4c O 19/19 – Hydrophile Katheteranordnung

Düsseldorfer Entscheidungen Nr. 3141

Landgericht Düsseldorf

Urteil vom 21. September 2021, Az. 4c O 19/19

  1. I. Die Klage wird abgewiesen.
  2. II. Die Kosten des Rechtsstreits trägt die Klägerin.
  3. III. Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des jeweils zu vollstreckenden Betrages vorläufig vollstreckbar.
  4. Tatbestand
  5. Die Klägerin ist Inhaberin des Patents EP 2 423 XXX B1 (Anlage HL1, im Folgenden: Klagepatent) und verfolgt aus diesem Schutzrecht gegen die Beklagten Ansprüche auf Unterlassung, Auskunftserteilung, Rechnungslegung, Vernichtung und Rückruf sowie Feststellung der Verpflichtung zur Entschädigungs- und Schadensersatzleistung. Des Weiteren begehrt die Klägerin nur gegen die Beklagte zu 2) die Feststellung deren Verpflichtung zur Schadensersatzleistung aufgrund einer gegen die Erteilung des Klagepatents in Dänemark – letztlich erfolglos – erhobenen Vindikationsklage.
  6. Das Klagepatent wurde am 06.08.2004 unter Inanspruchnahme einer Priorität der US XXX P vom 08.08.2003 in englischer Verfahrenssprache angemeldet. Die Anmeldung wurde am 29.02.2012 veröffentlicht. Das Klagepatent ging dabei als Teilanmeldung aus der am 06.08.2004 angemeldeten Druckschrift EP 1 XXX 196 (vgl. Anlage HL 4) hervor, welche ihrerseits auf der internationalen Anmeldung WO 2005/XXX A2 vom 06.08.2004 beruhte.
  7. Nachdem das Europäische Patentamt (EPA) mit Schreiben vom 23.12.2016 (vgl. Anlage HL 9) der Klägerin in Aussicht stellte, dass das Klagepatent erteilt werden könnte, vervollständigte die Klägerin die Unterlagen durch deutsch- und französischsprachige Übersetzungen der Patentansprüche Anfang Januar 2017. Bevor es in der Folge tatsächlich zur Erteilung des Klagepatents kam, setzte das EPA das Erteilungsverfahren aus, weil die Beklagte zu 2) unter dem 06.01.2017 Vindikationsklage in Dänemark erhob und die Einräumung einer Miterfinderschaft an dem Klagepatent begehrte (vgl. Klageschrift Anlage HL 11). Sowohl erst- als auch zweitinstanzlich scheiterte die Beklagte zu 2) mit ihrem Begehren (vgl. Anlagen HL 22, 26). Wegen des näheren Inhalts wird auf die das Vindiaktionsverfahren betreffenden Schriftstücke Bezug genommen. Der Hinweis auf die Erteilung des Klagepatents wurde schließlich am 03.04.2019 bekannt gemacht. Das Klagepatent betrifft Dampfhydration eines hydrophilen Katheters in einer Verpackung.
  8. Anspruch 1 des Klagepatents lautet in der erteilten englischsprachigen Fassung:
    „A ready-to-use hydrophilic catheter assembly (10, 110, 310, 410, 510, 610, 710, 810), comprising: a gas impermeable package (12, 312, 412, 512, 812) having a sealed cavity, a hydrophilic coated catheter (10, 110, 310, 410, 510, 610, 710, 810) including a tube (14, 114, 314, 414, 514, 614, 714, 814) and a hydrophilic surface coating adhered to at least a portion thereof; an amount of liquid disposed within the sealed cavity; characterised by a flexible, collapsible sleeve (20, 120, 320, 720) surrounding the tube to permit gripping the tube or shaft through the sleeve (20, 120, 320, 720).“
  9. Übersetzt lautet der Anspruch:
    „Verwendungsbereite hydrophile Katheteranordnung (10, 110, 310, 410, 510, 610, 710, 810) mit: einer gasundurchlässigen Verpackung (12, 312, 412, 512, 812), die einen abgedichteten Hohlraum aufweist, einem hydrophil beschichteten Katheter (10, 110, 310, 410, 510, 610, 710, 810), der ein Rohr (14, 114, 314, 414, 514, 614, 714, 814) und eine hydrophile Oberflächenbeschichtung aufweist, die zumindest an einem Teil desselben angehaftet ist; einer Menge von Flüssigkeit, die innerhalb des abgedichteten Hohlraums angeordnet ist; gekennzeichnet durch
    eine flexible, faltbare Hülse (20, 120, 320, 720), die das Rohr umgibt, um das Greifen des Rohres oder Schafts durch die Hülse (20, 120, 320, 720) zu ermöglichen.“
  10. Unter dem 02.09.2020 hat das EPA mit Blick auf den dort anberaumten Verhandlungstermin über den seitens der Beklagten zu 2) mit Schriftsatz vom 04.04.2019 erhobenen Einspruch (vgl. Anlage KAP 13) den Parteien seine vorläufige Meinung mitgeteilt und das Klagepatent für nicht rechtsbeständig erachtet (vgl. Anlage KAP 18). Das Klagepatent wurde sodann in der mündlichen Verhandlung am 13.04.2021 vor dem EPA im nachfolgend wiedergegebenen Umfang eingeschränkt aufrechterhalten (vgl. Hilfsantrag 3, Anlage HL 58; Änderungen diesseits hervorgehoben):
  11. „Verwendungsbereite dampfhydratisierte hydrophile Katheteranordnung (10, 110, 310, 410, 510, 610, 710, 810) mit: einer gasundurchlässigen Verpackung (12, 312, 412, 512, 812), die einen abgedichteten Hohlraum aufweist, einem hydrophil beschichteten Katheter (10, 110, 310, 410, 510, 610, 710, 810), der ein Rohr (14, 114, 314, 414, 514, 614, 714, 814) und eine hydrophile Oberflächenbeschichtung aufweist, die zumindest an einem Teil desselben angehaftet ist, innerhalb der Verpackung; einer Menge von Flüssigkeit, die innerhalb des abgedichteten Hohlraums angeordnet ist und die Bildung von Wasserdampf verursacht; gekennzeichnet durch eine flexible, faltbare Hülse (20, 120, 320, 720), die das Rohr umgibt, um das Greifen des Rohres oder Schafts durch die Hülse (20, 120, 320, 720) zu ermöglichen; wobei der verwendungsbereite Zustand des Katheters zumindest teilweise auf Hydration durch Einwirkung von Wasserdampf zurückzuführen ist.“
  12. Nachfolgende Figuren sind der Klagepatentschrift entnommen:
  13. Die Figur 1 zeigt eine teilweise gebrochene Ansicht von oben einer mit Dampf hydratisierten verpackten hydrophilen Katheteranordnung gemäß der vorliegenden Erfindung. Figur 1a ist eine Seitenansicht, teilweise im Schnitt, der hydrophil beschichteten Katheteranordnung aus der Figur 1, wobei die Hülse an dem Trichter zerknittert ist. Figur 2 ist ebenso eine Seitenansicht, teilweise im Schnitt, einer weiteren Ausführungsform der hydrophil beschichteten Katheteranordnung gemäß der vorliegenden Erfindung.
  14. Bei der Klägerin handelt es sich um ein weltweit tätiges Unternehmen, das insbesondere Medizinprodukte im Bereich der Stoma- und Kontinenzversorgung herstellt. Zum Produktportfolio der Klägerin für die intermittierende Selbstkatheterisierung zählen Katheter der Produktreihe „C“ und „D“.
  15. Die Unternehmensgruppe der Beklagten ist ebenfalls auf dem Gebiet der Medizinprodukte tätig und verfügt in ihrem Produktangebot auch über Katheterprodukte für die intermittierende Selbstkatheterisierung. Die Beklagte zu 2) ist die dänische Muttergesellschaft der anderen beiden Beklagten, wobei die Beklagte zu 1) deren unmittelbare deutsche Tochtergesellschaft ist und die Beklagte zu 3) mit Sitz in Ungarn wiederum Tochtergesellschaft der Beklagten zu 1) ist. Die Beklagten vertreiben seit Anfang 2017 einen gebrauchsfertigen Katheter mit dem Produktnamen „E“. Zunächst waren zwei verschiedene Versionen dieses Katheters auf dem Markt erhältlich, die sich bezüglich der Materialzusammensetzung ihrer Verpackung dadurch unterschieden, dass nur in einer Umhüllung Aluminium enthalten ist (im Folgenden: angegriffene Ausführungsform 1). Seit Mitte März 2019 vertreiben die Beklagten zu 1) und 2) nur noch die die Variante ohne Aluminium in der Verpackung (im Folgenden: angegriffene Ausführungsform 2). Abgesehen von dem Verpackungsmaterial weisen die angegriffenen Ausführungsformen denselben Aufbau auf: sie verfügen über eine geschlossene Verpackung, in der sich ein Katheter befindet. Dessen Katheterschaft weist eine hydrophile Beschichtung auf und ist von einer flexiblen, faltbaren Hülse umgeben. Diese ist an ihren Enden mit Spritzgussteilen verschweißt, welche ihrerseits über einen Gewindeverschluss miteinander verbunden sind. Innerhalb der auf diese Weise verschlossenen Hülse ist flüssiges Wasser enthalten, das die Oberflächenbeschichtung des Katheters umspült. Innerhalb der Verpackung der angegriffenen Ausführungsformen selbst ist keine Flüssigkeit enthalten.
  16. Die Beklagte zu 1) bewarb über ihre Website XXX die erste Version der angegriffenen Ausführungsform. Es wurden technische Details sowie Produktbeschreibungen dargestellt (vgl. Anlage HL 30 ff.) Zudem ist auf dem Internetauftritt ein Video in englischer Sprache mit deutschen Untertiteln abrufbar, welches die Anwendung der angegriffenen Ausführungsformen zeigt (Anlage HL 34). Ein Hinweis auf die unterschiedliche Materialzusammensetzung der Verpackung der angegriffenen Ausführungsformen findet sich dort nicht. Der interessierte Patient kann ferner Produktmuster der angegriffenen Ausführungsform 1 über die Website der Beklagten zu 1) beziehen, indem er auf einer Unterseite den Button „kostenfreies Muster bestellen“ anklickt. Das Video zu den Anwendungshinweisen ist auch auf dem (…)kanal H verfügbar (Anlage HL 36), worin außerdem auf die Website der Beklagten zu 1) sowie auf deren J-Auftritt (Anlage HL 37) verwiesen wird. Der Vertrieb der angegriffenen Ausführungsformen wird auch über online-Apotheken bewerkstelligt (vgl. Anlage HL 38). Die Beklagte zu 1) nebst vollständiger Unternehmensanschrift wird ferner auf den Produktkartons der angegriffenen Ausführungsform 2 abgedruckt, wie ein Testkauf vorgenommen durch die Klägervertreterin, ergeben hat (Anlage HL 39).
  17. Nachfolgend wird zur Veranschaulichung eine Abbildung einer ausgepackten angegriffenen Ausführungsform 2, entnommen dem Schriftsatz der Klägerin vom 12.08.2021, eingeblendet:
  18. Die Beklagte zu 2) bewirbt und bietet die angegriffenen Ausführungsformen an. Auf der Video-Plattform XXX hält sie ein „Anwendungsvideo von K“ vor (vgl. Anlage HL 43). Sie erscheint außerdem namentlich auf der Verpackung des Testkaufs. Gleichermaßen enthält der in deutscher Sprache gehaltene Beipackzettel des Testkaufs einen Verweis auf die Beklagte zu 2). Hinzukommt, dass es sich um die Konzernmutter auch der Beklagten zu 1) handelt, die zentral alle Unternehmensgeschäfte auch für Deutschland aus Dänemark leitet.
  19. Die Beklagte zu 3) stellt die angegriffenen Ausführungsformen in einer im Jahr 2018 neu in Ungarn errichteten Fabrik her (Anlage HL 45), wobei ihr weiterer Beitrag zu einer patentverletzenden Benutzungshandlung in der Bundesrepublik Deutschland zwischen den Parteien in Streit steht.
  20. Die Beklagte zu 2) verfügt eigens über Patentrechte auf dem Bereich der intermittierenden Blasenkatheterisierung und ging daraus bereits in unterschiedlichen Jurisdiktionen gegen die Klägerin vor. Insbesondere stand dabei schon in Streit, auf welche Weise die Oberflächenaktivierung des Katheters erfolgte, nämlich entweder durch den Kontakt mit Wasserdampf oder durch unmittelbaren Kontakt mit dem flüssigen Medium selbst. Zwischen den Parteien war auch in Frankreich ein Parallelverfahren betreffend den französischen Teil des Klagepatents anhängig, wobei das französische Gericht das Verfahren wegen Bedenken am Rechtsbestand ausgesetzt hat (Anlage KAP 14). Zudem war in Ungarn ein paralleles einstweiliges Verfügungsverfahren zum Klagepatent anhängig, welches im Juli 2019 ebenfalls aufgrund des Rechtsbestandsverfahrens ausgesetzt wurde (vgl. Anlage KAP 7).
  21. Die Klägerin ist der Ansicht, dass die beiden angegriffenen Ausführungsformen wortsinngemäßen unmittelbaren Gebrauch von der Lehre des Klagepatents machen würden. Sie würden insbesondere eine gasundurchlässige Verpackung aufweisen. Das Klagepatent verlange hierfür nicht, dass konstant eine 100%ige relative Luftfeuchtigkeit im Inneren der Verpackung anliege. Entscheidend sei, dass eine hinreichende Barriere für Wasserdampf vorhanden sei, damit der Katheter während der Lagerzeit nicht austrockne. Unterschiedlich weit von der Flüssigkeit entfernte Gasphasen innerhalb der Verpackung würden außerdem zu unterschiedlichen Zeitpunkten die relative Luftfeuchtigkeit von 100% erreichen. Ausreichend sei ferner eine 100%ige Luftfeuchtigkeit um den beschichteten, aktivierten Katheter herum – etwa innerhalb der Hülse. Der seitens der Beklagten vorgelegte Untersuchungsbericht führe zu keinem anderen Ergebnis. Die Untersuchungen seien zu früh, nämlich 6 Wochen nach der Herstellung durchgeführt worden, obwohl die Haltbarkeitszeit der Katheter zwei Jahre betragen solle und bis dahin die Aktivierung der Katheter vorhanden bleiben müsse. Eigene Untersuchungen hätten dagegen ergeben, dass die Verpackung Barriereeigenschaften aufweise, damit der aktivierte Katheter während seiner Lagerzeit nicht austrockne (vgl. Anlage HL 54).
  22. Die Menge an Flüssigkeit könne in dem Verpackungshohlraum oder auch in der Hülse unmittelbar angeordnet sein. Entscheidend sei, dass es zur Bildung von Wasserdampf komme. Verschiedene Räume sehe das Klagepatent hierzu nicht vor. Diese Ansicht werde zudem in den Entscheidungsgründen des EPA für zulässig erachtet. Deshalb sei das in den angegriffenen Ausführungsformen innerhalb der Hülse befindliche Wasser anspruchsgemäß.
  23. Die zumindest teilweise Einwirkung von Wasserdampf auf die hydrophile Beschichtung meine, dass die Dampfhydration zum Erhalt des verwendungsbereiten Zustands beitragen müsse. Dies könne durch eine vollständige DampfHydration geschehen oder durch eine Kombination von Hydration mittels Wasserdampf und unmittelbarem Flüssigkeitskontakt. Insbesondere die Möglichkeit, Flüssigkeit in der Hülse vorzusehen zeige, dass es unmittelbaren Flüssigkeitskontakt geben dürfe. Dagegen mache das Klagepatent keine Vorgaben, wie die erstmalige Aktivierung zu erfolgen habe. Entscheidend sei vielmehr, dass in dem Moment, wenn die Vorrichtung den Nutzer erreiche, die Verwendungsbereitschaft, herbeigeführt durch DampfHydration, vorliege. Die Aktivierung sei ein vorhergehender Vorgang, der im Zeitpunkt der Verwendungsbereitschaft bereits abgeschlossen sei.
  24. Hierzu behauptet die Klägerin, dass die angegriffenen Ausführungsformen den verwendungsbereiten Zustand mittels Wasserdampf aufrechterhielten. Das in der Hülse befindliche Wasser reiche nicht aus, das gesamte Katheterrohr zu umspülen, sodass die jeweils freien Teilbereiche durch den entstehenden Wasserdampf hydratisiert gehalten würden. Andernfalls trockne der Katheter aus und sei nicht mehr gebrauchsfertig. Die anschließende kontinuierliche DampfHydration ergebe sich aus den von der Klägerin beauftragten Untersuchungen beim Testlabor L Inc. (vgl. Anlage HL 53). Dieses Ergebnis sei durch die weiteren Tests (vgl. Anlage HL 60) bestätigt worden. Diese Tests hätten nämlich gezeigt, dass die Hülse um den Katheterschaft die hydrophile Beschichtung vor einer Austrocknung bewahre. Denn schon nach einer kurzen Zeitspanne außerhalb der Hülse weise dieser Teilbereich des Katheters einen hohen Reibungskoeffizienten auf und der Katheter sei für das Einführen in die Harnröhre nicht mehr hinreichend schlüpfrig. Die Klägerin behauptet zudem, dass die angegriffenen Ausführungsformen im Übrigen zumindest teilweise durch Wasserdampf aktiviert würden, eben weil ein Eintauchen des Katheterrohres nur teilweise erfolge.
  25. Die Klägerin meint, dass die Beklagte zu 3) passivlegitimiert sei und erklärt sich im Hinblick auf das Vertriebssystem der Beklagten mit Nichtwissen. Es komme aber auch nicht auf eigene Vertriebstätigkeiten der Beklagten zu 3) an, weil in der Lieferung der angegriffenen Ausführungsformen an die Beklagten zu 1) und 2) ins Inland jedenfalls eine Angebotshandlung zu sehen sei. Die Beklagte zu 3) wisse, dass diese Produkte im Inland verkauft würden.
  26. Weiterhin stehe der Klägerin die begehrte Schadensersatzfeststellung wegen sittenwidriger Schädigung zu. Die Beklagte zu 2) habe durch Patentvindikationsklage die Erteilung des Klagepatents zu einem früheren Zeitpunkt verhindert. Dabei habe sie, so behauptet die Klägerin, gewusst, dass sie mit den Vindikationsverfahren nicht durchdringen werde. Die Beklagte zu 2) habe insoweit mit Schädigungsvorsatz gehandelt und obwohl es ihr möglich gewesen wäre, dem Erteilungsverfahren unter Wahrung ihrer Rechte in den Vindikationsverfahren, keinen Fortgang gegeben. Die Klägerin sei aufgrund der späteren Patenterteilung daran gehindert, in der Zeit vom 24.02.2017 bis zum 03.04.2019 einen Schadensersatzanspruch geltend zu machen. Der ihr hierzu zustehende Entschädigungsanspruch habe nur einen geringeren Umfang. Ebenso wenig sei es der Klägerin möglich gewesen, in diesen betreffenden zwei Jahren Lizenzen an ihrem Schutzrecht zu erteilen. Schon an dem Verhalten der Beklagten zu 1) und 3) sei zu erkennen, dass Dritte innerhalb dieses Zeitraums die Undurchsetzbarkeit des Klagepatents ausgenutzt hätten. Angelehnt an aktienrechtliche Rechtsprechung, welche auf den vorliegenden Sachverhalt anwendbar sei, könne schon eine Klageerhebung die Sittenwidrigkeit begründen. Die Beklagte zu 2) habe nämlich den gesetzlichen Automatismus von Regel 14 Abs. 3 AO-EPÜ (Aussetzung des Erteilungsverfahrens) ausgenutzt, um sich finanzielle und tatsächliche Vorteile am Markt zu verschaffen. Jedenfalls sei die Erhebung der Vindikationsklage auch grob eigennützig gewesen. Denn der Beklagten zu 2) sei insbesondere bekannt gewesen, dass sie keine Erfinderschaft an dem Klagepatent treffe. Nach der Mitteilung des EPA vom 23.12.2016 (Anlage HL 9) sei mit einer Erteilung des Patents für den 24.02.2017 zu rechnen gewesen.
  27. Nachdem die Klägerin nunmehr die aktuelle Anspruchsfassung verfolgt und sie den Unterlassungsanspruch nicht mehr wegen des Herstellens geltend macht und insoweit den Rechnungslegungsantrag eingeschränkt hat und diesen zudem hinsichtlich der begehrten Belege eingeschränkt hat,
  28. beantragt die Klägerin,

    I. die Beklagten zu verurteilen,

  29. 1. es bei Meidung eines für jeden Fall der Zuwiderhandlung fälligen Ordnungsgeldes bis zu EUR 250.000,00 – ersatzweise Ordnungshaft bis zu 6 Monaten – oder Ordnungshaft bis zu 6 Monaten, im Wiederholungsfälle Ordnungshaft bis zu 2 Jahren, zu unterlassen,
  30. a) Verwendungsbereite dampfhydratisierte hydrophile Katheteranordnungen mit einer gasundurchlässigen Verpackung, die einen abgedichteten Hohlraum aufweist, einem hydrophil beschichteten Katheter, der ein Rohr und eine hydrophile Oberflächenbeschichtung aufweist, die zumindest an einem Teil desselben angehaftet ist, innerhalb der Verpackung, einer Menge von Flüssigkeit, die innerhalb des abgedichteten Hohlraums angeordnet ist und die Bildung von Wasserdampf verursacht, einer flexiblen, faltbare Hülse, die das Rohr umgibt, um das Greifen des Rohres oder Schafts durch die Hülse zu ermöglichen, wobei der verwendungsbereite Zustand des Katheters zumindest teilweise auf Hydration durch Einwirkung von Wasserdampf zurückzuführen ist,
  31. in der Bundesrepublik Deutschland anzubieten, in den Verkehr zu bringen oder zu gebrauchen oder zu den genannten Zwecken entweder einzuführen oder zu besitzen
  32. b) hilfsweise:
    Verwendungsbereite hydrophile Katheteranordnungen mit einer gasundurchlässigen Verpackung, die einen abgedichteten Hohlraum aufweist, einem hydrophil beschichteten Katheter, der ein Rohr und eine hydrophile Oberflächenbeschichtung aufweist, die zumindest an einem Teil desselben angehaftet ist, einer Menge von Flüssigkeit, die innerhalb des abgedichteten Hohlraums angeordnet ist und einer flexiblen, faltbare Hülse, die das Rohr umgibt, um das Greifen des Rohres oder Schafts durch die Hülse zu ermöglichen,
  33. in der Bundesrepublik Deutschland anzubieten, in den Verkehr zu bringen oder zu gebrauchen oder zu den genannten Zwecken entweder einzuführen oder zu besitzen;

    2. der Klägerin für die Zeit ab dem 02.07.2016 Auskunft über die Herkunft und den Vertriebsweg der unter vorstehend zu I.1. beschriebenen Erzeugnisse zu erteilen, insbesondere unter Angabe der Namen und Anschriften des Lieferanten und/oder anderer Vorbesitzer, der gewerblichen Abnehmer oder Auftraggeber;
    3. der Klägerin über den Umfang der vorstehend zu I.1. bezeichneten und seit dem 02.07.2016 begangenen Handlungen Rechnung zu legen, und zwar unter Vorlage eines geordneten Verzeichnisses unter Beifügung von Belegen, insbesondere unter Angabe

  34. a) der Menge der erhaltenen oder bestellten Erzeugnisse sowie im Hinblick auf erhaltene Lieferungen, der Namen und Anschriften der Hersteller, Lieferanten und anderer Vorbesitzer (Rechnungskopien, hilfsweise Lieferscheine),
    b) der einzelnen Lieferungen, aufgeschlüsselt nach Liefermengen, -zeiten und -preisen unter Einschluss von Typenbezeichnungen sowie der Namen und Anschriften der Abnehmer (Rechnungskopien, hilfsweise Lieferscheine),
    c) der einzelnen Angebote aufgeschlüsselt nach Angebotsmengen, -zeiten und -preisen unter Einschluss von Typenbezeichnungen sowie der Namen und Anschriften der Angebotsempfänger,
    d) der betriebenen Werbung, aufgeschlüsselt nach Werbeträger, deren Auflagenhöhe, Verbreitungszeitraum und Verbreitungsgebiet,
    e) der nach den einzelnen Kostenfaktoren aufgeschlüsselten Gestehungskosten und des erzielten Gewinns,
  35. wobei den Beklagten vorbehalten bleibt, die Namen und Anschriften der Angebotsempfänger und der nicht gewerblichen Abnehmer satt der Klägerin einem von dieser zu bezeichnenden und ihr gegenüber zur Verschwiegenheit verpflichteten vereidigten Wirtschaftsprüfer mitzuteilen, sofern die Beklagten die durch seine Einschaltung entstehenden Kosten tragen und ihn zugleich ermächtigen, der Klägerin auf Anfrage mitzuteilen, ob bestimmte Abnehmer und/oder Lieferungen in der erteilten Rechnung enthalten sind,
  36. die Beklagte die Angaben vorstehend zu e) erst für die Zeit seit dem 24.02.2017 zu machen hat;
  37. 4. nur die Beklagte zu 1): die in unmittelbaren oder mittelbaren Besitz oder im Eigentum der Beklagten befindlichen Erzeugnisse entsprechend vorstehend I.1. zu vernichten oder an einen von der Klägerin zu beauftragenden Gerichtsvollzieher zum Zwecke der Vernichtung auf Kosten der Beklagten herauszugeben;
  38. 5. die vorstehend zu I.1. bezeichneten Erzeugnisse aus den Vertriebswegen schriftlich zurückzurufen, und zwar unter Angabe eines verbindlichen Angebots, die infolge des Rückrufs notwendigen Kosten und Auslagen der Adressaten zu tragen, sowie ferner unter Hinweis darauf, dass diese Erzeugnisse das Patent EP 2 423 XXX B1 verletzen.
  39. II. festzustellen, dass die Beklagten verpflichtet sind,
  40. 1. der Klägerin eine angemessene Entschädigung für die vorstehend zu I.1. bezeichneten und in der Zeit vom 02.07.2016 bis 02.04.2019 begangenen Handlungen zu zahlen;
  41. 2. der Klägerin allen Schaden zu ersetzen, der ihr durch die zu I.1. bezeichneten und seit dem 03.04.2019 begangenen Handlungen entstanden ist und künftig noch entstehen wird,
  42. III. weiter festzustellen, dass die Beklagte zu 2) verpflichtet ist, der Klägerin allen Schaden zu ersetzen, der ihr durch die zu I.1. bezeichneten und seit dem 24.02.2017 begangenen Handlungen entstanden ist und künftig noch entstehen wird und der Klägerin seit dem 24.02.2017 allen weiteren Schaden zu ersetzen, der ihr in der Bundesrepublik Deutschland durch die aufgrund der Erhebung der Patentvindikationsklage in Bezug auf das EP 2 423 XXX B1 vor dem M (Az. T-1-17) in XXX und die hierdurch verursachte verspätete Erteilung des EP 2 423 XXX B1 durch das Europäische Patentamt entstanden ist oder noch entstehen wird.
  43. Die Beklagten beantragen,
  44. die Klage abzuweisen.
  45. Sie meinen, mit den angegriffenen Ausführungsformen die erfindungsgemäße Lehre des Klagepatents nicht zu verwirklichen. Jedenfalls der angegriffenen Ausführungsform 2 fehle es an einer gasundurchlässigen Verpackung. Da kein Aluminium in der Verpackung enthalten sei, herrsche im Inneren eine relative Luftfeuchtigkeit von unter 80%. Gas und auch Wasserdampf könnten ausweichen (vgl. Untersuchungsbericht Anlage KAP 8). Diesen Verlust kompensiere die angegriffene Ausführungsform 2 durch eine immer noch gasdurchlässige, aber dickere Hülse um das Katheterrohr im Vergleich zur angegriffenen Ausführungsform 1. So könne gewährleistet werden, dass der aktivierte Katheter während seiner Haltbarkeitsdauer nicht austrockne, sich aber ebenso wenig Kondenswasser im Inneren der Verpackung ansammle. Die erfindungsgemäße Lehre dagegen verlange einen abgedichteten Hohlraum und damit eine 100%ige Luftfeuchtigkeit.
  46. Die Lehre des Klagepatents lasse keine alleinige Hydration durch unmittelbaren Flüssigkeitskontakt zu. Vielmehr müsse sowohl die Aktivierung der hydrophilen Beschichtung als auch die Aufrechterhaltung deren Gleitfähigkeit durch Wasserdampf erfolgen. Verwendungsbereitschaft beziehe sich nämlich auch schon auf die erstmalige Aktivierung. Dass das Klagepatent nur von einem teilweisen Beruhen der Hydration auf Wasserdampf spreche, resultiere aus dem dynamischen Zustand innerhalb der Verpackung. Es sei aufgrund der 100%-igen Luftfeuchtigkeit nicht auszuschließen, dass es zur Bildung von Kondenswasser komme, welches unmittelbar auf die hydrophile Beschichtung treffen könne. Das Grundprinzip der erfindungsgemäßen Lehre beruhe aber auf der Dampfaktivierung, zumal die entstehenden Flüssigkeitsmengen zu gering für eine Hydration des Katheters seien. Im Übrigen kämen neben der DampfHydration auch weitere Eigenschaften der Vorrichtung, wie etwa die gasundurchlässige Verpackung und die Hülse hinzu, die zur Verwendungsbereitschaft beitragen würden.
  47. Demgegenüber funktionierten die angegriffenen Ausführungsformen, wie die Beklagten behaupten, so, dass durch die Nasslagerung des Katheters in der Hülse ausschließlich eine Aktivierung der Oberflächenbeschichtung durch die Flüssigkeit erfolge. Da die angegriffenen Ausführungsformen während der anschließenden Lagerungszeit immer wieder bewegt würden, sei es ferner die Flüssigkeit, welche den hydratisierten Zustand aufrechterhalte. Für die Flüssigaktivierung sei es aufgrund der hygroskopischen Eigenschaften ausreichend, wenn nur Teile der Beschichtungsoberfläche mit der Flüssigkeit in Kontakt kämen, weil dadurch auch an den übrigen Teilen Wassermoleküle angezogen würden.
  48. Hinsichtlich der Gutachten der Klägerin (Anlagen HL 53 und 54) erklären sich die Beklagten dazu mit Nichtwissen, dass die untersuchten angegriffenen Ausführungsformen in Deutschland erworben worden und unversehrt gewesen seien. Zudem seien die Prüfberichte verspätet zur Akte gereicht worden und daher unbeachtlich. Dies gelte auch für die Untersuchungen gemäß der Anlage HL 60. Insoweit bestünden außerdem Bedenken am Aussagegehalt dieser Testungen; die Messwerte seien von der Klägerin nicht näher erläutert worden. Aus dem Umstand, dass von der Hülse befreite Teilbereiche des Katheters austrocknen, lasse sich nicht schließen, dass ansonsten innerhalb der Hülse Wasserdampf anliege, der die Hydration aufrechterhalte.
  49. Die Beklagten behaupten, dass die Beklagte zu 3) in den Vertrieb der angegriffenen Ausführungsformen in der Bundesrepublik Deutschland nicht involviert (gewesen) sei.
  50. Ferner meinen die Beklagten, dass der Umfang der geltend gemachten Ansprüche zu weitreichend sei. Mit Blick auf den Unterlassungsantrag könne das Herstellen im Inland nicht untersagt werden, weil dieses schon nach dem eigenen Vorbringen der Klägerin von der Beklagten zu 3) in Ungarn vorgenommen werde. Zudem sei die Geltendmachung des Unterlassungsanspruchs unverhältnismäßig. Angaben über Gestehungskosten und erzielte Gewinne könnten frühestens ab dem 03.04.2019 verlangt werden; diese Angaben würden für die Berechnung des Entschädigungsanspruchs nicht benötigt. Von den Beklagten zu 2) und 3) könne aufgrund ihrer Ansässigkeit im Ausland keine Vernichtung verlangt werden. Gegen die Beklagte zu 2) bestehe ebenso wenig ein Rückrufanspruch, da sie die angegriffene Ausführungsform nicht in den Verkehr bringe. Im Übrigen sei der Rückrufanspruch auch unverhältnismäßig, weil die angegriffene Ausführungsform durch die angegriffene Ausführungsform 2 ersetzt werden könne.
  51. Der separat gegen die Beklagten zu 2) verfolgte Anspruch auf Schadensfeststellung wegen vorsätzlicher sittenwidriger Schädigung sei unbegründet. Sie habe die materielle Unbegründetheit der in Dänemark eingereichten Vindikationsklage nicht gekannt. Es hätten keine Umstände vorgelegen, aus denen sie erkennen musste, dass ihr kein Miterfinderanteil an der Lehre des Klagepatents zustehe. Im Zuge des zu ihrem EP´729 geführten Einspruchsverfahrens habe die Klägerin erstmals erfahren, dass Flüssigaktivierungen eines hydrophil beschichteten Kathterrohrs ausführbar sind. Erst nach in diesem Zusammenhang vorgelegten Prüfberichten habe die Klägerin für das Klagepatent Anspruchsfassungen eingereicht, welche auch eine Flüssigaktivierung zugelassen hätten.
  52. Wegen des weiteren Vorbringens der Parteien wird auf die zur Akte gereichten Schriftstücke nebst Anlage Bezug genommen.
  53. Entscheidungsgründe
  54. A.
    Die zulässige Klage ist unbegründet.
  55. I.
    Das Klagepatent betrifft die Dampfhydration eines hydrophilen Katheters in einer Verpackung (vgl. Titel des Klagepatents). In Abs. [0001] beschreibt das Klagepatent, dass ein intermittierender Katheterismus für viele Benutzer mit Beschwerden und Abnormalitäten im Harnwegsystem eine gute Option ist. Benutzt dazu wurden üblicherweise einzeln verpackte, sterile Einwegkatheter.
  56. Aus dem Stand der Technik war vorbekannt, wie in Abs. [0002] dargestellt wird, dass das Einführen eines solchen Katheters dann einfacher und weniger traumatisch ist, wenn der Katheter mit einer Oberflächenbehandlung unter Verwendung eines Gleitmittels zur Verringerung der Reibung verwendet wird. Es wurden zudem zwei Gruppen von Kathetern unterschieden: einerseits solche, die eine mit einem Gleitmittel versehene Oberfläche aufweisen, also gelbeschichtete Katheter, und andererseits solche, die hydrophil beschichtet sind.
    Zur Handhabe der einzelnen Katherergruppen führt das Klagepatent in Abs. [0003] und [0004] weiter aus: Gelbeschichtete Katheter boten den Vorteil, dass sie durch das Auftragen eines wasserbasierten Gels einfacher einzuführen waren; entweder hat der Benutzer das Gel selbst auf die Oberfläche des Katheters aufgetragen oder das Gel wurde bereits mit einem verpackten Katheter ausgehändigt. Hydrophil beschichtete Katheter dagegen weisen von vornherein eine dünne hydrophile Beschichtung an ihrer Außenoberfläche auf. Die Beschichtung wird durch Aufquellen bei Kontakt mit einer hydratisierenden Flüssigkeit aktiviert. Bekannt war dazu, dass ein einzeln steril verpackter Katheter in einem trockenen Zustand bereitgestellt wurde. Der Benutzer musste die Verpackung öffnen, Wasser einfüllen und 30 Sekunden abwarten, um dann erst einen einführbereiten Katheter entnehmen zu können. Ebenso kam es im Stand der Technik vor (vgl. Abs. [0005]), dass bereits eine Menge flüssigen Wassers in der Verpackung bzw. einem separaten Teil angeordnet war. Der Benutzer musste die Verpackung dergestalt manipulieren, dass die Katheteroberfläche mit der hydratisierenden Flüssigkeit in Kontakt kommen konnte, um die hydrophile Beschichtung zu aktivieren. Ein solcher Katheter wurde z.B. von der US 2001/XXX unter Schutz gestellt.
  57. Hinsichtlich der hydrophil beschichteten Katheter führt die Klagepatentbeschreibung weiter erläuternd aus, dass die Aktivierung stets über direkten Kontakt des Katheters mit dem flüssigen Aufquellmedium stattfand (Abs. [0006]).
  58. An dieser Konzeption der hydrophil beschichteten Kathetern kritisiert das Klagepatent in Abs. [0007] als nachteilig, dass die Eintauchflüssigkeit tendenziell vom Benutzer verschüttet zu werden droht, wenn er den Katheter anfasst und versucht, ihn aus der Verpackung zu entnehmen. Außerdem wird für den Benutzer die Handhabung eines solchen Katheters gerade aufgrund der glitschigen Oberfläche erschwert. Nachteilig ist außerdem, dass der Benutzer den Katheter bei der Entnahme aus der Verpackung anfasst und dadurch die Oberfläche mit Mikroorganismen kontaminiert, die durch das Einführen in das Körperinnere gelangen und dort Infektionen verursachen können (Abs. [0008]).
  59. Im Stand der Technik gab es hinsichtlich hydrophil beschichteter Katheter Überlegungen, den Katheter ohne vorherige Entnahme aus der Verpackung der Harnröhre zuzuführen. Dies barg jedoch das Problem, die Eintauchflüssigkeit zu verschütten. Derlei Katheter waren – anders als manche gelbeschichteten Katheter (vgl. Abs. [0008]) – bis dahin nicht mit Hülsen versehen, weil diese Hülsen das Fließen des flüssigen Wasser zur Katheteroberfläche beeinträchtigten und deren Aktivierung nicht möglich war.
  60. Vorbekannte Lehren, wie das Klagepatent in Abs. [0010] unter beispielhaften Verweis auf die US Nr. 6,XXX,XXX erläutert, versuchten schon, die in der Verpackung befindliche Flüssigkeitsmenge zu reduzieren, indem sie einen engeren Hohlraum um das Katheterrohr vorzusehen. Das sollte gewährleisten, dass der Katheter im Wesentlichen eingetaucht und in direktem Kontakt mit flüssigem Wasser blieb.
  61. Das Klagepatent stellt sich daher die Aufgabe, für hydrophile Katheterprodukte den Zielkonflikt der bestehenden Verschüttungsgefahr bei eingetauchten Kathetern und demgegenüber dem Erfordernis, dass der Benutzer den Katheter vor der Verwendung zunächst manuell bearbeitet und dadurch kontaminiert/unsteril macht, um die Aktivierung sicherzustellen, zu lösen (Abs. [0012]).
  62. Zur Lösung dieser Aufgabe schlägt das Klagepatent daher eine Vorrichtung vor, die nachstehende Merkmale aufweist:
  63. 1.1 Verwendungsbereite dampfhydratisierte hydrophile Katheteranordnung (10, 110, 310, 410, 510, 610, 710, 810) mit:
    1.2 einer gasundurchlässigen Verpackung (12, 312, 412, 512, 812), die einen abgedichteten Hohlraum aufweist,
    1.3 einem hydrophil beschichteten Katheter (10, 110, 310, 410, 510, 610, 710, 810), der ein Rohr (14, 114, 314, 414, 514, 614, 714, 814) und eine hydrophile Oberflächenbeschichtung aufweist, die zumindest an einem Teil desselben angehaftet ist, innerhalb der Verpackung;
    1.4 einer Menge von Flüssigkeit, die innerhalb des abgedichteten Hohlraums angeordnet ist und die Bildung von Wasserdampf verursacht; gekennzeichnet durch
    1.5 eine flexible, faltbare Hülse (20, 120, 320, 720), die das Rohr umgibt, um das Greifen des Rohres oder Schafts durch die Hülse (20, 120, 320, 720) zu ermöglichen;
    1.6 wobei der verwendungsbereite Zustand des Katheters zumindest teilweise auf Hydration durch Einwirkung von Wasserdampf zurückzuführen ist.
  64. II.
    Die Parteien streiten zurecht nur über die Verwirklichung der Merkmale 1.1, 1.4 und 1.6. Da die Kammer bereits die Verwirklichung des Merkmals 1.1 nicht festzustellen vermag, können Ausführungen der Kammer zu den weiteren Merkmalen unterbleiben.
  65. 1.
    Das Klagepatent stellt in Merkmal 1.1 eine verwendungsbereite dampfhydratisierte hydrophile Katheteranordnung unter Schutz. In den folgenden Merkmalen 1.2 bis 1.6 erfährt diese Katheteranordnung weitere Konkretisierungen im Hinblick auf ihre objektive Beschaffenheit, die für die Herbeiführung der Verwendungsbereitschaft und für das anzuwendende Wirkprinzip erforderlich ist. Denn durch die Erläuterung einer dampfhydratisierten hydrophilen Katheteranordnung stellt das Klagepatent ein Wirkprinzip heraus, auf dem die erfindungsgemäße Vorrichtung beruhen soll.
  66. Unter einer verwendungsbereiten dampfhydratisierten hydrophilen Katheteranordnung versteht das Klagepatent eine Vorrichtung, deren hydrophile Beschichtung sowohl durch Wasserdampf aktiviert wurde als auch anschließend durch Wasserdampf in diesem aktivierten Zustand gehalten wird. „Dampfhydratisiert“ gibt dem Fachmann einen Hinweis auf einen Wirkmechanismus, wonach mittels Wasserdampf auf die hydrophile Beschichtung eingewirkt werden soll. Die Beschichtung quillt nämlich durch Kontakt mit dem Wasserdampf als sog. Quellungsmedium auf und der Katheter wird glitschig. Dadurch wird er gleitfähig und kann möglichst reibungslos in die Harnröhre eingeführt werden. Sowohl die Aktivierung als auch deren Aufrechterhaltung finden innerhalb der Verpackung statt und erstrecken sich über einen gewissen vorbestimmten Zeitraum.
  67. Der Anspruch erfordert ferner eine verwendungsbereite Katheteranordnung, wobei dieser Begriff ebenso wie schon der englische Originalwortlaut der „ready-to-use assembly“, offenlässt, wie die Verwendungsbereitschaft herbeigeführt werden soll. Konkretisiert wird diese Vorgabe aber durch das in der hier geltend gemachten Anspruchsfassung hinzugefügte Wirkprinzip der Wasserdampfhydration. Die erfindungsgemäße Lehre besagt damit, wodurch der Katheter verwendungsbereit wird und welche objektive Beschaffenheit, wie sie im Weiteren auch Gegenstand der Merkmale 1.2 bis 1.5 ist, die Vorrichtung dazu aufweisen muss. Der Benutzer soll den Katheter nämlich nach Ablauf einer Alterungszeit der Verpackung als verwendungsbereite Anordnung entnehmen können, ohne dass weitere Manipulationen des Katheters erforderlich sindm bevor er in die Harnröhre eingeführt wird. Insbesondere der auf den Katheter einwirkende Wasserdampf ist dafür verantwortlich.
  68. Die erfindungsgemäße Lehre fasst unter dem Begriff verwendungsbereit sowohl die erstmalige Aktivierung der hydrophilen Beschichtung als auch die Aufrechterhaltung des hydratisierten Zustands zusammen. Dafür spricht zunächst die philologische Bedeutung von „Hydration“. Denn Hydration meint die Anlagerung von Wassermolekülen an Festkörpern bzw. gelösten Ionen. Dieses rein begriffliche Verständnis adressiert einerseits die erstmalige Anlagerung von Wassermolekülen als aktiven Vorgang. Andererseits gibt es Hinweis auf den Zustand eines Gegenstandes. Denn, wenn etwas „hydratisiert“ ist, bedeutet dies, dass dort eine Anlagerung stattgefunden hat und dieser Zustand beibehalten wird. Genau dieses Prinzip macht sich die erfindungsgemäße Lehre zu eigen. Die hydrophile Beschichtung des Katheterschlauchs soll durch Hydration glitschig werden und bis zur Verwendung in diesem Zustand verbleiben. Der Anspruch offenbart keine Anhaltspunkte, wonach sich die Verwendungsbereitschaft ausschließlich auf die Aufrechterhaltung des hydratisierten Zustands beziehen könnte, ohne auch die erstmalige Aktivierung in den Blick zu nehmen. Eine solche Aufspaltung zwischen der Aktivierung der hydrophilen Beschichtung und der Beibehaltung dieses Zustands würde den nach außen einheitlichen Vorgang künstlich trennen, obwohl ein gleitfähiger Katheter weder ohne erstmalige Aktivierung noch ohne den anschließenden hydratisierten Zustand denkbar ist.
  69. Gegen eine Differenzierung spricht ferner, dass innerhalb der Verpackung aufgrund ihrer räumlich-körperlichen Ausgestaltung sowohl die erstmalige Hydration als auch deren Aufrechterhaltung durch die geschaffene Atmosphäre erfolgen sollen. Nach dem Verschließen der Verpackung ist es nicht mehr möglich und von der erfindungsgemäßen Lehre auch nicht beabsichtigt, von außen auf die Vorgänge im Verpackungsinneren einzuwirken. Es handelt sich von der ersten Anlagerung von Wassermolekülen bis hin zur vollständigen Aktivierung und Hydration der Katheterbeschichtung um einen fließenden Prozess. Ebenso wenig erfolgt die Aktivierung über die gesamte Schlauchlänge gleichzeitig. Sie geht sukzessive von statten: während der erstmaligen Aktivierung eines Teilbereichs der Beschichtung wurde ein anderer Bereich bereits aktiviert, dessen Zustand beibehalten werden soll. Die Aktivierung kann daher nicht isoliert betrachtet und aus dem Schutzbereich des Klagepatents ausgeschlossen werden.
  70. Dieses aufgezeigte Verständnis wird durch zahlreiche Beschreibungsstellen bekräftigt. Sie offenbaren sämtlich einen unmittelbaren Zusammenhang zwischen der erstmaligen Aktivierung hydrophilen Beschichtung sowie der Aufrechterhaltung des Hydration und der dadurch bewirkten Gleitfähigkeit des Katheters. Der einwirkende Wasserdampf führt zur Verwendungsbereitschaft der Katheteranordnung.
  71. In Abs. [0013] heißt es:
    „Der hydrophile Katheter gemäß der vorliegenden Erfindung wird mit einem Dampf-Aufquellmedium in der Katheterpackung derart dampfhydratisiert, dass er gebrauchsfertig ist […]. Daraus resultiert eine sterile Katheterpackung, bei der das Hinzufügen einer Eintauchflüssigkeit nicht erforderlich ist, bei der jedoch die hydrophile Oberflächenbeschichtung des Katheters aufgrund der Dampfhydration bereits aktiviert ist. […] dass es eine Flüssigkeitsmenge aufnehmen kann, die ausreichend Dampf erzeugen kann, um eine Dampfhydrationsatmosphäre in dem Packungsholraum zu bilden und beizubehalten.“
  72. In dieser Beschreibungsstelle verknüpft das Klagepatent unmittelbar die Gebrauchsfertigkeit mit der Dampfhydration als Aktivierungsmechanismus. Dafür ist erforderlich, dass der Wasserdampf innerhalb der Verpackung erzeugt wird („zu bilden“). Insoweit geht die erfindungsgemäße Lehre selbst davon aus, dass die für die Aktivierung erforderlichen Umstände aufgrund der objektiven Eigenschaften der Vorrichtung, welche ab dem Verschließen der Verpackung unverändert bleiben, erst innerhalb der abgedichteten Verpackung herbeigeführt werden und nicht im Moment der Fertigstellung der Verpackung schon vorliegen. Die Erfindung macht keinen Unterschied zwischen einer Verwendungsbereitschaft und einer davon separaten und vorgelagerten Aktivierung. Die Verwendungsbereitschaft muss zwar spätestens vorliegen, wenn der Benutzer eine erfindungsgemäße Vorrichtung verwenden will. Das Klagepatent bezieht allerdings auch den Vorgang der Aktivierung als unerlässliches Element in das Verständnis der Verwendungsbereitschaft ein. Dies ist auch konsequent, weil das Klagepatent keinen bestimmten Zeitpunkt offenbart, wann die erstmalige Aktivierung abgeschlossen ist. Diese kann schon nach zwei Tagen oder aber auch erst nach sechs Wochen eintreten (Abs. [0033]). Diese variierenden Zeitdauern resultieren aus der dem Fachmann überlassenen Freiheit, eine erfindungsgemäße Vorrichtung konkret auszugestalten und viele Komponenten im hier streitgegenständlichen Klagepatentanspruch, die sich auf die Dauer der erstmaligen Aktivierung auswirken (z.B. Dicke der Hülse, Anordnung der Flüssigkeit und konkrete Menge) in dessen Blieben gestellt wurden.
  73. Weitere Unterstützung in dem Verständnis, dass Hydratisierung schon die erstmalige Anlagerung von Wassermolekülen betrifft und nicht nur die Aufrechterhaltung dieses Zustands, findet sich in Abs. [0019]:
    „Die hydrophile Beschichtung an der Außenoberfläche des Rohres wird folglich hydratisiert, indem sie Wasserdampf ausgesetzt wird. Dadurch wird die hydrophile Beschichtung aktiviert, um einen sehr gleitfähigen Zustand an der Außenseite des Rohres herzustellen, sodass die Katheteranordnung in einen gebrauchsfertigen Zustand gebracht wird.“
  74. Explizit wird hier die Aussetzung des Rohrs in Wasserdampf mit der Folge verbunden, dass die Beschichtung aktiviert wird. Dies hat wiederum die Konsequenz, dass die Gebrauchsfertigkeit, welche insofern gleichbedeutend ist mit verwendungsbereit, hergestellt wird. Das Klagepatent zeigt so, dass die Abfolge von Aktivierung und deren Aufrechterhaltung dasjenige technische Zusammenspiel ist, das für eine verwendungsbereite Katheteranordnung erforderlich ist.
  75. Dass die Aktivierung ein wesentlicher Aspekt der erfindungsgemäßen Lehre und für die Beurteilung der Verwendungsbereitschaft unabdingbar ist, folgt desweiteren aus Abs. [0021]:
    „[…] Auf jeden Fall ist das Zeitintervall zwischen dem Verpacken und der Verwendung für jedes gegebene Produkt ausreichend vorbestimmt, um sicherzustellen, dass die dampfabgebende Flüssigkeit in der Packung ausreichend verdampft ist […].“
  76. Das Klagepatent stellt hier bewusst den Vorgang der Aktivierung, namentlich die Entstehung von Wasserdampf, in die Bemessung des Zeitraums, ab wann eine vollständige Gebrauchsfähigkeit vorliegt, ein. Ohne diesen Umwandlungsschritt des Quellmediums von flüssig zu gasförmig könnte die Verwendungsbereitschaft nicht erhalten werden.
  77. Eine unmittelbare Verbindung zwischen der Aktivierung der Beschichtung und der Verwendungsbereitschaft folgt ferner aus Abs. [0057], der die Figuren 8, 8a beschreibt:
    „Der Wasserdampf, der aus den Flüssigkeitssequestrierelementen aus Gewebe oder Schaumstoff entweichen kann, kann die hydrophile Beschichtung an der Außenoberfläche des Rohres der Katheteranordnung vollständig hydratisieren, sodass diese gebrauchsfertig ist.“
  78. Sofern die Klägerin argumentiert, dass der Katheter vor seinem Einbringen in die Verpackung schon aktiviert und gleitfähig gemacht worden sein könnte und anschließend in der Verpackung nur in diesem verwendungsbereiten Zustand bleibt, findet dies keine Stütze im Klagepatent. Die Klägerin erklärt auch selbst nicht, wann und wo diese vorherige Aktivierung erfolgt sein sollte. Das Klagepatent lässt jedenfalls nicht erkennen, dass sie auf andere Weise als innerhalb sowie aufgrund der objektiven Beschaffenheit der abgedichteten Verpackung möglich wäre.
  79. Die Beschreibung in Abs. [0028] greift – bezogen auf ein anderes Ausführungsbeispiel – den Inhalt von Abs. [0013] auf und stellt die Aktivierung und die Beibehaltung gleichwertig nebeneinander. Sie gemeinsam führen zur Gebrauchsfertigkeit. Es heißt wörtlich:
    „[…] um eine solche Atmosphäre in der Packung zu erzeugen und beizubehalten. Da der Wasserdampf ausreichend ist, […] ist und bleibt die hydrophile Beschichtung an der Außenoberfläche des Rohres der Katheteranordnung vollständig dampfhydratisiert, so dass der Katheter gebrauchsfertig ist.“
  80. Abs. [0014], Abs. [0030] sowie Abs. [0062] beschreiben alle in ähnlicher Weise, dass der Dampf während einer längeren und vorbestimmten Inkubationszeit oder Alterungszeit vor der Verwendung des Katheters in der verschlossenen Packung erzeugt wird. Die Auslieferung der verpackten Katheteranordnung kann daher für eine bestimmbare Zeitdauer nach Beendigung der Herstellung verzögert werden, um die Bildung einer relativen Luftfeuchtigkeit von 100% in der Verpackung und eine vollständige und restlose Dampfhydration des Katheters sicherzustellen.
  81. Ausweislich dieser vorgenannten Beschreibungsstellen geht das Klagepatent davon aus, dass für das Erreichen eines gebrauchsfertigen Zustands ein vorbestimmter Alterungsprozess durchlaufen werden muss. Gerade in diesen Zeitraum stellt die erfindungsgemäße Lehre neben der Sicherstellung der Dampfhydration der Oberflächenbeschichtung auch die sukzessive Aktivierung der Oberflächenbeschichtung ein. Sie wird zwingend benötigt, um die Verwendungsbereitschaft herzustellen und ist untrennbar mit ihr verbunden.
  82. Bekräftigt wird der Fachmann in diesem Verständnis durch den abhängigen Anspruch 2, der insbesondere vorsieht, dass die flexible Hülse ausreichend direkten Dampfkontakt mit der hydrophilen Oberflächenbeschichtung erlaubt, um den hydrophil beschichteten Katheter in den aktivierten Zustand zu versetzen, wodurch der hydrophil beschichtete Katheter verwendungsbereit ist. Auch in diesem Anspruch wird die Aktivierung als zwingend erforderlicher aktiver Schritt innerhalb der von der Verpackung zur Verfügung gestellten Bedingungen angesehen, der unverzichtbar für die Verwendungsbereitschaft ist. Es wäre daher künstlich, das Ergebnis der Verwendungsbereitschaft von dem Prozess ihrer Herstellung zu unterscheiden.
  83. Dieses Verständnis wird ferner durch die technische Funktion der erfindungsgemäßen Lehre bestätigt. Danach bedarf die hydrophile Beschichtung des Katheters einer Aktivierung, um die gewünschte Gleitfähigkeit zu erhalten. Erforderlich ist dazu, dass sich Wassermoleküle zunächst an dieser Oberfläche anlagern (Hydration). Es handelt sich um einen chemischen Vorgang, der entlang der Außenoberfläche des Rohrs stattfindet. Es ist für den Fachmann selbstverständlich, dass der erzeugte hydratisierte Zustand sodann aufrechterhalten werden muss, was durch die weitere Einwirkung von Wasserdampf geschehen soll. Andernfalls wäre die Gebrauchsfertigkeit der Vorrichtung nicht gewährleistet.
  84. Weiterhin bekräftigt der in der Klagepatentschrift dargestellte Stand der Technik dieses Verständnis. Denn dieser offenbart durchweg Katheteranordnungen, die einer Aktivierung bedürfen, um gleitfähig zu werden. Diese Gleitfähigkeit ist ihrerseits erforderlich, um den Katheter in die Harnröhre einführen zu können. Der maßgebliche Unterschied zur Lehre des Klagepatents liegt nur darin, wie der verwendungsbereite Zustand hergestellt wird: während es im Stand der Technik regelmäßig die Zugabe einer bestimmten größeren Menge von Flüssigkeit bedurfte und sich der Einführvorgang unmittelbar anschließen musste, kommt die Erfindung mit einer Aktivierung durch Wasserdampf aus, der zugleich für die Lagerbeständigkeit der Katheteranordnung sorgt und der Katheter nicht unmittelbar zeitnah nach der Aktivierung benutzt werden muss.
  85. Schließlich geht auch das EPA in seinen Entscheidungsgründen, welche die Kammer als gewichtige Äußerung einer sachkundigen Stelle bei der Auslegung des Klagepatents zu würdigen hat (vgl. BGH, GRUR 1998, 895 – Regenbecken), davon aus, dass es sich innerhalb der Verpackung um einen sukzessiven Prozess handelt, der auf die Beschichtung des Katheters einwirkt, um diesen gebrauchsfertig zu machen (Ziff. 16.3.2.2 ff.). Auszugsweise heißt es (Hervorhebungen diesseits):
  86. „16.3.2 Vapor hydrated
  87. 16.3.2.1 Claim 1 is further limited insofar as it aims at a ready-to-use vapor hydrated hydrophilic catheter assembly, wherein an amount of liquid disposed within the sealed cavity causing water vapor to be formed and wherein the ready-to-use condition of the catheter is due at least in part to hydration by reason of exposure to the water vapor. The basis of this amendment is claims 1 and 9, and p.7,1.9-13 of the earlier application. The wording „due at least in part to…“ is literally in claim 1 of the earlier application. Furthermore, the skilled person is not confronted with any new technical information by these amendments, and the scope of claim 1 is not broadened beyond the original disclosure, neither in an unduly manner, nor in any absolute manner. These limiting definitions correspond to what was held to not be able to be omitted from claim 1 (cf. section 13.3.2 above).“
  88. Nach diesen Ausführungen soll zunächst eine Flüssigkeit in der abgedichteten Verpackung vorgesehen werden, welche im Inneren Wasserdampf verursacht und sodann der verwendungsbereite Zustand des Katheters erhalten wird. Die Menge an Flüssigkeit zur Erzeugung von Wasserdampf aber ist nichts anderes als ein Verweis auf die Aktivierung, welche wiederum in Zusammenhang mit dem verwendungsbereiten Zustand gesetzt wird, da es der Wasserdampf ist, der den Katheter hydratisieren soll. Ferner ist nach dem Verständnis des EPA schon in der Ursprungsanmeldung, über deren Gehalt das Klagepatent nicht hinausgehen darf, offenbart, dass der verwendungsbereite Zustand des Katheters zumindest teilweise auf die Flüssigkeit zurückzuführen ist, die eine Dampfatmosphäre erzeugt, und dass die hydrophile Beschichtung auf der äußeren Oberfläche des Rohres durch die Einwirkung von Wasserdampf hydratisiert wird.
  89. III.
    Die angegriffenen Ausführungsformen machen nach vorstehendem Verständnis keinen Gebrauch von der erfindungsgemäßen Lehre des Klagepatents. Die Kammer vermochte jedenfalls nicht festzustellen, dass die Aktivierung der Katheterbeschichtungen durch Wasserdampf bewirkt wird.
  90. Die angegriffenen Ausführungsformen sind im Wesentlichen identisch ausgestaltet. Der einzige Unterschied liegt darin, dass in der Verpackung der angegriffenen Ausführungsform 2 kein Aluminium enthalten ist. Die streitgegenständlichen Katheteranordnungen befinden sich innerhalb der Verpackung, wobei der hydrophil beschichtete Katheterschlauch von einer flexiblen Hülse umgeben ist. In dieser Hülse ist unmittelbar nach der Herstellung eine Menge von, wie die Beklagten in der mündlichen Verhandlung unbestritten erläutert haben, 15 ml Flüssigkeit angeordnet. Das Katheterrohr hat unmittelbaren Kontakt zu dieser Flüssigkeit.
  91. 1.
    Die angegriffenen Ausführungsformen gebrauchen Merkmal 1.1 nicht. Zur Überzeugung der Kammer steht nicht fest, dass Aktivierung und Aufrechterhaltung der hydratisierten Beschichtung der angegriffenen Ausführungsformen mittels Wasserdampf erfolgen.
  92. Die Darlegungs- und nötigenfalls Beweislast für die Funktionsweise und den Aufbau der angegriffenen Ausführungsform trifft hier gemäß der allgemeinen zivilprozessualen Regeln im Sinne des § 138 ZPO die Klägerin, weil sie aus diesen Tatsachen die Verletzung des Anspruchs, als für sie günstigen Umstand aufzeigen will. Sie muss daher entsprechenden Vortrag in schlüssiger Weise präsentieren. Die Beklagtenseite ist sodann gehalten, zu den einzelnen relevanten Behauptungen in der Klageschrift Stellung zu nehmen und sich über die diesbezüglichen tatsächlichen Umstände vollständig und der Wahrheit gemäß zu erklären. Dies bedeutet zwar nicht, dass der Beklagte von sich aus das Gericht und den Kläger über den wirklichen Verletzungstatbestand zu unterrichten hätte. Er kann sich auf das Bestreiten bestimmter vom Kläger behaupteter technischer Merkmale beschränken. Allerdings darf dieses Bestreiten nicht pauschal bleiben, sondern muss im Rahmen seiner Erkenntnismöglichkeiten in der gleichen Weise substantiiert sein, wie es das Vorbringen des Klägers ist. Prinzipiell gilt der Grundsatz, dass je substantiierter der Sachvortrag des Klägers ist, desto strenger auch die Anforderungen an ein substantiiertes Bestreiten des Beklagten sind (Kühnen, Handbuch der Patentverletzung, 13. Aufl., Kap. E, Rn. 147 m.w.N.).
  93. Diesen Anforderungen an die Darlegungslast genügt der Vortrag der Klägerin nicht. Weder aus ihren Schilderungen noch aus den zur Akte gereichten Testberichten ergibt sich das Einwirken von Wasserdampf auf den hydrophil beschichteten Katheterschlauch.
  94. Die Testberichte der Anlage HL 53 bzw. der HL 54 mit Blick auf die Gasundurchlässigkeit waren dabei nicht deshalb außer Acht zu lassen, weil die Klägerin sie zu spät zur Akte gereicht hat (§ 296 ZPO). An einer etwaigen Verspätung hätten mit Blick auf den zunächst für den 22.09.2020 anberaumten Verhandlungstermin kaum Bedenken bestanden, weil sich die Beklagten hierzu in zureichender Zeit vor dem Termin einlassen konnten. Angesichts der weiträumigen und wiederholten Terminverlegungen auf nunmehr Ende August 2021 bestehen jedenfalls keine Anhaltspunkte mehr, die Testberichte als verspätet zurückzuweisen. Die Beklagten konnten sich erneut in umfassender Weise mit den Untersuchungen befassen und dazu Stellung nehmen. Nach der Einspruchsentscheidung stand beiden Parteien wiederholt zu – auch innerhalb gerichtlich gesetzter Fristen –, weitere Schriftsätze einzureichen.
  95. Eine zumindest teilweise Aktivierung der angegriffenen Ausführungsformen durch Wasserdampf, vermochte die Klägerin aber nicht anhand der Untersuchungen der Anlage HL 53 aufzuzeigen. In den darin dokumentierten Untersuchungen hat die Klägerin die angegriffenen Ausführungsformen in 6 unterschiedlichen Ausrichtungen aufhängen lassen und sodann jeweils den Flüssigkeitsstand innerhalb der Hülse gemessen. Daraus, dass jeweils der obere Bereich der Hülse frei von Flüssigkeit war, schließt die Klägerin, dass insoweit Wasserdampf die hydrophile Beschichtung des Katheters aktiviert habe. Diesem Prüfungsergebnis vermag die Kammer nicht beizutreten. Es ist nicht ersichtlich, auf welche tatsächlichen Angaben die Klägerin dieses Ergebnis stützt. Voraussetzung dafür ist nämlich, dass die angegriffenen Ausführungsformen in einem Zustand bzw. Zeitpunkt erhalten wurden, indem die enthaltene Flüssigkeit noch nicht (zumindest für eine kurze Zeit) mit allen Teilen des Rohrs in Berührung gekommen ist und dieses aktiviert hat. Für die Schlussfolgerung der Klägerin müsste der Wasserdampf für die Aktivierung schneller an den Bereichen, die ggf. nicht mit Flüssigkeit bedeckt sind, angelangt sein als die eigentliche Flüssigkeit. Das dürfte ausgeschlossen sein, weil bereits geringe Bewegungen der Vorrichtungen dazu führen, dass jeder Teil der Beschichtung einmal mit Wasser bedeckt war und so aktiviert wurde – gerade weil nahezu die ganze Hülse mit Flüssigkeit befüllt ist. Hierauf haben auch die Beklagten in der mündlichen Verhandlung wiederholt hingewiesen: Der Katheterschlauch ist im Moment der Herstellung von flüssigem Wasser umspült, wodurch die Aktivierung der hydrophilen Beschichtung aktiviert wird. Die Aufrechterhaltung dieses Zustands ist dadurch sichergestellt, dass bis zur Verwendung hinreichend Flüssigkeit den Katheter umspült. Dazu genügen kleinste Bewegungen der Verpackung, welche beim Einpacken in Umkartons sowie dem anschließenden Transport unweigerlich passieren und keinen gesonderten Aufwand erfordern. Gerade vor dem Hintergrund dieses Vorbringens hätte es der Klägerin oblegen, die Funktionsweise der angegriffenen Ausführungsform aus ihrer Sicht zu substantiieren.
  96. Auch selbst wenn es für die Zeit der Lagerung vorstellbar wäre, dass geringe Mengen an Wasserdampf entstehen, die die hydratisierte Beschichtung aufrechterhalten, begründet dies keine Verwirklichung des Merkmals 1.1. Denn einerseits dürfte es immer zu einem gewissen Verdampfen von Wasser kommen. Konkret hat die Klägerin dies hier jedoch nicht aufgezeigt. Umso weniger hat die Klägerin substantiiert vorgetragen, dass es auch der Wasserdampf und nicht das flüssige Wasser ist, dass die Hydration beibehält. Belegt hat die Klägerin dies jedenfalls nicht durch die Untersuchungen aus der Anlage HL 60. Die der Anlage HL 60 zu entnehmenden Testergebnisse sind für eine Patentverletzung nicht aussagekräftig. Darin werden die Reibungskoeffizienten von in Flüssigkeit eingetauchten gegenüber freigelegten Teilbereichen eines Katheterrohres verglichen. Als Ergebnis daraus will die Klägerin festhalten, dass der freigelegte Teilbereich deutlich schneller seine Schlüpfrigkeit verliere als der in die Flüssigkeit getauchte Katheterteil. Deshalb sei es der innerhalb der Hülse der angegriffenen Ausführungsformen befindliche Wasserdampf, der zur Aufrechterhaltung der Verwendungsbereitschaft beitrage. Zuzugeben ist der Klägerin hinsichtlich dieses Versuchsaufbaus, dass auch die erfindungsgemäße Lehre in Test 2 (vgl. Abs. [0080] f.) auf den Wert des Reibungskoeffizienten abstellt, um das Erreichen der Gebrauchsfertigkeit in Abhängigkeit der eingegebenen Menge von Flüssigkeit und Zeitablaufs zu bestimmen. Indes trifft die Anlage HL 60 keinerlei Aussage dazu, inwieweit dazu vorliegend auch Wasserdampf beitragen könnte und inwieweit sich dieser überhaupt in demjenigen Teil der Hülse befindet, die nicht mit der Flüssigkeit gefüllt ist.
  97. IV.
    Aufgrund dessen stehen der Klägerin die hinsichtlich der Patentverletzung gegen die Beklagten zu 1) bis 3) geltend gemachten Ansprüche nicht zu.
  98. V.
    Für den hilfsweise geltend gemachten Unterlassungsanspruch, der das Klagepatent in seiner ursprünglichen Fassung zum Gegenstand hat, war kein Raum, weil dies nicht der gültigen Anspruchsfassung entspricht.
  99. VI .
    Darüber hinaus hat die Klägerin gegen die Beklagte zu 2) auch keinen Schadensersatzanspruch gem. § 826 BGB wegen sittenwidriger Verhinderung einer vorzeitigen Erteilung des Klagepatents.
  100. 1.
    Der Antrag auf Feststellung eines Schadens aus sittenwidriger Schädigung war gem. § 256 ZPO zulässig. Die Klägerin hätte – bei unterstellter Patentverletzung – jedenfalls für Benutzungshandlungen der Beklagten zu 1) und 3) Schadensersatz verlangen können. Dass sie dazu nun keine Möglichkeit hat, könnte der Beklagten zu 2) anzulasten sein. Einen solchen Schadensersatzanspruch feststellen zu lassen, ist ihr berechtigtes Interesse.
  101. 2.
    In der Sache ist der Anspruch jedoch unbegründet.
  102. Gem. § 826 BGB ist der, wer in einer gegen die guten Sitten verstoßenden Weise einem anderen vorsätzlich Schaden zufügt, dem anderen zum Ersatz des Schadens verpflichtet.
  103. Als Anspruchsvoraussetzungen bedarf es einer Schadenszufügung durch den Anspruchsgegner, eines sittenwidrigen Verhaltens sowie eines Schädigungsvorsatzes, dass durch die Handlung einem anderen ein Schaden zugefügt wird. Die einzelnen Tatbestandsmerkmale haben insbesondere durch die Rechtsprechung mit Blick auf bestimmte Fallgruppen nähere Ausgestaltungen erfahren.
  104. Zunächst ist für den vorliegenden Sachverhalt nicht zu ersehen, weshalb es eines Rückgriffs auf aktienrechtliche Rechtsprechung bedarf. Die Klägerin greift insoweit auf diese Rechtsprechung zurück, um eine Parallele zu von Aktionären in grob eigennütziger Weise erhobene Klagen zu ziehen (vgl. Palandt/Sprau, BGB, 21. Aufl., § 826, Rn. 35a). Indes hat die Klägerin keine Argumente vorgetragen, dass der Streitfall ohne einen solchen Rückgriff nicht in angemessener Weise behandelt werden könnte.
  105. Die Darlegungs- und Beweislast für das Vorliegen der anspruchsbegründenden Tatsachen trifft hier die Klägerin. Es steht zu ihrer vollen Vortragslast, solche Umstände aufzuzeigen, aus denen sich die schädigende Handlung und insbesondere der Schaden ergeben. Erleichterungen der Darlegungslast dergestalt, dass schon eine hinreichende Wahrscheinlichkeit für die Anspruchsvoraussetzungen genügt, greifen zugunsten der Klägerin nicht ein. Derlei kommt allenfalls im Rahmen der Zulässigkeit einer Feststellungsklage in Betracht, wo eine hinreichende Wahrscheinlichkeit eines auf die Pflichtverletzung zurückgehenden Schadenseintritts ausreicht (vgl. BGH, NJW-RR 2016, 1187 m.w.N.), jedoch nicht mehr bei der Darlegung von materiellen Anspruchsvoraussetzungen.
  106. Unbeschadet dessen, dass nach Ansicht der Kammer schon keine Patentverletzung vorliegt und die Klägerin deshalb durch Handlungen der Beklagten keinen Nachteil erfahren haben kann, und unabhängig von der Frage, ob die Klägerin den ihr entstandenen Schaden in hinreichender Weise vorgetragen hat, fehlt es jedenfalls an einem objektiv sittenwidrigen Verhalten der Beklagten zu 2) sowie an deren Schädigungsvorsatz gegenüber der Klägerin.
  107. a.
    Die Beklagte zu 2) hat sich nicht in objektiv sittenwidriger Weise verhalten, indem sie vor dänischen Gerichten einen Miterfinderanteil am Klagepatent erstreiten wollte.
  108. Objektiv sittenwidrig ist ein Verhalten, das nach seinem Gesamtcharakter, der durch umfassende Würdigung von Inhalt, Beweggrund und Zweck zu ermitteln ist, gegen das Anstandsgefühl aller billig und gerecht Denkenden verstößt (vgl. BGH, NJW 2014, 383, Rn. 9). Da aber für die Annahme der Sittenwidrigkeit weder der Verstoß gegen eine gesetzliche Vorschrift noch die Tatsache eines eingetretenen Vermögensschadens genügt; muss sich die besondere Verwerflichkeit des Verhaltens vielmehr aus dem verfolgten Ziel, den eingesetzten Mitteln, der zutage tretenden Gesinnung oder den eingetretenen Folgen ergeben (BGH, NJW 2012, 1800 Rn. 28, beck-online). Da es sich bei dem Merkmal der Sittenwidrigkeit um ein Merkmal handelt, das sich maßgeblich aus dem inneren Handlungsantrieb ergibt, bedarf es zu dessen Begründung des Rückgriffs auf Indizien, welche die verwerfliche Verhaltensweise belegen können.
  109. Gerade bei Betreiben eines gesetzlich geregelten Verfahrens der Rechtspflege aber kann lediglich in Ausnahmefällen eine Haftung begründet werden. Nach ständiger Rechtsprechung greift bei subjektiver Redlichkeit derjenige, der als Partei ein staatliches, gesetzlich eingerichtetes und geregeltes Verfahren einleitet oder betreibt, nicht rechtswidrig in ein geschütztes Rechtsgut seines Verfahrensgegners ein, auch wenn sein Begehren sachlich nicht gerechtfertigt ist und dem anderen Teil aus dem Verfahren über dieses hinaus Nachteile erwachsen. Die Verletzung eines Rechtsguts indiziert die Rechtswidrigkeit in solchen Fällen nicht. Dies ist geboten, weil dann das schadensursächliche Verhalten angesichts seiner verfahrensrechtlichen Legalität zunächst die Vermutung der Rechtmäßigkeit für sich hat. Diese Vermutung greift ein, weil auch eine materiell berechtigte Einleitung und Durchführung eines gerichtlichen Verfahrens typischerweise Schäden zur Folge haben kann, die über die mit der Rechtsverfolgung erstrebte Anspruchsdurchsetzung oder Sanktion hinausgehen können und die der Gegner ersatzlos hinnehmen muss. Grundsätzlich haftet der jeweilige Kläger seinem Gegner außerhalb der schon im Verfahrensrecht vorgesehenen Sanktionen nicht nach dem Recht der unerlaubten Handlung für die Folgen einer nur fahrlässigen Fehleinschätzung der Rechtslage. Der Schutz des Prozessgegners wird in diesen Fällen regelmäßig durch das gerichtliche Verfahren nach Maßgabe seiner gesetzlichen Ausgestaltung gewährleistet. So muss der Gegner im kontradiktorischen Verfahren die Rechtsgutsbeeinträchtigung nur deshalb ohne deliktsrechtlichen Schutz hinnehmen, weil die Prüfung der Rechtslage durch das Gericht erfolgt und er sich gegen eine ungerechtfertigte Inanspruchnahme in dem Rechtspflegeverfahren selbst hinreichend wehren kann. Ein Kläger ist hiernach grundsätzlich nicht verpflichtet, vor Klageerhebung sorgfältig in tatsächlicher oder rechtlicher Hinsicht die sachliche Berechtigung seines Begehrens zu prüfen oder gar seine Interessen gegen die des Beklagten abzuwägen. Das verfassungsrechtliche Erfordernis eines freien Zugangs zu den staatlichen Rechtspflegeverfahren verbietet es, einem Klagewilligen eine über eine Offensichtlichkeitskontrolle hinausgehende Rechtsprüfungspflicht aufzuerlegen. Der dadurch entstehende Freiraum kommt nicht nur der Partei, sondern in gleichem Maße dem sie vertretenden Anwalt und ebenso einem Konkursverwalter als Partei kraft Amtes zu. Allerdings besteht ein solches „Recht auf Irrtum“ eines Klägers nicht uneingeschränkt, sondern bedarf der wertenden Begrenzung. Das Recht auf Irrtum hört dort auf, wo eine Behinderung der prozessualen Entschluss- und Handlungsfreiheit durch ein Haftungsrisiko nicht unzumutbar beeinträchtigt werde. Das wurde für jenen Fall bejaht, in dem der Vollstreckungsgläubiger einen Hinweis auf die zwischenzeitlich eingetretene Erfüllung der Forderung und auf die damit fehlende Berechtigung seiner Rechtsverfolgung leicht hätte überprüfen und berücksichtigen können (BGH, NJW 2003, 1934).
  110. Einen derartigen, wie vom BGH aufgestellten Ausnahmefall vermag die Kammer für die seitens der Beklagten zu 2) in Dänemark erhobene Vindikationsklage nicht festzustellen. Es war seitens der Beklagten zu 2) nicht sittenwidrig, eine Miterfinderschaft an der dem Klagepatent zugrunde liegenden Erfindung geltend zu machen, soweit die Flüssigaktivierung der hydrophilen Beschichtung betroffen ist – hinsichtlich der flexiblen Hülse sah sich die Beklagten zu 2) von vornherein nicht als Miterfinderin an. Sie kannte die Unrichtigkeit dieser Tatsache nicht.
  111. Die erhobene Klage war nicht von Anfang an offensichtlich aussichtslos. Die Parteien erläutern den Hintergrund der Vindikationsklage und verweisen hierzu auf unterschiedliche Patentrechte, die sowohl der Beklagten zu 2) (EP´729) als auch der Klägerin (EP´196) zustehen und wechselseitig jeweils mit Einspruchsverfahren überzogen wurden. Maßgeblicher Streitpunkt zwischen den Parteien war die Möglichkeit, ein flüssiges Quellmedium für die hydrophile Katheterbeschichtung einzusetzen und zugleich ein lagerbeständiges Produkt zu erhalten, und ob dieser Umstand (der Klägerin) im Stand der Technik bereits bekannt war. Insoweit sind sich die Parteien auch uneins über die jeweilige Offenbarung der Dokumente (insbesondere der Stammanmeldung der Klägerin WO 2005/XXX aus 2004.) Dabei handelte es sich um eine Fragestellung, deren Beantwortung aufgrund des Gesamtzusammenhangs der unterschiedlichen technischen Lehren nicht von vornherein eindeutig auf der Hand lag und das Begehren der Beklagten zu 2) deshalb nicht unplausibel erschien.
  112. Indiziell kann ein Rückgriff auf die Entscheidungen der dänischen Gerichte Aufschluss über eine sittenwidrige Klageerhebung geben. Da sie naturgemäß zu einem späteren Zeitpunkt ergangen sind, könnten sie allenfalls durch bestimmte Würdigungen der Klageschrift die innere Motivation der Beklagten zu 2) nachträglich erläutern. Die von der Klägerin aus diesen Entscheidungen zitierten Passagen lassen jedoch alle nicht erkennen, dass die dänischen Gerichte das Klagebegehren der Beklagten zu 2) als fernliegend erachtet haben. Vielmehr erfolgt eine inhaltliche Würdigung der technischen Lehren. Selbst wenn die Hinzuziehung von Sachverständigen in dänischen Patentverfahren dabei üblich ist und vorliegend nicht der besonderen Schwierigkeit des Falls geschuldet war, dürfte trotzdem nicht zu erkennen sein, dass die Entscheidung zuungunsten der Beklagten zu 2) für die Gerichte unmittelbar auf der Hand lag.
  113. Ferner ist der Verweis auf den Umfang von Schriftsätzen nicht geeignet, die offenbare Unbegründetheit einer Klage nachzuweisen. Denn insbesondere begründete Klagebegehren können gut zusammenfasst auf wenigen Seiten nachvollziehbar dargestellt werden. Es ist im Übrigen lediglich die Ansicht der Klägerin, dass das Vorbringen der Beklagten zu 2) im Rahmen der Vindikationsklage schon nicht schlüssig gewesen sei. Derlei Auffassung der dänischen Gerichte, etwa in Gestalt entsprechender Hinweise, ist nicht dokumentiert worden.
  114. Die Beklagte zu 2) hatte auch keinen Anhalt, von der angestrengten Vorgehensweise abzusehen. Hierzu behauptet die Klägerin zwar, der Beklagten zu 2) angeboten zu haben, auf die Geltendmachung jeglicher Rechte während der Dauer des Vindiaktionsverfahrens zu verzichten. Einen Beleg hierfür gibt es jedoch nicht. Derlei folgt nämlich nicht aus dem als Anlage HL 17 vorgelegten Schreiben der Klägerin, weil darin nur die Rede davon ist, dass die Klägerin das Klagepatent während der Dauer der Vindikationsklage weder fallenlassen noch zurückziehen werde. Dass sie von einem Vorgehen gegen Dritte absehen wolle, ergibt sich daraus nicht.
  115. Der Verweis der Klägerin auf die seitens der Beklagten zu 2) im Vindiaktionsverfahren geltend gemachte unzulässige Erweiterung führt ebenso wenig zur Sittenwidrigkeit. Es war vielmehr ein berechtigtes Argument gegen das ursprünglich erteilte Klagepatent, wenn man die aktuelle Einspruchsentscheidung betrachtet. Dies gilt unabhängig davon, ob die dänischen Gerichte über diesen Einwand hätten entscheiden dürfen. Denn jedenfalls belegt er keine positive Kenntnis der Beklagte zu 2) über die materielle Unrichtigkeit ihres Vindiaktionsbegehrens.
  116. Andere Argumente zur Art und Weise der Prozessdurchführung, aus denen sich die Sittenwidrigkeit des Vorgehens ergeben könnte, liefert die Klägerin tatsächlich nicht. Sie führt hier wiederum nur die Erhebung der Vindikationsklage überhaupt an. Verzögerungstaktiken und überlange Verfahrensdauern sind schon nicht ersichtlich und demnach auch nicht von der Beklagten zu 2) provoziert worden.
  117. b.
    Zur Überzeugung der Kammer steht ebenso wenig fest, dass die Beklagte zu 2) bei Erhebung der Vindikationsklage mit Schädigungsvorsatz zulasten der Klägerin agiert hat.
  118. Die Klägerin vermag den erforderlichen Schädigungsvorsatz nicht mit einem Verweis auf ihr eigenes Schreiben an die Beklagte zu 2) zu begründen, worin sie dieser mitgeteilt habe, dass die aufgrund der erhobenen Vindikationsklage ausgesetzte Patenterteilung u.a. schikanös sei (vgl. Anlage HL 17) und worauf die Beklagte zu 2) ablehnend mit Schreiben vom 24.01.2017 (Anlage HL 18) reagiert hat. Dies betrifft erst einen Zeitpunkt, nachdem die Klage erhoben wurde und kann damit keinen Schädigungsvorsatz zu diesem Zeitpunkt begründen. Zudem handelt es sich um eine Rechtsauffassung der Klägerin, der es immanent sein, gegenläufig zu derjenigen der Beklagten zu 2) zu sein. Die den Schädigungsvorsatz begründenden Umstände müssten vielmehr bereits bei Klageeinreichung vorgelegen haben. In diesem Zeitpunkt muss die Beklagte zu 2) gewusst haben, dass sie durch ihre Handlung einen Schaden herbeiführt.
  119. Das Schreiben an das EPA zur Aussetzung des Erteilungsverfahrens weist ebenso wenig einen Schädigungsvorsatz nach. Es handelt sich um ein paralleles Vorgehen, das nach der Erhebung einer Vindikationsklage konsequent ist. Dies führt auch nicht dann zu einem gezielten Schädigungsvorsatz, wenn der Beklagten zu 2) bewusst war, dass Vindikationsklage zur Aussetzung des Erteilungsverfahrens führen würde. Die Klägerin hat keine Umstände aufgezeigt, dass die Beklagte zu 2) mit dieser Vorgehensweise etwas anderes bezweckt außer ihre eigenen vermeintlich berechtigten Interessen in angemessener Weise zu schützen. Das mag die zwingende Konsequenz haben, dass der Klägerin nur ein Entschädigungsanspruch verbleibt. Dass die Beklagte zu 2) dies aber auch billigend in Kauf genommen hat, dürfte daraus nicht abzuleiten sein.
  120. Ebenso wenig ist die Berufungseinlegung gegen das erstinstanzliche Urteil ein hinreichender Anknüpfungspunkt, um einen Schädigungsvorsatz der Beklagten zu 2 gegenüber der Klägerin zu begründen. Unbeschadet dessen, dass diese Prozesshandlung später als die Vindikationsklage erfolgt ist und damit für diesen Zeitpunkt keinen Schädigungsvorsatz mehr begründen kann, sondern allenfalls als neue schädigende Handlung gesehen werden könnte, handelt es sich lediglich um die Ausübung einer der Beklagten zu 2) zustehenden rechtlichen Verteidigungsmöglichkeit.
  121. VII.
    Die Klage hat auch mit dem zulässigen Hilfsantrag keinen Erfolg. Der Klägerin stehen die geltend gemachten Ansprüche aus der ursprünglichen, nicht durch das EPA eingeschränkten Fassung des Klagepatentanspruchs 1 ebenso wenig zu.
  122. 1.
    Ausgehend von dem in der Klagepatentschrift dargestellten Stand der Technik und der sich daraus ergebenden Aufgabe, für die zur Vermeidung von Wiederholungen auf die Ausführungen zum Hauptantrag verwiesen wird, hat das Klagepatent als Lösung ursprünglich eine Katheteranordnung mit den Merkmalen des Klagepatentanspruchs 1 in der erteilten Fassung vorgesehen, die wie folgt gegliedert werden können:
  123. 1.1 Verwendungsbereite hydrophile Katheteranordnung mit:
    1.2 einer gasundurchlässigen Verpackung, die einen abgedichteten Hohlraum aufweist,
    1.3 einem hydrophil beschichteten Katheter, der ein Rohr und eine hydrophile Oberflächenbeschichtung aufweist, die zumindest an einem Teil desselben angehaftet ist;
    1.4 einer Menge von Flüssigkeit, die innerhalb des abgedichteten Hohlraums angeordnet ist;
    1.5 eine flexible, faltbare Hülse, die das Rohr umgibt, um das Greifen des Rohres oder Schafts durch die Hülse zu ermöglichen.
  124. 2.
    Der Unterschied der ursprünglichen Anspruchsfassung gegenüber der im Hauptantrag eingeschränkt aufrechterhaltenen Variante liegt insbesondere darin, dass nunmehr die Dampfhydration Eingang in das Merkmal 1.1 gefunden hat und der Anspruch um Merkmal 1.6, der gleichfalls auf die Dampfhydration Bezug nimmt, ergänzt worden ist. Bei diesen Ergänzungen handelt es sich sowohl nach Ansicht des EPA als auch nach dem eigenen Verständnis der Klägerin um Klarstellungen, die das ursprüngliche Verständnis des Anspruchs nicht abgeändert haben. Dies kommt auch in der Klagepatentbeschreibung zum Ausdruck, welche – ohne dass die Dampfhydration schon beansprucht gewesen wäre – von Anfang an die Art der Hydration, nämlich Wasserdampf, zur Bereitstellung der Verwendungsbereitschaft der Katheteranordnung in den Blick genommen hat, sodass insofern nach der Entscheidung des EPA keiner Anpassungen notwendig waren. Hinsichtlich der Auslegung sowie der fehlenden Verletzung des Klagepatentanspruchs durch die angegriffenen Ausführungsformen kann zur Vermeidung von Wiederholungen daher vollständig auf die Ausführungen zum Hauptantrag verwiesen werden.
  125. VIII.
    Der nicht nachgelassene und deshalb gem. § 296a ZPO als verspätet zurückzuweisende Schriftsatz der Klägerin vom 03.09.2021 gab keinen Anlass, die mündliche Verhandlung gem. § 156 ZPO wiederzueröffnen.
  126. B.
    Die prozessualen Nebenentscheidungen beruhen auf §§ 91 Abs. 1, 709 ZPO.
  127. Streitwert: 1.000.000,- Euro

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