4b O 43/20 – Präzisionseinheit

Düsseldorfer Entscheidungen Nr. 3125

Landgericht Düsseldorf

Urteil vom 15. Juli 2021, Az. 4b O 43/20

  1. I. Die Beklagte wird verurteilt,
  2. 1. es bei Meidung eines für jeden Fall der Zuwiderhandlung vom Gericht festzusetzenden Ordnungsgeldes bis zu 250.000 EUR – ersatzweise Ordnungshaft – oder Ordnungshaft bis zu sechs Monaten, im Falle wiederholter Zuwiderhandlung bis zu insgesamt zwei Jahren, wobei die Ordnungshaft an ihren gesetzlichen Vertretern zu vollstrecken ist, zu unterlassen,
  3. a) Reiheneinheiten zum Präzisionssäen von Saatgut um eine vorbestimmte Anzahl von Pflanzen je Längeneinheit zu erzielen, die Folgendes umfassen:
  4. eine Saatgut-Abgaberöhre, die dafür eingerichtet ist, das Saatgut mit Hilfe eines Luftüberdrucks von einer Saatgut-Verteilungseinrichtung einem Saatgutauslass zuzuführen,
  5. einen Saatfurchenzieher, der zwei Säscheiben umfasst, die in einem Winkel im Verhältnis zueinander angeordnet sind, und
  6. eine nachgiebige Pressfläche zum Pressen des Saatguts in den Boden,
  7. wobei die Pressfläche derart gestaltet ist, dass eine Strömungsrichtung (F) des Saatguts an dem Saatgutauslass wenigstens einen Abschnitt der Pressfläche schneidet oder im Wesentlichen tangential zu demselben ist,
  8. wobei der Saatgutauslass zwischen den Säscheiben und, in der Querrichtung gesehen, innerhalb des Umfangs wenigstens einer der Säscheiben angeordnet ist
  9. in der Bundesrepublik Deutschland herzustellen, anzubieten, in Verkehr zu bringen oder zu gebrauchen oder zu den genannten Zwecken einzuführen oder zu besitzen;
  10. b) Präzisionssämaschinen, die wenigstens zwei solche Reiheneinheiten umfassen,
  11. in der Bundesrepublik Deutschland herzustellen, anzubieten, in Verkehr zu bringen oder zu gebrauchen oder zu den genannten Zwecken einzuführen oder zu besitzen;
  12. 2. der Klägerin in EDV auswertbarer, elektronischer Form Auskunft zu erteilen, in welchem Umfang sie (die Beklagte) die unter Ziffer I. 1. a) und b) bezeichneten Handlungen seit dem 29. November 2017 begangen hat, und zwar unter Angabe
  13. a) der Namen und Anschriften der Hersteller, Lieferanten und anderer Vorbesitzer,
  14. b) der Namen und Anschriften der gewerblichen Abnehmer sowie der Verkaufsstellen, für die Erzeugnisse bestimmt waren,
  15. c) der Menge der angebotenen, ausgelieferten, erhaltenen oder bestellten Erzeugnisse sowie der Preise, die für die betreffenden Erzeugnisse bezahlt wurden;
  16. 3. der Klägerin Rechnung zu legen, in welchem Umfang sie (die Beklagte) die zu Ziffer I. 1. a) und b) bezeichneten Handlungen seit dem 29. Dezember 2017 begangen hat, und zwar unter Vorlage eines mittels EDV auswertbaren, elektronischen Verzeichnisses, insbesondere unter Angabe
  17. a) der Herstellungsmengen und -zeiten,
  18. b) der einzelnen Lieferungen, aufgeschlüsselt nach Liefermengen, -zeiten, und -preisen unter Einschluss von Produktbezeichnungen sowie der Namen und Anschriften der Abnehmer,
  19. c) der einzelnen Angebote, aufgeschlüsselt nach Angebotsmengen, -zeiten, und -preisen unter Einschluss von Produktbezeichnungen sowie der Namen und Anschriften der Angebotsempfänger,
  20. d) der betriebenen Werbung, aufgeschlüsselt nach Werbeträgern, deren Auflagenhöhe, Verbreitungszeitraum und Verbreitungsgebiet, und
  21. e) der nach den einzelnen Kostenfaktoren aufgeschlüsselten Gestehungskosten und des erzielten Gewinns,
  22. wobei
  23. – der Beklagten vorbehalten bleibt, die Namen und Anschriften der nichtgewerblichen Abnehmer und der Angebotsempfänger statt der Klägerin einem von der Klägerin zu bezeichnenden, ihr gegenüber zur Verschwiegenheit verpflichteten, in der Bundesrepublik Deutschland ansässigen, vereidigten Wirtschaftsprüfer mitzuteilen, sofern die Beklagte dessen Kosten trägt und ihn ermächtigt und verpflichtet, der Klägerin auf konkrete Anfrage mitzuteilen, ob ein bestimmter Abnehmer oder Angebotsempfänger in der Aufstellung enthalten ist,
  24. – zum Nachweis der Angaben zu lit. b) die entsprechenden Einkaufs- und Verkaufsbelege (nämlich Rechnungen, hilfsweise Lieferscheine) in elektronischer Form vorzulegen sind, wobei geheimhaltungsbedürftige Details außerhalb der auskunftspflichtigen Daten geschwärzt werden dürfen;
  25. 4. die unter Ziffer I. 1. a) und b) bezeichneten, seit dem 29. Dezember 2017 in Verkehr gebrachten Erzeugnisse zurückzurufen, indem die Beklagte die gewerblichen Abnehmer unter Hinweis auf den gerichtlich festgestellten, patentverletzenden Zustand der Sache und unter Angabe des Urteils schriftlich auffordert, die Erzeugnisse zurückzusenden, verbunden mit der verbindlichen Zusage, etwaige Entgelte zu erstatten sowie notwendige Verpackungs- und Transportkosten sowie mit der Rückgabe verbundene Zoll- und Lagerkosten zu übernehmen, und indem die Beklagte die Erzeugnisse wieder an sich nimmt,
  26. wobei der Beklagten gestattet ist, denjenigen Dritten, denen durch die Beklagte oder mit ihrer Zustimmung Besitz oder Eigentum an den Erzeugnissen eingeräumt wurde, anzubieten, anstatt das Erzeugnis gegen Erstattung etwaiger Entgelte an die Beklagte zurückzugeben, die Erzeugnisse von der Beklagten so umgestalten zu lassen, dass der Saatgutauslass, in der Querrichtung gesehen, über den Umfang der Säscheiben übersteht wie nachstehend abgebildet:
  27. wobei die Beklagte sämtliche Kosten der Umgestaltung trägt.
  28. II. Es wird festgestellt, dass die Beklagte verpflichtet ist, der Klägerin allen Schaden zu ersetzen, der ihr entstanden ist und noch entstehen wird aufgrund der seit dem 29. Dezember 2017 begangenen Handlungen gemäß Ziffer I. 1. a) und b).
  29. III. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
  30. IV. Die Kosten des Rechtsstreits trägt die Beklagte.
  31. V. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 250.000,00 EUR, wobei Teilsicherheiten für die Zwangsvollstreckung wie folgt festgesetzt werden:
    für Ziffer I. 1. und 4. des Tenors 175.000,00 EUR,
    für Ziffer I. 2. und 3. des Tenors 50.000,00 EUR und
    für Ziffer IV. des Tenors 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages.
  32. Tatbestand
  33. Die Klägerin nimmt die Beklagte wegen Verletzung des deutschen Teils des europäischen Patents 2 549 XXX B1 (Anlage HE-C 1, in deutscher Übersetzung Anlage HE-C 2, im Folgenden: Klagepatent) auf Unterlassung, Auskunft und Rechnungslegung, Rückruf und Vernichtung der Erzeugnisse sowie Feststellung der Schadensersatzpflicht in Anspruch.
    Die Klägerin ist eingetragene Inhaberin des am 22. März 2011 unter Inanspruchnahme einer Priorität vom 23. März 2010 angemeldeten Klagepatents. Die Anmeldung wurde am 30. Januar 2013 veröffentlicht, der Hinweis auf die Patenterteilung am 29. November 2017. Das Klagepatent steht in Kraft.
    Gegen die Erteilung des Klagepatents hat die Beklagte Einspruch erhoben. Mit Entscheidung vom 28. Januar 2020 wurde der Einspruch durch die Einspruchsabteilung beim EPA zurückgewiesen. Die Begründung für die Zurückweisung des Einspruchs liegt als Anlage HE-C 12 vor. Über die gegen diese Entscheidung gerichtete Beschwerde wurde bislang noch nicht entschieden.
    Das Klagepatent, dessen Verfahrenssprache Englisch ist, hat den Titel A. Die von der Klägerin geltend gemachten Ansprüche 1 und 12 lauten in der deutschen Übersetzung:
  34. 1. Reiheneinheit zum Präzisionssäen von Saatgut, um eine vorbestimmte Anzahl von Pflanzen je Längeneinheit zu erzielen, die Folgendes umfasst:
    eine Saatgut-Abgaberöhre (13), die dafür eingerichtet ist, das Saatgut mit Hilfe eines Luftüberdrucks von einer Saatgut-Verteilungseinrichtung (11) einem Saatgutauslass (14) zuzuführen,
    einen Saatfurchenzieher (15), der zwei Säscheiben (15a, 15b) umfasst, die in einem Winkel im Verhältnis zueinander angeordnet sind, und
    eine nachgiebige Pressfläche (16, 16’, 16″) zum Pressen des Saatguts in den Boden,
    wobei die Pressfläche (16, 16’, 16″) derart gestaltet ist, dass eine Strömungsrichtung (F) des Saatguts an dem Saatgutauslass (14) wenigstens einen Abschnitt der Pressfläche (16, 16’, 16″) schneidet oder im Wesentlichen tangential zu demselben ist,
    dadurch gekennzeichnet, dass
    der Saatgutauslass (14) zwischen den Säscheiben (15a, 15b) und, in der Querrichtung gesehen, innerhalb des Umfangs wenigstens einer der Säscheiben (15a, 15b) angeordnet ist.
    und
    12. Präzisionssämaschine, die wenigstens zwei Reiheneinheiten nach einem der vorhergehenden Ansprüche umfasst.
  35. Wegen der daneben geltend gemachten abhängigen Unteransprüche 2 bis 5, 9 und 11 wird auf die Klagepatentschrift verwiesen.
    Die nachfolgende Figur stammt aus der Klagepatentschrift und gibt eine Draufsicht auf einen Teil einer erfindungsgemäßen Reiheneinheit wieder, bei der eine der Säscheiben entfernt wurde, um eine Saatgut-Abgaberöhre freizulegen:
  36. Die Beklagte bewirbt und vertreibt eine Einzelkorn-Sämaschine mit der Bezeichnung „X“, von der es verschiedene Modellvarianten gibt, insbesondere mit vier, sechs oder acht Drilleinheiten (angegriffene Ausführungsform). Unter anderem stellte die Beklagte die angegriffene Ausführungsform im Jahr X auf der X, der Weltleitmesse für Landtechnik, aus (Anlage HE-C 4). Ebenso wird die angegriffene Ausführungsform von der Beklagten in dem Katalog „X“ (Anlage HE-C 5, englische Übersetzung: Anlage HE-C 5a) beworben.
    Die nachstehende Abbildung stammt aus der Klageschrift und gibt Details einer angegriffenen Reiheneinheit wieder. Die Beschriftung stammt von der Klägerin.
  37. Die Klägerin sieht in dem Angebot und Vertrieb der angegriffenen Ausführungsform durch die Beklagte eine Verletzung des Klagepatents mit den Ansprüchen 1 und 12. Sie ist der Ansicht, dass auch eine Verurteilung zur Vernichtung und zum Rückruf verhältnismäßig sei. Die Beklagte biete die angegriffene Ausführungsform nach wie vor an. Dies ergebe sich aus dem Internetauftritt der Beklagten und ihrem Produktkatalog. Selbst wenn die Beklagte über eine Umgehungslösung verfüge, sei ein Rückbau nicht patentverletzender Reiheneinheiten ohne weiteres möglich. Denn die Beklagte biete auf ihrer Website, die auszugsweise als Anlage HE C 13 vorliegt, den Bezug von Original-Ersatzteilen an. Über den Link „Ersatzteilkatalog“ gelange man zu einer Händlerplattform der B GmbH, einem Kooperationspartner der Beklagten, der auf seiner Website – auszugsweise vorgelegt als Anlage HE C 14 – unter der Teilenummer 58310XXX ein Särohr für die angegriffene Ausführungsform anbiete, das mit dem Särohr der von der Beklagten bereitgestellten und als Anlage HE C 9 vorgelegten Ersatzteilliste identisch sei.
    Schließlich werde sich das Klagepatent auch als rechtsbeständig erweisen. Die Beschwerde gegen die erstinstanzliche Einspruchsentscheidung werde keinen Erfolg haben.
  38. Die Klägerin beantragt,
  39. I. die Beklagten zu verurteilen,
  40. 1. es bei Meidung eines für jeden Fall der Zuwiderhandlung vom Gericht festzusetzenden Ordnungsgeldes bis zu 250.000 EUR – ersatzweise Ordnungshaft – oder Ordnungshaft bis zu sechs Monaten, im Falle wiederholter Zuwiderhandlung bis zu insgesamt zwei Jahren, wobei die Ordnungshaft an ihren gesetzlichen Vertretern zu vollstrecken ist, zu unterlassen,
  41. a) Reiheneinheiten zum Präzisionssäen von Saatgut um eine vorbestimmte Anzahl von Pflanzen je Längeneinheit zu erzielen, die Folgendes umfasst:
  42. eine Saatgut-Abgaberöhre, die dafür eingerichtet ist, das Saatgut mit Hilfe eines Luftüberdrucks von einer Saatgut-Verteilungseinrichtung einem Saatgutauslass zuzuführen,
  43. einen Saatfurchenzieher, der zwei Säscheiben umfasst, die in einem Winkel im Verhältnis zueinander angeordnet sind, und
  44. eine nachgiebige Pressfläche zum Pressen des Saatguts in den Boden,
  45. wobei die Pressfläche derart gestaltet ist, dass eine Strömungsrichtung (F) des Saatguts an dem Saatgutauslass wenigstens einen Abschnitt der Pressfläche schneidet oder im Wesentlichen tangential zu demselben ist,
  46. dadurch gekennzeichnet, dass
  47. der Saatgutauslass zwischen den Säscheiben und, in der Querrichtung gesehen, innerhalb des Umfangs wenigstens einer der Säscheiben angeordnet ist
  48. in der Bundesrepublik Deutschland herzustellen, anzubieten, in Verkehr zu bringen oder zu gebrauchen oder zu den genannten Zwecken einzuführen oder zu besitzen,
  49. insbesondere wenn
  50. der Saatgutauslass, gesehen in einer Ebene senkrecht zu der Strömungsrichtung (F) des Saatguts, im Wesentlichen den gleichen Querschnitt hat wie die Saatgut-Abgaberöhre,
  51. sowie insbesondere wenn
  52. der Saatgutauslass bei einem vertikalen Abstand oberhalb einer horizontalen Ebene (H) angeordnet ist, die tangential zu einer unteren Kante einer der Säscheiben ist, wobei der vertikale Abstand wenigstens 10 % eines Radius wenigstens einer der Säscheiben, vorzugsweise wenigstens 15 % eines Radius wenigstens einer der Säscheiben, wenigstens 20 % eines Radius wenigstens einer der Säscheiben oder wenigstens 25 % eines Radius wenigstens einer der Säscheiben entspricht,
  53. sowie insbesondere wenn
  54. der Saatgutauslass derart gestaltet ist, dass die Strömungsrichtung (F) des Saatguts an dem Saatgutauslass wenigstens 45 Grad im Verhältnis zu einer vertikalen Ebene, wenigstens 60 Grad im Verhältnis zu der vertikalen Ebene oder wenigstens 75 Grad im Verhältnis zu der vertikalen Ebene liegt,
  55. sowie insbesondere wenn
  56. die Pressfläche durch ein Pressrad gebildet wird,
  57. sowie insbesondere wenn
  58. die Saatgut-Abgaberöhre einen im Wesentlichen geraden Abschnitt umfasst, dessen Länge größer ist als ein Radius wenigstens einer der Säscheiben,
  59. sowie insbesondere wenn
  60. die Saatgut-Verteilungseinrichtung mit der Reiheneinheit integriert ist
  61. b) Präzisionssämaschinen, die wenigstens zwei solche Reiheneinheiten umfassen,
  62. in der Bundesrepublik Deutschland herzustellen, anzubieten, in Verkehr zu bringen oder zu gebrauchen oder zu den genannten Zwecken einzuführen oder zu besitzen;
  63. 2. ihr in EDV auswertbarer, elektronischer Form Auskunft zu erteilen, in welchem Umfang sie (die Beklagte) die unter Ziffer I. 1. a) und b) bezeichneten Handlungen seit dem 29. November 2017 begangen hat, und zwar unter Angabe
  64. a) der Namen und Anschriften der Hersteller, Lieferanten und anderer Vorbesitzer,
  65. b) der Namen und Anschriften der gewerblichen Abnehmer sowie der Verkaufsstellen, für die Erzeugnisse bestimmt waren,
  66. c) der Menge der angebotenen, ausgelieferten, erhaltenen oder bestellten Erzeugnisse sowie der Preise, die für die betreffenden Erzeugnisse bezahlt wurden;
  67. 3. ihr Rechnung zu legen, in welchem Umfang sie (die Beklagte) die zu Ziffer I. 1. a) und b) bezeichneten Handlungen seit dem 29. Dezember 2017 begangen hat, und zwar unter Vorlage eines mittels EDV auswertbaren, elektronischen Verzeichnisses, insbesondere unter Angabe
  68. a) der Herstellungsmengen und -zeiten,
  69. b) der einzelnen Lieferungen, aufgeschlüsselt nach Liefermengen, -zeiten, und -preisen unter Einschluss von Produktbezeichnungen sowie der Namen und Anschriften der Abnehmer,
  70. c) der einzelnen Angebote, aufgeschlüsselt nach Angebotsmengen, -zeiten, und -preisen unter Einschluss von Produktbezeichnungen sowie der Namen und Anschriften der Angebotsempfänger,
  71. d) der betriebenen Werbung, aufgeschlüsselt nach Werbeträgern, deren Auflagenhöhe, Verbreitungszeitraum und Verbreitungsgebiet, und
  72. e) der nach den einzelnen Kostenfaktoren aufgeschlüsselten Gestehungskosten und des erzielten Gewinns,
  73. wobei
  74. – der Beklagten vorbehalten bleibt, die Namen und Anschriften der nichtgewerblichen Abnehmer und der Angebotsempfänger statt der Klägerin einem von der Klägerin zu bezeichnenden, ihr gegenüber zur Verschwiegenheit verpflichteten, in der Bundesrepublik Deutschland ansässigen, vereidigten Wirtschaftsprüfer mitzuteilen, sofern die Beklagte dessen Kosten trägt und ihn ermächtigt und verpflichtet, der Klägerin auf konkrete Anfrage mitzuteilen, ob ein bestimmter Abnehmer oder Angebotsempfänger in der Aufstellung enthalten ist,
  75. – zum Nachweis der Angaben zu lit. b) die entsprechenden Einkaufs- und Verkaufsbelege (nämlich Rechnungen, hilfsweise Lieferscheine) in elektronischer Form vorzulegen sind, wobei geheimhaltungsbedürftige Details außerhalb der auskunftspflichtigen Daten geschwärzt werden dürfen;
  76. 4. die in der Bundesrepublik Deutschland im unmittelbaren oder mittelbaren Besitz oder Eigentum der Beklagten befindlichen, unter Ziffer I. 1. a) und b) bezeichneten Erzeugnisse auf ihre – der Beklagten – Kosten zu vernichten oder an einen von der Klägerin zu benennenden Gerichtsvollzieher zum Zwecke der Vernichtung auf ihre Kosten herauszugeben;
  77. 5. die unter Ziffer I. 1. a) und b) bezeichneten, seit dem 29. Dezember 2017 in Verkehr gebrachten Erzeugnisse zurückzurufen, indem die Beklagte die gewerblichen Abnehmer unter Hinweis auf den gerichtlich festgestellten, patentverletzenden Zustand der Sache und unter Angabe des Urteils schriftlich auffordert, die Erzeugnisse zurückzusenden, verbunden mit der verbindlichen Zusage, etwaige Entgelte zu erstatten sowie notwendige Verpackungs- und Transportkosten sowie mit der Rückgabe verbundene Zoll- und Lagerkosten zu übernehmen, und indem die Beklagte die Erzeugnisse wieder an sich nimmt;
  78. II. festzustellen, dass die Beklagte verpflichtet ist, der Klägerin allen Schaden zu ersetzen, der ihr entstanden ist und noch entstehen wird aufgrund der seit dem 29. Dezember 2017 begangenen Handlungen gemäß Ziffer I. 1. a) und b);
  79. hilfsweise der Klägerin nachzulassen, die Zwangsvollstreckung gegen Sicherheitsleistung abzuwenden.
  80. Die Beklagte beantragt,
  81. die Klage abzuweisen;
  82. hilfsweise, den Rechtsstreit bis zur rechtskräftigen Entscheidung über die bei den Beschwerdekammern des Europäischen Patentamts unter dem Aktenzeichen T 1449/20-3.XXX anhängige Beschwerde gegen die Aufrechterhaltung des Klagepatents EP 2 549 XXX B1 auszusetzen,
  83. weiter hilfsweise ihr im Unterliegensfall zu gestatten, die Vollstreckung gegen Sicherheitsleistung ohne Rücksicht auf eine Sicherheitsleistung der Klägerin abzuwenden.
  84. Die Beklagte ist der Auffassung, eine Verurteilung zur Vernichtung oder zum Rückruf sei nicht verhältnismäßig. Die Erfindung betreffe im Wesentlichen die Anordnung des Saatgutauslasses, also eines Einzelbauteils innerhalb einer äußerst komplexen Gesamtvorrichtung. Die Beklagte behauptet, sie stelle seit Oktober 2020 eine von der angegriffenen Ausführungsform abweichende Maschinenversion her, bei der der Saatgutauslass über den Umfang der Säscheiben hinausrage, so dass die Maschine nicht mehr patentverletzend sei. Bis September 2020 seien ausschließlich mit Kundenaufträgen belegte Modelle der angegriffenen Ausführungsform hergestellt worden. Sämtliche Maschinen seien zeitnah ausgeliefert und verkauft worden. Restbestände der angegriffenen Ausführungsform seien bei ihr – der Beklagten – nicht mehr vorhanden.
    Es sei zudem problemlos möglich, die neue Saatgutleitung mit einem Umbaukit in die bis dahin veräußerten Modelle der angegriffenen Ausführungsform einzubauen, so dass sie der neuen Maschinenversion entsprechen. Es werde nicht nur die Saatgutleitung ausgetauscht, sondern auch weitere umliegende Bauteile seien vom Umbau betroffen. Die Umrüstung bei den Kunden sei mit einem durchschnittlichen Kostenaufwand von 1.637,46 EUR verbunden, was die Klägerin mit Nichtwissen bestreitet, wohingegen das Modell einer angegriffenen Ausführungsform durchschnittlich fast das 30-fache koste. Die Position des Saatgutauslasses falle bei der Kaufentscheidung der Kunden, denen es im Ergebnis nur auf eine zuverlässige Ablage des Saatguts ankomme, nicht ins Gewicht. Aufgrund weiterer Detailverbesserungen an der Saatgutleitung bestehe für die Kunden sogar ein Anreiz für die Umrüstung. Ein Rückbau in eine patentverletzende Maschinenversion sei den Kunden nicht ohne weiteres möglich, da die entsprechenden Ersatzteile, bei denen es sich nicht nur um die Saatgutleitung, sondern das gesamte Umbaukit handele, nicht mehr lieferbar seien. Hinzu komme, dass der Umbau für die Kunden kostenlos sei, eine spätere Umrüstung infolge von Verschleiß hingegen wegen des erforderlichen Umbaukits höhere Kosten verursache. Da von der angegriffenen Ausführungsform nur 144 Stück ausgeliefert worden seien, gebe es auch kein Ersatzteilgeschäft unabhängiger Anbieter.
    Zudem werde sich das Klagepatent jedenfalls im Einspruchsbeschwerdeverfahren nicht als rechtsbeständig erweisen. Die Lehre des Klagepatents werde durch die EP 1 461 XXX A1 oder die DE 10 2005 022 XXX neuheitsschädlich vorweggenommen, zumindest sei sie davon ausgehend in Kombination mit der US 5,603,XXX beziehungsweise US 4,307,XXX nahegelegt.
  85. Entscheidungsgründe
  86. Die zulässige Klage ist überwiegend begründet.
  87. A
    Die Klägerin hat gegen die Beklagte im tenorierten Umfang Ansprüche auf Unterlassung, Auskunft und Rechnungslegung, Rückruf der Erzeugnisse sowie Schadensersatz dem Grunde nach aus Art. 64 EPÜ i.V.m. §§ 139 Abs. 1 und 2, 140a Abs. 3, 140b Abs. 1 und 3 PatG, §§ 242, 259 BGB. Der Anspruch auf Rückruf besteht nur in einem eingeschränkten Umfang. Ein Anspruch auf Vernichtung besteht nicht.
  88. I.
    Die Erfindung nach dem Klagepatent betrifft eine Reiheneinheit und eine Präzisionssämaschine oder Pflanzvorrichtung zum Säen von Saatgut, wobei ein Luftüberdruck zum Zuführen von Saatgut von der Saatgut-Verteilungseinrichtung zu einem Saatgutauslass verwendet wird, um eine vorbestimmte Anzahl von Pflanzen je Längeneinheit zu erzielen.
    Solche Reiheneinheiten beziehungsweise Präzisionssämaschinen waren im Stand der Technik bereits bekannt. Dazu wird in der Klagepatentschrift ausgeführt, dass beim Säen von Feldfrüchten wie etwa Mais, Sonnenblumen und Sojabohnen es wünschenswert sei, in jeder Reihe einzelne Saatkörner in einem vorbestimmten Abstand voneinander abzulegen. Dies erfordere eine Vorrichtung zum Herauslösen einzelner Saatkörner aus einem viele Saatkörner enthaltenden Silo. Ein Beispiel für eine solche Saatgut-Verteilungseinrichtung sei in der EP 0 216 XXX B1 offenbart. Die verteilten Saatkörner würden mit Hilfe eines Überdrucks in dem Silo durch eine Röhre einer Säschar zugeführt, welche eine Furche im Erdboden erzeuge, in die das Saatgut fallengelassen werde.
    Allerdings – so die Klagepatentschrift – genüge in vielen praktischen Anwendungen eine Säschar nicht, um optimale Bedingungen für das Saatgut bereitzustellen. Daher verwende beispielsweise eine im Stand der Technik bekannte Sämaschine mit der Bezeichnung C GmbH, die eine Saatgut-Verteilungseinrichtung gemäß der obengenannten EP-0 216 XXX Bl aufweist, ein Paar Säscheiben, die in einem nach vorne gerichteten spitzen Winkel arbeiteten, um eine Furche zu erzeugen, wobei die Säschar teilweise zwischen den Säscheiben angeordnet sei. Der Säschar nachgeordnet seien ein Pressrad, dessen Funktion das Aufbringen von Druck auf das Saatgut sei, um einen zufriedenstellenden Kontakt zwischen dem Saatgut und dem Erdboden sicherzustellen, und ein Paar von Rädern, welche in einem nach hinten gerichteten spitzen Winkel im Verhältnis zueinander arbeiteten, um das Saatgut mit Erde zu bedecken.
    In der Klagepatentschrift wird weiter ausgeführt, dass sich in Sämaschinen, in denen die Saatkörner mit Hilfe eines Luftüberdrucks zugeführt würden, die Saatkörner für gewöhnlich mit einer relativ hohen Geschwindigkeit bewegten im Vergleich zu Sämaschinen, in denen die Saatkörner unter Verwendung einer Vakuumtechnik herausgelöst und dann mittels Schwerkraft durch eine Saatgutabgaberöhre fallen gelassen würden. Geschwindigkeiten von bis zu 15 m/s seien keine Seltenheit. Die Säschar stelle dabei sicher, dass das Saatgut an der vorgesehenen Stelle in der Furche lande und nicht verspringe, bevor das nachfolgende Pressrad es nach unten pressen könne. Zum Beispiel offenbare die EP 1 461 XXX A1 eine Sämaschine gemäß dem Oberbegriff von Anspruch 1, die mit einer Säschar versehen sei.
    An der Säschar sieht das Klagepatent es jedoch als nachteilig an, dass es sich um ein Verschleißteil handele, das während der Lebensdauer der Sämaschine mehrmals ausgetauscht werden müsse. Ferner bestehe bei Verwendung einer Säschar die Gefahr, dass sich Pflanzenreste festsetzten, was schließlich Funktionsstörungen hervorrufe. Es bestehe auch die Gefahr, dass die Säschar durch Hindernisse im Erdboden, wie etwa Steine, beschädigt werde und dadurch Betriebsstörungen bewirke. Daher bestehe ein Bedarf an einer Sämaschine, welche diese Probleme unter Beibehaltung ihrer Präzision löse.
    Vor diesem Hintergrund besteht die Aufgabe des Klagepatents (das technische Problem) darin, eine Sämaschine bereitzustellen, welche die Nachteile der Sämaschinen aus dem Stand der Technik behebt oder verringert, insbesondere eine Sämaschine bereitzustellen, welche das mit dem Säscharverschleiß verbundene Problem und das Problem der Anhaftung von Pflanzenresten an der Säschar behebt oder verringert.
    Als Lösung schlägt das Klagepatent eine Reiheneinheit und eine Präzisionssämaschine mit Merkmalen der Ansprüche 1 beziehungsweise 12 vor, die wie nachstehend gegliedert werden können:
    1. Reiheneinheit zum Präzisionssäen von Saatgut, um eine vorbestimmte Anzahl von Pflanzen je Längeneinheit zu erzielen, die Folgendes umfasst:
    2. eine Saatgut-Abgaberöhre (13), die dafür eingerichtet ist, das Saatgut mit Hilfe eines Luftüberdrucks von einer Saatgut-Verteilungseinrichtung (11) einem Saatgutauslass (14) zuzuführen,
    3. einen Saatfurchenzieher (15), der zwei Säscheiben (15a, 15b) umfasst, die in einem Winkel im Verhältnis zueinander angeordnet sind, und
    4. eine nachgiebige Pressfläche (16, 16’, 16″) zum Pressen des Saatguts in den Boden,
    5. wobei die Pressfläche (16, 16’, 16″) derart gestaltet ist, dass eine Strömungsrichtung (F) des Saatguts an dem Saatgutauslass (14) wenigstens einen Abschnitt der Pressfläche (16, 16’, 16″) schneidet oder im Wesentlichen tangential zu demselben ist,
    6. wobei der Saatgutauslass (14) zwischen den Säscheiben (15a, 15b) und, in der Querrichtung gesehen, innerhalb des Umfangs wenigstens einer der Säscheiben (15a, 15b) angeordnet ist.
  89. und
    12. Präzisionssämaschine, die wenigstens zwei Reiheneinheiten nach einem der vorhergehenden Ansprüche umfasst
  90. II.
    Die Verletzung des Klagepatents durch die Beklagte ist unstreitig. Denn sie stellt nicht in Abrede, dass die angegriffene Ausführungsform sämtliche Merkmale der Klagepatentansprüche verwirklicht. Zudem wird die angegriffene Ausführungsform von ihr auch hergestellt, angeboten und in den Verkehr gebracht, § 9 S. 2 Nr. 1 PatG. Dies geschieht, ohne dass die Beklagte dazu berechtigt ist. Daraus ergeben sich die nachstehenden Rechtsfolgen.
  91. 1.
    Die Beklagte ist der Klägerin gemäß Art. 64 Abs. 1 EPÜ, § 139 Abs. 1 PatG zur Unterlassung verpflichtet.
  92. 2.
    Die Klägerin hat gegen die Beklagte dem Grunde nach Anspruch auf Zahlung von Schadensersatz aus Art. 64 Abs. 1 EPÜ, § 139 Abs. 1 und 2 PatG.
    Das für die Zulässigkeit des Feststellungsantrags gemäß § 256 Abs. 1 ZPO erforderliche Feststellungsinteresse ergibt sich daraus, dass die Klägerin derzeit nicht in der Lage ist, den konkreten Schaden zu beziffern und ohne eine rechtskräftige Feststellung der Schadensersatzpflicht die Verjährung von Schadensersatzansprüchen droht.
    Zudem sind die Voraussetzungen eines Schadensersatzanspruchs aus § 139 Abs. 2 PatG erfüllt. Die Beklagte beging die Patentverletzung rechtswidrig und schuldhaft. Als Fachunternehmen hätte sie die Patentverletzung bei Anwendung der im Geschäftsverkehr erforderlichen Sorgfalt zumindest erkennen können, § 276 BGB. Es ist auch nicht unwahrscheinlich, dass der Klägerin als Inhaberin des Klagepatents durch die Patentverletzung ein Schaden entstanden ist.
  93. 3.
    Der Klägerin steht gegen die Beklagte auch ein Anspruch auf Auskunft und Rechnungslegung aus Art. 64 Abs. 1 EPÜ, § 140b Abs. 1 PatG, §§ 242, 259 BGB zu.
    Der Anspruch auf Auskunft über die Herkunft und den Vertriebsweg der angegriffenen Ausführungsform ergibt sich aufgrund der unberechtigten Benutzung des Erfindungsgegenstands unmittelbar aus § 140b Abs. 1 PatG, der Umfang der Auskunftspflicht aus § 140b Abs. 3 PatG. Die weitergehende Auskunftspflicht und die Verpflichtung zur Rechnungslegung folgen aus §§ 242, 259 BGB, damit die Klägerin in die Lage versetzt wird, den ihr zustehenden Schadensersatzanspruch zu beziffern. Die Klägerin ist auf die tenorierten Angaben angewiesen, über die sie ohne eigenes Verschulden nicht verfügt, und die Beklagte wird durch die von ihr verlangten Auskünfte nicht unzumutbar belastet.
  94. 4.
    Die Klägerin hat gegen die Beklagte jedoch keinen Anspruch auf Vernichtung der angegriffenen Ausführungsform aus § 140a Abs. 1 PatG.
    Der Anspruch setzt voraus, dass der Schuldner im Schluss der mündlichen Verhandlung Eigentum oder Besitz an den patentverletzenden Erzeugnissen hat. Daran fehlt es hier.
    Im Allgemeinen genügt die Behauptung, dass der Verletzer zu irgendeinem Zeitpunkt nach Erteilung des Patents im Besitz oder Eigentum schutzrechtsverletzender Gegenstände war. Es ist sodann Sache des Verletzers, in erheblicher Art und Weise darzutun und gegebenenfalls zu beweisen, dass trotz des vorher bestehenden Besitzes und/oder Eigentums nunmehr weder Besitz noch Eigentum bei ihm vorhanden sind. Ein pauschales Bestreiten des Besitzes und/oder Eigentums oder das schlichte Behaupten, jetzt keinen Besitz und/oder Eigentum mehr zu haben, reicht in diesem Zusammenhang nicht. Vielmehr obliegt es dem Verletzer, substantiiert konkrete Tatsachen vorzutragen, aus denen sich ergibt, dass und durch welches Geschehen der Besitz und/oder das Eigentum vollständig aufgegeben wurde (LG Düsseldorf, InstGE 13, 1 – Escitalopram-Besitz).
    Diesen Vortrag hat die Beklagte geleistet. Sie hat dargelegt, dass sie die angegriffene Ausführungsform abgewandelt habe und die angegriffene Ausführungsform in ihrer ursprünglichen Form nicht mehr herstelle. Das letzte Modell der angegriffenen Ausführungsform sei am 11. September 2020 ausgeliefert und am gleichen Tage an den Kunden fakturiert worden. Restbestände seien nicht mehr vorhanden. Dies hat die Beklagte dezidiert erläutert, indem sie dargestellt hat, wie ihre Produktionsplanung gestaltet ist und wie sich die angegriffene Ausführungsform im Einzelnen darstellte. Dem ist die Klägerin nicht weiter entgegengetreten. Soweit die grundsätzlich darlegungs- und beweisbelastete Klägerin mit Nichtwissen bestreitet, dass die Beklagte über eine Umgehungslösung für die alte und die neue Maschinenversion verfüge, ist dies unerheblich. Es lässt sich nicht feststellen, dass die Beklagte am Schluss der mündlichen Verhandlung noch Eigentum oder Besitz an der angegriffenen Ausführungsform hatte. Dass die Beklagte weiterhin eine Sämaschine unter der Bezeichnung „X“ anbietet, lässt keinen anderen Schluss zu, da das Angebot weder die Anordnung des Saatgutauslasses erkennen lässt, noch Eigentum oder Besitz an einer Sämaschine begründet. Gleiches gilt für das Angebot einer Saatgutleitung in einem Ersatzteilkatalog, die in der früheren Maschinenversion verbaut war.
    Die abgewandelte Ausführungsform ist unstreitig nicht patentverletzend, weil sie das Merkmal 6 nicht verwirklicht. Dementsprechend ist sie auch zu Recht nicht streitgegenständlich.
  95. 5.
    Die Klägerin hat gegen die Beklagte einen Anspruch auf Rückruf der angegriffenen Ausführungsform aus den Vertriebswegen gemäß Art. 64 Abs. 1 EPÜ i.V.m. § 140a Abs. 3 PatG. Dieser Anspruch besteht jedoch nur im tenorierten Umfang. Ein darüber hinaus gehender Rückruf, wie von der Klägerin beantragt, ist gemäß § 140a Abs. 4 PatG unverhältnismäßig.
  96. a)
    Ein Rückruf ist unverhältnismäßig, wenn sein Zweck ebenso effektiv auf andere Weise als durch „vollständigen“ Rückruf des Erzeugnisses gegen Erstattung des Kaufpreises erreicht werden kann (OLG Düsseldorf, Urt. v. 19.07.2018, 15 U 43/15 – Schweineheizung – GRUR-RS 2018, 22632). Verfügt der Verletzer bereits über eine patentfreie Ausweichtechnik, die er seinem Abnehmer im Austausch gegen den Verletzungsgegenstand anbieten kann, so ist daher eine Rücknahme des Verletzungsgegenstandes gegen Erstattung des Kaufpreises unverhältnismäßig, weil mit der Rücknahme gegen patentfreie Ersatzlieferung ein milderes Mittel zur Verfügung steht, mit dem die Störung ebenso sicher und endgültig beseitigt werden kann (OLG Düsseldorf, Urt. v. 19.07.2018, 15 U 43/15 – Schweineheizung – GRUR-RS 2018, 22632). Auf eine Prüfung der Verhältnismäßigkeit im engeren Sinne kommt es dann nicht mehr an (OLG Düsseldorf, Urt. v. 05.11.2020, I-2 U 63/19)
    Dies setzt allerdings voraus, dass die Störung ebenso sicher und endgültig beseitigt werden kann wie mit einem „vollständigen“ Rückruf des Erzeugnisses gegen Erstattung des Kaufpreises (OLG Düsseldorf, Urt. v. 19.07.2018 – 15 U 43/15, GRUR-RS 2018, 22632; Urt. v. 18.07.X, I-15 U 46/18, Rn. 110 – zitiert nach juris). Daran fehlt es, wenn die konkrete, nicht bloß theoretische Möglichkeit besteht, dass durch nachträgliche Manipulation wieder der schutzrechtsverletzende Zustand hergestellt und das Objekt alsdann in den Verkehr gebracht oder weiter verwendet wird (OLG Düsseldorf, Urt. v. 19.07.2018, I-15 U 43/15, GRUR-RS 2018, 22632; Urt. v. 18.07.X, I-15 U 46/18, Rn. 110 – zitiert nach juris; Urt. v. 05.11.2020, I-2 U 63/19; zum Vernichtungsanspruch: OLG Düsseldorf, InstGE 7, 139 – Thermocycler; Urt. v. 03.05.2018, I-2 U 47/17; Urt. v. 30.07.2020, I-2 U 31/19).
  97. b)
    Nach dem Vortrag der Beklagten besteht eine Ausweichtechnik, die bereits verwendet wird. Soweit dies von der Klägerin bestritten wird, ist das Bestreiten unerheblich. Denn durch die Abbildungen der Ausweichtechnik sowie der Darstellung des Ersatzteilkatalogs, in dem die alternative Saatgutdosierleitung einschließlich Umbaukit bereits dargestellt ist, hat die Beklagte hinreichend deutlich gemacht, dass die Entwicklung einer Ausweichtechnik jedenfalls soweit gediehen ist, dass sie als Alternative zum uneingeschränkten Rückruf ohne weiteres in Betracht kommt. Es ist nicht erforderlich, dass die Beklagte Angebot und Vertrieb der angegriffenen Ausführungsform oder der ursprünglichen Saatgutleitungen einstellt, bevor sie überhaupt durch ein Urteil zum Rückruf verpflichtet ist. Abgesehen davon hat sie vorgetragen, dass die angegriffene Ausführungsform nicht mehr hergestellt wird und die ursprüngliche Saatgutleitung als Ersatzteil – trotz der Listung im Ersatzteilkatalog – im Warenwirtschaftssystem gesperrt sei.
    Unstreitig ist die von der Beklagten dargestellte Ausweichtechnik patentfrei. Eine konkrete Gefahr, dass die Reiheneinheiten bzw. die Sämaschinen, die mittels der patentfreien Ausweichtechnik umgerüstet wurden, wieder in ihren ursprünglichen, patentverletzenden Zustand versetzt werden, besteht nicht. Da den Kunden der Beklagten auch nach der Umrüstung voll funktionsfähige Reiheneinheiten bzw. Sämaschinen zur Verfügung stehen, besteht für die Kunden kein Anlass, die nunmehr verlängerte Saatgutdosierleitung derart zu manipulieren, insbesondere zu verkürzen mit der Folge, dass das Merkmal 6 verwirklicht wird. Nach dem Verständnis der Kammer sind die Länge der Saatgutdosierleitung, der Takt, mit dem das Saatgut in die Furche gegeben wird, und der Abstand zwischen dem Auslass der Saatgutdosierleitung und der Pressfläche, die dann das Saatgut in den Boden presst, aufeinander abgestimmt, so dass jede Manipulation die Gefahr einer unzulänglichen Saatgutablage birgt.
    Soweit die Klägerin einwendet, dass die ursprüngliche, eine Patentverletzung begründende Saatgutdosierleitung noch immer im Internet als Ersatzteil angeboten wird, hat die Beklagte substantiiert erläutert, wie ihr Warenwirtschaftssystem funktioniert und die Belieferung von Kunden mit Ersatzteilen abläuft. Da nach dem Vortrag der Beklagten die ursprüngliche, kürzere Saatgutdosierleitung im Warenwirtschaftssystem gesperrt ist, ist ein Rückbau der umgerüsteten Reiheneinheiten zu patentverletzenden Einheiten grundsätzlich ausgeschlossen. Dass die Saatgutdosierleitung noch im Internet im Katalog aufgeführt ist, hat seine Ursache – so die Beklagte – darin, dass die Teilekataloge den bereits in den Verkehr gebrachten patentverletzenden Maschinen zugeordnet sind und so die Bestellung von Ersatzteilen überhaupt ermöglicht. Dies ändert – so die Beklagte – aber nichts daran, dass bei einer etwaigen Bestellung nur die neue Saatgutdosierleitung geliefert wird, worauf die Händler entsprechend hingewiesen werden. Dem ist die Klägerin nicht erheblich entgegengetreten. Ein Bestreiten mit Nichtwissen genügt hier nicht, weil es ihr jedenfalls zumutbar gewesen wäre, einen Testkauf vorzunehmen. Hinzu kommt, dass nach dem substantiierten Vortrag der Beklagten nicht allein die Saatgutdosierleitung ausgetauscht wird, sondern ein ganzes Umbaukit installiert wird. Schon dies verhindert einen Rückbau, weil die Kunden die Kosten und den Aufwand scheuen werden, das gesamte Umbaukit zu demontieren, um eine alte Version einer Saatgutdosierleitung zu installieren. Daher ist auch die Möglichkeit, dass Händler noch eine patentverletzende Saatgutdosierleitung auf Lager haben und ausliefern könnten, als eine theoretische anzusehen. Dass es Unternehmen gibt, die Saatgutdosierleitungen – und eben die ursprünglichen, zur Patentverletzung führenden Leitungen – unabhängig von der Beklagten herstellen und anbieten könnten, hat die Klägerin in der mündlichen Verhandlung nur vermutet und ist mit Blick auf die geringe Stückzahl der von der Beklagten ausgelieferten Maschinen unwahrscheinlich.
  98. c)
    Auf der Rechtsfolgenseite ist der Beklagten zu gestatten, ihren Kunden ersatzweise statt der Rücknahme den Umbau der Erzeugnisse anzubieten. Dass dieser Umbau im Hinblick auf die Transportkosten und die Gefahr einer Beschädigung im Falle eines Transports bei den Kunden vor Ort erfolgt, begegnet keinen Bedenken, zumal zu erwarten ist, dass der Umbau der Maschinen, der ebenso wenig wie die Rückgabe der Maschinen für die Kunden verpflichtend ist, eher angenommen wird. Die Tenorierung orientiert sich an dem Vorschlag der Beklagten in ihrem Schriftsatz vom 8. Juni 2021 (dort S. 6 ff.), wobei die Begrifflichkeit an die der Klagepatentansprüche angepasst wurde.
    Im Übrigen bedurfte der Rückrufantrag beziehungsweise die entsprechende Tenorierung keiner ausdrücklichen Einschränkung auf inländische Verletzungshandlungen. Diese Einschränkung ergibt sich bereits aus dem Territorialitätsgrundsatz, dem die bundesdeutschen Verletzungsgerichte unterliegen. Dies schließt den Rückruf von in das Ausland veräußerten Vorrichtungen jedoch nicht aus, weil auch der Export – also die Lieferung vom Inland ins Ausland – ein Inverkehrbringen im Inland im Sinne von § 9 S. 2 Nr. 1 PatG darstellt (Benkard/Scharen, PatG 11. Aufl.: § 9 Rn 1 m.w.Nw.).
  99. B
    Für eine Aussetzung der Verhandlung gemäß § 148 ZPO im Hinblick auf die das Klagepatent betreffende Nichtigkeitsklage besteht kein Anlass.
    Eine Aussetzung kommt regelmäßig nicht in Betracht, wenn das Klagepatent erstinstanzlich aufrechterhalten worden ist. Diese – unter Beteiligung technischer Fachleute zustande gekommene – Entscheidung hat das Verletzungsgericht aufgrund der gesetzlichen Kompetenzverteilung grundsätzlich hinzunehmen. Im Rahmen der Aussetzungsentscheidung ist es nicht Sache des Verletzungsgerichts, das einspruchsbeschwerde- oder Nichtigkeitsberufungsverfahren in allen Einzelheiten vorweg zu nehmen. Immer dann, wenn die Argumentation im Rechtsbestandsverfahren möglich und mit nahvollziehbaren Gründen vertretbar erscheint, hat es vielmehr bei der getroffenen Einspruchs- oder Nichtigkeitsentscheidung zu verbleiben, so dass, wenn nicht im Einzelfall ganz besondere Umstände vorliegen, für eine Aussetzung des Verletzungsrechtsstreits keine Veranlassung besteht. Sie ist erst dann geboten, wenn die Rechtsbestandsentscheidung auf für das Verletzungsgericht nachweisbar unrichtigen Annahmen oder einer nicht mehr vertretbaren Argumentation beruht oder wenn mit dem Rechtsmittel gegen die Rechtsbestandsentscheidung, ohne dass insoweit ein Nachlässigkeitsvorwurf angebracht ist, weiterer Stand der Technik präsentiert wird, der, weil er der Erfindung näher kommt als der bisher gewürdigte Stand der Technik, mit der gebotenen Wahrscheinlichkeit eine Vernichtung des Klagepatents erwarten lässt (OLG Düsseldorf, Urt. v. 7.7.2011 – I-2 U 66/10). Das ist hier nicht der Fall.
  100. I.
    Die von der Beklagten als neuheitsschädlich angeführte EP 1 461 XXX A1 (D1 = Anlage BC 2) wurde sowohl im Erteilungsverfahren als auch im Einspruchsverfahren gewürdigt. Die Einspruchsabteilung beim EPA hat in der Begründung ihrer Einspruchsentscheidung (Anlage HE-C 12) die Entgegenhaltung D1 als nächstkommenden Stand der Technik und lediglich das Merkmal 6 als nicht offenbart angesehen. Die Beklagte zeigt nicht auf, dass diese Bewertung durch die Einspruchsabteilung auf unrichtigen Annahmen oder einer nicht mehr vertretbaren Argumentation beruht. Sie stellt lediglich ihre eigene Ansicht, wonach es sich bei dem Saatgutauslass um den Abschlusspunkt handele, bei dem das Saatkorn nicht mehr der Kontur der Saatgutleitung folge, und dieser Abschusspunkt zwischen den Säscheiben und – in Querrichtung gesehen – innerhalb des Umfangs einer der Säscheiben liege, der anderen Auffassung der Einspruchsabteilung entgegen. Hinzu kommt, dass sich der Klagepatentschrift nichts dafür entnehmen lässt, dass für den Saatgutauslass auf einen vermeintlichen, in der Klagepatentschrift überhaupt nicht genannten Abschusspunkt abzustellen ist, zumal diese sich nicht dazu äußert, wie sich das Saatgut in der Saatgut-Abgaberöhre bewegt, insbesondere an welcher Stelle sie mit der Wandung der Röhre in Kontakt kommt. Ist daher für den Saatgutauslass auf den Ort abzustellen, an dem die Wandung der Saatgut-Abgaberöhre endet und das Saatgut von keiner Wandung mehr umgeben ist, offenbart die Entgegenhaltung D1 auch nicht das Merkmal 6.
    Soweit die Beklagte darauf verweist, dass in dem Recherchebericht bezüglich der Patentanmeldung EP 3 777 XXX A1 (Anlage BC 8), deren Anspruch 1 mit dem Klagepatentanspruch 1 nahezu identische Merkmale zum Gegenstand hat, die Entgegenhaltung D1 als neuheitsschädlich angesehen wurde, lässt auch das die Entscheidung der Einspruchsabteilung nicht unvertretbar erscheinen. Zum einen enthält die Anmeldung in dem Anspruch 1 ein vom Merkmal 6 des Klagepatentanspruchs leicht abgewandeltes Merkmal, da der Saatgutauslass auch unmittelbar benachbart zum Umfang der Säscheibe angeordnet sein kann. Zum anderen fehlt dem Recherchebericht jede Begründung für die Bewertung der Entgegenhaltung, so dass sie schon jede Überprüfung der Tragfähigkeit dieser Bewertung nicht zulässt.
  101. II.
    Die Ausführungen zur Entgegenhaltung D 1 gelten in gleicher Weise für die DE 10 2005 022 XXX A1 (E1 = Anlage BC3). Auch hier hat die Einspruchsabteilung unter Verweis auf die Figur 1 zutreffend ausgeführt, dass das Merkmal 6 nicht offenbart sei. Die Beklagte hält dem wiederum lediglich ihre Auffassung von der Verortung des Saatgutauslasses auf der Höhe des vermeintlichen Abschusspunktes entgegen.
  102. III.
    Die Einspruchsabteilung hat sich auch mit den Ausführungen der Beklagten zur erfinderischen Tätigkeit im Hinblick auf eine Kombination der Entgegenhaltungen D1 oder E1 mit der US 5,603,XXX (E2 = Anlage BC 4, in deutscher Übersetzung BC 5) beziehungsweise der US 4,307,XXX (E3 = Anlage BC 6, in deutscher Übersetzung BC 7) auseinandergesetzt. Sie hat in jedenfalls vertretbarer Weise begründet, warum sie der Ansicht ist, dass die Entgegenhaltung E2 das Merkmal 6 ebenfalls nicht offenbart, und sich dabei im Einzelnen mit der Argumentation der Beklagten auseinandergesetzt. Die weitere Begründung der Beklagten stellt die Argumentation der Einspruchsabteilung nicht grundlegend in Frage. Weil danach aber das Merkmal 6 nicht offenbart ist, kann jedenfalls hinsichtlich der Kombination der Entgegenhaltung D1 oder E1 mit der Entgegenhaltung E2 die erfinderische Tätigkeit nicht verneint werden. Im Hinblick auf die Entgegenhaltung E3 ist die Einspruchsabteilung der zutreffenden Ansicht, dass diese das Merkmal 5 nicht offenbart. Auch wenn sie in der Folge nicht im Einzelnen begründet, warum die Lehre des Klagepatents nicht durch eine Kombination der Entgegenhaltung D1 oder E1 mit der Entgegenhaltung E3 offenbart ist, hat sie doch angedeutet (Ziffer. 12.5.3 der Anlage HE-C 12), dass es keinen Anlass gibt, warum der Fachmann ausgehend von der D1 oder der E1 die E3 heranziehen sollte, und zur E3 ausgeführt, dass sie jedenfalls nicht das Merkmal 5 offenbart. Letzteres ergibt sich auch nicht unter Berücksichtigung der Definition von Merkmal 5 in der Klagepatentschrift aus der Figur 4 der E3, da es sich um eine schematische Zeichnung ohne Anspruch auf eine maß- und winkelgenaue Wiedergabe handelt (BGH GRUR 2012, 1242 – Steckverbindung). Die Einspruchsabteilung hat unter Verweis auf die Entgegenhaltung ausdrücklich festgehalten, dass das Saatgut durch die Abgabe in die weiche Erde und nicht gegen eine nachgiebige Pressfläche am Verspringen gehindert wird. Aufgrund dieser von der D1 und E1 abweichenden Anordnung des Saatgutauslasses scheint die Annahme nicht völlig unzutreffend, dass der Fachmann die E3 nicht mit der D1 oder E1 kombiniert hätte.
  103. C
    Die Kostenentscheidung folgt aus § 92 Abs. 1 und 2 ZPO
    Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit ergibt sich aus § 709 S. 1 und 2 ZPO. Dem von der Beklagten hilfsweise geltend gemachten Vollstreckungsschutzantrag war nicht stattzugeben, da sie die Voraussetzungen des § 712 Abs. 1 ZPO weder dargelegt, noch gemäß § 714 Abs. 2 ZPO glaubhaft gemacht hat.
  104. Streitwert: 250.000,00 EUR

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