Düsseldorfer Entscheidungen Nr. 3131
Landgericht Düsseldorf
Urteil vom 29. Juli 2021, Az. 4c O 39/20
- I. Die Beklagte wird verurteilt,
- 1. es bei Meidung eines für jeden Fall der Zuwiderhandlung fälligen Ordnungsgeldes bis zu EUR 250.000,-, ersatzweise Ordnungshaft bis zu 6 Monaten, oder Ordnungshaft bis zu 6 Monaten, im Wiederholungsfalle Ordnungshaft bis zu 2 Jahren, wobei die Ordnungshaft im Hinblick auf die Beklagte an ihrem jeweiligen Geschäftsführer zu vollstrecken ist, zu unterlassen,
- a) ein Düngemittel für Pflanzen
- in der Bundesrepublik Deutschland anzubieten, in den Verkehr zu bringen oder zu gebrauchen oder zu den genannten Zwecken einzuführen oder zu besitzen, welches
- wenigstens 50ppm Hordenin enthält;
- b) ein Verfahren zur Düngung einer Pflanzengruppe in der Bundesrepublik Deutschland zur Anwendung im Geltungsbereich dieses Gesetzes anzubieten, bei dem ein Düngemittel, das wenigstens 50ppm Hordenin enthält, zugeführt wird, nachdem wenigstens ein Teil der Pflanzen der Pflanzengruppe bereits gekeimt hat;
- 2. der Klägerin darüber Auskunft zu erteilen, in welchem Umfang die Beklagte die zu Ziffer I.1. bezeichneten Handlungen seit dem 21. März 2019 begangen hat, und zwar unter Angabe
- a) der Namen und Anschriften der Hersteller, Lieferanten und anderer Vorbesitzer,
- b) der Namen und Anschriften der gewerblichen Abnehmer sowie der Verkaufsstellen, für die die Erzeugnisse bestimmt waren,
- c) der Menge der hergestellten, ausgelieferten, erhaltenen oder bestellten Erzeugnisse sowie der Preise, die für die betreffenden Erzeugnisse bezahlt wurden;
- wobei
– zum Nachweis der Angaben die entsprechenden Kaufbelege (nämlich Rechnungen, hilfsweise Lieferscheine) in Kopie vorzulegen sind, wobei geheimhaltungsbedürftige Details außerhalb der auskunftspflichtigen Daten geschwärzt werden dürfen; - 3. der Klägerin darüber Rechnung zu legen, in welchem Umfang die Beklagte die zu Ziffer I.1. bezeichneten Handlungen seit dem 26. Dezember 2015 begangen hat, und zwar unter Angabe
- a) der einzelnen Lieferungen, aufgeschlüsselt nach Liefermengen, -zeiten, -preisen und Typenbezeichnungen sowie den Namen und Anschriften der gewerblichen Abnehmer,
- b) der einzelnen Angebote, aufgeschlüsselt nach Angebotsmengen, -zeiten, -preisen und Typenbezeichnungen sowie den Namen und Anschriften der gewerblichen Angebotsempfänger,
- c) der betriebenen Werbung, aufgeschlüsselt nach Werbeträgern, deren Auflagenhöhe, Verbreitungszeitraum und Verbreitungsgebiet,
- d) der nach den einzelnen Kostenfaktoren aufgeschlüsselten Gestehungskosten und des erzielten Gewinns,
- e) wobei
- – die Angaben zu d) nur für die Zeit seit dem 21. April 2019 zu machen sind,
- – der Beklagten vorbehalten bleibt, die Namen und Anschriften der nicht gewerblichen Abnehmer und der Angebotsempfänger statt der Klägerin einem von der Klägerin zu bezeichnenden, ihr gegenüber zur Verschwiegenheit verpflichteten, in der Bundesrepublik Deutschland ansässigen, vereidigten Wirtschaftsprüfer mitzuteilen, sofern die Beklagte dessen Kosten trägt und ihn ermächtigt und verpflichtet, der Klägerin auf konkrete Anfrage mitzuteilen, ob ein bestimmter Abnehmer oder Angebotsempfänger in der Aufstellung enthalten ist;
- 4. die im unmittelbaren oder mittelbaren Besitz oder im Eigentum der Beklagten befindlichen Erzeugnisse entsprechend vorstehend Ziffer I.1. an einen von der Klägerin zu beauftragenden Gerichtsvollzieher zum Zwecke der Vernichtung auf Kosten der Beklagten herauszugeben;
- 5. die seit dem 22. März 2019 in Verkehr gebrachten Erzeugnisse entsprechend vorstehend Ziffer I.1. gegenüber den gewerblichen Abnehmern unter Hinweis auf den gerichtlich festgestellten patentverletzenden Zustand der Sache und mit der verbindlichen Zusage zurückzurufen, etwaige Entgelte zu erstatten sowie notwendige Verpackungs- und Transportkosten sowie mit der Rückgabe verbundene Zoll- und Lagerkosten zu übernehmen und die Erzeugnisse wieder an sich zu nehmen;
- 6. an die Klägerin den Betrag von EUR 5.486,86 nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 29. Juli 2020 zu zahlen.
- II. Es wird festgestellt,
- 1. dass die Beklagte verpflichtet ist, der Klägerin für die zu Ziffer I.1. bezeichneten und in der Zeit vom 26. Dezember 2015 bis zum einschließlich 21. April 2019 begangenen Handlungen eine angemessene Entschädigung zu zahlen;
- 2. dass die Beklagte verpflichtet ist, der Klägerin allen Schaden zu ersetzen, der ihr durch die zu Ziffer I.1. bezeichneten und seit dem 22. April 2019 begangenen Handlungen entstanden ist und noch entstehen wird.
- III. Die Kosten des Rechtsstreits werden der Beklagten auferlegt.
- IV. Das Urteil ist im Hinblick auf die Ziffern I.1., I.4. und I.5. gegen Sicherheitsleistung in Höhe von EUR 120.000,-, im Hinblick auf die Ziffern I.2. und I.3. gegen Sicherheitsleistung in Höhe von EUR 15.000,- und im Hinblick auf die Ziffern I.6. und III. gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 120% des jeweils zu vollstreckenden Betrages vorläufig vollstreckbar.
- V. Der Streitwert wird auf EUR 150.000,00 festgesetzt.
- Tatbestand
- Die Klägerin macht – als eingetragene und allein verfügungsberechtigte Inhaberin – Ansprüche auf Unterlassung, Auskunft und Rechnungslegung, Rückruf und Vernichtung, Ersatz von vorgerichtlichen Anwaltskosten sowie Feststellung der Entschädigungs- und Schadensersatzverpflichtung dem Grunde nach wegen Verletzung des deutschen Patents DE 10 2014 XXX 373 B4 (Anlage HKLW 1; im Folgenden: Klagepatent) geltend, das am 26. Mai 2014 angemeldet und als Anmeldung am 26. November 2015 offengelegt wurde. Der Hinweis auf die Erteilung des Klagepatents wurde am 21. März 2019 bekanntgemacht.
- Das Klagepatent steht in Kraft und betrifft ein Düngemittel umfassend den Inhaltstoff Hordenin sowie ein Verfahren zur Düngung einer Pflanzengruppe mit diesem Düngemittel. Die Beklagte hat Nichtigkeitsklage zum Bundespatentgericht (Az. 3 Ni 31/20) erhoben, über die noch nicht entschieden ist.
- Die vorliegend maßgeblichen Ansprüche 1 und 5 des Klagepatents lauten:
- „1. Düngemittel für Pflanzen, dadurch gekennzeichnet, dass es wenigstens 50ppm Hordenin enthält.
- 5. Verfahren zur Düngung einer Pflanzengruppe, dadurch gekennzeichnet, dass der Pflanzengruppe ein Düngemittel gemäß einem oder mehreren der Ansprüche 1 bis 4 zugeführt wird, nachdem wenigstens ein Teil der Pflanzen der Pflanzengruppe bereits gekeimt hat.“
- Die Parteien sind Wettbewerber auf dem Markt für Düngemittel. Die Beklagte vertreibt – unter anderem über den über ihre Internetseite erreichbaren Onlineshop – unter der Bezeichnung „XXX“ Düngemittel in Form von Kraftpflanzendünger, SOS-Pflanzendünger und Profi-Rasendünger, der auch Hordenin enthält (im Folgenden: angegriffene Ausführungsformen). Wegen der weiteren Einzelheiten des Internetauftritts der Beklagten wird auf die als Anlagenkonvolut HKLW 5 vorgelegten Screenshots verwiesen.
- Mit E-Mail vom 21. März 2018 (Anlage HKLW 6) wies der Geschäftsführer der Klägerin, Herr Dr. A, den Geschäftsführer der Beklagten, Herrn B, erstmals auf die von der Klägerin eingereichte Patentanmeldung hin. Mit anwaltlichem Schreiben vom 13. Februar 2020 (Anlagenkonvolut HKLW 7) mahnte die Klägerin die Beklagte sodann unter Berufung auf das zwischenzeitlich erteilte Klagepatent ab und forderte sie unter Fristsetzung bis zum 25. Februar 2020 zur Abgabe einer strafbewehrten Unterlassungs- und Verpflichtungserklärung auf. Auf dieses Schreiben antwortete die Beklagte mit anwaltlichem Schreiben vom 19. Februar 2020 (Anlagenkonvolut HKWL 8) und teilte mit, dass die auf ihrer Homepage angebotenen XXX-Dünger – ebenso wie deren Vorgängerprodukte – über einen Mindestanteil von 50ppm Hordenin verfügten, dies indes schon seit dem Jahr 2013. Dem Schreiben als Anlage MD 1 beigefügt war zudem eine Rechnung vom 21. Oktober 2013. Zudem stellte die Beklagte die Schutzfähigkeit des Klagepatents in Abrede. Nachdem die Klägerin die Beklagte mit Schreiben vom 2. März 2020 (Anlage HKLW 9) aufgefordert hatte, einen Nachweis dafür zu erbringen, dass die Produkte der Beklagten schon 2013 einen entsprechenden Hordenin-Anteil aufgewiesen haben, antwortete die Beklagte mit Schreiben vom 9. März 2020 (Anlagenkonvolut HKLW 10), in dem sie weiterhin die Schutzfähigkeit des Klagepatents in Abrede stellte. Daraufhin schrieb die Klägerin die Beklagte am 20. März 2020 (Anlage HLKW 11) erneut an und forderte sie letztmalig zur Abgabe einer strafbewehrten Unterlassungs- und Verpflichtungserklärung auf. Unter Zurückweisung dieses Ansinnens übersandte die Beklagte der Klägerin mit Schreiben vom 9. April 2020 (Anlagenkonvolut HKLW 12) zwei Analysen des Instituts für Boden und Umwelt XXX als Beleg dafür, dass zwei Rückstellmuster aus dem Jahre 2013 einen Hordeningehalt von 313 bzw. 420 mg/kg enthielten. Weitere Versuche der Parteien, eine gütliche Beilegung des Streits zu erreichen, blieben bislang erfolglos (Anlagen HKLW 13 bis HKLW 15). Wegen des weiteren Inhalts der vorgenannten Schreiben wird auf die jeweiligen Anlagen Bezug genommen.
- Die Klägerin meint, die angegriffenen Ausführungsformen machten von der technischen Lehre des Klagepatents wortsinngemäß Gebrauch. Insoweit behauptet sie, dass eigene Tests der Klägerin von den Produkten der Beklagten einen entsprechenden Hordeningehalt bestätigt hätten. So sei von der D GmbH am 20. März 2020 festgestellt worden, dass die angegriffenen Ausführungsformen über einen Hordeningehalt von 70,3 bis 214 mg/kg verfügten, wie den als Anlagenkonvolut HKLW 17 zur Akte gereichten Berichten entnommen werden könne.
- Soweit sich die Beklagte zur Begründung eines privaten Vorbenutzungsrechts auf zwei von ihr in Auftrag gegebene Untersuchungen des Instituts für Boden und Umwelt berufen würde, so können diese nicht als Beleg dafür herangezogen werden, dass die von der Beklagten im Jahr 2013 vertriebenen Düngemittel bereits einen klagepatentgemäßen Hordeningehalt aufgewiesen haben, da die Analysen aus dem Jahr 2020 stammten und die Angaben zum Alter der Proben von der Beklagten selbst gemacht wurden. Jedenfalls fehle es aber an einem bekräftigten Erfindungsbesitz, da sich die Beklagte des Vorhandenseins eines entsprechenden Hordeningehalts sowie dessen Wirkung auf Pflanzen bis zum hiesigen Verfahren nicht bewusst gewesen sei.
- Ferner ist die Klägerin der Auffassung, das Klagepatent werde sich in der Entscheidung über die Nichtigkeitsklage der Beklagten als rechtsbeständig erweisen.
- Die Klägerin beantragt,
- wie erkannt.
- Die Beklagte beantragt,
- die Klage abzuweisen;
hilfsweise
das Verfahren gemäß § 148 ZPO auszusetzen.
- Die Beklagte meint, die angegriffenen Ausführungsformen verwirklichten die technische Lehre des Klagepatents nicht, jedenfalls fehle es an substantiiertem Vortrag der darlegungs- und beweisbelasteten Klägerin zur Verletzung, da diese die vermeintlichen Testergebnisse bis kurz vor dem Termin zur mündlichen Verhandlung nicht vorgelegt habe. Soweit die Klägerin mit letztem Schriftsatz vom 30. Juni 2021 Analyseberichte vorgelegt habe, bestreitet die Beklagte mit Nichtwissen, dass es sich bei den untersuchten Proben um Produkte der Beklagten gehandelt habe.
- Sie beruft sich zudem auf ein privates Vorbenutzungsrecht nach § 12 PatG. Insoweit behauptet sie, die angegriffenen Ausführungsformen seit dem Jahr 2013 (unter der damaligen Produktbezeichnung „XXX XXX XXX“) in gleichbleibender Qualität und unveränderter Zusammensetzung vertrieben zu haben bzw. immer noch zu vertreiben. Die von ihr in Auftrag gegebenen Analysen zweier Rückstellproben aus dem Jahr 2013 hätten einen Hordeningehalt von 313 bzw. 420 mg/kg ergeben.
- Die Beklagte ist der Auffassung, das Klagepatent werde sich in der Entscheidung über die beim Bundespatentgericht anhängige Nichtigkeitsklage als nicht rechtsbeständig erweisen. Insbesondere sei die von ihm beanspruchte technische Lehre nicht neu, habe aber jedenfalls durch den Stand der Technik nahegelegen.
- Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die zwischen den Parteien gewechselten Schriftsätze sowie auf die zu den Akten gereichten Unterlagen ergänzend Bezug genommen.
- Entscheidungsgründe
- Die zulässige Klage hat auch in der Sache Erfolg.
- A.
Die Klage ist begründet, da die angegriffenen Ausführungsformen von der Lehre des Klagepatents Gebrauch machen und der Klägerin daher die geltend gemachten Ansprüche auf Unterlassung, Auskunft und Rechnungslegung, Rückruf, Vernichtung, Ersatz von Abmahnkosten sowie Feststellung der Entschädigungs- und Schadenersatzpflicht dem Grunde nach gemäß den §§ 139ff. PatG zustehen. - I.
Das Klagepatent betrifft ein Düngemittel für Pflanzen umfassend den Inhaltsstoff Hordenin sowie ein Verfahren zur Düngung einer Pflanzengruppe mit diesem Düngemittel. - Wie das Klagepatent einleitend in Absatz [0002] darstellt, komme der Entwicklung von Düngemitteln für Pflanzen, die spezielle Eigenschaften besitzen und damit für besondere Einsatzbereiche bzw. Problemfelder geeignet sind, zunehmend Bedeutung zu. So könne es etwa vorteilhaft sein, dass ein Düngemittel selektiv nur für Pflanzen wirksam sei, deren Wachstum verbessert werden solle, während gleichzeitig das Wachstum von anderen Pflanzen verhindert oder zumindest verringert werden solle. Dies sei beispielsweise bei der Düngung von Kulturpflanzen und dazwischen wachsendem, unerwünschtem Unkraut auf einer Anbaufläche der Fall.
- Das Klagepatent würdigt in Absatz [0003] zunächst die WO 2006/064 XXX A2 als vorbekannt, die eine Art Pfahl beschreibe, der in den Untergrund eingebracht werden könne. Dieser sei zur Düngung von Pflanzen mit Zitrusölen oder Zitrusextrakten gefüllt oder beschichtet. Auch die JP 2006 XXX 007 A beschreibe die Verwendung von getrockneten oder gemahlenen Rückständen von Zitruspflanzen als Dünger, wobei die Rückstände bei der Gewinnung von ätherischen Zitrusölen anfielen. Es sei dabei jedoch nicht erläutert, welche Inhaltsstoffe die Düngewirkung positiv beeinflussen würden. Die US 2002/0 XXX XXX A1 beschreibe schließlich Hordenin als Inhaltsstoff einer Reihe von Zitrus-Spezies, wobei aber auch in dieser Hordenin nicht als Düngemittel beschrieben sei. Dies begründe sich unter anderem durch die extrem geringe Menge an Hordenin in Zitrusfrüchten, die etwa bei 10 ppm liege und sich damit geradeeben an der Bestimmungsgrenze des Nachweisbaren befände.
- Vor dem Hintergrund dieses Standes der Technik formuliert es das Klagepatent in Absatz [0004] als (technische) Aufgabe, ein neuartiges Düngemittel für die Düngung von Pflanzen bereitzustellen. Insbesondere soll das Düngemittel auf möglichst einfache Weise eine selektive Düngung von Kulturpflanzen bei gleichzeitiger Hemmung des Wachstums von unerwünschten Pflanzen innerhalb einer Pflanzengruppe ermöglichen.
- Zur Lösung dieser Aufgabe schlägt das Klagepatent in Anspruch 1 ein Düngemittel und in Anspruch 5 ein Verfahren zur Düngung mit folgenden Merkmalen vor:
- Anspruch 1:
1. Düngemittel für Pflanzen,
dadurch gekennzeichnet, dass
2. es wenigstens 50ppm Hordenin enthält. - Anspruch 5:
Verfahren zur Düngung einer Pflanzengruppe, bei dem
1. Pflanzen ein Düngemittel, das wenigstens 50ppm Hordenin enthält, zugeführt wird,
2. nachdem wenigstens ein Teil der Pflanzen der Pflanzengruppe bereits gekeimt hat. - II.
Die angegriffenen Ausführungsformen machen von der Lehre der geltend gemachten Ansprüche des Klagepatents unmittelbaren wortsinngemäßen Gebrauch. - Die Beklagte hat die Verwirklichung aller Merkmale der beiden streitgegenständlichen Ansprüche durch die angegriffenen Ausführungsformen, insbesondere den Hordeningehalt von über 50ppm, erstmals mit der Duplik und nur mit Blick auf das Tatsächliche bestritten, nachdem sie sich sowohl vorprozessual wie auch mit der Klageerwiderung einzig mit der Geltendmachung eines Vorbenutzungsrechts nach § 12 PatG verteidigt hat. Insoweit kritisiert die Beklagte nunmehr, dass die Klägerin die vermeintlich von ihr durchgeführten Untersuchungen, die den patentverletzenden Hordeningehalt in den angegriffenen Ausführungsformen bestätigen sollen, nicht vorgelegt habe bzw. die zuletzt als Anlagenkonvolut HKLW 17 vorgelegten Analysen untauglich seien.
- 1.
Grundsätzlich obliegt – nach den allgemein geltenden Regeln im Zivilprozess – der klagenden Partei die primäre Darlegungs- und Beweislast für alle Tatsachen, die die geltend gemachten Ansprüche begründen (BGH GRUR 2004, 268, 269 – Blasenfreie Gummibahn II; Grabinski/Zülch in Benkard, Kommentar zum PatG, 11. Auflage 2015, § 139, Rz. 114 m.w.N.). Im Patentverletzungsprozess hat daher zunächst der klagende Patentinhaber substantiiert dazu vorzutragen, woraus sich eine Patentverletzung durch die beanstandeten Vorrichtungen und/oder Verfahren ergibt. - Soweit die klagende Partei zur Rechtsverletzung substantiiert vorträgt, kann die beklagte Partei diesen Tatsachenvortrag gemäß § 138 Abs. 4 ZPO regelmäßig auch mit Nichtwissen bestreiten, jedenfalls solange diese Tatsachen weder eigene Handlungen betreffen noch Gegenstand der eigenen Wahrnehmung waren oder sind. Ist ein Bestreiten mit Nichtwissen unzulässig, so richtet sich die Erklärungspflicht der Parteien nach § 138 Abs. 2 ZPO, wonach sich jede Partei über die vom Gegner behaupteten Tatsachen zu erklären hat. Danach ist zu unschlüssigem, d.h. die Rechtsbehauptung nicht stützendem, Tatsachenvortrag des Gegners in der Regel keine Erklärung geschuldet. Wurden zwar alle zur Begründung des behaupteten Rechts bzw. der erhobenen Einwendung erforderlichen Tatsachen vorgetragen, aber nicht näher konkretisiert, so muss sich die Gegenseite zwar hierzu erklären, sie braucht aber ebenfalls keine konkreten Einzelheiten vorzutragen, sondern kann sich auf einfaches Bestreiten beschränken. Kommt die primär darlegungsbelastete Partei indes ihrer Substantiierungslast nach, so muss der Gegner seinerseits eine substantiierte Sachverhaltsdarstellung abgeben (Greger in Zöller, Kommentar zur ZPO, 33. Auflage 2020, § 138, Rz. 8a m.w.N.).
- Sofern der Beklagte geltend machen will, dass die Ausführungen des Klägers zur Ausgestaltung des vermeintlichen Verletzungsgegenstandes unzutreffend sind, so darf er sich nicht darauf beschränken, den Sachvortrag des Klägers lediglich pauschal zu bestreiten; er ist vielmehr gehalten, zu den einzelnen relevanten Behauptungen in der Klageschrift (und der weiteren Schriftsätzen) Stellung zu nehmen und sich wahrheitsgemäß zu erklären. Dies bedeutet zwar nicht, dass der Beklagte von sich heraus das Gericht und den Kläger über den wirklichen Verletzungstatbestand zu unterrichten hat. Sein Bestreiten von technischen Merkmalen darf jedoch nicht zu pauschal bleiben, vielmehr muss es in gleicher Weise substantiiert sein wie das Vorbringen des Klägers (vgl. Kühnen, Hdb. d. Patentverletzung, 13. Auflage 2021, Kapitel E., Rz. 147).
- 2.
Gemessen an diesen Grundsätzen hat die Beklagte die Patentverletzung durch den angegriffenen Dünger nicht in prozessual zulässiger Weise hinreichend in Abrede gestellt. - Zwar hat die Klägerin in der Klageschrift nur behauptet, dass die angegriffenen Ausführungsformen sämtlich über eine Hordeninkonzentration von über 50ppm verfügen, ohne zunächst weiter zu den von ihr vermeintlich durchgeführten Untersuchungen vorzutragen und auch ohne entsprechende Untersuchungsberichte vorzulegen. Unabhängig davon, dass die Klägerin zuletzt mit Schriftsatz 30. Juni 2021 umfangreich und für die Kammer nachvollziehbar zu den eigenen Untersuchungen ausgeführt hat und unter weiterem Beweisantritt die in Bezug genommenen, den Verletzungsvorwurf stützende Untersuchungsberichte vorgelegt hat, kommt es nicht darauf an, ob die pauschalen Einwände der Beklagten gegen die Ordnungsgemäßheit der Analyseberichte durchgreifen, da entsprechender Vortrag der Klägerin bereits mit Blick auf das vorprozessuale Verhalten wie auch den schriftsätzlichen Vortrag der Beklagten nicht erforderlich war. Denn die Beklagte hat bis zur Duplik zu keinem Zeitpunkt in Abrede gestellt, dass die angegriffenen Ausführungsformen über einen entsprechenden Hordeningehalt verfügen. Vielmehr hat sie sich unter Verweis auf eigene Untersuchungen auf ein privates Vorbenutzungsrecht nach § 12 PatG berufen, was voraussetzt, dass ein entsprechender Wirkstoffgehalt in ihrem Dünger vorhanden war und immer noch ist. Soweit sie nun sehr spät im Verfahren den Wirkstoffgehalt bestreiten will, kann dies nicht pauschal und nur mit Hinweis darauf erfolgen, dass die Klägerin bislang die eigenen Untersuchungen nicht vorgelegt habe. Gleiches gilt auch mit Blick auf das Bestreiten mit Nichtwissen in Bezug darauf, dass die vorgelegten Untersuchungsberichte die angegriffenen Ausführungsformen betreffen. Der Beklagten oblag es vielmehr, sich substantiiert und wahrheitsgemäß dazu erklären, welchen Hordeningehalt die angegriffenen Ausführungsformen haben sollen. Entsprechendes vermag die Beklagte als Herstellerin bzw. Vertreiberin des Düngers auch ohne weiteres anzugeben.
- Dies gilt insbesondere mit Blick darauf, dass sich die Beklagte durch das Bestreiten der Verletzung auch in Widerspruch zu ihrem übrigen Vortrag setzt. So beruft sich die Beklagte unter Verweis auf die von ihr beim Institut für Boden und Umwelt in Auftrag gegebenen Untersuchungen darauf, dass der von ihr vertriebene Dünger bereits im Jahr 2013 einen Hordeningehalt von 313 bzw. 420 mg/kg aufgewiesen habe. Die Beklagte habe diesen Dünger seitdem in gleichbleibender Qualität und in unveränderter Zusammensetzung vertrieben (vgl. S. 2 im 5. Absatz der Klageerwiderung vom 15. September 2020). Gerade der Verweis auf die unveränderte Zusammensetzung kann aber nur so verstanden werden, als das auch der Hordeningehalt gleich geblieben sein soll.
- III.
Die Beklagte kann sich vorliegend auch nicht mit Erfolg auf ein privates Vorbenutzungsrecht berufen. Denn die Kammer vermochte nach dem (nur schriftsätzlichen) Vortrag der Beklagten nicht festzustellen, dass die Voraussetzung für das Bestehen eines Vorbenutzungsrechts nach § 12 PatG vorliegen. - 1.
Gemäß § 12 Abs. 1 S. 1 PatG tritt die Wirkung eines Patents gegen denjenigen nicht ein, der zur Zeit der Anmeldung bereits im Inland die Erfindung in Benutzung genommen oder die dazu erforderlichen Veranstaltungen getroffen hatte. Dieser ist gemäß § 12 Abs. 1 S. 2 PatG befugt, die Erfindung für die Bedürfnisse seines eigenen Betriebs in eigenen oder fremden Werkstätten auszunutzen. - Ein Vorbenutzungsrecht setzt daher zum Einen voraus, dass die die Vorbenutzung einwendende Beklagte am Prioritätstag im redlich erworbenen Erfindungsbesitz gewesen sein muss. Dies bedeutet, dass sie den Erfindungsgedanken soweit erkannt haben muss, dass sie den patentgemäßen Erfolg planmäßig im Sinne einer wiederholbaren technischen Lehre herbeiführen konnte (vgl. Kühnen, a.a.O., Kapitel E, Rz. 564). Erfindungsbesitz ist daher gegeben, wenn die sich aus Aufgabe und Lösung ergebende technische Lehre objektiv fertig und subjektiv derart erkannt ist, dass die tatsächliche Ausführung der Erfindung möglich ist (vgl. BGH GRUR 2012, 895, 896 – Desmopressin; GRUR 2010, 47, 48f. – Füllstoff; Scharen/Benkard, a.a.O., § 12, Rn. 5). An einer solchen Erkenntnis fehlt es, wenn das technische Handeln über das Stadium von Versuchen noch nicht hinausgegangen ist oder ein Gegenstand benutzt worden ist, der lediglich in einzelnen Exemplaren „zufällig“ die erfindungsgemäßen Eigenschaften aufgewiesen hat. Denn in beiden Fällen ist das Handeln nicht von einer Erkenntnis getragen, die es jederzeit möglich macht, die technische Lehre wiederholbar auszuführen, so dass es auch nicht gerechtfertigt ist, daran eine Besitzstand vermittelnde Rechtsposition anzuknüpfen (vgl. BGH GRUR 2012, 895, 896 – Desmopressin).
- Darüber hinaus setzt das Vorbenutzungsrecht voraus, dass der Erfindungsbesitz im Prioritätszeitpunkt betätigt worden ist. Ausreichend ist insoweit, dass die Beklagte im Inland Benutzungshandlungen nach §§ 9 und 10 PatG vorgenommen oder zumindest Veranstaltungen zur alsbaldigen Benutzung getroffen hat (vgl. OLG Düsseldorf, Urt. v. 11.01.2007, I-2 U 65/05, Rz. 87 – zitiert nach juris).
- Die Darlegungs- und Beweislast für das Vorliegen eines Vorbenutzungsrechts obliegt der Beklagten, da ein solches Recht ihrer Rechtsverteidigung zu Gute kommt. Sie hat insoweit substantiiert zu den tatbestandlichen Voraussetzungen vorzutragen und durch geeignete Unterlagen und/oder Zeugen den Nachweis dafür zu erbringen, dass sie im Prioritätstag den Erfindungsgedanken erkannt und bekräftigt hatte (vgl. Kühnen, a.a.O., Kapitel E, Rz. 575).
- 2.
Vorliegend hat die Beklagte schon nicht zur Überzeugung der Kammer darzulegen vermocht, dass der von ihr unter der Bezeichnung „XXX XXX“ bereits im Jahr 2013 vertriebene Dünger über einen klagepatengemäßen Hordeningehalt verfügt hat. - Der der Klägerin von der Beklagten vorprozessual als Anlage MD 1 zum Schreiben vom 19. Februar 2020 übermittelten Rechnung aus Oktober 2013 (vgl. Anlagenkonvolut HKLW 8) kann zwar entnommen werden, dass eine E GmbH XXX-Dünger an eine XXX B Dienstleistungen GmbH geliefert hat, indes sind der Rechnung keine Anhaltspunkte dafür zu entnehmen, über welche Zusammensetzung/Inhaltsstoffe der Dünger verfügt hat.
- Soweit die Beklagte noch Bezug genommen hat auf zwei Untersuchungsberichte des Instituts für Boden und Umwelt vom 9. April 2020 (vgl. Anlagenkonvolut HKLW 12), so ergibt sich daraus zwar, dass die von dem Institut untersuchten Proben einen Hordeningehalt von 313 bzw. 420 mg/kg aufgewiesen haben. Wie den Untersuchungsberichten indes auch entnommen werden kann, beruht die Angabe, dass es sich bei den eingelieferten Proben um solche handelt, die aus dem Jahr 2013 stammen, um eine Angabe des Einsenders, hier der Beklagten. Da die Klägerin in prozessual zulässiger Weise diese Angabe der Beklagten bestritten hat, hätte es der Beklagten nach den zuvor bereits beschriebenen Grundsätzen oblegen, weiter dazu vorzutragen und ggf. Beweis dafür anzubieten, dass es sich bei den untersuchten Proben um Rückstellmuster aus dem Jahr 2013 gehandelt hat. Entsprechender Vortrag ist auch nach Hinweis der Kammer in der mündlichen Verhandlung nicht erfolgt.
- Soweit die Beklagte in ihrem letzten Schriftsatz vom 6. Juli 2021 noch Beweis durch Zeugnis eines Mitarbeiters ihres Zulieferers angeboten hat, so handelt es sich um einen grundsätzlich unzulässigen und daher vom Gericht nicht nachzugehenden Ausforschungsbeweis, da die Beklagte bereits schon nicht weiter dazu vorgetragen hat, welche Tatsachen der als Zeuge benannte Mitarbeiter überhaupt bestätigen soll und warum er dies kann.
- IV.
Aus der Verletzung des Klagepatentes ergeben sich nachfolgende Rechtsfolgen: -
1.
Da die Beklagte das Klagepatent widerrechtlich benutzt hat, ist sie gemäß § 139 Abs. 1 PatG zur Unterlassung der tenorierten Benutzungshandlungen verpflichtet. - 2.
Die Beklagte trifft auch ein zumindest fahrlässiges Verschulden. Denn die Beklagte als Fachunternehmen hätte bei Anwendung der von ihr im Geschäftsverkehr zu fordernden Sorgfalt die Benutzung des Klagepatents erkennen und vermeiden können, § 276 BGB. Für die Zeit ab Erteilung des Klagepatents schuldet die Beklagte daher Ersatz des Schadens, welcher der Klägerin entstanden ist und noch entstehen wird, § 139 Abs. 2 PatG. Ferner schuldet die Beklagte der Klägerin gemäß § 33 PatG für die von ihr in der Zeit zwischen Offenlegung der Anmeldung des Klagepatents und seiner Erteilung verübten Benutzungshandlungen eine angemessene Entschädigung. Da die genaue Schadensersatzhöhe sowie die Höhe der angemessenen Entschädigung derzeit noch nicht feststehen, die Klägerin nämlich keine Kenntnis über den Umfang der Benutzungs- und Verletzungshandlungen durch die Beklagte hat, hat sie ein rechtliches Interesse gemäß § 256 ZPO daran, dass die Schadensersatz- und Entschädigungspflicht der Beklagten dem Grunde nach festgestellt wird. - 3.
Um die Klägerin in die Lage zu versetzen, den ihr zustehenden Schadensersatz und die ihr zustehende angemessene Entschädigung zu beziffern, ist die Beklagte verpflichtet, im zuerkannten Umfang über ihre Benutzungshandlungen Rechnung zu legen, § 140b PatG i.V.m. § 242 BGB. - 4.
Die Beklagte ist nach § 140a Abs. 1 und 3 PatG in der zuerkannten Weise auch zur Vernichtung und zum Rückruf der das Klagepatent verletzenden Gegenstände verpflichtet. - 5.
Die Klägerin kann von der Beklagten schließlich auch Ersatz der Abmahnkosten aus den Grundsätzen der Geschäftsführung ohne Auftrag, §§ 683 S. 1, 677, 670 BGB (vgl. Kühnen, a.a.O., Kapitel C., Rz. 42) verlangen. - V.
Mit Blick auf die von der Beklagten gegen den Rechtsbestand des Klagepatents eingewandten Entgegenhaltungen war eine Aussetzung des Rechtsstreits gemäß § 148 ZPO bis zu einer auch nur erstinstanzlichen Entscheidung im Nichtigkeitsverfahren vor dem BPatG nicht geboten. - 1.
Nach Auffassung der Kammern (Mitt. 1988, 91 – Nickel-Chrom-Legierung, BlPMZ 1995, 121 – Hepatitis-C-Virus), die durch das Oberlandesgericht Düsseldorf (GRUR 1979, 188 – Flachdachabläufe; Mitt. 1997, 257, 258 – Steinknacker) und den Bundesgerichtshof (GRUR 1987, 284 – Transportfahrzeug; GRUR 2014, 1237 ff. – Kurznachrichten) bestätigt wurde, stellen ein Einspruch gegen das Klagepatent oder die Erhebung der Nichtigkeitsklage als solche noch keinen Grund dar, den Verletzungsrechtsstreit auszusetzen, da dies faktisch darauf hinauslaufen würde, dem Angriff auf das Klagepatent eine den Patentschutz hemmende Wirkung beizumessen, die dem Gesetz fremd ist (§ 58 Abs. 1 PatG). Die Interessen der Parteien sind vielmehr gegeneinander abzuwägen. - Wenn das Klagepatent mit einem Einspruch oder mit einer Patentnichtigkeitsklage angegriffen ist, verurteilt das Verletzungsgericht, wenn es eine Verletzung des in Kraft stehenden Patents bejaht, grundsätzlich nur dann wegen Patentverletzung, wenn es eine Nichtigerklärung nicht für (hinreichend) wahrscheinlich hält; andernfalls hat es die Verhandlung des Rechtsstreits nach § 148 ZPO auszusetzen, bis jedenfalls erstinstanzlich über die Nichtigkeitsklage entschieden ist (BGH, GRUR 2014 1238 – Kurznachrichten). Denn eine – vorläufig vollstreckbare – Verpflichtung des Beklagten zur Unterlassung, Auskunftserteilung, Rechnungslegung, zum Rückruf sowie zur Vernichtung patentgemäßer Erzeugnisse ist regelmäßig nicht zu rechtfertigen, wenn mit hinreichender Wahrscheinlichkeit zu erwarten steht, dass dieser Verurteilung durch die Nichtigerklärung des Klagepatents die Grundlage entzogen werden wird. Der aus dem Rechtsstaatsprinzip (Art. 20 Abs. 3 GG) in Verbindung mit den Grundrechten folgende und damit verfassungsrechtlich verbürgte Justizgewährungsanspruch gebietet es, dem Verletzungsbeklagten wirkungsvollen Rechtsschutz zur Verfügung zu stellen, wenn er sich gegen den Angriff aus dem Klagepatent mit einem Gegenangriff auf den Rechtsbestand dieses Patents zur Wehr setzen will. Dies erfordert nicht nur eine effektive Möglichkeit, diesen Angriff selbst durch eine Klage auf Nichtigerklärung bzw. durch Erhebung eines Einspruchs führen zu können, sondern auch eine angemessene Berücksichtigung des Umstands, dass in diesem Angriff auch ein – und gegebenenfalls das einzige – Verteidigungsmittel gegen die Inanspruchnahme aus dem Patent liegen kann. Wegen der gesetzlichen Regelung, die für die Ansprüche nach §§ 139 ff. PatG lediglich ein in Kraft stehendes Patent verlangt und für die Beseitigung dieser Rechtsposition nur die in die ausschließliche Zuständigkeit des Patentgerichts fallende Nichtigkeitsklage zur Verfügung stellt, kann der Angriff gegen das Klagepatent anders als in anderen Rechtsordnungen nicht als Einwand im Verletzungsverfahren oder durch Erhebung einer Widerklage auf Nichtigerklärung geführt werden. Dies darf indessen nicht dazu führen, dass diesem Angriff jede Auswirkung auf das Verletzungsverfahren versagt wird. Die Aussetzung des Verletzungsstreits ist vielmehr grundsätzlich, aber auch nur dann geboten, wenn mit hinreichender Wahrscheinlichkeit zu erwarten ist, dass das Klagepatent dem erhobenen Einspruch/der anhängigen Nichtigkeitsklage nicht standhalten wird (BGH, GRUR 2014 1238 – Kurznachrichten). Dies kann regelmäßig dann nicht angenommen werden, wenn der Nichtigkeitsangriff darauf gerichtet ist, die Neuheit oder die erfinderische Tätigkeit bei Findung der klagepatentgemäßen Lehre in Frage zu stellen, sich jedoch für eine Bejahung der Patentierbarkeit, die auch insoweit von der wertenden Beurteilung der hierfür zuständigen Instanzen abhängt, noch vernünftige Argumente finden lassen. Gleiches gilt in Fällen, in denen der dem Klagepatent entgegengehaltene Stand der Technik bereits im Erteilungsverfahren berücksichtigt oder das Klagepatent erstinstanzlich aufrechterhalten worden ist (vgl. Kühnen, Hdb. d. Patentverletzung, 13. Auflage 2021, Kapitel E., Rn. 815f.).
- 2.
Den maßgeblichen Erfolg der Nichtigkeitsklage vermochte die Kammer nicht mit der erforderlichen hinreichenden Wahrscheinlichkeit festzustellen. - 2.1.
Eine neuheitsschädliche Vorwegnahme der klagepatentgemäßen Lehre durch die prioritätsältere kanadische Patentanmeldung CA 2,192,XXX A1 (vorgelegt als Anlage D 14 zum Anlagenkonvolut MD 1; im Folgenden: D 14) konnte nicht festgestellt werden. - 2.1.1.
Eine Entgegenhaltung ist dann neuheitsschädlich, wenn sich die gesamte als Erfindung beanspruchte Lehre des Klagepatents aus dieser Schrift, deren Gesamtinhalt zu ermitteln ist, für den Fachmann am Prioritätstag in einer Weise ergibt, dass ihm die dort vorgestellte technische Lösung unmittelbar und eindeutig sämtliche Merkmale der Erfindung offenbart. Dabei beschränkt sich die technische Lehre der Patentschriften nicht auf den Inhalt der Ansprüche, sondern schließt die gesamte technische Information ein, die ein Durchschnittsfachmann Ansprüchen, Beschreibung und Abbildungen entnehmen kann (vgl. BGH GRUR 2009, 382, 384 – Olanzapin). - Voraussetzung der Zugehörigkeit einer Entgegenhaltung (einer Schrift oder eines anderen Dokuments) zum berücksichtigungsfähigen Stand der Technik ist, dass sie irgendwo auf der Welt in irgendeiner Weise der Öffentlichkeit vor dem Anmelde- bzw. Prioritätstag zugänglich gemacht worden ist (vgl. Moufang in Schulte, Kommentar zum PatG, 10. Auflage 2017, § 3, Rn. 14). Öffentlich zugänglich ist ein Dokument, wenn ein unbegrenzter Personenkreis die Möglichkeit zur Kenntnisnahme hat oder hatte, ohne dass Einschränkung durch geheimhaltungspflichten bestanden (vgl. Moufang/Schulte, a.a.O., § 3, Rn 23ff. m.w.N.). Die darlegungs- und Beweislast für eine solche öffentliche Zugänglichkeit obliegt dem Patentverletzer.
- 2.1.2.
Entgegen der prozessleitenden Verfügung vom 23. Juli 2020 (dort Ziff. 3.a), Bl. 22 d.A.) hat die Beklagte von der französischsprachigen Entgegenhaltung D 14 keine deutsche Übersetzung zur Akte gereicht, so dass die Kammer die D 14 im Rahmen ihrer Entscheidung über die Aussetzung schon aus formalen Gründen nicht berücksichtigen konnte. - Auch unter Berücksichtigung der weiteren von der Beklagten zur Akte gereichten Dokumente vermochte die Kammer nicht zu erkennen, dass die D 14 die Lehre des Klagepatents in Form der hier geltend gemachten Ansprüche 1 und 5 dem Fachmann unmittelbar und eindeutig offenbart.
- Soweit die Beklagte auf die beiden Bescheide des EPA vom 29. November 2016 und 3. Juni 2019 (vgl. Anlagenkonvolut MD 3) Bezug genommen hat, welche im parallelen europäischen Erteilungsverfahren ergangen sind, so vermögen diese Bescheide zwar nicht unmittelbar einen Hinweis darauf zu liefern, wie das BPatG den Rechtsbestand im Rahmen der Nichtigkeitsklage beurteilen wird, sie sind jedoch für die Frage der Rechtsbeständigkeit zumindest von indizieller Bedeutung. Unabhängig davon, dass das europäische Patent (EP 3 148 XXX B1) mittlerweile mit im Vergleich zum Klagepatent eingeschränkten Ansprüchen erteilt wurde, vermochte die Kammer aber auch diesen Bescheiden nicht zu entnehmen, wieso die D 14 den beiden streitgegenständlichen Ansprüchen des Klagepatents neuheitsschädlich entgegenstehen sollte. So führt das EPA in Ziff. 3.3 auf Seite 2 des Bescheides vom 3. Juni 2019 nur knapp und ohne weitere Begründung aus, dass die D 2 (= D 14) Zusammensetzungen offenbare, die zur Anwendung bei Bäumen in manchen Ausführungsbeispielen (insb. Tabelle 1 aus Seite 11 der D 14) Hordenin in einer Menge von 50ppm offenbare. Wieso es sich dabei aber um Düngemittel für (Kultur-)Pflanzen handeln sollte, lässt das EPA offen. Dem entsprechenden Vorhalt der Klägerin auf Seite 7 der Replik (dort 4. und 5. Absatz) ist die Beklagte in Folge auch nicht mehr entgegengetreten, vielmehr sieht die Beklagte die D 14 (wie auch die nachfolgen noch zu behandelnde D 15) nur noch als „möglicherweise weiter wichtig für die Beurteilung der Patentfähigkeit des Klagepatents“, ohne dazu schriftsätzlich bzw. in der mündlichen Verhandlung weiter ausgeführt zu haben.
- 2.2.
Vor dem Hintergrund der Ausführungen zur D 14 vermochte die Kammer auch eine neuheitsschädliche Vorwegnahme der klagepatentgemäßen Lehre durch die prioritätsältere französische Patentanmeldung FR 2 979 XXX A1 (vorgelegt als Anlage D 15 zum Anlagenkonvolut MD 1; im Folgenden: D 15) nicht mit der hinreichenden Wahrscheinlichkeit festzustellen. - Neben dem Fehlen einer deutschen Übersetzung fehlt es im Übrigen auch an hinreichend substantiiertem Vortrag der Beklagten dazu, woraus sich alle Merkmale der streitgegenständlichen Ansprüche des Klagepatents unmittelbar und eindeutig ergeben sollen, zumal die Lehre der D 15 auf die Bekämpfung bestimmter Algenarten und damit nicht auf die Düngung von (Kultur-)Pflanzen zielt. Der pauschale Hinweis der Beklagten auf die Bescheide des EPA ist jedenfalls nicht geeignet, entsprechenden Vortrag zu ersetzen.
- 2.3.
Die Kammer vermochte ebenfalls nicht festzustellen, dass der auf die DE 44 24 XXX A1 (vorgelegt als Anlage D 7 zum Anlagenkonvolut MD 1; im Folgenden: D 7) gestützte Neuheitsangriff hinreichende Erfolgsaussichten hat. - Die prioritätsältere Anmeldeschrift D 7 offenbart ein Düngemittel, bei dessen Herstellung Malzkeime Verwendung finden, die sich – wie der Fachmann den Zeilen 23ff. auf Seite 2 der D 7 entnehmen kann – auf Grund ihres Nährstoffgehaltes gut als Düngemittel eignen sollen. Indes fehlt es in der D 7 selbst – wovon auch die Beklagte ausgeht – an einer unmittelbaren Bezugnahme auf den Inhaltsstoff Hordenin und daher insbesondere auch auf eine bestimmte Hordeninkonzentration.
- Soweit die Beklagte daher auf die Dokumente D 10 bis D 12 (des Anlagenkonvoluts MD 1) Bezug nimmt und meint, dem Fachmann, hier einem auf die Entwicklung von Düngemitteln spezialisierten Biologen, sei bereits auf Grund seines Fachwissen bewusst, dass (Gersten-)Malzkeime stets Hordenin in der vom Klagepatent beanspruchten Konzentration enthielten mit der Folge, dass er auch bei dem von der D 7 offenbarten Dünger von einem Hordeningehalt von mindestens 50ppm ausgehe, vermochte die Kammer entsprechendes nicht zu erkennen. Die Klägerin hat – insoweit unwidersprochen – vorgetragen, dass es sich bei dem Begriff Malzkeime, wie er auch von der D 7 verwendet wird, um einen Oberbegriff für verschiedene Sorten von Malzkeimen handelt und etwa Weizenmalzkeime kein Hordenin bzw. allenfalls geringe Spuren davon aufweisen. Ferner hat die Klägerin nachvollziehbar und unter Bezugnahme auf die als Anlage HKLW 21 vorgelegte Gerstenmalz-Analyse aus dem Jahr 2017 dargelegt, dass auch Gerstenmalzkeime – entgegen der Behauptung der Beklagten – nicht stets einen Hordeningehalt von mindestens 50ppm aufweisen. Diesem Vorbringen ist die Beklagte nicht mehr entgegengetreten. Selbst wenn man daher zu Gunsten der Beklagten annehmen wollte, dass die D 7 in erster Linie auf Gerstenmalzkeime als Grundlage für die Herstellung des offenbarten Düngers abstellen sollte, so fehlt es jedenfalls an einer hinreichenden unmittelbaren und eindeutigen Offenbarung des vom Klagepatent beanspruchten Hordeningehaltes.
- 2.4.
Die beiden Entgegenhaltungen D 1 (WO 2006/XXX A2) und D 2 (JP XXX-XXX) waren bereits Gegenstand des Erteilungsverfahren, wie dem als Anlage D 20 zum Anlagenkonvolut MD 1 vorgelegten Prüfbescheid des DPMA vom 24. April 2015 entnommen werden kann und sind daher auch bereits aus diesem Grund nicht geeignet, eine Aussetzung zu begründen. - 2.5.
Soweit die Beklagten der Neuheit der streitgegenständlichen Ansprüche des Klagepatents noch die Dokumente D 9 bis D 13 entgegenhalten (vgl. 3. Absatz auf Seite 9 der Duplik und Schriftsatz vom 8. Juli 2021), fehlt es auch insoweit an substantiiertem Vortrag dazu, woraus sich die einzelnen Merkmale in den jeweiligen Schriften ergeben sollen. - 2.6.
Schlussendlich hat auch der auf den Aspekt der fehlenden erfinderischen Tätigkeit gestützte Nichtigkeitsangriff keine hinreichende Aussicht auf Erfolg. - 2.6.1.
Die Beantwortung der Frage, ob eine erfinderische Tätigkeit zu bejahen ist, bedarf einer wertenden Entscheidung (BGH, GRUR 1995, 330 – Elektrische Steckverbindung) unter Berücksichtigung der Kriterien des Standes der Technik als Ausgangspunkt für die Beurteilung sowie des Fachwissens des Durchschnittsfachmanns in der Frage des Nichtnaheliegens. Die Beurteilung stützt sich auf tatsächliche Umstände, nämlich die Feststellung der Erfindung, des Standes der Technik sowie des dem maßgeblichen Fachmann eigenen Wissens und Könnens. Eine erfinderische Tätigkeit liegt erst in derjenigen Leistung, die sich über die Norm dessen erhebt, was ein Fachmann mit durchschnittlicher Ausbildung, Kenntnissen und Fähigkeiten bei herkömmlicher Arbeitsweise erreichen kann. - Eine Maßnahme kann als „naheliegend“ angesehen werden, wenn der Fachmann sie in der Erwartung einer gewissen Verbesserung oder eines Vorteils vorgenommen hätte. Maßgeblich ist eine angemessene (= realistische) Erfolgserwartung, so dass es nicht auf eine absolute Gewissheit im Hinblick auf das Eintreten vorteilhafter Effekte ankommt, andererseits aber auch nicht genügt, dass auf Seiten des Fachmanns die bloße Hoffnung auf ein gutes Gelingen besteht. Die angemessene Erfolgserwartung erfordert über den bloßen Wunsch nach Verbesserung hinaus eine vernünftige wissenschaftliche Bewertung der vorliegenden Tatsachen (OLG Düsseldorf, Urteil v. 14.12.2017 – I-2 U 18/17 –, Rn. 44 ff., zitiert nach juris m.w.N.).
- 2.6.2.
Die Kammer vermochte nicht zu erkennen, dass die Lehre des Patentanspruchs 1 ausgehend von der prioritätsälteren US 6,340,XXX B1 (vorgelegt als Anlage D 7 zum Anlagenkonvolut HKLW 10; nachfolgend: D 18) nahelag. - Unabhängig davon, dass die Beklagte – entgegen der prozessleitenden Verfügung vom 23. Juli 2020 (dort Ziff. 3.a), Bl. 22 d.A.) – keine deutsche Übersetzung dieser Entgegenhaltung zur Akte gereicht hat, ist auch bereits kein Anlass erkennbar, wieso der Fachmann, hier ein mit der Entwicklung von Düngemittel vertrauter Biologe oder Botaniker mit Hochschulausbildung, die D 18 überhaupt heranziehen sollte. Denn die D 18 betrifft Methoden zur Gewichtsabnahme bei Menschen, wobei Wirkstoffe verwendet werden, die aus Citruspflanzen gewonnen werden. Zwar behandelt die D 18 dabei auch den Wirkstoff Hordenin und gibt an, dass eine Erhöhung des Wirkstoffanteils bei Menschen zu einer verbesserten Wirkung führt. Die Kammer vermochte aber nicht zu erkennen, wieso der Fachmann, der einen Pflanzendünger (weiter-)entwickeln möchte, überhaupt im Bereich der Pharmazie Anregung sucht bzw. dass – für den Fall, dass der Fachmann die D 18 in Betracht ziehen sollte – ohne weiteres die Wirkung des Wirkstoffs Hordenin beim Menschen auch für (Kultur-)Pflanzen gilt. Entsprechendes wurde von der Beklagten nur pauschal behauptet.
- Dass Patentanspruch 5 ausgehend von der D 18 nahegelegen haben könnte, behauptet auch die Beklagte nicht.
- B.
Die Nebenentscheidungen folgen aus §§ 91 Abs. 1 und 709 ZPO.