4b O 80/19 – Polyester-Herstellungsverfahren

Düsseldorfer Entscheidungen Nr. 3108

Landgericht Düsseldorf

Urteil vom 01. Juni 2021, Az. 4b O 80/19

  1. Das Versäumnisurteil des Landgerichts Düsseldorf vom 16.12.2019 (Az.: 4b O 80/19), berichtigt durch Beschluss vom 18.12.2019, wird aufgehoben.
  2. Die Klage wird abgewiesen.
  3. Die Klägerin trägt die Kosten des Rechtsstreits mit Ausnahme der durch die Säumnis entstandenen Kosten. Diese trägt die Beklagte.
  4. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar, für die Beklagte jedoch nur gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des jeweils zu vollstreckenden Betrages. Die Beklagte darf die Vollstreckung durch die Klägerin gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des auf Grund des Urteils vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Klägerin vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110% des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.
  5. Tatbestand
  6. Die Klägerin macht gegen die Beklagte als im Patentregister eingetragene Inhaberin (vgl. Registerauszug Stand 11.10.2019, Anlage rop2) auf die Verletzung des deutschen Teils des europäischen Patents 2 268 XXX B1 (im Folgenden: Klagepatent) gestützte Ansprüche auf Unterlassung, Auskunftserteilung, Rechnungslegung und Rückruf sowie Feststellung der Schadensersatzpflicht dem Grunde nach geltend.
  7. Die in deutscher Verfahrenssprache verfasste Anmeldung des Klagepatents mit der Bezeichnung „A“ datiert vom 07.04.2009. Das Klagepatent nimmt eine Priorität vom 18.04.2008 (EP 08154XXX) in Anspruch. Die Offenlegung der Anmeldung erfolgte am 05.01.2011, die Veröffentlichung des Hinweises auf die Patenterteilung datiert vom 14.11.2012.
  8. Der Wortlaut der hier maßgeblichen Klagepatentansprüche 1 – 6 und 15 lautet wie folgt:
  9. „1. Verfahren zur kontinuierlichen Herstellung eines biologisch abbaubaren Polyesters auf Basis von aliphatischen oder aliphatischen und aromatischen Dicarbonsäuren und aliphatischen Dihydroxyverbindungen, wobei eine Mischung aus den aliphatischen Dyhydroxyverbindungen, den aliphatischen und aromatischen Dicarbonsäuren und gegebenenfalls weiteren Comonomeren (Komponente C), ohne Zugabe eines Katalysators, zu einer Paste vermischt werden oder alternativ die flüssigen Ester der Dicarbonsäuren und die Dihydroxyverbindungen und gegebenenfalls weiteren Comonomeren, ohne Zugabe eines Katalysators, eingespeist werden, wobei
  10. i) in eine [gemeint ist wohl „einer“] ersten Stufe diese Mischung zusammen mit der Gesamtmenge oder einer Teilmenge des Katalysators kontinuierlich verestert bzw. umgeestert wird;
    ii) in einer zweiten Stufe kontinuierlich das gemäß i) erhaltene Umesterungs- bzw. Veresterungsprodukt bis zu einer Viskositätszahl nach DIN 53728 von 20 bis 70 cm3/g vorkondensiert wird;
    iii) in einer dritten Stufe kontinuierlich das aus ii) erhältliche Produkt bis zu einer Viskositätszahl nach DIN 53728 von 60 bis 170 cm3/g polykondensiert wird und
    iv) in einer vierten Stufe kontinuierlich das aus iii) erhältliche Produkt bis zu einer Viskositätszahl nach DIN 53728 von 150 bis 320 cm3/g in einer Polyadditionsreaktion mit einem Kettenverlängerer D umgesetzt wird.“
  11. „2. Verfahren nach Anspruch 1, wobei der biologisch abbaubare Polyester aufgebaut ist aus:
  12. A) einer Säurekomponente aus
  13. a1) 30 bis 99 mol-% mindestens einer aliphatischen Dicarbonsäure oder deren Ester oder Mischungen davon
    a2) 1 bis 70 mol-% mindestens einer aromatischen Dicarbonsäure oder deren Ester oder Mischungen davon und
    a3) 0 bis 5 mol-% einer sulfonatgruppenhaltigen Verbindung,
  14. wobei die Molprozente der Komponenten a1) bis a3) zusammen 100% ergeben und
  15. B) einer Diolkomponente aus:
  16. b1) mindestens äquimolare Mengen zur Komponente A eines C2-bis C12-Alkandiol oder Mischungen davon und
    b2) 0 bis 2 Gew.-% bezogen auf die Komponenten A und b1) einer mindestens 3 funktionelle Gruppen enthaltenden Verbindung;
  17. und gegebenenfalls darüber hinaus eine oder mehrere Komponenten ausgewählt aus C) einer Komponente ausgewählt aus
  18. c1) mindestens einer Etherfunktionen enthaltenden Dihydroxyverbindung der Formel I
  19. HO-[(CH2)n-O)]m-H (I)
  20. in der n für 2, 3 oder 4 und m für eine ganze Zahl von 2 bis 250 stehen,
    c2) mindestens einer Hydroxycarbonsäure der Formel IIa oder IIb
  21. in der p eine ganze Zahl von 1 bis 1500 und r eine ganze Zahl von 1 bis 4 bedeuten, und G für einen Rest steht, der ausgewählt ist aus der Gruppe bestehend aus Phenylen, -(CH2)q-, wobei q eine ganze Zahl von 1 bis 5 bedeutet,-C(R)H- und -C(R)HCH2, wobei R für Methyl oder Ethyl steht
    c3) mindestens einem Amino-C2- bis C12-alkohol oder mindestens einem Amino-C5-bis C10-cycloalkanol oder Mischungen davon
    c4) mindestens einem Diamino-C1- bis C8-Alkan
    c5) mindestens einer Aminocarbonsäureverbindung, ausgewählt aus der Gruppe, bestehend aus Caprolactam, 1,6 Aminocapronsäure, Laurinlactam, 1,12-Aminolaurinsäure und 1,11-Aminoundecansäure
  22. oder Mischungen aus c1) bis c5)
  23. und
    D) 0,01 bis 4 Gew.-% bezogen auf die Polyestermenge nach Stufe iii mindestens einer Komponente ausgewählt aus der Gruppe d1) bis d4)
  24. d1) eines di- oder oligofunktionellen Isoscyanats und/ oder Isocyanurat,
    d2) eines di- oder oligofunktionellen Peroxids,
    d3) eines di- oder oligofunktionellen Epoxids,
    d4) eines di- oder oligofunktionellen Oxazolins, Oxazins, Caprolactams und/ oder Carbodiimids;
  25. E) 0 bis 10 Gew.-% bezogen auf die Polyestermenge nach Stufe iii einer Komponente ausgewählt aus der Gruppe e1) bis e3)
  26. e1) eines Gleitmittels wie Erucasäureamid oder ein Stearat,
    e2) eines Nukleierungsmittels wie Calciumcarbonat, Polyethylenterephthalats oder Polybutylenterephthalats,
    e3) eines aliphatischen Polyesters ausgewählt aus der Gruppe bestehend aus: Polymilchsäure, Polycaprolacton, Polyhydroxyalkanoat.“
  27. „3. Verfahren nach Anspruch 1, wobei der biologisch abbaubare Polyester als aliphatische Dicarbonsäure (Komponenten a1)) Bernsteinsäure, Adipinsäure oder Sebacinsäure, deren Ester oder Mischungen davon;
    als aromatische Dicarbonsäure (Komponente a2)) Terephtalsäure oder deren Ester;
    als Diolkomponente (Komponenten B) 1,4-Butandiol oder 1,3-Propandiol,
    als Komponenten b2) Glycerin, Pentaerytrit, Trimethylolpropan und
    als Komponenten d1) Hexamethylendiisocyanat enthält.“
  28. „4. Verfahren nach Ansprüchen 1 bis 3, wobei die Veresterung/ Umesterung (Stufe i)) – in Form eines Hydrozyklons mit anhängendem Wärmetauscher und Stufe i), ii) und iii) in Gegenwart eines Titankatalysators durchgeführt wird.“
  29. „5. Verfahren nach Ansprüchen 1 bis 4, wobei Stufe ii) in einem Turmreaktor durchgeführt wird und der Produktstrom im Gleichstrom über eine Fallfilmkaskade geführt wird und die Reaktionsdämpfe in situ aus dem Reaktionsgemisch entfernt werden.“
  30. „6. Verfahren nach Anspruch 5, wobei in Stufe ii) das Umesterungs- bzw. Veresterungsprodukt bis zu einer Viskositätszahl nach DIN 53728 von 25 bis 55 cm3/g vorkondensiert wird.“
  31. „15.Biologisch abbaubarer Polyester auf Basis von aliphatischen und aromatischen Dicarbonsäuren und aliphatischen Dihydroxyverbindungen, erhältlich nach einem Verfahren gemäß Anspruch 6.“
  32. Gegen das Klagepatent war bereits ein Einspruchsverfahren anhängig, indem es jedoch aufgrund der Rücknahme des Einspruchs zu keiner Sachentscheidung kam. Auf die in diesem Zusammenhang als Anlage AR1 vorgelegte vorläufige Auffassung der Einspruchsabteilung vom 12.12.2014 wird verwiesen. Die Beklagte erhob am 16.06.2020 eine Nichtigkeitsklage gegen das Klagepatent beim Bundespatentgericht. Auf die als Anlage AR3 vorgelegte Nichtigkeitsklageschrift wird insoweit Bezug genommen. Eine Entscheidung in dem Verfahren steht noch aus.
  33. Das Klagepatent steht in Kraft.
  34. Der Geschäftsbetrieb der in China ansässigen Beklagten ist auf die Herstellung und den Vertrieb von Gummi- und Kunststoffprodukten ausgerichtet. Zu dem Produktangebot der Beklagten gehören auch biologisch abbaubare Polyester („complete biodegradable plastics“) mit der Bezeichnung „A“ und „B“ (im Folgenden: angegriffene Ausführungsform), die die Beklagte in Deutschland vertreibt und anbietet.
  35. Die Klägerin behauptet, die von der Beklagten im Gebiet der Bundesrepublik Deutschland vertriebene angegriffene Ausführungsform werde durch ein klagepatentgemäßes Verfahren hergestellt. Weiter handele es sich bei ihr auch um einen biologisch abbaubaren Polyester im Sinne der Lehre des Klagepatents.
  36. Die Herstellung der angegriffenen Ausführungsform erfolge in der von dem Klagepatent vorgesehenen Art und Weise.
  37. Das geschützte Verfahren lasse zu, dass eine erste Veresterung der Dicarbonsäuren bereits vor der anspruchsgemäß vorgesehenen Vermischung der Dicarbonsäuren, der Dihydroxyverbindung und ggf. der weiteren Komponente erfolge. Dies zeige die in Klagepatentanspruch 1 beschriebene Alternative, wonach auch die flüssigen Ester der aliphatischen und aromatischen Dicarbonsäure eingespeist werden könnten. Die Gemeinsamkeit der beiden Alternativen bestehe darin, dass in dem ersten Einspeisungsschritt kein (zusätzlicher) Katalysator hinzugegeben werde.
  38. Der erste Verfahrensschritt der geschützten Lehre enthalte keine zeitliche Komponente, regle mithin nicht, zu welchem Zeitpunkt der Katalysator zugegeben werde.
  39. Die angegriffene Ausführungsform verletze aber die geschützte Lehre nicht nur als Verfahrenserzeugnis unmittelbar wortsinngemäß, sondern sei auch ein biologisch abbaubarer Polyester im Sinne des Klagepatents.
  40. In diesem Zusammenhang behauptet die Klägerin unter Bezugnahme auf die als Anlage rop9, Anlage rop11 und Anlage rop13 vorgelegten Laborberichte, dass die angegriffene Ausführungsform unter der Bezeichnung „A“ eine Säurezahl von 0,8 ± 0,02 mg KOH/g (Anlage rop9) und diejenige mit der Bezeichnung „B“ eine Säurezahl von 0,9 ± 0,02 mg KOH/g (Anlage rop11 und Anlage rop13) aufweise.
  41. Ein klagepatentgemäßer Polyester weise keine weitergehenden Merkmale auf, die sich aus dem Verfahren nach dem Klagepatent ergeben würden. Insbesondere führe die Verwendung eines Turmreaktors nicht dazu, dass der hergestellte Polyester frei von Verunreinigungen, insbesondere frei von THF, sei. Auch eine bestimmte Farbgebung oder Trübung sei kein Merkmal eines klagepatentgemäßen Polyesters.
  42. Das Klagepatent sei auch hinreichend rechtsbeständig.
  43. Die Klägerin hat ursprünglich beantragt,
  44. I. die Beklagte zu verurteilen,
  45. 1. es bei Meidung eines vom Gericht für jeden Fall der Zuwiderhandlung festzusetzenden Ordnungsgeldes bis zu € 250.000,00, ersatzweise Ordnungshaft, oder einer Ordnungshaft bis zu 6 Monaten, im Falle mehrfacher Zuwiderhandlung bis zu insgesamt zwei Jahren, zu unterlassen,
  46. a) biologisch abbaubare Polyester auf Basis von aliphatischen und aromatischen Dicarbonsäuren und aliphatischen Dihydroxyverbindungen,
  47. erhältlich nach einem Verfahren zur kontinuierlichen Herstellung eines biologisch abbaubaren Polyesters auf Basis von aliphatischen oder aliphatischen und aromatischen Dicarbonsäuren und aliphatischen Dihydroxyverbindungen, wobei eine Mischung aus den aliphatischen Dihydroxyverbindungen, den aliphatischen und aromatischen Dicarbonsäuren und gegebenenfalls weiteren Comonomeren (Komponente C), ohne Zugabe eines Katalysators, zu einer Paste vermischt werden oder alternativ die flüssigen Ester der Dicarbonsäuren und die Dihydroxyverbindung und gegebenenfalls weiteren Comonomeren, ohne Zugabe eines Katalysators, eingespeist werden, wobei
  48. i) in einer ersten Stufe diese Mischung zusammen mit der Gesamtmenge oder einer Teilmenge des Katalysators kontinuierlich verestert bzw. umgeestert wird;
    ii) in einer zweiten Stufe kontinuierlich das gemäß i) erhaltene Um- esterungs- bzw. Veresterungsprodukt bis zu einer Viskositätszahl nach DIN 53728 von 25 bis 55 cm3/g vorkondensiert wird;
    iii) in einer dritten Stufe kontinuierlich das aus ii) erhältliche Produkt bis zu einer Viskositätszahl nach DIN 53728 von 60 bis 170 cm3/g polykondensiert wird und
    iv) in einer vierten Stufe kontinuierlich das aus iii) erhältliche Produkt bis zu einer Viskositätszahl nach DIN 53728 von 150 bis 320 cm3/g in einer Polyadditionsreaktion mit einem Kettenverlängerer D umgesetzt wird,
  49. (Ansprüche 15,1 und 6 EP 2 268 XXX)
  50. wobei der biologisch abbaubare Polyester aufgebaut ist aus:
  51. A) einer Säurekomponente aus
  52. a1) 30 bis 99 mol-% Bernsteinsäure, Adipinsäure oder Sebacinsäure, deren Ester oder Mischungen davon
    a2) 1 bis 70 mol-% Terephthalsäure oder deren Ester und
    a3) 0 bis 5 mol-% einer sulfonatgruppenhaltigen Verbindung,
  53. wobei die Molprozente der Komponenten a1) bis a3) zusammen 100% ergeben
  54. und
  55. B) einer Diolkomponente aus:
  56. b1) mindestens äquimolaren Mengen zur Komponente A 1,4-Butandiol oder 1,3-Propandiol und
    b2) 0 bis 2 Gew.-% bezogen auf die Komponenten A und b1) Glycerin, Pentaerytrit, Trimethylolpropan
  57. und
  58. D) 0,01 bis 4 Gew.-% bezogen auf die Polyestermenge nach Stufe iii) Hexamethylendiisocyanat,
  59. (Ansprüche 2 und 3 EP 2 268 XXX)
  60. wobei die Veresterung/Umesterung (Stufe i)) in Form eines Hydrozyklons mit anhängendem Wärmetauscher und Stufe i), ii) und iii) in Gegenwart eines Titankatalysators durchgeführt wird,

    (Anspruch 4 EP 2 268 XXX)

  61. wobei Stufe ii) in einem Turmreaktor durchgeführt wird und der Produktstrom im Gleichstrom über eine Fallfilmkaskade geführt wird und die Reaktionsdämpfe in situ aus dem Reaktionsgemisch entfernt werden,
  62. (Anspruch 5 EP 2 268 XXX)
  63. in der Bundesrepublik Deutschland anzubieten, in Verkehr zu bringen, oder zu gebrauchen oder zu den genannten Zwecken entweder einzuführen oder zu besitzen;
  64. b) durch ein Verfahren zur kontinuierlichen Herstellung eines biologisch abbaubaren Polyesters auf Basis von aliphatischen oder aliphatischen und aromatischen Dicarbonsäuren und aliphatischen Dihydroxyverbindungen,
  65. bei dem eine Mischung aus den aliphatischen Dihydroxyverbindungen, den aliphatischen und aromatischen Dicarbonsäuren und gegebenenfalls weiteren Comonomeren (Komponente C), ohne Zugabe eines Katalysators, zu einer Paste vermischt werden oder alternativ die flüssigen Ester der Dicarbonsäuren und die Dihydroxyverbindung und gegebenenfalls weiteren Comonomeren, ohne Zugabe eines Katalysators, eingespeist werden, wobei
  66. i) in einer ersten Stufe diese Mischung zusammen mit der Gesamtmenge oder einer Teilmenge des Katalysators kontinuierlich verestert bzw. umgeestert wird;
    ii) in einer zweiten Stufe kontinuierlich das gemäß i) erhaltene Umesterungs- bzw. Veresterungsprodukt bis zu einer Viskositätszahl nach DIN 53728 von 20 bis 70 cm3/g vorkondensiert wird;
    iii) in einer dritten Stufe kontinuierlich das aus ii) erhältliche Produkt bis zu einer Viskositätszahl nach DIN 53728 von 60 bis 170 cm3/g polykondensiert wird und
    iv) in einer vierten Stufe kontinuierlich das aus iii) erhältliche Produkt bis zu einer Viskositätszahl nach DIN 53728 von 150 bis 320 cm3/g in einer Polyadditionsreaktion mit einem Kettenverlängerer D umgesetzt wird,
  67. unmittelbar hergestellte biologisch abbaubare Polyester in der Bundesrepublik Deutschland anzubieten, in Verkehr zu bringen, oder zu gebrauchen oder zu den genannten Zwecken entweder einzuführen oder zu besitzen,
    (Anspruch 1 EP 2 268 XXX)
  68. 2. der Klägerin unter Vorlage eines einheitlichen, geordneten Verzeichnisses in elektronischer Form vollständig darüber Auskunft zu erteilen, in welchem Umfang die Beklagte die zu Ziffer I. 1. bezeichneten Handlungen seit dem 14.11.2012 begangen hat, und zwar unter Angabe
  69. a) der Namen und Anschriften der Hersteller, Lieferanten und anderer Vorbesitzer,
  70. b) der Namen und Anschriften der gewerblichen Abnehmer sowie der Verkaufsstellen, für die die Erzeugnisse bestimmt waren,
  71. c) der Menge der hergestellten, ausgelieferten, erhaltenen oder bestellten Erzeugnisse sowie der Preise, die für die betreffenden Erzeugnisse bezahlt wurden,
  72. 3. der Klägerin unter Vorlage eines einheitlichen, geordneten Verzeichnisses in elektronischer Form vollständig darüber Rechnung zu legen, in welchem Umfang sie die zu Ziffer I. 1. bezeichneten Handlungen seit dem 14.12.2012 begangen hat, und zwar unter Angabe
  73. a) der einzelnen Lieferungen und Bestellungen, aufgeschlüsselt nach Typenbezeichnungen, Liefer- und Bestellmengen, -zeiten und -preisen sowie den Namen und Anschriften der Abnehmer und der Verkaufsstellen, für welche die Erzeugnisse bestimmt waren,
  74. b) der einzelnen Angebote, aufgeschlüsselt nach Typenbezeichnungen, Angebotsmengen, -zeiten und -preisen sowie den Namen und Anschriften der gewerblichen Angebotsempfänger,
  75. c) der betriebenen Werbung, aufgeschlüsselt nach Werbeträgern, deren Herstellungs- und Verbreitungsauflage, Verbreitungszeitraum und Verbreitungsgebiet,
  76. d) der nach den einzelnen Kostenfaktoren aufgeschlüsselten Gestehungskosten und des erzielten Gewinns,
  77. wobei die Beklagte hinsichtlich der Angaben zu lit. a) Rechnungen und für den Fall, dass keine Rechnungen vorhanden sind, Lieferscheine vorzulegen hat,
  78. wobei der Beklagten vorbehalten bleibt, die Namen und Anschriften ihrer nicht-gewerblichen Abnehmer und der Angebotsempfänger statt der Klägerin einem von dieser zu bezeichnenden, dieser gegenüber zur Verschwiegenheit verpflichteten, vereidigten und in der Bundesrepublik Deutschland ansässigen Wirtschaftsprüfer mitzuteilen, sofern die Beklagte die durch dessen Einschaltung entstehenden Kosten übernimmt und ihn ermächtigt, der Klägerin auf Anfrage mitzuteilen, ob ein bestimmter nicht-gewerblicher Abnehmer oder Angebotsempfänger in der Rechnungslegung enthalten ist;
  79. 4. die vorstehend zu Ziffer I. 1. bezeichneten, seit dem 14.12.2012 im Besitz Dritter befindlichen Erzeugnisse aus den Vertriebswegen zurückzurufen, indem diejenigen gewerblichen Abnehmer, denen durch die Beklagte oder mit deren Zustimmung Besitz an den Erzeugnissen eingeräumt wurde, unter Hinweis darauf, dass das Gericht mit dem hiesigen Urteil auf eine Verletzung des Klagepatents EP 2 268 XXX B1 erkannt hat, ernsthaft aufgefordert werden, die Erzeugnisse an die Beklagte zurückzugeben und ihnen für den Fall der Rückgabe der Erzeugnisse eine Rückzahlung des gegebenenfalls bereits gezahlten Kaufpreises sowie die Übernahme der Kosten der Rückgabe verbindlich zugesagt wird.
  80. II. festzustellen, dass die Beklagte verpflichtet ist, der Klägerin allen Schaden zu ersetzen, der ihr durch die unter Ziffer I. 1. bezeichneten, seit dem 14.12.2012 begangenen Handlungen entstanden ist und noch entstehen wird.
  81. Mit Versäumnisurteil vom 16.12.2019 (Bl. 41 GA – Bl. 49 GA), berichtigt durch Beschluss vom 18.12.2019 (Bl. 56 GA – Bl. 61 GA), hat das Landgericht Düsseldorf die Beklagte antragsgemäß verurteilt. Ausweislich Ziffer IV. des Tenors ist die Frist zur Einlegung des Einspruchs auf einen Monat festgesetzt worden. Gegen dieses am 23.12.2019 an der Adresse der Kingfa Sci. & Tech. (Europe) GmbH (Kasteler Straße 45, 65209 Wiesbaden) zugestellte Versäumnisurteil hat die Beklagte mit am 23.01.2020 eingehendem anwaltlichem Schriftsatz Einspruch eingelegt. Am 21.02.2020 ist das Versäumnisurteil dem Prozessbevollmächtigten der Beklagten zugestellt worden.
  82. Die Klägerin beantragt nunmehr,
  83. das Versäumnisurteil des Landgerichts Düsseldorf vom 16.12.2019 (Az.: 4b O 80/19), berichtigt durch Beschluss vom 18.12.2019, aufrechtzuerhalten.
  84. Die Beklagte beantragt,
  85. das Versäumnisurteil vom des Landgerichts Düsseldorf vom 16.12.2019 (Az.: 4b O 80/19), berichtigt durch Beschluss vom 18.12.2019, aufzuheben und die Klage abzuweisen;
  86. hilfsweise:
    das Verfahren bis zum rechtskräftigen Abschluss der gegen das Klagepatent gerichteten Nichtigkeitsklage auszusetzen.
  87. Die Beklagte behauptet, sie bringe das klagepatentgemäß geschützte Verfahren nicht zur Anwendung, auch mache die angegriffene Ausführungsform von der Lehre des Klagepatents keinen Gebrauch.
  88. Die Beklagte behauptet insbesondere unter Verweis auf das als Anlage AR24 vorgelegte Schaubild, die Veresterung der Dicarbonsäuren erfolge bei der angegriffenen Ausführungsform getrennt. Die aliphatische Dicarbonsäure und die aliphatische Dihydroxyverbindung sowie die aromatische Dircarbonsäure und die aliphatische Dihydroxyverbindung würden getrennt voneinander verestert. Hierbei werde der Katalysator in Form eines Titankatalysators bereits zu der Mischung aus aliphatischer Dihydroxyverbindung und aromatischer Dicarbonsäure zugesetzt. Erst die daraus entstandenen Ester würden vermischt werden.
  89. Auf dieser Grundlage sehe das Herstellungsverfahren der Beklagten die vom Klagepatent offenbarte „Vorstufe“, bei der durch die Mischung aus aliphatischen Dihydroxyverbindungen sowie aliphatischen und aromatischen Dicarbonsäuren (oder alternativ flüssigen Estern hiervon), und gegebenenfalls weiteren Comonomeren (Komponente C) ein 3-Komponenten Ausgangsstoffgemisch erzeugt werde, nicht vor. Des Weiteren gebe es die klagepatentgemäße Mischung auch zu keinem Zeitpunkt, ohne dass dieser bereits ein Katalysator beigegeben worden sei. Der Katalysator werde bei ihrem, der Beklagten, Herstellungsverfahren mithin vor der Vermischung der Komponenten zugegeben.
  90. Es fehle deshalb auch an einer ersten Verarbeitungsstufe entsprechend des klagepatentgemäßen Verfahrens. Denn wenn die beiden getrennt erzeugten Ester später vermischt würden, seien keine ausreichenden Dihydroxyverbindungen zur Reaktion für eine klagepatentgemäße kontinuierliche Veresterung mehr vorhanden. Selbst geringfügig überschüssige Dihydroxyverbindungen würden vor der Vermischung der beiden Ester weitgehend entfernt.
  91. Auch handele es sich bei der angegriffenen Ausführungsform um kein klagepatentgemäßes Erzeugnis.
  92. Die Säurezahl der angegriffenen Ausführungsform liege – wie die mit Anlage AR13 – Anlage AR17 (deutsche Übersetzungen: Anlage AR13a – Anlage AR17a) vorgelegten Laborberichte zeigen würden – bei über 1 mg KOH/g.
  93. Die angegriffene Ausführungsform zeige auch nicht die weiteren Eigenschaften, die sich bei Anwendung des Verfahrens entsprechend Anspruch 15 für das hergestellte Erzeugnis ergeben würden.
  94. Durch die Verwendung eines Turmreaktors weise ein klagepatentgemäßer Polyester insbesondere einen besonders niedrigen THF-Gehalt auf, den die angegriffene Ausführungsform nicht habe. Die angegriffene Ausführungsform weise vielmehr einen THF-Gehalt auf, der weit über demjenigen einer bloß geringen Verunreinigung liegen würde.
  95. Auch verfüge die angegriffene Ausführungsform nicht über die besonders „reine“ Farbgebung, zu der ein klagepatentgemäßes Verfahren durch die Verwendung eines Farbstabilisators führe.
  96. Zudem sei eine Vernichtung des Klagepatents zu erwarten. Denn den geltend gemachten Klagepatentansprüchen fehle es an der Neuheit bzw. an einer erfinderischen Tätigkeit.
  97.  Entscheidungsgründe
  98. Der Einspruch ist gem. § 338 ZPO statthaft und nach Maßgabe von §§ 339 Abs. 2 Satz 1, 340 ZPO form- und fristgemäß eingereicht.
  99. Aufgrund des zulässigen Einspruchs ist der Prozess gem. § 342 ZPO in die Lage zurückversetzt, in der er sich vor Eintritt der Versäumnis befand.
  100. Die zulässige Klage ist unbegründet.
  101. Da eine Verletzung des Klagepatents (Klagepatentansprüche 1 und 15) nicht festgestellt werden kann, stehen der Klägerin die geltend gemachten Ansprüche auf Unterlassen, Auskunftserteilung und Rechnungslegung, sowie Rückruf und Feststellung einer Schadensersatzpflicht dem Grunde nach nicht zu, Art. 64 Abs. 1 EPÜ i. V. m. § 139 Abs. 1, 2, § 140a Abs. 3, § 140b Abs. 1, 3 PatG und §§ 242, 259 BGB.
  102. I.
    Die Erfindung des Klagepatents betrifft ein Verfahren zur kontinuierlichen Herstellung eines biologisch abbaubaren Polyesters auf Basis von aliphatischen oder aliphatischen und aromatischen Dicarbonsäuren und aliphatischen Dihydroxyverbindungen (Abs. [0001] des Klagepatents; nachfolgend sind Abschnitte ohne Bezeichnung solche des Klagepatents) sowie biologisch abbaubare Polyester, die mit dem klagepatentgemäß vorgesehenen Verfahren erstmals zugänglich sind (Abs. [0005]).
  103. Der von dem Klagepatent einleitend in Bezug genommene Stand der Technik kennt einerseits diskontinuierliche Verfahren zur Herstellung biologisch abbaubarer Polyester auf Basis von aliphatischen und aromatischen Dicarbonsäuren und aliphatischen Dihydroxyverbindungen (Abs. [0006]) und andererseits kontinuierliche Verfahren zur Herstellung aromatischer Polyester (Abs. [0007]), mit denen das Klagepatent jeweils Nachteile in Verbindung bringt.
  104. Hinsichtlich vorbekannter diskontinuierlicher Verfahren zur Herstellung biologisch abbaubarer Polyester nennt das Klagepatent insbesondere (Batch)-Verfahren wie in der WO-A 92/09654 und der WO-A 96/15173) beschrieben (Abs. [0006], Z.42). Mit diesen gehe der Nachteil einher, dass die aliphatisch/aromatischen Polyester relativ lange im Reaktionskessel unter hohen Temperaturen verbleiben müssten, um ein hohes Molekulargewicht aufzubauen (Abs. [0006], Z.42 – 44). Die insoweit gewünschte Viskositätszahl nach DIN 53728 liege bei größer 160 cm3/g (Abs. [0006], Z. 44). Die lange Verweilzeit und die hohen Temperaturen würden zum teilweisen Wiederabbau der empfindlichen aliphatisch/aromatischen Polyester führen (Abs. [0006], Z. 45f.). Die Säuerzahl der Polyester steige rapide an und könne leicht Werte von größer 1,6 mg KOH/g erreichen (Abs. [0006], Z. 46f.), was bei der anschließenden Kettenverlängerung (insbes. mit Isocyanaten) Probleme verursache (Abs. [0006], Z. 47f.). Höhere Molekulargewichte ließen sich dann nicht mehr aufbauen (Abs. [0006], Z. 48). Derartige Materialien würden lediglich niedrige Viskositäten erreichen, häufig Stippen aufweisen und seien für zahlreiche Spritzguss- oder Extrusionsanwendungen nicht mehr nutzbar (Abs. [0006], Z. 48 – Z. 50). Schließlich würden biologisch abbaubare Polyester mit hoher Säurezahl eine sehr beschränkte Hydrolysestabilität zeigen (Abs. [0006], Z. 50f.).
  105. Hinsichtlich vorbekannter kontinuierlicher Verfahren zur Herstellung aromatischer Polyester wie „PET“ und „PBT“ bezieht sich das Klagepatent beispielhaft auf die WO 03/042278 und die DE-A 199 29 790 (Abs. [0007], Z. 53). Hieran kritisiert das Klagepatent, dass sich diese Verfahren nicht unmittelbar auf aliphatisch/aromatische Polyester übertragen ließen (Abs. [0007], Z. 53f.). Denn zum einen würden aromatische Polyester häufig höhere Säurezahlen aufweisen und zum anderen sei das Problem der Hydrolyseinstabilität bei aromatischen Polyestern weniger ausgeprägt als bei aliphatisch/aromatischen Polyestern (Abs. [0007], Z. 54f.).
  106. II.
    Vor dem Hintergrund des dargestellten Technikstands macht es sich das Klagepatent zur Aufgabe (technisches Problem), ein großtechnisches Verfahren bereitzustellen, das die Herstellung von biologisch abbaubaren aliphatischen oder aliphatisch/aromatischen (teilaromatischen) Polyestern mit Viskositäten nach DIN 53728 von 150 bis 320 und Säurezahlen nach DIN EN 12634 von kleiner 1,2 mg KOH/g, vorzugsweise kleiner 1,0 mg KOH/g, ermöglicht (Abs. [0008, Z. 57 ff.]. Gleichzeitig soll sich das Verfahren als prozessfähig und wirtschaftlich (Produktausbeute und Raum/Zeit-Ausbeute) erweisen (Abs. [0008], Z. 2f.].
  107. Hierfür sieht das Klagepatent ein Verfahren mit den folgenden Merkmalen vor:
  108. 1.1 Verfahren zur kontinuierlichen Herstellung eines biologisch abbaubaren Polyesters auf Basis von aliphatischen oder aliphatischen und aromatischen Dicarbonsäuren und aliphatischen Dihydroxyverbindungen,
  109. 1.2 wobei eine Mischung aus den aliphatischen Dyhydroxyverbindungen, den aliphatischen und aromatischen Dicarbonsäuren und gegebenenfalls weiteren Comonomeren (Komponente C), ohne Zugabe eines Katalysators, zu einer Paste vermischt werden oder alternativ die flüssigen Ester der Dicarbonsäuren und die Dihydroxyverbindungen und gegebenenfalls weiteren Comonomeren, ohne Zugabe eines Katalysators, eingespeist werden,
  110. 1.3 wobei
  111. 1.3.1 i) in eine [gemeint ist wohl „einer“] ersten Stufe diese Mischung zusammen mit der Gesamtmenge oder einer Teilmenge des Katalysators kontinuierlich verestert bzw. umgeestert wird;
  112. 1.3.2 ii) in einer zweiten Stufe kontinuierlich das gemäß i) erhaltene Umesterungs- bzw. Veresterungsprodukt bis zu einer Viskositätszahl nach DIN 53728 von 20 bis 70 cm3/g vorkondensiert wird;
  113. 1.3.3 iii) in einer dritten Stufe kontinuierlich das aus ii) erhältliche Produkt bis zu einer Viskositätszahl nach DIN 53728 von 60 bis 170 cm3/g polykondensiert wird und
  114. 1.3.4 iv) in einer vierten Stufe kontinuierlich das aus iii) erhältliche Produkt bis zu einer Viskositätszahl nach DIN 53728 von 150 bis 320 cm3/g in einer Polyadditionsreaktion mit einem Kettenverlängerer D umgesetzt wird.
  115. Der durch das erfindungsgemäße Verfahren bereitgestellte Polyester ist dadurch gekennzeichnet, dass er eine Viskositätszahl nach DIN 53728 im Bereich von 150 bis 320 cm3/g, vorzugsweise von 150 bis 250 cm3/g (Abs. [0068]), jedoch eine relativ geringe Säurezahl (im Allgemeinen bei 0,1 bis 70, bevorzugt bei 0,8 bis 70 und insbesondere bei 0,01 bis 0,7 mg KOH/g) (Abs. [0068], Abs. [0077], Abs. [0079]) und eine Schmelzvolumenrate („MVR“, vgl. Abs. [0079], Abs. [0103] und Abs. [0115]; englisch: „mel volume-flow rate“) von im Allgemeinen 0,1 bis 70, bevorzugt von 0,8 bis 70, und insbesondere bevorzugt von 1 bis 60 cm3/10 Min (nach EN I-SO1133) aufweist (Abs. [0068], Abs. [0079] und Abs. [0109], Z. 30 – 32 und Beispiel 2 nach Abs. [0118], Z. 3 – 8)). Mit dieser relativ hohen Viskosität bei gleichzeitig relativ geringer Säurezahl grenzt sich der geschützte Polyester zu vorbekannten aliphatisch/aromatischen Polyestern ab (Abs. [0112] und Abs. [0119], Z. 19 – 22 und Abs. [0101], Sp. 50).
  116. Die relativ hohe Viskositätszahl steht in einem Zusammenhang mit einem angestrebten hohen Molekulargewicht (zum Stand der Technik: Abs. [0006], Z. 44 und Z. 48; Abs. [0077, Z.26]. Die Viskositätszahl ist ein Maß für die Zähflüssigkeit des Polyesters. Für bestimmte Anwendungsgebiete des Polyesters (z. B. den in Abschnitt [0006] genannten Spritzguss- und Extrusionsanwendungen) bedarf es einer relativ hohen Viskosität. Auch die MVR ist ein Maß für die Viskosität des Polyesters und damit für dessen Molekulargewicht. Die MVR gibt das austretende Volumen des aufgeschmolzenen Polyesters aus einer definierten Düse (Kapillare) als Funktion der Zeit an. Je höher der MVR-Wert ist, desto niedriger ist die Viskosität des Polymers, weil binnen einer kurzen Zeit eine relativ größere Menge durch die Düse gelangt, und desto niedriger ist dessen Molekulargewicht.
  117. Eine geringe Säurezahl wird vor dem Hintergrund einer erhöhten Hydrolysestabilität angestrebt (zum Stand der Technik: Abs. [0006], Z. 50f.; Abs. [0110]) Je niedriger die Säurezahl der aliphatisch/aromatischen Copolyester, desto hydrolysestabiler sind die Polyester (Abs. [0077], Z. 27f.) und desto besser ist deren Lagerstabilität (Abs. [0077], Z. 30f.), was eine Bedeutung für die Prozessfähigkeit und Wirtschaftlichkeit großtechnischer Verfahren hat. Die Hydrolyse des Polyesters führt hingegen zu einem Molekulargewichtsabbau.
  118. Weiter schützt das Klagepatent nach Anspruch 15 einen biologisch abbaubaren Polyester.
  119. Dieser wird durch das Verfahren seiner Herstellung nach Anspruch 6 („biologisch abbaubarer Polyester […] erhältlich nach einem Verfahren gemäß Anspruch 6“) definiert (sog. „product-by-process-Anspruch“, vgl. auch BGH, GRUR 1993, 651 (655) – Tetraploide Kamille; OLG Düsseldorf, Urt. v. 15.03.2018, Az.: I-2 U 24/17, Rn. 56, zitiert nach BeckRS 2018, 7207 – Dauerbackware), wobei Anspruch 6 auf das Verfahren nach Anspruch 5 verweist und Anspruch 5 an ein Verfahren nach den Ansprüchen 1 – 4 anknüpft (zu den sich daraus ergebenden Merkmalen siehe nachfolgend unter Ziff. III. 2.).
  120. III.
    In Anbetracht des Streits der Parteien bedürfen die Merkmale 1.2 und 1.3.1 des klagepatentgemäßen Verfahrens nach Klagepatentanspruch 1 (dazu unter Ziff. 1.) sowie die verfahrensmäßig bestimmten Merkmale des Erzeugnisses nach Klagepatentanspruch 15 (dazu unter Ziff. 2) einer Auslegung.
  121. 1.
    Das Klagepatent offenbart den nach Klagepatentanspruch 1 geschützten Herstellungsprozess als vierstufiges Verfahren. Dies geht zum einen aus dem Anspruchswortlaut hervor, der die Verfahrensschritte ziffernmäßig benennt („erstens“, „zweitens“…) (vgl. Merkmalsgruppe 1.3). Zum anderen ist dies auch der Klagepatentbeschreibung in Abschnitt [0108] zu entnehmen. Ausgehend von dem Anspruchswortlaut werden dem Fachmann die einzelnen Verfahrensschritte zum einen durch den chemischen Vorgang beschrieben, der sich in diesen jeweils vollzieht, und zum anderen durch einen ziffernmäßigen Bereich für Viskositätszahlen (orientiert an der DIN 53728), die das Zwischen- bzw. Endprodukt jeweils erzielt. Des Weiteren ist in Merkmal 1.2 eine – von dem Klagepatent so bezeichnete (Abs. [0081]) – Vorstufe zu dem vierstufigen Herstellungsprozess, in der die Komponenten, aus denen der Polyester gebildet wird, zusammengeführt werden, offenbart.
  122. a)
    In der Vorstufe nach Merkmal 1.2 werden dem Anspruchswortlaut zufolge jedenfalls die Bestandteile des Polyesters in Form der aliphatischen Dihydroxyverbindungen und der aliphatischen und aromatischen Dicarbonsäuren vermengt. Damit verbindet das Klagepatent die Vorstellung, dass die Bestandteile vor den Verfahrensschritten nach Merkmalsgruppe 1.3 physikalisch zusammengebracht (Abs. [0081], Z. 52: „vorgemischt“; Abs. [0118], Z. 46: „physikalisch gemischt“) werden. Darüber hinaus kann optional (Anspruchswortlaut: „gegebenenfalls“) eine weitere „Komponente C“ beigegeben werden. Die Dicarbonsäuren können als freie Säuren eingesetzt werden (Abs. [0082]) – der Anspruchswortlaut spricht insoweit lediglich von „Dicarbonsäuren“ – oder alternativ können die flüssigen Ester der Dicarbonsäuren eingespeist werden (Abs. [0083]).
  123. Mit den beiden Varianten sind unterschiedliche technische Wirkungen im Hinblick auf die Säurezahlen der Präpolyester in den Stufen ii) und iii) des geschützten Verfahrens,
  124. „Die Säurezahl nach DIN EN 12634 der Präpolyester können nach Stufe ii) in Abhängigkeit von der Herstellungsweise noch vergleichsweise stark variieren. Startet man in der Vorstufe mit den freien Dicarbonsäuren [gemeint ist die Variante 1 nach Merkmal 1.2], so liegen die Säurezahlen am Ende der Stufe ii) noch relativ hoch; sie sinken jedoch in Stufe iii) noch ab. Ist man mit der Vorstufe mit den entsprechenden Dicarbonsäureestern gestartet, so ist die Säurezahl [a]m Ende der Stufe ii) vergleichsweise klein. Hier steigen jedoch die Säurezahlen im Verlauf der Stufe iii) an.“ (Abs. [0090], Z. 34 – Z. 38),
  125. verbunden.
  126. Die Zugabe eines Katalysators zum Zwecke der Umesterung/ Veresterung, die in Stufe i) des geschützten Verfahrens vorgesehen ist (Merkmal 1.3.1), erfolgt in dieser Vorstufe ausweislich des Anspruchswortlauts („ohne Zugabe eines Katalysators“) nicht. Zu welchem Zeitpunkt der Katalysator beigegeben wird, geben weder der Anspruchswortlaut, der in Merkmal 1.3.1 von der Anwesenheit des Katalysators ausgeht, ohne ein aktives Zutun desselben in der Stufe nach Merkmal 1.3.1 zu beschreiben, noch die Klagepatentbeschreibung (positiv) vor. Technisch-funktional ist erforderlich, dass der Katalysator jedenfalls dann in dem Gemisch vorhanden ist, wenn die Veresterung/ Umesterung (nach Merkmal 1.3.1) beginnt. Die Beigabe des Katalysators (erst) in Stufe i) des Verfahrens ist danach möglich (Abs. [0087], Z. 12f.), indes nicht zwingend. So weiß der Fachmann insbesondere, dass es jedenfalls zur Ausbildung des flüssigen Esters einer aromatischen Dicarbonsäure, wie er in das Gemisch der Vorstufe (Merkmal 1.2, 2. Alternative) eingebracht wird, eines Katalysators bedarf. Dieser aber ist ggf. dann auch in dem Gemisch der Vorstufe noch enthalten. Die Anwesenheit eines Katalysators beim Zusammenbringen der Komponenten nach Merkmal 1.2 „stört“ mithin nach der geschützten Lehre nicht, solange dieser nicht separat mit dem Zusammenfügen der übrigen in Merkmal 1.2 genannten Komponenten beigefügt wird. Das Klagepatent weist auch dem Teilmerkmal „ohne Zugabe eines Katalysators“ keine technische Funktion zu, die gegen ein solches Verständnis spricht, vielmehr schweigt es zum technischen Nutzen des Teilmerkmals.
  127. b)
    In der ersten Stufe des vierstufigen Herstellungsprozesses nach Merkmalsgruppe 1.3 erfolgt die Veresterung/ Umesterung der im Sinne von Merkmal 1.2 vorgemischten Komponenten unter Einsatz eines Katalysators (Merkmal 1.3.1). Die zweite Stufe wird als „Vorkondensation“ bezeichnet (Merkmal 1.3.2, Abs. [0109]). Das Ergebnis dieser Vorkondensation – im Anspruchswortlaut als Umesterungs- bzw. Veresterungsprodukt deklariert – kategorisiert das Klagepatent als „Präpolyester“ (Abs. [109], Z. 28). In der dritten Stufe erfolgt die Polykondensation (Merkmal 1.3.3). Auch die Zwischenprodukte dieser Stufe bezeichnet das Klagepatent als Präpolyester (Abs. [0078]). In der vierten Stufe findet die Polyadditionsreaktion statt (Merkmal 1.3.4). Sie führt zu dem klagepatentgemäßen Endprodukt.
  128. Die Viskositätszahl steigt von der zweiten Stufe (20 bis 70 cm3/g) bis zur vierten Stufe (150 bis 320 cm3/g) an.
  129. 2.
    Liegt – wie hier mit Klagepatentanspruch 15 – ein geschütztes Erzeugnis vor, dessen Beschaffenheit durch das Verfahren seiner Herstellung beschrieben wird, ist durch Auslegung des Patentanspruchs zu ermitteln, ob und inwieweit sich aus dem angegebenen Verfahren durch dieses bedingte körperliche oder funktionale Eigenschaften des daraus erhaltenen Gegenstandes ergeben, die das Erzeugnis als anspruchsgemäß qualifizieren (BGH, GRUR 2005, 749 (750f.) – Aufzeichnungsträger; ders., GRUR 2001, 1129 (1133) – zipfelfreies Stahlband). Es kommt darauf an, inwieweit sich den verfahrensmäßig definierten Merkmalen in ihrem technischen Sinngehalt Angaben über die erfindungsgemäße Beschaffenheit des beanspruchten Erzeugnisses entnehmen lassen (BGH, GRUR 2005, 749 (750f.) – Aufzeichnungsträger). Maßgeblich ist, wie der angesprochene Fachmann die Angaben zum Herstellungsweg versteht und welche Schlussfolgerungen er hieraus für die erfindungsgemäße Beschaffenheit der auf diesem Wege herstellbaren Sache zieht (BGH, GRUR 2001, 1129 (1133) – zipfelfreies Stahlband).
  130. Ausgehend von diesen Grundsätzen ist das nach Anspruch 15 geschützte Erzeugnis durch folgende Merkmale gekennzeichnet:
  131. 15. biologisch abbaubarer Polyester auf Basis von aliphatischen und aromatischen Dicarbonsäuren und aliphatischen Dihydroxyverbindungen
  132. 15.1. aufgebaut aus
  133. 15.1.1. A) einer Säurekomponente aus
  134. 15.1.1.1 a1) 30 bis 99% mol-% Bernsteinsäure, Adipinsäure oder Sebacinsäure, deren Ester oder Mischungen davon
  135. 15.1.1.2 a2) 1 bis 70 mol-% Terephtalsäure oder deren Ester und
  136. 15.1.1.3 a3) 0 bis 5 mol-% einer sulfonatgruppenhaltigen Verbindung,
  137. 15.1.1.4 wobei die Molprozente der Komponenten a1) bis a3) zusammen 100% ergeben und
  138. 15.1.2 B) einer Diolkomponente aus:
  139. 15.1.2.1 b1) mindestens äquimolare Mengen zur Komponente A 1,4-Butandiol oder 1,3-Propandiol und
  140. 15.1.2.2 b2) 0 bis 2 Gew.-% bezogen auf die Komponente A und b1) Glycerin, Pentaerytrit oder Trimethylolpropan und
  141. 15.1.3 D) 0,01 bis 4 Gew.-% bezogen auf die Polyestermenge nach Stufe iii Hexamethylendiisocyanat,
  142. 15.2 mit einer Viskositätszahl nach DIN 53728 von größer 160 cm3 / g,

    15.3 mit einer Säurezahl von kleiner 1 mg KOH/g sowie

  143. 15.4 einer MVR nach EN ISO 1133 kleiner als 6,0 cm3 / 10 min,
  144. 15.5 enthaltend Spuren eines Titankatalysators,
  145. 15.6 mit einer nur geringfügigen Verunreinigung durch THF.
  146. a)
    Zwischen den Parteien besteht Einigkeit darüber, dass der geschützte Polyester aus bestimmten Säure- und Diolkomponenten sowie einer weiteren Komponente in Form von Hexamethylendiisocyanat (Ansprüche 1 – 3) aufgebaut ist (Merkmalsgruppe 15.1).
  147. b)
    Der Fachmann deutet als weitere Beschaffenheitsmerkmale des geschützten Polyesters, die sich aus der in dem hier maßgeblichen Patentanspruch beschriebenen Verfahrensweise ergeben, dessen Viskositätszahl, Volumenschmelzrate sowie dessen Säurezahl (Merkmal 15.2 – 15.4).
  148. Der Fachmann leitet dies insbesondere aus Abschnitt [0109] her, der Teil der allgemeinen Beschreibung ist, die einen klagepatentgemäßen Polyester betrifft (vgl. Abs. [0108]). Danach entsteht mit dem Durchführen der Vorkondensation gemäß Stufe ii) in einem Turmreaktor, wie durch den Anspruch 5 vorgesehen, ein Präpolyester mit einer Viskositätszahl von 25 bis 55 cm3/g (Anspruch 6) und ein Polyester (Stufe iv)) mit besonders bevorzugten Werten für die Viskositätszahl (nach DIN 53728 von größer 160 cm3/g) und für die Volumenschmelzrate (nach EN I-SO 1133 kleiner als 6,0 cm3/10 Min) einerseits sowie für die Säurezahl (kleiner als 1 mg KOH/g) andererseits,
  149. „[…] Mit dieser Ausführungsform des erfindungsgemäßen Verfahrens lassen sich erstmals aliphatisch/aromatische Polyester mit einer Viskositätszahl nach DIN 53728 von größer 160 cm3/g und einer Säurezahl von kleiner 1 mg KOH/g sowie einer MVR nach EN I-SO 1133 kleiner als 6,0 cm3/10 Min. herstellen.“ (Abs. [0109], Z. 29 – 32).
  150. Ein weiterer Passus der Beschreibung, der diesen Zusammenhang offenlegt, findet sich in Abschnitt [0091], wenn es dort heißt:
  151. „- In der Regel lassen sich mit der oben beschriebenen Fahrweise [gemeint ist die Vorkondensation in einem Turmreaktor] aliphatisch/aromatische Präpolyester mit einer Viskositätszahl nach DIN 53728 von 25 bis 55 cm3/g herstellen. Weiterhin weisen diese Präpolyester sehr niedrige Säurezahlen nach DIN EN 12634 auf.“ (Z. 54 – 56).
  152. In ähnlicher Weise wird ein Zusammenhang zwischen dem Verfahren nach Anspruch 6 und den Eigenschaften des Polyesters in Form der Viskositätszahl, der Säurezahl und der Volumenschmelzrate in Abschnitt [0010] (Z. 6 – 9) beschrieben.
  153. c)
    Der geschützte Polyester enthält weiter Spuren eines Titankatalysators (Merkmal 15.5). Auch darüber bestehen zwischen den Parteien keine unterschiedlichen Auffassungen.
  154. Gegenstand des Klagepatents ist ein „biologisch abbaubarer“ Polyester. Stoffe, die einer solchen biologischen Abbaubarkeit entgegenstehen – das Klagepatent definiert in Abschnitt [0070], was es darunter versteht – sind daher als Bestandteile des Polyesters unerwünscht. In Abschnitt [0087] werden – vor dem Hintergrund der biologischen Abbaubarkeit – Titan-Katalysatoren als vorzugsweise beschrieben,
  155. „Titan-Katalysatoren […] haben gegenüber den in der Literatur häufig verwendeten […]-Verbindungen […] zudem den Vorteil, dass im Produkt verbleibende Restmengen des Katalysators oder Folgeprodukte des Katalysators weniger toxisch sind. Dieser Umstand ist bei den biologisch abbaubaren Polyestern besonders wichtig, da sie beispielsweise als Kompostierbeutel oder Mulchfolien unmittelbar in die Umwelt gelangen.“ (Z. 14 – 18).
  156. Die Verwendung eines Titan-Katalysators ist zudem Gegenstand des – auch für die Herstellung des Erzeugnisses nach Anspruch 15 bedeutsamen – Unteranspruchs 4. Zu Recht steht daher zwischen den Parteien außer Streit, dass der Fachmann auf der Grundlage seines allgemeinen Fachwissens erkennt, dass der nach Anspruch 15 geschützte Polyester Spuren eines Titankatalysators enthält.
  157. d)
    Der klagepatentgemäße Polyester ist – was zwischen den Parteien in Streit steht – weiter dadurch gekennzeichnet, dass er im Vergleich zu einem Polyester, bei dessen Herstellung ein Turmreaktor in der Stufe ii) der Vorkondensation nicht zum Einsatz gelangt, einen nur geringen THF-Gehalt aufweist (Merkmal 15.6).
  158. aa)
    Für eine solche Betrachtung spricht zunächst der für die Anspruchsauslegung maßgebliche Wortlaut (des Anspruchs 5), wonach „Reaktionsdämpfe“ in situ [bedeutend: „unmittelbar vor Ort“] aus dem Reaktionsgemisch entfernt werden. Das Abführen der Reaktionsgemische führt aus der Sicht des Fachmannes zu einem Verfahrenserzeugnis, in dem solche Substanzen, die beim Durchlaufen des Turmreaktors abgeführt werden, bzw. die sich als Produkte einer (Neben)Reaktion mit solchen Substanzen erweisen, in einer geringeren Menge vorhanden sind, als wenn der Turmreaktor nicht zum Einsatz gelangt. Als ein solches Nebenprodukt nennt die Klagepatentschrift insbesondere auch THF (= Tetrahydrofuran) (Abs. [0091], Z. 40 – 43 und Abs. [0092]).
  159. bb)
    In dem Verständnis wird der Fachmann weiter auch durch den Inhalt der Klagepatentbeschreibung gestützt.
  160. Der Fachmann versteht auch den Sinngehalt verfahrensmäßig bestimmter Merkmale grundsätzlich dahingehend, dass zu den Sachmerkmalen des Anspruchs die körperlichen und funktionalen Eigenschaften des Erzeugnisses gehören, die sich aus der Anwendung des Verfahrens bei dessen Herstellung ergeben (BGH GRUR 2001, 1129 (1133) – zipfelfreies Stahlband).
  161. Abschnitt [0091] lehrt, dass das Abführen des Reaktionsgemisches den THF-Gehalt in der Stufe ii) jedenfalls reduziert (Z. 42 und Z. 52f.),
  162. „- die kontinuierliche Abführung der Reaktionsdämpfe in situ aus dem Reaktionsgemisch schiebt das Gleichgewicht bei bereits sehr schonender Fahrweise auf die Seite der Reaktionsprodukte. Durch die rasche Abführung der Reaktionsdämpfe werden weiterhin Nebenreaktionen vermieden bzw. zumindest unterdrückt.“ (Abs. [0091], Z. 51 – 53).
  163. Daraus leitet der Fachmann auch einen minimierten THF-Gehalt in dem Erzeugnis eines Verfahrens nach Anspruch 5 ab (dazu weiter unter lit. cc)).
  164. Zwar erkennt der Fachmann, dass die Reduzierung des THF-Gehalts zu dem erfindungswesentlich angestrebten Erfolg keinen Beitrag leistet. Denn darauf, dass der geschützte Polyester als Verpackung für Lebensmittel zum Einsatz gelangt – was möglich ist, wenn die Menge des toxischen THF gering ist – kommt es dem Klagepatent nicht an. Mit Blick darauf, einen Polyester mit einer gewissen Viskosität einerseits und einer gewissen Säurezahl andererseits bereitzustellen (Abs. [0008]), geht es dem Klagepatent vielmehr darum, durch das Entfernen der Reaktionsdämpfe, insbesondere von Wasser, dafür zu sorgen, dass es nicht zu einer Rückreaktion der bereits gebildeten Präpolyester mit Wasser kommt – darauf weist die Beschreibung gerade hin, wenn sie davon spricht, das Gleichgewicht auf die Seite der Reaktionsprodukte zu verschieben (Abs. [0091], Z. 51f.). Die Bedeutung des Turmreaktors für die angestrebten Viskositäts- und Säurezahlbereiche betont auch Abschnitt [0109] ein weiteres Mal.
  165. Der fehlende Zusammenhang zwischen dem erfindungswesentlich angestrebten Erfolg und einem minimierten THF-Gehalt ändert indes nichts daran, dass dem Fachmann das Abführen von THF in dem bereits zitierten Abschnitt [0091] als unweigerlich mit dem Einsatz eines Turmreaktors einhergehend offenbart wird, und ihm im Zusammenhang mit dem Entfernen des THF auch ein technischer Effekt derart beschrieben wird, dass Nebenreaktionen vermieden werden (Abs. [0091], Z. 52f.). Der Fachmann betrachtet so auch einen – im Vergleich zur Vorkondensation ohne Turmreaktor – reduzierten THF-Gehalt in dem Verfahrenserzeugnis gleichermaßen wie die Viskositätszahl und die Säurezahl als Beschaffenheitsmerkmal des geschützten Polyesters. Das gilt umso mehr, als diesem auf der Grundlage seines Fachwissens auch bekannt ist, dass sich die Produktqualität des Polyesters durch einen geringen THF-Gehalt insoweit verbessert als THF toxisch ist, er mithin einen technischen Effekt kennt, den die Vermeidung von Nebenreaktionen mit sich bringt.
  166. Unschädlich ist in diesem Zusammenhang, dass das Klagepatent den geringeren THF-Gehalt nicht ziffernmäßig bestimmt. Das Klagepatent beschreibt – wie aufgezeigt – den sich aus dem Abführen der Brüden (insbesondere Wasser, THF, überschüssiges Diol, vgl. auch Abs. [0092]) ergebende technische Effekt, nämlich die Vermeidung von Nebenreaktionen, woraus sich zugleich die Minimierung des THF-Gehalts in dem Erzeugnis ergibt. Einer Quantifizierung dieses Effekts bedarf es darüber hinaus nicht zwingend.
  167. cc)
    Die Klägerin meint, das hier dargelegte Verständnis sei deshalb unzutreffend, weil es auch im Rahmen nachfolgender Reaktionsstufen in Abhängigkeit zur Temperaturbelastung und der Belastung durch Scherkräfte zur Ausbildung von THF komme. Zur Ausbildung von THF komme es insbesondere bei der Polykondensation nach Stufe iii) (Merkmal 1.3.3), wie auch die Abschnitte [0117] und [0118] zu erkennen geben würden, die beschreiben, dass auch in Stufe iii) noch Butandiol abdestilliert wird. Die Ausbildung von THF in späteren Stufen des klagepatentgemäßen Verfahrens steht aber der Annahme, dass der THF-Gehalt in dem Verfahrenserzeugnis aufgrund des Einsatzes eines Turmreaktors in Stufe ii) minimiert ist, nicht entgegen.
  168. Die Beklagte hat insoweit dargetan, dass es in nachfolgenden Stufen des klagepatentgemäßen Verfahrens lediglich noch zu einer geringen Ausbildung von THF komme. Hierbei sei zu berücksichtigen, dass THF vor allem durch die Reaktion von Butandiol mit sich selbst entstehe, wobei die Reaktion durch die Anwesenheit von Wasser noch verstärkt werde. Wenn Butandiol vollständig reagiert habe bzw. – wie bei dem Einsatz eines Turmreaktors – überschüssiges Butandiol (und auch Wasser) abdestilliert werde, führe dies auch dazu, dass nur noch THF in geringem Umfang entstehe. Weiter sei die Bildung von THF in der Stufe iii) auch deshalb nur gering, weil die Reaktion vor allem dann ablaufe, wenn die Konzentration von Butandiol hoch sei, was zu Beginn des Prozesses bei der Veresterung (Stufe ii)) der Fall sei. Im Ergebnis führe der Einsatz des Turmreaktors in der Stufe ii) so auch zu einer Minimierung des THF-Gehalts im Endprodukt. Das abgeführte THF steht so als Edukt für weitere Nebenreaktionen in späteren Stufen nicht mehr zur Verfügung. Diese Ausführungen der Beklagten werden durch das von ihr vorgelegte Privatgutachten des Prof. Dr.-Ing. Rieckmann substantiiert (Anlage AR8, dort insbesondere S. 3, unter Ziff. 1.2 und S. 4, unter Ziff. 3.). Diesen Ausführungen ist die Klägerin nicht in prozessrechtlich relevanter Art und Weise entgegengetreten.
  169. Soweit die Klägerin sich weiter darauf bezieht, dass es zu einer Erhöhung des THF-Gehalts auch beim Extrudieren, um das Produkt zu Granulieren, oder beim Compoundieren (Mischen mit anderen Komponenten) kommen könne, steht das dem
    vertretenen Auslegungsergebnis schon deshalb nicht entgegen, weil es sich dabei um Verarbeitungsschritte handelt, die außerhalb des klagepatentgemäßen Verfahrens liegen. Ähnliches gilt, soweit die Klägerin geltend macht, es seien andere – außerhalb des klagepatentgemäßen Verfahrens liegende – Möglichkeiten bekannt, mit denen der THF-Gehalt erheblich reduziert werden könne, und THF verflüchtige sich bei längeren Lagerzeiten des Polyesters. Dies ändert nichts daran, dass dem Fachmann im Rahmen der hier streitgegenständlichen Lehre der Einsatz eines Turmreaktors zur Minimierung des THF-Gehalts offenbart wird und das geschützte Verfahren so – auch ohne andere Maßnahmen oder längeren Lagerzeiten – ein Verfahrenserzeugnis mit einem geringen THF-Gehalt hervorbringt (zu den in diesem Absatz genannten Aspekten für die Beurteilung der Merkmalsverwirklichung unter Ziffer IV., 1.).
  170. e)
    Der Fachmann ordnet dem Polyester nach Anspruch 15 hingegen keine Eigenschaft zu, wonach dieser eine besonders „reine“ Farbgebung aufweist.
  171. Die Beklagte meint, dies ergebe sich daraus, dass der Präpolyester in dem Polykondensationsschritt nach Stufe iii) klagepatentgemäß mit einem Farbstabilisator versetzt wird (Unteranspruch 7 und Abs. [0094]). Bei diesem Verständnis lässt die Beklagte jedoch außer Acht, dass – was der Fachmann der Beschreibung (Abs. [0094], Z. 9: „gegebenenfalls mit einem Farbstabilisator“) entnimmt – der Einsatz eines solchen nach der Lehre des Klagepatents grundsätzlich optional ist. Dem hier geltend gemachten Vorrichtungsanspruch 15, der einen Verweis auf die Verfahren nach den Ansprüche 1 – 6 enthält, lässt sich demgegenüber kein verfahrensmäßig definiertes Merkmal entnehmen, welches den Einsatz eines Farbstabilisators vorsieht.
  172. IV.
    Ausgehend von dem dargelegten Verständnis verletzt die angegriffene Ausführungsform weder Klagepatentanspruch 15, § 9 Satz 2 Nr. 1 PatG (dazu unter Ziff. 1.), noch handelt es sich um ein nach dem Verfahren gemäß Klagepatentanspruch 1 hergestelltes Erzeugnis, § 9 Satz 2 Nr. 3 PatG (dazu unter Ziff. 2.).
  173. 1.
    Die angegriffene Ausführungsform macht von der Lehre des Klagepatentanspruchs 15 nicht unmittelbar wortsinngemäß Gebrauch, § 9 Satz 2 Nr. 1 PatG.
  174. Dabei kommt es vorliegend auf den Streit der Parteien, ob die angegriffene Ausführungsform eine Säurezahl innerhalb des beanspruchten Bereichs aufweist (Merkmal 15.3), nicht an. Denn jedenfalls führt der THF-Gehalt der angegriffenen Ausführungsform aus dem Schutzbereich des Patentanspruchs 15 heraus (Merkmal 15.6).
  175. Die Beklagte hat vorliegend aufgezeigt, dass die angegriffene Ausführungsform, von der die Klägerin nicht erheblich in Abrede gestellt hat, dass diese ohne Turmreaktor hergestellt wird, einen gegenüber dem Produkt der Klägerin mit der Bezeichnung „C“ (auch bezeichnet als „D“), das unter Einsatz eines Turmreaktors erzeugt wird, erheblich höheren THF-Gehalt aufweist. Dies rechtfertigt die Annahme, dass die Verunreinigung der angegriffenen Ausführungsform mit THF über den TFH-Gehalt hinausgeht, den ein Polyester, der unter Einsatz eines Turmreaktors hergestellt worden ist, aufweist.
  176. Dabei hat die Beklagte den sog. Migrationswert des Produkts der Klägerin sowie der angegriffenen Ausführungsform in ein Verhältnis zueinander gesetzt. Der Migrationswert gibt an, in welcher Menge Bestandteile von Materialien in Lebensmittel übergehen. In der Verordnung (EU) Nr. 10/2011 der Kommission vom 14.01.2011 über Materialien und Gegenstände aus Kunststoff, die dazu bestimmt sind, mit Lebensmitteln in Berührung zu kommen (im Folgenden: Migrations-VO) werden Migrationsgrenzwerte für verschiedene Stoffe festgelegt. Nach Art. 3 Nr. 13 i. V. m. Art. 11 Abs. 1 der Migrations-VO (auszugsweise vorgelegt als Anlage AR20) gibt der „spezifische Migrationsgrenzwert“ (SML) die höchstzulässige Menge eines bestimmten Stoffes, die aus einem Material oder Gegenstand in ein Lebensmittel abgegeben werden darf, an. Für THF liegt dieser bei 0,6 mg/kg (s. Anlage AR20, Anhang I, Tabelle, FCM-Stoff-Nr. 246).
  177. Das Produkt der Klägerin hält diesen Grenzwert – wie das als Anlage AR21 vorgelegte „E“ zeigt – ein. Der Migrationswert der angegriffene Ausführungsform liegt hingegen bei 5,65 mg/kg (angegriffene Ausführungsform mit der Bezeichnung „F“) bzw. bei 3,85 mg/kg (angegriffene Ausführungsform mit der Bezeichnung „B“), übersteigt den vorgegebenen Wert mithin um das 9- bzw. 6-fache.
  178. Die primär darlegungsbelastete Klägerin hat demgegenüber nicht hinreichend aufgezeigt, dass diese erheblichen Unterschiede in den Migrationswerten damit begründet werden können, dass die angegriffene Ausführungsform in Form eines Granulats vertrieben wird, was zur Ausbildung von THF führt. Die Klägerin hat auch nicht in Abrede gestellt, dass bei der Herstellung der angegriffenen Ausführungsform ein Turmreaktor nicht zum Einsatz gelangt. Gegen die Annahme einer Merkmalsverwirklichung steht auch nicht der Umstand, dass das Klagepatent den THF-Gehalt nicht quantifiziert, insbesondere keinen Grenzwert für den maximal zulässigen THF-Gehalt nennt. Es ist gerade das Wesen eines „product-by-process-Anspruchs“ ein Merkmal, insbesondere ein solches, das ggf. nicht genauer quantifizierbar ist, anhand der Verfahrensweise hinreichend zu beschreiben.
  179. Soweit die Klägerin „Ersatzursachen“ (Trocknung des Produkts mit Heißluft, lange Lagerung) dafür anführt, weshalb es – auch ohne Verwendung eines Turmreaktors – zu einem geringen THF-Gehalt in einem Polyester kommen kann, haben diese für die Frage der Merkmalsverwirklichung der angegriffenen Ausführungsform vorliegend deshalb keine Relevanz, weil der THF-Gehalt in der angegriffenen Ausführungsform – wie beschrieben – jedenfalls im Verhältnis zu den in der Migrations-VO festgelegten Werten und dem Produkt der Klägerin erheblich hoch ist. Das heißt selbst, wenn diese Maßnahmen getroffen worden sind, ist die Verunreinigung mit THF noch immer erheblich.
  180. Soweit die Klägerin die Messungen des THF-Gehalts der angegriffenen Ausführungsform durch die Beklagte bemängelt, legt sie in diesem Zusammenhang keine eigenen Untersuchungsergebnisse vor.
  181. 2.
    Bei der angegriffenen Ausführungsform handelt es sich auch nicht um ein Erzeugnis, das durch ein Verfahren gemäß Klagepatentanspruch 1 unmittelbar hergestellt wird, § 9 Satz 2 Nr. 3 PatG. Es fehlt an einer Verwirklichung des Merkmals 1.2.
  182. a)
    Die für die Verletzung des Klagepatents grundsätzlich darlegungs- und beweisbelastete Klägerin kann sich vorliegend nicht auf die Beweiserleichterung des § 139 Abs. 3 Satz 1 PatG berufen.
  183. Der Schutzrechtsinhaber muss, damit ihm die Regelung des § 139 Abs. 3 Satz 1 PatG, die eine volle Umkehr der Beweislast beinhaltet (Grabinski/ Zülch, in: Benkard, PatG, Kommentar, 11. Auflage, 2015, § 139, Rn. 119), zu Gute kommt, einerseits dartun und beweisen, dass es sich bei dem geschützten Verfahren um ein solches handelt, das ein neues Erzeugnis im Sinne der genannten Vorschrift hervorbringt, und andererseits, dass es sich bei dem von dem anderen hergestellte Erzeugnis um ein „gleiches“ Erzeugnis (wie das durch das geschützte Verfahren entstehende) handelt. Jedenfalls an der zuletzt genannten Voraussetzung fehlt es vorliegend.
  184. aa)
    Im Ausgangspunkt unschädlich ist, dass die Klägerin die Neuheit des Verfahrenserzeugnisses, die an dem Neuheitsbegriff des § 3 PatG orientiert ist (Grabinski/ Zülch, ebd., § 139, Rn. 121), vorliegend mit einem Erzeugnis begründet, welches nach einem Verfahren gemäß Unteranspruch 6 hergestellt worden ist, im Hinblick auf eine Verletzung indes geltend macht, „lediglich“ die Lehre des Klagepatentanspruchs 1 werde durch die angegriffene Ausführungsform als Verfahrenserzeugnis genutzt (§ 9 Satz 2 Nr. 3 PatG).
  185. Die Vorschrift des § 139 Abs. 3 Satz 1 PatG wird als prozessuales Korrelat zu der materiell-rechtlichen Bestimmung des § 9 Satz 2 Nr. 3 PatG begriffen, wonach sich die Wirkung eines für ein Verfahren erteiltes Patent auch auf die durch das Verfahren unmittelbar hergestellten Erzeugnisse erstreckt (Grabinski/ Zülch, ebd., § 139, Rn. 119). Sie dient dazu, Inhabern von Verfahrenspatenten zur Herstellung neuer Stoffe eine Beweiserleichterung zu verschaffen, weil sich oftmals aus dem bloßen Augenschein des Stoffes keine Rückschlüsse auf den Herstellungsweg ziehen lassen (BGH, GRUR 1977, 100 (103f.) – Alkylendiamine II). Liegt ein irgendwie neues Erzeugnis vor und ist nur ein Weg zu seiner Herstellung bekannt, so ist – bis zum Beweis des Gegenteils – die Annahme gerechtfertigt, dass Erzeugnisse gleicher Beschaffenheit mittels dieses Verfahrens hergestellt worden sind (a.a.O.).
  186. Die damit genannten Wertungen treffen auch auf die hier vorliegende Fallkonstellation zu.
  187. Zunächst ist zu beachten, dass der gesetzgeberisch angestrebte Zusammenhang zwischen der Regelung nach § 9 Satz 2 Nr. 3 PatG und derjenigen nach § 139 Abs. 3 Satz 1 PatG erhalten bleibt. Denn Erzeugnisse, die nach dem Unteranspruch 6 hergestellt worden sind, sind stets auch nach einem Verfahren gemäß dem Klagepatentanspruch 1 hergestellt, weil der Unteranspruch 6 auf diesen verweist. Es entsteht auch kein Wertungswiderspruch dadurch, dass die Klägerin sich – im Rahmen der hier gebotenen Neuheitsprüfung zu ihren Gunsten – auf einen Unteranspruch mit einem gegenüber dem Hauptanspruch engeren Schutzbereich stützt. Denn sie hat dann – bei der Frage, ob ein Erzeugnis gleicher Beschaffenheit vorliegt – auch darzulegen und ggf. zu beweisen, dass das von ihr angegriffene Verfahrenszeugnis gerade auch die Eigenschaften aufweist, die durch die Verfahrensschritte, die erst Gegenstand des Unteranspruchs 6 sind, erzeugt werden, und insoweit ein „Mehr“ an Tatsachen aufzuzeigen, als wenn sie sich „lediglich“ auf die Neuheit eines Erzeugnisses entsprechend dem Verfahrensanspruch 1 gestützt hätte.
  188. Schließlich ergibt sich auch nichts anderes daraus, dass Gegenstand der Neuheitsprüfung nach § 139 Abs. 3 Satz 1 PatG dann ein „ungeprüftes Schutzrecht“ insoweit ist, als dem Erteilungsakt keine Aussage über die Neuheit gerade des Unteranspruchs 6 (unabhängig von der Neuheit des Verfahrensanspruchs 1) innewohnt. Diese Erwägungen mögen eine Relevanz für die Frage haben, ob ein Verfahren in Ermangelung eines hinreichend gesicherten Rechtsbestandes und vor dem Hintergrund eines anhängigen Nichtigkeitsverfahrens auszusetzen ist. Bei der Aussetzungsfrage nämlich obliegt es grundsätzlich dem Patentnutzer aufzuzeigen, dass die Vernichtung des Klagepatents (wegen fehlender Neuheit) mit einer (überwiegenden) Wahrscheinlichkeit zu erwarten ist, die die Aussetzung rechtfertigt (BGH, GRUR 2014, 1237, 1238 – Kurznachrichten; OLG Düsseldorf, GRUR-RS 2015, 18679, Rn. 74). In diesem Zusammenhang kann dem Patentverletzer ein reduzierter Aussetzungsmaßstab mit dem Argument, dass ein in dem dargestellten Sinne „ungeprüftes Schutzrecht“ vorliegt, zu Gute kommen. Im Rahmen des § 139 Abs. 3 Satz 1 PatG hat aber ohnehin der Patentinhaber den vollen Beweis dafür zu erbringen, dass das Erzeugnis neu ist.
  189. bb)
    Der nach den Ausführungen unter lit. aa) gebotene „Gleichlauf“ bei der Bewertung der Neuheit des Erzeugnisses einerseits mit derjenigen der gleichen Beschaffenheit des angegriffenen Produkts andererseits führen im vorliegenden Fall dazu, dass die Beweiserleichterung nicht zur Anwendung gelangt. Denn ein Polyester nach dem Unteranspruch 6 weist unter anderem einen nur geringen THF-Gehalt auf, der bei der angegriffenen Ausführungsform nicht festgestellt werden kann.
  190. Im Hinblick auf die Eigenschaften, die ein Polyester kennzeichnen, der nach einem Verfahren gemäß Unteranspruch 6 hergestellt ist, kann auf die Ausführungen zur Auslegung des Klagepatentanspruchs 15 (unter Ziffer III. 2.) verwiesen werden. Denn dieser schützt ein Erzeugnis nach dem Verfahren gemäß Unteranspruch 6.
  191. Ein nur geringer THF-Gehalt aber kann bei der angegriffenen Ausführungsform nicht festgestellt werden. Auf die vorherigen Ausführungen unter Ziffer 1., die hier entsprechend gelten, wird insoweit verwiesen.
  192. b)
    Ausgehend von der von der Beklagten behaupteten Verfahrensweise bei der Herstellung der angegriffenen Ausführungsform, die die Klägerin sich hilfsweise zu Eigen macht, fehlt es an einer Verwirklichung des Merkmals 1.2.
  193. Die Beklagte hat ihr Vorbringen zur Herstellungsweise der angegriffenen Ausführungsform insoweit substantiiert, als sie unter Verweis auf die nachfolgende Skizze (vorgelegt als Anlage AR24, S. 2):
  194. ausgeführt hat, dass bei ihrem Verfahren die aliphatische und die aromatische Dicarbonsäure jeweils getrennt voneinander mit der Dihydroxyverbindung verestert werden, wobei der Mischung der aromatischen Dicarbonsäure mit der Dihydroxyverbindung auch bereits ein Katalysator beigegeben werde. Erst im Anschluss an diese Veresterung der einzelnen Komponenten würden die Ester der aromatischen und aliphatischen Dicarbonsäure zusammengebracht.
  195. Zwischen den Parteien besteht Einigkeit darüber, dass auf dieser Grundlage überhaupt nur eine Verwirklichung des Merkmals 1.2 nach der zweiten im Anspruchswortlaut genannten Alternative zu erwägen ist, wonach nicht die freien Dicarbonsäuren, sondern deren flüssige Ester zum Einsatz gelangen.
  196. Aber auch diese Alternative liegt bei dem von der Beklagten vorgetragenen Verfahren nicht vor.
  197. Unschädlich ist nach dem hier vertretenen Auslegungsergebnis (dazu unter Ziff. III., 1. a)) zwar, dass der Katalysator, der zur Veresterung der aromatischen Dicarbonsäure zum Einsatz gelangt ist, bereits beim Zusammenführen der aliphatischen und der aromatischen Dicarbonsäureester anwesend ist. Denn jedenfalls erfolgt keine aktive Zugabe eines Katalysators bei dem Vermengen der beiden Dicarbonsäureester. Jedoch liegt eine Dihydroxyverbindung als weiterer gesonderter Bestandteil des Gemischs nach Merkmal 1.2 nicht vor.
  198. Dass diese bei der Ausbildung der aromatischen und aliphatischen Dicarbonsäureester, das heißt bei einem der klagepatentgemäßen Vorstufe nach Merkmal 1.2 vorgelagertem Verfahrensschritt, Verwendung gefunden hat, ist nicht ausreichend. Denn der Anspruchswortlaut sieht die Dihydroxyverbindung als gesonderten Bestandteil, der dann als Edukt für die in Verfahrensstufe i) vorgesehene Veresterung/ Umesterung dient, vor.
  199. Auch ist nicht ausreichend, dass Dihydroxyverbindungen als Reste bzw. Rückreaktionsprodukte in dem Gemisch vorhanden sind. Denn diese können eine Veresterung im Sinne des Merkmals 1.3.1 allenfalls im geringen Umgang bewirken. Insoweit ist insbesondere auch der Vortrag der Beklagten beachtlich, dass geringfügig überschüssige Dihydroxyverbindungen, die nach der separaten Veresterung der Dicarbonsäuren verbleiben, weitgehend entfernt werden, bevor die beiden Ester für die weitere Verarbeitung zusammengeführt werden. Dem Klagepatent aber geht es darum, dass in der Stufe i) (nach Merkmal 1.3.1) – gerade auch in Abgrenzung zu der von ihm so bezeichneten „Vorstufe“ (nach Merkmal 1.2) – die „eigentliche“ Veresterung der Komponenten erfolgt, und eine dafür hinreichende Menge einer Dihydroxyverbindung in dem Gemisch nach Merkmal 1.2 separat enthalten ist. Gleiches gilt, soweit in Merkmal 1.3.1 von einer „Umesterung“ die Rede ist. Auch insoweit liegt dem Klagepatent die Vorstellung zugrunde, dass die Dihydroxyverbindung als separate Komponente in die Reaktion nach Stufe i) eingeht.
  200. V.
    Der Antrag der Beklagten auf einstweilige Einstellung der Zwangsvollstreckung aus dem Versäumnisurteil (vgl. Klageerwiderung vom 17.06.2020, Bl. 113 GA) geht ins Leere, nachdem das Versäumnisurteil mit dem hiesigen Urteil aufgehoben worden ist.
  201. VI.
    Die Kostenentscheidung ergeht nach §§ 91 Abs. 1 Satz 1, 344 ZPO.
  202. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit hat ihre Grundlage für die Beklagte in § 709 Satz 1, 2 ZPO und für die Klägerin in §§ 708 Nr. 11, 2. Alt., 711, 713 ZPO.
  203. VII.
    Der Streitwert wird gem. § 51 Abs. 1 GKG auf EUR 1.000.000 festgesetzt.

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