I – 2 U 14/21 – Modifiziertes Nucleotidmolekül

Düsseldorfer Entscheidungen Nr. 3143

Oberlandesgericht Düsseldorf

Urteil vom 30. September 2021, Az. I-2 U 14/21

Vorinstanz: Az. 4a O 31/19

  1. I. Die auf eine Verletzung des deutschen Teils des europäischen Patents 2 021 XXA gestützte Klage wird als unzulässig abgewiesen.
  2. II. Die Kosten des Rechtsstreits trägt die Klägerin.
  3. III. Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Die Klägerin darf die Zwangsvollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 120 % des aufgrund dieses Urteils vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagten vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 120 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leisten.
  4. IV. Die Revision wird nicht zugelassen.
  5. V. Der Streitwert wird auf EUR 2.500.000,00 festgesetzt.
  6.  Gründe
  7. I.
  8. Die Klägerin nimmt die Beklagten wegen Verletzung des deutschen Teils des europäischen Patents 2 021 XXA (nachfolgend: Klagepatent), dessen eingetragene Inhaberin sie ist, auf Unterlassung, Auskunftserteilung und Rechnungslegung, Rückruf sowie auf Feststellung der Schadenersatzpflicht dem Grunde nach in Anspruch.
  9. Das Klagepatent – vorgelegt mit Übersetzung in Anlage rop B1 und rop B2 – wurde am 16.05.2007 unter Inanspruchnahme der Priorität der US 801XXB vom 18.05.2006 angemeldet. Das Europäische Patentamt veröffentlichte am 15.03.2017 den Hinweis auf dessen Erteilung. Das Klagepatent steht in Kraft. Die Beklagte zu 1) reichte am 20.08.2021 eine Nichtigkeitsklage gegen das Klagepatent ein, über die das Bundespatentgericht noch nicht entschieden hat.
  10. Das Klagepatent trägt die Bezeichnung „Farbstoffverbindungen und Verwendungen ihrer markierten Konjugate“. Die von der Klägerin kombiniert geltend gemachten Ansprüche 2 und 3 sowie die jeweils separat geltend gemachten Ansprüche 7 und 8 des Klagepatents lauten in dessen englischer Verfahrenssprache wie folgt:
  11. 2. A compound of the formula:
  12. 3. A nucleotide labelled with a compound according to claim 1 or claim 2.
  13. 7. A kit comprising two labelled nucleotides wherein at least one nucleotide is a labelled nucleotide according to claim 3.
  14. 8. Use of a nucleotide according to any one of claims 3-5, a nucleic acid sequence according to claim 6 or a kit according to claim 7 in sequencing, expression analysis, hybridisation analysis, genetic analysis, RNA analysis or protein binding assays.
  15. In der eingetragenen deutschen Übersetzung lauten diese Ansprüche wie folgt:
  16. 2. Eine Verbindung der Formel:
  17. 3. Ein Nukleotid, das mit einer Verbindung gemäß Anspruch 1 oder Anspruch 2 etikettiert ist.
  18. 7. Ein Kit, das zwei etikettierte Nukleotide aufweist, wobei mindestens ein Nukleotid ein etikettiertes Nukleotid gemäß Anspruch 3 ist.
  19. 8. Die Verwendung eines Nukleotids gemäß eines der Ansprüche 3-5, einer Nukleinsäuresequenz gemäß Anspruch 6 oder eines Kits gemäß Anspruch 7 für die Sequenzierung, Expressionsanalyse, Hybridisierungsanalyse, genetische Analyse, RNA-Analyse oder Proteinbindungsverfahren.
  20. Ein anderer nationaler Teil des Klagepatents war Gegenstand eines englischen Gerichtsverfahrens zwischen den Parteien, in dem am 20.01.2021 ein Urteil verkündet wurde.
  21. Die Beklagte zu 1) ist ein Biotechnologieunternehmen mit Sitz in B. Bei der Beklagten zu 2) handelt es sich um die Muttergesellschaft der Beklagten zu 1) mit Sitz in C. Zum Sortiment der Beklagten gehören vier sich nur hinsichtlich der verwendeten Base unterscheidende, fluoreszierend markierte Nukleotidmoleküle (nachfolgend: angegriffene Ausführungsform I), welche beispielsweise Bestandteil der Komponente „dNTPs Mix“ sind. Diese ist wiederum in Sequenzierkits (nachfolgend: angegriffene Ausführungsform II) enthalten, wie solchen der „StandardMPS“-Reihe. Die Sequenzierkits der StandardMPS-Reihe sind für den Einsatz in Sequenzierern wie dem Modell „D“ bestimmt, mit dem die Sequenzierung von DNA durch Synthese (SBS-Reaktion) durchgeführt werden kann.
  22. Das vorliegende Verfahren ist durch Abtrennung (§ 145 ZPO) aus einem vor dem Senat unter dem Aktenzeichen I-2 U 52/20 in der Berufung anhängigen Rechtsstreit (nachfolgend: Ausgangsverfahren) hervorgegangen, in welchem die Klägerin die Beklagten wegen Verletzung des deutschen Teils des europäischen Patents 1 530 XXC (nachfolgend: Ausgangspatent) auf Unterlassung, Auskunftserteilung und Rechnungslegung, Rückruf und Feststellung der Schadenersatzpflicht dem Grunde nach in Anspruch nimmt.
  23. Das Ausgangspatent trägt die Bezeichnung „Modifizierte Nukleotide für Polynukleotidsequenzierung“. Seine von der Klägerin im Ausgangsverfahren geltend gemachten Patentansprüche 1, 6, 12, 17 und 25 lauten in der englischen Verfahrenssprache des Ausgangspatents wie folgt:1. A modified nucleotide molecule comprising a purine or pyrimidine base and a ribose or deoxyribose sugar moiety having a removable 3′-OH blocking group covalently attached thereto, such that the 3′ carbon atom has attached a group of the structure
    -O-Z
  24. wherein Z is any of -C(R‘)2-N(R“)2’C(R‘)2-N(H)R“, and -C(R‘)2-N3, wherein each R“ is or is part of a removable protecting group; each R‘ is independently a hydrogen atom, an alkyl, substituted alkyl, arylalkyl, alkenyl, alkynyl, aryl, heteroaryl, heterocyclic, acyl, cyano, alkoxy, aryloxy, heteroaryloxy or amido group, or a detectable label attached through a linking group; or (R‘)2 represents an alkylidene group of formula =C(R“‘)2 wherein each R“‘ may be the same or different and is selected from the group comprising hydrogen and halogen atoms and alkyl groups; and wherein said molecule may be reacted to yield an intermediate in which each R“ is exchanged for H, which intermediate dissociates under aqueous conditions to afford a molecule with a free 3’OH.
  25. 6. A molecule according to any preceding claim wherein said base is linked to a detectable label via a cleavable linker or a non-cleavable linker.
  26. 12. A method of controlling the incorporation of a nucleotide as defined in any one of claims 6 to 10 and complementary to a second nucleotide in a target single-stranded polynucleotide in a synthesis or sequencing reaction comprising incorporating into the growing complementary polynucleotide said nucleotide, the incorporation of said nucleotide preventing or blocking introduction of subsequent nucleoside or nucleotide molecules into said growing complementary polynucleotide.
  27. 17. A method for determining the sequence of a target single-stranded polynucleotide, comprising monitoring the sequential incorporation of complementary nucleotides, wherein at least one incorporation is of a nucleotide as defined in any one of claims 6 to 10 and wherein the identity of the nucleotide incorporated is determined by detecting the label linked to the base, and the blocking group and said label are removed prior to introduction of the next complementary nucleotide.
  28. 25. A kit, comprising: (a) a plurality of different nucleotides wherein said plurality of different nucleotides are either as defined in any one of claims 6 to 10; and (b) packaging materials therefor.
  29. In der eingetragenen deutschen Anspruchsfassung des Ausgangspatents lauten die vorstehend wiedergegebenen Ansprüche wie folgt:
    1. Modifiziertes Nucleotidmolekül, umfassend eine Purin- oder Pyrimidinbase und eine Ribose- oder Desoxyribose-Zuckereinhelt mit einer kovalent daran gebundenen, entfernbaren, 3′-OH-blockierenden Gruppe, so dass an dem 3′-Kohlenstoffatom eine Gruppe der Struktur
    -O-Z
  30. gebunden ist, wobei es sich bei Z um eines von -C(R‘)2-N(R“)2, -C(R‘)2-N(H)R“, und -C(R‘)2-N3 handelt, wobei es sich bei jedem R“ um eine entfernbare Schutzgruppe oder einen Teil davon handelt; es sich bei jedem R‘ unabhängig um ein Wasserstoffatom, eine Alkyl-, substituierte Alkyl-, Arylalkyl-, Alkenyl-, Alkinyl-, Aryl-, Heteroaryl-, heterozyklische, Acyl-, Cyano-, Alkoxy-, Aryloxy-, Heteroaryloxy- oder Amido-Gruppe oder eine durch eine verknüpfende Gruppe gebundene nachweisbare Markierung handelt; oder (R‘)2 eine Alkylidengruppe der Formel =C(R’“)2 darstellt, wobei jeder R'“ gleich oder unterschiedlich sein kann und aus der Gruppe ausgewählt ist, umfassend Wasserstoff- und Halogenatome und Alkylgruppen; und wobei das Molekül umgesetzt werden kann, um ein Zwischenprodukt zu ergeben, bei welchem jeder R“ gegen H ausgetauscht ist, wobei dieses Zwischenprodukt unter wässrigen Bedingungen dissoziiert, um ein Molekül mit einem freien 3′-OH hervorzubringen.
  31. 6. Molekül gemäß einem der vorhergehenden Ansprüche, wobei die Base mittels eines spaltbaren Linkers oder eines nicht spaltbaren Linkers mit einer nachweisbaren Markierung verknüpft ist.
  32. 12. Verfahren zum Kontrollieren des Einbaus eines wie in einem der Ansprüche 6 bis 10 definierten und zu einem zweiten Nucleotid in einem einzelsträngigen Ziel-Polynucleotid in einem einzelsträngigen Ziel-Polynucleotids komplementären Nucleotids bei einer Synthese- oder Sequenzierreaktion, umfassend das Einbauen des Nucleotids in das wachsende komplementäre Polynucleotid, wobei der Einbau des Nucleotids die Einführung darauffolgender Nucleosid- oder Nucleotidmoleküle in das wachsende komplementäre Polynucleotid verhindert oder blockiert.
  33. 17. Ein Verfahren zum Bestimmen der Sequenz eines einzelsträngigen Ziel-Polynucleotids, umfassend das Überwachen des aufeinanderfolgenden Einbaus komplementärer Nucleotide, wobei es sich bei mindestens einem Einbau um den eines wie in einem der Ansprüche 6 bis 10 definierten Nucleotids handelt und wobei die Identität des eingebauten Nucleotids durch Nachweisen der mit der Base verknüpften Markierung bestimmt wird und die blockierende Gruppe und die Markierung vor der Einführung des nächsten komplementären Nucleotids entfernt werden.
  34. 25. Kit, umfassend (a) eine Vielzahl unterschiedlicher Nucleotide, wobei es sich bei der Vielzahl unterschiedlicher Nucleotide jeweils um die in einem der Ansprüche 6 bis 10 definierten handelt, und (b) Verpackungsmaterialien dafür.
  35. Im Ausgangsverfahren richtete sich die Klägerin unter anderem gegen die nunmehr angegriffenen Ausführungsformen. Das Landgericht Düsseldorf hat mit Urteil vom 03.11.2020 auf eine Verletzung des Ausgangspatents erkannt und der (Ausgangs-) Klage im Wesentlichen stattgegeben, wogegen die Beklagten Berufung eingelegt haben (I-2 U 52/20). Die Klägerin hat mit der von ihr eingelegten Anschlussberufung die Ausgangsklage um das hiesige Klagepatent erweitert und macht nunmehr auch dessen Verletzung geltend. Mit Beschluss vom 24.06.2021 hat der Senat die auf das Klagepatent gestützten Ansprüche in ein neues, eigenständiges Verfahren abgetrennt und beschlossen, dass über die Zulässigkeit der Klageerweiterung vorab verhandelt und entschieden werden soll.
  36. Die Klägerin sieht im Angebot und Vertrieb der angegriffenen Ausführungsformen in der Bundesrepublik Deutschland eine unmittelbare, wortsinngemäße Verletzung des Klagepatents. Sie hält die Einbeziehung des Klagepatents in das Ausgangsverfahren unter Verweis auf § 145 PatG für sachdienlich. Zwischen den relevanten Ansprüchen des Klagepatents und denen des Ausgangspatents gebe es keine wesentlichen Unterschiede. Die Verletzung werde unstreitig bleiben. Weiterhin habe sich die Klägerin erst nach dem Ende des englischen Verfahrens im Januar 2021 auf das dortige Zugeständnis der Beklagten stützen können, dass die angegriffenen Ausführungsformen eine patentverletzende Struktur aufwiesen.
  37. Die Klägerin beantragt,
  38. I. Die Beklagten werden verurteilt,
  39. 1. es bei Meidung eines vom Gericht für jeden Fall der Zuwiderhandlung festzusetzenden Ordnungsgeldes bis zu EUR 250.000,00, ersatzweise Ordnungshaft, oder einer Ordnungshaft bis zu 6 Monaten, im Falle mehrfacher Zuwiderhandlung bis zu insgesamt 2 Jahren, zu unterlassen,
  40. a) Ein Nukleotid, das mit einer Verbindung gemäß der Formel:
  41. etikettiert ist,
  42. in der Bundesrepublik Deutschland anzubieten, in Verkehr zu bringen, zu gebrauchen oder zu den genannten Zwecken entweder einzuführen oder zu besitzen;
  43. und/oder
  44. b) Kits, die zwei etikettierte Nukleotide aufweisen, wobei mindestens ein Nukleotid mit einer Verbindung der Formel:
  45. etikettiert ist,
  46. in der Bundesrepublik Deutschland anzubieten, in Verkehr zu bringen, zu gebrauchen oder zu den genannten Zwecken entweder einzuführen oder zu besitzen;
  47. c) Kits, die zwei etikettierte Nukleotide aufweisen, wobei mindestens ein Nukleotid mit einer Verbindung der Formel:
  48. etikettiert ist,zur Verwendung für die Sequenzierung sinnfällig herzurichten oder derart sinnfällig hergerichtete Kits in der Bundesrepublik Deutschland anzubieten, in Verkehr zu bringen, zu gebrauchen oder zu den genannten Zwecken entweder einzuführen oder zu besitzen;
  49. 2. der Klägerin unter Vorlage eines einheitlichen, geordneten, elektronischen Verzeichnisses vollständig darüber Auskunft zu erteilen, in welchem Umfang die Beklagten die zu Ziffer I.1 a), b) und c) bezeichneten Handlungen seit dem 15.03.2017 begangen haben, und zwar unter Angabe
  50. a) der Namen und Anschriften der Hersteller, Lieferanten und anderer Vorbesitzer,
  51. b) der Namen und Anschriften der gewerblichen Abnehmer sowie der Verkaufsstellen, für die die Erzeugnisse bestimmt waren,
  52. c) der Menge der hergestellten, ausgelieferten, erhaltenen oder bestellten Erzeugnisse sowie der Preise, die für die betreffenden Erzeugnisse bezahlt wurden,
  53. wobei die Beklagten Rechnungen und für den Fall, dass keine Rechnungen vorhanden sind, Lieferscheine vorzulegen haben, wobei die Vorlage von Kopien ausreichend ist und geheimhaltungsbedürftige Details außerhalb der auskunftspflichtigen Daten geschwärzt werden dürfen;
  54. 3. der Klägerin unter Vorlage eines einheitlichen, geordneten, elektronischen Verzeichnisses vollständig darüber Rechnung zu legen, in welchem Umfang sie die zu Ziffer I.1 a), b) und c) bezeichneten Handlungen seit dem 15.04.2017 begangen haben und zwar unter Angabe
  55. a) der einzelnen Lieferungen und Bestellungen, aufgeschlüsselt nach Typenbezeichnungen, Liefer- und Bestellmengen, -zeiten und -preisen sowie der Namen und Anschriften der Abnehmer und der Verkaufsstellen, für welche die Erzeugnisse bestimmt waren,
  56. b) der einzelnen Angebote, aufgeschlüsselt nach Typenbezeichnungen, Angebotsmengen, -zeiten und -preisen sowie der Namen und Anschriften der gewerblichen Angebotsempfänger,
  57. c) der betriebenen Werbung, aufgeschlüsselt nach Werbeträgern, deren Herstellungs- und Verbreitungsauflage, Verbreitungszeitraum und Verbreitungsgebiet,
  58. d) der nach den einzelnen Kostenfaktoren aufgeschlüsselten Gestehungskosten und des erzielten Gewinns;
  59. wobei den Beklagten vorbehalten bleibt, die Namen und Anschriften ihrer nicht-gewerblichen Abnehmer und der Angebotsempfänger statt der Klägerin einem von dieser zu bezeichnenden, dieser gegenüber zur Verschwiegenheit verpflichteten, vereidigten und in der Bundesrepublik Deutschland ansässigen Wirtschaftsprüfer mitzuteilen, sofern die Beklagten die durch dessen Einschaltung entstehenden Kosten übernehmen und ihn ermächtigen, der Klägerin auf Anfrage mitzuteilen, ob ein bestimmter nicht-gewerblicher Abnehmer oder Angebotsempfänger in der Rechnungslegung enthalten ist;
  60. 4. die vorstehend zu Ziffern I.1 a), b) und c) bezeichneten, seit dem 15.04.2017 in Verkehr gebrachten Erzeugnisse aus den Vertriebswegen zurückzurufen, indem diejenigen gewerblichen Abnehmer, denen durch die Beklagten oder mit deren Zustimmung Besitz an den Erzeugnissen eingeräumt wurde, unter Hinweis darauf, dass das Gericht mit dem hiesigen Urteil auf eine Verletzung des Klagepatents EP 2 021 XXA erkannt hat, ernsthaft aufgefordert werden, die Erzeugnisse an die Beklagten zurückzugeben und ihnen für den Fall der Rückgabe der Erzeugnisse eine Rückzahlung des gegebenenfalls bereits gezahlten Kaufpreises sowie die Übernahme der Kosten der Rückgabe verbindlich zugesagt wird.
  61. II. Es wird festgestellt, dass die Beklagten verpflichtet sind, der Klägerin allen Schaden zu ersetzen, der ihr durch die unter Ziffer I.1 a), b) und c) bezeichneten, seit dem 15.04.2017 begangenen Handlungen entstanden ist und noch entstehen wird.
  62. Hinsichtlich der nur in Form von Insbesondere-Anträgen geltend gemachten Unteransprüche 4, 5 und 9 wird auf die Anträge im Schriftsatz der Klägerin vom 10.06.2021 verwiesen.
  63. Die Beklagten beantragen,
  64. die auf die Verletzung des EP 2 021 XXD gestützte Klage abzuweisen;
  65. hilfsweise,
    den Rechtsstreit bis zur rechtskräftigen Entscheidung über die bei dem Bundespatentgericht gegen das EP 2 021 XXD eingereichte Nichtigkeitsklage der Beklagten zu 1) vom 20.08.2021 (Az. 3 Ni 22/21 (EP)) gemäß § 148 ZPO auszusetzen.
  66. Sie widersprechen der in der Berufungsinstanz des Ausgangsverfahrens erfolgten Klageerweiterung. Diese sei nicht sachdienlich und könne insbesondere nicht mit Verweis auf § 145 PatG gerechtfertigt werden. Das Klagepatent unterscheide sich erheblich vom Ausgangspatent. Im Zusammenhang mit der – zu bestreitenden – Verletzungsfrage seien neue Tatsachenfeststellungen erforderlich. Darüber hinaus seien die Erfolgsaussichten der Nichtigkeitsklage neu zu prüfen. Die Klägerin sei auch schon vor Verkündung des englischen Urteils im Januar 2021 in der Lage gewesen, ihre Ansprüche wegen vermeintlicher Verletzung des Klagepatents gerichtlich zu verfolgen.
  67. Wegen des weiteren Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der wechselseitigen Schriftsätze der Parteien und der von ihnen vorgelegten Anlagen Bezug genommen.
  68. II.
  69. Die Einführung des Klagepatents in zweiter Instanz ist unzulässig, weshalb die auf das EP 2 021 XXD gestützte Klage durch Prozessurteil abzuweisen ist.
  70. Bei den Ansprüchen aus dem Klagepatent handelt es sich um einen neuen Streitgegenstand. Daher ist ihre Einbeziehung in das Ausgangsverfahren nur im Wege der Klageerweiterung und damit lediglich unter den in § 533 ZPO niedergelegten Voraussetzungen zulässig (vgl. OLG Düsseldorf, InstGE 6, 47 – Melkautomat). Diese liegen nicht vor. Nachdem die Beklagten nicht in die Klageerweiterung eingewilligt haben und es auch an der in einem solchen Fall notwendigen Sachdienlichkeit der Einbeziehung des Klagepatents in das Ausgangsverfahren fehlt, lässt sich der vorliegende Sachverhalt nicht unter § 533 ZPO subsumieren.
  71. 1.
    Die Sachdienlichkeit richtet sich auch in der Berufungsinstanz im Grundsatz nach den zu § 263 ZPO geltenden Regeln. Sie hängt davon ab, ob eine Entscheidung auch über die geänderte (erweiterte) Klage in demselben Rechtsstreit objektiv prozesswirtschaftlich ist, weil sie den Streitstoff des anhängigen Verfahrens zumindest teilweise ausräumt und einem andernfalls zu gewärtigenden weiteren Rechtsstreit vorbeugt (BGH, NJW 2000, 800, 803; OLG Düsseldorf, Urteil vom 27.10.2011 – I-2 U 84/10 = BeckRS 2011, 16948). Allein die Vermeidung eines weiteren Rechtsstreits kann allerdings nicht das entscheidende Kriterium sein, denn dann müsste die Klageänderung praktisch immer zugelassen werden, weil der Kläger mit seiner erweiterten Klage schon seine Entschlossenheit zu einer gerichtlichen Durchsetzung zu erkennen gegeben hat und deshalb in aller Regel auch davon auszugehen ist, dass er ein weiteres Verfahren einleiten wird, wenn im anhängigen Prozess die Klageerweiterung nicht zugelassen wird. Wesentliche Voraussetzung für eine Anerkennung der Sachdienlichkeit ist deshalb, dass für die Beurteilung der geänderten Anträge der bisherige Prozessstoff verwendet werden kann; zu verneinen ist sie demgemäß, wenn ein völlig neuer Streitstoff eingeführt wird, bei dessen Beurteilung das Ergebnis der bisherigen Prozessführung nicht verwertbar ist (BGH, NJW 1977, 49; BGH, NJW-RR 1994, 1143; BGH, NJW 1985, 1841, 1842; BGH, NJW 2000, 800, 803; OLG Düsseldorf, a.a.O.).
  72. 2.
    Letzteres ist in Patent- oder Gebrauchsmusterverletzungsverfahren in der Regel der Fall, wenn derselbe Verletzungsgegenstand aus einem weiteren Schutzrecht angegriffen wird, ohne dass der Schutzrechtsinhaber hierzu nach § 145 PatG gezwungen ist (OLG Düsseldorf, InstGE 10, 428 – Occluder; OLG Düsseldorf; Urteil vom 27.10.2011 – I-2 U 84/10 = BeckRS 2011, 26948; Kühnen, Handbuch der Patentverletzung, 13. Aufl. 2021, Kap. E. Rn. 82). Dabei ist es unerheblich, ob aus einem weiteren Schutzrecht nur der bisherige Gegenstand oder auch eine weitere Ausführungsform angegriffen wird; ebenso wenig kommt es darauf an, ob das zusätzlich geltend gemachte Patent dasselbe technische Gebiet betrifft wie das ursprüngliche Klageschutzrecht. Im letztgenannten Fall mögen für die Beurteilung der weiteren Schutzrechtsverletzung der allgemeine technische Hintergrund und der angegriffene Gegenstand bekannt sein. Ob das weitere Schutzrecht verletzt ist, hängt jedoch davon ab, ob die Merkmale seines unter Heranziehung von Beschreibung und Zeichnungen auszulegenden Patent- oder Schutzanspruchs verwirklicht werden. Hierzu muss das neue Schutzrecht aus sich selbst heraus ausgelegt werden. Dabei mag es zwar möglich sein, dass bestimmte Begriffe und Vorgaben im neu hinzugekommenen Schutzrecht ebenso zu verstehen sind wie in dem bisherigen Klageschutzrecht; zwingend ist dies jedoch nicht. In jedem Fall müssen hierzu neue Tatsachen festgestellt werden, die aus dem bisherigen Prozessergebnis nicht gewonnen werden können (§ 533 Nr. 2 ZPO). Das gilt erst recht, wenn die Erfolgsaussichten eines Rechtsbehelfs gegen die Erteilung des weiteren Klagepatents oder die Schutzfähigkeit eines neu eingeführten Gebrauchsmusters geprüft werden müssen und der hierzu entgegengehaltene Stand der Technik ebenfalls bisher nicht bekannt war (OLG Düsseldorf, InstGE 10, 248 – Occluder; Urteil vom 27.10.2011, – I-2 U 84/10 = BeckRS 2011, 26948). Ist der Anwendungsbereich von § 145 ZPO von vornherein nicht eröffnet, scheidet eine Einbeziehung weiterer Schutzrechte im Berufungsverfahren daher regelmäßig aus. Aufgabe des Senats als Berufungsgericht ist die Überprüfung landgerichtlicher Entscheidungen und nicht die erstinstanzliche Prüfung neu gestellter Ansprüche an Stelle des hierfür nach dem Gesetz zuständigen Eingangsgerichts (OLG Düsseldorf, GRUR-RR 2021, 150 Rn. 20 – Kopierschutz).
  73. 3.
    Anders kann der Fall liegen, wenn der Kläger nach § 145 PatG gezwungen ist, in einem Verletzungsrechtsstreit Ansprüche auch wegen der widerrechtlichen Benutzung anderer ihm zustehender Patente mit geltend zu machen, weil diese Schutzrechte durch dieselbe oder eine gleichartige Handlung beeinträchtigt werden. Mit Rücksicht auf die Unschärfe der Anwendungsvoraussetzungen des § 145 PatG reicht es hierzu aus, wenn der Patentinhaber mit der ernsthaften Möglichkeit rechnen muss, dass ihm im Falle separater Klageerhebung aus dem weiteren Schutzrecht mit gewichtigen Argumenten § 145 PatG entgegen gehalten werden kann (OLG Düsseldorf, InstGE 11, 167 – Apotheken-Kommissionierungssystem; OLG Düsseldorf, Urteil vom 01.02.2018 – I-2 U 33/15 = BeckRS 2018, 11286 – Polysiliziumschicht). Die bestehende Pflicht zur Klagekonzentration, die für die gesamte Dauer des Rechtsstreits zu beachten ist, muss für die Bestimmung dessen, was „sachdienlich“ ist, Berücksichtigung finden. Denn nach dem Grundsatz der Einheit der Rechtsordnung kann ein prozessuales Verhalten, das die eine Gesetzesvorschrift gebietet (Erstreckung der anhängigen Klage auf ein weiteres Patent gemäß § 145 PatG) nicht von vornherein unter Berufung auf eine gleichrangige andere Vorschrift (§ 533 ZPO) wegen mangelnder Sachdienlichkeit unterbunden werden (OLG Düsseldorf, InstGE 11, 167 – Apotheken-Kommissionierungssystem).
  74. 4.
    Dies bedeutet allerdings nicht, dass sich allein über einen Verweis auf den möglichen Anwendungsbereich von § 145 PatG ohne nähere Betrachtung jede Einbeziehung weiterer Schutzrechte in das Berufungsverfahren rechtfertigen ließe. Einen mindestens ebenso hohen Stellenwert wie die Konzentrationsmaxime hat die in § 533 Nr. 2 ZPO zum Ausdruck kommende Wertung, dass die Berufung vornehmlich der Fehlerkontrolle und Fehlerbeseitigung dient, weshalb einer Ausweitung des Tatsachenstoffes enge Grenzen gezogen sind (vgl. hierzu: Musielak/Voit, ZPO, 17. Aufl., § 533 Rn. 2; MüKoZPO/Rimmelspacher, 6. Aufl., § 533 Rn. 1 ff.). Dem ist bei der Beantwortung der Frage, unter welchen Voraussetzungen die Einbeziehung weiterer Schutzrechte in zweiter Instanz zulässig sein soll, Rechnung zu tragen (OLG Düsseldorf, GRUR-RR 2021, 150 Rn. 22 – Kopierschutz).
  75. a)
    Die damit stets gebotene Gesamtbewertung des konkreten Sachverhalts fällt regelmäßig dann zu Gunsten des Klägers aus, wenn das den Gegenstand der Klageerweiterung bildende Patent für ihn erst in zweiter Instanz verfügbar wird, weil es etwa erst nach Abschluss der ersten Instanz erteilt wurde (so die Fallgestaltung in OLG Düsseldorf, InstGE 6, 47 – Melkautomat; InstGE 10, 248, 252 – Occluder; InstGE 11, 167 – Apotheken-Kommissionierungssystem; OLG München, InstGE 6, 57, 58 – Kassieranlage) oder weil der Kläger erst während des Berufungsverfahrens die Berechtigung erlangt hat, aus dem weiteren Schutzrecht vorzugehen. In diesem Fall hat der Kläger im Berufungsverfahren erstmals darüber zu befinden, ob er die bereits anhängige Klage erweitert oder neu klagt, was ggf. mit der Gefahr verbunden sein kann, dass seiner separaten Klage aus dem weiteren Schutzrecht mit gewichtigen Argumenten § 145 PatG entgegengehalten wird. Unverschuldet sieht sich der Kläger in einer solchen Fallkonstellation daher der Gefahr ausgesetzt, die Rechtslage entschuldbar falsch zu beurteilen und deswegen erhebliche Nachteile (in Form eines Verlustes der Einklagbarkeit des weiteren Patents) hinnehmen zu müssen. Solches wäre umso weniger akzeptabel, als die Frage, wann „dieselbe oder eine gleichartige Handlung“ vorliegt, im Einzelfall beträchtliche Auslegungs- und Abgrenzungsschwierigkeiten mit sich bringen kann, weswegen dem Kläger eine etwaige Fehlbeurteilung im Einzelfall nicht vorwerfbar sein kann (OLG Düsseldorf, InstGE 11, 167 Rn. 53 – Apothekenkommissionierungssystem).
  76. b)
    Anders verhält es sich, wenn das den Gegenstand der Klagerweiterung bildende Schutzrecht dem Kläger bereits erstinstanzlich oder gar schon vor Erhebung der Ausgangsklage zur Verfügung gestanden hat. In diesem Fall war es die bewusste, etwa auf prozesstaktischen Erwägungen beruhende Entscheidung des Klägers, seine Klage allein auf das Ausgangsschutzrecht zu stützen und sich damit der Gefahr auszusetzen, im weiteren Verlauf an der Durchsetzung seines weiteren Schutzrechts durch die Konzentrationsmaxime gehindert zu sein. In einem solchen Fall besteht kein Grund, den Kläger unter pauschalem Verweis auf § 145 PatG und eine dadurch eventuell bedingte Zwangslage einseitig zu privilegieren und ihm die Einbeziehung weiterer Schutzrechte auch in der vorrangig der Fehlerkontrolle dienenden Berufungsinstanz zu gestatten. Dies gilt umso mehr, als mit der erstmaligen Geltendmachung eines neuen Klageschutzrechts in zweiter Instanz für den Beklagten eine Reihe erheblicher Nachteile einhergehen. Dieser verliert – was für sich genommen der Sachdienlichkeit nicht von vornherein entgegensteht (BGH, NJW 2007, 2414, 2XXD; BGH, NJW 2011, 182, 193 f.; Musielak/Voit, ZPO, 17. Aufl., § 533 Rz. 5) – in Bezug auf das neue Schutzrecht nicht nur eine Instanz. Er hatte vielmehr im Regelfall vor der Klageerweiterung auch keinen Anlass, das nunmehr zum Gegenstand des Rechtsstreits gemachte Schutzrecht anzugreifen. Eine ihm ggf. günstige Entscheidung im Rechtsbestandsverfahren liegt damit zum Entscheidungszeitpunkt des Berufungsverfahrens oftmals in weiter Ferne. Das wiegt umso schwerer, da ein im Berufungsverfahren ergangenes Urteil nach § 708 Nr. 10 ZPO für den Kläger ohne Sicherheitsleistung und mit geringerem Haftungsrisiko (§ 717 Abs. 3 ZPO) vorläufig vollstreckbar ist (OLG Düsseldorf, GRUR-RR 2021, 150 Rn. 24 – Kopierschutz).
  77. Es bedarf somit einer sorgfältigen Prüfung im Einzelfall, ob eine Erweiterung der Klage in der Berufungsinstanz objektiv unter dem Gesichtspunkt der Prozesswirtschaftlichkeit gerechtfertigt erscheint (BGH, a.a.O.; Musielak, a.a.O.). Dies kann etwa der Fall sein, wenn die Ansprüche beider Schutzrechte keine wesentlichen Unterschiede aufweisen, so dass sich (auch unter Berücksichtigung dessen, dass jedes Schutzrecht aus sich heraus auszulegen ist) die das Ausgangsverfahren betreffenden Erwägungen zur Schutzrechtsauslegung und zur angegriffenen Ausführungsform ohne Weiteres auch auf die nunmehr in das Verfahren eingeführten Ansprüche übertragen lassen. Gleiches gilt, soweit die neu hinzugetretenen Ansprüche zwar weitere Merkmale aufweisen, deren Bedeutungsgehalt sich jedoch weitgehend von selbst oder ohne Weiteres auf der Grundlage der in Bezug auf das Ausgangspatent getroffenen Feststellungen erschließt (so etwa in OLG Düsseldorf, Urteil vom 01.02.2018 – I-2 U 33/15 = GRUR-RS 2018, 11286 – Polysiliziumschicht). Ebenso kann eine Einbeziehung des weiteren Schutzrechts aus prozessökonomischen Gründen sinnvoll erscheinen, wenn die Verletzungsfrage in Bezug auf neu hinzugekommene bzw. abweichend formulierte Merkmale unstreitig ist oder sich bereits anhand der durch das Landgericht getroffenen Tatsachenfeststellungen verlässlich beurteilen lässt. Weichen die Merkmale des neu hinzugekommenen Patents hingegen derart von denjenigen des Ausgangsschutzrechts ab, dass es einer umfassenden oder weitreichenden eigenen Auslegung seiner Patent- oder Schutzansprüche unter Heranziehung von dessen Beschreibung und Zeichnungen bedarf, oder sind neue Tatsachenfeststellungen erforderlich, die aus dem bisherigen Prozessergebnis nicht gewonnen werden können, ist die Klageerweiterung weder sachdienlich noch genügt sie den durch § 533 Nr. 2 ZPO aufgestellten Anforderungen. In diesem Fall bleibt dem Kläger nur die Möglichkeit, das weitere Schutzrecht mit einer neuen, erstinstanzlichen Klage geltend zu machen, und zwar selbst dann, wenn er mit einer solchen Klage Gefahr läuft, dass ihm mit Erfolg § 145 PatG entgegengehalten wird. Diese für ihn nachteilige Lage hat er deshalb hinzunehmen, weil er sie selbst durch seine Entscheidung herbeigeführt hat, nicht schon seiner Ausgangsklage das nunmehr den Gegenstand der Klageerweiterung bildende Schutzrecht zugrunde zu legen oder diese zumindest erstinstanzlich zu erweitern, obwohl ihm dies wegen seiner Berechtigung an dem erweiterten Schutzrecht bereits zu diesem frühen Zeitpunkt möglich gewesen wäre. Daran muss sich der Kläger – nicht anders, als wenn er nach rechtskräftigem Abschluss des Ausgangsverfahrens neu klagen will – festhalten lassen (OLG Düsseldorf, GRUR-RR 2021, 150 Rn. 25 – Kopierschutz).
  78. 5.
    Ausgehend von diesen Grundsätzen liegen die Voraussetzungen einer sachdienlichen und daher im Berufungsverfahren nach § 533 ZPO zulässigen Klageerweiterung nicht vor.
  79. a)
    Es kann auf sich beruhen und mag zugunsten der Klägerin unterstellt werden, dass sie ernsthaft mit der Möglichkeit rechnen muss, dass ihr bei einer separaten Klageerhebung aus dem Klagepatent mit gewichtigen Gründen der Einwand des § 145 PatG entgegengehalten wird. Selbst wenn dem so sein sollte, ergibt sich die Unzulässigkeit der Klageerweiterung im Berufungsrechtszug schon daraus, dass die Klägerin in der Lage gewesen wäre, das Klagepatent zum Gegenstand des von ihr geführten erstinstanzlichen Verletzungsprozesses zu machen und dadurch dem Gebot der Klagekonzentration nachzukommen. Wenn sie dies – wie hier – vorwerfbar versäumt, besteht kein Grund, sie vor den selbst verschuldeten Rechtsfolgen des § 145 ZPO durch eine unangemessen weite Handhabung der Präklusionsvorschriften in Schutz zu nehmen.
  80. aa)
    Das Klagepatent war für die Klägerin schon in erster Instanz verfügbar. Es ist ihr ca. zwei Jahre vor Klageerhebung im Ausgangsverfahren erteilt worden.
  81. bb)
    Es existieren auch keine sonstigen Gründe, aus denen die Klägerin erstmals in zweiter Instanz in der Lage gewesen wäre, gegen die Beklagten erfolgversprechend aus dem Klagepatent vorzugehen.
  82. (1)
    Derartige, eine Klageerweiterung erst nach Abschluss der ersten Instanz rechtfertigende Sachverhalte könnten etwa darin liegen, dass der Kläger zunächst keine Kenntnis von der Verletzung des erweiterten Schutzrechts hatte oder ihm ohne Nachlässigkeit die notwendigen Beweise für eine aussichtsreiche gerichtliche Durchsetzung seiner Ansprüche fehlten. Wie in anderem Zusammenhang (Dringlichkeit im vorläufigen Rechtsschutz) auch, gilt hierbei der Grundsatz, dass der Kläger grundsätzlich kein unangemessenes Prozessrisiko eingehen muss und zu einer Klageerhebung erst dann gehalten ist, wenn er genügend belastbare Belege für die Patentverletzung und die Verantwortlichkeit des Beklagten in Händen hat, wobei es sich von selbst versteht, dass zumutbar verfügbaren Erkenntnis- und Beweisquellen zügig nachzugehen ist. Zur Rechtfertigung einer zweitinstanzlichen Klageerweiterung hat der Kläger deswegen substantiiert darzulegen und nötigenfalls zu beweisen, welche genauen Erkenntnisse und Verletzungsnachweise ihm zu welchem Zeitpunkt zur Verfügung gestanden haben und welche (ergebnislosen) Anstrengungen er zu welchem Zeitpunkt unternommen hat, um in den Besitz der für eine erfolgreiche Prozessführung erforderlichen Kenntnisse und Beweismittel zu gelangen.
  83. (2)
    Vorliegend hätte die Klägerin bereits erstinstanzlich die Verletzung des Klagepatents in derselben Weise wie nunmehr geschehen vortragen und nachweisen können. Dafür spricht bereits der Umstand, dass sie den britischen Teil des EP 2 021 XXD am 28.11.2019 und mithin 1 Jahr vor dem landgerichtlichen Urteil zum Gegenstand ihrer Verletzungsklage im Vereinigten Königreich gemacht hat. Gleiches wäre ihr zeitnah auch in Deutschland möglich gewesen:
  84. (a)
    Dass ihr die (behauptete) Patentverletzung in Deutschland zur fraglichen Zeit nicht bekannt war, macht die Klägerin selbst nicht geltend.
  85. (b)
    Soweit sie andeutet, sie hätte vor einer Geltendmachung des Klagepatents in Deutschland das Ende des englischen Gerichtsverfahrens abwarten müssen, in dem die Beklagten die Gleichheit der angegriffenen Ausführungsformen in allen Vertriebsländern eingeräumt haben, greift dieser Einwand aus mehreren Gründen nicht durch.
  86. Die angegriffenen Ausführungsformen lagen der Klägerin bereits erstinstanzlich vor. Die im englischen Gerichtsverfahren eingereichte Analyse ihrer chemischen Struktur hätte die Klägerin daher ohne weiteres auch in einem deutschen Verletzungsverfahren vorlegen können. Auch im Ausgangsverfahren hat sie bereits in erster Instanz – im April und August 2020 – auf die Ergebnisse ihrer Untersuchungen von außerhalb Deutschlands erworbenen angegriffenen Ausführungsformen Bezug genommen. Derartiges wäre ihr – jedenfalls ist nichts Gegenteiliges ersichtlich – auch für das Klagepatent möglich gewesen. Die Klägerin selbst trägt nicht vor, davon ausgegangen zu sein, dass sich die angegriffenen Ausführungsformen in Deutschland von den untersuchten britischen Ausführungsformen unterscheiden und es daher nötig gewesen sein könnte, einen Mustererwerb in Deutschland durchzuführen. Soweit sie referiert, dass sich die Beklagten im englischen Verfahren zunächst darauf bezogen hätten, „es sei möglich, dass ihre Produkte sich in verschiedenen Ländern unterscheiden könnten“ (GA 67), hätte darin im Falle einer gleichlautenden Einlassung vor einem deutschen Gericht ganz offensichtlich kein beachtliches Bestreiten gelegen, so dass die Behauptung einer länderübergreifend identischen chemischen Ausstattung der angegriffenen Ausführungsformen im Prozess von Anfang an als unstreitig zu behandeln gewesen wäre. Bezeichnenderweise hat die Klägerin – wie dargelegt – auch im Ausgangsverfahren einen Mustererwerb in Deutschland nicht für erforderlich gehalten, und es gibt nach ihrem Sachvortrag keinen plausiblen Grund dafür, wieso für eine auf das Klagepatent gestützte Klage etwas Anderes gelten sollte.
  87. Letztlich kann aber sogar unterstellt werden, dass die Klägerin – aus Gründen prozessualer Vorsicht – berechtigt war, vor einer Klageerhebung Muster der angegriffenen Ausführungsformen in Deutschland zu erwerben und analysieren zu lassen. Denn es fehlt jeglicher Vortrag der Klägerin dazu, wieso ihr dies bei entsprechendem Bemühen nicht so rechtzeitig möglich gewesen sein sollte, dass das Klagepatent noch erstinstanzlich hätte eingeführt werden können.
  88. (c)
    Nach allem ist davon auszugehen, dass die Klägerin eine Klage auf Grundlage des Klagepatents zunächst bewusst unterlassen hat. An dieser frei getroffenen Entscheidung muss sich die Klägerin festhalten lassen. Es besteht kein Grund, ihr die Einbeziehung des Klagepatents in den vorliegenden Rechtsstreit allein unter Verweis auf die in § 145 PatG normierte, vornehmlich dem Schutz der Beklagten dienende Pflicht zur Klagekonzentration zu gestatten, der die Klägerin problemlos schon in erster Instanz hätte nachkommen können.
  89. b)
    Die Sachdienlichkeit einer Klageerweiterung um das Klagepatent ist auch deshalb zu verneinen, weil die erstinstanzlichen Erkenntnisse zum Ausgangspatent und seiner Verletzung – ungeachtet der Tatsache, dass die Klägerin gegen die hier angegriffenen Ausführungsformen auch im Ausgangsverfahren vorgeht, so dass sich unweigerlich Überschneidungen hinsichtlich ihrer Ausgestaltung und hinsichtlich der angegriffenen Benutzungshandlungen ergeben – keinen prozessökonomischen Vorteil bietet.
  90. aa)
    Der vom Klagepatent beanspruchte Gegenstand unterscheidet sich ganz erheblich von dem des Ausgangspatents. Das Klagepatent schützt insbesondere Verbindungen, mit denen sich ein Nukleotid etikettieren lässt, wohingegen der erfinderische Kern der Lehre des Ausgangspatents ein Nukleotid mit einer 3‘-OH-blockierenden Gruppe (Schutzgruppe) ist. Zwar lassen sich die Lehren beider Patente in ein- und demselben Nukleotid verwirklichen, jedoch sind die Schutzrechte auf vollkommen andere Aspekte des Nukleotids ausgerichtet, weswegen es auch keine Parallelen und nicht einmal Ähnlichkeiten zwischen den Patentbeschreibungen gibt. Das Klagepatent strebt dessen vereinfachte Identifizierbarkeit mittels einer farblichen Markierung an, während das Ausgangspatent ein verbessertes Einfügen von Nukleotiden im Rahmen einer Synthese zur Sequenzierung im Blick hat, was durch eine entfernbare Blockiergruppe am dritten Kohlenstoffatom des Zuckers (3‘-OH) bewirkt werden soll. Im Rahmen einer solchen Synthese sollen die Nukleotide identifizierbar sein, weshalb auch das Ausgangspatent eine Markierung der Nukleotide anspricht. Die Überschneidungen zwischen den Schutzrechten, die sich auch in den (Unter-) Ansprüchen widerspiegeln, führen aber nicht dazu, dass die Lehre des einen Patents Teil der Lehre des anderen ist. So lehrt das Ausgangspatent in Unteranspruch 6 ein mit einer Markierung verknüpftes Nukleotid. Diese Markierung (Etikettierung) mag nach der Lehre des Klagepatents erfolgen, was aber in keiner Form zwingend ist, sondern auch mittels einer anderen Markierung verwirklicht werden kann. Gleiches gilt für die in Unteranspruch 5 des Klagepatents erwähnte 3’OH-Blockiergruppe – hierbei kann die Lehre des Ausgangspatents zur Anwendung kommen, muss sie aber nicht. Die Kombinierbarkeit der Lehren von Ausgangs- und Klagepatent ändert nichts daran, dass die Schutzrechte ebenso gut völlig unabhängig voneinander implementiert werden können. Dass aus dem Verständnis des Ausgangspatents etwas für die Auslegung des Klagepatents gewonnen werden könnte, kann nicht festgestellt werden.
  91. bb)
    Die neu hinzugetretenen Ansprüche (des Klagepatents) enthalten auch nicht nur solche Merkmale, deren Verständnis oder Verwirklichung sich weitgehend von selbst oder auf der Grundlage der zum Ausgangspatent getroffenen Feststellungen erschließt. Es ist nicht ersichtlich, wie bei der Auslegung des Klagepatents ein prozessökonomischer Vorteil aus den Erkenntnissen des Ausgangsverfahrens erwachsen könnte. Aufgrund der streitigen Verletzung müsste sich der Senat mit dem Klagepatent vertieft auseinandersetzen, ohne dass er hierbei entscheidend auf irgendwelche Erkenntnisse aus dem Ausgangsverfahren zurückgreifen könnte, da sich die Schutzrechte gravierend unterscheiden. Dies gilt unabhängig davon, ob die Nichtverletzungsargumentation der Beklagten erfolgsversprechend ist, da die Beurteilung dieser Frage die Auslegung des Klagepatents erfordert und dessen Lehre – jedenfalls für den nicht mit technischen Fachleuten besetzten Senat – keinesfalls trivial ist. Es lässt sich nicht ohne weiteres feststellen, ob die von den Beklagten dargestellten Unterschiede in der Strukturformel zwischen Anspruch 2 und dem Aufbau der angegriffenen Ausführungsformen einer Verwirklichung der beanspruchten Lehre entgegenstehen. Die Frage, ob das Klagepatent eine nicht-kovalente Bindung zwischen dem Nukleotid und der Verbindung nach Anspruch 2 voraussetzt, bedarf weitergehender Überlegungen, die mit dem Gegenstand des Ausgangspatents in keinem Zusammenhang bestehen.
  92. cc)
    Bei einer Zulassung der Klageerweiterung ergäben sich ebenfalls keine prozessökonomischen Vorteile für die vom Senat bei Annahme einer Patentverletzung zu entscheidende Frage der Aussetzung nach § 148 ZPO im Hinblick auf die Nichtigkeitsklage gegen das Klagepatent. In den Rechtsbestandsverfahren gegen das Klagepatent einerseits und das Ausgangspatent andererseits sind aufgrund der unterschiedlichen Schutzrechtsgegenstände keine relevanten inhaltlichen Überschneidungen zu erwarten. Zudem liegen die beanspruchten Prioritätsdaten ungefähr vier Jahre auseinander, so dass bereits der relevante Stand der Technik nicht übereinstimmt. Vielmehr wäre der Senat gezwungen, beide Nichtigkeitsklagen vollkommen isoliert voneinander zu beurteilen.
  93. III.
  94. Die Kostenentscheidung folgt aus § 91 Abs. 1 ZPO.
  95. Die Anordnungen zur vorläufigen Vollstreckbarkeit ergeben sich aus §§ 708 Nr. 10, 711, 108 ZPO. Auch wenn keine erstinstanzliche Entscheidung über das Klagepatent existiert, handelt es sich vorliegend um ein Berufungsurteil im Sinne von § 708 Nr. 10 ZPO, da das Verfahren aus einem Berufungsrechtsstreit abgetrennt wurde. Weiterhin ist für die Anwendung dieser Vorschrift entscheidend, dass das Urteil – wie hier – von dem im Instanzenzug höchsten Tatsachengericht stammt (vgl. BeckOK ZPO/Ulrici, 41. Ed. 1.3.2021, ZPO § 708 Rn. 23).
  96. Für eine Zulassung der Revision besteht keine Veranlassung, weil die in § 543 ZPO aufgestellten Voraussetzungen dafür ersichtlich nicht gegeben sind. Es stellen sich keine streitentscheidenden Rechtsfragen von grundsätzlicher Bedeutung, mit der der Bundesgerichtshof im Interesse einer Fortbildung des Rechts oder zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung befasst werden müsste (§ 543 Abs. 2 ZPO). Dementsprechend hat auch keine der Parteien eine Revisionszulassung angeregt.

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