4b O 40/20 – Kokzidiosemittel

Düsseldorfer Entscheidungen Nr. 3124

Landgericht Düsseldorf

Urteil vom 15. Juli 2021, Az. 4b O 40/20

  1. I. Die Beklagten werden verurteilt,
  2. 1. es bei Meidung eines vom Gericht für jeden Fall der Zuwiderhandlung festzusetzenden Ordnungsgeldes jeweils bis zu EUR 250.000, ersatzweise Ordnungshaft, oder einer Ordnungshaft bis zu 6 Monaten, im Falle mehrfacher Zuwiderhandlung bis zu insgesamt 2 Jahren, wobei die Ordnungshaft hinsichtlich der Beklagten an ihren Geschäftsführern zu vollziehen ist, zu unterlassen,
  3. Zusammensetzungen, umfassend Toltrazuril und einen Eisenkomplex, der eine wässrige kolloidale Lösung aus beta-Eisenoxidhydroxid und Dextranglucoheptonsäure ist, zur Verwendung bei der Behandlung von Kokzidiose bei Schweinen,
  4. in der Bundesrepublik Deutschland anzubieten, in Verkehr zu bringen oder für die genannten Zwecke einzuführen und/oder zu besitzen,
  5. wobei die Zusammensetzung durch eine einzige intramuskuläre Injektion in den Hals oder hinter das Ohr verabreicht wird, und die Zusammensetzung 20 mg Toltrazuril pro kg Körpergewicht enthält und die Formulierung eine Suspension ist,
  6. 2. der Klägerin unter Vorlage eines einheitlichen, geordneten Verzeichnisses in elektronischer Form vollständig darüber Auskunft zu erteilen, in welchem Umfang die Beklagten die zu Ziffer I. 1. bezeichneten Handlungen seit dem 18.03.2020 begangen haben, und zwar unter Angabe
  7. a) der Namen und Anschriften der Hersteller, Lieferanten und anderer Vorbesitzer,
  8. b) der Namen und Anschriften der gewerblichen Abnehmer sowie der Verkaufsstellen, für die die Erzeugnisse bestimmt waren,
  9. c) der Mengen der ausgelieferten, erhaltenen oder bestellten Erzeugnisse sowie der Preise, die für die betreffenden Erzeugnisse bezahlt wurden,
  10. wobei die Beklagten Rechnungen, und für den Fall, dass keine Rechnungen vorhanden sind, Lieferscheine in Kopie, vorzulegen haben, wobei geheimhaltungsbedürftige Details außerhalb der auskunftspflichtigen Daten geschwärzt werden dürfen;
  11. 3. der Klägerin unter Vorlage eines einheitlichen, geordneten Verzeichnisses in elektronischer Form vollständig darüber Rechnung zu legen, in welchem Umfang die Beklagten die zu Ziffer I. 1. bezeichneten Handlungen seit dem 26.11.2015 begangen haben, und zwar unter Angabe
  12. a) der einzelnen Lieferungen, aufgeschlüsselt nach Typenbezeichnungen, Liefermengen, -zeiten und -preisen sowie der Namen und Anschriften der Abnehmer,
  13. b) der einzelnen Angebote, aufgeschlüsselt nach Typenbezeichnungen, Angebotsmengen, -zeiten und -preisen sowie der Namen und Anschriften der gewerblichen Angebotsempfänger,
  14. c) der betriebenen Werbung, aufgeschlüsselt nach Werbeträgern, deren Herstellungs- und Verbreitungsauflage, Verbreitungszeitraum und Verbreitungsgebiet,
  15. d) der nach den einzelnen Kostenfaktoren aufgeschlüsselten Gestehungskosten und des erzielten Gewinns,
  16. wobei die Angaben zu lit. d) nur für die Zeit seit dem 18.04.2020 zu machen sind,
  17. wobei den Beklagten vorbehalten bleibt, die Namen und Anschriften ihrer nicht-gewerblichen Abnehmer und der Angebotsempfänger statt der Klägerin einem von dieser zu bezeichnenden, dieser gegenüber zur Verschwiegenheit verpflichteten, vereidigten, in der Bundesrepublik Deutschland ansässigen Wirtschaftsprüfer mitzuteilen, sofern die Beklagten die durch dessen Einschaltung entstehenden Kosten übernehmen und ihn ermächtigen, der Klägerin auf Anfrage mitzuteilen, ob ein bestimmter-nichtgewerblicher Abnehmer oder Angebotsempfänger in der Rechnungslegung enthalten ist;
  18. 4. die vorstehend zu Ziffer I. 1. bezeichneten, seit dem 18.03.2020 im Besitz Dritter befindlichen Erzeugnisse aus den Vertriebswegen zurückzurufen, indem diejenigen gewerblichen Abnehmer, denen durch die Beklagte oder mit deren Zustimmung Besitz an den Erzeugnissen eingeräumt wurde, unter Hinweis darauf, dass das Gericht mit dem hiesigen Urteil auf eine Verletzung des Klagepatents EP 2 928 XXX B1 erkannt hat, ernsthaft aufgefordert werden, die Erzeugnisse an die Beklagten zurückzugeben und ihnen für den Fall der Rückgabe der Erzeugnisse eine Rückzahlung des gegebenenfalls bereits gezahlten Kaufpreises sowie die Übernahme der Kosten der Rückgabe verbindlich zugesagt wird, und die erfolgreich zurückgerufenen Erzeugnisse wieder an sich zu nehmen;
  19. 5. die im unmittelbaren oder mittelbaren Besitz und/oder Eigentum der Beklagten befindlichen unter Ziffer I. 1. bezeichneten Erzeugnisse zu vernichten oder nach Wahl der Klägerin an einen von der Klägerin zu benennenden Gerichtsvollzieher zum Zwecke der Vernichtung auf Kosten der Beklagten herauszugeben;
  20. 6. nur die Beklagte zu 1): an die Klägerin 6.416,20 EUR nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 13.06.2020 zu zahlen.
  21. II. Es wird festgestellt,
  22. 1. dass die Beklagte zu 1) verpflichtet ist, an die Klägerin für die unter Ziffer I. 1. bezeichneten, in der Zeit vom 26.11.2015 bis zum 18.04.2020 begangenen Handlungen eine angemessene Entschädigung zu zahlen;
  23. 2. dass die Beklagten verpflichtet sind, der Klägerin allen Schaden zu ersetzen, der ihr durch die unter Ziffer I. 1. bezeichneten, seit dem 18.04.2020 begangenen Handlungen entstanden ist und noch entstehen wird.
  24. III. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
  25. IV. Die Kosten des Rechtsstreits tragen die Beklagten.
  26. V. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 1.000.000,00 EUR, wobei Teilsicherheiten für die Zwangsvollstreckung wie folgt festgesetzt werden:
    für Ziffer I. 1., 4. und 5. des Tenors 725.000,00 EUR,
    für Ziffer I. 2. und 3. des Tenors 200.000,00 EUR und
    für Ziffer I. 6 und III. des Tenors 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages.
  27. Tatbestand
  28. Die Klägerin macht als im Patentregister eingetragene Inhaberin gegen die Beklagten auf eine Verletzung des deutschen Teils des europäischen Patents 2 928 XXX B1 (im Folgenden: Klagepatent) gestützte Anträge auf Unterlassen, Auskunftserteilung und Rechnungslegung, Rückruf und Vernichtung sowie Aufwendungsersatz und die Feststellung einer Entschädigungs- und Schadensersatzpflicht dem Grunde nach geltend.
  29. Das in englischer Verfahrenssprache abgefasste Klagepatent mit dem in die deutsche Sprache übersetzten Titel „X“ wurde am 06.12.2013 unter Inanspruchnahme einer Priorität vom 07.12.2012 (EP 12306X) angemeldet. Die Offenlegung der Anmeldung datiert vom 14.10.2015, die Veröffentlichung der Patenterteilung vom 18.03.2020. Das Klagepatent beruht auf der WO 2014/086XX (Anlage B4; deutsche Übersetzung: Anlage B4a).
  30. Das Klagepatent steht in Kraft. Die Beklagte zu 1) erhob am Tag der Veröffentlichung der Patenterteilung, am 18.03.2020, gegen die Erteilung des Klagepatents Einspruch beim Europäischen Patentamt (im Folgenden: EPA), über den bisher noch nicht entschieden worden ist.
  31. Die Ansprüche 1 bis 5, die hier zusammen mit einer Textstelle aus der Beschreibung des Klagepatents in einer Kombination geltend gemachten werden, haben in der deutschen Übersetzung (orientiert an der als Anlage rop1 vorgelegten Klagepatentschrift) den folgenden Wortlaut:
  32. „1. Zusammensetzung, umfassend Toltrazuril und einen Eisenkomplex, der eine wässrige kolloidale Lösung aus beta-Eisenoxidhydroxid und Dextranglucoheptonsäure ist, zur Verwendung bei der Behandlung von Kokzidiose bei Schweinen, wobei die Zusammensetzung durch intramuskuläre Injektion verabreicht wird.
  33. 2. Zusammensetzung zur Verwendung nach Anspruch 1, wobei die Zusammensetzung dem Schwein durch eine einzige Injektion verabreicht wird.
  34. 3. Zusammensetzung zur Verwendung nach Anspruch 1 oder 2, wobei die Zusammensetzung bei einem Schwein durch intramuskuläre Injektion in den Hals oder hinter das Ohr verabreicht wird.
  35. 4. Zusammensetzung zur Verwendung nach Anspruch 1, die zwischen 1 und 60 mg Toltrazuril pro kg Körpergewicht enthält.
  36. 5. Zusammensetzung zur Verwendung nach einem der Ansprüche 1 bis 4, wobei die Formulierung eine Suspension ist.“
  37. Wegen des Wortlauts der als „Insbesondere-Anträge“ geltend gemachten Ansprüche 6 und 7 wird auf die Klagepatentschrift (Anlage rop 1) verwiesen.
  38. Die Beklagte zu 1) ist die alleinige Gesellschafterin der Beklagten zu 2). Die Beklagte zu 2) wird von der Beklagte zu 1) beherrscht. Ausweislich des Beherrschungsvertrags zwischen den Beklagten (in teilgeschwärzter Fassung vorgelegt als Anlage B34) untersteht die Beklagte zu 2) der Leitung durch die Beklagte zu 1), die gegenüber der Beklagten zu 2) weisungsbefugt ist.
  39. Die Beklagte zu 1) betreibt eine Internetseite mit der Adresse A.com. Hier bietet sie unter anderem auch für das Gebiet der Bundesrepublik Deutschland unter der Bezeichnung „A®“ bzw. „A“ ein Tierarzneimittel an, das Schweinen intramuskulär zu verabreichen ist (im Folgenden: angegriffene Ausführungsform). Wegen der Einzelheiten wird auf die Anlage rop 4 Bezug genommen.
  40. Auch die Beklagte zu 2) bietet die angegriffene Ausführungsform in der Bundesrepublik Deutschland mittels Informationsmaterial an. Zudem stellt sie ein Bestellformular für die angegriffene Ausführungsform bereit. Wegen der Einzelheiten wird auf die Anlage rop 4a Bezug genommen.
  41. Die angegriffene Ausführungsform wurde durch die Europäische Kommission am 20.05.2019 zugelassen (Zulassungsnr.: EU/2/19/239/XXX) und ist seit dem 04.06.2019 auf dem deutschen Markt erhältlich.
  42. Die Beklagte zu 1) befasste sich bereits im Jahre 2011 mit einer Zusammensetzung, die Toltrazuril und Eisen-Dextran-Glucoheptonat“ enthielt.
  43. Am 31.07./ 15.08.2012 traf die Beklagte zu 1) mit dem niederländischen Unternehmen „C“ ein sog. „Secrecy Agreement“ (teilgeschwärzte Fassung liegt als Anlage B13 vor; deutsche Übersetzung: Anlage B13a). Dabei handelt es sich um das Unternehmen, mit dem es im Juli 2018 auch zum Abschluss eines „Contract Manufacturing Agreement“ („Lohnherstellungsvertrag“) über die Herstellung der angegriffenen Ausführungsform kam.
  44. Am 26./ 30.10.2012 schloss die Beklagte zu 1) mit der Firma „D“ eine als „Material Transfer Agreement“ („Materialübertragungsvereinbarung“) bezeichnete schriftliche Vereinbarung (Anlage B11; deutsche Übersetzung: Anlage B11a; im Wesentlichen ungeschwärzte Fassung: Anlage B11b).
  45. Die „D“ führte am 07./08.11.2012 im Auftrag der Beklagten sowie im Beisein der von der Beklagten ausgesuchten Lohnherstellerin „E“ Versuche über die Methode der Sterilmahlung durch, wobei die Klägerin mit Nichtwissen bestreitet, dass die darin enthaltene Aussage zu einem erfolgreichen „Mahlversuch 4“ einen Zusammenhang zu der angegriffenen Ausführungsform aufweist. Auf den als Anlage B12 vorgelegten (in Teilen geschwärzten) Testbericht wird Bezug genommen (weniger geschwärzte Fassung liegt als Anlage B12a vor).
  46. Die Klägerin führte für die Zulassung der angegriffenen Ausführungsform neben Toxizitätsstudien und Studien zu Nebenwirkungen wie Haut- oder Augenirritationen zwei Studien zur Pharmakokinetik, sechs Studien zur Dosierung, davon drei Feldstudien, und eine große Feldstudie mit fast 1000 Tieren durch.
  47. Nachdem im Oktober 2017 der Beschluss gefasst wurde, die Marktzulassung zu beantragen, wurde ein entsprechender Antrag im November 2017 bei der Europäischen Arzneimittelagentur (im Folgenden: EMA) eingereicht.
  48. Mit anwaltlichem Schreiben vom 15.04.2020 (Anlage B1) mahnte die Klägerin die Beklagte ab.
  49. Die Klägerin ist der Ansicht, die Beklagten könnten einer Verletzung des Klagepatents ein privates Vorbenutzungsrecht auf ihrer Seite nicht entgegenhalten. Es fehle jedenfalls vor dem Prioritätsdatum des Klagepatents an inländischen Benutzungshandlungen bzw. hinreichenden Veranstaltungen zur alsbaldigen Benutzungsaufnahme. An solchen fehle es bereits deshalb, weil bei den Beklagten nicht einmal im März 2016 eine endgültige Entscheidung über die Dosierung für die Klinischen Versuche getroffen worden sei. Es fehle insbesondere an einer Inbenutzungnahme des Erfindungsbesitzes. Im Hinblick auf Formulierungen, die für etwaige Tests angefertigt werden, fehle die „Ernsthaftigkeit eine gewerbliche Nutzungsabsicht in die Tat umzusetzen“.
    Auch habe die Beklagte zu 1) keine Vorkehrungen zur alsbaldigen Nutzung getroffen. Selbst dann, wenn am 30.11.2012 ein Beschluss – wie von den Beklagten behauptet – getroffen worden sei, könne ein solcher keine feste Entscheidung zur gewerblichen Nutzung darstellen. Allenfalls sei damit zum Ausdruck gebracht worden, dass man die begonnene Entwicklung fortsetzen wolle. Eine endgültige Entscheidung zur gewerblichen Nutzung werde typischerweise frühestens dann getroffen, wenn klinische Versuche bereits angefangen worden seien und erfolgversprechende Daten liefern würden. Labortests und erste Machtbarkeitsstudien seien hierfür nicht ausreichend. Dagegen, dass es sich dabei um einen festen Entschluss zur gewerblichen Nutzung handele, spreche auch, dass zwischen diesem und dem deutschen Marktauftritt – insoweit unstreitig – ein Zeitraum von knapp sieben Jahren liege.
    Unabhängig davon, ob die Beklagte zu 1) die Beklagte zu 2) beherrsche, würden jedenfalls beide Beklagten die angegriffene Ausführungsform vertreiben. Dies führe zu einer Vervielfältigung des Vorbenutzungsrechts, auf ein solches könne sich aber immer nur ein Betrieb berufen.
  50. Nach Rücknahme eines Antrags auf Entfernung der Erzeugnisse aus den Vertriebswegen beantragt die Klägerin nunmehr noch,
  51. zu erkennen wie geschehen, wobei die Klägerin jedoch
  52. – mit dem Antrag zu I. 6. Zinsen seit dem 17.04.2020 und
  53. – mit dem Antrag zu II. 1. die Feststellung der Verpflichtung zur Zahlung einer angemessenen Entschädigung seit dem 14.11.2015 begehrt.
  54. Die Beklagten beantragen,
  55. die Klage abzuweisen;
  56. hilfsweise: den Rechtsstreit bis zur rechtskräftigen Entscheidung des Europäischen Patentamts in dem gegen das Klagepatent EP 2 928 XXX B1 gerichteten Einspruchsverfahrens auszusetzen,
  57. weiter hilfsweise: den Rechtsstreit bis zur erstinstanzlichen Entscheidung des Europäischen Patentamts in dem gegen das Klagepatent EP 2 928 XXX B1 gerichteten Einspruchsverfahrens auszusetzen.
  58. Die Beklagten machen gegen eine Verletzung des Klagepatents ein privates Vorbenutzungsrecht geltend. Sie sind der Ansicht, eine Inbenutzungsnahme des Erfindungsbesitzes sei durch die Beklagte zu 1) im vorprioritären Zeitraum zum einen durch die hergestellte Formulierung zur Verwendung für die Wirksamkeitsstudien erfolgt (unter Verweis auf ein Laborjournal vom 28.04.2011, vorgelegt als Anlage B26) und zum anderen durch die Herstellung für die Mahlversuche durch die Firma „D“ vom 01.10.2012 (unter Verweis auf ein Laborjournal vom 01.10.2012, Anlage B10). Die genannten Formulierungen hätten auch jeweils bereits eine Dosierung von 20mg pro kg Körpergewicht aufgewiesen und seien für die intramuskuläre Injektion zur Behandlung der Coccidiose bei Ferkeln eingesetzt bzw. bestimmt gewesen. Maßgeblich sei allein, dass ein Produkt gemäß den Merkmalen der „Erfindung“ des Klagepatents hergestellt werde, nicht erforderlich sei hingegen, dass ein marktfertiges Produkt entstehe.
    Die Beklagten meinen weiter, im Prioritätszeitpunkt des Klagepatents seien die entscheidenden Schritte für die Herstellung der angegriffenen Ausführungsform im industriellen Maßstab sowie deren Vertrieb im Gebiet der Bundesrepublik Deutschland auf ihrer Seite bereits getroffen worden. In diesem Zusammenhang behaupten sie – was die Klägerin mit Nichtwissen bestreitet –, dass das zuständige Entscheidungskomitee der Beklagten zu 1) auf Grundlage einer Präsentation (vorgelegt als Anlage B16; deutsche Übersetzung: Anlage B16a) am 30.11.2012 per Beschluss festgestellt habe, dass der sog. „DP2-Status“ für eine injizierbare Toltrazuril und Gleptoferron enthaltende Formulierungssuspension erreicht sei (vgl. teilgeschwärztes Protokoll vom 18.12.2012., vorgelegt als Anlage B14; deutsche Übersetzung: Anlage B14a). Mit dem Beschluss, der insbesondere auf den erfolgreichen Versuchen zur Sterilmahlung sowie den Wirksamkeitsstudien aus dem Jahre 2011 fuße, sei die Entscheidung, die angegriffene Ausführungsform zur Marktreife zu bringen, getroffen worden.
    Hiergegen stehe insbesondere nicht die Tatsache, dass bis zur Markteinführung der angegriffenen Ausführungsform noch knapp sieben Jahre vergangen seien. Insoweit seien die Besonderheiten des Arzneimittelmarktes zu berücksichtigen. Für die Einführung eines solchen seien – insoweit unstreitig – umfangreiche und aufwendige Studien sowie die Abklärung regulatorischer Fragen mit Zulassungsbehörden erforderlich. Die hier in Rede stehenden zeitlichen Abläufe zwischen den Entscheidungen, die streitgegenständliche Formulierung zur Marktreife zu bringen und die Zulassungsunterlagen einzureichen, sowie bis zur Erteilung der Zulassung seien üblich. Insbesondere würden auch die zur Herbeiführung der Marktreife erforderlichen Aufwendungen (einschließlich der Zulassungsstudien) in Millionenhöhe nicht ohne einen festen Entschluss zur Vermarktung eingeleitet werden.
    Auch die Beklagte zu 2) könne sich auf ein Vorbenutzungsrecht berufen. In diesem Zusammenhang behaupten die Beklagten, die Beklagte zu 2) übernehme als weisungsgebundenes Unternehmen den Vertrieb der angegriffenen Ausführungsform der Beklagten zu 1) an Endkunden.
  59. Entscheidungsgründe
  60. Die zulässige Klage ist weit überwiegend begründet.
  61. A
    Der Klägerin stehen die geltend gemachten Ansprüche bis auf einen geringen Teil des geltend gemachten Entschädigungsanspruchs und der Zinsen zu, Art. 64 Abs. 1 EPÜ i. V. m. §§ 139 Abs. 1 und 2, 140b, 140a Abs. 1 und 3 PatG, §§ 242, 259, 677, 683 Satz 1, 670 BGB, Art. II § 1 Abs. 1 Satz 1 IntPatÜG.
  62. I.
    Das Klagepatent betrifft die Behandlungen von nicht-menschlichen Tieren auf Triazinbasis (Abs. [0001] des Klagepatents, Anlage K1; deutsche Übersetzung: Anlage K1a; Abschnitte ohne Bezeichnung beziehen sich nachfolgend auf solche des Klagepatents).
  63. Triazine sind ausweislich des vom Klagepatent einleitend in Bezug genommenen Technikstands in der Veterinärindustrie zur Behandlung von nicht menschlichen Tieren gegen eine Vielzahl von Krankheiten vorbekannt. Bei diesen handele es sich um Breitspektrum-Antimikrobien, die sowohl grampositive als auch gramnegative Bakterien sowie einige Protozoen, wie beispielsweise Kokzidien, blockieren würden. Insbesondere Triazine wie Toltrazuril und Ponazuril seien zugelassene Mittel zum Schutz vor Kokzidiose, wobei es sich um eine häufige parasitäre Infektionskrankheit, hervorgerufen durch Protozoen (z. B. Eimeria oder Iospora), handele. Des Weiteren sei auch die Wirksamkeit von Triazinen gegen andere Protozoenparasiten wie z. B. Toxoplasma, Kryptosporidien oder Sarkocystis bekannt (Abs. [0002]).
  64. Triazine würden, so das Klagepatent weiter zum Stand der Technik, den nicht-menschlichen Tieren im Wesentlichen auf oralem Wege verabreicht (Abs. [0003]). So offenbare die EP 116175 eine mit Wasser mischbare Lösung eines Triazins zur oralen Verabreichung, die DE 19603XXX schlage ein Triazin-Granulat zur oralen Verabreichung vor und die DE 19824XXX beziehe sich auf halbfeste Zubereitungen, die oral appliziert würden (Abs. [0004]. Die EP 2164XXX beziehe sich auf Triazin-Eisen-Kombinationsprodukte, die oral, als Suspension verabreicht würden (Abs. [0005]).
  65. Das Klagepatent kritisiert die orale Verabreichungsform unter mehreren Aspekten als nachteilig. So verhindere sie eine strenge Kontrolle der Dosierung, die dem jeweiligen nicht-menschlichen Tier verabreicht werde. Auch könne die orale Verabreichung nicht mit anderen Behandlungen kombiniert werden, die per Injektion verabreicht würden (z. B. Antibiotika, entzündungshemmende Mittel, Anthelminthika, Endectozide, Mineralien oder Vitamine). Dies erfordere eine zusätzliche Manipulation der zu behandelnden Tiere (Abs. [0006]).
  66. Aus der US 2010/0179XXX sei zwar eine transdermale Anwendung derart bekannt, dass eine Spot-on-Formulierung auf die Haut aufgetragen und durch perkutane Absorption aufgenommen werde. Aber auch dieser Verabreichungsweg schließe eine strenge Dosierungskontrolle sowie die Kombination mit anderen Behandlungen, die per Injektion verabreicht würden (z. B. Antibiotika, entzündungshemmende Mittel, Anthelminthika, Endectozide, Mineralien wie Eisen oder Vitamine), aus (Abs. [0007]).
  67. Die WO 01/26XXX und die US 6,465,XXX würden sich auf ein Natriumsalz von Triazinverbindungen und auf Zusammensetzungen für orale oder parenterale Verabreichung beziehen. Das Natriumsalz führe nach den genannten Druckschriften dazu, dass eine geringere Dosis verwendet werden könne. Der gesamte experimentelle Abschnitt beschränke sich jedoch auf die intravenöse und orale Verabreichung. Auch seien mehrere Verabreichungen und/ oder eine Dosis mit verzögerter Freisetzung erforderlich, um einen angemessenen Blutspiegel aufrechtzuerhalten. Vorgeschlagen würden insbesondere eine Startdosis und mehrere Erhaltungsdosen, die über mehrere Tage verabreicht werden müssten (Abs. [0008]).
  68. Zusammenfassend beschreibt das Klagepatent die orale Verabreichung – trotz Untersuchungen zu anderen Verabreichungswegen – als im Stand der Technik noch immer als bevorzugt. Es sei insbesondere davon auszugehen, dass sie, insbesondere bei jungen nicht-menschlichen Tieren, das am besten geeignete pharmakokinetische Profil des Wirkstoffs liefere. Es werde insbesondere angenommen, dass die orale Formulierung – trotz der beschriebenen Nachteile – eine angemessene Bioverfügbarkeit und therapeutische Wirksamkeit der Triazinverbindung gewährleiste (Abs. [0009]).
  69. Vor dem Hintergrund dieses Stands der Technik beschreibt das Klagepatent die Feststellung, dass Triazine durch intramuskuläre oder subkutane Injektion verabreicht werden könnten. Überraschenderweise habe man herausgefunden, dass die volle Aktivität mit einer einzigen intramuskulären Injektion von Triazinen erreicht werden könne. Eine solche Verabreichung stelle die erforderlichen effektiven Plasmaspiegel des Wirkstoffs bereit, um das nicht-menschliche Tier vor Infektionskrankheiten zu schützen, die insbesondere durch Protozoen wie Kokzidien verursacht würden, und halte sie aufrecht. Im Falle von Toltrazuril sei festgestellt worden, dass die intramuskuläre Anwendung zwar das pharmakokinetische Profil von Toltrazuril selbst verändere, aber zu einem optimierten pharmakokinetischen Profil des aktiven Metaboliten davon (Toltrazuril-Sulfon) führe (Abs. [0010]).
  70. Dies berücksichtigend kann als Aufgabe der Erfindung angesehen werden, eine effiziente Verabreichung von Triazinen, sogar in sehr frühen Wachstumsstadien der nicht-menschlichen Tiere, zu ermöglichen, und dies darüber hinaus in Kombination mit anderen Wirkstoffen, die durch Injektion verabreicht werden können (Abs. [0010]).
  71. Diese Aufgabe wird gelöst durch den Klagepatentanspruch 1, der hier in einer Kombination mit den Ansprüchen 2 bis 5 sowie der sich aus Abschnitt [0033], 1. Bulletpoint (Z. 46) ergebenden spezifizierten Dosis geltend gemacht wird. Die so maßgebliche Anspruchsfassung kann wie folgt gegliedert werden:
  72. (1) Zusammensetzung umfassend Toltrazuril und einen Eisenkomplex, der eine wässrige kolloidale Lösung aus beta-Eisenoxidhydroxid und Dextranglucoheptonsäure ist,
    (2) zur Verwendung bei der Behandlung von Kokzidiose bei Schweinen,
    (3) wobei die Zusammensetzung durch eine einzige intramuskuläre Injektion in den Hals oder hinter das Ohr verabreicht wird.
    (4) Die Zusammensetzung enthält 20 mg Toltrazuril pro kg Körpergewicht,
    (5) Die Formulierung ist eine Suspension.
  73. II.
    Die angegriffene Ausführungsform verwirklicht unstreitig die technische Lehre der hier geltend gemachten Anspruchsfassung wortsinngemäß.
  74. Es liegen auch unstreitig das Klagepatent verletzende Benutzungshandlungen vor, denn die Beklagten bieten die angegriffene Ausführungsform an und vertreiben diese, § 9 Satz 2 Nr. 1 PatG.
  75. III.
    Das Klagepatent entfaltet Wirkung auch gegenüber den Beklagten. Sie können sich nicht mit Erfolg auf ein privates Vorbenutzungsrecht berufen.
  76. Gem. § 12 Abs. 1 Satz 1 PatG tritt die Wirkung des Patents gegenüber demjenigen nicht ein, der die Erfindung zur Zeit der Anmeldung – oder gem. § 12 Abs. 2 Satz 1 PatG im Prioritätszeitpunkt – bereits im Inland in Benutzung genommen oder die dafür erforderlichen Veranstaltungen getroffen hat. Unter den genannten Bedingungen ist der Vorbenutzer berechtigt, die Erfindung – ungeachtet des bestehenden Patents – für die Bedürfnisse seines eigenen Betriebs weiterhin zu benutzen (OLG Düsseldorf, GRUR 2018, 814, Rn. 89 – Schutzverkleidung für funktechnische Anlagen).
  77. Die Darlegungs- und Beweislast für die Entstehungstatsachen und den Umfang des Vorbenutzungsrechts hat derjenige, der sich darauf beruft (OLG Düsseldorf, ebd., Rn. 90), mithin vorliegend die Beklagten. Zu berücksichtigen ist hierbei, dass an den Nachweis einer Vorbenutzung strenge Anforderungen zu stellen sind (Kühnen, ebd., Kap. E., Rn. 577). Denn der maßgebliche Sachverhalt liegt typischerweise außerhalb der Einsichtssphäre des Patentinhabers, so dass diesem die Möglichkeit zu einem Gegenbeweis weitgehend versagt ist (a.a.O.). Weiter ist dem Erfahrungssatz Rechnung zu tragen, dass nach der Offenlegung brauchbarer Erfindungen häufig andere Personen behaupten, Entsprechendes schon vorher gemacht zu haben (OLG Düsseldorf, Urt. v. 26.10.2006, Az.: 2 U 109/03, Rn. 32, zitiert nach BeckRS 2008, 5802). Gleichermaßen zu beachten ist aber auch, dass die Anforderungen an die Darlegung und den Beweis nicht so hoch gespannt werden dürfen, dass der Nachweis eines privaten Vorbenutzungsrechts praktisch unmöglich gemacht wird (OLG Düsseldorf, Urt. v. 11.01.2007, Az.: 2 U 65/05, Rn. 42, zitiert nach BeckRS 2008, 5814).
  78. Der Erwerb des Vorbenutzungsrechts setzt zunächst – über den Wortlaut von § 12 PatG hinaus – voraus, dass der Handelnde selbstständig Erfindungsbesitz erlangt und diesen redlich erworben hat (BGH, GRUR 1960, 546 (548) – Bierhahn; OLG Düsseldorf, GRUR 2018, 814, Rn. 91 – Schutzverkleidung für funktechnische Anlagen). Das Entstehen eines Erfindungsbesitzes verlangt – wie der Wortlaut von § 12 Abs. 1 Satz 1 PatG vorgibt – weiter eine Betätigung des Erfindungsbesitzes.
  79. Diese Voraussetzungen liegen hier nicht vor. Zwar hatte die Beklagte zu 1) im Prioritätszeitpunkt Erfindungsbesitz, diesen hat sie indes nicht betätigt.
  80. 1.
    Die Beklagte war vor dem Prioritätstag des Klagepatents im Erfindungsbesitz.
  81. Prioritätstag und damit maßgeblicher Zeitpunkt, zu dem die Beklagten im Erfindungsbesitz gewesen sein mussten, ist der 07.12.2012.
  82. Erfindungsbesitz hat, wer auf Grund eigener Erkenntnis oder die eines für ihn handelnden Gehilfen weiß, welche Maßnahmen er treffen muss, um zum erfindungsgemäßen Erfolg zu gelangen. Dieses Wissen ist gegeben, wenn die sich aus Aufgabe und Lösung ergebende technische Lehre objektiv fertig und subjektiv erkannt worden ist, dass und wie eine tatsächliche Ausführung möglich ist (BGH, GRUR 2012, 895, Rn. 18 – Desmopressin).
  83. Diese Voraussetzungen liegen hier vor.
  84. Die Beklagte zu 1) hat, ohne dass die Klägerin dem in prozessual erheblicher Weise entgegengetreten ist – die Klägerin lässt die Frage, ob die Beklagte Erfindungsbesitz hatte, vielmehr dahinstehen – vorgetragen, sie habe bereits vor Juni 2011 an einer Formulierung enthaltend Toltrazuril und Eisen zur intramuskulären Injektion zur kombinierten Behandlung der Kokzidiose und Eisenmangelanämie gerarbeitet. Diesen Vortrag hat sie unter Bezugnahme auf einen im Wesentlichen geschwärzten internen Bericht ihres Mitarbeiters Herrn Dr. F mit dem Titel (deutsche Übersetzung) „X“ (Anlage B8; deutsche Übersetzung: Anlage B8a) substantiiert. Diesem ist am oberen linken Rand jeweils die Bemerkung „X“ zu entnehmen. Weiter geht daraus hervor, dass das Screening in Richtung einer zweiten Formulierung fortgesetzt werden solle (Anlage B8/B8a, S. 2, 1. Bulletpoint). Auf dieser Grundlage testete die Beklagte zu 1) die Wirksamkeit einer solchen Zusammensetzung, die den Eisenkomplex insbesondere in Form einer wässrigen, kolloidalen Lösung aus beta-Eisenoxidhydroxid und Dextranglucoheptonsäure (im Folgenden auch bezeichnet als „Gleptoferron“, vgl. auch Abs. [0040]) enthielt (= Merkmal 1), an Schweinen, die mit Isospora suis (= Auslöser der Kokzidiose) infiziert wurden (= Merkmal 2). In einer Präsentation vom 15.08.2011 (Anlage B9; deutsche Übersetzung: Anlage B9a) mit dem Titel (deutsche Übersetzung) „Wirksamkeit von Toltrazuril und Eisen Injektionsformulierungen gegen im Vergleich zu A 5% orale Suspension (Machbarkeits-)“ sind der Versuchsaufbau und die Ergebnisse der Studie zusammengefasst. Eine Gruppe infizierter Schweine wurde mit einer oral verabreichten „Toltrazuril-Suspension“ (Monopräparat („A®“) und eine andere Gruppe von Schweinen einer Toltrazuril/Eisen-Suspension (= Merkmal 5) behandelt (vgl. Anlage B9/B9a, S. 2, erster Bulletpoint). Hierbei gelangte unter anderem eine Behandlungsdosis von 20 mg pro kg Körpergewicht zum Einsatz (vgl. Anlage B9/B9a, S. 2, vorletzter Bulletpoint; = Merkmal 4). Die „hohe“ Wirksamkeit der getesteten injizierbaren Formulierung wurde festgestellt (vgl. Anlage B9/B9a, S. 9, 2. Bulletpoint).
  85. Die Beklagte zu 1) trägt weiter vor, dass – was indes aus den vorgelegten Materialien nicht hervorgeht, von der Klägerin aber auch nicht in Abrede gestellt wird – die verwendete Toltrazuril/Gleptoferron-Suspension auch geeignet gewesen sei, dem Ferkel durch eine einzige Injektion (Teilmerkmal 3) hinter das Ohr verabreicht zu werden (Teilmerkmal 3).
  86. Das Fehlen klinischer Daten, die die Wirksamkeit der Verwendung des Präparats zur Behandlung von Kokzidiose ergeben, steht der Annahme des Erfindungsbesitzes nicht entgegen. Die Beklagte zu 1) ging – wie aufgezeigt – von der Wirksamkeit zur Behandlung der Kokzidiose aus und die Klägerin bestreitet vorliegend auch nicht, dass die getestete „X“ wirksam ist. Damit aber war die technische Lehre objektiv fertig und subjektiv erkannt. Eines besonderen Nachweises bedurfte es darüber hinaus nicht.
  87. 2.
    Von einer Betätigung des Erfindungsbesitzes im Sinne von § 12 Abs. 1 Satz 1 PatG vermag die Kammer vorliegend jedoch nicht auszugehen.
  88. Die Betätigung des Erfindungsbesitzes kann entweder dadurch geschehen, dass der Verletzer in vorprioritärer Zeit Benutzungshandlungen vorgenommen hat, oder aber – wenn es im Prioritätszeitpunkt zu solchen Benutzungshandlungen noch nicht gekommen ist – (subsidiär, vgl. etwa OLG Düsseldorf, ebd., Rn. 95) jedenfalls Veranstaltungen zur alsbaldigen Aufnahme der Benutzung getroffen hat.
  89. Die Beklagte zu 1) hat ihren Erfindungsbesitz weder durch Benutzungshandlungen noch durch Veranstaltungen zur alsbaldigen Aufnahme der Benutzung betätigt.
  90. a)
    Die Beklagte zu 1) hat den Erfindungsbesitz vorliegend nicht durch die Aufnahme von Benutzungshandlungen betätigt.
  91. Der Begriff der Benutzung in § 12 Abs. 1 Satz 1 PatG orientiert sich an demjenigen der §§ 9, 10 PatG (OLG Düsseldorf, ebd., Rn. 94). Da diese untereinander gleichwertig sind, genügt die Vornahme einer Benutzungsart (a.a.O.). Die Benutzungshandlung muss jedoch „die Ernsthaftigkeit einer gewerblichen Nutzungsabsicht in die Tat umsetzen (OLG Düsseldorf, Urt. v. 26.10.2006, Az.: I-2 U 109/03, Rn. 30 und Rn. 37, zitiert nach BeckRS 2008, 5802), woran es bei der einmaligen Herstellung eines unverkäuflichen Modells oder eines noch zu testenden Prototypen (a.a.O.) oder bei der Anfertigung einer Null-Serie, in Bezug auf die eine Entscheidung über ihre gewerbliche Umsetzung am Prioritätstag noch nicht getroffen ist, fehlt (Kühnen, ebd., Kap. E., Rn. 571).
  92. Nach dieser Maßgabe liegen im Hinblick auf die von der Beklagten in Bezug genommenen Herstellungshandlungen aus dem Jahre 2011 und aus dem Jahre 2012 keine Benutzungshandlungen vor. Es kann nicht davon ausgegangen werden, dass diese bereits von einer gewerblichen Nutzungsabsicht getragen waren.
  93. aa)
    Die Herstellung der Toltrazuril/Gleptoferron-Suspension – wie in dem Laborjournal vom 28.04.2011 (Anlage B26) beschrieben – erfolgte zu dem Zweck, die Studie durchzuführen, deren Aufbau und Ergebnisse mit Anlage B9/B9a zusammengefasst sind und die hier bereits angesprochen worden ist. Bei der Studie ging es darum, die Wirksamkeit der Formulierung und den Dosisbereich für eine solche zu testen (Anlage B9/B9a, S. 2, die ersten beiden Bulletpoints). Unter dem Punkt „Ergebnisse/Fazit“ befasst sie sich dann damit, welche Dosisreduktion man für eine injizierbare Kombinationsformulierung „vorschlagen würde“ (im englischen Original: „would be agreed upon“; Anlage B9/B9a, S. 9, letzter Bulletpoint) – was die Kammer als hypothetische Überlegung für den Fall versteht, dass man zu irgendeinem, nicht näher bestimmten in der Zukunft liegenden Zeitpunkt mit dem Produkt auf den Markt gelangt bzw. dessen Zulassung beantragt.
  94. Auch die Beklagten tragen nicht vor, dass zu diesem Zeitpunkt bereits eine Entscheidung zur gewerblichen Nutzung gefallen war. Nach dem eigenen Vortrag der Beklagten, wonach die Entscheidung über die gewerbliche Nutzung mit Beschluss vom 30.11.2012 getroffen worden sei (dazu sogleich), lag dieser vielmehr noch über ein Jahr in der Zukunft.
  95. bb)
    Ähnlich verhält es sich im Hinblick auf die Herstellung der Toltrazuril/Gleptoferron-Suspension aus dem Jahre 2012, die zur Durchführung von Versuchen über die Methode der Sterilmahlung durch die Firma „D GmbH“ am 07./08.11.2012 angefertigt wurde (vgl. auch Materialübertragsvereinbarung v. 26./ 30.10.2012, Anlage B11/B11a, dort unter „Präambel“, Pkt. (B)). In dem Laborbericht heißt es insbesondere, dass mit dem Konzentrat Betriebsversuche bei der Firma „D GmbH“ durchgeführt werden sollen. Die Ernsthaftigkeit einer gewerblichen Nutzung der hergestellten Suspension – wie im Laborbericht vom 01.10.2012 (Anlage B10 beschrieben) – manifestierte sich darin nicht.
  96. Das gilt auch dann, wenn man berücksichtigt, dass die Durchführung der Sterilmahlung am 07./08.11.2012 bereits in großer zeitlicher Nähe zu dem von den Beklagten als für die Entscheidung über die gewerbliche Nutzung als maßgeblich erachteten Beschluss vom 30.11.2012 liegt. Dies ändert nichts daran, dass auch nach dem Beklagtenvortrag offenbar das Ergebnis der Sterilmahlung für die Entscheidungsfindung über die gewerbliche Nutzung von Belang war und die Herstellung der Suspension vor diesem Hintergrund noch der gewerblichen Nutzungsabsicht vorgelagerten Versuchsphase zuzuordnen ist. Dafür spricht umso mehr der Umstand, dass die Ergebnisse der Versuche zur Sterilmahlung ausweislich der Anlage 1 zu dem hier bereits in Bezug genommenen Materialübertragsvertrag als Grundlage für weitere Untersuchungen („Hochskalierungsexperimente“) bei einem Dritthersteller (wohl „E.“) dienen sollten. Auch die Beklagten beschreiben die Entwicklung eines geeigneten Verfahrens zur Sterilmahlung für die industrielle Großproduktion schließlich als „Herausforderung“, was dafür spricht, dass, solange Unklarheit über die Möglichkeit eines solchen Verfahrens herrschte, eine Entscheidung über die gewerbliche Benutzung gerade noch nicht fallen konnte.
  97. b)
    Der Vortrag der Beklagten trägt bei dessen Würdigung analog § 286 Abs. 1 Satz 1 ZPO nicht die Behauptung der Beklagten, dass Veranstaltungen zur alsbaldigen Aufnahme der Benutzung getroffen worden sind.
  98. Veranstaltungen zur alsbaldigen Aufnahme der Benutzung setzen voraus, dass der Verletzer – erstens – den festen und endgültigen Entschluss gefasst hat, die Erfindung gewerblich zu benutzen, und dass er – zweitens – solche Vorkehrungen (technischer oder kaufmännischer Art) getroffen hat, die die alsbaldige Umsetzung dieses Entschlusses in die Tat vorbereiten (BGH, GRUR 1969, 35 (36) – Europareise; OLG Düsseldorf, ebd., Rn. 95). Handlungen, die eine noch ungewisse zukünftige Benutzung vorbereiten und die erst Klarheit darüber schaffen sollen, ob die gemachte Erfindung im Inland gewerblich benutzt werden kann und/ oder soll, die also dazu dienen, den auf die gewerbliche Benutzung der Erfindung im Inland gerichteten Willen erst zu bilden, sind keine Veranstaltungen im Sinne von § 12 PatG (BGH, GRUR 1969, 35 (36f.) – Europareise). Maßgeblich ist, ob die gesamten Umstände für einen unbefangenen Betrachter erkennen lassen, dass die Benutzungsaufnahme bevorsteht (Kühnen, ebd., Kap. E., Rn. 571). Das mit „alsbald“ umschriebene Zeitmoment lässt Raum für eine Beurteilung, die den Notwendigkeiten der Entwicklung technischer Neuerungen zur Marktreife und deren Einführung auf dem Markt Rechnung trägt (Scharen, in: Benkard, PatG, Kommentar, 11. Auflage, 2015, § 12, Rn. 13 unter Verweis auf BGH, GRUR 1969, 35 (37) – Europareise). Das Gesamtverhalten vor der Anmeldung (bzw. vor dem Prioritätstag) ist für die Beurteilung der Frage heranzuziehen, ob im Anmeldezeitpunkt der ernstliche Wille zur alsbaldigen Benutzung der Erfindung erkennbar war (a.a.O.). Der tatsächliche Geschehensablauf nach dem Prioritätszeitpunkt ist insoweit zwar nicht entscheidend, er kann jedoch wertvolle indizielle Hinweise liefern (Kühnen, a.a.O.).
  99. aa)
    Im Hinblick auf die vorliegende Fallkonstellation sind bei der Beurteilung, ob Vorkehrungen zur alsbaldigen Aufnahme der Benutzung vorliegen, grundsätzlich die Besonderheiten des Arzneimittelmarktes (für Tiere) zu berücksichtigen. Diese sind dadurch gekennzeichnet, dass es nach der chemischen Entwicklung des Produkts vor dessen Markteinführung einer behördlichen Zulassung der EMA bedarf. Vor der Antragstellung für die Zulassung sind zeit- und kostenintensive klinische Studien erforderlich, die den therapeutischen Nutzen, die Sicherheit des Produkts sowie dessen Qualität belegen sollen (Anlage B32, S. 4, 1. Abs. und S. 5, Abs. 1 – 3). Eine Borschüre des Bundesverbands für Tiergesundheit e. V. gibt die Zeitlinie der Forschungs- und Entwicklungsarbeiten für ein neues Tierarzneimittel in einer Broschüre aus Januar 2021 mit dem Titel „Zulassungsverfahren für Tierarzneimittel in Europa“ mit einem Zeitraum zwischen fünf bis zehn Jahre an (Anlage B32, S. 8ff.) und die für die Forschung und Entwicklung erforderlichen Kosten mit „bis zu 150 Millionen“ Euro (Anlage B32, S. 10, 2. Abs.). Die Prüfung dieser umfangreichen Daten in Form einer Nutzen-Risiko-Bewertung ist dann Teil des behördlichen Zulassungsverfahrens (vgl. Anlage B32, Blatt 3, letzter Abs. und S. 5, 3. Abs.). Teilweise werden auch von der Zulassungsbehörde noch im Zulassungsverfahren weitere Daten angefordert, die durch zusätzliche Studien gewonnen werden müssen (Anlage B32, S. 10, letzter Abs.).
  100. In diesem arzneimittelrechtlichen Zusammenhang ist die Antragstellung auf Erteilung einer arzneimittelrechtlichen Zulassung bereits als eine hinreichende Veranstaltung zur alsbaldigen Aufnahme der Benutzung angesehen worden (LG Düsseldorf, Urt. v. 04.09.2008, Az.: 4b O 127/07, Rn. 74 – Desmopressin I).
  101. bb)
    Im Hinblick auf die subjektive Komponente – fester und endgültiger Entschluss zur gewerblichen Nutzung der Erfindung – für Veranstaltungen zur alsbaldigen Aufnahme der Benutzung beziehen sich die Beklagten auf eine – von der Klägerin bestrittene – Beschlussfassung des Entscheidungskomitees der Beklagten zu 1) am 30.11.2012, wie sie im Protokoll vom 18.12.2012 (Anlage B14/B14a) dokumentiert ist. Die vorgelegten Dokumente und der diese betreffende Vortrag lassen jedoch nicht hinreichend erkennen, dass die Beklagte zu 1) mit diesem Beschluss zur gewerblichen Nutzung der danach patentgeschützten Erfindung fest und endgültig entschlossen war.
  102. (1)
    Unter dem Punkt „Zusammenfassung“ heißt es in dem in Bezug genommenen Protokoll:
  103. „DP2 Status wird für die Kombination LLE Toltrazuril + Eisen zur Behandlung von Ferkeln anerkannt.“ (Anlage B14a, S. 1, 2. Bulletpoint).
  104. Unter dem Punkt „Entscheidungsübersicht“, Ziff. 4. und unter dem Punkt „Entscheidungen:“ heißt es zur weiteren Erklärung:
  105. „- Das Entscheidungskomitee würdigt die Teamarbeit bei der Erarbeitung der Formulierung DP2 erreicht.
    – Das Entscheidungskomitee möchte, dass die Länderliste und der globale Entwicklungsansatz für alle Projekte bei der Präsentation des DP2/TPP in den F&E-Prozess implementiert werden (dieser Aspekt wird in Progress 2016 abgedeckt sein).“ (Anlage B14a, S. 2 und S. 4).
  106. Dieser Inhalt des Protokolls und die Erläuterungen der Beklagten des „DP2 Status‘“ lassen bei objektiver Betrachtung nicht die Feststellung zu, dass – so das Prozessvorbringen der Beklagten – die Beklagte zu 1) mit diesem Beschluss entschieden habe, das Produkt zur Marktreife zu bringen, mithin dieses gewerblich zu nutzen.
  107. Die Beklagten haben erstmals in der mündlichen Verhandlung erläutert, was ein DP2-Beschluss bedeutet. Dabei ist zu berücksichtigen, dass der DP2 einer von mehreren Entscheidungspunkten ist, mit denen im Laufe einer Produktentwicklung bis zur Markteinführung von der Geschäftsführung beziehungsweise dem zuständigen Entscheidungsgremium – bei den Beklagten das „decision committee“ – ein bestimmter technischer, betriebswirtschaftlicher und/oder regulatorischer Entwicklungsstatus festgestellt wird, der Grundlage für den nächsten Entscheidungspunkt ist, bis der tatsächliche Produktlaunch erfolgt. Die (teilweise beabsichtigte) zeitliche Abfolge der Entscheidungspunkte von DP 1 bis DP 5 für die angegriffene Ausführungsform ist nachfolgend wiedergegeben. Die Grafikt stammt aus einer Präsentation der Beklagten vom 30. November 2012, die als Anlage B16b vorliegt (dort Blatt 6):
  108. DP2 bedeutet in dem Zusammenhang nach dem – von der Klägerin bestrittenen – Vorbringen der Beklagten, dass es wahrscheinlicher ist als nicht, dass das Produkt auf dem Markt Erfolg haben wird und dass es technisch funktioniert. Die Entscheidung DP2 sei im Grunde der Entwicklungsbeschluss, mit dem die Forschung verlassen werde. Mit DP3a werde die Quality Assurance für die Herstellung festgelegt. Es werde entschieden, wie der Herstellungsprozess erfolgen müsse, um allen qualitativen Anforderungen gerecht zu werden. DP3b sei hingegen der Beschluss für die pivotale Studie, also die finale Studie, mit der die Erfüllung aller regulatorischen Anforderungen belegt werden solle. DP4 sei die Entscheidung, den Zulassungsantrag einzureichen und DP 5 lege die Einzelheiten des Produktlaunches fest.
  109. (2)
    Nach den vorstehenden Ausführungen kann nicht davon ausgegangen werden, dass der DP2-Beschluss als solcher bereits die feste und endgültige Entscheidung darstellt, ein bestimmtes Produkt auf dem Markt einzuführen. Es mag sein, dass die Beklagte zu 1) ab diesem Zeitpunkt durch ihr Entscheidungsgremium festgestellt hat, dass die gewerbliche Nutzung eines Produkts machbar sei. Jedoch ergibt sich sowohl aus dem allgemeinen Procedere einer Produktentwicklung bei der Beklagten als auch im konkreten Streitfall, dass der DP2-Beschluss nicht mit dem endgültigen und festen Entschluss zur gewerblichen Nutzung eines erfindungsgemäßen Produkts – hier: einer Kombination von Toltrazuril und Gleptoferron zur Verwendung nach Maßgabe der geltend gemachten Anspruchskombination – gleichgesetzt werden kann.
  110. Aus der von den Beklagten vorgetragenen Definition des DP2 ergibt sich zwar, dass mit dem DP2-Beschluss die Forschung verlassen werde. Damit liegt aber noch kein fertiges Produkt vor, von dem klar ist, dass es so auf dem Markt eingeführt werden soll. Tatsächlich haben die Beklagten den DP2-Beschluss als Entwicklungsbeschluss bezeichnet, woraus die Klägerin in der mündlichen Verhandlung zu Recht abgeleitet hat, dass sich die Beklagte zu 1) auch nach einem DP2-Beschluss weiterhin in der Entwicklungsphase befindet. Hinzukommt, dass dem DP2-Beschluss die weiteren Beschlüsse DP3a und 3b sowie DP4 und DP5 nachfolgen. Gerade der Umstand, dass mit DP3a der Herstellungsprozess festgelegt wird und DP3b die pivotale Studie einleitet, macht deutlich, dass im Zeitpunkt DP2 noch kein Produkt vorliegt, dessen Herstellung sicher ist und das Gegenstand der klinischen Studien nach DP3b sein könnte, geschweige denn des Zulassungsantrags nach DP4. Es folgen dem DP2-Beschluss also weitere Entscheidungen nach, die zum einen inhaltlich darauf hindeuten, dass DP2 noch nicht die Festlegung auf die gewerbliche Nutzung eines bestimmten Produkts darstellt, und es zum anderen als möglich erscheinen lassen, den Prozess abzubrechen oder zu verändern, so dass es an einer endgültigen und festen Entschließung zur gewerblichen Nutzung der Erfindung fehlt. Gerade aufgrund der weiteren Studien und des Zulassungsverfahrens besteht – jedenfalls abstrakt – die Möglichkeit, dass das avisierte Produkt aus regulatorischen Gründen nicht oder nicht in der beabsichtigten Form auf den Markt gebracht werden kann. Insofern hat auch ein DP2-Beschluss jedenfalls im Ansatz immer den Charakter des Vorläufigen.
  111. Dagegen können die Beklagten nicht mit Erfolg einwenden, dass mit der DP2-Entscheidung die technischen Voraussetzungen geklärt seien und es nur noch um die regulatorischen Frage gehe; wollte man die Entscheidung zur gewerblichen Nutzung an den Beschluss zum Zulassungsantrag (DP4) knüpfen, führte die Veröffentlichung der zugrundeliegenden Studien immer zu einer offenkundigen Vorbenutzung, die einer Patentanmeldung entgegenstehe. Zunächst ist es dem Antragsteller unbenommen, ein Patent auf seine Erfindungen anzumelden, bevor er den Zulassungsantrag stellt. Weiterhin folgt aus der Veröffentlichung der zuvor durchgeführten Studien nicht zwingend die Offenbarung der vermeintlichen Erfindung. Schließlich kann aus der Differenzierung zwischen technischen und regulatorischen Anforderungen nicht zwingend geschlossen werden, dass bereits bei der Erkenntnis über die technische Machbarkeit der Wille zur gewerblichen Nutzung besteht. Denn diese Differenzierung lässt außeracht, dass die Einführung eines bestimmten Produkts auf einem Markt eben auch die Erfüllung bestimmter regulatorischer Voraussetzungen erfordert. Derjenige, der beabsichtigt ein Arzneimittel-Präparat für Tiere auf den Markt zu bringen, ist in Kenntnis darüber, dass Voraussetzung hierfür eine behördliche Zulassung ist, für die er Datenmaterial vorlegen muss. Das bedingt, dass er – auch dann, wenn er die Wirksamkeit, Qualität und Sicherheit des Präparats zuvor, ggf. auch „nur“ unter Laborbedingungen, bereits getestet hat, und von den Möglichkeiten der industriellen Fertigung überzeugt ist – regelmäßig erst dann, wenn er beginnt dieses Datenmaterial in Studien zu erheben, ermessen kann, ob eine gewerbliche Benutzung am Ende stattfinden kann. Auch bei Einleitung der klinischen Studien dürfte häufig noch unklar sein, ob diese zielführend sind. Denn, wie die Beklagten mit Blick auf das hier in Rede stehende Produkt selbst vorgetragen haben, können sich auch noch während der Durchführung der klinischen Studien Probleme ergeben und sind diese risikobehaftet, so dass das Arzneimittel entwickelnde Unternehmen auch dann noch zu dem Schluss kommen kann, dass von einer – für die gewerbliche Benutzung erforderlichen – Antragstellung abgesehen wird, das Unternehmen mithin auf dem Weg hin zur Markteinführung zur Vermeidung (noch) weitergehender Kosten „umkehrt“. Maßgeblich ist deshalb, dass aufgrund konkreter Umstände dargetan ist, dass sich die Fortsetzung der klinischen Studien als Ausdruck eines Willens darstellt, das Produkt jedenfalls am Ende auf den Markt zu bringen.
  112. Der DP2-Beschluss stellt eine solche Entschließung für sich betrachtet jedenfalls nicht ohne weiteres dar. In Abhängigkeit von den Umständen des Einzelfalls mag es zwar mehr oder weniger wahrscheinlich und dementsprechend für den Antragsteller vorhersehbar sein, ob die weitere pivotale Studie und der nachfolgende Zulassungsantrag den erwarteten Erfolg haben werden, was einer DP2-Entscheidung den Charakter des Vorläufigen nehmen kann. Allgemein kann von dem DP2-Beschluss jedoch nicht auf den sicheren und festen Entschluss zur gewerblichen Nutzung der Erfindung geschlossen werden.
  113. (3)
    Abgesehen davon ergibt sich auch unter berücksichtigen der konkreten Umstände, unter denen im Streitfall die DP2-Entscheidung getroffen wurde, nichts anderes. Insbesondere kann nicht davon ausgegangen werden, dass im Zeitpunkt des DP2-Beschlusses alle technischen Voraussetzungen geklärt gewesen seien und es nur noch um regulatorische Fragen gegangen sei. Das gilt auch unter Berücksichtigung des Umstands, dass eine gewisse Anzahl von Studien bereits durchgeführt waren, die einen recht zuverlässigen Eindruck von der Wirksamkeit des erfindungsgemäßen Produkts vermittelten und schließlich auch in das Zulassungsverfahren einflossen. Denn gleichwohl hatte der Entwicklungsstand des erfindungsgemäßen Produkts bei der Beklagten zu 1) auch im Zeitpunkt den DP2 am 30. November 2012 noch keinen festen, abschließenden Charakter.
  114. (a)
    Darauf deutet bereits der avisierte weitere Zeitplan hin, der sich aus einer weiteren Grafik der bereits erwähnten Präsentation zur Vorbereitung des DP2-Beschlusses ergibt (Blatt der Anlage B16b):
  115. Die Ergebnisse der bisherigen Arbeiten in der als Anlage B16b vorgelegten Präsentation (dort Blatt 8) werden unter anderem wie folgt (noch vorsichtig und vage) zusammengefasst (Hervorhebung diesseits):
  116. „Based on a detailed and intensive project risk assessment the team concluded that the technical probability of success increased“,
  117. und dass nach dieser Zusammenfassung auch im Zeitpunkt der DP2-Beschlussfassung sowohl die Untersuchungen für die gebrauchsfertige Formulierung und auch diejenigen über das Herstellungsverfahren noch liefen (vgl. obige Grafik; siehe auch 4. Bulletpoint auf Bl. 8 der Anlage B16b). Beides wird in dem Bulletpoint zuvor als „major technical challenge“ beschrieben. Es kann aber nicht davon ausgegangen werden, dass, bevor zu diesen wesentlichen Fragestellungen abgeschlossene Untersuchungen vorliegen, bei der Beklagten zu 1) die Vorstellung vorherrschte, dass die gewerbliche Benutzung bereits endgültig feststeht. Das gilt unbeschadet der Tatsache, dass – was die Beklagten hier anführen – natürlich auch bereits zu diesem Zeitpunkt bereits zielstrebig auf die Erstellung eines marktreifen Produkts und den Erhalt der behördlichen Zulassung hingearbeitet wird.
  118. (b)
    Auch die Dosisfindungsstudie sowie die toxikologischen Studien waren ausweislich der zuvor dargestellten Grafik im Zeitpunkt des DP2-Beschlusses noch nicht einmal begonnen. Gerade im Zusammenhang mit der Dosisfindungsstudie nach Anlage B28 (deutsche Übersetzung: Anlage B28a) bestehen konkrete Anhaltspunkte dafür, dass eine Abstandnahme von dem Bestreben, das Produkt zur Marktreife zu bringen, auch im Rahmen der klinischen Studien von der Beklagten zu 1) noch für möglich erachtet wurde. Darin heißt es:
  119. „Obwohl Wareneinsatz, Herstellungsprozess und Haltbarkeit weiterhin Hürden sind, stellt der Feldversuch zur Bestimmung der Dosis das größte Risiko dar und befindet sich zudem auch auf dem kritischen Pfad.“ (Anlage B28a, S. 1, 2. Bulletpoint).
  120. (c)
    Weitere Risiken im Zusammenhang mit dem Zulassungsverfahren bestanden darin, dass die Zulassungsbehörde einer Kombination von Toltrazuril und Eisen eine Absage erteilen könnte. Dazu heißt es in der Präsentation vom 30.11.2012:
  121. „The major risk here is still the justifiation of combination, but scientific argues and early authority visits are identified to mitigate that.“ (Anlage B16b, Bl. 8, 6. Bulletpoint)
  122. (d)
    Dass die Beklagte zu 1) all diese Unwägbarkeiten, die das Zulassungsverfahren und die Markteinführung des Produkts beeinflussen konnten, dahingehend einschätzte, dass sie sich ohne irgendwelche Auswirkungen für das erfindungsgemäße Produkt und seine gewerbliche Benutzung bewerkstelligen ließen, ist nicht vorgetragen und auch sonst nicht ersichtlich. Dem stehen bereits die in der Präsentation vom 30.11.2012 (Anlage B16b) dargestellten Risiken entgegen. Maßgebend ist, dass auch im Zeitpunkt des DP2-Beschlusses noch nicht entschieden war, mit welchem Produkt die Beklagten auf den Markt kommen wollten. Auf die Dosisfindungsstudie ist bereits hingewiesen worden, die das Merkmal 4 betrifft. Zudem fuhr die Beklagte zu 1) im Zeitpunkt des DP2-Beschlusses aber sogar zweigleisig, worauf die Klägerin in der mündlichen Verhandlung erstmals hingewiesen hat: Neben einer „frontrunner“-Formulierung in Form einer „ready-to-use“-Formulierung, also einer gebrauchsfertigen Formulierung für die Einmalgabe, wurde auch eine „back up“-Formulierung in Form eines Zwei-Komponenten-Systems verfolgt, von dem nicht vorgetragen ist, dass es überhaupt der Lehre des Klagepatent entspricht. Dies deutet darauf hin, dass sich die Beklagte zu 1) auch im Zeitpunkt des DP2-Beschlusses noch vorbehalten hatte, unter bestimmten Voraussetzungen auf eine andere, ggf. nicht patentgemäße Formulierung umzuschwenken. Bei objektiver Betrachtung stehen all diese Umstände einer Wertung entgegen, die Beklagte zu 1) habe im Prioritätszeitpunkt bereits den festen und sicheren Entschluss zur alsbaldigen Benutzungsaufnahme gefasst.
  123. (e)
    Dem steht auch nicht entgegen, dass die Beklagten vorgetragen haben, dass bei Anerkennung des „DP2-Status“ 1,8 Mio. EUR investiert worden seien, wohingegen eine noch zu investierende Summe von 6,8 Mio. EUR ausstand. Eine Abstandnahme von der Produktentwicklung erschien daher auch im November 2012 unter wirtschaftlichen Gesichtspunkten nicht ausgeschlossen. Grundsätzlich kann der Umfang der Kosten, die durch einen Schritt ausgelöst werden, eine Rolle für dessen Bewertung als „Veranstaltung zur alsbaldigen Benutzung“ spielen (vgl. etwa LG Düsseldorf, Urt. v. 04.0.9.2008, Az.: 4b O 127/07, Rn. 75 – Desmopressin I; zurückhaltender wohl: Scharen, ebd., § 12, Rn. 13). Es ist jedoch zu beachten, dass sich die Einführung eines Arzneimittels typischerweise als „risikant“ darstellt, weil der Entwickler mit hohen Investionskosten und einem enormen Entwicklungsaufwand in „Vorleistung“ tritt, ohne dass er sicher sein kann, dass seine Bemühungen am Ende die erforderliche arzneimittelrechtliche Zulassung tragen. Das daraus erwachsende Argument des Investitionsschutzes vermag eine grundsätzliche Vorverlagerung der Entscheidung zur gewerblichen Benutzung aber nicht zu rechtfertigen. Dass diese Bewertung zutreffend ist, findet eine Bestätigung auch in folgender Kontrollüberlegung: Für die Entscheidung, von einer Zulassung Abstand zu nehmen, hat die Überlegung, welche Investitionen bereits getätigt worden sind, eine untergeordnete Bedeutung, vielmehr dürfte für eine „Risiko-Nutzen-Abwägung“ eine wesentliche Rolle spielen, in welcher Höhe Investitionen noch anstehen, und wie sehr nach Beginn der klinischen Studien zu erwarten ist, dass sich diese am Ende rentieren. Gerade dann, wenn ein Großteil der Investitionen noch nicht getätigt worden ist, kann es deshalb wirtschaftlich erscheinen, von einer Fortsetzung der klinischen Versuche abzusehen, und ist die Annahme einer festen Willensentschließung zur gewerblichen Nutzung gerade noch nicht gerechtfertigt.
  124. (f)
    Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus der als Anlage B15 vorgelegten Länderliste, auf die im Rahmen des Beschlusses Bezug genommen wird (Beschluss, Anlage B14/B14a, S. 2 und S. 4). Bei dieser handelt es sich um eine Übersicht der Länder, in denen das Präparat zur Registrierung gelangen soll. Eine Konkretisierung der gewerblichen Benutzungsabsicht gegenüber den hier bereits in Bezug genommenen Umständen ergibt sich daraus nicht. Eine solche Liste erscheint für weitere Planungszwecke vielmehr auch bereits dann sinnvoll, wenn ein endgültiger Beschluss zur gewerblichen Benutzung noch nicht getroffen worden ist.
  125. cc)
    Unter Berücksichtigung der vorherigen Ausführungen vermag die Kammer bei der hier gebotenen Gesamtbetrachtung auch in den von den Beklagten in dem Zeitraum von Juli/August 2012 bis zur Beschlussfassung im November 2012 keine hinreichenden Veranstaltungen zur alsbaldigen Benutzung der Erfindung zu erkennen.
  126. Hierbei handelt es sich insbesondere um das sog. „Secrecy Agreement“, das die Beklagte zu 1) im Juli/August 2012 mit dem späteren Hersteller der angegriffenen Ausführungsform, „C“, traf (Anlage B13/B13a) sowie den Materialübertragungsvertrag mit der „G“ aus Oktober 2012 (Anlage B11/B11a/B11b) sowie Versuchen zur Sterilmahlung Anfang November 2012 (Anlage B12/B12a).
  127. Den Beklagten ist zuzugestehen, dass es sich hierbei nicht mehr um Versuche handelte, die dazu dienten, Erfindungsbesitz zu erlangen, und die für die Bewertung, ob Veranstaltungen im Sinne des § 12 Abs. 1 Satz 1 PatG vorliegen, grundsätzlich unerheblich sind (vgl. auch BGH, GRUR 1964, 20 (22f.) – Taxilan). Zu beachten ist gleichwohl, dass – auch nach Abschluss der Versuche zum Erhalt des Erfindungsbesitzes – nicht sämtliche Veranstaltungen, die dem Zweck dienen, eine Erfindung künftig einmal in Benutzung nehmen zu können, Veranstaltungen im Sinne des § 12 PatG sind. Dies trifft vielmehr nur auf solche Veranstaltungen zu, die den Entschluss, die Erfindung gem. §§ 9, 10 PatG zu benutzen, durch Vorbereitung der Benutzung in die Tat umsetzen (a.a.O.; Scharen, ebd., § 12, Rn. 13). In Vorkehrungen, die mithin dazu dienen, den Entschluss zur gewerblichen Benutzung vorzubereiten, können keine ausreichenden Veranstaltungen erblickt werden (BGH, GRUR 1964, 20 (23) – Taxilan).
  128. Nach dieser Maßgabe gilt hier, dass die Beklagten im Hinblick auf eine Entscheidung zur gewerblichen Benutzung auf den Beschluss von Ende November 2012 verweisen. Sie selbst tragen vor, dass diese Entscheidung insbesondere auf den erfolgreichen Versuchen zur Sterilmahlung Anfang November 2012 und den Versuchen zur Wirksamkeit – wie aus der Präsentation aus August 2011 (Anlage B9/B9a) erkennbar – fuße. Die Kammer vermag diese Versuche, deren Ergebnissen die Beklagten für die Entscheidungsfindung zur gewerblichen Benutzung eine erhebliche Bedeutung beigemessen haben, nicht als Ausdruck eines festen Willens zur gewerblichen Benutzung zu deuten. Im Einklang mit einem Verständnis, wonach diese erst zu dem Entschluss hinleiten sollten, steht weiter auch, dass in dem am 18.12.2012 protokollierten Beschluss nochmals darauf hingewiesen wird, dass eine der größten technischen Herausforderungen darin bestand, ein Herstellungsverfahren zu identifizieren (Anlage B14a, Blatt 4 unter dem Pkt. „Schlussfolgerung:“). Die Versuche zum Sterilmahlen dienten gerade dazu, ein solches Verfahren zu entwickeln, so dass ohne das Vorliegen von Ergebnisses aus diesen Versuchen von einer festen Willensbildung zur gewerblichen Benutzung noch nicht ausgegangen werden kann.
  129. IV.
    Aus der Benutzung der Erfindung gemäß § 9 S. 2 Nr. 1 PatG durch die Beklagten ergeben sich nachstehende Rechtsfolgen.
  130. 1.
    Die Beklagten sind der Klägerin gemäß Art. 64 Abs. 1 EPÜ, § 139 Abs. 1 PatG zur Unterlassung verpflichtet, da die Benutzung der Erfindung ohne Berechtigung er-folgt.
  131. Soweit der Antrag zu I. 1. im Zusammenhang mit dem Merkmal „enthält 20 mg Toltrazuril pro kg Körpergewicht“ noch den Passus „zur Verwendung nach Anspruch 1“ aufweisen, handelt es sich um einen offensichtlichen redaktionellen Fehler, der im Tenor korrigiert worden ist.
  132. 2.
    Die Klägerin hat gegen die Beklagten dem Grunde nach Anspruch auf Zahlung von Schadensersatz aus Art. 64 Abs. 1 EPÜ, § 139 Abs. 1 und 2 PatG.
  133. Das für die Zulässigkeit des Feststellungsantrags gemäß § 256 Abs. 1 ZPO erforderliche Feststellungsinteresse ergibt sich daraus, dass die Klägerin derzeit nicht in der Lage ist, den konkreten Schaden zu beziffern und ohne eine rechtskräftige Feststellung der Schadensersatzpflicht die Verjährung von Schadensersatzansprüchen droht.
  134. Zudem sind die Voraussetzungen eines Schadensersatzanspruchs aus § 139 Abs. 2 PatG erfüllt. Die Beklagten begingen die Patentverletzung rechtswidrig und schuldhaft. Als Fachunternehmen hätten sie die Patentverletzung bei Anwendung der im Geschäftsverkehr erforderlichen Sorgfalt zumindest erkennen können, § 276 BGB. Es ist auch nicht unwahrscheinlich, dass der Klägerin als Inhaberin des Klagepatents durch die Patentverletzung ein Schaden entstanden ist.
  135. 3.
    Weiterhin steht der Klägerin gegen die Beklagte zu 1) ein Entschädigungsanspruch aus Art. II § 1 Abs. 1 IntPatÜG zu. Allerdings besteht dieser Anspruch regelmäßig erst einen Monat ab Offenlegung der Anmeldung, die hier am 14.10.2015 erfolgte. Die Vorschrift des Art. II § 1 Abs. 2 Satz 1 IntPatÜG verschiebt den Zeitpunkt der Entschädigungspflicht weiterhin auf den Tag, an dem eine deutsche Übersetzung der Patentansprüche vom DPMA veröffentlicht worden ist oder der Anmelder dem Benutzer eine entsprechende Übersetzung übermittelt hat. Insoweit haben die Beklagten – von der Klägerin unwidersprochen – geltend gemacht, dass eine Erstveröffentlichung erst am 26.11.2015 (vgl. Auszug aus dem Register des DPMA, Anlage B36) erfolgt ist, weshalb eine Entschädigungspflicht (und der entsprechende Rechnungslegungsanspruch) erst ab diesem Zeitpunkt und nicht schon ab dem 14.11.2015 besteht.
  136. 4.
    Der Klägerin steht gegen die Beklagten auch ein Anspruch auf Rechnungslegung und Auskunft aus Art. 64 Abs. 1 EPÜ, § 140b Abs. 1 PatG, §§ 242, 259 BGB zu.
  137. Der Anspruch auf Auskunft über die Herkunft und den Vertriebsweg der angegriffenen Ausführungsform ergibt sich aufgrund der unberechtigten Benutzung des Erfindungsgegenstands unmittelbar aus § 140b Abs. 1 PatG, der Umfang der Auskunftspflicht aus § 140b Abs. 3 PatG. Die weitergehende Auskunftspflicht und die Verpflichtung zur Rechnungslegung folgen aus §§ 242, 259 BGB, damit die Klägerin in die Lage versetzt wird, den ihr zustehenden Schadensersatzanspruch zu beziffern. Die Klägerin ist auf die tenorierten Angaben angewiesen, über die sie ohne eigenes Verschulden nicht verfügt, und die Beklagten werden durch die von ihnen verlangten Auskünfte nicht unzumutbar belastet.
  138. 5.
    Die Klägerin hat weiterhin gegen die Beklagten einen Anspruch auf Rückruf und Vernichtung der angegriffenen Ausführungsform gemäß Art. 64 Abs. 1 EPÜ i.V.m. § 140a Abs. 1 und 3 PatG.
  139. 6.
    Schließlich hat die Klägerin gegen die Beklagte zu 1) einen Anspruch auf Erstattung der durch die Abmahnung entstandenen außergerichtlichen Anwaltskosten in Höhe von 6.426,20 EUR aus §§ 683 S. 1, 677, 670 BGB. Grund und Höhe des Anspruchs sind zwischen den Parteien unstreitig. Zinsen kann die Klägerin jedoch nur gemäß §§ 291, 288 Abs. 1 BGB seit Rechtshängigkeit verlangen, da ein früherer Verzugseintritt nicht dargetan ist.
  140. B
    Für eine Aussetzung der Verhandlung gem. § 148 ZPO besteht kein hinreichender Anlass.
  141. Die Aussetzung des Verletzungsstreits im Rahmen der nach § 148 ZPO zu treffenden Ermessenentscheidung ist im Hinblick auf das parallel geführte, gegen die Erteilung des Klagepatents gerichtete Einspruchsverfahren grundsätzlich, aber auch nur dann geboten, wenn mit hinreichender Wahrscheinlichkeit zu erwarten ist, dass das Klagepatent der erhobenen Nichtigkeitsklage oder dem erhobenen Einspruch nicht standhalten wird (BGH, GRUR 2014, 1237, 1238 – Kurznachrichten; OLG Düsseldorf, Urteil vom 11.06.2015 – Az. 2 U 64/14, S. 29 f.).
  142. Eine Reduzierung dieses Maßstabs ist vorliegend nicht deshalb angezeigt, weil die Klägerin sich auf eine – nicht geprüfte – Anspruchskombination stützt. Der Erteilungsakt behält seine grundsätzliche Aussagekraft, weil der Hauptanspruch durch die hinzugefügten Merkmale zwar näher konkretisiert wird, nicht aber wird das Merkmal der intramuskulären Injektion der in Merkmal 1 beschriebenen Zusammensetzung dadurch ein qualitativ anderes. Vielmehr wird dieses durch die Einbeziehung von Unteransprüche lediglich weiter beschränkt. Die Geltendmachung eines solchen beschränkten Anspruchs im Verletzungsverfahren ist grundsätzlich zulässig (vgl. zum Gebrauchsmusterrecht: BGH GRUR 2003, 867 – Momentanpol), jedenfalls soweit die Klägerin – wie im Streitfall – verbindlich zusagt, den beschränkten Anspruch jedenfalls hilfsweise im Einspruchsverfahren einzuführen (vgl. Kühnen, Hb. d. Patentverletzung 12. Aufl. Kap. E Rn 817). Die Entscheidung, ob und wie weit ein beschränkter Anspruch verfahrensrechtlich noch in das Einspruchsverfahren eingeführt werden kann, steht im Ermessen der Einspruchsabteilung und kann von der Kammer nicht vorweggenommen werden.
  143. I.
    Die Kammer vermag von einem Fehlen der erfinderischen Tätigkeit nicht mit einer Wahrscheinlichkeit auszugehen, die eine Aussetzung rechtfertigt.
  144. Die Beklagten machen gegen eine erfinderische Tätigkeit des Klagepatents geltend, dass die Injektion von Toltrazuril und (separat von diesem) von Gleptoferron zum Prioritätszeitpunkt Teil des allgemeinen Fachwissens gewesen sei. Hierbei stützen sie sich auf die als Anlagen B17 bis B21 (deutsche Übersetzungen: Anlagen B17b bis B19a und Anlage B21a) vorgelegten Dokumente. Sofern sich aus den vorgelegten Dokumenten nur das gemeinsame Vorliegen von Toltrazuril und Gleptoferron in einer Formulierung nicht ergebe, sei dieses unter anderem in der EP 2 164 XXX (Patent der Beklagten mit Priorität vom 01.6.2007, das mangels erfinderischer Tätigkeit durch die Beschwerdekammer widerrufen wurde; im Folgenden: EP‘XXX), offenbart. Die Beklagten legen hier das Prioritätsdokument zu dem EP‘XXX in Form der deutschen Patentanmeldung DE 10 2007 025 XXX A1 (Anlage B24; im Folgenden auch: DE‘XXX), die auch in dem Erteilungsverfahren des Klagepatents vor dem EPA vorgelegt wurde, vor. Gleiches gelte auch mit Blick auf die Veröffentlichung von Mundt/Joachim (Anlage B25; deutsche Übersetzung: Anlage B25a).
  145. 1.
    Die von den Beklagten vorgelegten Dokumente rechtfertigen die Annahme, dass dem Fachmann im Prioritätszeitpunkt bekannt war, dass Toltrazuril zur Behandlung von Kokzidiose bei Schweinen auch als Injektion verabreicht werden konnte.
  146. Das gilt insbesondere mit Blick auf die Dokumente, die sich explizit mit der Erkrankung bei Schweinen (in Abgrenzung zu anderen Tieren) befassen (Anlage B17, Anlage B19 und Anlage B20).
  147. Die Beklagten verweisen insbesondere auf das „Lehrbuch der Schweinekrankheiten“ von Waldmann/Wendt aus dem Jahre 2001 (Anlage B20), wo es auf S. 370, rechte Spalte, 1. Abs. heißt:
  148. „Toltrazuril, (A®) in einer Dosis von 20 mg/kg KM am 3. Lebenstag oral oder mittels Injektion verabreicht, verhindert Oozystenausscheidung und Kummern.“ (Hervorhebung diesseits),
  149. und weiter auf S. 52 unter Punkt 4.1.7 „Intramuskuläre Injektion“:
  150. „In allen Altersgruppen anwendbar ist die Injektion in die Halsmuskulatur, bei der an der kaudalen Begrenzung des dünnbehaarten Bereichs hinter dem Ohrenansatz in medialer leicht kaudaler Richtung eingestochen wird (Abs. 4 – 5).“
  151. Aus demselben Lehrbuch geht zudem hervor, dass auch Eisen mit verschiedenen Polysacchariden (vor allem Eisendextran) intramuskulär injiziert werden kann (S. 189, re. Sp., letzter Abs.), wobei hier zwischen den Parteien in Streit steht, ob der Fachmann daraus auf das nach dem Klagepatentanspruch maßgebliche Gleptoferron in naheliegender Weise gelangt. Gegen den insoweit substantiierten Vortrag der Beklagten hat die Klägerin nichts Erhebliches mehr vorgebracht.
  152. Weiter verweisen die Beklagten auf die Veröffentlichung „X.“ 2008 mit dem Titel (deutsche Übersetzung): „X“, in der es einleitend ebenfalls heißt: „(…) intramuskuläre Injektion von Toltrazuril zur Behandlung einer Kokzidieninfektion“. (Anlage B17b, S. 1, 1. Abs.).
  153. In einer Veröffentlichung von H mit dem Titel (deutsche Übersetzung) „Ferkelenteritis ab 10 Tagen bis zum Absetzen“ aus dem Jahre 1996 (Anlage B19/B19a) heißt es:
  154. „Toltrazuril (A Bayer) 20 mg/kg, das als orale Suspension oder durch Injektion am 3. Tag verabreicht wird, […].“ (Anlage B19a, S. 164, 3. letzter Abs.).
  155. Mit dem Gegenvorbringen der Klägerin, dass es sich bei den Offenbarungsstellen um offensichtliche Irrtümer handele bzw. um ungeprüft übernommene Zitate, vermag die Kammer über den insoweit eindeutigen Offenbarungsgehalt nicht einfach hinwegzugehen. Eines besonderen Nachweises der Wirksamkeit der Verabreichung per Injektion bedarf es für die Annahme einer eindeutigen und unmittelbaren Offenbarung ebenfalls nicht.
  156. 2.
    Auch belegen die von den Beklagten eingeführten weiteren Dokumente, dass es im Prioritätszeitpunkt des Klagepatents zum allgemeinen Fachwissen gehörte, dass Toltrazuril und Gleptoferron gemeinsam verabreicht werden.
  157. Die Offenlegungsschrift DE 10 2007 025 XXX A1 (im Folgenden auch DE‘XXX; vorgelegt als Anlage B24) offenbart in Abschnitt [0023] eine gemeinsame Formulierung des Wirkstoffs Toltrazuril und des Eisen(III)-Dextrans – allerdings zur oralen Verabreichung. Diese Druckschrift war auch bereits Gegenstand des Prüfungsverfahrens für das Klagepatent (vgl. EPA-Bescheid v. 23.03.2017, Anlage B43; deutsche Übersetzung: Anlage B43a, S. 2, unten).
  158. Vergleichbares ergibt sich aus der Veröffentlichung von Mundt/Joachim vom 10. Juli 2012 mit dem Titel „X“ (Anlage B25; deutsche Übersetzung: Anlage B25a), einem Poster, das auf dem 22 Kongress der „International Pig Veterinary Society“ ausgestellt worden.
  159. 3.
    Die Kammer hat indes einer Aussetzung entgegenstehende Zweifel daran, dass der Fachmann im Prioritätszeitpunkt in naheliegender Weise zu einer Kombination des hier beschriebenen Fachwissens veranlasst war.
  160. Dieser Auffassung scheint im Ergebnis auch die Prüfungsabteilung im Erteilungsverfahren gewesen zu sein, die allerdings zunächst mit Bescheid vom 23.03.2017 (Anlage B43; deutsche Übersetzung: Anlage B43a) ein Problem darin sah, dass die WO‘XXX (dort: D4) offenbart, dass Triazine mit einem Eisenkomplex Schweinen in einer einzelnen oralen Zusammensetzung verabreicht werden (Anlage B43a, S. 2, 1. Abs. unter lit. a)). Weiter führt die Prüfungsabteilung aus, dass der Fachmann aufgrund des ihm bekannten Fachwissens auch keine Zweifel daran gehabt habe, dass die Kombination in eine parenteralen Zusammensetzung gebracht werden könne (Anlage B43a, S. 2 unten – S. 3 oben). Davon ausgehend hat die Prüfungsabteilung die erfinderische Tätigkeit zunächst in Frage gestellt (Anlage B43a, S. 2, 6. Abs.).
  161. Mit Eingabe der Klägerin vom 19.07.2017 (Anlage B41; deutsche Übersetzung: Anlage B41a), in welcher die Klägerin eine geänderte Anspruchsfassung einreichte, verwies sie darauf, dass sich aus der Kombination von Toltrazuril mit einem Eisenkomplex eine verbesserte Bioverfügbarkeit von Toltrazuril ergebe (Anlage B43a, S. 2, vorletzter Abs.). Der konkrete weitere Gang des Verfahrens kann hier dann nicht nachvollzogen werden, jedenfalls aber kam es am Ende zur Patenterteilung. Über die darin zum Ausdruck kommende Bewertung des EPA, das sich die geschützte Lehre (nunmehr) als erfinderisch darstellt, vermag sich die Kammer nicht ohne weiteres hinwegzusetzen. Dagegen lässt sich auch nicht mit Erfolg einwenden, mit den als Anlage B17 bis B21 vorgelegten Entgegenhaltungen liege neuer Stand der Technik vor, den die Prüfungsabteilung bislang nicht habe berücksichtigen können. Denn durch die Annahme der Prüfungsabteilung, der Fachmann habe aufgrund seines Fachwissens keine Zweifel daran, die Kombination von Triazinen und einem Eisenkomplex in eine parenterale Zusammensetzung bringen zu können, hat sie den Offenbarungsgehalt der vorgenannten Entgegenhaltungen im Grunde vorweggenommen.
  162. II.
    Die Kammer sieht es derzeit auch nicht als hinreichend wahrscheinlich an, dass die Erteilung des Klagepatents aufgrund einer unzulässigen Erweiterung widerrufen wird.
  163. Die Beklagten meinen, indem die Klägerin den Klagepatentanspruch 1 gegenüber dem Offenlegungsdokument WO 2014/086XX (Anlage B4; deutsche Übersetzung: Anlage B4a; im Folgenden auch: WO‘XX) auf eine Kombination von Toltrazuril und Eisenkomplex unter Verweis auf eine sich daraus ergebende bessere Bioverfügbarkeit von Toltrazuril (sofern die Zusammensetzung intramuskulär verabreicht wird) beschränkt habe, liege eine unzulässige Erweiterung, mithin ein Einspruchsgrund gem. Art. 101 Abs. 1 Satz 1, Art. 100 lit. c) EPÜ, vor.
  164. Gem. Art. 123 Abs. 2 EPÜ dürfen die europäische Patentanmeldung und das europäische Patent nicht in der Weise geändert werden, dass ihr Gegenstand über den Inhalt der Anmeldung in der ursprünglich eingereichten Fassung hinausgeht.
  165. Insoweit ist hier zunächst zu beachten, dass die Zusammensetzung aus Toltrazuril und dem in Merkmal 1 näher beschriebenen Eisenkomplex in der WO‘XX (Anlage B4/B4a) in Form des Unteranspruchs 17 offenbart war. Auch sonst machen die Beklagten nicht geltend, dass einzelne Merkmale der erfindungsgemäßen Lehre in der WO‘XX nicht offenbart gewesen seien. Sie stützen ihren Einwand einer unzulässigen Erweiterung vielmehr darauf, dass die Aufgabenstellung des Klagepatents gegenüber derjenigen in den Ursprungsunterlagen unzulässig verändert worden sei.
  166. Grundsätzlich ist es dem Anmelder oder Patentinhaber gestattet, die Aufgabe neu zu formulieren. Es ist jedoch anerkannt, dass sie sich im Rahmen der ursprünglichen Offenbarung halten muss, also zu keiner unzulässigen Erweiterung der ursprünglichen Anmeldung oder des Schutzbereichs des Patents führen darf (Technische Beschwerdekammer, T 13/84; Moufang, in: Schulte, PatG mit EPÜ, 10. Auflage, 2017, § 4, Rn. 36 und § 34, Rn. 370). Eine Neuformulierung der Aufgabe wird durch Art. 123 Abs. 2 EPÜ nicht ausgeschlossen, wenn die Aufgabe vom Fachmann unter Berücksichtigung des der Erfindung nächstliegenden Stands der Technik aus der Anmeldung in der eingereichten Fassung abgeleitet werden kann (Technische Beschwerdekammer, T 13/84, Rn. 11).
  167. Die Kammer vermag der Auffassung der Beklagten, die Klägerin habe die der Erfindung zugrundeliegende objektive Aufgabe ausgetauscht, nicht ohne weiteres beizutreten. Zu berücksichtigen ist zunächst, dass die Prüfungsabteilung keine Einwände dagegen hatte, dass die Klägerin nach dem Hinweis auf die fehlende erfinderische Tätigkeit auf eine verbesserte Bioverfügbarkeit von Toltrazuril verwies, die sie mit Daten belegte oder jedenfalls zu belegen versuchte. Eine unzulässige Erweiterung des zu erteilenden Anspruchs gegenüber der Patentanmeldung scheint die Prüfungsabteilung darin jedenfalls nicht gesehen zu haben. Dies scheint auch nicht unvertretbar zu sein, wenn berücksichtigt wird, dass das der erfindungsgemäßen Lösung zugrundeliegende Problem nicht aus der (ausdrücklich) in der Klagepatentschrift formulierten Aufgabe, sondern durch Auslegung des Patentanspruchs aus dem zu entwickeln ist, was die Erfindung gegenüber dem Stand der Technik tatsächlich leistet. Aus der Funktion der einzelnen Merkmale im Kontext des Patentanspruchs ist abzuleiten, welches technische Problem diese Merkmale für sich und in ihrer Gesamtheit tatsächlich lösen (BGH GRUR 2010, 607 Tz. 18 – Fettsäurezusammensetzung; 2010, 602 Tz. 27 – Gelenkanordnung). Insofern mag es sein, dass die WO‘XX nicht ausdrücklich mitteilt, welche Aufgabe mit einer Zusammensetzung von Toltrazuril mit Eisendextran gelöst werden soll. Letztlich wird die Aufgabe jedoch im Hinblick auf den nächstliegenden Stand der Technik zu formulieren sein. Die Kammer hält davon ausgehend die Bedenken, dass die Aufgabe nicht in einer verbesserten Bioverfügbarkeit der erfindungsgemäßen Zusammensetzung gegenüber einer oral zu verabreichenden Zusammensetzung bestehen könne, für nicht durchgreifend, zumal auch die Beklagten in ihren Ausführungen zur erfinderischen Tätigkeit eine Auseinandersetzung mit dem jeweils zu lösenden technischen Problem vermissen lassen, da sie von einer als Fachwissen deklarierten Gesamtbetrachtung des Technikstandes ausgehen, ohne den problem-solution-approach im Einzelnen nachzuvollziehen. Soweit die Beklagten einwenden, die von der Klägerin im Erteilungsverfahren vorgelegten Daten seien nicht geeignet, eine verbesserte Bioverfügbarkeit der erfindungsgemäßen Zusammensetzung zu begründen, vermag die Kammer dies nicht nachzuvollziehen. Die sachkundig besetzte Prüfungsabteilung jedenfalls hatte keine Einwände. Wie die Einspruchsabteilung im Einspruchsverfahren die vorgelegten Daten würdigen und den dagegen vorgebrachten Einwand bewerten wird, kann hier nicht vorweggenommen werden.
  168. C
    Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 92 Abs. 2, 269 Abs. 3 Satz 2 ZPO
  169. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit ergibt sich aus § 709 Satz 1 und 2 ZPO.
  170. Streitwert: 1.000.000,00 EUR

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