Düsseldorfer Entscheidungen Nr. 3139
Landgericht Düsseldorf
Urteil vom 30. September 2021, Az. 4b O 131/18
- I. Die Beklagte wird verurteilt,
- 1. es bei Meidung eines vom Gericht für jeden Fall der Zuwiderhandlung festzusetzenden Ordnungsgeldes bis zu EUR 250.000,00, ersatzweise Ordnungshaft, oder einer Ordnungshaft bis zu sechs Monaten, im Wiederholungsfall bis zu insgesamt zwei Jahren, wobei die Ordnungshaft an ihrem Geschäftsführer zu vollziehen ist, zu unterlassen,
polygonartige Schiebeverpackung mit Dreh-Schub-Bewegung zum Öffnen und Schließen mit veränderbarer Länge, bestehend aus zwei durch Ineinanderschieben miteinander verbindbaren Hohlkörpern, mit einer Rastvorrichtung, die aus mindestens einer am einen Hohlkörper vorgesehenen ersten Zahnreihe mit mindestens einem Rastzahn und mit mindestens einer am anderen Hohlkörper angeordneten, der ersten Zahnreihe zugeordneten zweiten Zahnreihe mit mindestens einem Rastzahn besteht, welche beim Ineinanderschieben der Hohlkörper mit ihren zugeordneten, kontaktierenden Zahnflanken der Rastzähne ineinander greifen und miteinander verrasten, wobei zur Trennung der beiden Hohlkörper, die kontaktierenden Zahnreihen durch Verdrehen der beiden Hohlkörper zueinander um deren Längsachse außer Eingriff gebracht werden können, wobei an dem einen Hohlkörper in Umfangsrichtung im Abstand zur mindestens einen Rastbahn mindestens eine Gleitbahn angeordnet ist, in welche die mindestens eine Rastbahn oder der mindestens eine Rastzahn des gegenüberliegenden Hohlkörpers in Eingriff bringbar ist und dort in Verschiebungsrichtung verschiebbar ist, wobei an dem äußeren Hohlkörper mehrere hintereinander liegende Zähne, die eine Zahnreihe bilden, an allen oder einigen Ecken, vorhanden sind,
- in der Bundesrepublik Deutschland anzubieten, in den Verkehr zu bringen oder zu gebrauchen oder zu den genannten Zwecken einzuführen oder zu besitzen,
- bei denen ein für die kraftfreie Verdrehung zwischen den beiden Hohlkörpern vorhandener radialer Freiraum zwischen der Außenseite des inneren Hohlkörpers und der Innenseite des äußeren Hohlkörpers bedingt durch eine abweichende Profilform von Innen- und Außenhülse vorhanden ist, (DE 10 2012 011 XXX B4 – Anspruch 1);
- 2. der Klägerin darüber Auskunft zu erteilen, in welchem Umfang sie die zu Ziffer 1. bezeichneten Handlungen seit dem 26.11.2015 begangen hat, und zwar unter Angabe
- a) der Namen und Anschriften der Hersteller, Lieferanten und anderer Vorbesitzer,
- b) der Namen und Anschriften der gewerblichen Abnehmer sowie der Verkaufsstellen, für welche die Erzeugnisse bestimmt waren,
- c) der Menge der ausgelieferten, erhaltenen oder bestellten Erzeugnisse sowie der Preise, die für die betreffenden Erzeugnisse bezahlt wurden,
- wobei zum Nachweis der Angaben die entsprechenden Einkaufs- und Verkaufsbelege (Rechnungen hilfsweise Lieferscheine) in Kopie vorzulegen sind, und
- wobei der Beklagten gestattet wird, geheimhaltungsbedürftige Details außerhalb auskunftspflichtiger Daten zu schwärzen;
- 3. der Klägerin Rechnung darüber zu legen, in welchem Umfang sie die vorstehend zu Ziffer 1. bezeichneten Handlungen seit dem 26.12.2015 begangen hat, und zwar durch Vorlage einer einheitlichen und geordneten, nach Kalenderjahren aufgeschlüsselten Aufstellung, die Angaben zu enthalten hat über
- a) die einzelnen Lieferungen, aufgeschlüsselt nach Liefermengen, -zeiten und -preisen (und ggf. Typenbezeichnungen), Artikel-Nummern sowie den Namen und Anschriften der gewerblichen Abnehmer,
- b) die einzelnen Angebote, aufgeschlüsselt nach Angebotsmengen, -zeiten, und -preisen (und ggf. Typenbezeichnungen), Artikel-Nummern sowie den Namen und Anschriften der Angebotsempfänger,
- c) die betriebenen Werbung, aufgeschlüsselt nach Werbeträgern, deren Auflagenhöhe, Verbreitungszeitraum und Verbreitungsgebiet,
- d) die nach den einzelnen Kostenfaktoren aufgeschlüsselten Gestehungskosten und den erzielten Gewinn,
- wobei der Beklagten vorbehalten bleibt, die Namen und Anschriften der Angebotsempfänger statt der Klägerin einem von der Klägerin zu bezeichnenden, ihr gegenüber zur Verschwiegenheit verpflichteten, in der Bundesrepublik Deutschland ansässigen, vereidigten Wirtschaftsprüfer mitzuteilen, sofern die Beklagte dessen Kosten trägt und ihn ermächtigt und verpflichtet, der Klägerin auf konkrete Anfrage mitzuteilen, ob ein bestimmter Angebotsempfänger in der Aufstellung enthalten ist;
- 4. die in ihrem unmittelbaren oder mittelbaren Besitz oder Eigentum befindlichen Erzeugnisse entsprechend vorstehender Ziffer 1. zu vernichten oder nach ihrer, der Beklagten, Wahl an einen von der Klägerin zu benennenden Gerichtsvollzieher zum Zwecke der Vernichtung auf Kosten der Beklagten herauszugeben;
- 5. die unter Ziffer 1. bezeichneten, seit dem 26.12.2015 in Verkehr gebrachten Erzeugnisse gegenüber gewerblichen Abnehmern unter Hinweis auf den gerichtlich festgestellten patentverletzenden Zustand der Sache und mit der verbindlichen Zusage zurückzurufen, etwaige Entgelte zu erstatten sowie notwendige Verpackungs- und Transportkosten sowie mit der Rückgabe verbundene Zoll- und Lagerkosten zu übernehmen und die erfolgreich zurückgerufenen Erzeugnisse wieder an sich zu nehmen;
- 6. an die Klägerin EUR 10.954,20 nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 04.01.2019 zu zahlen.
- II. Es wird festgestellt, dass die Beklagte verpflichtet ist, der Klägerin allen Schaden zu ersetzen, der dieser durch die unter Ziffer I. 1. bezeichneten, seit dem 26.12.2015 begangenen Handlungen entstanden ist und noch entstehen wird.
- III. Auf die Widerklage wird die Klägerin verurteilt, an die Beklagte EUR 9.563,80 nebst Zinsen in Höhe von 5 % Punkten über dem Basiszinssatz seit dem 17.06.2018 zu zahlen.
- IV. Die Beklagte trägt die Kosten des Rechtsstreits.
- V. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar; für die Beklagte gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des jeweils zu vollstreckenden Betrages und für die Klägerin gegen Sicherheitsleistung in Höhe von EUR 500.000,00, wobei Teilsicherheiten wie folgt festgesetzt werden:
- für Ziffer I. 1., 4. und 5. des Tenors: XXX.000,00 EUR
- für Ziffer I. 2. und 3. des Tenors: 100.000,00 EUR
- für Ziffer I. 6. und IV. des Tenors: 110% des jeweils zu vollstreckenden Betrages.
- T a t b e s t a n d
- Die Klägerin macht als im Patentregister eingetragene Inhaberin (vgl. Auszug des Patentregisters vom 15.11.2018, Anlage LSG 3) gestützt auf eine Verletzung des Deutschen Patents 10 2012 011 XXX B4 (im Folgenden: Klagepatent) gegen die Beklagte Ansprüche auf Unterlassung, Auskunftserteilung und Rechnungslegung, Vernichtung und Rückruf sowie auf Feststellung einer Schadensersatzpflicht und auf Erstattung von Abmahnkosten geltend. Die Beklagte macht im Wege der Widerklage gegen die Klägerin einen Anspruch auf Erstattung ihr vorgerichtlich entstandener Rechtsanwaltskosten geltend.
- Die Anmeldung des Klagepatents vom 13.06.2012 wurde am 19.12.2013 offengelegt, der Hinweis auf die Erteilung des Klagepatents am 26.11.2015 veröffentlicht. Das Klagepatent hat eine polygonartige Schiebeverpackung mit Dreh-Schub-Bewegung zum Öffnen und Verschließen zum Gegenstand. Der hier maßgeblich interessierende Anspruch 1 lautet in der erteilten Fassung wie folgt:
- „Polygonartige Schiebeverpackung mit Dreh-Schub-Bewegung zum Öffnen und Schließen mit veränderbarer Länge, bestehend aus zwei durch Ineinanderschieben miteinander verbindbaren Hohlkörpern (2; 3), mit einer Rastvorrichtung, die aus mindestens einer am Hohlkörper (2; 3) vorgesehenen ersten Zahnreihen (6, 7) mit mindestens einem Rastzahn (5) und mit mindestens einer am anderen Hohlkörper (2; 3) angeordneten, der ersten Zahnreihe (6, 7) zugeordneten zweiten Zahnreihe (9-12) mit mindestens einem Rastzahn (8) besteht, welche beim Ineinanderschieben der Hohlkörper (2; 3) mit ihren zugeordneten, kontaktierenden Zahnflanken der Rastzähne (5, 8) ineinander greifen und miteinander verrasten, wobei zur Trennung der beiden Hohlkörper (2, 3), die kontaktierenden Zahnreihen (6, 7; 9-12) durch Verdrehen der beiden Hohlkörper zueinander um deren Längsachsen außer Eingriff gebracht werden können, wobei an dem einen Hohlkörper (2, 3) in Umfangsrichtung im Abstand zur mindestens einen Rastbahn (13-2, 13-3) mindestens eine Gleitbahn (14-2, 15-2) angeordnet ist, in welche die mindestens eine Rastbahn oder der mindestens eine Rastzahn des gegenüberliegenden Hohlkörpers (3, 2) in Eingriff bringbar ist und dort in Verschiebungsrichtung verschiebbar ist, wobei an dem äußeren Hohlkörper (2) mehrere hintereinander liegende Zähne (2), die eine Zahnreihe bilden, vorhanden sind, dadurch gekennzeichnet, dass ein radialer Freiraum (23) zwischen der Außenseite des inneren Hohlkörpers (3) und der Innenseite des äußeren Hohlkörpers (2) bedingt durch eine abweichende Profilform von Innen- und Außenhülse vorhanden ist.“
- Wegen der Unteransprüche wird auf das Klagepatent Bezug genommen.
- Zur Verdeutlichung der geschützten Lehre wird nachfolgend Figur 1 (verkleinert) wiedergegeben, die eine erfindungsgemäße Ausführungsform perspektivisch zeigt:
- Es ist ein Verpackungsbehälter 1 bestehend aus einer Außenhülse 2 und einer Innenhülse 3 dargestellt. An der Innenhülse 3 befinden sich Rastzähne 5, die im Bereich von mehreren eckenseitig angeordneten Zahnreihen 6 angeordnet sind. An der Außenhülse befinden sich Rastzähne 8, die eckenseitige Zahnreihen 9, 10, 11 und 12 bilden. Im radialen Abstand neben der Zahnreihe 9 sind Gleitbahnen 14-2 und 15-2 angeordnet.
- Mit Urteil des Bundespatentgerichts (im Folgenden: BPatG; das genannte Urteil wird nachfolgend auch mit BPatG-U abgekürzt) vom 15.03.2021, Az.: 4 Ni 26/18, in dem gegen das Klagepatent eingeleiteten Nichtigkeitsverfahren erhielt Klagepatentanspruch 1 die folgende neue Fassung (Änderungen gegenüber der erteilten Fassung sind unterstrichen), auf die sich nunmehr auch die Klägerin im Rahmen des hiesigen Verletzungsverfahrens stützt:
- „Polygonartige Schiebeverpackung mit Dreh-Schub-Bewegung zum Öffnen und Schließen mit veränderbarer Länge, bestehend aus zwei durch Ineinanderschieben miteinander verbindbaren Hohlkörpern (2; 3), mit einer Rastvorrichtung, die aus mindestens einer am einen Hohlkörper (2; 3) vorgesehenen ersten Zahnreihen (6, 7) mit mindestens einem Rastzahn (5) und mit mindestens einer am anderen Hohlkörper (2; 3) angeordneten, der ersten Zahnreihe (6, 7) zugeordneten zweiten Zahnreihe (9-12) mit mindestens einem Rastzahn (8) besteht, welche beim Ineinanderschieben der Hohlkörper (2; 3) mit ihren zugeordneten, kontaktierenden Zahnflanken der Rastzähne (5, 8) ineinander greifen und miteinander verrasten, wobei zur Trennung der beiden Hohlkörper (2, 3), die kontaktierenden Zahnreihen (6, 7; 9-12) durch Verdrehen der beiden Hohlkörper zueinander um deren Längsachsen außer Eingriff gebracht werden können, wobei an dem einen Hohlkörper (2, 3) in Umfangsrichtung im Abstand zur mindestens einen Rastbahn (13-2, 13-3) mindestens eine Gleitbahn (14-2, 15-2) angeordnet ist, in welche die mindestens eine Rastbahn oder der mindestens eine Rastzahn des gegenüberliegenden Hohlkörpers (3, 2) in Eingriff bringbar ist und dort in Verschiebungsrichtung verschiebbar ist, wobei an dem äußeren Hohlkörper (2) mehrere hintereinander liegende Zähne (2), die eine Zahnreihe bilden, an allen oder einigen Ecken vorhanden sind, dadurch gekennzeichnet, dass ein für die kraftfreie Verdrehung zwischen den beiden Hohlkörpern (2, 3) vorhandener radialer Freiraum (23) zwischen der Außenseite des inneren Hohlkörpers (3) und der Innenseite des äußeren Hohlkörpers (2) bedingt durch eine abweichende Profilform von Innen- und Außenhülse vorhanden ist.“
- Wegen der abgeänderten Patentansprüche 2 – 5 wird auf das Urteil des BPatG (Anlage LSG12, S. 3) Bezug genommen.
- Mit Schriftsatz vom 12.07.2021 (Anlage B17) legte die hiesige Beklagte Berufung gegen das Urteil des BPatG ein, über die noch nicht entschieden worden ist. Das Klagepatent steht in Kraft.
- Die in Deutschland ansässige Beklagte gehört zum A Konzern, der im Bereich der Herstellung von technischen Kunststoffteilen aus verschiedenen Kunststoffmaterialien für unterschiedlichste industrielle Anwendungsbereiche auf dem Markt agiert. Die Beklagte ist für den Vertrieb in Europa zuständig und unterhält zu diesem Zweck ein eigenes Vertriebslager in Deutschland. Die Produktion der Ware erfolgt in Fertigungsstätten in Israel und in Vietnam.
- Die Beklagte vertreibt unter der Bezeichnung „B“ polygonartige Schiebeverpackungen (im Folgenden: angegriffene Ausführungsform), wobei sich die Schiebeverpackungen dieser Produktfamilie hinsichtlich ihrer Größe unterscheiden (vgl. zu den unterschiedlichen Maßen auch der als Anlage LSG5 vorgelegte Produktkatalog, dort S. 6, Tabelle oben).
- Die Beklagte bewirbt die angegriffene Ausführungsform unter anderem auf ihrer Internetseite unter der Adresse www.Aplastic.com, und stellte diese auf der Messe „C“ vom 23. bis 27. September 2017 in Hannover vor.
- Die angegriffene Ausführungsform besteht aus zwei ineinander schiebbaren Hohlkörpern. In dem zusammengeschobenen Zustand können die Hohlkörper über an diesen befindliche Zahnreihen in einen verrasteten Zustand verbracht werden. Aus diesem können sie durch Verdrehen der Körper gegeneinander so voneinander gelöst werden, dass der eine Hohlkörper in dem anderen Hohlkörper verschiebbar ist, so dass die Länge der angegriffenen Schiebeverpackung veränderbar ist. Ob die beiden Hohlkörper der angegriffenen Ausführungsform darüber hinaus auch in dem verrasteten Zustand ineinandergeschoben werden können, ist zwischen den Parteien streitig.
- Zur Verdeutlichung der Ausgestaltung der angegriffenen Ausführungsform werden nachfolgend Abbildungen (insbesondere Produkttyp: „D“) wiedergegeben. Abbildung 1 zeigt die beiden Hohlkörper in getrenntem, die Abbildungen 2 – 4 zeigen sie in eingeschobenem Zustand, wobei die Hohlkörper bei den Abbildungen 2 und 3 miteinander verrastet und bei der Abbildung 4 voneinander gelöst sind:
- Der äußere Hohlkörper ist mit einer radial nach innen auskragenden Erhebung (in der nachfolgenden Abbildung, entnommen Anlage B16, Fig. 1a, mit dem Bezugszeichen 10 markiert) und der innere Hohlkörper ist mit einer radial nach außen kragenden Erhebung (in der nachfolgenden Abbildung mit dem Bezugszeichen 20 markiert) ausgestattet:
- .
- Mit Schreiben vom 26.04.2018 mahnte die Klägerin die Beklagte zunächst gestützt auf das (im Anschluss an das Schreiben) beschränkte europäische Patent 2 848 XXX B1 (im Folgenden: EP‘XXX) ab. Auf das als Anlage B6 vorgelegte Schreiben wird verwiesen. Hiergegen wehrte sich die Beklagte ihrerseits mit rechts- und patentanwaltlichem Schreiben vom 15.05.2018 (Anlage B7; deutsche Übersetzung: Anlage B8), auf dessen Inhalt ebenfalls Bezug genommen wird.
- Mit anwaltlichem Schreiben vom 22.06.2018 mahnte die Klägerin die Beklagte auf der Grundlage des Klagepatents ab und forderte diese zur Abgabe einer Unterlassungserklärung auf. Neben der angegriffenen Ausführungsform bezog sich die Klägerin zur Begründung ihres Begehrens auch auf die Produktfamilie „B“ der Beklagten. Wegen des genauen Inhalts des Schreibens, vorgelegt als Anlage LSG9, wird auf dieses verwiesen.
- Die Klägerin ist der Ansicht, die angegriffene Ausführungsform verletze das Klagepatent unmittelbar wortsinngemäß.
- Die Zahnreihen an dem äußeren und inneren Hohlkörper der angegriffenen Ausführungsform würden in klagepatentgemäßer Art und Weise „beim Ineinanderschieben“ der Hohlkörper mit ihren zugeordneten, kontaktierenden Zahnflanken der Rastzähne ineinander greifen und miteinander verrasten. Insoweit sei zu berücksichtigen, dass die geschützte Lehre in diesem Zusammenhang schon nicht verlange, dass ein Ineinanderschieben der Hohlkörper bei einer bestehenden Verrastung möglich sei.
- Aber auch bei einem Verständnis, wonach die Hohlkörper ohne Verdrehung in der Raststellung ineinanderschiebbar sein müssen, unterfalle die angegriffene Ausführungsform dem Schutzbereich des Klagepatents. Denn es sei möglich, die in Raststellung befindlichen Hohlkörper in Axialrichtung zueinander zu verschieben, wobei die Länge der ineinandergeschobenen Hohlkörper entsprechend der Zahnteilung der beiden Zahnreihen variierbar sei.
- Bei den Flächen der Innenecken im Öffnungsbereich des äußeren Hohlkörpers (nachfolgend wiedergegeben anhand der Figuren 2 und 4b der Anlage LSG6; der von der Klägerin als Gleitbahn in Bezug genommene Bereich ist jeweils durch die grüne Umrandung und die Bezugsziffer 14-2 markiert),
- handele es sich zudem um Gleitbahnen im Sinne des Klagepatents. Nach dem Verständnis des Klagepatents erfordere die Gleitbahn keine bestimmte Mindestlänge. Auch sei nicht erforderlich, dass der oder die Rastzähne gleichzeitig oder überhaupt mit der Gleitbahn in Eingriff stünden. Ausreichend sei, wenn dies auf einen einzigen Rastzahn zutreffe. Schließlich verlange die geschützte Lehre auch nicht, dass die Rastzähne mit ihrem vollen Umfang der Gleitbahn gegenüber liegen würden.
- Die an dem äußeren Hohlkörper befindlichen Zahnreihen seien auch im klagepatentgemäßen Sinne an „Ecken“ des äußeren Hohlkörpers angeordnet. Hierfür sei ausreichend, dass die Zähne an den Ecken der polygonartigen Struktur des äußeren Hohlkörpers ansetzen und dort verlaufen würden.
- Die angegriffene Ausführungsform verfüge weiter über einen radialen Freiraum, der – wie von der geschützten Lehre vorgegeben – der kraftfreien Verdrehung zwischen den beiden Hohlkörpern diene. Bei der angegriffenen Ausführungsform liege keine elastische Verformung der Wandung der Außenhülse, wie sie das Klagepatent vermeiden wolle, vor.
- Die Eignung des radialen Freiraums zur kraftfreien Verdrehung zwischen den beiden Hohlkörpern definiere de facto einen Verdrehungszustand, in dem die beiden Hohlkörper den radialen Freiraum nutzen, um aus einer Raststellung heraus eine Lösestellung einzunehmen, in der keine elastische Verformung von Hülsenwände – im Sinne von deren Grundform – stattfinde. Das Klagepatent lasse hingegen zu, dass sich die beiden Hohlköper beim Vorgang des gegenseitigen Verdrehens deformieren. Das Klagepatent selbst zeige Ausgestaltungen, bei denen es zu einer Verformung der Außenhülse beim Übergang von der Löse- in die Raststellung komme.
- Nachdem die Klägerin die Anträge, soweit sie die Benutzungshandlung des Herstellens erfassten, mit Zustimmung der Beklagten zurückgenommen hat, beantragt sie mit der am 03.01.2019 zugestellten Klage nunmehr noch,
- zu erkennen wie geschehen.
- Wegen des weitergehenden „Insbesondere-Antrags“ wird auf den Schriftsatz vom 27.04.2021 (Bl. 232 GA) verwiesen.
- Die Beklagte beantragt,
- die Klage abzuweisen;
- hilfsweise,
den Rechtsstreit bis zur rechtskräftigen Erledigung der beim Bundespatentgericht gegen das Klagepatent DE 10 2012 011 XXX B4 erhobenen Nichtigkeitsklage – Az.: 4 Ni 26/18 – auszusetzen. - Die Beklagte macht zudem im Rahmen einer Widerklage einen Anspruch auf Erstattung der ihr durch die Verteidigung gegen das Abmahnschreiben vom 26.04.2018 (Anlage B6), in welchem die Klägerin eine Verletzung des EP‘XXX geltend machte, entstandenen Patent- und Rechtsanwaltskosten geltend.
- Die Beklagte beantragt widerklagend,
- zu erkennen wie geschehen.
- Die Klägerin beantragt – die örtliche Zuständigkeit rügend –,
- die Widerklage abzuweisen.
- Die Beklagte ist der Ansicht, die angegriffene Ausführungsform verletze das Klagepatent nicht.
- Insbesondere fehle es bei der angegriffenen Ausführungsform an einem klagepatentgemäßen Ineinandergreifen und Verrasten der Zahnreihen von äußerem und innerem Hohlkörper. Denn dies erfordere, dass die Rastzähne der Hohlkörper während des Ineinanderschiebens derselben ineinandergreifen und verrasten, es müsse mithin ein Ineinanderschieben während des Rastzustands ohne Verdrehen möglich sein. Vor diesem Hintergrund behauptet die Beklagte, dies sei bei der angegriffenen Ausführungsform nicht der Fall. Bei dieser solle ein Ineinanderschieben im Rastzustand im bestimmungsgemäßen Gebrauch gerade vermieden werden. Die beiden Hohlkörper würden sich im verrasteten Zustand lediglich unter erheblichem Kraftaufwand ineinander schieben lassen und würden automatisch in den gelösten Zustand springen.
- Auch fehle es der angegriffenen Ausführungsform an einer klagepatentgemäßen Gleitbahn, welche sich – anders als bei der angegriffenen Ausführungsform – zumindest im Wesentlichen vollständig über die Länge des entsprechenden Hohlkörpers erstrecken müsse und mit der die Rastbahn bzw. der Rastzahn in Eingriff bringbar sein müsse. Bei der Gleitbahn handele es sich um den Teil, in dem sich die Rastbahn bzw. der Rastzahn des anderen Körpers in der Gleit- bzw. Lösestellung vollständig befinde.
- Als Gleitbahn der angegriffenen Ausführungsform könne deshalb überhaupt nur der Teil des äußeren Hohlkörpers erachtet werden (nachfolgend wiedergegeben anhand der Abbildungen in dem Klageerwiderungsschriftsatz vom 11.07.2019, S. 19, Bl. 63 GA; der von der Beklagten als Gleitbahn in Bezug genommene Teil ist mit einer grünen Umrandung versehen),
- .
- der der Rastbahn des inneren Hohlkörpers in der Lösestellung gegenüberliegen würde. Dieser Bereich aber habe einen erheblichen Überlapp mit der Rastbahn (am äußeren Hohlkörper), weshalb es an einem „Abstand in Umfangsrichtung zur mindestens einen Rastbahn“ fehle. Auch erstrecke sich dieser Bereich nicht über einen wesentlichen Teil des Hohlkörpers.
- Auch sei die Zahnreihe an dem äußeren Hohlkörper nicht im klagepatentgemäßen Sinne an dessen Ecken angeordnet. In diesem Zusammenhang behauptet die Beklagte, bei der angegriffenen Ausführungsform werde die Verrastung fast ausschließlich dadurch herbeigeführt, dass die Rastzähne an der Wandung der Seitenfläche des äußeren Hohlkörpers anliegen. Die in den Ecken befindlichen Teile des äußeren Hohlkörpers könnten deshalb nicht als Teile der Rastzähne begriffen werden.
- Der angegriffenen Ausführungsform verfüge zudem über keinen radialen Freiraum, der der kraftfreien Verdrehung der beiden Hohlkörper diene.
- Denn dies bedeute, dass die beiden Hohlkörper auch beim Vorgang des gegenseitigen Verdrehens nicht deformiert werden dürften. Eine etwaige Verformung dürfe klagepatentgemäß lediglich bei einem eigens elastisch ausgestalteten Widerstand, nicht aber darüber hinaus auftreten.
- Bei der angegriffenen Ausführungsform komme es aber beim Übergang zwischen Rast- und Lösestellung zu einer Verformung der Hohlkörper insgesamt. Denn die Erhebungen 10 und 20 seien materialeinheitlich mit dem Hohlkörper ausgebildet und durch ihre Formgebung steif ausgestaltet. Sie würden mithin gerade keine zusätzlichen Verformungskanten, die selbst elastisch seien, darstellen.
- Darüber hinaus verhalte sich die Klägerin bei Berücksichtigung ihres Vorbringens in dem das Klagepatent betreffenden Nichtigkeitsverfahren treuwidrig, wenn sie sich im Rahmen des hiesigen Verfahrens auf eine Verwirklichung der geschützten Lehre durch die angegriffene Ausführungsform berufe.
- Das Gericht hat Beweis erhoben durch Inaugenscheinnahme der angegriffenen Ausführungsform. Wegen des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf das Protokoll zur Sitzung vom 15.07.2021 (Bl. 343 – Bl. 345 GA) verwiesen.
- E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e
- Klage und Widerklage haben Erfolg.
- A.
Die zulässige Klage ist begründet. - Aufgrund der festgestellten Verletzung des Klagepatents durch die angegriffene Ausführungsform (dazu unter Ziffer III.) stehen der Klägerin die geltend gemachten Ansprüche auf Unterlassen, Auskunftserteilung und Rechnungslegung, Rückruf und Vernichtung sowie Feststellung einer Schadensersatzpflicht dem Grunde nach sowie auf Aufwendungsersatz zu, §§ 139 Abs. 1, 2, 140a Abs. 1, Abs. 3 PatG, 140b Abs. 1, §§ 242, 259, 683 Satz 1, 677, 670 BGB (dazu unter Ziffer V.).
- Eine Aussetzung der Verhandlung gem. § 148 Abs. 1 ZPO ist nicht geboten (dazu unter Ziffer VI.).
- I.
Die dem Klagepatent zugrundeliegende Erfindung betrifft eine polygonartige Schiebeverpackung. - Das Klagepatent nimmt einleitend auf im Stand der Technik vorbekannte Schiebeverpackungen Bezug, bei denen zwei an je einer Stirnseite verschlossene und an der gegenüberliegenden Stirnseite offene Hohlkörper durch Ineinanderschieben miteinander verbindbar sind (Abs. [0002] des Klagepatents; Abschnitte ohne Bezeichnung sind nachfolgend solche des Klagepatents). Die beiden Hohlkörper, so das Klagepatent weiter, weisen zum Zwecke des Ineinanderschiebens eine Rastvorrichtung auf, die aus mindestens einer an dem einen Hohlkörper angeordneten mit mindestens einem Rastzahn versehenen ersten und mindestens einer an dem anderen Hohlkörper angeordneten zweiten, Zahnreihe mit ebenfalls mindestens einem Rastzahn besteht (Abs. [0002]). Beim Ineinanderschieben der Hohlkörper würden die einander zugeordneten Zahnreihen ineinander greifen, eine Trennung der Hohlkörper erfolge durch Verdrehen der beiden Hohlkörper zueinander um ihre Längsachsen (Abs. [0002]).
- In diesem Zusammenhang diskutiert das Klagepatent insbesondere die DE 44 06 XXX C2 (im Folgenden: DE‘XXX), die einen Verpackungsbehälter offenbare, bei dem eine Veränderbarkeit der Länge dadurch herbeigeführt werde, dass sich an den Ecken der Außenhülse Rastbahnen befinden würden, die mit einer Reihe von Rastzähnen ausgestattet seien, und dass ferner an der gegenüberliegenden Außenhülse ebenfalls eckenseitige, in Schieberichtung hintereinander liegende Rastzähne vorgesehen seien, die eine Rastbahn ausbilden würden (Abs. [0003]). Die eckenseitige Rastbahn der Innenhülse sei der eckenseitigen Rastbahn der Außenhülse zugeordnet (Abs. [0004]). Die beiden Teile seien durch einfaches Ineinanderschieben miteinander verrastbar, indem die Rastbahn der Innenhülse auf die Rastbahn der Außenhülse aufschiebbar sei (Abs. [0004]). Bereits die DE‘XXX beschreibe als nachteilig, dass die durch Schub oder Zug bewirkte Verrastungsbewegung relativ schwierig und nur mit hoher Schubkraft oder entgegengesetzt gerichteter Lösekraft bewerkstelligt werden könne (Abs. [0005]). Die näher bezeichnete Druckschrift offenbare deshalb zum Erreichen der Löse- und Verschiebestellung eine relative Verdrehbarkeit der Innen- und Außenhülse zueinander (Abs. [0005]). So sei in der Löse- und Verschiebestellung vorgesehen, dass die Rastbahn, z.B. der Innenhülse, außer Eingriff mit der eckenseitig angeordneten Rastbahn der Außenhülse gelange, die beiden Teile seien dann leicht gegeneinander verschiebbar und könnten auf jede beliebige Länge zueinander eingestellt werden (Abs. [0006]). Ein erneutes gegenseitiges Verdrehen der Hohlkörper zueinander könne dann deren Rastbahnen wieder in Eingriff miteinander bringen (Abs. [0006]).
- Das Klagepatent kritisiert an dem in Bezug genommenen Stand der Technik, dass der Übergang von der Raststellung in die Lösestellung eine radial nach außen gerichtete Verformung der Wandung der Außenhülse voraussetze, um einen Freiraum für die an der Innenseite der Außenhülse entlang verschobene Rastbahn der Innenhülse zu ermöglichen (Abs. [0007]). Diese erfordere – was das Klagepatent als nachteilig ansieht – zum einen eine hohe Drehkraft (Abs. [0007]), und beschränke den vorbekannten Mechanismus zum anderen auf Verpackungsmaterialien mit einer hohen Verformungsfähigkeit (Abs. [0XXX]).
- Die dargestellte Kritik übt das Klagepatent weiter auch an der WO 94/24 XXX A1 (Abs. [0009]).
- Vor diesem Hintergrund nimmt es sich das Klagepatent zur Aufgabe (technisches Problem), eine polygonartige Schiebeverpackung der vorbekannten Art zu schaffen, die eine sichere Arretierung von Außen- und Innenhülse ermöglicht und zudem eine möglichst geringe Verschiebekraft zwischen Raststellung und Lösestellung auch bei weniger elastischem Material der Außenhülsen erfordert (Abs. [0010]).
- Diese Aufgabe wird klagepatentgemäß durch eine Vorrichtung nach Anspruch 1 mit den folgenden Merkmalen gelöst (die gegenüber der erteilten Fassung im Rahmen des Nichtigkeitsverfahrens ergänzten Merkmale sind unterstrichen):
- 1. Polygonartige Schiebeverpackung mit Drehschubbewegung zum Öffnen und Schließen mit veränderbarer Länge, bestehend aus:
- 1.1 zwei durch Ineinanderschieben miteinander verbindbaren Hohlkörpern (2, 3) mit einer Rastvorrichtung, die
- 1.1.1 aus mindestens einer am anderen Hohlkörper (2; 3) vorgesehenen ersten Zahnreihe (6, 7) mit mindestens einem Rastzahn (5) und
- 1.1.2 mit mindestens einer am anderen Hohlkörper (2; 3) angeordneten, der ersten Zahnreihe (6, 7) zugeordneten zweiten Zahnreihe (9-12) mit mindestens einem Rastzahn (8) besteht,
- 1.1.3 welche beim Ineinanderschieben der Hohlkörper (2; 3) mit ihren zugeordneten, kontaktierenden Zahnflanken der Rastzähne (5, 8) ineinander greifen und miteinander verrasten,
- 1.2. wobei zur Trennung der beiden Hohlkörper (2, 3) die kontaktierenden Zahnreihen (6, 7; 9-12) durch Verdrehen der beiden Hohlkörper (2; 3) zueinander um deren Längsachsen außer Eingriff gebracht werden können,
- 1.3 wobei an dem einen Hohlkörper (2, 3) in Umfangsrichtung im Abstand zur mindestens einen Rastbahn (13-2, 13-3) mindestens eine Gleitbahn (14-2, 15-2) angeordnet ist, in welche die mindestens eine Rastbahn oder der mindestens eine Rastzahn des gegenüberliegenden Hohlkörpers (3, 2) in Eingriff bringbar ist und dort in Verschiebungsrichtung verschiebbar ist,
- 1.4 wobei an dem äußeren Hohlkörper (2) mehrere hintereinander liegende Zähne, die eine Zahnreihe (9 – 12) bilden, an allen oder einigen Ecken, vorhanden sind,
- dadurch gekennzeichnet, dass
- 1.5 ein für die kraftfreie Verdrehung zwischen den beiden Hohlkörpern (2, 3) vorhandener radialer Freiraum (23) zwischen der Außenseite des inneren Hohlkörpers (3) und der Innenseite des äußeren Hohlkörpers (2) bedingt durch eine abweichende Profilform von Innen- und Außenhülse vorhanden ist.
- II.
Im Hinblick auf den Streit der Parteien bedürfen die Merkmale 1.1.3, 1.3, 1.4 und 1.5 einer Auslegung. Die übrigen Merkmale sind zwischen den Parteien zu Recht unstreitig, weshalb weitere Ausführungen zu diesen unterbleiben. - Grundlage dafür, was durch ein europäisches Patent geschützt ist, ist gem. Art. 69 EPÜ der Inhalt der Patentansprüche in der maßgeblichen Verfahrenssprache (Art. 70 Abs. 1 EPÜ), wobei die Beschreibung und die Zeichnungen zur Auslegung der Patentansprüche heranzuziehen sind (BGH, NJW-RR 2000, 259 (260) – Spannschraube). Für die Auslegung entscheidend ist die Sicht des in dem jeweiligen Fachgebiet tätigen Fachmanns, bei dem es sich vorliegend nach den von den Parteien unangegriffenen Ausführungen des BPatG im Urteil vom 15.03.2021 um einen Ingenieur der Fachrichtung Kunststofftechnik mit Fachhochschulstudium (Abschluss als Dipl.-Ing. (FH) oder Master) und mit mehrjähriger Erfahrung auf dem Gebiet der Konstruktion und Entwicklung von Kunststoffverpackungen (vgl. BPATG-U, Anlage LSG12, S. 18, 1. Abs. unter Ziff. 3.) handelt. Begriffe in den Patentansprüchen und in der Patentbeschreibung sind deshalb so zu deuten, wie sie der angesprochene Durchschnittsfachmann nach dem Gesamtinhalt der Patentschrift unter Berücksichtigung von Aufgabe und Lösung der Erfindung versteht (BGH, ebd., (261)).
- Dies berücksichtigend gilt hier für das Verständnis der zwischen den Parteien streitigen Merkmale Folgendes:
- 1.
Merkmal 1.1.3, - „welche beim Ineinanderschieben der Hohlkörper (2; 3) mit ihren zugeordneten, kontaktierenden Zahnflanken der Rastzähne (5, 8) ineinandergreifen und miteinander verrasten“,
- beschreibt einen technischen Effekt der geschützten Schiebeverpackung derart, dass ihre Hohlkörper während des Ineinanderschiebens ineinander verrasten bzw. die Hohlkörper auch in dem Zustand, in dem diese miteinander verrastet sind („Raststellung“), weiter ineinandergeschoben werden können, ohne dass diese sich aus der Rast- in die Öffnungsstellung lösen oder beschädigt werden.
- a)
Dieses Verständnis des Fachmannes wird bereits durch den für die Auslegung maßgeblichen Anspruchswortlaut („beim Ineinanderschieben […] verrasten“) nahegelegt. Denn bei sprachlich-philologischer Betrachtung zeigt die Präposition „beim“ an, dass eine axiale Bewegung („Ineinanderschieben“) der Hohlkörper auch während des verrasteten Zustands derselben erfolgt. Ein Verständnis, wonach das Merkmal ein allgemeines Wirkprinzip der Erfindung offenbart, etwa derart, dass die Hohlkörper ineinander verrasten, wenn die Hohlkörper ineinander bewegt werden, wobei die „Bewegung“ dann bereits eine Kombination aus Dreh- und Schubbewegung meint, erscheint sprachlich-philologisch zwar noch möglich, jedenfalls aber bei Berücksichtigung des im Übrigen zulässigen Auslegungsmaterials – dazu nachfolgend – ausgeschlossen (zur Abgrenzung zu einer Dreh-Schubbewegung auch: BPatG-U, Anlage LSG12, S. 23, Absätze 3 und 4). - b)
Bei Berücksichtigung des bei der Auslegung ergänzend heranzuziehenden Inhalts der Klagepatentschrift wird der Fachmann in dem bereits nach dem Anspruchswortlaut jedenfalls nahegelegten Verständnis weiter gestärkt. Denn in Abschnitt [0072] heißt es, die Erfindung erlaube es, die beiden Teile in der gerasteten Stellung – ohne gegenseitige Verdrehung – unter Überwindung eines höheren Verschiebungsdruckes miteinander zu verrasten. Das Klagepatent offenbart damit, dass es ihm auf eine Veränderbarkeit der Verpackungslänge auch in der Raststellung ankommt, woraus folgt, dass von einem „Verrasten beim Ineinanderschieben“ nur dann gesprochen werden kann, wenn die Verpackungskörper ineinander verschiebbar sind, ohne dass diese von der Rast- in die Öffnungsstellung gelangen und ohne dass diese beschädigt werden (vgl. zu dem letzten Aspekt auch das BPatG-U, LSG12, S. 42, 1. Abs. a. E.). - c)
Das sich so ergebende Verständnis steht in keinem Widerspruch zu der erfindungswesentlich angestrebten Aufgabe, eine Vorrichtung bereitzustellen, die das Verschieben der Hohlkörper mit einer möglichst geringen Kraft ermöglicht (Abs. [0010]). Eine geringe Verschiebekraft wird – wie sich bei einer Gesamtbetrachtung mit den Merkmalen 1.3 und 1.5 erschließt – erfindungswesentlich durch die Gleitbahn der geschützten Vorrichtung (Merkmal 1.3) und durch den radialen Freiraum zwischen der Außenseite des inneren Hohlkörpers und der Innenseite des äußeren Hohlkörpers (Merkmal 1.5) umgesetzt (dazu nachfolgend ausführlich zur Gleitbahn unter Ziff. 2. und zum Freiraum unter Ziffer 4.). Gleichwohl – und dies offenbart das hier in Rede stehende Merkmal – ist ein Ineinanderschieben der Hohlkörper auch in der verrasteten Position der Hohlkörper möglich. In diesem Fall nimmt das Klagepatent – wie Abschnitt [0072] hervorhebt – eine höhere Verschiebekraft hin. - Die Möglichkeit, die Hohlkörper in verrastetem Zustand und bei erhöhter Kraftentfaltung ineinanderschieben zu können, widerspricht auch nicht dem erfindungswesentlich angestrebten Erfolg, neben der kraftsparenden Verschiebung der Hohlkörper deren sichere Arretierung zu gewährleisten (Abs. [0006], [0010], [0030] und [0066]). Auch läuft sie nicht dem in dem Klagepatent enthaltenen Hinweis zuwider, dass die ineinander verrasteten Hohlkörper einer Verpackung bei zu hohen Stoß- und Schlagkräften unbeabsichtigt außer Eingriff gelangen können (Abs. [0030]). Denn zum einen soll gemäß des Wortlauts des hier streitigen Merkmals nur ein Ineinanderschieben (nicht ein Auseinanderziehen) der Hohlkörper möglich sein, und zum anderen ist die in Bezug genommene Schiebebewegung nur bei erhöhtem Kraftaufwand ausführbar.
- d)
Das hier vertretene Verständnis steht schließlich auch im Einklang mit dem Verständnis, welches das BPatG der klagepatentgemäßen Lehre in seinem Urteil vom 15.03.2012 zugrunde gelegt hat, und welches hier als sachverständige Stellungnahme zu berücksichtigen ist, obgleich es eine Bindungswirkung nicht entfaltet (BGH, GRUR 1998, 895 – Regenbogenbecken). In dem Urteil heißt es insbesondere: - „Das Merkmal [gemeint ist das hier streitige] fordert ausdrücklich, dass es bei einer anspruchsgemäßen Verpackung möglich sein muss, dass bereits beim Ineinanderschieben der Hohlkörper die jeweiligen Zähne ineinandergreifen und miteinander verrasten können müssen. Dies muss auch ohne gegenseitige Verdrehung möglich sein. Folglich muss die Verpackungslänge in eingestellter Raststellung veränderbar sein.“ (BPatG-U, Anlage LSG12, S. 23, letzter Abs.).
- 2.
Die durch das Klagepatent geschützte Vorrichtung weist nach Merkmal 1.3, - „wobei an dem einen Hohlkörper (2, 3) in Umfangsrichtung im Abstand zur mindestens einen Rastbahn (13-2, 13-3) mindestens eine Gleitbahn (14-2, 15-2) angeordnet ist, in welche die mindestens eine Rastbahn oder der mindestens eine Rastzahn des gegenüberliegenden Hohlkörpers (3, 2) in Eingriff bringbar ist und dort in Verschiebungsrichtung verschiebbar ist“,
- an einem der Hohlkörper mindestens eine Gleitbahn auf. Dabei handelt es sich um eine Spur, die zumindest Teile der Rastbahn des anderen Hohlkörpers in der Lösestellung aufnimmt, und die zu diesem Zweck eine räumliche Ausdehnung in Längsrichtung aufweist. Im Übrigen ist mit der klagepatentgemäßen Gleitbahn keine besondere Längenvorgabe – etwa im Sinne einer Erstreckung entlang eines substantiellen Teils der Länge des Hohlkörpers – verbunden. Soweit dem Anspruchswortlaut weiter zu entnehmen ist, dass die Gleitbahn mit der Rastbahn des gegenüberliegenden Hohlkörpers in Eingriff gelangen kann, meint dies, dass die Rastbahn beim Verschiebevorgang der Hohlkörper entlang der Gleitbahn geführt wird. Hierfür ist nicht erforderlich, dass die Gleitbahn die Rastbahn insgesamt aufnimmt oder gar umschließt. Maßgeblich ist lediglich, dass die Rastbahn der Gleitbahn ganz oder teilweise gegenüberliegt, so dass die Hohlkörper ohne einen Widerstand durch die Rastzähne in der Lösestellung sicher verschoben werden können.
- a)
Die sprachlich-philologische Bedeutung des Begriffs „Bahn“ gibt ein Element mit einer gewissen Längserstreckung vor, ein Mindestmaß der Längserstreckung ist damit nicht verbunden. In Übereinstimmung mit diesem Verständnis gibt das Klagepatent im Zusammenhang mit dem Begriff der „Rastbahn“ selbst zu erkennen, dass es nicht streng an der sprachlich-philologischen Bedeutung des Begriffs „Bahn“ haftet, wenn es in Abschnitt [0017] heißt, der Begriff werde der einfacheren Beschreibung wegen in dieser allgemeinen Form verwendet, obwohl die „Rastbahn“ auch nur aus einem einzigen Zahn bestehen könne. - b)
Weder die der Gleitbahn zugewiesene Funktion, Raum für die Rastbahn des anderen Hohlkörpers in der Lösestellung zu schaffen, noch diejenige, die Rastbahn in der Lösestellung zu halten, erfordern darüber hinaus eine Erstreckung der Gleitbahn über eine bestimmte Mindestlänge oder über eine wesentliche Länge des Hohlkörpers. - aa)
Die Klagepatentschrift offenbart zwei Funktionen, die der Gleitbahn im Rahmen der geschützten Lehre zukommen. Zum einen trägt diese zu dem erfindungswesentlichen Erfolg bei, ein Verdrehen der beiden Hohlkörper (für den Wechsel zwischen Rast- und Lösestellung) ohne elastische Verformung der Außenhülse zu bewirken (Abs. [0015], Abs. [0022] a. E.). Insoweit wirkt die Gleitbahn wie ein Freiraum nach Merkmal 1.5 (Abs. [0015]), ohne mit diesem zwingend identisch zu sein. Zum anderen leitet die Gleitbahn die Bewegung des Rastzahns bei dem (axialen) Verschiebevorgang zur Veränderung der Verpackungslänge in der Gleitstellung derart, dass eine nahezu kraftfreie Verschiebung möglich ist (Abs. [0022], Abs. [0031], Abs. [0064] und Abs. [0069]) und die Rastbahn nicht seitlich ausbricht, mithin zurück in die Raststellung verspringt (Abs. [0065] a. E.). - bb)
Die so beschriebenen Funktionen erfordern nicht, dass die Gleitbahn eine Mindestlänge bzw. nahezu die gesamte Länge des Hohlkörpers einnimmt. Diese können – wie nachfolgend noch ausgeführt wird – vielmehr auch durch solche Ausgestaltungen erfüllt werden, die im Verhältnis zur Länge des Hohlkörpers eine nur geringe Längserstreckung aufweisen. - (1)
Raum für den mindestens einen Rastzahn des einen Hohlkörpers wird bereits dadurch geschaffen, dass der andere Hohlkörper im radialen Abstand zu seiner Rastbahn eine Materialaussparung aufweist, in welche Teile des Rastzahnes nach dem Lösen der Raststellung gelangen können. Dabei muss die Gleitbahn lediglich einen zusätzlichen Raum zur Verfügung stellen, in den Teile der Rastbahn gelangen können, so dass einer Verformung der Außenhülse entgegengewirkt wird. - (2)
Soweit die Funktion des kraftfreien Verschiebens des mindestens einen Rastzahns in seiner Lösestellung betroffen ist, gilt Folgendes: - Ausreichend aber auch erforderlich ist, dass eine hinreichend feste Verbindung zwischen Gleit- und Rastbahn besteht, die die vorhandenen Rastzähne während des Verschiebevorgangs in ihrer Position hält. Das heißt aber nicht, dass hierfür zwingend sämtliche Rastzähne einer Rastbahn gleichzeitig und vollständig von der Gleitbahn aufgenommen sein müssen, weshalb auch nicht die gesamte Gleitbahn entlang des Hohlkörpers verlaufen muss.
- (a)
Der Anspruchswortlaut spricht davon, dass die Rastbahn mit der Gleitbahn in Eingriff bringbar ist, lässt jedoch das genaue Zusammenwirken von Gleit- und Rastbahn offen. Dieses steht vielmehr im Belieben des Fachmannes, wie auch die Klagepatentschrift in Abschnitt [0016] verdeutlicht. Ausweislich des genannten Abschnitts ist die technische Wirkung der Gleitbahn nicht darauf beschränkt, dass der oder die Rastzähne an dem einen Teil der Verpackungshülse in berührendem und gleitendem Eingriff mit der Gleitbahn des gegenüberliegenden Teils stehen. Vielmehr können die Rastzähne danach auch berührungsfrei über die Gleitbahn geführt sein. - (b)
Soweit die Gleitbahn in der Klagepatentschrift als „Längsführungselement“ (Abs. [0016], Abs. [0065]) Erwähnung findet und eine Erstreckung der Gleitbahn über die gesamte Länge des Hohlkörpers (Abs. [0075]) beschrieben ist, handelt es sich dabei um bevorzugte Ausführungsformen. Aus diesen ergibt sich regelmäßig keine Beschränkung der beanspruchten Lehre ((BGH, GRUR 2XXX, 779 (Rn. 34) – Mehrgangnabe). - So ist es auch hier.
- Den genannten Ausführungsformen liegt die Vorstellung zugrunde, dass die Länge der Gleitbahn der Verschiebelänge der Hohlkörper, mithin der möglichen Längenvariation, entspricht. Ein zwingender technischer Zusammenhang zwischen der Verschiebelänge und der Gleitbahn besteht aber nicht.
- Ein Führen der Rastbahn ist technisch vielmehr auch dergestalt denkbar, dass lediglich Teile der Rastzähne in der Gleitbahn geführt sind und dadurch jedoch die Bewegung der Rastbahn insgesamt gelenkt wird. Bei einer solchen Ausgestaltung kann die Länge der Gleitbahn hinter der Verschiebelänge der Hohlkörper zurück bleiben.
- Dass ein Führen der axialen Bewegung des Hohlkörpers durch die Gleitbahn technisch auch dann möglich ist, wenn nicht sämtliche Rastzähne einer Rastbahn in der Gleitbahn gelegen sind, offenbart das Klagepatent selbst mit Figur 2. Diese zeigt die Hohlkörper einer erfindungsgemäßen Schiebeverpackung in einer Gleitstellung, wobei der oberste Rastzahn 5 der Rastbahn 13-3 (innerer Hohlkörper) außerhalb der Gleitbahn 14-2 (äußerer Hohlkörper) liegt.
- Unbeschadet der vorherigen Ausführungen wäre eine Erstreckung der Gleitbahn über die gesamte Länge des Hohlkörpers auch dann nicht zu verlangen, wenn man unterstellt, dass die Länge der Gleitbahn die Verschieblichkeit der Hohlkörper beschränkt. Denn das Klagepatent gibt nicht vor, dass die Länge der Schiebeverpackung über die gesamte Länge der Hohlkörper variabel ist. In Abschnitt [0065] wird im Einklang mit diesem Verständnis auch lediglich von der „gewünschten Verschiebelänge zwischen Innen- und Außenhülse“ (Hervorhebung diesseits) gesprochen.
- (c)
Weiter ist auch nicht erforderlich, dass die Rastbahn des einen Hohlkörpers der Gleitbahn des anderen Hohlkörpers in der Lösestellung genau bzw. vollständig gegenüberliegt. Dies ist lediglich im Hinblick auf die Teile der jeweiligen Rastzähne des einen Hohlkörpers notwendig, die mit der Gleitbahn an dem anderen Hohlkörper in Eingriff gelangen. - c)
Die vorherigen Ausführungen zu dem an der Funktion der Gleitbahn ausgerichteten Verständnis berücksichtigend ist mit Blick auf den Anspruchswortlaut „in Umfangsrichtung im Abstand zur mindestens einen Rastbahn“ (d.h. in Umfangsrichtung versetzt, vgl. Legaldefinition in Abs. [0013] und Abs. [0063]) beschrieben, dass die Gleitbahn des einen Hohlkörpers die Rastbahn desselben Hohlkörpers nicht vollständig überlappt. Denn in einem solchen Fall ist nicht ersichtlich, wie die Rastzähne des anderen Hohlkörpers in der Lösestellung mit der Gleitbahn für eine freie Verschiebbarkeit der Hohlkörper in Eingriff gelangen. Maßgeblich ist, dass die Gleitbahn im Verhältnis zu der Rastbahn (des Hohlkörpers, an dem sich die Gleitbahn befindet) so angeordnet ist, dass die Rastbahn des anderen Hohlkörpers bei einem Verdrehen der Hohlkörper gegeneinander nicht mehr in Eingriff mit dieser Rastbahn, sondern mit der Gleitbahn steht (Abs. [0013]). - d)
Die Kammer entnimmt auch der das Klagepatent betreffenden Rechtsbestandsentscheidung des BPatG keine dem hier zugrunde gelegten Verständnis entgegenstehenden Ausführungen. Zwar heißt es darin, „eingreifen“ bedeute, dass eine Überdeckung der Querschnitte des Rastzahns und der von der Gleitbahn aufgespannten Fläche […] erforderlich sei (BPatG-U, Anlage LSG12, S. 24, letzter Abs., am Ende). Das rechtfertigt aus Sicht der Kammer aber nicht die Annahme, dass damit lediglich solche Ausführungsformen als klagepatentgemäß erachtet werden, bei denen die Gleitbahn die Rastzähne vollständig umschließt. Das BPatG hat sich insoweit erkennbar nicht mit den hier zwischen den Parteien in Rede stehenden Abgrenzungsfragen befasst, und sein fachmännisches Verständnis von dem Begriff „Eingreifen“ in allgemeiner Art und Weise definiert. Mit diesem aber steht eine Auslegung im Einklang, wonach die von der Gleitbahn aufgespannte Fläche den Rastzahn teilweise – an irgendeiner Stelle im Querschnitt – umschließt. - 3.
Merkmal 1.4, - „wobei an dem äußeren Hohlkörper (2) mehrere hintereinander liegende Zähne, die eine Zahnreihe (9 – 12) bilden, an allen oder einigen Ecken, vorhanden sind“,
- enthält eine räumlich-körperliche Vorgabe, wonach sich die eine Zahnreihe bildenden Zähne des äußeren Hohlkörpers an allen oder einigen Ecken dieses Hohlkörpers befinden. Dadurch grenzt sich die Lehre des Klagepatents unter anderem zu solchen Ausgestaltungen ab, bei denen sich die Zähne einer Zahnreihe des äußeren Hohlkörpers ausschließlich an anderen Stellen – außerhalb der Ecken – der Oberfläche der Außenhülse befinden (Abs. [0019], Abs. [0025], Abs. [0056] und Abs. [0060]).
- Nicht aber sind damit solche Ausführungsformen aus dem Schutzbereich ausgenommen, bei denen die Zähne einer Zahnreihe auch außerhalb von Ecken angeordnet sind bzw. bei denen sich die Zähne einer Zahnreihe über die Ecken hinaus, ggf. mit einem Großteil ihres Ausmaßes, in beliebige andere Bereiche erstrecken. Denn technisch-funktional bewirkt eine solche Ausgestaltung eine gute Stabilität in dem Bereich, der dann, wenn die Zähne von Außen- und Innenhülse miteinander in Eingriff gelangen besonders belastetet ist. Diese Funktion ist gleichermaßen erfüllt, wenn sich die Zähne einer Zahnreihe auch in andere Bereiche erstrecken.
- 4.
Ausweislich des Merkmals 1.5, - „ein für die kraftfreie Verdrehung zwischen den beiden Hohlkörpern (2, 3) vorhandener radialer Freiraum (23) zwischen der Außenseite des inneren Hohlkörpers (3) und der Innenseite des äußeren Hohlkörpers (2) bedingt durch eine abweichende Profilform von Innen- und Außenhülse vorhanden ist,
- ist Teil der geschützten Vorrichtung ein radialer Freiraum zwischen der Außenseite des inneren Hohlkörpers und der Innenseite des äußeren Hohlkörpers.
- Der Anspruchswortlaut gibt zu erkennen, durch welche räumlich-körperliche Vorgabe das Klagepatent den Freiraum konstruktiv bereitstellt, nämlich durch eine abweichende Profilform von Außen- und Innenhülse. Das Merkmal enthält in seiner modifizierten Fassung zudem eine Zweckangabe, wonach der Freiraum der kraftfreien Verdrehung zwischen den beiden Hohlkörpern dient. Aus der Zweckangabe folgt eine konstruktive Ausgestaltung die eine Drehbewegung der Hohlkörper von der Rast- in die Lösestellung ermöglicht, so dass es einer Verformung der Außenhülse und des sich daraus ergebenden Kraftaufwandes nicht bedarf. Nicht hingegen schließt das Merkmal jegliche Krafteinwirkung aus, die für ein Verdrehen der Hohlkörper gegeneinander aufzubringen ist.
- a)
Der für die Auslegung maßgebliche Anspruchswortlaut enthält mit dem Begriff „kraftfrei“ ein absolutes Adjektiv, das – ausgehend von seinem sprachlich-philologischen Bedeutungsgehalt – keine Relativierung zulässt. Der Fachmann erkennt gleichwohl bei der gebotenen technisch-funktionalen Betrachtung, dass es dem Klagepatent auf eine Reduzierung des Kraftaufwandes auf „Null“ in diesem Zusammenhang nicht ankommt. - Dies ergibt sich zunächst daraus, dass dem Fachmann bekannt ist, dass es zur Einleitung und zur Vollziehung der Verdrehbewegung stets eines Kraftaufwandes zur Überwindung von Haft- oder Gleit-Reibungskräften bedarf (so auch BPatG-U, Anlage LSG12, S. 25).
- Der Fachmann gewinnt dieses Verständnis weiter auch daraus, dass das Klagepatent ausdrücklich – im Folgenden (unter lit. c)) noch näher zu betrachtende – Ausführungsformen zulässt, bei denen eine radiale Verschiebekraft gegen einen gewissen Widerstand aufzubringen ist. So offenbaren etwa die Abschnitte [0026] – [0029] und [0075]f. sowie die Unteransprüche 4 und 5 Ausgestaltungen, bei welchen ein „bestimmter […] Drehwiderstand“ zu überwinden ist, als bevorzugt. Mit solchen Ausgestaltungen geht nach Abschnitt [0028] ein „bestimmter Verdrehdruck, der der Verdrehung entgegengesetzt wird“ einher, in Abschnitt [0076] ist in ähnlicher Weise von einer „der Erzeugung der Verdrehung entgegen gesetzten Kraftkomponente“ die Rede.
- b)
Bei seinem Verständnis davon, welchen Kraftaufwand das Klagepatent entsprechend der vorherigen Ausführungen zulässt und welchen es zu vermeiden beabsichtigt, orientiert sich der Fachmann zuvorderst an der Auseinandersetzung der Klagepatentbeschreibung mit dem vorbekannten Technikstand und an der sich daraus ergebende objektive Aufgabenstellung. - Das Klagepatent stellt den Zusammenhang zwischen kraftintensiver Verdrehung der Hohlkörper gegeneinander und Verformung der Wandung der Außenhülse in das Zentrum der Auseinandersetzung mit dem vorbekannten Stand der Technik (Abschnitte: [0007], [0014]).
- Dieser stellt sich ausgehend von dem Verpackungsbehälter, der nach der in der Klagepatentschrift genannten DE‘ XXX C2 (vgl. etwa Abschnitte [0003], [0005], [0XXX] und [0014]) geschützt ist (die nachfolgende Figur ist der hier mit dem Anlagenkonvolut B4 als SP05 vorgelegten US 5,680,XXX entnommen, bei der es sich um das nahezu identische US-Familienmitglied der DE‘XXX handelt; zu dem insbesondere auch insoweit übereinstimmenden Inhalt der beiden Druckschriften vgl. auch BPatG-U, LSG12, S. 16),
- derart dar, dass es beim Übergang von der Rast- in die Lösestellung zu einer radial nach außen gerichteten Verformung der Wandung der Außenhülse kommt, um einen Freiraum für die an der Innenseite der Außenhülse entlang verschobene Rastbahn der Innenhülse zu ermöglichen (Abs. [0007]; ähnlich auch: Abs. [0014]).
- In Ansehung dieser technischen Problematik formuliert das Klagepatent die Aufgabenstellung subjektiv derart, dass eine Schiebeverpackung angestrebt wird, die eine möglichst geringe Verschiebekraft zwischen Rast- und Lösestellung erfordert (Abs. [0010]). Dies setzt nach dem Verständnis des Fachmannes, der in Kenntnis des soeben dargestellten vorbekannten Technikstandes ist, voraus, dass das Klagepatent die Verformung der Außenhülse zur Ausbildung eines Freiraums für die Rastbahn der Innenhülse überwindet. Es führt den Fachmann weiter zu der Erkenntnis, dass das Klagepatent die Aufgabenstellung erfindungswesentlich dadurch umsetzt, dass bereits konstruktiv ein Freiraum zwischen Außenseite des inneren Hohlkörpers und der Innenseite des äußeren Hohlkörpers vorgesehen ist, ein solcher mithin nicht erst durch die Verformung des äußeren Hohlkörpers ausgebildet werden muss.
- In dieser Lesart wird der Fachmann weiter auch durch den Inhalt der Klagepatentbeschreibung gestärkt. So hebt Abschnitt [0054] etwa hervor, dass es der geschützten Lehre nicht mehr auf eine elastische Verformung der Außenhülse ankomme, weshalb diese auch aus einem schwer verformbaren Material ausgestaltet sein könne. Die Abschnitte [0079] und [XXX2] stellen darüber hinaus einen direkten Zusammenhang zwischen dem erfindungswesentlich angestrebten Erfolg des „kraftfreien“ Verdrehens der Hohlkörper sowie der Vermeidung einer Verformung der Außenhülse aufgrund des Freiraums als konstruktivem Teil der geschützten Vorrichtung her.
- c)
In das sich so ergebende Verständnis des Fachmannes fügen sich auch die Ausführungsbeispiele ein, bei denen ein gesteigerter Kraftaufwand beim Verdrehen der beiden Hohlkörper zueinander erforderlich ist und die in Form der Unteransprüche 4 und 5 sowie der Abschnitte [0026] – [0029] und [0075]f. ausdrücklich Erwähnung in der Klagepatentschrift finden. - aa)
Dem Fachmann offenbart sich die Gemeinsamkeit der hier in Bezug genommenen bevorzugten Ausgestaltungen derart, dass bei diesen durch zusätzliche konstruktive Maßnahmen ein gewisser Verdrehwiderstand erzeugt wird, jedoch gerade nicht dadurch, dass es zu einer Deformation der Außenhülse, wie im vorbekannten Technikstand beobachtet, kommt. - So erfassen Unteranspruch 5 und die Abschnitte [0026] und [0027] sowie die Abschnitte [0075] – [0078] Ausführungsformen als bevorzugt, die über eine sog. „Verformungskante“ verfügen. Dabei handelt es sich um eine an dem einen Hülsenteil radial nach innen vorspringende konstruktive Maßnahme, die bei dem Wechsel von der Rast- in die Gleitstellung einen zu überwindenden elastischen Widerstand verursacht, dies insbesondere dadurch, dass die Rastzähne des anderen Hohlkörpers bei dem Wechsel von der Rast- in die Gleitstellung an der Verformungskante vorbei streichen und sie geringfügig verformen. Eine solche Konstruktion stellt sich deshalb als vorzugswürdig dar, weil sie den Wechsel von der Rast- in die Gleitstellung markiert und so ungewollten Positionsveränderungen entgegenwirkt (so etwa Abs. [0026] a. E.).
- Daneben nehmen Unteranspruch 4 und die Abschnitte [0028] und [0029] gegenüber der Verformungskante alternative „Verformungsmittel“ in Bezug, die ebenfalls einen elastischen Drehwiderstand hervorrufen, beispielsweise durch eine an einem Hülsenteil angespritzte Lippe oder angespritzte Noppen.
- bb)
Im Zusammenhang mit den so charakterisierten Ausführungsformen lässt das Klagepatent auch geringfügige Verformungen der Außenhülse zu. - Dies verdeutlich das mit den Figuren 6 – 8 (nachfolgend verkleinert wiedergegeben) skizzierte und mit den Abschnitten [0075] – [0079] beschriebene Ausführungsbeispiel:
- .
- Für das hier angenommene fachmännische Verständnis maßgeblich ist insbesondere die Figur 7, in der innerer und äußerer Hohlkörper eine Stellung zwischen Raststellung (gezeigt in Figur 6) und Lösestellung (gezeigt in Figur 8) einnehmen. Diese lässt erkennen, dass sich die Verformungskante 29 (Grundposition gezeigt in den Figuren 6 und 8) in die mit dem Bezugszeichen 29‘ markierte Position verformt. Diese ist derart an der Außenhülse angeordnet (Abs. [0078]), dass in der Verformung der Verformungskante 29 auch eine Deformation der Außenhülse liegt bzw. die Verformung der Kante 29 eine geringfügige Deformation auch der Außenhülse nach sich ziehen kann.
- Eine solche Deformation der Außenhülse steht auch dem erfindungswesentlich angestrebten Erfolg nicht entgegen. Denn die hier in Rede stehende Verformung der Außenhülse ist mit derjenigen, die dadurch entsteht, dass bei der Verdrehung erst ein Freiraum für die Rastbahn des inneren Hohlkörpers geschaffen werden muss, nicht vergleichbar. Eine solche ist – wie unter lit. b) aufgezeigt – dadurch gekennzeichnet, dass die Rastbahn des inneren Hohlkörpers sich während des Verdrehvorgangs an der Wandung der Außenhülse entlang bewegt und sie so verformt.
- d)
Das hiesige Verständnis wird schließlich auch durch die technisch sachverständigen Ausführungen des BPatG in der das Klagepatent betreffenden Rechtsbestandsentscheidung gestützt. - Auch das BPatG hat im Ausgangspunkt angenommen, dass es dem Klagepatent bei einem kraftfreien Verdrehvorgang darauf ankommt, die Kraft, die durch die Verformung der Hülsen entsteht, zu vermeiden (BPatG-U, Anlage LSG12, S. 25, 1. Abs.). Auch insoweit hat es gewürdigt, dass das Klagepatent andere Ursachen für einen Drehwiderstand, insbesondere einen durch Verformungsmittel hervorgerufenen, zulässt (BPatG-U, Anlage LSG12, S. 25, 2. Abs.), was das BPatG zu einer Betrachtung veranlasst hat, wonach es für die „kraftfreie“ Verdrehung von Innen- und Außenhülse lediglich auf die (Grund-)Profilform von Innen- und Außenhülse und nicht etwa auf zusätzliche konstruktive Maßnahmen ankomme (BPatG-U, LSG12, S. 25, 3. Abs.). Zuletzt hat auch das BPatG dem Ausführungsbeispiel nach den Figuren 6 – 8 des Klagepatents entnommen, dass das Klagepatent eine geringförmige Verformung der Außenhülse gleichwohl zuletzt (BPatG-U, S. 33, 2. Abs. a. E.).
-
III.
Die angegriffene Ausführungsform macht neben den Merkmalen, über deren Verwirklichung zwischen den Parteien zu Recht kein Streit besteht, auch von den zwischen den Parteien streitigen Merkmalen 1.1.3, 1.3, 1.4 und 1.5 unmittelbar wortsinngemäß Gebrauch. - 1.
Nach der Inaugenscheinnahme von Mustern der angegriffenen Ausführungsform steht zur Überzeugung der Kammer bei Berücksichtigung auch des übrigen Inhalts der Verhandlung fest (§ 286 Abs. 1 Satz 1 ZPO), dass die Rastzähne der inneren und äußeren Hohlkörper der angegriffenen Ausführungsform beim Ineinanderschieben der Hohlkörper ineinandergreifen und die Hohlkörper miteinander verrasten bzw. in ihrer verrasteten Position verbleiben (Merkmal 1.1.3). - a)
Die Inaugenscheinnahme der angegriffenen Ausführungsform in Gestalt des von der Klägerin vorgelegten Musters, bezeichnet als Anlage LSG14, hat ergeben, dass der innere Hohlkörper der angegriffenen Ausführungsform – gegen einen gegenüber einem Verschieben in der Gleitstellung erhöhten Kraftaufwand – auch dann weiter in den äußeren Hohlkörper verbracht werden kann, wenn sich die beiden Hohlkörper in ihrer verrasteten Stellung befinden (Sitzungsprotokoll v. 15.07.2021, S. 4, Bl. 343 GA). In dieser verrasteten Position verblieben die Hohlkörper auch, nachdem sie weiter ineinander geschoben worden sind (Sitzungsprotokoll v. 15.07.2021, S. 4, Bl. 343 GA). Es konnte weder ein Verspringen der Hohlkörper noch eine Beschädigung derselben festgestellt werden (Sitzungsprotokoll v. 15.07.2021, S. 4, Bl. 343 GA). Dieser Vorgang war reproduzierbar, er wurde insbesondere durch zwei Kammermitglieder nacheinander durchgeführt, wobei die Beobachtungen sich deckten (Sitzungsprotokoll v. 15.07.2021, S. 4, Bl. 343 GA). - b)
Das unter lit. a) dargestellte Ergebnis der Inaugenscheinnahme bestätigt die Richtigkeit des Klägervorbringens, wonach die Hohlkörper der angegriffenen Ausführungsform auch beim Ineinanderschieben verrasten, ohne in die Gleitstellung zu verspringen und/ oder zu beschädigen. - aa)
Die Kammer geht davon aus, dass es sich bei dem Augenscheinsobjekt (Anlage LSG14) tatsächlich um ein von der Beklagten im Gebiet der Bundesrepublik Deutschland vertriebenes Produkt aus der Produktreihe mit der Bezeichnung „B“, mithin ein Exemplar der angegriffenen Ausführungsform, handelt, was die Beklagte mit Nichtwissen bestreitet. - (1)
Die Klägerin hat in der mündlichen Verhandlung Unterlagen zur Akte gereicht, die ihre Behauptung, bei dem vorgelegten Muster handele es sich um ein Exemplar der angegriffenen Ausführungsform, substantiieren. - Dem Gericht liegt eine Auftragsbestätigung „XXX“ vom 10.08.17 mit dem Briefkopf der Beklagten vor (Bl. 347f. GA). In dieser sind unter Angabe von Artikelnummern und Artikelbeschreibungen, die unter anderem auch die Bemaßung des bestellten Verpackungskörpers erkennen lassen (insbesondere auch die hier für das Muster nach Anlage LSG14 angegebene Bemaßung von „65x200xXXX), diejenigen Artikel aufgeführt, die der mit „C“ benannte, in Ulm ansässige Auftraggeber bei der Beklagten bestellt hat. In der Grußformel der Auftragsbestätigung ist außerdem eine Mitarbeiterin der Beklagten namentlich benannt („D“). Dafür, dass die Bestellung des „C“ durch die Beklagten auch tatsächlich ausgeführt wurde, sprechen die von der Klägerin vorgelegten Ablichtungen, die ein Paket erkennen lassen, ausweislich dessen die Beklagte eine Versendung an das „C“ veranlasst hat (Bl. XXX GA – Bl. 354 GA).
- Produkte der an das „C“ gelieferten Bestellung, wurden sodann an die Klägerin weitergegeben. Insoweit liegt eine von Herr E („C“) an die Klägerin gestellte Rechnung vom 30.11.2017 (Rechnungs-Nr. 2017-XXX) in Kopie vor (Bl. 349 GA), mit welcher die Lieferung der in der Rechnung näher bezeichneten Produkte der Beklagten („B“) sowie deren „Bestellabwicklung“ abgerechnet wird. Aus der Rechnung geht insbesondere hervor, dass der Klägerin auch Produkte entsprechend der Bemaßung der hier vorliegenden Anlage LSG14 („65 200/XXX“) überlassen worden sind.
- (2)
Die Beklagte ist den hier in Bezug genommenen Unterlagen gemessen an § 138 Abs. 2 ZPO auch nach Einsichtnahme in diese nicht mehr in prozessrechtlich erheblicher Art und Weise entgegengetreten. Sie hat insoweit lediglich die Rüge der Verspätung erhoben (dazu nachfolgend unter Ziffer (3)). - Die Beklagte hat insbesondere die aus der Auftragsbestätigung erkennbare Bestellung durch das „C“ sowie den Versand der Produkte an dieses nicht erheblich in Abrede gestellt. Hierzu kann sie sich auch gem. § 138 Abs. 4 ZPO nicht bloß mit einem Bestreiten mit Nichtwissen erklären, weil es sich dabei um in ihrer Sphäre liegende Vorgänge handelt.
- In die Gesamtwürdigung des beiderseitigen Parteivorbringens ist weiter mit einzustellen, dass die Beklagte auch nach intensiver Betrachtung des Musters (Anlage LSG14) in der mündlichen Verhandlung keine konstruktive Abweichungen des Musters (Anlage LSG14) gegenüber dem von ihr vertriebenen Produkt geltend gemacht hat. Die Beklagte hat sich vielmehr im Rahmen ihres Prozessvorbringens auf Ausgestaltungen der angegriffenen Ausführungsform berufen, die mit der Ausgestaltung des von der Klägerin im Rahmen der Verletzungsdiskussion untersuchten Musters (Anlage LSG14) übereinstimmen, ohne dass diese Übereinstimmungen technisch zwingend erscheinen. Das gilt beispielsweise für die Erhebungen 10 und 20 an Außen- und Innenhülse (vgl. Fig. 1a und Fig. 2a der Anlage B16) sowie für die konkreten Profilformen von Außen- und Innenhülse (vgl. insoweit die Illustrationen 1 – 5 im Klageerwiderungsschriftsatz vom 11.07.2019, dort S. 13 – 15, Bl. 57 – Bl. 59) und schließlich die Anordnung dreier Rastbahnen am äußeren Hohlkörper (vgl. insoweit Illustration 6 im Klageerwiderungsschriftsatz vom 11.07.2019, dort S. 19, Bl. 63 GA).
- Auch jenseits der konstruktiven Ausgestaltung der angegriffenen Ausführungsform ließen sich zudem Gemeinsamkeiten zwischen dem von der Klägerin vorgelegten Muster (Anlage LSG14) und den von der Beklagten vorgelegten Exemplaren der angegriffenen Ausführungsform feststellen, wie etwa die Angabe des Durchmessers durch eine eingestanzte Ziffer auf dem verschlossenen Boden (außen) der Außenhülse und dem verschlossenen Deckel (außen) der Innenhülse (vgl. Sitzungsprotokoll v. 15.07.2021, zu dem von der Klägerin vorgelegten Muster: S. 4, Bl. 343 GA und zu den von der Beklagten vorgelegten Mustern: S. 5, Bl. 344 GA).
- (3)
Die Beklagte dringt vorliegend auch mit ihrer Verspätungsrüge nicht durch (vgl. Sitzungsprotokoll v. 15.07.2021, S. 3, Bl. 342 GA), weshalb auch das Vorbringen der Klägerin in Form der unter Ziffer (1) in Bezug genommenen Unterlagen nicht präkludiert ist. - Eine Verzögerung des Rechtsstreits im Sinne der Verspätungsvorschriften des § 296 Abs. 1, Abs. 2 ZPO steht durch die Vorlage der Unterlagen nicht zu befürchten. Die Beklagte ist dem substantiierten Vorbringen der Klägerin – wie unter Ziffer (2) ausgeführt – nicht mehr erheblich entgegengetreten. Schon aus diesem Grund ist eine Beweisaufnahme, die zu einer Verzögerung des Rechtsstreits führen könnte, nicht geboten.
- bb)
Ausgehend von dem hier vertretenen Verständnis des Merkmals 1.1.3 ist durch die Inaugenscheinnahme des Musters der angegriffenen Ausführungsform (Anlage LSG14) nachgewiesen, dass die Hohlkörper auch im verrasteten Zustand weiter ineinandergeschoben werden können, ohne dass diese in die Öffnungsstellung verspringen und/ oder beschädigen. - Für die Merkmalsverwirklichung unerheblich ist die Beobachtung, wonach ein Verstellen in eine bestimmte Verpackungslänge in der verrasteten Position weniger gut möglich war, weil der Kraftaufwand, der für das Einwirken auf den inneren Hohlkörper erforderlich war, weniger gut „dosierbar“ war (vgl. Sitzungsprotokoll v. 15.07.2021, S. 4, Bl. 343 GA). Das Klagepatent enthält keine beschränkende Vorgabe dazu, dass ein Verstellen in eine bestimmte Verpackungslänge möglich sein soll bzw. dass die Verpackungslänge über mehrere Längen variierbar ist. Ausreichend ist, dass die Verpackungslänge in irgendeiner Form verkürzt werden kann. Etwas anderes ergibt sich auch nicht daraus, dass die Verpackungslänge dann ggf. auch dadurch eingestellt wird, dass der innere Hohlkörper durch das kraftvolle Schieben in den äußeren Hohlkörper auf einen in der Schiebeverpackung gelagerten Gegenstand „aufschlägt“. Auch insoweit enthält die geschützte Lehre keine Beschränkungen, etwa derart, dass die geschützte Verpackung lediglich besonders empfindlichen Gegenständen als Aufbewahrung dient.
- Auch ist – was die Beklagte eingewendet hat – unerheblich, auf welche Art und Weise die Krafteinwirkung auf den inneren Hohlkörper erfolgt, um ein Verschieben zu initiieren. Insbesondere kommt es nicht darauf an, ob die Hohlkörper bei einem besonders kraftvollen „Schlagen“ auf den Deckel des inneren Hohlkörpers möglicherweise doch in die geöffnete Stellung verspringen würden. Das Klagepatent spricht allein von einem „Ineinanderschieben“, unabhängig davon, wie dieses bewerkstelligt wird. Ein „Ineinanderschieben“ im Sinne der Lehre des Klagepatents liegt deshalb dann vor, wenn irgendeine Kraft aufgebracht wird, die ausreicht, um die axiale Bewegung des inneren Hohlkörpers in den äußeren Hohlkörper zu bewirken. Darauf, ob der Fachmann ein Ineinanderschieben typischerweise besonderes kraftvoll ausführt, kommt es nicht an.
- c)
Durch die Inaugenscheinnahme der von der Beklagten vorgelegten Muster der angegriffenen Ausführungsform sind keine durchgreifenden, der Annahme einer Verwirklichung des Merkmals 1.1.3 durch die angegriffene Ausführungsform entgegenstehende Zweifel begründet. - aa)
Die Inaugenscheinnahme des von der Beklagten vorgelegten Musters mit dem Durchmesser „55“ hat zwei unterschiedliche Zustände ergeben, die die Hohlkörper nachdem diese ineinandergeschoben worden sind, einnehmen. Wird auf die Innenhülse, wenn sich diese im verrasteten Zustand befindet, eine gewisse Kraft ausgeübt, um sie weiter in die Außenhülse zu verbringen, verschiebt sich diese leicht radial, so dass ihr Deckel und derjenige der Außenhülse nicht mehr völlig fluchtend angeordnet sind (vgl. Sitzungsprotokoll v. 15.07.2021, S. 5, Bl. 344 GA). Die Innenhülse lässt sich in diesem Zustand nicht ohne einen erhöhten Kraftaufwand aus der Außenhülse lösen, bei entsprechendem Kraftaufwand gelingt dies indes (vgl. Sitzungsprotokoll v. 15.07.2021, S. 5, Bl. 344 GA). Wird in der verrasteten Position mit großem Kraftaufwand auf den Deckel des inneren Hohlkörpers „geschlagen“, verspringen die Hohlkörper von der gerrasteten Stellung so, dass sie ohne großen Kraftaufwand verschoben werden können (vgl. Sitzungsprotokoll v. 15.07.2021, S. 5, Bl. 344 GA). - Ähnlich verhielt es sich im Hinblick auf das von der Beklagten vorgelegte Muster mit einem Durchmesser von „32“. Auch bei diesem verspringen die Hohlkörper bei einem besonders großen Kraftaufwand, der auf den Deckel des inneren Hohlkörpers ausgeübt wird, in einen Zustand, in dem sich die Innenhülse ohne viel Kraftaufwand aus der Außenhülse bewegen lässt (vgl. Sitzungsprotokoll v. 15.07.2021, S. 5, Bl. 344 GA). Bei geringerer Kraftausübung auf den Deckel des inneren Hohlkörpers in der verrasteten Stellung der Hohlkörper bewegt sich die Innenhülse axial in die Außenhülse und erfährt lediglich eine leichte Verschiebung in Umfangsrichtung, so dass die Deckel von Außen- und Innenhülse nicht mehr ganz passgenau fluchten (vgl. Sitzungsprotokoll vom 15.07.2021, S. 6, Bl. 345 GA).
- bb)
Das zuvor dargestellte Ergebnis der Inaugenscheinnahme der von der Beklagten vorgelegten Muster der angegriffenen Ausführungsform vermögen die Überzeugung der Kammer, dass die Hohlkörper der angegriffenen Ausführungsform aufgrund ihrer Beschaffenheit grundsätzlich objektiv in der Lage sind, beim Ineinanderschieben im Sinne des Merkmals 1.1.3 zu verrasten, nicht zu erschüttern. - Insoweit sind für die hier gebotene Beweiswürdigung folgende Erwägungen maßgeblich:
- (1)
Im Ausgangspunkt ausreichend ist, dass ein angegriffenes Produkt – wie das Augenscheinsobjekt nach Anlage LSG14 – sich als klagepatentverletzend darstellt. Damit ist vorliegend ein erhebliches Indiz dafür begründet, dass die angegriffene Ausführungsform ihrer objektiven Beschaffenheit nach dazu in der Lage ist, dass die Hohlkörper beim Ineinanderschieben im Sinne des Merkmals 1.1.3 verrasten. Denn es bestehen keine Anhaltspunkte dafür, dass das in Augenschein genommene Muster nach Anlage LSG14 nicht die herkömmliche, typische Funktionsweise der angegriffenen Ausführungsform zeigte. - (2)
Die Überzeugungsbildung der Kammer wird in diesem Zusammenhang weiter noch dadurch bestimmt, dass die tatsächliche Ausgestaltung der Rastzähne des inneren und des äußeren Hohlkörpers erkennbar derart zueinander passend ausgebildet ist, dass die entsprechenden Zahnflanken der jeweiligen Zahnreihen von Innen- und Außenhülse mit aufeinander abgestimmten schrägen Gleitkanten versehen sind. Zur Verdeutlichung wird nachfolgende Abbildung (entnommen Anlage LSG13) wiedergegeben: - .
- Eine solche Ausgestaltung ist – wie auch die Klägerin vorgetragen hat und ähnlich auch in Ausführungen des BPatG (selbstverständlich nicht bezogen auf die angegriffene Ausführungsform) zum Ausdruck kommt (BPatG-U, LSG12, S. 41) – eine wesentliche Voraussetzung dafür, dass ein Ineinanderschieben der Hülsen im verrastetet Zustand möglich ist (ohne dass diese in die geöffnete Stellung verspringen).
- Diese Ausgestaltung stellt aus Sicht der Kammer einen schlüssigen Zusammenhang zu dem beobachteten technischen Effekt des als Anlage LS14 vorgelegten Musters dar und macht diesen dadurch weiter plausibel. Im Gegensatz dazu ist, obwohl die Beklagte vorträgt, dass sich die Hohlkörper der angegriffenen Ausführungsform bauartbedingt nur im gelösten Zustand ineinanderschieben lassen, nicht erkennbar, welche konstruktive Maßnahme dies bewirkt.
- (3)
Dass die Inaugenscheinnahme der von der Beklagten vorgelegten zwei Einzelexemplare der angegriffenen Ausführungsform gleichwohl teilweise ein Verspringen der Hohlkörper von der Rast- in die Öffnungsstellung hat erkennen lassen, wovon die Kammer insbesondere aufgrund der Beobachtungen ausgeht, wonach sich der innere Hohlkörper nach dem Ineinanderschieben der Hohlkörper ohne größeren Kraftaufwand aus der Außenhülse entfernen ließ, begründet keinen hinreichenden Anhaltspunkt dafür, dass es der angegriffenen Ausführungsform an der grundsätzlichen Eignung zum Ineinanderschieben der Hohlkörper im verrasteten Zustand fehlt. - Insoweit ist zunächst festzustellen, dass die Hohlkörper der in Augenschein genommenen Muster der Beklagten ein Verspringen in die Öffnungsstellung nicht stets, sondern nur bei einem bestimmten kraftvollen Einwirken auf die Innenhülse gezeigt haben. Dazu, dass es der geschützten Lehre auf die Art und Weise der Krafteinwirkung nicht ankommt, ist bereits unter lit. b) bb) ausgeführt worden. Hierauf wird insoweit Bezug genommen. Dieses nur teilweise Verspringen in die Öffnungsstellung steht einer Annahme entgegen, wonach es gerade aufgrund der konstruktiven Ausgestaltung der angegriffenen Ausführungsform dazu kommt, dass deren Hohlkörper – was die Beklagte behauptet hat – bei einem Ineinanderschieben der Hohlkörper in der verrasteten Position unweigerlich in die Öffnungsstellung verspringen. In diesem Zusammenhang verkennt die Kammer nicht, dass die Hohlkörper der von der Beklagten vorgelegten Muster im Übrigen eine Art „Zwischenstellung“ eingenommen haben, die dadurch gekennzeichnet ist, dass der innere Hohlkörper gegenüber dem äußeren Hohlkörper in Umfangsrichtung leicht verschoben ist und die weder als „Öffnungs-“ noch (mit hinreichender Sicherheit) als „Raststellung“ im Sinne der Lehre des Klagepatents bezeichnet werden kann – denn im Rahmen der Inaugenscheinnahme konnte die genaue Position der Rastzähne in dieser „Zwischenstellung“ nicht eingesehen werden (vgl. Sitzungsprotokoll v. 15.07.2021, S. 6, Bl. 345 GA). Gleichwohl vermag die Kammer dies – entgegen der die Überzeugung bildenden Umstände nach den Ziffern (1) und (2) – nicht als Ausfluss der grundsätzlichen Beschaffenheit der angegriffenen Ausführungsform zu werten. Das Muster nach Anlage LSG14 hat diese „Zwischenstellung“, zu der sich auch die Beklagte im Rahmen ihres Prozessvorbringens zuvor nicht verhalten hat, gerade nicht erkennen lassen.
- (4)
Die Kammer zweifelt an ihrer gewonnenen Überzeugung auch nicht deshalb, weil die Klägerin – wie die von ihr vorgelegten Unterlagen (Auftragsbestätigung an das „C“, Bl. 347f. GA und die Rechnung des „C“ an die Klägerin, Bl. 349 GA) erkennen lassen –, im Besitz weiterer Muster der angegriffenen Ausführungsform, auch solcher mit anderen Bemaßung als das Muster nach Anlage LSG14, ist. Diese indes nicht vorgelegt hat. - Die Annahme, dass die Klägerin weitere Muster nicht vorgelegt habe, weil diese eine Verrastung beim Ineinanderschieben nicht zeigen würden, ist theoretisch, konkrete Anhaltspunkte hierfür bestehen nicht. Der Verletzungsnachweis kann – wie bereits ausgeführt – grundsätzlich anhand eines Exemplars der angegriffenen Ausführungsform geführt werden. Die Beklagte hat auch im Hinblick auf Exemplare der angegriffenen Ausführungsform, die ein anderes Maß als das des Musters nach Anlage LSG14 haben, keine konstruktiven Abweichungen vorgebracht, aufgrund derer die Annahme, dass die angegriffene Ausführungsform (unabhängig von ihrer Bemaßung) dazu in der Lage ist, dass ihre Hohlkörper im verrasteten Zustand ineinander geschoben werden können, nicht mehr gerechtfertigt erscheint.
- (5)
Die Kammer hat bei der gebotenen Beweiswürdigung schließlich auch berücksichtigt, dass sich der Beweis durch Augenschein gem. § 371 Abs. 1 Satz 1 ZPO vor dem Hintergrund als ungenügend erweisen kann, dass die Wahrnehmung und/ oder die Beurteilung der sich offenbarenden technischen Zusammenhänge gegebenenfalls nur unter Hinzuziehung eines auf dem Gebiet der klagepatentgemäßen Erfindung fachkundigen Sachverständigen zuverlässig möglich ist (§ 372 Abs. 1 ZPO) oder die Begutachtung des Gegenstandes dem Sachverständigen gar vollständig zu überlassen ist (hierzu auch allgemein Guhn, in: Cepl/ Voß, Prozesskommentar, 2. Auflage, 2018, § 371, Rn. 6). - Die Kammer sieht sich indes vorliegend aus eigener Sachkunde dazu in der Lage, die maßgeblichen Feststellungen zu treffen.
- Die entscheidungserhebliche Tatsache, ob sich die Hohlkörper der vorgelegten Muster auch nach einem Ineinanderschieben noch im verrasteten Zustand befinden, war optisch und/oder haptisch ohne weitergehende Messmethoden und -vorrichtungen auch für einen technischen Laien ermittelbar. So war etwa die Beobachtung möglich, ob der Deckel des inneren Hohlkörpers mit der Wandung des äußeren Hohlkörpers fluchtete oder ob er demgegenüber in Umfangsrichtung verschoben war, was dann für das Einnehmen der hier bereits erläuterten „Zwischenstellung“ sprach. Des Weiteren war die Überprüfung möglich, ob sich die Innenhülse, nachdem diese im verrasteten Zustand weiter in die Außenhülse verbracht wurde, ohne nennenswerten Kraftaufwand aus der Außenhülse ziehen ließ – was für das Einnehmen der sog. Gleitstellung sprach – oder aber ob die Innenhülse auch bei großem Kraftaufwand nicht aus der Außenhülse gezogen werden konnte – woraus auf eine fortgesetzte Verrastung der Hohlkörper zu schließen war. Auf eine weitergehende Aufklärung der Aspekte, die für die Kammer nicht ohne weiteres einsehbar waren, insbesondere ob die Zähne in der sog. „Zwischenstellung“ noch miteinander verrastet waren (vgl. Sitzungsprotokoll v. 15.07.2021, S. 5, Bl. 344 GA) oder ob die Hohlkörper in dieser allein noch durch die Erhebungen 10 und 20 gehalten wurden (vgl. Sitzungsprotokoll v. 15.07.2021, S. 6, Bl. 345 GA), kam es für die hier vorgenommene Beweiswürdigung nicht an. Die Kammer hat – wie unter Ziffer (3) dargelegt – zugunsten der Beklagten unterstellt, dass die Hohlkörper in der „Zwischenstellung“ eine verrastete Position im Sinne des Merkmals 1.1.3 nicht mehr aufweisen. Auch insoweit bedurfte es deshalb der ergänzenden Einholung eines Sachverständigengutachtens nicht.
- 2.
Die angegriffene Ausführungsform weist auch eine Gleitbahn im Sinne des Merkmals 1.3 der geschützten Lehre auf. - Die Gleitbahn der angegriffenen Ausführungsform wird durch die Fläche der Innenecken an der Öffnung des äußeren Hohlkörpers gebildet. Zur Verdeutlichung werden nachfolgend Figur 2 (Öffnungsbereich des äußeren Hohlkörpers in der Draufsicht) und Figur 4a (innerer Hohlkörper in der gelösten Stellung im äußeren Hohlkörper) der von der Klägerin vorgelegten Anlage LSG 6 wiedergegeben (vgl. dort die von der Klägerin vorgenommenen grünen Markierungen):
- a)
Für die Verletzungsdiskussion im Zusammenhang mit dem Merkmal 1.3 können die soeben in Bezug genommenen Abbildungen, die von der Klägerin stammen, zugrunde gelegt werden. Denn unbeschadet dessen, dass das Bestreiten (mit Nichtwissen) der Beklagten, dass es sich bei der von der Klägerin untersuchten Verpackungshülse um ein von der Beklagten im Gebiet der Bundesrepublik Deutschland vertriebenes Produkt handelt, bereits aus zivilprozessualen Gründen unbeachtlich ist (dazu bereits zuvor unter Ziff. 1., lit. b), aa)), hat sie jedenfalls auch keine abweichende tatsächliche Ausgestaltung der angegriffenen Ausführungsform vorgetragen, die für die Beurteilung, ob diese eine klagepatentgemäße Gleitbahn aufweist, maßgeblich wäre. Dies berücksichtigend ist vorliegend von einer Ausgestaltung, wie auf den Lichtbildern nach Anlage LSG6 ersichtlich, auszugehen. - b)
Die damit näher in Bezug genommene Fläche erfüllt die räumlich-körperlichen Vorgaben, die das hier streitgegenständliche Merkmal vorgibt. - Insbesondere ist sie im Verhältnis zu den Rastzähnen des äußeren Hohlkörpers (vgl. rote Markierungen der oben wiedergegebenen Figuren 2 und 4a) in Umfangsrichtung verschoben angeordnet.
- Die Fläche bietet eine Materialaussparung, in welche zumindest einige der Rastzähne der Rastbahn des anderen Hohlkörpers in der unverrasteten, gelösten Stellung gelangen. Dass die übrigen Rastzähne in den Raum gelangen, der sich daraus ergibt, dass der Hohlkörper nach seinem Öffnungsbereich breiter wird, führt aus dem Schutzbereich des Klagepatents nicht heraus. Zum einen gibt die Lehre des Klagepatents nicht vor, dass ausschließlich der als Gleitbahn betrachtete Teil zusätzlichen Raum für die Rastzähne schaffen muss. Zum anderen wäre es aber auch an den Stellen, an denen der Hohlkörper breiter ist, zu einer Verformung desselben ohnehin nicht gekommen.
- Zwischen der hier als Gleitbahn angesehenen Innenfläche des äußeren Hohlkörpers und dessen Rastzähnen liegt auch ein Abstand („in Umfangsrichtung im Abstand zur mindestens einen Rastbahn“). Sofern die Beklagte unter Bezugnahme auf die Illustration in ihrem Klageerwiderungsschriftsatz vom 11.07.2019, Seite 19 (Bl. 63 GA) meint, als die Gleitbahn sei der gesamte dort (auf dieser Illustration) markierte „grüne“ Bereich zu erachten, folgt die Kammer dem nicht. Denn mit der Rastbahn des äußeren Hohlkörpers gelangen die Rastzähne des inneren Hohlkörpers gerade nicht in Eingriff. Das heißt die Rastbahn übernimmt keine der Gleitbahn zugewiesene Funktion. Die Rastbahn und die als Gleitbahn zu betrachtende Innenfläche werden somit durch zwei voneinander unterscheidbare Flächenteile gebildet und sind insoweit im klagepatentgemäßen Sinne in Umfangsrichtung beabstandet.
- Für die Merkmalsverwirklichung unschädlich ist, dass die hier maßgebliche Fläche sich in ihrer Länge lediglich über eine geringen Teil des Eingangsbereichs am offenen Ende des äußeren Hohlkörpers erstreckt und damit nur einen geringen Teil der Gesamtlänge des äußeren Hohlkörpers erfasst. Denn jedenfalls weist die Fläche eine Längserstreckung auf und ist so geeignet – wie noch ausgeführt wird – eine die Rastzähne des inneren Hohlkörpers in ihrer axialen Bewegungsrichtung steuernde Funktion zu übernehmen. Eine darüberhinausgehende Ausdehnung der Gleitbahn in die Länge verlangt das Klagepatent nicht.
- c)
Die Fläche an den Innenecken des äußeren Hohlkörpers ist mit den Rastzähnen des inneren Hohlkörpers auch in klagepatentgemäßer Weise in Eingriff bringbar, und hält diesen so verschiebbar. - Während in der Raststellung ein Freiraum zwischen der in Bezug genommenen Fläche der Innenecke des äußeren Hohlkörpers besteht (vgl. Anlage LSG 6, Figur 5a), werden die unteren Enden der Rastzähne des inneren Hohlkörpers in der Lösestellung in Richtung der Innenfläche verschoben und liegen dann an dieser an (vgl. Anlage LSG6, Figur 4a und Figur 4b). Dies zeigt sich auch bei einem Vergleich der von der Beklagten mit Schriftsatz vom 11.07.2019 vorgelegten Abbildung der angegriffenen Ausführungsform in der Rast- und Lösestellung (dort S. 15, Bl. 59 GA).
- Aufgrund des Kontaktes zwischen der Fläche an den Innenecken des äußeren Hohlkörpers mit einigen Rastzähnen des inneren Hohlkörpers wird der innere Hohlkörper während des Verschiebevorganges geführt, so dass dessen Rastzähne nicht mit denjenigen des äußeren Hohlkörpers in Kontakt kommen. Das zeigt weiter auch das als Anlage B3 vorgelegte Video der Beklagten (vgl. dort beispielsweise Sek. 38 – 41).
- Vor dem Hintergrund, dass die näher bezeichnete Fläche – wie soeben dargelegt – die der Gleitbahn klagepatentgemäß zugewiesene Funktion erfüllt, führt es auch aus der Merkmalsverwirklichung nicht heraus, dass gleichzeitig lediglich einige Rastzähne (und nicht alle Zähne) des inneren Hohlkörpers mit dieser in Kontakt stehen. Nur insoweit müssen die Rastzähne des inneren Hohlkörpers der Gleitbahn am äußeren Hohlkörper dann auch gegenüberliegen.
- 3.
An dem äußeren Hohlkörper der angegriffenen Ausführungsform sind auch mehrere eine Zahnreihe bildenden Zähne jeweils an allen Ecken angeordnet (Merkmal 1.4). - a)
Bei einer Außenansicht des äußeren Hohlkörpers sind an dessen geöffnetem Ende Einkerbungen im Material zu erkennen, die sich – in Umfangsrichtung verlaufend – jeweils von einer der vier Ecken hin zur Seitenwand erstrecken. Den Einkerbungen entsprechend weist an der Innenfläche des äußeren Hohlkörpers jeweils Material in den Innenraum des Hohlkörpers und bildet so die „mehreren hintereinander liegenden Zähne, die eine Zahnreihe bilden“ aus. Nachfolgend wird die Figur von Seite 4 des Schriftsatzes der Klägerin vom 24.06.2021 (Bl. 288 GA) wiedergegeben: - Die Figur zeigt die Innenfläche des äußeren Hohlkörpers, die orangefarbene Linie markiert den Verlauf der Ecken an dem Hohlkörper. Die von der Klägerin insoweit skizzierte Ausgestaltung der angegriffenen Ausführungsform wird von der Beklagten nicht erheblich in Abrede gestellt. Vielmehr stimmt er mit der Anordnung, wie sie sich aus der „Illustration 6“ aus dem Klageerwiderungsschriftsatz vom 11.07.2019 (dort S. 19, Bl. 63 GA) ergibt, überein. Der hier angenommene Verlauf deckt sich zudem auch mit dem optischen Eindruck, den die Kammer aufgrund der ihr vorliegenden Muster von der eckenseitigen Anordnung der Zähne am äußeren Hohlkörper hat.
- b)
Die Beklagte wendet gegen eine Verletzung ein, dass die an den Ecken befindlichen Teile an der Innenfläche des äußeren Hohlkörpers nicht mit Teilen der Innenhülse in Eingriff stehen, mithin nicht mit diesen verrasten. Diesem Einwand vermag die Kammer indes aus zwei Gründen nicht zu folgen. - aa)
Zum einen hat die Beklagte in tatsächlicher Hinsicht ausgeführt, dass die Verrastung „fast“ ausschließlich durch die Materialvorsprünge an der Innenseite des äußeren Hohlkörpers herbeigeführt werde, die sich an der Wandung im Sinne der inneren Seitenfläche des äußeren Hohlkörpers befinden würden. Aus diesem Vorbringen ergibt sich schon nicht schlüssig, dass die an den Ecken befindlichen Teile der Zähne überhaupt nicht in Eingriff mit den entsprechenden Zähnen am inneren Hohlkörper stehen. - bb)
Zum anderen kommt es darauf aber auch in auslegungstechnischer Hinsicht nicht an. Denn jedenfalls sind die hier in Rede stehenden an der Innenfläche des äußeren Hohlkörpers eckenseitig angeordneten Materialvorsprünge an dem Vorgang des Verrastens beteiligt. Die eckenseitig angeordneten Materialvorsprünge sind mit den Teilen, die sich an der inneren Seitenwand des äußeren Hohlkörpers befinden und die unstreitig mit den Rastzähnen des inneren Hohlkörpers in Eingriff gelangen, baueinheitlich ausgebildet. Durch diese eckenseitig angeordneten Materialvorsprünge wird so die Bewegung der Rastzähne an der Innenhülse bei der für ein Verrasten erforderlichen Drehbewegung der Hohlkörper jedenfalls bereits geleitet. Denn die Rastzähne der Innenhülse gelangen dadurch bereits in die von den Materialvorsprüngen ausgebildeten „Bahnen“, in denen sie sich befinden müssen, damit es am Ende der Drehbewegung zu einem verrastenden Eingriff mit den Materialvorsprüngen an der inneren Seitenwand der Außenhülse kommt. - Weder der Anspruchswortlaut noch die gebotene technisch-funktionale Betrachtung veranlassen den Fachmann eine solche Ausgestaltung als Schutzgegenstand aus der Lehre des Klagepatents auszunehmen.
- Der Anspruchswortlaut spricht lediglich von „Zähnen“, anders als in anderen Merkmalen (Merkmale 1.1.1, 1.1.2 und 1.3) ist darin nicht von „Rastzähnen“ die Rede. Dies berücksichtigend lässt es der Wortlaut jedenfalls zu, dass Zähne auch solche Vorrichtungsbestandteile sind, die nicht an dem Verrastungszustand mitwirken, die aber einen Beitrag dazu leisten, dass dieser verlässlich eingenommen werden kann. Auch trägt eine solche Ausgestaltung – entsprechend der dem Merkmal zugewiesenen Funktion – zu einer Stabilisierung der bei der Verrastung besonders beanspruchten Bereiche bei. Denn auch die von der Einleitung des Verrastungszustands betroffenen Bereiche sind besonders beansprucht, so dass es zu einer stabilisierenden Wirkung bei deren eckenseitiger Anordnung kommt.
4.
Die angegriffene Ausführungsform weist schließlich auch einen Freiraum auf, der zu einem kraftfreien Verdrehvorgang im Sinne des Merkmals 1.5 führt. - a)
Dieser Freiraum ist auf den nachfolgend wiedergegebenen Figur 4a (Lösestellung) und Figur 5a (entnommen der von der Klägerin zur Akte gereichten Anlage LSG6) erkennbar: - In der Figur 5a ist der Freiraum mit dem Bezugszeichen 23 versehen. In der Figur 4a ist der Freiraum weder mit einer Ziffer noch farblich markiert, indes ist er im Bereich des roten Kastens zu verorten und erstreckt sich, wie die Figur 4a erkennen lässt, über diesen Kasten hinaus. Der so in Bezug genommene Freiraum, deren Existenz die Beklagte nicht erheblich in Abrede gestellt hat, kommt eine abweichende Profilform von Außen- und Innenhülse zustande.
- b)
Der Freiraum bedingt darüber hinaus auch einen „kraftfreien“ Verdrehvorgang der Hohlkörper im Sinne des Merkmals 1.5. - (1)
Die in Bezug genommenen Materialaussparungen stellen während des Verdrehvorgangs der Hohlkörper einen Raum für die Rastbahn des inneren Hohlkörpers zur Verfügung, so dass diese nicht an der Innenwandung des äußeren Hohlkörpers entlang geführt wird und dort eine Deformation der Außenhülse bewirkt. Damit spart die angegriffene Ausgestaltung den Kraftaufwand ein, auf dessen Vermeidung es dem Klagepatent nach dem hier vertretenen Auslegungsergebnis ankommt. - (2)
Eine geringfügige Verformung der Außenhülse kommt bei der angegriffenen Ausführungsform allein dadurch zustande, dass die formstabile Erhebung 10 an der Innenfläche des äußeren Hohlkörpers an der formstabilen Erhebung 20 an der Außenfläche des inneren Hohlkörpers vorbeigeführt wird. Da diese nicht elastisch nachgeben, wird der dabei entstehende Druck auf die Wandung der Außenhülse weitergeleitet und verformt diese so leicht. - Die Klägerin hat den Vortrag der Beklagten, dass es dann, wenn sich die Erhebungen 10 und 20 aneinander vorbei bewegen, zu einer Verformung auch der Außenhülse komme, was die von der Beklagten vorgelegten Lichtbilder (Anlage B16, dort Fig. 2a) substantiieren, nicht erheblich in Abrede gestellt.
- Der bei der so in Bezug genommenen Verformung der Außenwand entstehende Kraftaufwand führt indes aus der geschützten Lehre nicht heraus.
- Die Ausgestaltung der angegriffenen Ausführungsform ähnelt vielmehr denjenigen Ausgestaltungen, die das Klagepatent selbst beschreibt, und wonach geringfügige Deformationen der Außenhülse im Zusammenhang mit der Verformung eines „Verformungsmittels“ vom Schutzgegenstand erfasst sind.
- (a)
Bei den Erhebungen 10 und 20 handelt es sich – ähnlich wie bei den in der Beschreibung ausdrücklich genannten Verformungsmittel – um zusätzliche konstruktive Maßnahmen, die zu einer geringfügigen Verformung der Außenhülse zu Beginn des Verdrehvorgangs führen. Anders als bei den von der Lehre des Klagepatents beschriebenen Ausgestaltungen sind die Erhebungen 10 und 20 zwar nicht „im Übergangsbereich zwischen Gleit- und Rastbahn“ vorgesehen (so die Ausgestaltungen nach der Klagepatentbeschreibung, vgl. die Unteransprüche 4 und 5 und Abs. [0026] und Abs. [0075]), sondern jeweils mittig auf den Seitenwänden von Außen- und Innenhülse angeordnet. Darauf aber kommt es nach der geschützten Lehre nicht an, weil die Lage der Erhebungen insoweit ohne Einfluss auf die Intensität der Deformation der Außenhülse ist. - (b)
Zutreffend ist weiter, dass – was die Beklagte eingewendet hat – ein Unterschied insoweit besteht, als die Erhebungen 10 und 20 nicht elastisch sind. Den diesbezüglichen Gegenvortrag der Klägerin, dass es sich bei dem Material der Erhebungen 10 und 20 nicht um das gleiche Material wie dasjenige der Außenhülse, sondern um ein weiches Elastomer handele, vermag die Kammer in diesem Zusammenhang nicht nachzuvollziehen. Die Erhebungen 10 und 20 wirken bei Betrachtung des vorgelegten Musters der angegriffenen Ausführungsform (Anlage LSG14) starr, eine Berührung derselben bestätigt diesen optischen Eindruck. Die Klägerin hat ihr Vorbringen auch auf Nachfrage der Kammer in der mündlichen Verhandlung nicht substantiiert, sondern lediglich davon Abstand genommen, dass das Material der Erhebungen ein weiches Elastomer sei (vgl. Sitzungsprotokoll v. 15.07.2021, S. 3, Bl. 342 GA). Damit aber bleibt auf der Grundlage des Klägervortrags unklar, um was für ein Material es sich bei den Erhebungen 10 und 20 – entgegen des Vortrags der Beklagten einer mit den Hülsenkörpern materialeinheitlichen Ausgestaltung – handelt. - Die starre Ausbildung der Erhebungen führt gleichwohl nicht aus einer Verwirklichung des Merkmals heraus.
- Der Lehre des Klagepatents ist eine Beschränkung auf elastische Widerstände, die zum Einsatz einer gewissen Verdrehkraft führen, nicht zu entnehmen, auch wenn die ausdrücklich beschriebenen Ausführungsbeispiele (zu diesen ausführlich zur Auslegung unter Ziff. II., 4. lit. c)) darauf gerichtet sind. Denn auch formstabile konstruktive Maßnahmen können bei entsprechender Geometrie und Anordnung – wie die angegriffene Ausführungsform zeigt – einen geringen Drehwiderstand erzeugen. Die sich dabei ergebende, gegebenenfalls auch etwas stärkere, Verformung der Außenhülse ist gleichwohl nicht mit der Deformation gleichzusetzen, die dadurch entsteht, dass die Rastbahn der Innenhülse während des Verdrehvorgangs an der Wand der Außenhülse entlang bewegt wird. Eine Beschränkung auf elastische Widerstände ergibt sich weiter auch nicht daraus, dass die Klagepatentschrift lehrt, dass die geschützten Erfindung es ermöglicht, sehr starre und biegefeste Materialen für die Außenhülse zu verwenden (Abs. [0030], Abs. [0054]). Denn dabei handelt es sich, auch wenn die geschützte Vorrichtung diesen Effekt typischerweise mit sich bringt, nicht um einen erfindungswesentlich angestrebten Erfolg.
- (3)
Soweit die Beklagte weiter geltend macht, die für die Verdrehung aufzuwendende Kraft werde bei der angegriffenen Ausführungsform weiter dadurch verursacht, dass es zu einer Reibung zwischen dem inneren Hohlkörper und dem äußeren Hohlkörper komme, ist auch diese nicht mit einem Kraftaufwand vergleichbar, der dadurch entsteht, dass die Rastbahn der Innenhülse auf die Außenhülse einwirkt, um sich bei der Verdrehung der Hohlkörper zueinander „einen Weg zu bahnen“. -
IV.
Der Klägerin ist es auch unter Berücksichtigung des Grundsatzes von Treu und Glauben (§ 242 BGB) nicht verwehrt, sich auf die Verletzung ihres Klagepatents zu berufen. - Dem von der Beklagten im Zusammenhang mit ihrem Einwand in Bezug genommene Prozessvorbringen der Klägerin im Rahmen der Nichtigkeitsklage (Az.: 4 Ni 26/18), wie es sich bei analoger Anwendung von §§ 133, 157 BGB nach dem objektiven Empfängerhorizont darstellt, kann nicht entnommen werden, dass damit gerade die Reichweite des Klagepatents im Hinblick auf die angegriffene Ausführungsform eingeschränkt werden sollte und das Klagepatent gerade auf dieser Grundlage aufrechterhalten worden ist, weshalb auch ein dahingehender Vertrauenstatbestand auf Seiten der Beklagten nicht begründet worden sein kann (zu diesem grundsätzlichen Erfordernis: (BGH, NJW 1997, 3377 – Weichvorrichtung II).
- Die Beklagte rügt mit ihrem Vorbringen letztlich lediglich, dass sich die Klägerin im Hinblick auf Auslegungsfragen widersprüchlich verhält, darin kann ein Verstoß gegen den Grundsatz einer einheitlichen Auslegung bei der Verletzungs- und der Rechtsbestandsprüfung liegt, nicht aber sind damit im vorliegenden Fall die sich aus § 242 BGB ergebenden Grenzen der Rechtsausübung überschritten.
-
V.
Die festgestellte Rechtsverletzung rechtfertigt die tenorierten Rechtsfolgen. - 1.
Die Beklagte ist der Klägerin gem. § 139 Abs. 1 PatG zur Unterlassung verpflichtet, da die Benutzung der Erfindung ohne Berechtigung erfolgt. - 2.
Die Klägerin hat gegen die Beklagte dem Grunde nach Anspruch auf Zahlung von Schadensersatz aus § 139 Abs. 1 und Abs. 2 PatG. - Das für die Zulässigkeit des Feststellungsantrags gemäß § 256 Abs. 1 ZPO erforderliche Feststellungsinteresse ergibt sich daraus, dass die Klägerin derzeit nicht in der Lage ist, den konkreten Schaden zu beziffern und ohne eine rechtskräftige Feststellung der Schadensersatzpflicht die Verjährung von Schadensersatzansprüchen droht.
- Zudem sind die Voraussetzungen eines Schadensersatzanspruchs aus § 139 Abs. 2 PatG erfüllt. Die Beklagte beging die Patentverletzung rechtswidrig und schuldhaft. Als Fachunternehmen hätte sie die Patentverletzung bei Anwendung der im Geschäftsverkehr erforderlichen Sorgfalt zumindest erkennen können, § 276 BGB. Es ist auch nicht unwahrscheinlich, dass der Klägerin als Inhaberin des Klagepatents durch die Patentverletzung ein Schaden entstanden ist.
- 3.
Der Klägerin steht gegen die Beklagte auch ein Anspruch auf Rechnungslegung und Auskunft aus § 140b Abs. 1 PatG, §§ 242, 259 BGB zu. - Der Anspruch auf Auskunft über die Herkunft und den Vertriebsweg der angegriffenen Ausführungsform ergibt sich aufgrund der unberechtigten Benutzung des Erfindungsgegenstands unmittelbar aus § 140b Abs. 1 PatG, der Umfang der Auskunftspflicht aus § 140b Abs. 3 PatG. Die weitergehende Auskunftspflicht und die Verpflichtung zur Rechnungslegung folgen aus §§ 242, 259 BGB, damit die Klägerin in die Lage versetzt wird, den ihr zustehenden Schadensersatzanspruch zu beziffern. Die Klägerin ist auf die tenorierten Angaben angewiesen, über die sie ohne eigenes Verschulden nicht verfügt, und die Beklagte wird durch die von ihr verlangten Auskünfte nicht unzumutbar belastet.
- 4.
Die Klägerin hat weiterhin gegen die Beklagte einen Anspruch auf Rückruf und Vernichtung der angegriffenen Ausführungsform gemäß § 140a Abs. 1 und Abs. 3 PatG. - Anhaltspunkte dafür, dass sich der Rückruf/ die Vernichtung als unverhältnismäßig im Sinne des § 140a Abs. 4 PatG darstellen, sind weder vorgetragen noch erkennbar.
- 5.
Schließlich hat die Klägerin gegen die Beklagte einen Anspruch auf Erstattung der durch das Abmahnschreiben vom 22.06.2018 (Anlage LSG9) entstandenen außergerichtlichen Anwaltskosten in Höhe 10.964,20 EUR aus §§ 683 S. 1, 677, 670 BGB. - a)
Demjenigen, dem – wie vorliegend – im Zeitpunkt der Abmahnung ein Unterlassungsanspruch gegen den Abgemahnten zustand, kann unter dem Gesichtspunkt der Geschäftsführung ohne Auftrag die Erstattung vorgerichtlich durch die Einschaltung eines Rechtsanwalts entstandener Kosten verlangen (BGH, Urt. v. 28.09.2011, Az.: I ZR 145/10, Rn. 13 – Tigerkopf, zitiert nach juris), sofern die Beauftragung des Rechtsanwalts zur Rechtsverteidigung – wie vorliegend – erforderlich war. Gleiches gilt, soweit die Klägerin patentanwaltliche Beratung in Anspruch genommen hat (vgl. zur grundsätzlichen Erforderlichkeit in patentrechtlichen Fällen, Grabinski/ Zülch, in: Benkard, PatG, Kommentar, 11. Auflage, 2015, § 143, Rn. 22c). - Die Abmahnung muss dem Verletzer jedoch die Möglichkeit geben, die Berechtigung der Abmahnung zu überprüfen. Eine solche Überprüfungsmöglichkeit gab die streitgegenständliche Abmahnung der Beklagten vorliegend.
- Der Beklagten war es auf der Grundlage des streitgegenständlichen Schreibens vom 22.06.2018 (Anlage LSG 9) insbesondere möglich, die ihr darin vorgeworfene Verletzung des Klagepatents durch die angegriffene Ausführungsform zu überprüfen. Die Klägerin hat die Merkmalsverwirklichung darin insbesondere anhand einer der Produktfamilie der angegriffenen Ausführungsform zuzuordnenden Verpackung (Typ: „NTP 65 200/XXX“) aufgezeigt (vgl. Anlage LSG 9, S. 3 – 5). Dass die Klägerin daneben auch eine Verletzung einer anderen Produktfamilie („B“) geltend macht, beseitigt die Überprüfungsmöglichkeit des Verletzungsvorwurfs im Hinblick auf die angegriffene Ausführungsform nicht.
- Für den Bereich des Wettbewerbsrechts (BGH, GRUR 2010, 744, Rn. 50) ist anerkannt, dass auch die Kosten einer nur teilweise berechtigten Abmahnung erstattungsfähig sind und ggf. lediglich eine Differenzierung bei der Höhe der Kosten vorzunehmen ist (dazu nachfolgend unter lit. b), aa), (2)). Diese Wertung ist auch für die hier vorliegende Fallkonstellation gerechtfertigt.
- b)
Der Aufwendungserstattungsanspruch besteht auch in der geltendgemachten Höhe. - aa)
Sofern die Klägerin ihren Erstattungsanspruch auf der Grundlage eines Gegenstandswertes von EUR 500.000,- bemisst, ist dieser angemessen. - (1)
Die dem Anwalt zustehende Vergütung für die im Rahmen des Abmahnverfahrens entstandenen Kosten sind gem. § 2 Abs. 1 RVG nach dem Gegenstandswert der Angelegenheit zu bestimmen, der gem. § 23 Abs. 1 Satz 3 RVG, § 12 Abs. 1 GKG dem nach § 51 Abs. 1 GKG zu bemessenden Streitwert eines gerichtlichen Hauptsachverfahrens entspricht. § 51 Abs. 1 GKG nimmt wiederum eine Streitwertbemessung vor, die an dem wirtschaftlichen Interesse, das der Kläger mit seiner Klage objektiv verfolgt, ausrichtet (Kühnen, Hdb. der Patentverletzung, 13. Auflage, 2021, Kap. J., Rn. 147. Die Gebühren des Patentanwalts gegen die eigene Partei, die die Beklagte zu erstatten hat, bemessen sich nach denselben Vorschriften (Grabinski/ Zülch, in: Benkard, PatG, Kommentar, 11. Auflage, 2015, § 143, Rn. 23d). Gem. § 23 Abs. 1 Satz 3 GKG, § 39 Abs. 1 GKG werden die Gegenstandswerte mehrere Streitgegenstände zusammengerechnet. - Vorliegend hat die Klägerin vorprozessual gegen die Beklagte Unterlassungs- und Auskunftsansprüche sowie die Anerkennung einer Schadensersatzpflicht dem Grunde nach geltend gemacht.
- Das für das Unterlassungsinteresse ist maßgeblich durch die Art des Verstoßes, insbesondere seine Gefährlichkeit und Schädlichkeit, bestimmt. Entscheidend ist, mit welchen Nachteilen der Kläger bei Fortsetzung des beanstandeten patentverletzenden Verhaltens rechnen muss (Kühnen, ebd., Kap. J., Rn. 151). Indizielle Bedeutung entfaltet dabei auch die klägerische Wertangabe, die gemacht wurde, bevor der Erfolg der Rechtsverfolgung abzusehen war (Büttner, in: Ahrens, Der Wettbewerbsprozess, 7. Aufl., Kap. 40 Rz. 29). Der Streitwert für einen Anspruch auf Feststellung einer Schadensersatzpflicht dem Grunde nach bemisst sich anteilig nach der – überschlägig zu schätzenden – Höhe des Schadensersatzanspruchs. Im Hinblick auf einen Anspruch auf Auskunft/ Rechnungslegung ist das Interesse des Gläubigers maßgeblich, dass dieser an der begehrten Auskunft hat (Kühnen, ebd., Kap. J., Rn. 155). Da die genannten Ansprüche regelmäßig der Bezifferung eines Schadensersatzanspruchs dienen und eine Schadensersatzfeststellung ohne diese regelmäßig wertlos wäre, ist der Streitwert des Auskunfts-/ Rechnungslegungsanspruchs im Allgemeinen höher zu bemessen als derjenige Wert, der auf die Schadensersatzfeststellung entfällt (Kühnen, a.a.O.).
- (2)
Ausgehend von den dargestellten Grundsätzen kommt dem von der Klägerin mit 500.000,00 EUR angegebenen Wert zunächst eine erhebliche Indizwirkung zu. Der Gegenstandswert ist auch nicht offensichtlich überhöht angesetzt, er bewegt sich vielmehr im unteren Bereich dessen, was in patentrechtlichen Streitigkeiten regelmäßig das wirtschaftliche Interesse des Patentinhabers widerspiegelt. Die Beklagte greifen den Kostenansatz auch insofern nicht an. - Bei der Bemessung des Gegenstandswertes ist vorliegend auch nicht mindernd zu berücksichtigen, dass die Klägerin in dem streitgegenständlichen Abmahnschreiben neben der angegriffenen Ausführungsform ein weiteres Produkt der Beklagten („B“) als klagepatentverletzend anführt, obwohl insoweit eine Patentverletzung nicht dargetan ist. Für den Kostenerstattungsanspruch, der bei der Verteidigung gegen eine wettbewerbsrechtliche Abmahnungen nach § 12 Abs. 1 Satz 2 UWG bestehen kann, ist zwar anerkannt, dass hierbei nur der Teil des Gegenstandswerts zu berücksichtigen ist, der auf den berechtigten Teil der Abmahnung entfällt (vgl. auch BGH, GRUR 2010, 744, Rn. 50), eine Aufspaltung der streitgegenständlichen Abmahnung in einem vergleichbaren Sinne kommt hier jedoch nicht in Betracht.
- In der Angabe der zusätzlichen Produktfamilie spiegelt sich kein weitergehendes wirtschaftliches Interesse der Klägerin im Hinblick auf ihren Unterlassungsanspruch wieder. Orientiert an dem durch §§ 133, 156 BGB vorgegebenen Auslegungsmaßstab eines objektiven Erklärungsempfängers bezweckt die Klägerin mit dem in dem Abmahnschreiben verwendeten Passus „B“ bzw. „B“ (Anlage LSG9, S. 2, 3. Abs.), den Verletzungstatbestand im Hinblick auf eine konkrete technische Ausgestaltung des angegriffenen Produkts näher zu bestimmen. Durch die Aufnahme der Produktfamilie „B“ soll eine zusätzliche, in ihrer tatsächlichen Ausgestaltung abweichende, aber das Klagepatent dennoch verletzende Ausführungsform gerade nicht eingeführt werden. Das findet darin einen Ausdruck, dass die Klägerin – im Anschluss an die Produktbezeichnung – die Merkmalsverwirklichung beispielhaft anhand des Produkts „NTP 65 200/XXX“ (zu der Produktfamilie „B“ – angegriffene Ausführungsform – gehörend) aufzeigt. Einen Hinweis auf die technische Ausgestaltung von Produkten der Produktfamilie „B“ enthält das Abmahnschreiben gerade nicht, die Klägerin betrachtet die von ihr aufgezeigte technische Darstellung der Ausführungsform mithin als beispielhaft für beide Produktfamilien.
- Aus dem soeben Ausgeführten ergibt sich zugleich, dass gerade auch keine unterschiedlichen Streitgegenstände vorliegen, deren Gegenstandswerte grundsätzlich zu addieren wären. Unterschiedliche Klagegründe sind nur gegeben, wenn eine weitere Ausführungsform eingeführt wird, die mit der bereits eingeführten angegriffenen Ausführungsform nicht kerngleich ist (Zigann/ Werner, in: Cepl/ Voß, Prozesskommentar zum gewerblichen Rechtsschutz, § 253, Rn. 120f.).
- bb)
Auch der Ansatz einer 1,7-Geschäftsgebühr entspricht noch der Billigkeit. - Bei der Geschäftsgebühr handelt es sich gem. §§ 13, 14 RVG i. V. m. Teil 2, Abschnitt 3, Nr. 2300 VV RVG um eine Rahmengebühr. Gem. § 14 Abs. 1 Satz 1 RVG bestimmt der Rechtsanwalt bei Rahmengebühren die Gebühr im Einzelfall unter Berücksichtigung aller Umstände, vor allem des Umfangs und der Schwierigkeit der anwaltlichen Tätigkeit, der Bedeutung der Angelegenheit sowie der Einkommens- und Vermögensverhältnisse des Auftraggebers, nach billigem Ermessen. Einen Anhaltspunkt für die Ermessensausübung bietet dabei § 2 Abs. 2 RVG i. V. m. Teil 2, Abschnitt 3 Nr. 2300 VV (Anlag 1 RVG), wonach eine Gebühr, die höher ist als der 1,3-fache Satz, nur dann gefordert werden kann, wenn die Tätigkeit umfangreich oder schwierig war. Zu berücksichtigen ist in diesem Zusammenhang weiter, dass dem Rechtsanwalt bei der Bemessung der Gebühr ein Ermessensspielraum von 20 % zuzugestehen ist (BGH, NJW-RR 2012, 887, Rn. 4).
- Bei Zugrundelegung des angeführten Maßstabs ist vorliegend zu beachten, dass es sich um eine patentrechtliche Streitigkeit handelt, die üblicherweise nicht Gegenstand der juristischen Ausbildung ist, und bei der es sich regelmäßig um einen schwierigen Sachverhalt handelt , der das Erfordernis mit sich bringt, technische Erwägungen in einen Kontext mit rechtlichen Vorgaben zu bringen. Danach erweist sich jedenfalls der Ansatz einer 1,5-Gebühr als angemessen. Soweit die Klägerin zur Rechtfertigung einer Geschäftsgebühr von 1,7 weiter den Streit um die Rechtsbeständigkeit des Klagepatents anführt, kann dies zur Begründung der angesetzten Gebühr nicht dienen. Das Rechtsbestandsverfahren gegen das Klagepatent wurde nämlich erst nach dem Abmahnschreiben vom 22.06.2018, nämlich mit Schriftsatz vom 14.09.2018 (Anlage B4) erhoben. Den Ermessensspielraum des Rechtsanwalts von 20 % berücksichtigend liegt eine 1,7-Gebühr gleichwohl noch im Rahmen billigen Ermessens.
- cc)
Die Pauschale für Entgelte für Post- und Telekommunikationsdienstleistungen kann nach § 2 Abs. 2 RVG i. V. m. Teil 7 Nr. 7002 VV RVG in Ansatz gebracht werden. - dd)
Bei Berücksichtigung der unter lit. aa) – cc) dargestellten Berechnungsfaktoren ergibt sich der von der Klägerin bezifferte Betrag wie folgt: - 1,7 x 3.213,00 € = 5.462,10 €
TK-Pauschale = 20,00 €
gesamt = 5.482,10 €. - Da neben den Kosten für den Rechtsanwalt auch Kosten für den Patentanwalt angefallen sind, die sich – wie ausgeführt – auf dieselbe Art und Weise wie die rechtsanwaltlichen Gebühren berechnen, ist der oben genannte Wert zu verdoppeln, so dass sich der eingeklagte Betrag in Höhe von 10.964,20 € ergibt.
- 6.
Der Zinsanspruch der Klägerin besteht gemäß §§ 291, 288 Abs. 1 BGB seit Rechtshängigkeit, mithin bei analoger Anwendung des § 187 Abs. 1 ZPO ab dem 04.02.2019. -
VI.
Eine Aussetzung der Verhandlung gem. § 148 Abs. 1 ZPO ist nicht geboten. - Hat das Klagepatent in dem Umfang, wie es im Verletzungsverfahren geltend gemacht wird, ein erstinstanzliches Nichtigkeitsverfahren durchlaufen, in dem es zur Überprüfung technischer Fachleute gestellt worden ist, rechtfertigt dies eine Aussetzung grundsätzlich nicht (OLG Düsseldorf, Urt. v. 07.07.2011, Az.: I-2 U 66/10, zitiert nach BeckRS 2011, 20942, Pkt. II., 3.). Dann, wenn die Argumentation im Rechtsbestandsverfahren möglich und mit nachvollziehbaren Gründen vertretbar erscheint, ist die Entscheidung des Fachgremiums hinzunehmen (a. a. O.). Eine Aussetzung ist in Fallkonstellationen wie der hier vorliegenden nur dann geboten, wenn die Rechtsbestandsentscheidung auf für das Verletzungsgericht nachweisbar unrichtigen Annahmen oder einer nicht mehr vertretbaren Argumentation beruht, oder wenn mit dem Rechtsmittel gegen die Rechtsbestandsentscheidung, ohne dass insoweit ein Nachlässigkeitsvorwurf angebracht ist, weiterer Stand der Technik präsentiert wird, der, weil er der Erfindung näher kommt als der bisher gewürdigte Stand der Technik mit der gebotenen Wahrscheinlichkeit eine Vernichtung des Klagepatents erwarten lässt (a. a. O).
- Vorliegend machen die Beklagten geltend, das Bundespatentgericht habe bei der Prüfung der Neuheitsschädlichkeit der JP 11-105XXX A (nachfolgend auch: SP08; deutsche Übersetzung: Anlage SP08Ü) offensichtlich verkannt, dass auch das Merkmal 1.4 vorweggenommen worden sei (zu den dieses Merkmal betreffenden Ausführungen des BPatG im Zusammenhang mit der SP08: LSG12, S. 37f.).
- In diesem Zusammenhang scheint es aber der Kammer jedenfalls nicht unvertretbar, davon auszugehen, dass mit dem Merkmal 1.4 allein die Gestalt des äußeren Hohlkörpers – in Abgrenzung zu derjenigen des inneren Hohlkörpers – beschrieben ist. Die Beklagte macht unter Verweis auf Abschnitt [0051] geltend, dass der Begriff der Außenhülse (bzw. synonym der Begriff des Außenkörpers) gegen denjenigen der Innenhülse austauschbar sein solle, so dass Merkmal 1.4 auch beschreibt, dass der innere Hohlkörper an allen oder einigen Ecken Rastzähne aufweise. Eine solche Ausgestaltung sei wiederum durch die Figur 5b) der SP08 vorweggenommen.
- Zu berücksichtigen ist indes, dass der Anspruchswortlaut grundsätzlich – dort, wo es ihm auf eine genaue Zuordnung zu einer der beiden Hülsen nicht ankommt – von dem „einen“ und dem „anderen“ Hohlkörper (Merkmale 1.1.1 und 1.1.2) oder dem „einen“ und dem „gegenüberliegenden“ Hohlkörper (Merkmal 1.3) spricht. Sofern in Merkmal 1.4 so dann konkret der äußere Hohlkörper in Bezug genommen ist, ist davon auszugehen, dass es dem Klagepatent auch auf eben diesen ankommt. Davon, dass der insoweit maßgebliche Anspruchswortlaut durch den Beschreibungsinhalt eine Umdeutung erfährt, vermag die Kammer nicht auszugehen. Jedenfalls vermag sie auf der Grundlage nicht von einer die Aussetzung des hiesigen Verletzungsrechtsstreits rechtfertigenden offensichtlichen Fehlerhaftigkeit der Rechtsbestandsentscheidung auszugehen. Das gilt umso mehr als die Beklagte im Rahmen ihres hiesigen Vortrags darauf verweist, dass sie den hier erhobenen Einwand auch bereits im Rahmen des erstinstanzlichen Nichtigkeitsverfahrens vorgebracht hat (insbesondere Eingabe vom 05.03.2021, Anlage B18, S. 10, 3. Abs.) und dieser auch im Rahmen der mündlichen Verhandlung am 15.03.2021 erörtert worden ist. Diese Tatsache steht gegen die Annahme, das BPatG habe diesen Gesichtspunkt bei seiner Entscheidung übersehen.
B.
Die Widerklage ist zulässig und begründet. - I.
Die Widerklage ist zulässig, insbesondere ist die örtliche Zuständigkeit des angerufenen Gerichts gem. § 33 Abs. ZPO begründet. - Ist die örtliche Zuständigkeit – wie hier – nicht nach den allgemeinen Vorschriften nach §§ 12 ZPO begründet, so kann sie sich im Falle einer Widerklage aus § 33 ZPO ergeben (Zöller, in: Cepl/ Voß, Prozesskommentar zum Gewerblichen Rechtsschutz, 2. Auflage, 2018, § 33, Rn. 16). Nach der zitierten Vorschrift kann eine Widerklage bei dem Gericht der Klage erhoben werden, wenn ein Sachzusammenhang zwischen dem widerklagend geltend gemachten Anspruch und dem Klageanspruch besteht.
- Ein solcher liegt vor, wenn die geltend gemachten Forderungen auf ein gemeinsames Rechtsverhältnis zurückzuführen sind, beide also aus dem gleichen Rechtsverhältnis oder Lebenssachverhalt hervorgehen, ohne dass gerade die völlige Identität des unmittelbaren Rechtsgrundes vorhanden sein muss (Schultzky, in: Zöller, ZPO, Kommentar, 33. Auflage, 2020, § 33, Rn. 4). Ausreichend ist jedenfalls ein – in einem weiten Sinne zu verstehender – rechtlicher Zusammenhang (a.a.O.). Das ist der Fall, wenn mindestens eine der anspruchsbegründenden Tatsachen von Klage und Widerklage demselben Tatsachenkomplex entnommen werden können.
- So ist es vorliegend.
- Die Klägerin leitet die von ihr geltend gemachten Ansprüche in der hiesigen Klage zwar aus der Verletzung eines anderen Schutzrechts her als in dem Abmahnschreiben das Gegenstand der hiesigen Widerklage ist (Anlage B6; dort: Verletzung des EP‘XXX). Eine hinreichende Verbindung zwischen Klage und Widerklage besteht gleichwohl insoweit, als die Klägerin sowohl mit dem Abmahnschreiben vom 26.04.2018 als auch mit der hiesigen Klage die Unterlassung der angegriffenen Ausführungsform (Produktserie: „B“) begehrt und sich hierbei auf dieselben Benutzungshandlungen der Beklagten stützt. Zudem stimmen die Merkmale des geltend gemachten Anspruchs des EP‘XXX im Wesentlichen mit den Merkmalen des hiesigen Klagepatents, insbesondere im Hinblick auf die ursprünglich zwischen den Parteien streitigen Merkmale, überein. Bei einer Gesamtschau dieser Gesichtspunkt liegt ein Sachzusammenhang im weitesten Sinne (noch) vor.
-
II.
Die Widerklage ist auch begründet. - 1.
Der Beklagten steht ein Anspruch auf Schadensersatz wegen der ihr entstandenen Rechts- und Patentanwaltskosten in der geltend gemachten Höhe gem. § 823 Abs. 1 BGB zu. - Gem. § 823 Abs. 1 BGB hat derjenige, der wegen der Verletzung eines Schutzrechts abgemahnt worden ist, einen Anspruch auf Erstattung der ihm zur Abwehr der Schutzrechtsverwarnung entstandenen Kosten, wenn diese Verwarnung unberechtigt war, mithin eine Verletzung des Schutzrechts nicht gegeben war. Denn die unberechtigte Schutzrechtsverwarnung stellt einen rechtswidrigen, schuldhaften Eingriff in den eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb dar (BGH, NJW 2005, 3141 ff. – unberechtigte Schutzrechtsverwarnung I).
- Eine solche unberechtigte Schutzrechtsverwarnung liegt hier vor.
- a)
Das EP‘XXX, auf das die Klägerin ihr Begehren in dem Schreiben vom 26.04.2018 (Anlage B6) stützte, ist beschränkt worden. Die Klägerin hat gegen den Vortrag der Beklagten, dass die angegriffene Ausführungsform dem so beschränkten Schutzbereich nicht mehr unterfällt, nichts Erhebliches vorgebracht. Sie hat dieses auch der Beklagten nicht mehr erkennbar entgegengehalten, um auf ein Unterlassen etwaiger Benutzungshandlungen hinzuwirken. Sie hat vielmehr auf das auf das hier streitgegenständliche Abmahnschreiben vom 26.04.2018 (Anlage B9) folgende Abmahnschreiben vom 22.06.2018 (Anlage LSG9) eine Verletzung des hiesigen Klagepatents angemahnte, ohne dass das EP‘XXX noch in irgendeiner Form Erwähnung gefunden hat. - Die Rechtswidrigkeit der Abmahnung entfällt auch nicht deshalb, weil die Klägerin mit dem Klagepatent ein Schutzrecht innehat, auf welches ein Unterlassungsbegehren gestützt werden kann (dazu zuvor unter Pkt. A.).
- Unbeschadet dessen ist das hiesige Klagepatent nicht Gegenstand der Abmahnung, gegen die sich die Beklagte mit dem streitgegenständlichen Schreiben vom 15.05.2019 zur Wehr setzte. Ein einheitlicher „Abmahnsachverhalt“ scheidet aus, weil die Klägerin erst in einem späteren (rund 2 Monate) neuen Schreiben, die Verletzung des Klagepatents geltend machte.
- b)
Die Klägerin hat die unberechtigte Schutzrechtsverwarnung auch verschuldet. - Sie handelte jedenfalls fahrlässig.
- Fahrlässig handelt gem. § 276 Abs. 2 BGB, wer die im Verkehr erforderliche Sorgfalt außer Acht lässt, wobei die Sorgfaltsanforderungen nicht überspannt werden dürfen, um den (vermeintlichen) Schutzrechtinhaber nicht unübersehbaren Risiken auszusetzen (Köhler, in: Köhler/ Bornkamm, UWG, Kommentar, 39. Auflage, 2021, § 4, Rn. 4.180b. Ein Sorgfaltsverstoß des Schutzrechtsinhabers liegt danach nicht vor, wenn er sich seine Überzeugung durch gewissenhafte Prüfung gebildet oder wenn er sich bei seinen Überlegungen von vernünftigen und billigen Überlegungen hat leiten lassen (a.a.O.).
- c)
Die Beklagte hat einen Anspruch auf Erstattung der ihr durch die Verteidigung gegen die unberechtigte Schutzrechtsverwarnung entstandenen Kosten in der geltend gemachten Höhe, § 249 Abs. 1 BGB. - Zu den Vorschriften, nach denen sich die rechts- und patentanwaltliche Vergütung bemisst, ist im Zusammenhang mit dem Erstattungsanspruch der Klägerin bereits ausgeführt worden (unter Pkt. A., Ziff. IV., 5., b), aa), (1)), auf diese Ausführungen wird verwiesen.
- Die Beklagte ist bei der Bemessung der ihr entstandenen Kosten von einem angemessenen Gegenstandswert von EUR 625.000, 00 ausgegangen.
- Auch zu den allgemeinen Grundsätzen für die Gegenstandsbemessung ist zuvor bereits im Zusammenhang mit dem Erstattungsanspruch der Klägerin ausgeführt worden (unter Pkt. A., Ziff. IV., 5., b), aa), (1)). Auch auf diese wird hier Bezug genommen.
- Die Klägerin selbst hat für das Klagepatent in dem hiesigen Verletzungsstreit einen Streitwert von EUR 500.000,00 angesetzt. Eine Vergleichbarkeit des Klagepatents mit dem der Gegenabmahnung zugrunde liegenden EP‘XXX scheint angebracht. Die Beklagte hat mit dem anwaltlichen Schreiben (Anlage B7) einen Verzicht auf das Patent beansprucht, weshalb insoweit eine Orientierung an dem Streitwert für einen Verletzungsprozess angemessen erscheint. Da der Verzicht auf ein Schutzrecht weitergeht als die einzelne Verletzung desselben ist auch ein Aufschlag von 25% nicht unangemessen (vgl. ähnlich für die Festsetzung des Streitwerts in einem Patentnichtigkeitsverfahren: BGH, GRUR 2011, 757, Rn. 3). Auch die Klägerin hat gegen dieses Vorgehen keine Bedenken geltend gemacht.
- Hiervon ausgehend ergeben sich bei Ansatz einer 1,3 Geschäftsgebühr, wobei es sich um die Regelgebühr nach § 2 Abs. 2 RVG i. V. m. Teil 2, Abschnitt 3 Nr. 2300 VV Anlag 1 RVG handelt, sowie bei Ansatz einer Pauschale für Entgelte für Post- und Telekommunikationsdienstleistungen (§ 2 Abs. 2 RVG i. V. m. Teil 7 Nr. 7002 VV RVG) die geltend gemachten Kosten wie folgt:
- 1,3 x 3.663,00 € = 4.761,90 €
TK-Pauschale = 20,00 €
gesamt = 4.781,90 € , - wobei zu berücksichtigen war, dass diese sowohl im Hinblick auf den Rechts- als auch im Hinblick auf den Patentanwalt angefallen sind.
- 2.
Der Zinsanspruch folgt aus § 286 Abs. 1 Satz 1, § 288 Abs. 1 Satz 2 BGB. - Die Klägerin befindet sich aufgrund der Fristsetzung in dem Schreiben vom 15.05.2019 (Anlage B7), welche als Mahnung im Sinne von § 286 Abs. 1 Satz 1 BGB zu erachten ist, in analoger Anwendung des § 187 Abs. 1 BGB seit dem 17.06.2018 in Verzug.
-
C.
Die Kostenentscheidung ergeht nach § 92 Abs. 2 Nr. 1, § 269 Abs. 3 Satz 2 ZPO. - Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit hat ihre Grundlage für die Beklagte in § 709 Satz 1, 2 ZPO und für die Klägerin in § 709 Satz 1 ZPO.
-
D.
Der Schriftsatz der Beklagten vom 27.07.2021 gibt keinen Anlass zur Wiedereröffnung der mündlichen Verhandlung, § 156 Abs. 1 ZPO. - Dieser enthält im Wesentlichen Rechtsausführungen zur Frage der Aussetzung, soweit dieser Tatsachenvortrag enthält, setzt sich die Klägerin damit nicht in Widerspruch zu tatsächlichem Vorbringen der Beklagten. Darin enthaltenes neues Tatsachenvorbringen, insbesondere dasjenige, wonach die Beklagte ihren die neuheitsschädliche Vorwegnahme des Merkmals 1.4 durch die SP08 betreffenden Einwand bisher noch nicht in das Nichtigkeitsberufungsverfahren eingeführt hat, sowie der Einwand des verspätet vorgebrachten Aussetzungsantrags sind angesichts der Ausführungen zur Aussetzung unter Punkt. A., Ziffer VI. nicht entscheidungserheblich.
-
E.
Der Streitwert wird gem. § 51 Abs. 1, § 48 Abs. 1 Satz 1, § 45 Abs. 1 Satz 1 GKG i. V. m. § 3 ZPO auf 509.563,80 € festgesetzt.