Düsseldorfer Entscheidungen Nr. 3133
Landgericht Düsseldorf
Urteil vom 15. Juli 2021, Az. 4c O 74/20
- I. Der Beschluss der Kammer vom 14.12.2020 wird mit der Maßgabe aufrechterhalten, dass Ziff. I. nunmehr lautet wie folgt:
„Den Verfügungsbeklagten wird im Wege der einstweiligen Verfügung, wegen der besonderen Dringlichkeit ohne vorherige mündliche Verhandlung, untersagt, - in der Volksrepublik China gerichtliche Verfahren einzuleiten und/oder fortzuführen, in denen beantragt wird, der Verfügungsklägerin zu untersagen,
- a) ihre Patentrechte in der Bundesrepublik Deutschland gerichtlich gegen die Verfügungsbeklagten durchzusetzen, in dem vor der Kammer anhängigen Hauptsacheverfahren unter dem gerichtlichen Aktenzeichen 4c O 68/20,
- b) etwaige gerichtliche Entscheidungen, die von der Verfügungsklägerin in den unter I.1. a) genannten Verfahren erstritten werden, gegen die Verfügungsbeklagten zu vollstrecken,
- wenn nicht gewährleistet ist, dass der Verfügungsklägerin in einem solchen Verfahren vor einer Entscheidung Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben wird.“
- II. Die Kosten des Rechtsstreits tragen die Verfügungsklägerin zu 20 % und die Verfügungsbeklagten zu 80 %.
- III. Das Urteil ist hinsichtlich Ziff. I und wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar.
- Tatbestand
- Die Parteien streiten über das Vorliegen der Voraussetzungen für den Erlass einer einstweiligen Verfügung, mit welcher die Verfügungsklägerin seitens der Verfügungsbeklagten in China mögliche angestrebte vorläufige Rechtsschutzmaßnahmen – ohne ihrerseits angehört zu werden – abwehren will.
- Die Verfügungsklägerin hat am 13.11.2020 vor dem Landgericht Düsseldorf Klage gegen die Verfügungsbeklagten wegen der Verletzung des Deutschen Teils des EP 2 950 XXX B1, welches nach der Behauptung der Verfügungsklägerin Bestandteil des Standards H.265/MPEG-H High Efficiency Video Coding – HEVC (nachfolgend: HEVC-Standard) sein soll, erhoben und das vor der Kammer unter dem Az. 4c O 68/20 geführt wird. In diesem Zusammenhang befürchtete die Verfügungsklägerin, dass die Verfügungsbeklagten im Ausland, namentlich in der Volksrepublik China, versuchen würden, eine gerichtliche Entscheidung zu erlangen, wodurch die Verfügungsklägerin an der Durchsetzung ihrer Patentrechte in Deutschland sowie an der Vollstreckung von gegebenenfalls in einem Patentverletzungsverfahren erstrittenen Entscheidungen gehindert werden würde (so genannte „Anti-Suit Injunction“; im Folgenden auch: ASI).
- Mit Schriftsatz vom 11.12.2020 beantragte die Verfügungsklägerin daher den Erlass einer vorbeugenden Anti-Anti-Suit Injunction (im Folgenden auch: AASI), deren Ziel es ist, die Verfügungsbeklagten an dem Erwirken einer ex-parte Anti-Suit Injunction zu hindern, aufgrund derer die vor der Kammer anhängigen Verletzungsverfahren nicht mehr ungehindert durchgeführt werden könnten.
- Die Kammer erließ am 14.12.2020 im Beschlusswege antragsgemäß die einstweilige Verfügung gegen die Verfügungsbeklagten. Ziff. I des Tenors lautet:
- „Den Antragsgegnerinnen wird im Wege der einstweiligen Verfügung, wegen der besonderen Dringlichkeit ohne vorherige mündliche Verhandlung, untersagt,
im Ausland, insbesondere in der Volksrepublik China, gerichtliche Verfahren einzuleiten und/oder fortzuführen, in denen beantragt wird, der Antragstellerin zu untersagen,
a) ihre Patentrechte in der Bundesrepublik Deutschland gerichtlich gegen die Antragsgegnerinnen durchzusetzen, insbesondere in dem vor der Kammer anhängigen Hauptsacheverfahren unter dem gerichtlichen Aktenzeichen 4c O 68/20,
b) etwaige gerichtliche Entscheidungen, die von der Antragstellerin in den unter I.1. a) genannten Verfahren erstritten werden, gegen die Antragsgegnerinnen zu vollstrecken, wenn nicht gewährleistet ist, dass der Antragstellerin in einem solchen Verfahren vor einer Entscheidung Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben wird.“ - Die Zustellung des einstweiligen Verfügungsbeschlusses an die Verfügungsbeklagten zu 2), 3) und 4) erfolgte am 29.12.2020. An die Verfügungsbeklagten zu 1) wurde eine Ausfertigung des einstweiligen Verfügungsbeschlusses am 13.01.2021 zugestellt.
- Gegen diesen Beschluss legten die Verfügungsbeklagten mit Schriftsatz vom 02.02.2021 Widerspruch ein.
- Zugleich sind vor der Kammer die Parallelverfahren der B, LLC (Az. 4c O 73/20) sowie der Gesellschaft japanischen Rechts A Corporation (Az. 4c O 75/20) gegen dieselben Verfügungsbeklagten anhängig.
- Die Verfügungsklägerin ist der Auffassung, dass die Voraussetzungen für den Erlass einer Anit-Anti-Suit Injunction gegeben seien. Es bestehe ein Verfügungsanspruch, weil insbesondere Erstbegehungsgefahr vorliege. Für den Verfügungsgrund bestehe die zeitliche Dringlichkeit.
- Die Verfügungsklägerin meint, dass die Erstbegehungsgefahr daraus folge, dass sie jederzeit mit dem Erlass einer ASI zugunsten der Verfügungsbeklagten in China rechnen müsse. Denn die nach chinesischem Recht (Art. 100, 101 CN-ZPO) erforderlichen Erlass-Voraussetzungen für eine Eilentscheidung seien alle gegeben. Es komme dort weder auf eine besondere zeitliche Dringlichkeit des Sachverhalts an, noch müsse eine Klage auf Festsetzung von Lizenzbedingungen angestrengt von den Verfügungsbeklagten und daher mit umgekehrten Rubrum im Verhältnis zum Verletzungsverfahren bereits erhoben worden sein. Diese könne innerhalb von 30 Tagen nach der Entscheidung über die ASI nachgeholt werden. Zugunsten der Verfügungsklägerin müsse auch deshalb eine Erstbegehungsgefahr angenommen werden, da es den Verfügungsbeklagten unbenommen sei, eine solche Klage künftig in China anhängig zu machen und im unmittelbaren Anschluss daran, eine ASI zu beantragen. Schon aus vergangenen Verfahren wie C./.D, aber auch Huawei./.Conversant oder Samsung./.Ericsson sei bekannt, dass sich die chinesische Rechtsprechungspraxis tatsächlich dahin entwickle, den SEP-Benutzern ASIs zu gewähren. Hinzukomme – wie Verfahren vor dem Landgericht München I gezeigt hätten –, dass die Verfügungsbeklagten nach dem Erlass einer chinesischen ASI inländischen Beschlüssen nicht Folge leisten würden, mit denen ihnen die Zurücknahme des ASI-Antrags mit Wirkung für Deutschland aufgegeben worden sei. Im Falle des Erlasses einer ASI sei die Verfügungsklägerin erheblichen (finanziellen) Nachteilen ausgesetzt, wenn sie trotzdem die Verletzungsverfahren in Deutschland weiterbetreiben wolle. Bei einem Verstoß gegen die ASI, selbst wenn diese in Deutschland keine Wirkung entfalte, sähe sich die Verfügungsklägerin Strafzahlungen in China ausgesetzt, wo die ASI weiterhin Geltung habe. Diese könnten sich jeweils auf 1 Millionen RMB pro Tag für den Zeitraum der Zuwiderhandlung belaufen, wenn man sich an vorherigen Entscheidungen orientiere. Würde die Verfügungsklägerin also das Hauptsacheverfahren entgegen einer chinesischen Anti-Suit Injunction fortführen, würden dadurch Strafzahlungen in Höhe mehrerer hundert Millionen RMB fällig. Gehe man davon aus, dass die deutschen Verfahren in erster und zweiter Instanz jeweils etwa ein Jahr dauern würden, stünde eine Summe von gut 700 Millionen RMB im Raum (90 Millionen Euro). Deshalb würde ein Klageverbot in China höchstwahrscheinlich dazu führen, dass die Verfügungsklägerin ihre Hauptsacheverfahren beenden und die Klagen zurücknehmen müsse.
- Hinsichtlich der für den Verfügungsgrund erforderlichen zeitlichen Dringlichkeit behauptet die Verfügungsklägerin, erstmals am 02.12.2020 Kenntnis davon erlangt zu haben, dass zugunsten der Verfügungsbeklagten die Möglichkeit bestehe, in China eine Anti-Suit Injunction ohne vorherige Anhörung oder Information der Verfügungsklägerin zu erhalten (ex parte). Über dieses Risiko sei sie von einem ihrer Prozessbevollmächtigten, welcher selbst erst am 13.11.2020 vermittelt über den Patentpool F von dieser Möglichkeit Kenntnis erlangt habe, informiert worden. Sodann habe sich die Verfügungsklägerin für die Beantragung der einstweiligen Verfügung entschieden (Anlage ES 9).
Der Verfügungsklägerin sei eine etwaige vorherige Kenntniserlangung über ex-parte ASIs durch den Pool nicht zuzurechnen. Es handele sich um gänzlich unabhängige Unternehmen, die auch rechtlich und hinsichtlich ihrer Vertretungsrechte gerade in Zivilprozessen nicht gleichgesetzt werden könnten. Im Übrigen habe der Patentpool F (im Folgenden auch: Pool), dessen Mitglied die Verfügungsklägerin unstreitig ist, erstmals am 13.11.2020 von dem Erlass von ex-parte ASIs erfahren (vgl. eidesstattliche Versicherung Anlage ES 8). Die erforderliche Dringlichkeit bestehe, weil verstrichene Zeiträume jeweils der Recherche und Herbeiführung von Rechtssicherheit gedient hätten und sich F nicht um eine schnellere Aufklärung hätte bemühen müssen. Ausgangspunkt für diese Erkenntnisse und dahingehende Recherchen sei gewesen, dass F Ende September 2020 darauf aufmerksam geworden sei, dass C eine Anti-Suit Injunction gegen D (im Folgenden auch: ID) erwirkt habe, ohne dass ID an diesem Verfahren beteiligt gewesen sei. Die Vorgehensweise im Wege von ex-parte ASIs habe sich überhaupt erst in den Monaten ab August 2020 allmählich im chinesischen Recht herausentwickelt. Der Pool habe Ende September dann, die Hinzuziehung einer chinesischen Anwaltskanzlei für notwendig erachtet und nach Auffinden einer entsprechend erfahrenen Kanzlei und umfassenden Konfliktprüfungen diese schließlich beauftragt. Dies habe einen Zeitraum von sechs Wochen bis zum Vorliegen der Ergebnisse erfordert. - Gleichermaßen scheide eine Wissenszurechnung über die parallele Verfügungsklägerin E aus, welche bereits am 21.10.2020 gewusst habe, dass ex-parte ASI in China erlassen werden. E und die Antragstellerin seien komplett unterschiedliche und voneinander getrennte Unternehmen, die keine gesellschaftsrechtlichen oder organisatorischen Verbindungen hätten.
- Eine frühere eigene Kenntnis habe sich für die Verfügungsklägerin auch nicht aus Medienberichten ergeben müssen, welche über das Verfahren zwischen C und ID berichtet hätten. Die Verfügungsklägerin erklärt sich dazu, dass diese Berichte eine ex-parte Entscheidung offenbart hätten, mit Nichtwissen. Zudem wären sie keine valide Grundlage für die Beantragung einer einstweiligen Verfügung gewesen. Den Patentinhaber treffe auch keine Pflicht, die Entwicklungen ausländischer Rechtsordnungen ständig im Sinne einer Rechtsbeobachtungspflicht zu beobachten.
- Die Verfügungsklägerin beantragt,
- die einstweilige Verfügung vom 14. Dezember 2020 mit den in der mündlichen Verhandlung vorgenommenen Einschränkungen aufrecht zu erhalten und den dagegen gerichteten Widerspruch der Verfügungsbeklagten zurückzuweisen.
- Die Verfügungsbeklagten beantragen,
- die einstweilige Verfügung des Landgerichts Düsseldorf vom 14. Dezember 2020, Az. 4c O 74/20, aufzuheben und den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung vom 11. Dezember 2020 zurückzuweisen.
- Sie meinen, dass die einstweilige Verfügung zu Unrecht ergangen und daher aufzuheben sei. Für einen Verfügungsanspruch fehle es an einer abstrakten wie auch konkreten Erstbegehungsgefahr, dass die Verfügungsbeklagten eine ASI beantragen würden. Die Verfügungsklägerin könne eine solche insbesondere nicht aus Fällen bereits ergangener ASIs ableiten. Denn die dortigen Sachverhalte würden sich maßgeblich dadurch von dem vorliegenden unterscheiden, dass hier kein Hauptsacheverfahren (umgekehrten Rubrums) in China anhängig sei, deren Schutz die chinesischen ASIs jeweils dienen sollten. Deshalb komme nach chinesischem Prozessrecht der Erlass einer ASI nicht in Betracht. Danach sei eine anhängige Hauptsache Voraussetzung für eine erfolgreiche ASI, gleichermaßen wie die zeitliche Dringlichkeit.
- Im Übrigen sei der Umfang der begehrten einstweiligen Verfügung nicht gerechtfertigt; er beziehe sich nämlich nicht nur auf etwaige Handlungen der Verfügungsbeklagten in der Volksrepublik China, obwohl aber die Verfügungsklägerin eine abstrakte Begehungsgefahr allenfalls insoweit gesehen hat.
- Außerdem sei kein Verfügungsgrund vorhanden, da es sich nicht um einen dringlich zu entscheidenden Sachverhalt handele. Denn – wie unstreitig ist – sei in China weder der Antrag auf Erlass einer ASI in China eingelegt noch eine solche erlassen worden. Das eigene Verhalten der Verfügungsklägerin lasse auch nicht erkennen, dass sie ihre Rechte zügig verfolgen wolle. Denn gerade weil sie betone, internationale rechtliche Entwicklungen zur Patentdurchsetzung zu verfolgen, hätten ihr Medienberichte, die schon Ende August 2020 von einem ex-parte Vorgehen berichtet hätten, bekannt gewesen sein müssen. Dass insoweit erst Anfang Dezember Kenntnis erlangt worden sein solle, sei daher nicht plausibel. Die Verfügungsklägerin müsse sich außerdem eine zeitigere Kenntnis von E bezüglich dieser Vorgehensweise zurechnen lassen, weil alle Patentinhaber als Lizenzgeber im Patentpool von F LLC seien und als parallele Kläger in den hier interessierenden Verfahrenskomplexen bzgl. angeblich HEVC-essentieller Patente auftreten würden. Es sei anzunehmen, dass die SEP-Inhaber dazu in einem engen Austausch miteinander ständen. Dementsprechend müsse sich die Verfügungsklägerin auch das zögerliche Verhalten des Pools selbst entgegenhalten lassen. Denn bei der Recherche nach den Erlassvoraussetzungen für eine ASI habe es sich um einfache Rechtsfragen gehandelt, deren Beantwortung nicht mehrere Wochen hätte in Anspruch nehmen dürfen.
- Wegen des weiteren Vorbringens der Parteien wird auf die zur Akte gereichten Schriftstücke nebst Anlagen Bezug genommen.
- Entscheidungsgründe
- Der zulässige Widerspruch hat keinen Erfolg und war daher zurückzuweisen. Die erlassene einstweilige Verfügung war im tenorierten Umfang zu bestätigen, §§ 924, 935 ff. ZPO.
- I.
Der erforderliche Verfügungsanspruch besteht. Die Verfügungsklägerin hat hinreichend glaubhaft gemacht, dass sie die Beantragung sowie Fortführung eines Verfahrens auf Erlass einer Anti-Suit Injunction in der Volksrepublik China, ohne vor einer Entscheidung Gelegenheit zur Stellungnahme gehabt zu haben, in ihren Rechten aus §§ 823 Abs. 1 i.V.m. 1004 Abs. 1 Satz 1 BGB analog verletzen kann, so dass ihr in der hier vorliegenden Fallkonstellation über den Justizgewähranspruch zur Bewahrung und Durchsetzung ihrer Rechte verholfen werden muss. - 1.
Die §§ 823 Abs. 1 i.V.m. 1004 Abs. 1 Satz 1 BGB analog ermöglichen es einem Patentinhaber, seine vor deutschen Gerichten anhängige und auf sein Patentrecht gestützte Verletzungsverfahren vor einem faktischen Prozessführungsverbot zu schützen. Ein solches kann de facto durch eine einstweilige Verfügung herbeigeführt werden, welche in einem Drittstaat zugunsten des vermeintlichen Patentverletzers bereits ergangen ist oder in unmittelbarer Zukunft ausgesprochen werden kann, insbesondere wenn dem Patentinhaber nicht die Möglichkeit zur Stellungnahme gegeben wird. - a.
Der Erlass der von der Verfügungsklägerin befürchteten ASI ohne Gewährung rechtlichen Gehörs würde in rechtswidriger Weise in den Zuweisungsgehalt ihres Patentrechts eingreifen. Patente fallen nach allgemein anerkannter Meinung als sonstige Rechte in den Anwendungsbereich des § 823 Abs. 1 BGB (vgl. MüKo-BGB, § 823 Rn. 282). - b.
Darin wäre auch ein rechtswidriger Eingriff in eine geschützte Rechtsposition im Sinne des § 823 Abs. 1 BGB zu sehen. - aa.
Im Sinne des § 1004 BGB liegt eine Eigentumsbeeinträchtigung in jedem dem Inhalt des Eigentumsrechts widersprechenden tatsächlichen Zustand oder Vorgang (BeckOGK/Spohnheimer, BGB, § 1004, Rn. 70-70.2). Dabei gibt das Eigentumsrecht seinem Inhaber nicht nur die Befugnis, tatsächlich, sondern auch rechtlich mit seiner Sache nach Belieben zu verfahren (BeckOGK/Spohnheimer, BGB, § 1004, Rn. 122). Ein Eigentümer muss es nicht hinnehmen, in seinen Handlungsmöglichkeiten, wie er mit seinem Patentrecht verfahren möchte, von außen eingeschränkt zu werden. Genau einer solchen Einschränkung sähe sich die Verfügungsklägerin indes ausgesetzt, wenn die Verfügungsbeklagten in China eine ASI erwirken würden, ohne vorher Gelegenheit zur Stellungnahme zu erhalten (ex parte). - Durch eine beantragte/erlassene ASI ohne die Möglichkeit rechtlichen Gehörs wird der Patentinhaber an der – seiner freien Entscheidung unterliegenden – Ausübung seines Ausschließlichkeitsrechts nach §§ 9 ff., 139 ff. PatG und damit im weitesten Sinne seines Eigentumsrechts gehindert. Es ist sogar zu konstatieren, dass das Patentrecht als Ausschließlichkeitsrecht (vgl. § 9 PatG) faktisch wertlos ist, wenn dem Patentinhaber die Möglichkeit genommen wird, sein Ausschließlichkeitsrecht über das allein zur Verfügung stehende staatliche Gewaltmonopol in Form des ordentlichen Gerichtsverfahrens auch durchzusetzen. Genau dieser Fall tritt bei einer erlassenen ASI ein. Zwar würde die Verfügungsklägerin nicht unmittelbar daran gehindert, Patentverletzungsverfahren in Deutschland weiter zu betreiben. Insgesamt liegt nämlich die Entscheidung, ob sie die ausländische gerichtliche Anordnung befolgt oder nicht letztlich bei der Verfügungsklägerin selbst. Angesichts etwaiger drohender Strafen bei Nichtbefolgung der ASI, welche die Verfügungsklägerin in Anlehnung an bereits ergangene ASI und von den Verfügungsbeklagten unwidersprochen auf 1 Million RMB pro Tag bemisst, ist aber anzunehmen, dass die Verfügungsklägerin einer Anti-Suit-Injunction Folge leisten wird.
- Deshalb würden die vor der Kammer geführten Verfahren von einer in China zugunsten der Verfügungsbeklagten erlassenen ASI jedenfalls mittelbar beeinträchtigt werden. Dies gilt gleichermaßen für den Fall, wenn die Verfügungsklägerin durch eine chinesische Entscheidung auch daran gehindert werden sollte, Gegenmaßnahmen gegen eine ASI zu unternehmen, also gegen eine AAASI vorzugehen.
- Dass es der Verfügungsklägerin im Sinne einer Ausübung ihres Patentrechts trotz des Erlasses einer ASI unbenommen bleibt, andere als die Verfügungsbeklagten in Anspruch zu nehmen oder Dritten Lizenzen zu erteilen, ändert an der rechtlichen Wertung einer ASI als Rechtsguteingriff nichts. Denn das Ausschließlichkeitsrecht gilt gegenüber jedermann („jedem Dritten“). Das bedeutet, dass das Ausschließlichkeitsrecht auch die Befugnis des Patentinhabers beinhaltet, frei zu entscheiden, ob und ggf. gegen wen er sein Ausschließlichkeitsrecht durchsetzt und gegen wen nicht. In dieses Recht greift eine ASI in erheblichem Maße ein, da sie bestimmte Adressaten aus dem Anwendungsbereich des Patentrechts zumindest temporär ausnehmen will.
- bb.
Die Eigentumsbeeinträchtigung würde auf rechtswidrige Weise erfolgen. Es ist kein rechtlicher Gesichtspunkt zu erkennen, wonach eine im – außereuropäischen – Ausland erlassene ASI im Inland rechtmäßig wäre, mit der Folge, dass der Verfügungsklägerin eine einstweilige Verfügung nicht zugebilligt werden dürfte. - (1)
Es kommt dabei für die positive Feststellung der Rechtswidrigkeit des Eingriffs nicht auf die Frage an, ob eine ASI nach der ausländischen Rechtsordnung rechtmäßig ergehen konnte. Denn es besteht kein allgemeiner Grundsatz, wonach ein in einem Drittstaat zulässiges Verhalten schon aus sich heraus auch im Inland als rechtmäßig zu gelten hat (vgl. LG München I, Urt. v. 02.10.2019, Az. 21 O 9333/19, BecksRS, Rn. 64; bestätigt in: OLG München, GRUR 2020, 379). Entscheidend ist vielmehr, ob es in der deutschen Rechtsanwendung Regelungen gibt, aufgrund derer die ASIs in der Bundesrepublik Deutschland umfänglich anerkannt werden müssen und in der Konsequenz inländische Gegenmaßnahmen (wie die hier beantragte AASI) unzulässig wären. Das OLG Düsseldorf hat schon in seinem Beschluss vom 10.01.1996 (OLG Düsseldorf, NJW 1996, 1760) grundlegende Ausführungen zur Anerkennung von ASIs gemacht, und festgestellt, dass der Erlass von ASIs danach zumindest mittelbar immer bedeutet, dass ein Prozessführungsverbot ausgesprochen und einem anderen Gericht faktisch die Kompetenz genommen wird, in einem Geflecht von verschiedenen, inhaltlich miteinander verknüpften Streitigkeiten zwischen denselben Parteien über seine eigene Zuständigkeit zu entscheiden und sie ggf. auch zugunsten eines anderen Gerichts zu verneinen (vgl. auch EuGH, EuZW 2004, 468, juris, Rn. 27). Da der in der Bundesrepublik Deutschland geltenden Rechtsordnung ein Rechtskonstrukt wie die ASI fremd ist, ist es geboten, für die Anerkennung einer ASI im Inland eine Rechtsgrundlage zu verlangen, welche den Eingriff in die deutsche Rechtsprechungskompetenz, mithin deutsche staatliche Hoheitsrechte, rechtfertigt. Ebenso kann die Handhabe von ausländischen ASIs mittels einer Negativregelung bestimmt werden, aus welcher sich ergibt, dass solche Aussprüche rechtswidrig und darum im Inland nicht berücksichtigungsfähig sind. So ist es bei innereuropäischen Auseinandersetzungen. Für den Umgang mit ASIs folgt aus der EuGVVO sowie dem Grundsatz des gegenseitigen Vertrauens, dass kein Gericht eines EU-Mitgliedstaates eine gerichtliche Anordnung aussprechen darf, die einem anderen Gericht in einem anderen EU-Mitgliedsstaat die Prüfung seiner Zuständigkeit abschneidet. Insoweit ist es wesentlicher Bestandteil des Grundsatzes des gegenseitigen Vertrauens, dass die Zuständigkeitsregeln, die allen Gerichten der Vertrags- beziehungsweise Mitgliedstaaten gemeinsam sind, von jedem dieser Gerichte mit gleicher Sachkenntnis ausgelegt und angewandt werden können sowie, dass die Prüfung der Zuständigkeit eines Gerichts durch das Gericht eines anderen Vertrags- oder Mitgliedstaats nicht gestattet ist (BGH, NJW 2020, 399 mit Verweis auf EuGH a.a.O.). - Eine Übertragung dieser Erwägungen kommt für Drittstaaten außerhalb der Europäischen Union indes nicht in Betracht, weil diese nicht in den Geltungsbereich europäischer Rechtsvorschriften einbezogen sind. Insbesondere müssen mitgliedstaatliche Gerichte drittstaatlichen Gerichten kein vergleichbares Vertrauen in die Rechtspflege entgegenbringen. Es gehört außerdem nicht zum Regelungsziel der EuGVVO, über den Kreis der Mitgliedstaaten hinaus einen geordneten internationalen Rechtsverkehr sicherzustellen (Geimer/Schütze Int. Rechtsverkehr/E. Peiffer/M. Peiffer, 61. EL Januar 2021, VO (EG) 1215/2012 Art. 25 Rn. 290).
- (2)
Da vorliegend eine Fallkonstellation mit Bezug zu einem außereuropäischen Drittstaat gegenständlich ist, kommt es für den inländischen Umgang von ASIs auf die Rechtsbeziehung der Bundesrepublik Deutschland gerade mit diesem Staat, namentlich der Volksrepublik China, an. In diesem Verhältnis ist allerdings weder eine entsprechende rechtliche Normierung zu ersehen, noch von den Parteien angeführt worden. Die chinesische Rechtsprechung ist daher – aus deutscher Sicht – nicht berechtigt, verbindliche Aussprüche für sich in Deutschland zutragende Sachverhalte zu treffen und dadurch die Fortführung anhängiger Rechtsstreitigkeiten zumindest mittelbar zu beeinflussen. - c.
Angesichts der vorstehend erläuterten rechtlichen Ausgangslage von ausländischen ASIs im Zusammenhang mit FRAND-Streitigkeiten gebietet es der Justizgewähranspruch in Fallkonstellationen, welche standardessentielle Patente zum Gegenstand haben, dem Patentinhaber eine AASI zuzusprechen. - aa.
Der allgemeine Justizgewährungsanspruch nach Art. 47 Abs. 1 EU-GR-Charta, Art. 2 Abs. 1, 101 Abs. 1 S. 2, 103 Abs. 1 GG, Art. 6 MRK i.V.m. Art. 20 Abs. 3 GG bezweckt effektiven Rechtsschutz. Er gewährleistet das Recht auf Zugang zu den Gerichten, eine grundsätzlich umfassende Prüfung des Streitgegenstands in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht in einem förmlichen Verfahren sowie eine verbindliche Entscheidung durch ein Gericht in angemessener Zeit (vgl. BVerfGE 54, 277; Maunz/Dürig/Grzeszick, 93. EL Oktober 2020, GG, Art. 20, Rn. 133). Neben dem reinen Zugang zu Gerichten umfasst der Justizgewähranspruch auch den Anspruch des Bürgers auf tatsächlich wirksame gerichtliche Kontrolle, mithin auf wirkungsvollen Rechtsschutz (BVerfGE 53, 115; Papier in: Isensee/Kirchhof, Handbuch des Staatsrechts, 3. Aufl. 2010, § 176, Rn. 18). Der allgemeine Justizgewährungsanspruch setzt voraus, dass der Einzelne die Verletzung eines subjektiven Rechts geltend macht, das ihm die Rechtsordnung gewährt. Dabei ergibt sich ein derartiges subjektives Recht in der Regel aus dem einfachen Recht, kann aber auch aus der Verfassung folgen (Voßkuhle/Kaiser, JuS 2014, 312). Aus dem Rechtsstaatsprinzip des Grundgesetzes ist auch für bürgerlich-rechtliche Streitigkeiten im materiellen Sinn die Gewährleistung eines wirkungsvollen Rechtsschutzes abzuleiten. Dieser muss die grundsätzlich umfassende tatsächliche und rechtliche Prüfung des Streitgegenstandes und eine verbindliche Entscheidung durch einen Richter ermöglichen (BVerfGE a.a.O.). Dies bedingt, dass der zu beschreitende Rechtsweg weder ausgeschlossen noch in unzumutbarer, aus Sachgründen nicht mehr zu rechtfertigender Weise erschwert werden darf (BVerfG, 1 BvR 1819/00, juris, Rn. 9). - Das Patent ist ein subjektives Recht im vorgenannten Sinne, das den Schutz des Art. 14 GG genießt. Es ist ein Ausschließlichkeitsrecht (Benkard, PatG, 11. Aufl., § 9, Rn. 4), das dem Inhaber ein ausschließliches Benutzungsrecht gewährt und Verbietungsrechte gegenüber Dritten bietet (Schulte, PatG, 10. Aufl., § 6, Rn. 12). Zu dieser Befugnis, das Patent ausschließlich gemäß seinem Willen benutzen zu dürfen, gehört, diejenigen ordentlichen gerichtlichen Verfahren anzustrengen, die der Wahrung des Patents dienen und Patentverletzungen auf wirksame Weise Einhalt gebieten.
- Die Versagung einer AASI würde in unzumutbarer Weise in verfassungsrechtlich geschützte Rechtspositionen des Patentinhabers eingreifen, weil er durch die im Ausland erlassene ASI daran gehindert würde, in einem Drittstaat eigenständig und nach seinem freien Willen Gerichtsverfahren anzustrengen, die denselben Sachverhalt betreffen. Inländische Rechtsschutzmöglichkeiten hätte er dagegen keine.
- bb.
Eine entsprechende Berechtigung zur Durchsetzung seiner Rechte mittels des allgemeinen Justizgewähranspruchs folgt aus der zwischen den Parteien bestehenden Sonderbeziehung, nämlich des Inhabers eines SEPs und eines möglichen Patentbenutzers und Lizenzsuchers. Für dieses Verhältnis hat der EuGH in seiner Entscheidung „Huawei Technologies/ZTE“ (Urt. v. 16.07.2015, GRUR 2015, 764) die Maxime definiert, dass, wenn auf eine Verletzungsanzeige eines SEP-Inhabers der mögliche Patentbenutzer eine Lizenzierungsbitte zum Abschluss eines Lizenzvertrages zu FRAND-Bedingungen äußert, auf das vom Patentinhaber unterbreitete Lizenzangebot mit Sorgfalt gemäß den in dem Bereich anerkannten geschäftlichen Gepflogenheiten und nach Treu und Glauben zu reagieren ist, was impliziert, dass keine Verzögerungstaktik verfolgt wird (vgl. EuGH, a.a.O. Rn. 65). Gleiches gilt nach der Rechtsprechung des BGH (GRUR 2020, 961 – FRAND-Einwand; GRUR 2021, 585 – FRAND-Einwand II). Danach muss der Verletzer nach Bekundung seines Lizenzierungswillens in der Folge zielgerichtet an den Lizenzverhandlungen mitwirken und darf keine Verzögerungstaktik verfolgen. In beiden Entscheidungen wird deutlich gemacht, dass der beiderseitigen Verpflichtung zu einem konstruktiven Austausch eine zentrale Rolle zukommt. Dies bedeutet, dass beide Parteien an Verhandlungen zum Abschluss eines Lizenzvertrages mitzuwirken haben und keine Seite berechtigt ist die Verhandlungen zu torpedieren, was im Falle der Beantragung und des Erlasses einer ASI, insbesondere wenn dem Patentinhaber kein rechtliches Gehör gewährt wird, ohne Weiteres der Fall wäre. - Aus der Beziehung, welche geprägt ist von einer beiderseitigen Mitwirkung zum Abschluss eines Lizenzvertrages ohne Verzögerung und ohne selbst herbeigeführte Hindernisse, folgt auch, dass der Lizenzsucher verpflichtet ist, sich bei Nachfrage zu erklären, ob er beabsichtigt, eine ASI zu beantragen. Denn damit wird dem Patentinhaber auch verdeutlicht, dass dem Lizenzsucher tatsächlich an einer Lizenznahme gelegen ist und nicht beabsichtigt ist, die konstruktiven und nach Treu und Glauben geführten Verhandlungen zu verzögern oder gar in erheblichem Maße zu torpedieren.
- Dies gilt überdies dann, wenn im Einzelfall hinreichende Indizien vorhanden sind, dass der vermeintliche Patentverletzer im Ausland eine ASI erfolgreich beantragen könnte und eine solche auch zu seinen Gunsten erlassen würde. Andernfalls käme es zu einer ebenso wenig gerechtfertigten übermäßigen Ausuferung des Justizgewähranspruchs und einer Aufweichung der materiell-rechtlichen Anspruchsvoraussetzungen.
- Die vorstehende Rechtsauffassung steht nicht im Widerspruch zur etablierten und klar definierten Rechtsprechung zur Erstbegehungsgefahr. Danach müssen greifbare Anhaltspunkte dafür bestehen, dass eine Patentverletzung nach den gesamten Umständen unmittelbar bevorsteht. Zudem muss das in Rede stehende Verhalten im Zeitpunkt der drohenden Begehung rechtswidrig sein und die konkrete Verletzungshandlung muss sich so konkret abzeichnen, dass sich für alle Tatbestandsmerkmale zuverlässig beurteilen lässt, ob sie verwirklicht werden (BGH, WRP 2016, 1351 – Stirnlampe). Im Hinblick auf den Eintritt eines Generikums auf dem Markt ist ferner anerkannt, dass selbst das wirtschaftliche Interesse eines Generikaherstellers, mit der Aufnahme in die Lauer-Taxe kurz vor Ablauf des Patentschutzes zu beginnen, selbst dann keine Erstbegehungsgefahr begründet, wenn – wegen des Erscheinens der Lauer-Taxe in vorgesehenen festen Abständen – einer möglichen Patentverletzung nicht mehr durch eine erst nach erfolgter Aufnahme in die Taxe beantragte einstweilige Verfügung abgeholfen werden kann und der Generikahersteller sich auf eine vorgerichtliche Abmahnung außerdem nicht zu einer Verpflichtungserklärung bereit erklärt hat (OLG Düsseldorf, Mitt. 2006, 426; Kühnen, Handbuch der Patentverletzung, 13. Aufl., Kap. D, Rn. 495). Auch wird eine Erstbegehungsgefahr nicht dadurch begründet, dass das Generikaunternehmen vor Ablauf des Patentschutzes im Besitz einer arzneimittelrechtlichen Zulassung ist, sofern die Zulassung bei Nichtbenutzung nicht verfällt und vorgerichtliche Abmahnschreiben ohne Erfolg blieben (vgl. OLG Düsseldorf, GRUR-RR 2013, 241 – HIV-Medikament). In den geschilderten Sachverhaltskonstellationen wurde eine Erstbegehungsgefahr stets verneint.
- Der vorliegende Sachverhalt ist hingegen mit denjenigen, welche sich mit dem Vorliegen oder Nichtvorliegen einer Erstbegehungsgefahr befassten, nicht vergleichbar. Insoweit tritt die Kammer nicht der Ansicht der LG München I (Urt. v. 25.02.2021, Az. 7 O 14276/20, Anlage ES 11) bei, dass in Sachverhaltskonstellationen, welche die Beantragung und den Erlass von ASIs zum Gegenstand haben, für einen effektiven Rechtsschutz stets eine maßvolle zeitliche Vorverlagerung zugunsten des Patentinhabers angenommen werden müsse. Vielmehr rechtfertigt das vorliegende, oben beschriebene „Sonderverhältnis“ eines SEP-Inhabers und zugleich Lizenzgebers mit einem möglichen Patentbenutzer und Lizenzsucher die Annahme, dass der Patentinhaberüber den Justizgewähranspruch zu schützen ist, so dass andere Maßstäbe zur Anwendung kommen müssen.
- cc.
Ausgehend von diesen Voraussetzungen wäre hier der Justizgewähranspruch der Verfügungsklägerin ohne den Erlass der einstweiligen Verfügung der Kammer nicht hinreichend gewahrt gewesen, weil die Voraussetzungen für eine erfolgreiche ASI-Beantragung zugunsten der Verfügungsbeklagten vorlagen und zudem eine solche Vorgehensweise von den Verfügungsbeklagten – auch auf Nachfrage der Kammer – nicht ausdrücklich ausgeschlossen wurde. Die begehrte Durchsetzung ihrer Patentrechte im Wege von vor der Kammer anhängigen Verletzungsstreitverfahren (Az. 4c O 49/20 bzw. 4c O 57/20) wäre gefährdet. - (1)
In der Volksrepublik China sind zivilprozessuale Regelungen vorhanden, die von chinesischen Gerichten in der Rechtsprechungspraxis auch tatsächlich angewendet werden, und auf die der Erlass von ASIs gestützt werden kann. - Die Verfügungsklägerin erläuterte zur Gesetzeslage die Artikel 100 und 101 der chinesischen Prozessordnung (CN-ZPO). Diese haben folgenden Wortlaut (vgl. Anlage ES 12a):
- Artikel 100
Das Volksgericht kann auf Antrag der Gegenpartei anordnen, das Vermögen einer Partei zu erhalten, ihr bestimmte Handlungen aufzuerlegen oder bestimmte Handlungen zu untersagen, wenn die Vollstreckung eines Urteils durch ihre Handlung erschwert werden kann oder der Partei ein anderer Schaden entstehen kann; stellt die Partei keinen Antrag, kann das Volksgericht, wenn es erforderlich ist, auch anordnen, eine Erhaltungsmaßnahme zu ergreifen. - Wenn ein Volksgericht beschlossen hat, eine Erhaltungsmaßnahme zu ergreifen, kann es den Antragsteller anweisen, eine Sicherheit zu leisten; leistet der Antragsteller keine Sicherheit, so ist der Antrag abzulehnen.
- Nach Annahme eines Antrags hat das Volksgericht in dringenden Fällen innerhalb von achtundvierzig Stunden eine Entscheidung zu treffen; wird eine Erhaltungsmaßnahme angeordnet, so ist sofort mit dem Vollzug zu beginnen.
- Artikel 101
Aufgrund der Dringlichkeit kann ein Antrag auf eine Erhaltungsmaßnahme beim Volksgericht des Ortes, an dem sich das zu erhaltende Eigentum befindet, dem Wohnort des Antragsgegners oder dem für den Fall zuständigen Volksgericht gestellt werden, bevor eine Klage eingereicht oder ein Schiedsverfahren beantragt wird, wenn die Nichtbeantragung der Erhaltungsmaßnahme zu einer irreparablen Beeinträchtigung von Rechten und Interessen führt. Der Antragsteller hat eine Sicherheit zu leisten; leistet der Antragsteller keine Sicherheit, so ist der Antrag abzulehnen. - Nach Annahme eines Antrags hat das Volksgericht innerhalb von achtundvierzig Stunden eine Entscheidung zu treffen; wird eine Erhaltungsmaßnahme angeordnet, so ist sofort mit dem Vollzug zu beginnen.
- Wenn der Antragsteller nicht innerhalb von 30 Tagen, nachdem das Volksgericht die Erhaltungsmaßnahme ergriffen hat, eine Klage einreicht oder ein Schiedsverfahren gemäß dem Gesetz beantragt, hebt das Volksgericht die Erhaltungsmaßnahme auf.
- Nach Auffassung der Verfügungsklägerin – unter Bezugnahme auf die eidesstattliche Versicherung der in China tätigen Rechtsanwältin G (Anlage ES 14) – ermöglichen diese Vorschriften den Erlass von Sicherungsmaßnahmen und erfordern aber nur als Sonderfall eine besondere zeitliche Dringlichkeit, wenn das Gericht innerhalb von 48 Stunden eine Entscheidung treffen müsse. Im Übrigen werde der Begriff der Dringlichkeit aber im Sinne von möglichen irreparablen Schäden verstanden. Gegen das Erfordernis einer Eilbedürftigkeit würde ebenso Art. 7 der Anwendungsbestimmungen (vgl. Anlage ES 12b) sprechen, da dieser zwar Faktoren aufstellen würde, die bei der Bearbeitung von Sicherungsverfügungen im Gewerblichen Rechtsschutz zu berücksichtigen seien. Eine zeitliche Dringlichkeit oder Eilbedürftigkeit hätte indes keine Erwähnung gefunden. Bereits ergangene Gerichtsentscheidungen würden hierzu zeigen, dass die chinesischen Gerichte diese Anwendungsbestimmungen anerkennen und anwenden, ohne zusätzlich eine Eilbedürftigkeit zu verlangen. Zudem ergebe sich aus Art. 101, dass eine Hauptsacheklage bei der Beantragung einer ASI gerade noch nicht anhängig sein müsse, sondern deren Einreichung auch innerhalb der nächsten 30 Tage möglich sei. Dies werde durch eine Stellungnahme des Obersten Volksgerichtshofs bestätigt, die insbesondere den Fall OPPO./.Sharp bespricht und dort gerade noch kein FRAND-Höheverfahren anhängig war (vgl. Anlage ES 19).
- Gegen diese Schilderungen führen die Verfügungsbeklagten gleichfalls unter Verweis auf eine eidesstattliche Versicherung (Anlage VP 3) ein abweichendes Verständnis dieser Gesetzesvorschriften an, wonach Maßnahmen nach Art. 100 CN-ZPO sehr wohl dem Dringlichkeitserfordernis unterlägen und grundsätzlich für die Beantragung von ASIs die Anhängigkeit einer Hauptsache erforderlich sei. Art. 101 CN-ZPO sei auf die Konstellation von ASIs überhaupt nicht anwendbar, sondern beziehe sich auf Sicherungsmaßnahmen für bereits bestehende Ansprüche, die später im Wege einer Hauptsacheklage durchzusetzen seien. In den Streitkomplexen, welche die Bestimmung von FRAND-Gebühren betreffen, existiere ohne das eingeleitete Hauptsacheverfahren aber schon gar kein Anspruch, dessen Sicherung eine ASI dienen könnte.
- Es kann indes für die hiesige Entscheidung dahingestellt bleiben, wie die chinesischen Prozessregelungen in ihrer Breite tatsächlich angewendet werden. Denn jedenfalls erscheint es nicht ausgeschlossen, dass die Verfügungsbeklagten auch in der vorliegenden Sachverhaltskonstellation erfolgreich den Erlass einer ASI beantragen und zumindest zeitgleich eine Feststellungsklage auf Bestimmung von FRAND-Lizenzgebühren erheben können. Diese Möglichkeit schließen selbst die Verfügungsbeklagten nicht aus. Insoweit zeigt hier gerade die Diskussion der Parteien über die „richtige“ Rechtsanwendung, dass allein der Existenz dieser Vorschriften keine allgemeingültige Aussage über deren Anwendung zu entnehmen ist und die Kammer daher nicht festzustellen vermag, dass einem ASI-Antrag von vornherein der Erfolg versagt wäre.
- (2)
In jüngerer Vergangenheit ergangene ASIs zeigen ferner, dass die Unternehmensgruppe der Verfügungsbeklagten bereits mehrfach auf dieses Rechtskonstrukt zurückgegriffen hat, um ihre Interessen in China umfassend zu schützen und andere ausländische Gerichtsverfahren dadurch zum Stillstand zu bringen. Es sind insbesondere die nachfolgend dargestellten Entscheidungen ergangen: - Die als Anlage ES 4 zur Gerichtsakte gereichte Entscheidung vom 23.09.2020 vor dem Bezirksgericht Wuhan (Wuhan Intermediate Court) betrifft das Verfahren C./.D. Erstinstanzlich, was zweitinstanzlich bestätigt wurde, war zugunsten der C – respektive den mit den hiesigen Verfügungsbeklagten konzernverbundenen Unternehmen – eine ASI erlassen worden. Mit dieser sollte D daran gehindert werden, ihre in Indien mit umgekehrtem Rubrum unter dem 29.07.2020 anhängig gemachte Verletzungsklage weiterzuverfolgen. Im Zeitpunkt der Beantragung der ASI (04.08.2020) war seit dem 09.06.2020 eine Klage der C auf Bestimmung einer globalen FRAND-Rate für die Lizensierung des 3G-/4G-Mobilfunkstandards in China anhängig, wobei insoweit streitig sein mag, ob die Klage der C vor Erlass der ASI wirksam an D zugestellt worden ist.
- Zudem wurde durch eine Entscheidung des britischen High Court of Justice vom 26.10.2020 (Anlage ES 7) C untersagt, in China den Erlass einer ASI zu beantragen (AASI). Ausgangspunkt für diese Entscheidung war u.a. die ASI vom 23.10.2020 zugunsten von C gegen D. Aus dieser ist gefolgert worden, dass C die potentielle Neigung hat, auch vorliegend einen solchen Antrag zu stellen (vgl. Anlage ES7a, S. 4 f.; Bl. 82 GA).
- Diesen Entscheidungen ist gemein, dass im Zeitpunkt der Beantragung von ASIs in China bereits Rechtsstreitigkeiten, initiiert von C, anhängig, zumindest aber auf den Weg gebracht waren, deren Schutz die ASI – nach Auffassung der C-Gruppe – dienen sollte. Es bestanden damit zwischen den jeweiligen Parteien mindestens zwei Prozessrechtsverhältnisse, die jeweils unterschiedlichen Jurisdiktionen unterlagen und letztlich auf die Bestimmung der FRAND-Gemäßheit einer (weltweiten) Lizenzrate gerichtet waren. Die seitens der Verfügungsklägerin herangezogene chinesische Rechtsanwältin Frau G (vgl. Anlage ES 14) konstatiert insoweit selbst, dass die bisherigen Entscheidungen nur Konstellationen zum Gegenstand hatten, in denen Hauptsacheverfahren anhängig waren. Davon unterscheidet sich der Rechtsstreit hier. Es fehlt sowohl an einer bereits erlassenen ASI zugunsten der Verfügungsbeklagten als auch an einem nur darauf gerichteten Antrag der Verfügungsbeklagten.
- Im Hinblick auf den Umstand, dass die Verfügungsbeklagten als Lizenzsucher die von den Parteien geführten Lizenzverhandlungen nicht torpedieren dürfen und die Verfügungsbeklagten sich zudem von einem solchen Vorgehen während des gesamten Verfahrens bis hin zum Schluss der mündlichen Verhandlung nicht distanziert haben, ist der Beschluss der Kammer zu Recht ergangen. Die schriftsätzlichen Äußerungen der Verfügungsbeklagten bezogen sich durchweg darauf, derzeit so nicht verfahren zu wollen. Indes haben sie sich auch auf ausdrückliche Nachfrage der Kammer nicht klar gegen das Vorhaben eines ASI-Verfahrens ausgesprochen. Ebenso wenig haben sie Angaben gemacht, aus welchem Grund ihnen die Abgabe einer solchen Erklärung nicht möglich ist. Die Kammer verfügt somit über keinerlei tatsächliche Anhaltspunkte, die ihre grundsätzliche Bereitschaft, den Erlass einer ASI zu erwirken, schmälern könnte.
- Schließlich vermag die Kammer nicht zu erkennen, dass die Verfügungsbeklagten ein berechtigtes Interesse an dem Erlass einer ASI haben könnten. Die Möglichkeit, eine ASI zu erwirken, ist zwar eine Rechtsschutzmöglichkeit, die in China normiert ist und von der grundsätzlich Gebrauch gemacht werden darf. Deren rechtmäßige Erstreckung auch auf das Gebiet der Bundesrepublik Deutschland entbehrt aber, wie bereits aufgezeigt, einer Rechtsgrundlage. Daran können die Verfügungsbeklagten somit kein schützenswertes Interesse haben.
-
2.
Der Ausspruch der Kammer im einstweiligen Verfügungsbeschluss war seinem Umfang nach aber einzuschränken. - Der ursprüngliche Ausspruch der Kammer sah vor, dass die Verfügungsbeklagten im Ausland, insbesondere in der Volksrepublik China, keine gerichtlichen Verfahren einleiten und/oder fortführen sollen. Dieser Umfang war nach Durchführung der mündlichen Verhandlung nicht mehr gerechtfertigt. Die Verfügungsbeklagten kritisierten, dass die Verfügungsklägerin den AASI-Antrag so formuliert habe, dass er auf alle ihre Patentrechte sowie das gesamte Ausland bezogen sei, obwohl in dieser Breite überhaupt keine Verletzungsverfahren anhängig und auch keine FRAND-Höheverfahren zu befürchten seien. Auf diese Beanstandungen ist die Verfügungsklägerin nicht eingegangen; die Kritik ist insofern begründet. Die Verfügungsklägerin hat dagegen auch nach dem Hinweis der Kammer in der mündlichen Verhandlung keine Einwendungen erhoben.
- II.
Ein Verfügungsgrund liegt vor. Die Kammer vermochte die zeitliche Dringlichkeit festzustellen. - Der Antragsteller braucht sich bei der Vorbereitung des Verfahrens und der Beschaffung der Glaubhaftmachungsmittel keiner „besonderen Eile“ zu befleißigen. Er muss nicht die größtmögliche Schnelligkeit walten lassen, sondern braucht das Gericht erst dann anzurufen, wenn er a) verlässliche Kenntnis aller derjenigen Tatsachen hat, die eine Rechtsverfolgung im vorläufigen Rechtschutzverfahren erfolgversprechend machen, und wenn er b) die betreffenden Tatsachen in einer solchen Weise glaubhaft machen kann, dass ein Obsiegen sicher absehbar ist. Dabei braucht der Antragsteller bei der Rechtsverfolgung keinerlei Risiko einzugehen. Er darf sich auf jede mögliche prozessuale Situation, die nach Lage der Umstände eintreten kann, vorbereiten, so dass er – wie auch immer sich der Antragsgegner einlassen und verteidigen mag – darauf eingerichtet ist, erfolgreich zu erwidern und die nötigen Glaubhaftmachungsmittel präsentieren zu können. Grundsätzlich kann der Antragsteller nicht darauf verwiesen werden, Nachermittlungen erforderlichenfalls erst während eines laufenden Prozesses anzustellen und Glaubhaftmachungsmittel nötigenfalls nachträglich zu beschaffen. Jede Maßnahme, die der Antragsteller zur Aufklärung und/oder zur Glaubhaftmachung des entscheidungsrelevanten Sachverhalts unternimmt, hat dabei die tatsächliche Vermutung der Sinnhaftigkeit für sich, weswegen sie eine mangelnde Dringlichkeit grundsätzlich nicht begründen kann, selbst wenn sie sich im Nachhinein angesichts der (vor der Einleitung des gerichtlichen Verfahrens für den Antragsteller noch nicht vorhersehbaren) Einlassung des Antragsgegners im einstweiligen Verfügungsverfahren als nicht erforderlich erweisen sollte. Anders zu behandeln sind allenfalls solche Maßnahmen, die ex-ante betrachtet selbst aus Gründen prozessualer Vorsicht schlechterdings keinen Sinn ergeben, sondern ausschließlich unnütze Zeit bei der Rechtsverfolgung kosten. Sobald der Antragsteller den mutmaßlichen Verletzungssachverhalt kennt, muss er dem nachgehen, die notwendigen Aufklärungsmaßnahmen treffen und für deren Glaubhaftmachung sorgen. Auch hierbei darf er nicht dilatorisch agieren. Er hat vielmehr die erforderlichen Schritte jeweils zielstrebig in die Wege zu leiten und zu Ende zu führen. Sobald der Antragsteller über alle Kenntnisse und Glaubhaftmachungsmittel verfügt, die verlässlich eine aussichtsreiche Rechtsverfolgung ermöglichen, muss er den Verfügungsantrag innerhalb eines Monats anbringen (vgl. OLG Düsseldorf, GRUR RS 2021, 2572 – Cinacalcet mit Verweis auf OLG Düsseldorf, GRUR-RR 2013, 236, 238 – Flupirtin-Maleat und Kühnen, a.a.O., Kap. G, Rn. 143).
- Gemessen an diesen Grundsätzen war die Beantragung der AASI eilbedürftig. Denn auf die gegen ID erlassene einstweilige Verfügung erhielt die Verfügungsklägerin erst im Dezember 2020 Kenntnis über die rechtlichen Voraussetzungen für den Erlass einer ASI in China. Die Verfügungsklägerin hat hierzu durch die eidesstattliche Versicherung des Herrn H glaubhaft gemacht (vgl. Anlage ES 17), am 02.12.2020 von ihrem Prozessbevollmächtigten informiert worden zu sein, dass in China der Erlass von ASIs auch ex parte möglich ist. Diese Kenntnis erlangte ihr Prozessbevollmächtigter selbst erst am 13.11.2020. Der Antrag auf Erlass einer AASI ging bei Gericht am 11.12.2020 ein. Konzernintern verbreitete sich diese Information erst im Anschluss hieran, wie die Verfügungsklägerin mit eidesstattlicher Versicherung der Frau J glaubhaft gemacht (vgl. Anlagen ES 15) hat. Eine nur zögerliche Verfolgung ihrer Rechte ist in diesem zeitlichen Ablauf nicht zu erkennen. Zwischen der konkreten Kenntniserlangung der Verfügungsklägerin und der Stellung des Antrags auf Erlass der AASI lagen keine zwei Wochen und damit ein so kurzer Zeitraum, für den regelmäßig von einem zögerlichen Verhalten des Antragstellers nicht gesprochen werden kann (vgl. OLG Düsseldorf, a.a.O.). Auch kann in der Zeit zwischen Kenntniserlangung des Prozessbevollmächtigten der Verfügungsklägerin (13.11.2020, die insoweit mit der erstmaligen Kenntnis des Pools zusammenfällt) und deren Weiterleitung an sie kein dringlichkeitsschädliches Verhalten gesehen werden. Denn nach der Rechtsprechung des OLG Düsseldorf ist nicht entscheidend, ob für die Antragstellerin die Möglichkeit bestanden hätte, einzelne Maßnahmen, hier den Zeitraum zwischen Kenntniserlangung ihrer Rechtsanwälte bis zu ihrer eigenen Kenntniserlangung, zu beschleunigen. Die maßgebliche Frage ist vielmehr, ob sich der Verletzte bei der Verfolgung seiner Ansprüche wegen Patentverletzung in einer solchen Weise nachlässig und zögerlich verhalten hat, dass aus objektiver Sicht der Schluss geboten ist, dem Verletzten sei an einer zügigen Durchsetzung seiner Rechte nicht gelegen, weswegen es auch nicht angemessen erscheint, ihm die Inanspruchnahme vorläufigen Rechtschutzes zu gestatten (OLG Düsseldorf, a.a.O.). Diesen Schluss auf ein besonders nachlässiges Verhalten vermag die Kammer hier nicht zu ziehen, da es sich lediglich um einen Zeitraum von knapp 20 Tagen handelt, auf welchen wiederum ein zügiges Handeln der Verfügungsklägerin gefolgt ist (s.o.).
- Selbst das Abstellen auf Ende Oktober 2020 als Zeitpunkt des erstmaligen Hinweises auf ex parte ASIs würde kein dringlichkeitsschädliches Verhalten begründen. Der rund eineinhalbmonatige Zeitraum bis zur Beantragung der AASI stellt vorliegend schon deshalb kein zögerliches Verhalten dar, weil die Verfügungsklägerin ab diesem Zeitpunkt nicht sicher Kenntnis über ex parte ASIS hatte oder hätte haben müssen. Dass das britische Gericht von einer solchen Möglichkeit ausgegangen ist, ist der Anlage ES 7 nicht zu entnehmen und auch von den Verfügungsbeklagten nicht glaubhaft gemacht worden. Daher verfügte die Verfügungsklägerin nicht über alle Glaubhaftmachungsmittel, ohne dass sie Anlass für deren Beschaffung hätte haben müssen.
- Zweifel an der Dringlichkeit ergeben sich deshalb selbst dann nicht, wenn auf eine Kenntniserlangung des F Pools vom 13.11.2020 mit Blick auf das Verfahren C./.ID abgestellt und dessen Verhaltensweise in die Beurteilung eingestellt wird. Eine zögerliche Vorgehensweise des Pools vermag die Kammer nicht zu erkennen. F ist Ende September auf die ASI C./.ID aufmerksam und hat diese Entscheidung als Anlass genommen, weitere Informationen über die Vorgehensweise chinesischer Gerichte in Eilverfahren einzuholen. Die Verfügungsklägerin hat hierzu, glaubhaft gemacht durch die eidesstattliche Versicherung ES 8, nachvollziehbar behauptet, dass nach dem Entschluss, eine chinesische Rechtsanwaltskanzlei um einen Rechtsrat zu bitten, eine entsprechende Kanzlei erst ausfindig gemacht werden musste, was mit Aufwand verbunden gewesen sei. Ferner sei vor der eigentlichen Beauftragung eine umfassende Konfliktprüfung notwendig gewesen. Diese Vorgänge sind von den Verfügungsbeklagten nicht in Abrede gestellt worden und waren für den Patentpool notwendig, um hinsichtlich der Rechtsverfolgung sicher sein zu können. Auf bloß vorläufige Einschätzungen oder Erkenntnisse muss er sich nicht für einen einstweiligen Verfügungsantrag stützen (vgl. OLG Düsseldorf, a.a.O. – Leitsatz 4). Deshalb führt auch hier die ASI im Verfahren Huawei./.Conversant zu keiner anderen Bewertung der Dringlichkeit.
- Die Kammer vermochte auch keine anderen Gründe festzustellen, weshalb die Verfügungsklägerin bereits zu einem früheren Zeitpunkt als Oktober/Dezember 2020 tatsächlich Kenntnis von ex parte ASIs zumindest hätte haben müssen. Die Verfügungsklägerin hätte nicht allein in Reaktion auf die Anti-Enforcement Injunction vom 28.08.2020 im Verfahren Huawei/Conversant (Anlage ES 2) bereits wissen müssen, dass ASIs ex parte ergehen. Woher die Verfügungsklägerin über diese sichere Kenntnis verfügen sollte, haben die Verfügungsbeklagten nicht nachvollziehbar dargelegt. Diese sichere Kenntnis wäre aber erforderlich, um daran die Dringlichkeit zu knüpfen, weil sich der Antragsteller im einstweiligen Verfügungsverfahren grundsätzlich die größtmögliche Sicherheit verschaffen darf, um einen aus seiner Sicht sicheren Weg für seine Rechtsverfolgung zu beschreiten (vgl. OLG Düsseldorf, GRUR –RR 2013, 236 – Flupirtin-Maleat). Aus dem eigenen Vortrag der Verfügungsklägerin kann dies nicht hergeleitet werden; auch aus der eidesstattlichen Versicherung des Herrn I folgt nur, dass der Erlass der AEI bekannt war. Selbst wenn dies auch Informationen über das ex parte Vorgehen betreffen sollte, bedeutet dies keinen zwingenden Rückschluss, dass dies auch in anderen Fallkonstellationen möglich ist. Es hätte eine Einzelfallentscheidung sein können, die zudem den Spezialfall einer bereits ergangenen ausländischen Gerichtsentscheidung betrifft. Die Verfügungsklägerin musste sie nicht zum Anlass zu sofortigem Handeln nehmen.
- Soweit sich die Verfügungsbeklagten darüber hinaus auf eine „extensive Berichterstattung“ über die ex parte Vorgehensweise chinesischer Gerichte berufen, fehlt es an der Konkretisierung und Glaubhaftmachung dieses Vorbringens (vgl. Bl. 443). Die Kenntnis über derlei Medienberichte ergibt sich auch nicht aus dem eigenen Vorbringen der Verfügungsklägerin. Denn sie selbst bezieht sich allenfalls mit Blick auf das Verfahren C/ID auf eine bekannte Berichterstattung. Da dieser als Anlage ES 6 zur Akte gereichte Beleg allerdings erst aus November 2020 stammt, folgt daraus jedenfalls keine Kenntniserlangung schon im August 2020.
- B.
Die prozessualen Nebenentscheidungen beruhen auf einer entsprechenden Anwendung der §§ 91 Abs. 1, 269 Abs. 3 ZPO. - Streitwert: 500.000,- Euro