4a O 98/19 – Aufstechvorrichtung

Düsseldorfer Entscheidungen Nr. 3122

Landgericht Düsseldorf

Urteil vom 08. Juli 2021, Az. 4a O 98/19

  1. Die Beklagte wird verurteilt,
    1. es bei Meidung eines für jeden Fall der Zuwiderhandlung festzusetzenden Ordnungsgeldes von bis zu 250.000,- EUR – ersatzweise Ordnungshaft – oder Ordnungshaft bis zu sechs Monaten zu unterlassen,
    Vorrichtungen zum lokalen Aufstechen einer Haut, insbesondere zum Aufbringen von permanentem Make-up oder eines Tattoos, mit
    – einem Gehäuse,
    – einer in dem Gehäuse geführten Nadel, die zwischen einer ausgefahrenen Stellung und einer eingefahrenen Stellung verlagerbar ist,
    – einer Membran aus einem elastisch dehnbaren Material, wobei mit Hilfe der Membran in dem Gehäuse ein vorderseitiger Raum auf einer Vorderseite der Membran und ein rückseitiger Raum auf einer Rückseite der Membran getrennt sind,
    wobei mit Hilfe eines Kopplungsmechanismus die Nadel und die Membran für eine Rückbewegung der Nadel in Richtung der eingefahrenen Stellung fest miteinander gekoppelt sind, wobei über den Kopplungsmechanismus eine von der Membran erzeugte Rückholkraft, zum Zurückbewegen der Nadel in Richtung der eingefahrenen Stellung auf die Nadel eingeleitet wird,
  2. in der Bundesrepublik Deutschland anzubieten, in den Verkehr zu bringen, einzuführen, zu gebrauchen und/oder zu den vorgenannten Zwecken zu besitzen,
  3. wenn die Membran dehnbare Abschnitte aufweist, die in einer nicht gedehnten Grundform der Membran im Wesentlichen in Längsrichtung der Nadel gebildet sind;
  4. 2. der Klägerin darüber Rechnung zu legen, in welchem Umfang sie die zu 1. bezeichneten Handlungen seit dem 1. März 2007 begangen hat, und zwar unter Angabe,
    a) der Menge der erhaltenen oder bestellten Erzeugnisse, der Namen und Anschriften der Hersteller, Lieferanten und anderer Vorbesitzer sowie der bezahlten Preise,
    b) der einzelnen Lieferungen, aufgeschlüsselt nach Liefermengen, – zeiten und -preisen (und gegebenenfalls Typenbezeichnungen), sowie die Namen und Anschriften der Abnehmer einschließlich der Verkaufsstellen, für welche die Erzeugnisse bestimmt waren,
    c) der einzelnen Angebote, aufgeschlüsselt nach Angebotsmengen, -zeiten und -preisen (und gegebenenfalls Typenbezeichnungen), sowie die Namen und Anschriften der Angebotsempfänger,
    d) der betriebenen Werbung, aufgeschlüsselt nach Werbeträgern, deren Auflagenhöhe, Verbreitungszeitraum und Verbreitungsgebiet,
    e) der nach den einzelnen Kostenfaktoren aufgeschlüsselten Gestehungskosten und des erzielten Gewinns,
    wobei der Beklagten vorbehalten bleibt, die Namen und Anschriften der nichtgewerblichen Abnehmer und der Angebotsempfänger, statt der Klägerin einem von der Klägerin zu bezeichnenden, ihr gegenüber zur Verschwiegenheit verpflichteten, vereidigten in der Bundesrepublik Deutschland ansässigen Wirtschaftsprüfer mitzuteilen, sofern die Beklagte dessen Kosten trägt und ihn ermächtigt und verpflichtet, der Klägerin auf konkrete Anfrage hin mitzuteilen, ob ein bestimmter Abnehmer oder Angebotsempfänger in der Aufstellung enthalten ist,
  5. wobei die Beklagte zum Nachweis der Angaben zu a) und b) die entsprechenden Einkaufs- und Verkaufsbelege (Rechnungen, hilfsweise Lieferscheine) in Kopie vorzulegen hat, wobei geheimhaltungsbedürftige Details außerhalb der auskunftspflichtigen Daten geschwärzt werden dürfen.
  6. II. Es wird festgestellt, dass die Beklagte verpflichtet ist, der Klägerin allen Schaden zu ersetzen, der ihr durch die zu I. 1. bezeichneten, seit dem 01. März 2007 begangenen Handlungen entstanden ist und noch entstehen wird.
    III. Die Kosten des Rechtsstreits trägt die Beklagte.
    IV. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 575.000,00 Euro.
  7. Tatbestand
  8. Die Klägerin nimmt die Beklagte wegen unmittelbarer Patentverletzung auf Unterlassung, Rechnungslegung sowie auf Schadensersatzfeststellung in Anspruch.
  9. Die Klägerin ist Rechtsnachfolgerin der A GmbH, die als Inhaberin des deutschen Teils des Europäischen Patents EP 1 618 XXX B1 (nachfolgend Klagepatent, vorgelegt als Anlage K1) im Register (vgl. Anlage K2) eingetragen ist.
    Das in deutscher Verfahrenssprache erteilte Klagepatent wurde am 21.07.2004 angemeldet. Das Europäische Patentamt veröffentlichte am 31.01.2007 den Hinweis auf Erteilung des Klagepatents.
  10. Das Klagepatent steht in Kraft. Die Beklagte hat gegen das Klagepatent unter dem 23.04.2020 Nichtigkeitsklage vor dem Bundespatentgericht erhoben, Az. 6 Ni 17/20 (vgl. Anlage KAP 2). Eine Entscheidung ist insoweit bislang nicht ergangen.
    Der geltend gemachte Anspruch 1 des Klagepatents, der mit Rücksicht auf nachveröffentlichen Stand der Technik (DE 103 43 XXX A1) für die Bundesrepublik Deutschland eingeschränkt erteilt worden ist, lautet wie folgt:
  11. „Vorrichtung zum lokalen Aufstechen einer Haut, insbesondere zum Aufbringen von permanentem Make-up oder eines Tattoos, mit:
    – einem Gehäuse (1 ),
    – einer in dem Gehäuse (1) geführten Nadel (2), die zwischen einer ausgefahrenen Stellung und einer eingefahrenen Stellung verlagerbar ist, und
    – einer Membran (12) aus einem elastisch dehnbaren Material, wobei mit Hilfe der Membran (12) in dem Gehäuse (1) ein vorderseitiger Raum (1 a) auf einer Vorderseite der Membran (12) und ein rückseitiger Raum (1 b) auf einer Rückseite der Membran (12) getrennt sind,
    wobei mit Hilfe eines Kopplungsmechanismus die Nadel (2) und die Membran (12) für eine Rückbewegung der Nadel (2) in Richtung der eingefahrenen Stellung fest miteinander gekoppelt sind und
    wobei über den Kopplungsmechanismus eine von der Membran (12) erzeugte Rückholkraft zum Zurückbewegen der Nadel (2) in Richtung der eingefahrenen Stellung auf die Nadel (2) eingeleitet wird,
    dadurch gekennzeichnet, daß
    die Membran (12) dehnbare Abschnitte (14) aufweist, die in einer nicht gedehnten Grundform der Membran (12) im wesentlichen in Längsrichtung der Nadel (2) gebildet sind.“
  12. Zur Veranschaulichung der beanspruchten Lehre wird nachfolgend Fig. 1 des Klagepatents verkleinert eingeblendet, die nach Abs. [0020] des Klagepatents eine Vorrichtung zum lokalen Aufstechen einer Haut mit einem Gehäuse und einer in dem Gehäuse geführten Nadel im Querschnitt abbildet:
  13. Die Klägerin und die Beklagte sind Wettbewerber auf dem Gebiet des Permanent Make-up.
    Die Beklagte bietet über ihren Onlineshop, der u.a. in deutscher Sprache abrufbar ist, unter der Domain www.XXX.com Nadelmodule der Serie „C“ (nachfolgend: angegriffene Ausführungsform I) in Deutschland an (vgl. Anlage K7). Zudem bietet die Beklagte über ihren Onlineshop Module der Serien D (nachfolgend: angegriffene Ausführungsform 2) sowie Module der Serie E (nachfolgend: angegriffene Ausführungsform 3; zusammen mit der angegriffenen Ausführungsform 2 als angegriffene Ausführungsform II bezeichnet) in Deutschland an. Die angegriffene Ausführungsform II hat die Klägerin von der Beklagten im Rahmen einer Testbestellung nach Deutschland erworben (vgl. Rechnung vom 11.07.2019, Anlage K12).
    Zudem beliefert die Beklagte die Modulserie angegriffene Ausführungsform I an das deutsche Unternehmen F GmbH (im Folgenden F) mit Sitz in G, welches die angegriffene Ausführungsform I innerhalb des deutschen Bundesgebietes unter der Domain „XXX.com“ in deutscher Sprache zum Verkauf anbietet (vgl. Anlage K5). Die Klägerin hat im Wege eines Testkaufs von F die angegriffene Ausführungsform I erworben (vgl. S. 1 des Anlagenkonvolut 6).
    Zur Veranschaulichung werden nachfolgend von der Klägerin in der Klageschrift (Bl. 17 GA) gezeigte Bilder der angegriffenen Ausführungsform I verkleinert eingeblendet, wobei die Beschriftung seitens der Klägerin herrührt:
  14. Weiter werden nachfolgen von der Beklagten in der Klageerwiderung (Bl. 49f GA) gezeigte Bilder der angegriffenen Ausführungsform II eingeblendet:
  15. angegriffene Ausführungsform 2
    angegriffene Ausführungsform 3
  16. Die rote Linie zeigt die Nadel und die grüne Linie führt entlang der dehnbaren Abschnitte der jeweiligen Membran.
    Die Klägerin mahnte die Beklagte außergerichtlich mit Schreiben vom 05.06.2019 erfolglos ab.
  17. Die Klägerin ist der Ansicht, die angegriffenen Ausführungsformen verwirklichten den Anspruch 1 des Klagepatents wortsinngemäß.
    Das Merkmal des Anspruchs 1 wonach die dehnbaren Abschnitte der Membran in ihrer nicht gedehnten Grundform im Wesentlichen in Längsrichtung der Nadel gebildet seien (Merkmal 6), sei nicht ausschließlich im Sinne eines „parallel zur Nadel gebildet“ zu verstehen. Damit führe es nicht aus dem Klagepatent hinaus, wenn die Membran in einem Winkel, etwa in V-Form, zur Nadel gebildet sei.
    Der Wortlaut des Merkmals sage nichts darüber aus, in welchem Winkel die Membran zur Nadel verlaufen müsse. Der Zusatz „im Wesentlichen“ schließe aus, dass die dehnbaren Abschnitte parallel/winkellos zur Nadel gebildet sein müssten. Vielmehr müssten die dehnbaren Abschnitte nicht an jeder Stelle in Längsrichtung gebildet werden. Der Fachmann entnehme der Angabe „im Wesentlichen in Längsrichtung der Nadel gebildet“ vor allem eine funktionale Bedeutung im Hinblick auf die zu erzeugende Rückholkraft und deren Effizienz. So bedinge das Erfordernis der Rückholkraft mittels der Dehnung eine gewisse Länge der dehnbaren Abschnitte. Zugleich müsse die Anordnung der dehnbaren Abschnitte so sein, dass die Membran in das Gehäuse aufgenommen werden könne. Diese funktionale Anforderung werde auch erreicht, wenn die Membran im Querschnitt in V-Form zur Nadel gebildet sei. Aus der Abgrenzung zur DE XXX folge nichts anderes, da insbesondere die in Abs. [0056] der DE XXX genannten röhrenförmigen Abschnitte nicht dazu beitrügen, die Bewegung der Nadel zu fördern. Der Abschnitt werde nicht gedehnt.
    Unabhängig davon verwirkliche die angegriffene Ausführungsform I das genannte Merkmal 6 schon deshalb, da die dehnbaren Abschnitte der eingesetzten Membran in ihrer nicht gedehnten Grundform in Längsrichtung nahezu parallel zu der Nadel gebildet seien. Die Membran habe im Querschnitt eine U-Form im Gegensatz zu der anderen angegriffenen Ausführungsform II, die – insoweit unstreitig – eine V-Form aufweise.
  18. Das Klagepatent sei rechtsbeständig, so dass eine Aussetzung nicht geboten sei. Es sei insbesondere neu gegenüber der Entgegenhaltung NK4 (XXX). Die NK4 offenbare einen Exzentermechanismus, durch den die Nadel rauf und runter repetiere. Die Bewegung der Nadel habe nichts mit der Kopplung der Nadel im Hinblick auf die Rückholkraft zu tun. Es werde keine Kopplung offenbart, keine Rückholkraft der Membran und keine Dehnung der Membran. In der NK4 sei eine kraftschlüssige Verbindung gezeigt. Der Fachmann erhalte im Hinblick auf die Erfindungshöhe – anders als die Beklagte meint – keine Anregung, bauliche Veränderungen an der Vorrichtung vorzunehmen. Vielmehr müsse der Fachmann den mechanischen Verbund zwischen Exzenter und Nadel lösen, um sie dann an der Membran zu befestigen. Dies diene wiederum nicht der mechanischen Stabilität der gezeigten Antriebslösung.
  19. Die Klägerin beantragt,
    – wie erkannt –
  20. Die Beklagte beantragt,
  21. die Klage abzuweisen;
  22. hilfsweise:
  23. den Verletzungsrechtsstreit bis zum rechtskräftigen Abschluss des vor dem Bundespatentgericht gegen den deutschen Teil des Europäischen Patents EP 1 618 XXX B1 anhängigen Nichtigkeitsverfahren auszusetzen.
  24. Die Beklagte ist der Ansicht, das Klagepatent werde von den angegriffenen Ausführungsformen nicht verletzt.
    Das Merkmal 6 des Klagepatents verlange, dass der wesentliche Teil der dehnbaren Abschnitte in Längsrichtung und damit parallel zur Nadel gebildet sei. Dies folge aus der erforderlichen Abgrenzung gegenüber der deutschen Patentanmeldung DE 103 43 XXX A1 (im Folgenden DE YYY), die zu der Einschränkung des für Deutschland geltenden Anspruchs geführt habe, was in der Patentbeschreibung selbst in Abs. [0006] erwähnt werde. Das Klagepatent unterscheide sich von der DE YYY nur durch die räumlich-körperliche Ausgestaltung der Membrane. In Abs. [0056] der DE YYY sei eine Membran gezeigt, die im entspannten Zustand eine röhrenförmige Gestalt habe und somit schon eine parallele Ausgestaltung aufweise, die sich zu dem Ende hin, an dem sich eine Öffnung zur Durchführung der Nadel befinde, stark verjünge. Damit sei zugleich ein Winkel gezeigt.
    Für die Auslegung sei weiter allein das Ausführungsbeispiel gemäß Figur 1 maßgeblich. Die sonstigen Ausführungsbeispiele seien außer Betracht zu lassen, da diese in der für Deutschland geltenden Fassung keinen Niederschlag gefunden hätten. Diese Auslegung von Merkmal 6 stehe auch nicht im Widerspruch zu Unteranspruch 5, welcher vorsähe, dass der längsgerichtete Querschnitt der ganzen Membran U-förmig oder V-förmig sei. So beziehe sich Anspruch 5 auf den Querschnitt der gesamten Membran und nicht nur auf den Querschnitt der dehnbaren Abschnitte der Membran.
    Jede der angegriffenen Ausführungsformen seien so ausgebildet, dass die Membrane über dehnbare Abschnitte verfügten, die im Wesentlichen unterschiedlich angewinkelt zur Nadel gebildet seien, aber nicht in Längsrichtung.
  25. Jedenfalls sei der Rechtsstreit bis zur Entscheidung über die parallel anhängige Nichtigkeitsklage hilfsweise auszusetzen. Der Anspruch 1 sei nicht neu gegenüber der XXX (Entgegenhaltung NK4). Die NK4 offenbare insbesondere einen Kopplungsmechanismus, mit Hilfe dessen die Nadel und die Membran für eine Rückbewegung der Nadel in Richtung der eingefahrenen Stellung fest miteinander gekoppelt seien. Der Fachmann erkenne, dass bei einer Rückbewegung der Membran diese gegen den Nadelschaft drücke und sich Nadel samt Nadelschaft gemeinsam zurückbewegten. Auch zeige die NK4 eine über den Kopplungsmechanismus von der Membran erzeugte Rückholkraft zum Zurückbewegen der Nadel in Richtung der eingefahrenen Stellung, die auf die Nadel eingeleitet werde. Insoweit sei es ausreichend, dass die in NK4 offenbarte Vorrichtung dazu geeignet sei, eine Rückholkraft einzuleiten, ohne dass die NK4 diese Einleitung tatsächlich zeige. So könne der Fachmann z.B. durch eine andere Einstellung den Hub wenige Millimeter verändern, so dass er einen Rückholmechanismus konstruieren könne. Aus der NK4 ergebe sich keine Offenbarung einer aktiven Rückholbewegung. Zumindest liege insoweit keine erfinderische Leistung vor als der Fachmann Anlass dazu sehe, dass er die klagepatentgemäße Kopplung, die eine von der Membran erzeugte Rückholkraft auf die Nadel einleite, herstellen könne, indem er die Membran ein wenig mehr eindrücke. Es mangele insoweit an der notwenigen Erfindungshöhe.
  26. Das Gericht hat den Parteien und den Prozessbevollmächtigten von Amts wegen gestattet, sich während der mündlichen Verhandlung an einem anderen Ort aufzuhalten und dort Verfahrenshandlungen über den von der Justiz des Landes NRW zur Verfügung gestellten Virtuellen Meetingraum (VMR) vorzunehmen. Davon haben die Prozessbevollmächtigten Gebrauch gemacht.
    Für die Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird auf die ausgetauschten Schriftsätze samt Anlagen sowie auf das Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 01.06.2021 verwiesen.
  27. Entscheidungsgründe
  28. Die zulässige Klage ist begründet. Die angegriffenen Ausführungsformen verwirklichen die Lehre des Klagepatents (hierzu unter I.). Der Klägerin stehen gegen die Beklagte die geltend gemachten Ansprüche aus Art. 64 EPÜ i.V.m. §§ 139 Abs. 1, Abs. 2, 140b PatG, §§ 242, 259 BGB zu (hierzu unter II). Das Verfahren war nicht nach § 148 ZPO bis zur Entscheidung über das Nichtigkeitsverfahren auszusetzen, da eine Vernichtung des Klagepatents im Nichtigkeitsverfahren nicht hinreichend wahrscheinlich ist (hierzu unter III.).
  29. I.
    Die angegriffenen Ausführungsformen I und II machen von der klagepatentgemäßen Lehre Gebrauch.
  30. 1.
    Das Klagepatent (nachfolgend entstammen Abs. ohne Quellenangabe dem Klagepatent) bezieht sich auf eine Vorrichtung zum lokalen Aufstechen einer Haut, insbesondere zum Aufbringen von permanenten Make-Up oder eines Tattoos (Abs. [0001]).
  31. In seiner einleitenden Beschreibung schildert das Klagepatent, dass eine derartige Vorrichtung aus dem Dokument US 6,505,XXX B2 bekannt sei. Hiernach werde in einem Gehäuse eine Nadel geführt, so dass die Nadel zwischen einer ausgefahrenen Stellung, in welcher eine Nadelspitze außerhalb einer Öffnung an dem Gehäuse angeordnet ist, und einer eingefahrenen Stellung verlagerbar sei, in welcher die Nadelspitze in dem Gehäuse angeordnet sei. Mittels repetierender Vorwärts- und Rückwärtsbewegung, wodurch sich die Nadel zwischen der ausgefahrenen und der eingefahrenen Stellung bewege, werde die Nadel wiederholt in die Haut gestochen und wieder herausgezogen, so dass ein aufzubringendes Medium in flüssiger Form in die Haut eindringen könne. Bei Verwendung der Vorrichtung nach der US 6,505,XXX B2 werde zum Aufbringen von permanenten Make-Up oder eines Tattoos ein Farbstoff in die Haut eingebracht (Abs. [0002]).
    Der Antrieb bei dieser bekannten Vorrichtung werde beim Vorwärtsbewegen mit Hilfe einer Antriebseinrichtung erreicht, die einen Motor umfasse (Abs. [0003]). Um bei dieser Vorrichtung ein Vordringen von Flüssigkeit, sowohl von Farbstoff als auch Körperflüssigkeit, die beim Aufstechen der Haut freigesetzt wird, in den Bereich, in welchem die Antriebseinrichtung angekoppelt ist, oder in die Antriebseinrichtung selbst zu verhindern, sei in dem Gehäuse eine Membran aus einem elastisch dehnbaren Material angeordnet. Mit Hilfe der Membran werde in dem Gehäuse ein vorderseitiger Raum auf einer Vorderseite der Membran und ein rückseitiger Raum auf einer Rückseite der Membran getrennt. Die Membran diene zum dichten Trennen der beiden Räume des Gehäuses. Im Dokument US 5,505,XXX B2 seien Ausführungen beschrieben, bei denen die Nadel durch einen Durchbruch in der Membran hindurch gebildet sei, wobei die Nadel im Bereich des Durchbruchs von einer Dichtlippe umgriffen werde, so dass die Nadel beim Verlagern zwischen der ausgefahrenen und der eingefahrenen Stellung in den Durchbruch rutsche und die Dichtlippe der Membran hierbei auf der Nadel gleite. Beim Betrieb dieser bekannten Vorrichtung werde zum lokalen Aufstechen der Haut die Nadel mit Hilfe einer von der Antriebseinrichtung erzeugten Antriebskraft aus der eingefahrenen in die ausgefahrene Stellung gebracht. Das Zurückholen der Nadel aus der ausgefahrenen Stellung in die eingefahrene Stellung werde mit Hilfe einer Federkraft erreicht, die von einer in dem Gehäuse angeordneten Spiralfeder erzeugt werde und über den Nadelschaft auf die Nadel eingeleitet werde (Abs. [0004]).
    Im Stand der Technik seien weiter Vorrichtungen zum lokalen Aufstechen einer Haut bekannt, bei denen die Nadelspitze in der eingefahrenen Stellung nicht in dem umgebenden Gehäuse aufgenommen sei, sondern noch überstehe (Abs. [0005]).
  32. Unter Bezugnahme auf die DE 103 43 YYY A1 enthält das Klagepatent den Hinweis, dass der Anmelder sich insoweit freiwillig eingeschränkt und gesonderte Ansprüche für Deutschland vorgelegt hat (Abs. [0006]).
  33. Das Klagepatent nennt es als seine Aufgabe, eine verbesserte Vorrichtung zum lokalen Aufstechen einer Haut, insbesondere zum Aufbringen von permanentem Make-up oder eines Tattoos, anzugeben, die über einen vereinfachten mechanischen Aufbau verfügt (Abs. [0007]).
  34. 2.
    Zur Lösung schlägt das Klagepatent eine Vorrichtung zum lokalen Aufstechen einer Haut nach Maßgabe von Anspruch 1 in der für Deutschland geltenden Fassung vor. Dieser lässt sich in Form einer Merkmalsgliederung wie folgt darstellen:
  35. 1. Vorrichtung zum lokalen Aufstechen einer Haut, insbesondere zum Aufbringen von permanentem Make-up oder eines Tattoos, mit
    1.1 einem Gehäuse
    1.2 einer in dem Gehäuse geführten Nadel, die zwischen einer ausgefahrenen Stellung und einer eingefahrenen Stellung verlagerbar ist
    1.3 einer Membran aus einem elastisch dehnbaren Material
    2. Mit Hilfe der Membran sind in dem Gehäuse getrennt:
    2.1. ein vorderseitiger Raum auf einer Vorderseite der Membran
    2.2. ein rückseitiger Raum auf einer Rückseite der Membran.
    3. Mit Hilfe eines Kopplungsmechanismus sind die Nadel und die Membran für eine Rückbewegung der Nadel in Richtung der eingefahrenen Stellung fest miteinander gekoppelt.
    4. Über den Kopplungsmechanismus wird eine von der Membran erzeugte Rückholkraft zum Zurückbewegen der Nadel in Richtung der eingefahrenen Stellung auf die Nadel eingeleitet.
    5. Die Membran weist dehnbare Abschnitte auf.
    6. Die dehnbaren Abschnitt der Membran sind in einer nicht gedehnten Grundform im Wesentlichen in Längsrichtung der Nadel gebildet.
  36. Der Kern der Erfindung beinhaltet die mit Hilfe der Membran zur Verfügung gestellte Rückholkraft, wenn die Membran gedehnt ist und damit gegenüber dem Stand der Technik eine Feder zum Ausbilden der Rückholkraft zum Zurückbewegen der Nadel in Richtung der eingefahrenen Stellung einspart.
  37. 3.
    Die angegriffenen Ausführungsformen I und II machen von der klagepatentgemäßen Lehre Gebrauch.
  38. Die Parteien streiten hinsichtlich der Auslegung des Merkmals 6. Alle anderen Merkmale des Anspruchs 1 sind zu Recht zwischen den Parteien unstreitig, so dass es weiterer Ausführungen hierzu nicht bedarf.
  39. Merkmal 6, wonach die dehnbaren Abschnitte (13) der Membran (12) in einer nicht gedehnten Grundform (12) im Wesentlichen in Längsrichtung der Nadel (2) gebildet sind, wird von den angegriffenen Ausführungsformen I und II wortsinngemäß verwirklicht.
  40. a)
    Merkmal 6 erfasst sowohl Vorrichtungen, bei denen der wesentliche Teil der dehnbaren Abschnitte der Membran parallel zur Nadel gebildet sind als auch Vorrichtungen, bei denen die dehnbaren Abschnitte der Membran in Längsrichtung in einem Winkel zu der Nadel gebildet sind.
  41. Merkmal 6 beschreibt die räumlich-körperliche Anordnung der dehnbaren Abschnitte der Membran zur Nadel, wonach die dehnbaren Abschnitte im entspannten Zustand in Ausrichtung der Nadel orientiert sind. Funktional bewirkt diese Anordnung, dass die Rückholkräfte der Membran im Wesentlichen in Längsrichtung der Nadel wirken, wenn sich die Abschnitte nach der Dehnung entspannen.
    Der Wortlaut verlangt insoweit, dass die dehnbaren Abschnitte im Wesentlichen in Längsrichtung der Nadel gebildet sind. Damit enthält der Wortlaut lediglich eine Richtungsangabe hinsichtlich der Ausbildung der dehnbaren Abschnitte, aber keinen Hinweis darauf, in welchem Winkel diese zur Nadel ausgestaltet sein müssen. Der Begriff der Längsrichtung wird in Abs. [0016] in Bezug genommen und dahin erläutert, dass die dehnbaren Abschnitte in Längsrichtung dadurch gebildet werden, dass ein Querschnitt der Membran in Längsrichtung U-förmig oder V-förmig ist. Dieser Querschnitt enthält dehnbare Abschnitte. An keiner Stelle des Klagepatents lässt sich diesbezüglich Abweichendes entnehmen. Demgemäß ergibt sich aus dem Wortlaut keine Einschränkung auf eine parallel zur Nadel laufende Ausgestaltung der dehnbaren Abschnitte. Der Zusatz „im Wesentlichen“ erweitert den Schutzbereich, schränkt diesen aber nicht ein.
    Die Funktion der dehnbaren Abschnitte steht dieser Auslegung nicht entgegen. In Abs. [0015] wird beschrieben, dass die Ausgestaltung in Längsrichtung dazu führt, dass die Rückholkräfte in Längsrichtung der Nadel erzeugt werden, was die Effizienz der Wirkung erhöhe.
  42. Ein Vergleich mit der DE 103 43 YYY A1, zu der sich das Klagepatent ausweislich Abs. [0006] abgrenzen will, steht einer weiten Auslegung des Merkmals 6 ebenfalls nicht entgegen.
    Die DE 103 43 YYY A1 sieht eine elastische Membran vor, welche eine Rückschnellkraft aufbringt (vgl. Abs. [0034] f. der DE YYY). Ein Hinweis auf die Ausgestaltung dieser Membran enthält Abs. [0056] der DE YYY. Hiernach hat die dort gezeigte Schutzhülle aus elastischem Material im entspannten Zustand eine röhrenförmige Gestalt, die sich zu dem Ende hin, an dem sich einer Öffnung zur Durchführung der Nadel befindet, stark verjüngt. Hierdurch werden jedoch nicht zwingend Ausgestaltungen erfasst, die einen Winkel zur Nadel aufweisen. Vielmehr wird der Fachmann bei der Lektüre des Absatzes [0056] auch Ausgestaltungen vor Augen haben, in denen dehnbare Abschnitte der Membran parallel laufen. Die in Absatz [0056] beschriebene Verjüngung liegt ebenfalls vor, wenn die gezeigte elastische Schutzhülle weiter röhrenförmig ist und sich lediglich in ihrem Durchmesser verkleinert. Für die Abgrenzung des Klagepatents zu diesem Stand der Technik bedarf es demnach keiner Einschränkung auf eine parallele Ausgestaltung von dehnbaren Abschnitten der Membran. Dies auch deshalb nicht, weil die DEYYY nicht ausdrücklich zwischen dehnbaren und nicht dehnbaren Abschnitten der Schutzhülle unterscheidet.
    Ferner spricht für eine weite Auslegung der Vergleich mit Unteranspruch 5. Unteransprüche lassen regelmäßig – vorbehaltlich rein additiver Elemente – den Schluss zu, dass dasjenige, was in ihnen beschrieben ist, auch unter den Hauptanspruch fällt (BGH, GRUR 2016, 1031 – Wärmetauscher; OLG Düsseldorf, Urteil vom 15.08.2019 – I-15 U 11/18 – S. 29). Unteranspruch 5 erfasst eine Vorrichtung nach Anspruch 1, die dadurch gekennzeichnet ist, dass ein Querschnitt der Membran (12) in Längsrichtung U-förmig oder V-förmig ist. Eine Auslegung, wonach die dehnbaren Abschnitte zwingend parallel zur Nadel ausgerichtet sein müssen, würde sich zu einer V-förmigen Membran in Widerspruch setzen. In der Klagepatentschrift findet sich nämlich kein Hinweis darauf, dass die V-Form allein aufgrund nicht dehnbarer Abschnitte der Membran zustande kommt. Dies wird gestützt durch die Ausführungsbeispiele in den Absätzen [0015], [0016] und [0028] sowie den Figuren 1, 2 A und 2 B, da diese dehnbare Abschnitte zeigen, die im Wesentlichen in Längsrichtung gedehnt sind und einen Winkel zur Nadel bilden.
  43. Anders als die Beklagte meint, liegt insoweit kein unauflösbarer Widerspruch wie ihn die Entscheidung Okklusionsvorrichtung“ (BGH, Urteil vom 10. Mai 2011 – X ZR 16/09, BGHZ 189, 330 Rn. 24 ) benennt, vor. Die Ausführungsbeispiele lassen sich zwanglos in Einklang mit dem Anspruch bringen.
  44. b)
    Nach Maßgaben des vorstehend erläuterten Verständnisses von Merkmal 6 lässt sich dessen Verwirklichung durch sämtliche angegriffene Ausführungsformen feststellen.
    Die dehnbaren Abschnitte sämtlicher angegriffenen Ausführungsformen sind in Längsrichtung ausgebildet.
    Die angegriffene Ausführungsform I weist eine weitgehend parallele, nur leicht angeschrägte Ausgestaltung der dehnbaren Abschnitte der Membran auf. Hiervon konnte sich die Kammer anhand der seitens der Klägerin vorgelegten Abbildungen aus der Klageschrift sowie anhand des vorgelegten Musters der angegriffenen Ausführungsform I überzeugen (Anlagen K6).
    Ausweislich der als Anlagen K10 (für angegriffene Ausführungsform 2) und K11 (für angegriffene Ausführungsform 3) vorgelegten Muster der angegriffenen Ausführungsform II sowie der Abbildungen aus der Klageschrift stehen bei dieser angegriffenen Ausführungsform die dehnbaren Abschnitte der Membran jeweils in einem stärkeren Winkel zur Nadel, was nach dem Vorgesagten nicht aus der Verletzung herausführt.

    II.
    Aufgrund des Anbietens der angegriffenen Ausführungsformen I und II über die in deutscher Sprache verfügbare Internetseite der Beklagten (www.XXX.com; vgl. Anlage K7) in Deutschland (vgl. Anlage K 12) sowie des Inverkehrbringens der angegriffenen Ausführungsformen I durch die Lieferung an das deutsche Unternehmen F, welches die angegriffene Ausführungsform I über ihre deutschsprachige Internetseite zum Verkauf in Deutschland anbietet (vgl. Anlage K5), ergeben sich die zuerkannten Rechtsfolgen.

  45. 1.
    Der Unterlassungsanspruch beruht auf Art. 64 EPÜ i.V.m. § 139 Abs. 1 PatG, da die Benutzung des Erfindungsgegenstandes ohne Berechtigung erfolgt und eine Wiederholungsgefahr gegeben ist.
  46. 2.
    Der Anspruch auf Auskunft im tenorierten Umfang ergibt sich aufgrund der unberechtigten Benutzung des Erfindungsgegenstands unmittelbar aus Art. 64 EPÜ i.V.m. § 140b Abs. 1 PatG, der Umfang der Auskunftspflicht aus Art. 64 EPÜ i.V.m. § 140b Abs. 3 PatG. Es bestehen keine Anhaltspunkte für eine Unverhältnismäßigkeit. Die Pflicht zur Rechnungslegung folgt aus Art. 64 EPÜ i.V.m. §§ 242, 259 BGB. Damit die Klägerin in die Lage versetzt wird, die Schadensersatzansprüche zu beziffern, steht ihr gegen die Beklagte ein Anspruch auf Rechnungslegung im zuerkannten Umfang zu. Die Klägerin ist auf die Angaben angewiesen, über die sie ohne eigenes Verschulden nicht verfügt; die Beklagte wird durch die von ihr verlangten Auskünfte nicht unzumutbar belastet.
  47. 3.
    Die Klägerin hat gegen die Beklagte dem Grunde nach einen Anspruch auf Zahlung von Schadensersatz, der aus Art. 64 EPÜ i.V.m. § 139 Abs. 2 PatG folgt.
  48. Als Fachunternehmen hätte die Beklagte die Patentverletzung bzw. die Nutzung der angemeldeten Lehre bei Anwendung der im Geschäftsverkehr erforderlichen Sorgfalt zumindest erkennen können, § 276 BGB.
  49. Da überdies durch die rechtsverletzenden Handlungen der Beklagten die Entstehung eines Schadens bzw. eine Nutzung des Gegenstands der Anmeldung hinreichend wahrscheinlich ist, der durch die Klägerin aber noch nicht beziffert werden kann, weil sie den Umfang der rechtsverletzenden Benutzungshandlungen ohne ihr Verschulden nicht im Einzelnen kennt, ist ein rechtliches Interesse der Klägerin an der Feststellung der Schadensersatzverpflichtung anzuerkennen, § 256 ZPO.
  50. III.
    Im Rahmen des der Kammer nach § 148 ZPO zustehenden Ermessens wird das Verfahren nicht im Hinblick auf das Nichtigkeitsverfahren gegen das Klagepatent ausgesetzt.
  51. 1.
    Nach § 148 ZPO kann das Gericht bei der Vorgreiflichkeit eines anderen Verfahrens einen Rechtsstreit aussetzen. Die Vorgreiflichkeit ist aufgrund der angenommenen Verletzung des Schutzrechtes hinsichtlich des anhängigen Nichtigkeitsverfahrens gegeben. Die Erhebung einer Nichtigkeitsklage stellt ohne Weiteres noch keinen Grund dar, den Verletzungsrechtsstreit auszusetzen. Die Patenterteilung ist auch für die (Verletzungs-) Gerichte bindend. Wegen der gesetzlichen Regelung, die für die Ansprüche nach §§ 139 ff. PatG lediglich ein in Kraft stehendes Patent verlangt und für die Beseitigung dieser Rechtsposition nur die in die ausschließliche Zuständigkeit des Patentgerichts fallende Nichtigkeitsklage zur Verfügung stellt, kann der Angriff gegen das Klagepatent nicht als Einwand im Verletzungsverfahren geführt werden. Jedoch darf dies nicht dazu führen, dass diesem Angriff jede Auswirkung auf das Verletzungsverfahren versagt wird. Die Aussetzung des Verletzungsstreits im Rahmen der nach § 148 ZPO zu treffenden Ermessenentscheidung ist vielmehr grundsätzlich, aber auch nur dann geboten, wenn mit hinreichender Wahrscheinlichkeit zu erwarten ist, dass das Klagepatent der erhobenen Nichtigkeitsklage oder dem erhobenen Einspruch nicht standhalten wird (BGH, GRUR 2014, 1237, 1238 – Kurznachrichten; OLG Düsseldorf, Urteil vom 11.06.2015 – Az. 2 U 64/14, S. 29 f.).
  52. Eine solche hinreichende Wahrscheinlichkeit für den Erfolg der Nichtigkeitsklage kann die Kammer nicht erkennen.
  53. 2.
    Die Entgegenhaltung NK4, der chinesischen Gebrauchsmusterschrift CN2356645Y (nachfolgend NK4; vorgelegt als Anlage KAP NK4 und in deutscher Übersetzung als Anlage KAP NK4a) gibt keinen hinreichenden Anlass für eine Aussetzung. Es ist nicht ersichtlich, dass sie die Lehre des Klagepatents neuheitsschädlich vorwegnimmt oder es ausgehend von ihr an der erforderlichen Erfindungshöhe mangelt.
  54. a)
    Die Kammer kann nicht erkennen, dass die NK4 alle Merkmale von Anspruch 1 des Klagepatents neuheitsschädlich vorwegnimmt, da es an einer unmittelbaren und eindeutigen Offenbarung des Merkmals 4 fehlt.
    Zwar scheint der Kopplungsmechanismus nach Merkmal 3 offenbart, da sowohl der Unteranspruch 9 als auch die Beschreibung (S. 17 der NK4a) offenbaren, dass das flexible Abdichtungselement in seiner Bewegung den Bewegungen der Nadel folgt.
    Jedoch fehlt es an einer unmittelbaren und eindeutigen Offenbarung des Merkmals 4. Merkmal 4 lautet:
    „Über den Kopplungsmechanismus wird eine von der Membran (12) erzeugte Rückholkraft zum Zurückbewegen der Nadel (2) in Richtung der eingefahrenen Stellung auf die Nadel (2) eingeleitet“.
    Eine hinreichende Offenbarung dieses Merkmal ist in der NK4 (NK4a) nicht ersichtlich. So folgt eine Offenbarung der Rückholkraft nicht bereits daraus, dass in der NK4 ein Kopplungsmechanismus gezeigt ist. Denn diese Argumentation lässt außer Acht, dass nicht jede Kopplung zwischen Membran und Nadelbewegung so ausgestaltet sein muss, dass diese zugleich eine Rückholkraft erzeugt. Dies folgt auch nicht aus der Beschreibung der Entgegenhaltung wonach das Abdichtungselement eine gute Elastizität aufweist und sich zusammen mit der Nadel auf- und abwärts bewegt (S. 17, NK4a). Insbesondere enthält die Entgegenhaltung keine Angaben dazu, aus denen sich Rückschlüsse auf die Kraft, welche bei der Dehnung erzeugt wird (z.B. Länge der Dehnungsstrecke), ziehen lassen. Die Angabe „angemessene Erstreckungslänge“ in Unteranspruch 9 reicht insoweit nicht aus. Dies gilt auch soweit die Entgegenhaltung NK4 (S. 17, NK4a) von einer nadelstabilisierenden Wirkung spricht sowie dass das flexible Abdichtungselement eine Druckwirkung hervorrufen kann, welche das Farbmittel zum Ausströmen in geeigneter Menge veranlasst. Die insoweit geschilderte Kraftentfaltung durch die Membran offenbart nicht zugleich, dass die Kraft groß genug ist, um die Nadel in Richtung der eingefahrenen Stellung zurückzuholen. Die Kammer vermag ebenfalls nicht zu erkennen, dass der Veränderung der Nadelüberstellung durch die Änderung der Einstelltiefe (S. 16, NK4a) ein weitergehender Offenbarungsgehalt zukommen soll.
  55. Gemäß der Beschreibung (S. 16 Abs. 2 a.E. der Übersetzung NK4a) der Entgegenhaltung erfolgt der Antrieb der Tätowierungsnadel (42) zum Vollziehen einer linearen Hin- und Herbewegung durch den Exzenter-Übertragungsmechanismus (36), die Achsstange (3) und die Nadelklemmhalterung (42) und erzeugt damit die notwendige Zugkraft. Anders als die Beklagte meint, ist damit eine aktive Rückholbewegung gezeigt.
  56. b)
    Schließlich lässt sich nicht mit hinreichender Wahrscheinlichkeit erkennen, dass es im Hinblick auf die NK4 der Lehre des Klagepatents an erfinderischer Tätigkeit bzgl. des Merkmals 4 mangelt. Anders als die Beklagte meint, wird dem Fachmann keine Anregung aufgezeigt, die Vorrichtung so weit umzubauen, dass durch eine andere Einstelltiefe der Hub wenige Millimeter verändert und so über ein verstärktes Eindrücken der Membran ein Rückholmechanismus konstruiert wird. Dies folgt zunächst daraus, dass die NK4 (S. 16 der NK4a) bereits eine Lösung hinsichtlich des Antriebs vorsieht, und zwar über den Exzenter-Übertragungsmechanismus. Mithin erhält der Fachmann keinen Anlass, sich mit einer alternativen Lösung zu befassen. Hinzu kommt, dass die vorzunehmende veränderte Konstruktion der mechanischen Stabilität der gezeigten Antriebslösung schaden könnte, was wiederum gegen eine solche Vorgehensweise des Fachmanns sprechen würde.
  57. 3.
    Auch die Entgegenhaltung NK5 DE 299 XX XXX U1 (vorgelegt als Anlage KAP 2) gibt keinen hinreichenden Anlass zur Aussetzung. Abgesehen davon, dass sie bereits im Erteilungsverfahren Berücksichtigung fand, ist nicht ersichtlich, dass sie die Lehre des Klagepatents neuheitsschädlich vorwegnimmt. Hier ist ebenfalls Merkmal 4 nicht offenbart, weil eine Rückholfeder zum Einsatz kommt, um die Nadel zurückzubewegen (vgl. DE 199, S. 7). Sofern im Rahmen des Hubintervalls der Antrieb einen Moment kraftlos wird und die Dehnung der Membran die Rückbewegung einleiten soll, genügt dies nicht. Die Rückholkraft des Kopplungsmechanismus ist nach dem Anspruch das Einzige, was die Nadel zurückbewegt. Einleiten bedeutet Kraftübertragung auf die Nadel, keine zeitliches Einleiten der Rückbewegung, die mittels einer Rückholfeder weiter bewerkstelligt wird.
  58. 4.
    Die Entgegenhaltung NK6 (US 5,XXX,132) war hinsichtlich der Frage der Aussetzung nicht zu berücksichtigen, nachdem die Beklagte trotz entsprechender Verfügung des Vorsitzenden, zuletzt am 26.06.2020, keine Übersetzung zur Akte gereicht hat.
  59. IV.
    Die Kostenentscheidung folgt aus § 91 ZPO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 709 S. 1 ZPO.

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