (Bl. 1290 ff. GA) erläutert hat, sowie auf das Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 27. Mai 2021 (Bl. 1377 – 1388 GA) Bezug genommen.
  88. Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakten nebst Anlagen verwiesen.
  89. II.
    Die Berufung der Beklagten ist zulässig, hat aber in der Sache keinen Erfolg. Da die angegriffene Ausführungsform I auch unter Zugrundelegung der eingeschränkten Anspruchsfassung von der technischen Lehre des Klagegebrauchsmusters Gebrauch macht, stehen der Klägerin die nach der teilweisen übereinstimmenden Erledigungserklärung noch in Streit stehenden Ansprüche auf Rechnungslegung, Vernichtung und Feststellung der Schadenersatzpflicht dem Grunde nach für die Zeit bis zum Ablauf des Klagegebrauchsmusters aus §§ 24 Abs. 2, 24a Abs. 1, 24b GebrMG i.V.m. § 242, 259 BGB zu. Dies gilt ebenso für die angegriffene Ausführungsform II, welche die Klägerin in zulässiger Weise in den Rechtsstreit einbezogen hat. Mit der Anpassung des Tenors trägt der Senat der nunmehr streitgegenständlichen Anspruchsfassung, dem zwischenzeitlichen Schutzrechtsablauf sowie der daraufhin erfolgten teilweisen übereinstimmenden Erledigungserklärung Rechnung.
    A.
    Gegen eine Einbeziehung der angegriffenen Ausführungsform II in den vorliegenden Rechtsstreit bestehen keine Bedenken.
  90. 1.
    Bei der Ausdehnung der auf das Klagegebrauchsmuster gestützten Ansprüche auf die angegriffene Ausführungsform II handelt es sich um eine Anschlussberufung, denn eine Klageerweiterung des in erster Instanz obsiegenden Klägers und Berufungsbeklagten ist in zweiter Instanz zumindest dann nur auf diesem Weg möglich, wenn die Klage – wie hier – auf einen Gegenstand erstreckt wird, der nicht ohnehin schon unter den Tenor der erstinstanzlichen Entscheidung fällt und daher eine gesonderte Verletzungsprüfung erforderlich macht (vgl. OLG Düsseldorf, Urt. v. 01.02.2018, Az.: I-2 U 33/15; Urt. v. 18.06.2010, Az. I-2 U 43/03; Cepl/Voss/Cassardt, Prozesskommentar zum Gewerblichen Rechtschutz, 2. Aufl., § 524 Rz. 10; Musielak/Ball, ZPO, 17. Aufl., § 524 Rz. 8). Dass eine derartige gesonderte Verletzungsprüfung in Bezug auf die angegriffene Ausführungsform II erforderlich ist, liegt auf der Hand. Unstreitig weist diese Ausführungsform einen wesentlich höheren Anteil Superabsorber (SAP) auf, der auch anders verteilt ist. Da sich die SAP-Partikel beim Kontakt mit einer Flüssigkeit vollsaugen, entwickeln sie aufgrund dieses Effekts eine Art „Sprengkraft“ gegenüber der in ihrer Umgebung liegenden Struktur, was – ohne dass dies im Ergebnis an dieser Stelle durch den Senat entschieden werden braucht – Einfluss auf die in der Merkmalsgruppe 3 beanspruchte Verbindung benachbarter Zellstofffasern in den Prägebereichen haben kann.
    2.
    Die Anschlussberufung ist zulässig. Insbesondere hat die Klägerin die Anschlussberufungsfrist gewahrt, denn sie hat das Produkt „K“ erstmals mit Schriftsatz vom 31. Juli 2006 und damit innerhalb der Berufungserwiderungsfrist in den Rechtsstreit eingeführt, § 524 Abs. 2 S. 2 ZPO. Auch die in § 533 Nr. 1 und 2 ZPO niedergelegten Voraussetzungen für die Zulässigkeit einer Klageerweiterung im Berufungsrechtszug liegen vor. Der Senat hält die Klageerweiterung für sachdienlich, so dass es auf die fehlende Einwilligung der Beklagten nicht ankommt.
    Die Sachdienlichkeit einer Klageänderung richtet sich auch in der Berufungsinstanz nach den zu § 263 ZPO geltenden Regeln. Danach hängt die Sachdienlichkeit der Klageänderung davon ab, ob eine Entscheidung auch über die geänderte Klage im selben Verfahren objektiv prozesswirtschaftlich ist, weil sie den Streitstoff des anhängigen Verfahrens zumindest teilweise ausräumt und einem andernfalls zu führenden weiteren Rechtsstreit vorbeugt (vgl. BGH NJW 2000, 800, 803; OLG Düsseldorf, GRUR-RR 2013, 1, 2 – Haubenstretchautomat; Urt. v. 01.02.2018, Az.: I-2 U 33/15, BeckRS 2018, 11286). Allein die Vermeidung eines weiteren Rechtsstreits kann allerdings nicht das entscheidende Kriterium für die Sachdienlichkeit einer Klageänderung sein, denn dann müsste die Änderung praktisch immer zugelassen werden, weil der Kläger mit seiner Erweiterung schon seine Entschlossenheit zu einer gerichtlichen Durchsetzung zu erkennen gegeben hat und deshalb in aller Regel auch davon auszugehen ist, dass er ein weiteres Verfahren einleiten wird, wenn im anhängigen Prozess die Klageerweiterung nicht zugelassen wird. Die zweite wesentliche Voraussetzung für eine Anerkennung der Sachdienlichkeit ist, dass für die Beurteilung der geänderten Anträge der bisherige Prozessstoff verwendet werden kann; zu verneinen ist sie, wenn ein völlig neuer Streitstoff eingeführt würde, bei dessen Beurteilung das Ergebnis der bisherigen Prozessführung nicht verwertbar ist (vgl. BGH, NJW 2012, 2662; BGH, Beschl. v. 27.10.2015, Az.: VIII ZR 288/14, BeckRS 2016, 00482; Cepl/Voss/Cassardt, Prozesskommentar zum Gewerblichen Rechtschutz, 2. Aufl.,
    § 533 Rz. 28).
    Um einen solchen Fall handelt es sich aber dann nicht, wenn das bisherige Klageschutzrecht – wie hier – gegenüber einer weiteren, bisher unbekannten Ausführungsform geltend gemacht wird und es bei der Beurteilung der Unterschiede zwischen beiden Ausführungsformen im Wesentlichen darum geht, aus der Ermittlung des Sinngehaltes des Klageschutzrechts im Hinblick auf die weitere Ausführungsform die gebotenen Schlussfolgerungen zu ziehen. Hierbei kann auf die in Bezug auf den bisherigen Streitgegenstand gefundenen Ergebnisse zurückgegriffen werden. Sie können den Ausgangspunkt für die Frage bilden, ob der hinzugekommene Gegenstand der Lehre des Klageschutzrechts entspricht. Dies gilt insbesondere dann, wenn sich die zusätzliche Ausführungsform – wie auch hier – von der bisherigen nur geringfügig unterscheidet und in beiden Fällen dieselben Fragen auftreten, wenn es darum geht, ob die geschützte Lehre verwirklicht wird oder nicht (vgl. OLG Düsseldorf, Urt. v. 22.12.2008, Az.: I-2 U 65/07, BeckRS 2009, 05217).
    Daraus ergibt sich zugleich, dass in solchen Fällen auch die Voraussetzungen des
    § 533 Nr. 2 ZPO erfüllt sind, es sei denn, die weitere Ausführungsform hätte schon in erster Instanz angegriffen werden können (OLG Düsseldorf, a.a.O.). Dass Letzteres auch auf die angegriffene Ausführungsform II zutrifft, die unstreitig erst nach der mündlichen Verhandlung vor dem Landgericht über die Einzelhandelskette „L“ vertrieben wurde, ist nicht ersichtlich.
    B.
    Die zulässige Berufung der Beklagten hat in der Sache keinen Erfolg. Da die angegriffenen Ausführungsformen wortsinngemäß von der technischen Lehre des Klagegebrauchsmusters Gebrauch machen, stehen der Klägerin die nach der teilweisen übereinstimmenden Erledigungserklärung noch in Streit stehenden Ansprüche auf Rechnungslegung, Vernichtung und Feststellung der Schadenersatzpflicht für die Zeit bis zum Ablauf des Klagegebrauchsmusters aus §§ 24 Abs. 2, 24a Abs. 1, 24b GebrMG i.V.m. § 242, 259 BGB zu. Nachdem das Klagegebrauchsmuster im Gebrauchsmusterlöschungsverfahren nunmehr im hier maßgeblichen Umfang rechtskräftig aufrechterhalten wurde, ist der Senat an diese, zwischen den Parteien des vorliegenden Rechtsstreits ergangene Entscheidung gebunden (§ 19 S. 3 GebrMG).
    1.
    Das Klagegebrauchsmuster betrifft eine saugfähige Faserstoffbahn, die aus einem hohen Anteil miteinander verpresster Zellstofffasern besteht.
  91. Wie das Klagegebrauchsmuster einleitend ausführt, ist es bekannt, cellulosehaltiges Material, wie etwa Holz- oder Pflanzenfasern, zu einer Faserstoffbahn zu verbinden. So offenbart die WO 94/10596, aus trockenen Cellulosefasern und Zusatzstoffen unter Druck absorbierende Bahnenware herzustellen, indem zwischen Kalanderwalzen aus einem Material mit einem Flächengewicht von 30 bis 2000 g/cm2 ein absorbierendes Produkt mit einer spezifischen Dichte von 0,2 – 1,0 g/cm3 komprimiert wird. Dies führt zwar zu einer Erhöhung der Dichte, jedoch besitzt das Material wenig Reißfestigkeit. Um die Reißfestigkeit zu erhöhen müssen synthetische Zusatzstoffe, insbesondere Thermoplaste, hinzugefügt werden, die ein Recycling der Zellstofffasern erschweren (Anlage K 1, S. 1, Z. 11 – 24).
  92. Die Parteien sind sich darüber einig, dass mit der in der Klagegebrauchsmusterschrift genannten WO 94/10596 tatsächlich die WO 94/10956 gemeint ist (Unterstreichung hinzugefügt).
  93. Dem Klagegebrauchsmuster liegt die Aufgabe (das technische Problem) zugrunde, eine Faserstoffbahn bereitzustellen, deren Recyclingfähigkeit verbessert ist und die eine erhöhte Reißfestigkeit aufweist (Anlage K 1, S. 1, Z. 24 – 26).
  94. Zur Lösung dieser Aufgabe schlagen die Schutzansprüche 1, 10 und 11 in Kombination in der durch das Bundespatentgericht aufrechterhaltenen Fassung und hier im Hauptantrag allein streitgegenständlichen Fassung eine Faserstoffbahn mit folgenden Merkmalen vor:
  95. 1. Faserstoffbahn (100), die
  96. 1.1. saugfähig ist und
  97. 1.2. aus einem hohen Anteil miteinander verpresster Zellstofffasern (1) besteht.
  98. 2. Die Zellstofffasern sind mit einem Prägemuster aus punkt- oder linienförmigen Prägebereichen (3) miteinander verpresst.
  99. 3. Die Zellstofffasern sind in den Prägebereichen (3) des Prägemusters infolge hoher Druckbeaufschlagung klebstoff- und bindemittelfrei fusioniert,
  100. 3.1. und zwar dergestalt, dass benachbarte Zellstofffasern im Prägebereich sehr fest und innig miteinander verbunden sind, so dass sich die Verbindung bei Gebrauchstemperatur durch Einwirkung von Wasser nicht löst.
  101. 4. Die Faserstoffbahn (100) weist einen Zusatz an Hilfs- und Füllstoffen auf.
  102. 4.1. Der Zusatz umfasst ein superabsorbierendes Polymer (SAP),
  103. 4.1.1. wobei der Anteil 0,5 bis 70 Gew.-% beträgt.
  104. 2.
    Vor dem Hintergrund des Streits der Parteien bedarf Schutzanspruch 1 näherer Erläuterung.
  105. a)
    Die beanspruchte Faserstoffbahn zeichnet sich dadurch aus, dass sie saugfähig, recycelbar und reißfest ist (vgl. Anlage K 1, 9, Z. 13 – 20 und S. 10, Z. 25 ff).
  106. Eine Möglichkeit, die geforderte Saugfähigkeit zu erreichen, wird in der Beschreibung des Klagegebrauchsmusters genannt. Danach kann eine Flüssigkeit, wie etwa Wasser, zwischen Zellstofffasern aufgenommen werden, wenn die Zellstofffasern unverbunden oder nur schwach aneinander haftend vorliegen (vgl. Anlage K 1, S. 2, Z. 4 – 8 und S. 7, Z. 13 – 17). Da trockene Cellulosefasern zudem einen erheblichen Feuchteanteil binden können, wird das von der Faserstoffbahn aufgenommene Wasser gebunden (vgl. Anlage K 1, S. 2, Z. 14 – 21).
  107. Jedoch weist eine derartige lose Verbindung von Zellstofffasern nur eine geringe Reißfestigkeit auf. Um gleichwohl – in Abgrenzung zum Stand der Technik – eine mechanische Belastbarkeit ohne den Einsatz von Klebstoff oder Bindemitteln zu erreichen und zugleich die Recyclingfähigkeit der Zellstoffbahn zu gewährleisten (vgl. Anlage K 1, S. 1, Z. 18 – 23; S. 2, Z. 9 – 11 und S. 9, 13 – 20; Gutachten Schabel, S. 2 oben und S. 5 Mitte; Gutachten Heinze, S. 3 unten), verfügt die beanspruchte Faserstoffbahn über punkt- oder linienförmige Prägebereiche, in denen die Zellstofffasern miteinander verpresst sind. Die Prägebereiche unterscheiden sich daher von den übrigen Bereichen der Faserstoffbahn dadurch, dass die Zellstofffasern dort nicht nur locker aufeinanderliegen, sondern infolge hoher Druckbeaufschlagung miteinander fusioniert sind (Anlage K 1, S. 2, Z. 4 – 7; Prot. der mV v. 27.05.2021, S. 2, dritter Abs., Bl. 1377R GA). Konkrete Vorgaben hinsichtlich der Intensität der Druckbeaufschlagung finden sich in der Klagegebrauchsmusterschrift ebenso wenig wie in Bezug auf die Art und Weise der Fusionierung.
  108. b)
    Schutzanspruch 1 in der im Gebrauchsmusterlöschungsverfahren aufrechterhaltenen Fassung konkretisiert das Erfordernis der Fusionierung jedoch zumindest vom Ergebnis her, nämlich dergestalt, dass die benachbarten Zellstofffasern im Prägebereich derart fest und innig miteinander fusioniert sein sollen, dass sich die Verbindung bei Gebrauchstemperatur durch die Einwirkung von Wasser nicht löst.
  109. Maßgebend für den Schutzbereich eines Gebrauchsmusters (ebenso wie für den eines Patents) ist gemäß § 12a GebrMG, der inhaltlich § 14 PatG entspricht, der Inhalt der Schutzansprüche, zu deren Auslegung die Beschreibung und die Zeichnungen heranzuziehen sind. Da „Inhalt“ nicht „Wortlaut“ bedeutet, sondern „Sinngehalt“, kommt es insoweit darauf an, welchen Sinngehalt der von einem Gebrauchsmuster oder Patent angesprochene Durchschnittsfachmann einem in einem Gebrauchsmuster- oder Patentanspruch verwendeten Begriff unter Berücksichtigung des gesamten Offenbarungsgehalts der Gebrauchsmuster- oder Patentschrift beimisst. Insoweit ist eine Gebrauchsmuster- oder Patentschrift im Hinblick auf die in ihr gebrauchten Begriffe gleichsam ihr eigenes Lexikon; ergibt der Gesamtzusammenhang der Schrift, dass ein in ihr benutzter Begriff ausnahmsweise in einem anderen, z. B. einem engeren Sinne zu verstehen ist, als es dem allgemeinen Sprachgebrauch entspricht, so ist dieser Sinn maßgebend (vgl. dazu BGH, GRUR 1999, 909, 912 – Spannschraube; BGHZ 150, 149 155 f. = GRUR 2002, 515 – Schneidmesser I; BGH, GRUR 2016, 1031, 1032 – Wärmetauscher; Urt. vom 09.05.2017, Az.: X ZR 102/15, BeckRS 2017, 117715).
  110. Der Durchschnittsfachmann, ein Dipl.-Ing. des Maschinenbaus mit der Fachrichtung Verfahrenstechnik und Kenntnissen in der Zellstoffchemie sowie der Verarbeitung von Zellstofffasern oder eine Person mit einem ingenieur- oder naturwissenschaftlichen Universitäts- oder Fachhochschulstudium auf dem Gebiet der Verfahrens- oder Papiertechnik, dem Chemieingenieurwesen oder der chemischen Technik oder ein Chemiker mit Hochschul- oder Universitätsabschluss mit dem Schwerpunkt Polymerchemie/Biopolymere, der den Sinngehalt von Anspruch 1 des Klagegebrauchsmusters ermitteln will, wird sich daher fragen, welche technische Bedeutung (und damit: welche Auswirkungen für die Auslegung des gesamten Anspruchs 1) die Merkmalsgruppe 3. hat (vgl. zum Fachmann Gutachten Schabel, S. 1 Mitte sowie Gutachten Heinze, S. 3 oben).
  111. Bei der Vliesherstellung aus Cellulose-/Zellstofffasern wird das Vlies üblicherweise durch mechanischen Druck, etwa zwischen Kalanderwalzen, verfestigt. Resultiert daraus eine vollflächige Verdichtung der Faserstoffbahn, erhöht sich dadurch zwar einerseits die mechanische Festigkeit gegen ein Desintegrieren (Auffasern, Lösen). Zugleich kann sich jedoch auch die Wasseraufnahme reduzieren (Gutachten Heinze, S. 4 Mitte). Vor diesem Hintergrund verzichtet die Erfindung auf eine solche vollflächige Verpressung des Faserstoffs und lässt stattdessen ein Verpressen der Zellstofffasern mit einem Prägemuster aus punkt- oder linienförmigen Prägebereichen genügen. Dadurch wird einerseits eine mechanische Festigkeit (Reißfestigkeit) erreicht. Zugleich bleibt in dem nicht verfestigten Bereich ohne die punkt- oder linienförmige Verprägung eine höhere Wasseraufnahme bestehen.
  112. Wie genau diese punkt- oder linienförmige Prägung erfolgt, stellt das Klagegebrauchsmuster in das Belieben des Fachmanns, solange sie nur, wie von Merkmal 3. gefordert, auf einer klebstoff- und bindemittelfreien Fusion der Zellstofffasern infolge hoher Druckbeaufschlagung beruht (Gutachten Heinze, S. 4 unten). Erfindungsgemäß entstehen die Verbindungen daher aufgrund der hohen Druckbeaufschlagung, wobei die Länge der Fasern (Feinheit, Titer) und die chemische Beschaffenheit zu starken physikochemischen Wechselwirkungen führen. Damit sind die einer Druckbeaufschlagung unterzogenen Bereiche deutlich stabiler gegen den Einfluss von (flüssigem) Wasser oder wässrigen Medien (Gutachten Heinze, S. 8 oben). Die Frage, welche dieser Wechselwirkungen letztlich zu der notwendigen festen und innigen Verbindung der Cellulose-/Zellstofffasern führen, steht demgegenüber außerhalb der Erfindung. Es kann sich hierbei daher sowohl um die hydrophoben Van-der-Waals-Kräfte als auch um die Wasserstoffbrücken-Bindungszahl und -dichte oder die bisher nicht völlig verstandene Wechselwirkung zwischen Cellulose-/Zellstofffasern („Verhornung“) handeln (Gutachten Heinze, S. 5 Mitte; Prot. der mV v. 27.05.2021, S. 2, dritter Abs., Bl. 1377R GA).
  113. Indem die Fusion der Zellstofffasern im Prägebereich durch die Einwirkung von Wasser nicht gelöst wird (Merkmal 3.1.), ist die Faserstoffbahn sowohl im trockenen als auch im nassen Zustand mechanisch hoch belastbar und daher „nassfest“ (vgl. Anlage K 1, S. 3, Z. 1 – 3 und S. 5, Z. 7 – 10). Da in Schutzanspruch 1 in der streitgegenständlichen Fassung klargestellt ist, dass sich die Verbindung der Zellstofffasern nicht bei der Einwirkung von Wasser lösen darf, ist zugleich klar, dass es für die Verwirklichung der technischen Lehre des Klagegebrauchsmusters nicht ausreicht, wenn sich die Zellstofffasern lediglich bei der Einwirkung von Feuchtigkeit nicht lösen. Zwar umfasst der Begriff der Feuchtigkeit zugleich auch Wasser, er ist jedoch, worauf sowohl die Beklagte als auch das Bundespatentgericht (Anlage rop 4, S. 10 unten – S. 11 oben) und der durch den Senat bestellte Gutachter Schabel (Gutachten, S. 3 oben) zu Recht hingewiesen haben, weiter, indem er etwa auch Wasserdampf und damit die allgemeine Luftfeuchtigkeit umfasst. Nachdem allerdings das Klagegebrauchsmuster in seiner Beschreibung ausdrücklich auf die Nassfestigkeit der Faserstoffbahn abstellt, kann kein Zweifel daran bestehen, dass es erfindungsgemäß um die Einwirkung von flüssigem Wasser geht (Gutachten Heinze, S. 5 unten).
  114. Ausdrückliche Vorgaben, in welchem Umfang, etwa hinsichtlich welcher Wassermenge oder hinsichtlich welcher Einwirkungsdauer, die Bindungen zwischen den Zellstofffasern der Einwirkung von Wasser standhalten müssen, sind weder dem streitgegenständlichen Schutzanspruch noch der Klagegebrauchsmusterbeschreibung zu entnehmen. Dem Fachmann ist jedoch vor dem Hintergrund der Aufgabe der Erfindung, die Reißfestigkeit unter Beibehaltung der Saugfähigkeit zu erhöhen, und dem ausdrücklichen Hinweis auf die Gebrauchstemperatur im Schutzanspruch klar, dass sich die Verbindung benachbarter Zellstofffasern zumindest bei den beim Gebrauch der Faserstoffbahn üblichen Wassermengen nicht lösen darf. Zudem kommt es für eine schutzrechtsgemäße Fusionierung weder darauf an, wie sich die Verbindung der Zellstofffasern unter Extrembedingungen verhält, noch darauf, welche Auswirkungen andere Stoffe auf die Verbindung der Zellstofffasern haben. Ausreichend, aber auch erforderlich ist die fehlende Löslichkeit durch die Einwirkung von Wasser bei Gebrauchstemperatur, das heißt der Temperatur, bei der die beanspruchte Faserstoffbahn üblicherweise zum Einsatz kommt; bei den hier relevanten Damenbinden somit in einem Bereich von 10 °C bis zur Körpertemperatur (Gutachten Schabel, S. 6 Mitte).
  115. c)
    Was unter dem Begriff des „Nicht-Lösens“ zu verstehen sein soll, definiert das Klagegebrauchsmuster nicht ausdrücklich. Die Beklagte meint, der Begriff sei restriktiv zu verstehen. Ein „Nicht-Lösen“ liege daher nur dann vor, wenn sich keine der zahlreichen Faserverbindungen im Prägebereich löse. Dem Fachmann sei außerdem bewusst, dass ein „Lösen“ nicht erst dann vorliege, wenn sich die Faserbereiche vollständig voneinander gelöst hätten. Vielmehr sei von einem „Lösen“ bereits dann auszugehen, wenn der Prozess des „Lösens“ eingeleitet worden sei, das heißt dann, wenn sich die Faserbereiche beginnen, voneinander zu lösen, weil sich bereits dadurch die Festigkeit innerhalb der Prägebereiche verringere. In diesem Zusammenhang sei auch zu berücksichtigen, dass es sich bei den Prägebereichen einer Faserstoffbahn um eine dreidimensionale Struktur handele. Da ein „Nicht-Lösen“ voraussetze, dass sich keine der Faserverbindungen im Prägebereich löse, sei die Erfüllung des Merkmals bereits dann ausgeschlossen, wenn sich in nur einer Achse, das heißt der x-, y- oder z-Achse, Faserverbindungen lösen.
  116. Dem vermag der Senat nicht zu folgen. Eine derartige, restriktive Auslegung des Begriffs des „Nicht-Lösens“ wird vom Anspruchswortlaut nicht erzwungen; im Gegenteil zielt der Begriff des „Nicht-Lösens“ der Faserverbindung auf einen bestimmten Materialzustand und nicht auf den hierzu führenden Vorgang ab. Zwar sollen sich nach der Formulierung des streitgegenständlichen Schutzanspruchs die Verbindungen der Zellstofffasern bei der Einwirkung von Wasser nicht lösen. Dies bedeutet aber nicht zwingend, dass die Verbindung aller Fasern in allen Richtungen im vollen Umfang erhalten bleiben muss.
  117. Ein solches einengendes Verständnis ist auch unter funktionalen Gesichtspunkten nicht geboten. Dem Fachmann ist vor dem Hintergrund der Aufgabe, die mechanische Belastbarkeit und Reißfestigkeit auch bei der Einwirkung von Wasser zu erhalten, vielmehr bewusst, dass die Prägebereiche auch im nassen Zustand vorhanden sein müssen. Nachdem die Fasern zwischen den Prägebereichen allenfalls schwach aneinanderhaften, lässt sich die angestrebte hohe mechanische Belastbarkeit und Reißfestigkeit auch im nassen Zustand nur so Lisieren. Auch im nassen Zustand müssen demnach so viele Verbindungen zwischen benachbarten Zellstofffasern existieren, dass der jeweilige Prägepunkt erhalten bleibt (so auch BPatG, Anlage rop 14, S. 14 unten – S. 15 oben). Nur so lässt sich gewährleisten, dass die Faserstoffbahn (insgesamt) auch im nassen Zustand eine hohe mechanische Belastbarkeit und Reißfestigkeit besitzt (Anlage K 1, S. 1, Z. 24 – 26). Mit anderen Worten müssen die Fasern so nah aneinanderbleiben, dass der für die Bindung verantwortliche Mechanismus aufrechterhalten bleibt. Von außen erkennbar ist das „Nicht-Lösen“ dadurch, dass unter den relevanten Bedingungen keine Dispergierung oder kein Zerfall in einzelne Fasern erfolgt. Angewandt auf den Fall der geprägten Zellstoffbahnen für Slipeinlagen müssen die Fasern daher in den geprägten Bereichen aneinander haften bleiben, wobei das Verändern der Geometrie des Faserverbundes, z.B. durch Aufquellen, kein „Lösen“ der Verbindung darstellt. Bei gelösten Verbindungen zwischen den Zellstofffasern liegen die Fasern vielmehr wieder vereinzelt vor (Gutachten Schabel, S. 7, zweiter Abs.; Gutachten Heinze, S. 5 unten); es entsteht eine Fasersuspension (Prot. der mV v. 27.05.2021, S. 4, Bl. 1378R GA).
  118. Damit die Faserstoffbahn auch im nassen Zustand über eine hohe mechanische Belastbarkeit verfügt (Anlage K 1, S. 3, Z. 1 – 3), reicht es allerdings nicht, dass sich nur einzelne Prägebereiche durch die Einwirkung von Wasser nicht lösen. Nachdem die Fasern zwischen den Prägebereichen allenfalls schwach aneinanderhaften (Anlage
    K 1, S. 2, Z. 4 – 7), müssen vielmehr die Prägebereiche (und nicht lediglich ein Prägebereich) im nassen Zustand bestehen bleiben. Zwar beschreibt Merkmal 3.1. das „Nicht-Lösen“ durch die Einwirkung von Wasser lediglich im Hinblick auf einen Prägebereich. Allerdings darf der Fachmann bei seiner Suche nach dem Sinngehalt des Schutzanspruchs nicht aus dem Blick verlieren, dass Merkmal 3.1. lediglich die in Merkmal 3. angesprochene klebstoff- und bindemittelfreie Fusion der Zellstofffasern in den Prägebereichen (Unterstreichung hinzugefügt) näher konkretisiert. Es sind somit die Prägebereiche des Prägemusters, deren Zellstofffasern sehr fest und innig miteinander verbunden sein müssen, und zwar derart, dass sich die Verbindung bei Gebrauchstemperatur durch die Einwirkung von Wasser nicht löst.
  119. Aus der Erwägung, dass es für eine Verwirklichung der beanspruchten technischen Lehre nicht ausreicht, wenn einzelne Prägebereiche der Einwirkung von Wasser standhalten, lässt sich allerdings nicht im Umkehrschluss folgern, es müssten stets alle betrachteten Prägepunkte der intakten Faserstoffbahn eines intakten Saugkerns unter Gebrauchsbedingungen bestehen bleiben (Gutachten Heinze, S. 6 unten, Ergänzungsgutachten Heinze, S. 9 oben). Soweit das Bundespatentgericht hiervon abweichend ein Nicht-Lösen der Verbindung benachbarter Zellstofffasern durch Einwirkung von Wasser grundsätzlich in allen Prägebereichen verlangt hat (BPatG, S. 15, zweiter Abs.), ist ein solch enges Verständnis des Schutzbereichs weder nach dem Wortlaut des Schutzanspruchs noch unter funktionalen Aspekten geboten. Merkmal 3.1. verhält sich nicht explizit dazu, ob die geforderten Eigenschaften in der Gesamtheit des geprägten Bindematerials erfüllt sein müssen oder ob jeder, aus dem Bindematerial herausgelöste Prägebereich isoliert betrachtet der Definition genügen muss. Der Fachmann wird diese Frage daher unter Berücksichtigung seines Fachwissens und der zu lösenden Aufgabe, die Reißfestigkeit der Faserstoffbahn zu verbessern, beantworten. Davon ausgehend gelangt er zu der Erkenntnis, dass es dem Klagegebrauchsmuster um eine Stabilitätserhöhung des Saugkerns geht, was es rechtfertigt, auch kooperative Effekte der Gesamtheit der Prägepunkte in die Erwägungen einzubeziehen (Stellungnahme Heinze, S. 4, Z. 77 – 89). Halten einzelne Prägepunkte dem Einfluss des Wassers nicht stand, führt dies solange nicht aus dem Schutzbereich des Klagegebrauchsmusters heraus, wie eine solche Zahl von Prägepunkten erhalten bleibt, dass sich insgesamt ein mechanisch stabiles Produkt ergibt (vgl. Stellungnahme Heinze, S. 2, Z. 15 – 23; S. 3, Z. 69), bei dem die den Staugkern stabilisierenden Prägepunkte nicht zerstört worden sind (Stellungnahme Heinze, S. 2, Z. 24 f.).
  120. Dass dem so sein muss, verdeutlicht folgende Kontrollüberlegung: Schutzanspruch 1 gibt kein explizites Mindestmaß an Prägebereichen vor. Ebenso wenig bedarf es im Fall eines punktförmigen Prägemusters einer bestimmten Rasterdichte, wie sie in Unteranspruch 2 thematisiert wird. Um das Ziel einer auch im nassen Zustand reißfesten und mechanisch belastbaren (Anlage K 1, S. 3, Z. 2 f.) Faserstoffbahn zu erreichen, bedarf es gleichwohl einer bestimmten Anzahl von Prägebereichen, was in Schutzanspruch 1 durch die Bezugnahme auf die Prägebereiche (und nicht einen einzelnen Prägebereich) Niederschlag gefunden hat. Die Entscheidung, über dieses, für die ausreichende Reißfestigkeit notwendige Mindestmaß hinaus weitere Prägebereiche vorzusehen, obliegt dem Fachmann. Entscheidet er sich für den Einsatz zusätzlicher Prägebereiche und lösen sich diese unter dem Einfluss von Wasser, kann sich nichts anderes ergeben als im Fall einer von vornherein vorgenommenen Beschränkung des Prägemusters auf die für die angestrebte Reißfestigkeit zwingend notwendigen und nassfesten Prägebereiche. In beiden Fällen steht am Ende ein Prägemuster, bei dem sich unter dem Einfluss von Wasser eine solche Zahl von Prägebereichen nicht löst, dass eine hinreichende Stabilität der – durch Schutzanspruch 1 unter Schutz gestellten – Faserstoffbahn gewährleistet ist.
  121. Da die Prägebereiche die Reißfestigkeit stets und damit auch in Gegenwart der nach der nunmehr streitgegenständlichen Anspruchsfassung zwingend vorhandenen Superabsorber gewährleisten sollen, dürfen sich die Verbindungen zwischen den Zellstofffasern schließlich auch dann nicht unter der Einwirkung von Wasser lösen, wenn derartige Superabsorber in der Faserstoffbahn vorhanden sind.
  122. d)
    Nach der nunmehr in den streitgegenständlichen Schutzanspruch aufgenommenen Merkmalsgruppe 4. weist die Faserstoffbahn einen Zusatz an Hilfs- und Füllstoffen auf, wobei der Zusatz ein superabsorbierendes Polymer (SAP) umfasst, dessen Anteil 0,5 – 70 Gew.-% beträgt. Davon ausgehend entnimmt der Fachmann der Formulierung des Schutzanspruchs keinen Hinweis darauf, dass es, wie die Beklagte meint, zwingend einer Mehrzahl an Hilfs- und Füllstoffen bedarf, von denen einer ein superabsorbierendes Polymer (SAP) ist. Denn ein Zusatz an Hilfs- und Füllstoffen liegt auch dann vor, wenn der Faserstoffbahn lediglich ein superabsorbierendes Polymer (SAP) hinzugefügt wurde. Aus der Formulierung „umfasst“ folgt demgegenüber nur, dass es sich bei dem Zusatz zumindest um ein superabsorbierendes Polymer handeln muss, neben dem weitere Zusatzstoffe vorhanden sein können, aber nicht müssen.
  123. Anhaltspunkte für ein einengendes Verständnis finden sich auch nicht in der Klagegebrauchsmusterbeschreibung. Vielmehr bestätigt diese den Fachmann in der Annahme, dass für die Verwirklichung der Unteransprüche 10 und 11 auch die bloße Anwesenheit eines Superabsorbers ausreicht. Denn auf Seite 4, Z. 15 – Z. 18 werden Titandioxid und ein superabsorbierendes Polymer (SAP) ausdrücklich als Alternativen genannt. Hinweise darauf, dass neben dem superabsorbierenden Polymer (SAP) zwingend ein weiterer Hilfs- bzw. Füllstoff treten muss, finden sich in der Beschreibung des Klagegebrauchsmusters demgegenüber nicht.
  124. Die vorstehend zitierte Passage der Klagegebrauchsmusterbeschreibung beantwortet zugleich die durch die Beklagte aufgeworfenen Frage, ob es für die Bestimmung des SAP-Anteils auf die Gewichtsverhältnisse nach der Einwirkung von Wasser, also im nassen Zustand, oder auf den trockenen Zustand ankommt. Denn das Klagegebrauchsmuster stellt an dieser Stelle darauf ab, dass die Hilfs- und Füllstoffe dem Ausgangsmaterial beigefügt werden sollen. Damit ist in Ermanglung entgegenstehender Anhaltspunkte klar, dass sich auch die im Schutzanspruch genannten Mengenangaben zwingend auf die trockene Faserstoffbahn beziehen und nicht auf den, auch nicht hinreichend definierten Zustand nach dem Gebrauch.
  125. Soweit die Klagegebrauchsmusterbeschreibung auf S. 4, Z. 19 – 21 schließlich davon spricht, die als Superabsorber bekannten Acrylatverbindungen ließen sich in Pulverform in einer Menge von 0,5 – 70 Gew.-% der Gesamtmasse beimischen, folgt daraus nicht, dass die SAP für eine Verwirklichung der beanspruchten technischen Lehre zwingend gleichmäßig über die gesamte Faserstoffbahn verteilt sein müssen. Unteranspruch 11, bei dem es sich um einen Erzeugnis- und keinen Verfahrensanspruch handelt, verlangt lediglich, dass der Anteil an SAP 0,5 – 70 Gew.-% der Gesamtmasse beträgt. Ein Hinweis darauf, dass die entsprechenden SAP zwingend der Gesamtmasse beigefügt werden müssten, findet sich in Unteranspruch 11 demgegenüber nicht. Unter den Schutzanspruch fällt somit auch eine Gestaltung, bei der sich die SAP in den Randbereichen der Faserstoffbahn befinden, solange ihr Anteil, bezogen auf die Gesamtmasse, den in Unteranspruch 11 aufgestellten Anforderungen genügt.
  126. Einer gleichmäßigen Verteilung der Superabsorber in der Faserstoffbahn bedarf es im Übrigen auch nicht unter Berücksichtigung ihrer Funktion. Denn sie sollen Flüssigkeit, die mit der Faserstoffbahn in Kontakt tritt, binden, wobei diese Flüssigkeit von der Faserstoffbahn auch bei physikalischen Einwirkungen (z. B. Druck) nicht wieder abgegeben werden soll. Diese Funktion wird jedoch auch dann gewährleistet, wenn sich der Superabsorber an der Grenzfläche (Oberfläche) der Faserstoffbahn befindet.
  127. 3.
    Ausgehend von diesen Überlegungen machen die angegriffenen Ausführungsformen von der technischen Lehre des Klagegebrauchsmusters Gebrauch.
  128. a)
    Soweit sich die Beklagte in Bezug auf die angegriffene Ausführungsform I darauf beruft, die Fusion der Zellstofffasern sei bei der angegriffenen Ausführungsform I aufgrund des vorhandenen Silikons nicht bindemittelfrei, kann sie damit in der zweiten Instanz nicht gehört werden. Insoweit liegt keiner der in § 531 Abs. 2 ZPO genannten Ausnahmetatbestände vor, der eine ausnahmsweise Berücksichtigung dieses neuen tatsächlichen Vorbringens erlauben würde.
  129. Gemäß § 531 Abs. 1 Nr. 3 ZPO sind neue Angriffs- und Verteidigungsmittel dann zuzulassen, wenn ihre Geltendmachung in erster Instanz nicht aus Nachlässigkeit der Partei unterblieben ist. Ausgeschlossen ist demnach die Berücksichtigung solcher Umstände, die in erster Instanz nicht vorgebracht wurden, obwohl sie und ihre Bedeutung für den Ausgang des Rechtsstreits der Partei vor Schluss der mündlichen Verhandlung vor dem erstinstanzlichen Gericht bekannt waren oder hätten bekannt sein müssen (BGH, NJW 2004, 2152; Musielak/Ball, ZPO, 18. Aufl., § 531 Rz. 19). Zu berücksichtigen sind daher alle Tatsachen, die erst nach der letzten mündlichen Verhandlung erster Instanz entstanden (BGH, NJW-RR 2005, 1687 f.; BGH, GRUR 2011, 853, 854 – Treppenlift) oder der Partei erst nach diesem Zeitpunkt bekannt geworden sind, ohne dass dies auf Nachlässigkeit beruht (BGH, r+s 2010, 420, 421; Musielak a.a.O.). Soweit eine Partei ihr bekannte oder für sie erkennbare Tatsachen nicht vorgetragen oder sonst Angriffs- oder Verteidigungsmittel nicht geltend gemacht hat, obwohl ihr dies objektiv möglich gewesen wäre, hängt die Zulassung entsprechenden neuen Vorbringens in der zweiten Instanz davon ab, ob die Partei bei Anwendung der gebotenen Sorgfalt die Entscheidungsrelevanz des betreffenden Vorbringens hätte erkennen können (Musielak, a.a.O.).
  130. Davon ausgehend kann die Beklagte in der Berufungsinstanz nicht mit dem Einwand gehört werden, die Fusion erfolge bei der angegriffenen Ausführungsform I nicht wie von Schutzanspruch 1 gefordert „klebstoff- und bindemittelfrei“, weil die angegriffene Ausführungsform I Silikon enthalte. Denn insoweit verweist sie lediglich auf das durch die Klägerin bereits erstinstanzlich als Anlage K 7 vorgelegte Gutachten (dort S. 6, Ziff. 4.2.4.), ohne dass erkennbar wäre, weshalb sie vor diesem Hintergrund die Bindemittelfreiheit nicht bereits erstinstanzlich bestritten hat.
  131. Ein anderes Ergebnis ist auch nicht deshalb gerechtfertigt, weil Schutzanspruch 1 nunmehr dahingehend enger gefasst ist, dass es nicht mehr genügt, dass die Zellstofffasern bindemittel- und/oder klebstofffrei fusioniert sind, sondern dass die Verbindung nunmehr bindemittel- und klebstofffrei sein muss. Denn der durch die Klägerin beauftragte Gutachter hat in seinem Privatgutachten ausdrücklich festgestellt, dass die untersuchte Ausführungsform keine Bindemittel oder Klebstoffe enthält (vgl. Anlage K 7, S. 10 unten). Dem ist die Beklagte erstinstanzlich gleichwohl nicht entgegengetreten.
  132. b)
    Demgegenüber ist das Bestreiten einer Verletzung des Klagegebrauchsmusters durch die Beklagte beachtlich, soweit sie vorträgt, die angegriffene Ausführungsform I mache deshalb von der technischen Lehre des Klagegebrauchsmusters keinen Gebrauch, weil sich die Verbindung der Zellstofffasern in Wasser löse. Das Merkmal der fehlenden Wasserlöslichkeit der Zellstofffaserverbindungen in den Prägebereichen war bisher im Schutzanspruch nicht enthalten. Entsprechend muss die Beklagte Gelegenheit haben, zu diesem Merkmal Stellung zu nehmen und dessen Verwirklichung ggf. zu bestreiten, § 531 Abs. 2 Nr. 3 ZPO.
  133. aa)
    Es braucht an dieser Stelle nicht entschieden werden, wie der Fall zu behandeln wäre, wenn der Schutzanspruch nunmehr genau entsprechend der erstinstanzlichen Auslegung der Klägerin gefasst worden wäre. Dies ist hier jedenfalls nicht der Fall. Die Klägerin hat erstinstanzlich den Begriff „Fusion“ zwar teilweise im Sinne einer „Nassfestigkeit“ ausgelegt, diesen jedoch nicht durchgängig im Sinne einer Wasserunlöslichkeit, sondern teilweise auch in dem Sinne gebraucht, dass sich die Zellstofffasern unter der Einwirkung von Feuchtigkeit nicht lösen. So hat die Klägerin in der Vorinstanz ausgeführt:
  134. „Durch eine mittels Prägeelementen […] ausgeübte hohe Druckbeaufschlagung wird bei der Herstellung einer erfindungsgemäßen Faserstoffbahn erreicht, dass benachbarte Zellstofffasern im Prägebereich sehr fest und innig miteinander verbunden (fusioniert) sind. Diese Verbindung wird bei Gebrauchstemperatur auch durch die Einwirkung von Feuchtigkeit nicht gelöst (Bl. 10 GA).“
    „Da die Faserstoffbahnen gerade im Sanitärbereich Einsatz finden sollen und es sich um saugfähige Faserstoffbahnen handeln soll, ist für die Eigenschaften des geschützten Produktes entscheidend, dass die benachbarten Zellstofffasern im Prägebereich sehr fest und innig miteinander verbunden sind und dass diese Verbindung bei Gebrauchstemperatur auch durch die Einwirkung von Feuchtigkeit nicht gelöst wird (Bl. 124 GA).“
    Zwar hat die Klägerin an anderer Stelle teilweise auch auf die fehlende Wasserlöslichkeit abgestellt (vgl. S. 11 der Klageschrift, Bl. 12 GA). Allerdings setzt sie auch dort die Wasserunlöslichkeit mit einer fehlenden Löslichkeit bei der Einwirkung von Feuchtigkeit gleich, indem es heißt:
  135. „Zum anderen hat der Gutachter die Proben gewässert und beobachtet, dass sich die Verbindung der Fasern unter Feuchtigkeitseinwirkung nicht löst (Bl. 12 GA).“
  136. Auch das Landgericht hat erstinstanzlich den Begriff der „Fusion“ zumindest teilweise mit einer fehlenden Löslichkeit bei der Einwirkung von Feuchtigkeit definiert:
  137. „Nach dem technischen Sinngehalt des Klagegebrauchsmusters ist das Merkmal 3, wonach in den Prägebereichen des Prägemusters infolge hoher Druckbeaufschlagung klebstoff- und/oder bindemittelfrei fusionierte Zellstofffasern vorliegen, dahingehend zu verstehen, dass die durch Druckbeaufschlagung komprimierten Fasern in den Prägebereichen des Prägemusters so fest und innig miteinander verbunden sein sollen, dass die Fasern bei Gebrauchstemperatur auch durch die Einwirkung von Feuchtigkeit nicht gelöst werden (Bl. 184 GA).“
  138. „Daraus ergibt sich, dass bei Einwirkung von Feuchtigkeit eine Lösung der Fasern miteinander im Prägebereich nicht erfolgen soll, das heißt die feste und innige Verbindung fortbesteht (Bl. 185 GA).“
  139. „Danach müssten – das Verständnis der Beklagten zugrunde legend, dass unter „diese“ die Zellstoffbahn zu verstehen ist – die Zellstofffasern einerseits außerhalb der Prägebereiche gelockert übereinander oder nur schwach aneinander haftend vorliegen, andererseits jedoch bei Gebrauchstemperatur auch durch Einwirkung von Feuchtigkeit nicht gelöst werden (Bl 186 GA).“
  140. Dass die nunmehr von Schutzanspruch 1 geforderte „Wasserunlöslichkeit“ nicht in jedem Fall mit der fehlenden Löslichkeit bei der Einwirkung von Feuchtigkeit gleichzusetzen ist, hat der Senat im Rahmen der Auslegung des Klagegebrauchsmusters bereits ausgeführt. Insbesondere umfasst die fehlende Löslichkeit bei der Einwirkung von Feuchtigkeit auch die bloße Einwirkung von Wasserdampf. Zwar durfte sich die Beklagte erstinstanzlich nicht darauf verlassen, das Landgericht werde ihrer Auslegung des Klagegebrauchsmusters folgen, da jede Partei mit einer Zurückweisung ihrer Einwände rechnen muss. Auch durfte sie nicht möglicherweise liquide Einwendungen zurückhalten und erst einmal abwarten, wie sich das Gericht zu dem schon vorgebrachten Prozessstoff stellt (vgl. OLG Düsseldorf, BeckRS 2010, 15818 – Treppenlift). Um einen solchen Fall handelt es sich jedoch dann nicht, wenn – wie hier – der streitgegenständliche Schutzanspruch nachträglich neu gefasst wird.
  141. bb)
    Dies vorausgeschickt ist der Senat nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme davon überzeugt, dass sich die Verbindung der benachbarten Zellstofffasern bei Gebrauchs-temperatur bei den angegriffenen Ausführungsformen durch die Einwirkung von Wasser nicht löst. Ein solches Nicht-Lösen hat der als gerichtlicher Sachverständiger beauftragte Prof. Dr. Heinze, wie auch zuvor Prof. Dr.-Ing. Schabel, ausdrücklich und überzeugend für beide angegriffene Ausführungsformen festgestellt (Gutachten Heinze, S. 8 und 10; Ergänzungsgutachten S. 9 und 16).
  142. Im Rahmen seiner, im Vorfeld mit den Parteien abgestimmten Untersuchungen hat der Sachverständige Prof. Dr. Heinze zunächst in einem Set von experimentellen Studien die isolierten Prägepunkte untersucht. Daneben hat er das Verhalten der Prägepunkte beim Kontakt mit Wasser geprüft (vgl. Gutachten, S. 8 unten). Zwar hat der Sachverständige beobachtet, dass sich einige der isolierten Prägepunkte im Wasser teilweise lösen (desintegrieren). Dies hat der Sachverständige jedoch nachvollziehbar damit begründet, dass durch das Verletzen/Zerschneiden der im Saugkern miteinander verbundenen, benachbarten Zellstofffasern der Zusammenhalt gestört sei. Darüber hinaus erscheine es logisch, dass an den Schnittstellen SAP austreten könne (Gutachten, S. 8 unten – S. 9 oben; Ergänzungsgutachten, S. 10 unten). Soweit die Prägepunkte in den Randbereichen zerfasern, handele es sich dabei um einen unvermeidbaren, durch das Herauslösen der Prägepunkte aus den Probenkörpern verursachten Effekt (Gutachten, S. 9 Mitte). Die aus den Randbereichen herausgelösten Fasern hätten auf die Stabilität des Saugkerns keinen Einfluss (Ergänzungsgutachten, S. 11, zweiter Abs.). Im Hinblick auf den durch die Beklagte wiederholt angesprochenen vermeintlichen Zerfall von knapp der Hälfte (I 18) bzw. knapp 2/3 der Prägebereiche (I 14 bzw. K 17) hat der Sachverständige nachvollziehbar erläutert, dass ein solcher Zerfall nicht mit der Entstehung einer Fasersuspension gleichzusetzen ist. Auch ein in zwei Hälften zerfallener Prägepunkt bestehe aus Fasern, die stabil miteinander verbunden seien (Prot. der mV v. 27.05.2021, S. 12 f., Bl. 1382R f.GA). Die Fasern sind dementsprechend auch in einem solchen Fall, wie von Merkmal 3.1. gefordert, nicht gelöst.
  143. Nach der für den Senat nachvollziehbaren und plausiblen Begründung des Sachverständigen kann die Verletzungsfrage allerdings nicht allein anhand einer Untersuchung der Prägepunkte beantwortet werden, da die Verletzung des Materials durch das Heraustrennen der Prägepunkte aus dem Saugkern einen Einfluss auf die Stabilität hat (Gutachten Heinze, S. 9 Mitte). Deshalb bedürfe es nach Auffassung des Sachverständigen zusätzlich einer Untersuchung der Saugkerne. Aufgrund der experimentellen Ergebnisse an den Saugkernen könne man davon ausgehen, dass die Prägepunkte stabil seien (Prot. der mV v. 27.05.2021, S. 10, Bl. 1381R GA). Die Saugkerne quellten, woraufhin die vom gequollenen Saugkern umgebenen Prägepunkte/Prägebereiche nicht mehr erkennbar seien (Gutachten, S. 9 unten). Sie seien gleichwohl nach wie vor vorhanden. Wie der Sachverständige plausibel erläutert hat, bildet sich dann, wenn sich das Material auflöst bzw. desintegriert, eine Fasersuspension (Ergänzungsgutachten, S. 7 oben; Stellungnahme, S. 2, Z. 31 – 34; Prot. der mV v. 27.05.2021, S. 4, Bl. 1378R GA; S. 6, Bl. 1379R GA). Derartiges habe bei der Untersuchung der angegriffenen Ausführungsformen jedoch nicht festgestellt werden können (Ergänzungsgutachten, S. 6, zweiter Abs.; S. 9, zweiter Abs.; Ergänzungsgutachten, S. 15, vorletzter Abs., Stellungnahme, S. 5, Z. 159 – 161). Selbst im hochgequollenen Zustand stellten die Saugkerne ein kompaktes Material dar und bildeten keine Fasersuspension (Ergänzungsgutachten, S. 14 Mitte). Obwohl die Prägepunkte nicht mehr optisch/mikroskopisch sichtbar seien, lasse die fehlende Desintegration aus wissenschaftlicher Sicht den Schluss auf die beanspruchte Stabilität zu (Ergänzungsgutachten, S. 9).
  144. Soweit die Beklagte in Bezug auf die durch den Sachverständigen Prof. Dr. Heinze durchgeführten Untersuchungen eingewandt hat, die untersuchten Proben hätten teilweise noch das „Topsheet“ enthalten, hat der Sachverständige dies im Rahmen seiner Anhörung zwar eingeräumt. Er hat dies jedoch nicht nur nachvollziehbar begründet, sondern zugleich klargestellt, dass das teilweise vorhandene „Topsheet“ auf die Ergebnisse der experimentellen Studien keinen Einfluss hatte (Prot. der mV v. 27.05.2021, S. 15 Mitte, Bl. 1384 GA). Der Senat hat keinen Anlass, an der Richtigkeit dieser Feststellung zu zweifeln.
  145. c)
    Dass die angegriffenen Ausführungsformen I und II einen SAP-Anteil in dem von Merkmal 4.1.1. geforderten Bereich aufweisen, hat die Beklagte nicht erheblich in Abrede gestellt.
  146. Zwischen den Parteien steht das Vorhandensein von SAP in den angegriffenen Ausführungsformen nicht in Streit. Nachdem die Klägerin, im Hinblick auf die angegriffene Ausführungsform I sogar unter Vorlage entsprechender Messungen (vgl. Anlage K 7, S. 8 unten – S. 10 oben), die Behauptung aufgestellt hat, der SAP-Anteil der angegriffenen Ausführungsformen liege im beanspruchten Bereich, reicht es für ein erhebliches Bestreiten nicht aus, lediglich am Sachvortrag der Klägerin zu bemängeln, dieser sei unsubstantiiert. Ebenso wenig genügt es, die Messmethoden der Klägerin zu kritisieren und darauf hinzuweisen, für die angegriffene Ausführungsform II fehle jeder Nachweis, dass diese SAP im beanspruchten Bereich enthalte.
  147. Die Klägerin ist ihrer Darlegungslast zunächst dadurch nachgekommen, dass sie die Behauptung aufgestellt hat, der Anteil an superabsorbierenden Polymeren (SAP) liege bei beiden angegriffenen Ausführungsformen im beanspruchten Bereich. Damit obliegt es nunmehr der Beklagten, sich hierzu unter Beachtung ihrer Wahrheitspflicht (§ 138 Abs. 1 ZPO) zu erklären und, soweit zutreffend, die entsprechende Behauptung der Klägerin zu bestreiten. Erst dann ist es an der Klägerin, ihren Vortrag zu konkretisieren. Bestreitet die Beklagte – wie hier – die entsprechende Behauptung der Gegenseite demgegenüber nicht, gilt der entsprechende Vortrag gemäß § 138 Abs. 3 ZPO als zugestanden und ist dementsprechend bei der Urteilsfindung zugrunde zu legen.
  148. 4.
    Nachdem die Klägerin Schutzanspruch 1 im Verletzungsverfahren auf SAP-haltige Ausgestaltungen beschränkt hat, kann sich die Beklagte nicht mit Erfolg gemäß § 13 Abs. 3 GebrMG i. V. m. § 12 PatG auf ein privates Vorbenutzungsrecht berufen. Da das Produkt „M“ unstreitig keine SAP enthält, fehlt es bereits am Erfindungsbesitz als Grundvoraussetzung des privaten Vorbenutzungsrechts.
  149. Nach § 9 PatG (bzw. § 11 GebrMG) ist allein der Patent- bzw. Gebrauchsmusterinhaber oder der von diesem Ermächtigte befugt, die im Patent oder Gebrauchsmuster unter Schutz gestellte Erfindung zu benutzen. Sonstige Dritte sind für die Dauer des Patents von einer solchen Benutzung ausgeschlossen. Dieser Grundsatz wird durch
    § 12 PatG (i.V.m. § 13 Abs. 3 GebrMG) insoweit eingeschränkt, als die Wirkung des Patents oder Gebrauchsmusters gegenüber demjenigen nicht eintritt, der die Erfindung zur Zeit der Anmeldung im Inland bereits in Benutzung genommen oder die dafür erforderlichen Veranstaltungen getroffen hat. Dieser ist berechtigt, die Erfindung für die Bedürfnisse seines Betriebs in eigenen oder fremden Werkstätten zu benutzen.
  150. Mit dieser Einschränkung will das Gesetz aus Billigkeitsgründen einen vorhandenen oder in vorbereitenden Veranstaltungen bereits angelegten gewerblichen Besitzstand des Vorbenutzers schützen und damit die unbillige Zerstörung in rechtlich unbedenklicher Weise geschaffener Werte verhindern. Auf der Grundlage eines erst zu einem späteren Zeitpunkt entstandenen oder in rechtlich relevanter Weise angelegten Ausschließlichkeitsrechts soll der Patent- oder Gebrauchsmusterinhaber denjenigen nicht von der Benutzung der Erfindung ausschließen können, der die geschützte technische Lehre bereits vorher benutzt oder konkrete Anstalten für eine solche Benutzung getroffen hat (BGH, GRUR 2002, 231, 233 f. – Biegevorrichtung; BGHZ 182, 231 = GRUR 2010, 47 Rz. 16 – Füllstoff; GRUR 2019, 1171, 1173 Rz. 26 f. – Schutzverkleidung; vgl. auch zum designrechtlichen Vorbenutzungsrecht: BGH, GRUR 2018, 72 Rz. 61 – Bettgestell).
  151. Diesem Regelungszweck entsprechend ist der Vorbenutzer auf die Nutzung desjenigen Besitzstands beschränkt, für den vor dem Anmelde- oder Prioritätstag sämtliche Voraussetzungen des Ausnahmetatbestands erfüllt waren. Weiterentwicklungen über den Umfang der bisherigen Benutzung hinaus sind ihm verwehrt, wenn sie in den Gegenstand der geschützten Erfindung eingreifen. Einen solchen Eingriff hat der Bundesgerichtshof für den Fall angenommen, dass bei der als patentverletzend angegriffenen Ausführungsform alle Merkmale des Patentanspruchs verwirklicht sind, während dies bei der vorbenutzten Ausführungsform wegen Fehlens eines dieser Merkmale noch nicht gegeben war (BGH, GRUR 2002, 231, 234 – Biegevorrichtung; GRUR 2019, 1171, 1173 Rz. 28 – Schutzverkleidung).
  152. Um einen solchen Fall handelt es sich auch hier. Das vorbenutzte Produkt „M“ macht von der technischen Lehre des Klagegebrauchsmusters keinen Gebrauch. Es enthält kein superabsorbierendes Material (SAP), so dass es – anders als bei den angegriffenen Ausführungsformen – an einer Verwirklichung der Merkmalsgruppe 4.1. fehlt. Die angegriffenen Ausführungsformen greifen somit erstmals in den Schutzbereich des Klagegebrauchsmusters ein. Es fehlt daher an einem ein Vorbenutzungsrecht rechtfertigenden Besitzstand der Beklagten.
  153. Die durch die Beklagte zitierte Entscheidung „Schutzverkleidung“ (BGH GRUR 2019, 1171) bietet für eine abweichende Bewertung keinen Anlass. Dort befasst sich der Bundesgerichtshof im Kern nicht mit den Voraussetzungen, sondern mit den Grenzen des Vorbenutzungsrechts für den Fall einer Modifikation des Besitzstandes. Derartige Modifikationen erachtet der Bundesgerichtshof etwa für unzulässig, wenn mit der Modifikation ein zusätzlicher Vorteil verwirklicht wird, der von der nicht modifizierten Ausführungsform nicht verwirklicht worden ist. Zudem kann die Grenze des Vorbenutzungsrechts auch überschritten sein, wenn erstmals eine Ausführungsform benutzt wird, die in einem Unteranspruch oder in der Beschreibung des Patents wegen dieses zusätzlichen Vorteils hervorgehoben wird (vgl. Leitsatz 2). Die Frage der Zulässigkeit von Modifikationen am vorbenutzten Gegenstand stellt sich allerdings naturgemäß erst dann, wenn durch diesen Gegenstand bereits ein schutzwürdiger Besitzstand begründet wurde. Erst unter dieser Voraussetzung gilt es die Frage zu beantworten, inwiefern etwaige Modifikationen das durch diesen Besitzstand begründete Vorbenutzungsrecht beseitigen. Daran fehlt es hier jedoch, wie ausgeführt, gerade. Das vorbenutzte Produkt „M“ stellt mangels SAP keinen solchen schutzwürdigen Besitzstand dar. Dass sich die Forderung nach dem Vorhandensein von SAP ursprünglich lediglich in Unteranspruch 11 fand, hilft der Beklagten nicht weiter. Denn für die Beurteilung des Besitzstandes kommt es auf die im Verhandlungsschlusszeitpunkt maßgebliche Anspruchsfassung an, welche die Grenzen des Schutzbereichs definiert. Die Forderung nach dem Vorhandensein einer bestimmten Menge an SAP ist dementsprechend nunmehr Gegenstand des Hauptanspruchs und daher für die Entstehung eines schutzwürdigen Besitzstandes essentiell.
  154. 5.
    Mit Blick auf den rechtskräftigen Beschluss des Bundespatentgerichts vom 13. September 2017 (Anlagen rop 14/14a) erübrigen sich Ausführungen des Senats zur Frage der Schutzfähigkeit des Klagegebrauchsmusters. Der Senat ist gemäß § 19 S. 3
    GebrmG an die (teilweise) Zurückweisung des Löschungsantrages gebunden, nachdem das Bundespatentgericht die Schutzfähigkeit des Klagegebrauchsmusters im hier geltend gemachten Umfang rechtskräftig bejaht hat.
  155. a)
    Dem steht nicht entgegen, dass die hiesige Klägerin formal nicht am Löschungsverfahren beteiligt war, sondern einer ihrer Geschäftsführer als eingetragener Inhaber des Klagegebrauchsmusters. Bei der Auslegung von § 19 S. 3 GebrMG ist zu berücksichtigen, dass diese Bestimmung einander widersprechende Entscheidungen des Patentamts und des Verletzungsgerichts verhindern soll, soweit nicht die Rechte eines anderen Löschungsantragstellers beeinträchtigt werden. Die Bindungswirkung des
    § 19 S. 3 GebrMG ist insoweit auch als eine Schutzvorschrift zu Gunsten des Gebrauchsmusterinhabers zu werten; derselbe Verletzer soll nach einem für ihn negativ ausgegangenen Löschungsverfahren nicht im Verletzungsrechtsstreit erneut die Rechtsgültigkeit des Gebrauchsmusters in Zweifel ziehen können. Daraus ergibt sich, dass es nach dem Sinn des § 19 S. 3 GebrMG entscheidend auf die Identität des Löschungsantragstellers und Verletzungsbeklagten ankommt (BGH, GRUR 1969, 681 – Hopfenpflückvorrichtung). Entsprechend dem Schutzzweck der Norm ist die Voraussetzung der Personenidentität daher weit auszulegen (BeckOK Patentrecht, Fitzner/Henning/Bodewig, 20. Edition, Stand: 15.04.2021, § 19 GebrMG, Rz. 19; Cepl/Voß/Cepl, Prozesskommentar zum Gewerblichen Rechtschutz, 2. Aufl., § 148 Rz. 191). So besteht die Bindung auch zu Gunsten des Rechtsnachfolgers oder des ausschließlichen Lizenznehmers (BGH, GRUR 1969, 681 – Hopfenpflückvorrichtung; OLG Düsseldorf, Urt. v. 29.10.2015, Az.: I-15 U 25/14 = Mitt. 2016, 224; Cepl a.a.O.; Loth/Stock, Gebrauchsmustergesetz, 2. Aufl., § 19 Rz. 19). Nichts anderes kann gelten, wenn – wie hier – der Kläger auf Grund einer Ermächtigung die Klagerechte des Gebrauchsmusterinhabers im eigenen Namen geltend macht bzw. in Bezug auf die Ansprüche auf Auskunftserteilung, Rechnungslegung und Schadenersatz aus abgetretenem Recht vorgeht (so auch unter Bezugnahme auf die einfache Lizenz: BGH, GRUR 1969, 681 a.E. – Hopfenpflückvorrichtung).
  156. b)
    Der Bindungswirkung der im Löschungsverfahren ergangenen Entscheidung steht auch nicht entgegen, dass sich das Bundespatentgericht im Schwerpunkt mit Schutzanspruch 1 beschäftigt hat. Zwar besteht die Bindungswirkung nur im Rahmen der Rechtskraftwirkung und ist daher auf die im Löschungsverfahren beschiedenen Löschungsgründe beschränkt (BGHZ 134, 353, 363 = GRUR 1976, 30 – Lampenschirm; Benkard/Goebel/Engel, Patentgesetz, 11. Aufl., § 19 GebrmG Rz. 10). Die Beklagte macht im vorliegenden Rechtsstreit aber auch keine anderen Löschungsgründe als jene geltend, die bereits Gegenstand des rechtskräftig abgeschlossenen Löschungsverfahrens waren. Sie wendet gegen eine Bindungswirkung lediglich ein, die Entscheidung des Bundespatentgerichts befasse sich allein mit der Schutzfähigkeit des einzigen unabhängigen Schutzanspruchs 1 und begnüge sich bezüglich der Unteransprüche mit der Aussage, diese würden durch Schutzanspruch 1 getragen (vgl. Anlage rop 14, S. 32). Allein dieser Hinweis zeigt jedoch, dass sich das Bundespatentgericht – soweit erforderlich – mit den Unteransprüchen und damit auch mit der nunmehr im Verletzungsverfahren zur Entscheidung gestellten Kombination der Schutzansprüche 1, 10 und 11 beschäftigt hat. Weiterer Ausführungen hierzu bedurfte es naturgemäß nicht, nachdem das Bundespatentgericht die im Raum stehende offenkundige Vorbenutzung bereits im Hinblick auf Schutzanspruch 1 verneint hatte. Da Unteranspruch 11 auf Unteranspruch 10 und dieser seinerseits auf Schutzanspruch 1 rückbezogen ist, ist klar, dass mit der Ablehnung der offenkundigen Vorbenutzung im Hinblick auf Schutzanspruch 1 zugleich eine Solche hinsichtlich der diesem lediglich weitere Merkmale hinzufügenden Unteransprüche ausscheiden muss.
  157. 6.
    Dass die Beklagte im Hinblick auf die vorstehend dargelegte Schutzrechtsverletzung weil sie das Klagegebrauchsmuster schuldhaft verletzt hat, zum Schadenersatz verpflichtet ist und der Klägerin, um ihr eine Berechnung ihrer Schadensersatzansprüche zu ermöglichen, über den Umfang ihrer Benutzungs- und Verletzungshandlungen Rechnung zu legen hat, hat das Landgericht im angefochtenen Urteil ebenso zutreffend dargelegt wie die darüber hinausgehende Pflicht der Beklagten zur Vernichtung. Auf diese Ausführungen, die in gleicher Weise auch für die angegriffene Ausführungsform II gelten, wird daher zur Vermeidung von Wiederholungen Bezug genommen.
  158. C.
    Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 Abs. 1 ZPO i.V.m. § 91a ZPO.
  159. Soweit die Parteien den Rechtsstreit in der Hauptsache betreffend den ursprünglich auch geltend gemachten Unterlassungsanspruch im Hinblick auf den Zeitablauf des Klagegebrauchsmusters übereinstimmend für erledigt erklärt haben, sind die diesbezüglichen Kosten des Rechtsstreits ebenfalls der Beklagten aufzuerlegen gewesen
    (§ 91a ZPO), weil der Klägerin – wie sich aus den vorstehenden Ausführungen ergibt – aufgrund der Benutzung des überdies auch schutzfähigen Klagegebrauchsmusters ein Unterlassungsanspruch nach § 24 Abs. 1 S. 1 GebrMG gegen die Beklagte zustand.
  160. Die Anordnungen zur vorläufigen Vollstreckbarkeit ergeben sich aus §§ 708 Nr. 10, 711, 108 ZPO.
  161. Für eine Zulassung der Revision bestand keine Veranlassung, weil die in § 543 ZPO aufgestellten Voraussetzungen dafür ersichtlich nicht gegeben sind. Es handelt sich um eine reine Einzelfallentscheidung ohne grundsätzliche Bedeutung, mit der der Bundesgerichtshof auch nicht im Interesse einer Fortbildung des Rechts oder der Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung befasst werden muss (§ 543 Abs. 2 ZPO).

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