Düsseldorfer Entscheidung Nr.: 279
Landgericht Düsseldorf
Urteil vom 9. September 2004, Az. 4b O 417/03
Rechtsmittelinstanz: 2 U 94/04
Die Klage wird abgewiesen.
Die Kosten des Rechtsstreits werden der Klägerin auferlegt.
Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 23.000 EUR vorläufig vollstreckbar.
Tatbestand:
Die durch formwechselnde Umwandlung aus der E-NH GmbH entstandene Klägerin ist eingetragene Inhaberin des u.a. für die Bundesrepublik Deutschland erteilten europäischen Patents 0 656 xxx (Klagepatent, Anlage K 1), dessen Anmeldung vom 22. Oktober 1994 am 7. Juni 1995 veröffentlicht und dessen Erteilung am 16. Juli 1997 bekannt gemacht wurde. Das Klagepatent betrifft ein Pipettensystem. Der vorliegend vornehmlich interessierende Patentanspruch 1 hat folgenden Wortlaut:
Die nachfolgend wiedergegebene Figur 2 der Klagepatentschrift veranschaulicht den Erfindungsgegenstand anhand eines bevorzugten Ausführungsbeispiels.
Die Klägerin ist ferner eingetragene Inhaberin des mit dem Klagepatent weitgehend übereinstimmenden deutschen Patents 43 41 xxx (Anlage K 2).
Die Klägerin vertreibt unter der Bezeichnung “Multipipette Plus” ein unstreitig erfindungsgemäß ausgestattetes Pipettensystem, von dem sie als Anlage K 10 Originalmuster zur Akte gereicht hat. Zusammen mit den erfindungsgemäßen Pipetten liefert die Klägerin auch passende Spritzen.
Die Beklagte zu 1), deren Geschäftsführer die Beklagten zu 2) und 3) sind, bietet an und vertreibt unter der Bezeichnung “RiX Professional” Spritzen für Pipettensysteme. Die nähere Ausgestaltung der Spritzen ergibt sich aus dem von der Klägerin als Anlage K 14 zur Akte gereichten Originalmuster. In ihrer Produktinformation (Anlage K 12) und Benutzerinformation (Anlage K 13) gibt die Beklagte zu 1) an, dass die Spritzen (u.a.) geeignet für das Pipettensystem der Klägerin sind.
Die Klägerin, die erklärt hat, die Klage in erster Linie auf das europäische Klagepatent zu stützen, sieht durch das Verhalten der Beklagten ihre Rechte aus dem Klagepatent mittelbar verletzt und nimmt die Beklagten deshalb auf Unterlassung, Rechnungslegung und Schadensersatz in Anspruch.
Die Klägerin macht geltend, die Spritzen der Beklagten würden sämtliche Voraussetzungen erfüllen, die § 10 Abs. 1 PatG an das Vorliegen einer mittelbaren Patentverletzung stellt. Die Klägerin verweist ferner darauf, dass die Spritzen auch im Hinblick auf ihr europäisches Patent O 657 XXX (Anlage K 15) und ihre deutsche Patentanmeldung 198 30 xxx (Anlage K 16) an das von ihr vertriebene Pipettensystem (Multipipette Plus) angepasst seien, da – abweichend von den älteren Spritzenformen der Beklagten und sonst gebräuchlichen Spritzen – der den Befestigungsabschnitt bildende Spritzenflansch Führungsnuten aufweist, die speziell für die Führungsnasen der Aufnahme für den Spritzenflansch der Multipipette Plus ausgebildet sind, sowie außerdem über Vertiefungen und Stützflächen verfügt, die entsprechend der deutschen Patentanmeldung zu einer sogenannten Nullcodierung (keine Anzeige im Display) führt. Vor diesem Hintergrund und mit Rücksicht darauf, dass sie, die Klägerin, in ihrem Unterlassungsantrag eine entsprechende Formulierung zur Ausbildung von Nuten am Spritzenflansch aufgenommen habe, sei es auch gerechtfertigt, den Beklagten für den Fall der Lieferung der streitgegenständlichen Spritzen aufzugeben, bezogen auf das Klagepatent eine Unterlassungsverpflichtserklärung und ein Vertragsstrafeversprechen von ihren Abnehmern einzufordern.
Die Klägerin hat von der Beklagten zu 1) ursprünglich nicht nur Schadensersatz, sondern auch die Zahlung einer angemessenen Entschädigung verlangt. Insoweit hat sie die Klage mit Zustimmung der Beklagten zurückgenommen.
Die Klägerin beantragt nunmehr sinngemäß noch,
I. die Beklagten zu verurteilen,
1. es bei Meidung der gesetzlichen Ordnungsmittel zu unterlassen,
Spritzen mit einem Befestigungsabschnitt und einem Spritzenkolben für manuelle Pipettensysteme mit einer einen Befestigungsabschnitt und einen Spritzenkolben aufweisenden Spritze und einer Handpipette, die in einem Pipettengehäuse eine Aufnahme für den Befestigungsabschnitt und in einem Aufnahmekörper eine Kolbenaufnahme für den Spritzenkolben, Befestigungseinrichtungen zum reversiblen Fixieren von Befestigungsabschnitt und Spritzenkolben in ihren Aufnahmen und Kolbenstelleinrichtungen zum Verschieben des Aufnahmekörpers im Pipettengehäuse aufweist, wobei Befestigungsabschnitt und Spritzenkolben durch Axialöffnungen ihrer Aufnahmen axial in ihre Befestigungspositionen schiebbar sind, die Befestigungseinrichtungen manuell betätigbare, radial zustellbare Greifeinrichtungen zum Fixieren des Befestigungsabschnittes und des Spritzenkolbens in den Befestigungspositionen haben, die Greifeinrichtungen schwenkbar im Pipettengehäuse gelagerte Spritzengreifhebel und im Aufnahmekörper schwenkbar gelagerte Kolbengreifhebel haben, die Spritzengreifhebel und die Kolbengreifhebel zweiarmig mit einem Greifarm und einem Betätigungsarm für die manuelle Betätigung ausgeführt sind, und wobei die Spritzengreifhebel an den Innenseiten ihrer Betätigungsarme Kontaktstellen aufweisen, die durch Betätigen ihrer Betätigungsarme außen gegen die Betätigungsarme der Kolbengreifhebel schwenkbar sind und die Kolbengreifhebel betätigen,
wobei der den Befestigungsabschnitt bildende Spritzenflansch Führungsnuten und die Aufnahme für den Spritzenflansch zugehörige Führungsnasen haben,
Abnehmern in der Bundesrepublik Deutschland anzubieten oder diesen zu liefern,
ohne
a) im Falle des Anbietens ausdrücklich und unübersehbar darauf hinzuweisen, dass die einen Befestigungsabschnitt und einen Spritzenkolben aufweisenden Spritzen nicht ohne Zustimmung der Klägerin als Inhaberin des europäischen Patents 0 656 xxx B1 für das vorstehend beschriebene Pipettensystem verwendet werden dürfen,
und/oder
b) im Falle der Lieferung den Abnehmern die schriftliche Verpflichtung mit dem Versprechen einer Vertragsstrafe in Höhe von 5.100,– EUR für jeden Fall der Zuwiderhandlung, zu zahlen an die Klägerin, aufzuerlegen, dass die Abnehmer die einen Befestigungsabschnitt und einen Spritzenkolben aufweisenden Spritzen nicht ohne Zustimmung der Klägerin als Inhaberin des Europäischen Patents 0 656 xxx für das vorstehend beschriebene Pipettensystem verwenden;
1. ihr Rechnung darüber zu legen, in welchem Umfang sie, die Beklagten, die zu 1) bezeichneten Handlungen seit dem 16. August 1997 begangen haben, und zwar unter Angabe,
a) der einzelnen Lieferungen, aufgeschlüsselt nach Liefermengen, Lieferzeiten und Lieferpreisen und Typenbezeichnungen sowie den Namen und Anschriften der Abnehmer,
b) der einzelnen Angebote, aufgeschlüsselt nach Angebotsmengen, Angebotszeiten und Angebotspreisen und Typenbezeichnungen sowie den Namen und Anschriften der Angebotsempfänger,
c) der betriebenen Werbung, aufgeschlüsselt nach Werbeträgern, deren Auflagenhöhe, Verbreitungszeitraum und Verbreitungsgebiet,
d) der nach den einzelnen Kostenfaktoren aufgeschlüsselten Gestehungskosten und des erzielten Gewinns,
wobei den Beklagten vorbehalten bleibt, die Namen und Anschriften der nicht gewerblichen Abnehmer und nicht gewerblichen Angebotsempfänger statt der Klägerin einem von der Klägerin zu bezeichnenden, ihr gegenüber zur Verschwiegenheit verpflichteten vereidigten Wirtschaftsprüfer mitzuteilen, sofern die Beklagten dessen Kosten tragen und ihn ermächtigen und verpflichten, der Klägerin auf konkrete Anfrage mitzuteilen, ob ein bestimmter Abnehmer oder Angebotsempfänger in der Aufstellung enthalten ist;
I. festzustellen, dass die Beklagten als Gesamtschuldner verpflichtet sind, der Klägerin allen Schaden zu ersetzen, der ihr durch die zu I. 1. bezeichneten, seit dem 16. August 1997 begangenen Handlungen entstanden ist und noch entstehen wird.
Die Beklagten beantragen,
die Klage abzuweisen.
Sie stellen in Abrede, dass es sich bei den für das erfindungsgemäße Pipettensystem zu verwendenden Spritzen im patentrechtlichen Sinne um ein wesentliches Element der Erfindung handele. Darüber hinaus scheide eine mittelbare Patentverletzung auch deshalb aus, weil ihre Angebotsempfänger und Abnehmer zur Benutzung der patentierten Erfindung berechtigt seien.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Parteivorbringens wird auf den vorgetragenen Inhalt der beiderseitigen Schriftsätze und der mit ihnen vorgelegten Urkunden und Anlagen Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die zulässige Klage ist unbegründet.
Der Klägerin stehen die geltend gemachten Ansprüche auf Unterlassung, Rechnungslegung und Schadensersatz nicht zu, weil die Beklagten mit Angebot und Vertrieb der angegriffenen Spritze nicht in widerrechtlicher Weise mittelbar von der technischen Lehre des Klagepatents Gebrauch machen.
I.
Das Klagepatent betrifft – nicht anders als das von der Klägerin hilfsweise angeführte deutsche Patent 23 41 229 (Anlage K 2) – ein Pipettensystem bestehend aus einer Handpipette und einer Spritze, die einen Befestigungsabschnitt und einen Spritzenkolben aufweist.
Die Klagepatentschrift verweist zunächst auf das aus der DE – OS 29 26 691 (Anlage K 3) bekannte Repitierpipettensystem, bei dem die Spritze seitlich in eine offene, im wesentlichen U-förmige Nut der Pipette einsetzbar ist. Diese Ausgestaltung sieht die Klagepatentschrift im Hinblick auf die für die Verwendung eines Pipettensystems zu stellenden hohen Sauberkeits- und Sicherheitsanforderungen als nachteilig an. Denn die Spritze muss sowohl zum Einsetzen in als auch zum Entfernen aus der Pipette von der Bedienperson angefasst werden, was sowohl die Gefahr einer Kontamination der Spritze als auch der Bedienperson beinhaltet.
Weiterhin ist aus der CH 671 526 und dem EP 0 226 867 (Anlagen K 4 u. K 5) ein Pipettensystem mit Spritze bekannt, die mit ihrem Spritzenflansch und Spitzenkolben axial in korrespondierende Aufnahmen der Pipette geschoben und dort festgelegt werden kann. Insoweit sieht es das Klagepatent als nachteilig an, dass beim Befestigen und Lösen der Spritze nicht unerhebliche elastische Rückstellkräfte der offenbarten geschlitzten Endabschnitte überwunden werden müssen. Außerdem kann das Einsetzen und Abwerfen der Spritze nur bei vollständig eingedrücktem Spritzenkolben erfolgen.
Vor diesem Hintergrund liegt dem Klagepatent die Aufgabe zugrunde, ein manuelles Pipettensystem zu schaffen, das eine erleichterte und sichere Kopplung der Spritze mit der Pipette und eine erleichterte Trennung der Spritze von der Pipette ohne deren Anfassen durch den Anwender ermöglicht und einen erweiterten Einsatzbereich hat.
Zur Lösung dieser Aufgabe sieht Patentanspruch 1 folgende Merkmalskombination vor:
1. Manuelles Pipettensystem mit einer Spritze (7) und einer Handpipette (1);
2. die Spritze (7) weist einen Befestigungsabschnitt (6) und einen Spritzenkolben (17) auf;
3. die Pipette (1) weist auf
3.1 in einem Pipettengehäuse (2) eine Aufnahme (5) für den Befestigungsabschnitt (6),
3.2 in einem Aufnahmekörper (19) eine Kolbenaufnahme (18) für den Spritzenkolben (17),
3.3 Befestigungseinrichtungen (26, 36) zum reversiblen Fixieren von Befestigungsabschnitt (6) und Spritzenkolben (17) in ihren Aufnahmen (5, 18),
3.4 Kolbenstelleinrichtungen (56, 23) zum Verschieben des Aufnahmekörpers (19) im Pipettengehäuse (2);
4. der Befestigungsabschnitt (6) und der Spritzenkolben (17) sind durch Axialöffnungen (9, 20) ihrer Aufnahmen (5, 18) axial in ihre Befestigungspositionen schiebbar;
5. die Befestigungseinrichtungen (26, 36) haben manuell betätigbare, radial zustellbare Greifeinrichtungen (28, 38) zum Fixieren des Befestigungsabschnitts (6) und des Spritzenkolbens (17) in den Befestigungspositionen,
5.1. die Greifeinrichtungen (28, 38) haben schwenkbar im Pipettengehäuse (2) gelagerte Spritzengreifhebel (26) und im Aufnahmekörper (19) schwenkbar gelagerte Kolbengreifhebel (36),
5.2 die Spritzengreifhebel (26) und die Kolbengreifhebel (36) sind zweiarmig mit einem Greifarm (29, 38) und einem Betätigungsarm (30, 39) ausgeführt,
5.3 die Spritzengreifhebel (26) weisen an den Innenseiten ihrer Betätigungsarme (30) Kontaktstellen (33) auf,
5.4 die Kontaktstellen (33) sind durch Betätigung ihrer Betätigungsarme (30) außen gegen Betätigungsarme (39) der Kolbengreifhebel (36) schwenkbar und betätigen die Kolbengreifhebel (36).
Erfindungsgemäß können Spritze und Handpipette durch eine rein axiale Relativbewegung miteinander verbunden und durch Betätien der Befestigungseinrichtungen voneinander getrennt werden. Das Verbinden und Trennen der Spritze von der Handpipette ist ohne zusätzliche Manipulation durch den Anwender möglich, so dass die Kontaminationsgefahr gesenkt ist. Infolge der Achslagerung der Greifeinrichtungen wird die Spritze an ihrem Befestigungsflansch und Spritzenkolben unabhängig von einer beim Einschieben zu überwindenden Kraft formschlüssig und sicher gehalten. So kann die Spritze durch einfaches Lösen der Befestigungseinrichtungen abgeworfen werden, ohne dass irgendwelche Rückstellkräfte überwunden werden müssten.
II.
Die Beklagten benutzen durch Angebot und Vertrieb der angegriffenen Spritzen das Klagepatent nicht in widerrechtlicher Weise mittelbar im Sinne von Art. 64 Abs. 1 EPÜ, § 10 Abs. 1 PatG.
1.
Die angegriffenen Spitzen sind zwar nicht nur geeignet und bestimmt – was zwischen den Parteien mit Recht außer Streit steht –, für das erfindungsgemäße Pipettensystem (Multipipette plus) verwendet zu werden, sondern es handelt sich bei den angegriffenen Spritzen auch im Sinne von § 10 Abs. 1 PatG um ein wesentliches Element der Erfindung. Hierfür ist ausreichend, dass die Spritze ein notwendiger, funktional unverzichtbarer Bestandteil des patentgeschützten Systems ist, welches gemäß dem Anspruchswortlaut von Patentanspruch 1 aus Handpipette und Spritze besteht. Denn gemäß der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (Mit. 2004, 358, 361 – Flügelradzähler) bezieht sich ein Mittel bereits dann auf ein wesentliches Element der Erfindung, wenn es geeignet ist, mit einem oder mehreren Merkmalen des Patentanspruchs bei der Verwirklichung des geschützten Erfindungsgedankens funktional zusammenzuwirken, wobei das, was Bestandteil des Patentanspruchs ist, regelmäßig bereits deshalb auch ein wesentliches Element der Erfindung darstellt.
2.
Eine mittelbare Patentverletzung ist vorliegend jedoch deshalb nicht gegeben, weil die Angebotsempfänger und Abnehmer der Beklagten zur Benutzung der Erfindung nach dem Klagepatent berechtigt sind.
Das erfindungsgemäße Pipettensystem Multipipette plus wird von der Klägerin in Verkehr gebracht. Die Patentrechte der Klägerin an diesem Pipettensystem haben sich damit erschöpft. Ihre Abnehmer sind zum bestimmungsgemäßen Gebrauch des Pipettensystems berechtigt. Da die Klägerin – wie sie in der mündlichen Verhandlung nochmals klargestellt hat – die Handpipetten nicht einzeln, sondern mit den dazugehörigen Spritzen als System vertreibt, lässt sich das Vorliegen eines Erschöpfungstatbestandes nicht mit der Begründung verneinen, ihre Abnehmer würden das patentgeschützte Pipettensystem bei Verwendung der angegriffenen Spritzen erstmals herstellen (vgl. BGH, Mitt. 2004, 358, 361 – Flügelradzähler).
Damit kommt es vorliegend entscheidend darauf an, ob die Besitzer des erfindungsgemäßen Pipettensystems mit der Verwendung von Spritzen, die nicht von der Klägerin stammen, die Grenzen des ihnen eingeräumten bestimmungsgemäßen Gebrauchs überschreiten und in rechtswidriger Weise das erfindungsgemäße System neu herstellen. Wann der Austausch von Teilen einer Vorrichtung deren Neuherstellung gleich kommt, ist gemäß der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (a.a.0.) durch eine die Eigenart des patentgeschützten Erzeugnisses berücksichtigende Abwägung der schutzwürdigen Interessen des Patentinhabers an der wirtschaftlichen Verwertung der Erfindung einerseits und des Abnehmers am ungehinderten Gebrauch der in Verkehr gebrachten erfindungsgemäßen Vorrichtung andererseits vorzunehmen. Dabei ist von Bedeutung, ob es sich um Vorrichtungsteile handelt, mit deren Austausch während der Lebensdauer der Vorrichtung üblicherweise zu rechnen ist, und inwieweit sich gerade in den ausgetauschten Teilen die technischen Wirkungen der Erfindung wiederspiegeln. Danach liegt in dem Austausch eines Verschleißteils, das während der zu erwartenden Lebensdauer einer Maschine ersetzt zu werden pflegt, regelmäßig keine Neuherstellung, es sei denn, gerade dieses Teil verkörpert ein wesentliches Element des Erfindungsgedankens, so dass gerade durch den Austausch dieses Teils der technische oder wirtschaftliche Vorteil der Erfindung erneut verwirklicht wird und deshalb nicht gesagt werden kann, dass der Patentinhaber bereits durch das erstmalige Inverkehrbringen der Gesamtvorrichtung den ihm zustehenden Nutzen aus der Erfindung gezogen hat. Legt man dies zugrunde, ist im vorliegenden Fall eine unzulässige Neuherstellung durch den Austausch der mit der Handpipette zu verwendenden Spritzen nicht gegeben.
Bei den mit der Handpipette zu verwendenden Spritzen handelt es sich – auch aus Sicht des Klagepatents – um Wegwerfartikel, die aufgrund ihrer bestimmungsgemäßen Kontamination mit den zu pipettierenden Flüssigkeiten eine äußerst begrenzte Lebensdauer haben und ständig ersetzt werden müssen. Die Handpipette weist demgegenüber eine vielfach längere Haltbarkeit auf, da sie bestimmungsgemäß mit einer Vielzahl immer wieder neu zu verwendende Spritzen bestückbar ist. Liegt damit ein System vor, dem schon in vorgegebener Weise der ständige Austausch eines Systemteils immanent ist, spricht dies im Vergleich zum Austausch eines gewöhnlichen Verschleißteils in noch stärkerer Weise gegen das Vorliegen einer unzulässigen Neuherstellung. Bei diesen Verhältnissen kann entgegen der in der mündlichen Verhandlung vorgebrachten Ansicht der Klägerin keine Rede davon sein, dass das erfindungsgemäße Pipettensystem insgesamt als „Einwegvorrichtung“ betrachtet werden müsse, welche mit dem Entfernen einer gebrauchten und dem Verwenden einer neuen Spritze jeweils zerstört und wieder neu hergestellt wird.
Das Vorliegen einer unzulässigen Neuherstellung lässt sich auch nicht unter dem Gesichtspunkt begründen, die Spritze verkörpere wesentliche Elemente des Erfindungsgedankens, so dass durch ihren Austausch technische oder wirtschaftliche Vorteile der Erfindung verwirklicht würden, deren Nutzen allein der Patentinhaber ziehen durfte. Patentanspruch 1. umschreibt die Ausgestaltung der Spritze in Übereinstimmung mit der Klagepatentschrift dahingehend, dass sie über einen Befestigungsabschnitt (6) und einen Spritzenkolben (17) verfügt (vgl. Merkmal 2). Die für das erfindungsgemäße Pipettensystem verwendete Spritze weist damit keinen Unterschied zu gewöhnlichen aus dem Stand der Technik bekannten Spritzen auf, die ebenfalls einen Befestigungsflansch am Ende des Spritzenzylinders sowie einen Kolben mit Kolbenbund haben. Eigentlicher Erfindungsgegenstand bzw. Kern der Erfindung zur Handhabung bzw. Verwendung solcher (gewöhnlicher) Spritzen ist, eine manuelle Pipette bereit zu stellen, die die aus dem Stand der Technik bekannten Nachteile (Anfassen der Spritze; Überwindung von Rückstellkräften beim Koppeln und Entkoppeln der Spritze von der Pipette) überwindet. Dazu wird – wie insbesondere der Merkmalsgruppe 5 zu entnehmen ist – die Pipette mit einer speziellen Aufnahme- und Befestigungseinrichtung versehen, mit der die Spritze auf einfache Weise am Befestigungsabschnitt und Spritzenkolben befestigt und wieder gelöst werden kann. Danach ist die Spritze mit ihrem Befestigungsflansch und Kolben (Bund) zwar ein notwendiger Bestandteil des Pipettensystems, da ohne Spritzen das Pipettensystem nicht benutzt werden kann und die Befestigungseinrichtung demgemäß kompatibel mit der Spritze sein muss. Für den eigentlichen Erfindungsgedanken ist die Spritze jedoch nicht wesentlich, sondern nur von untergeordneter Bedeutung. Denn der Kern der Erfindung liegt in der Ausgestaltung der Aufnahme- und Befestigungseinrichtung und deren Funktion, wohingegen die Spritze nur ein für die Verwendung des Pipettensystems durch die Endabnehmer notwendiger (gewöhnlicher) Bestandteil ist, der mit der eigentlichen erfinderischen Leistung in Abgrenzung zum Stand der Technik nichts zu tun hat. Die mit der Erfindung verwirklichte leichte Austauschbarkeit der Spritzen in der Handpipette stellt einen Vorteil dar, der allein auf der neuen und erfinderischen Ausgestaltung der Handpipette beruht. Der Umstand, dass bei Handpipettensystemen die Spritzen stets erneuert werden müssen, stellt demgegenüber keine Grundlage für die Annahme dar, die Klägerin habe mit dem erstmaligen Inverkehrbringen des erfindungsgemäßen Pipettensystems noch keinen hinreichenden Nutzen aus der Erfindung ziehen können.
Die Klägerin kann sich schließlich zur Begründung einer mittelbaren Patentverletzung auch nicht mit Erfolg darauf berufen, die angegriffenen Spritzen seien in Übereinstimmung mit ihrem EP 0 657 xxx (Anlage K 15) und ihrer deutschen Patentanmeldung 198 30 xxx (Anlage K 16) an das von ihr konkret vertriebene Pipettensystem Multipipette plus angepasst, da der den Befestigungsabschnitt bildende Spritzenflansch über mit den an der Aufnahme angeordneten Führungsnasen korrespondierende Führungsnuten verfüge sowie Vertiefungen und Stützflächen aufweise, die entsprechend der deutschen Patentanmeldung zu einer sogenannten Null-Codierung führten. Diese zusätzlichen Merkmale haben im Klagepatent keinen Niederschlag gefunden. Allein die im Klagepatent offenbarte technische Lehre ist aber für die Beurteilung der Frage zugrundezulegen, ob eine mittelbare Patentverletzung gegeben ist. Dabei hat eine abstrakte Betrachtung Platz zu greifen. Dass die angegriffene Spritze bezogen auf das vorbezeichnete europäische Patent und/oder die deutsche Patentanmeldung die Annahme einer mittelbaren Patentverletzung tragen mag, ist vorliegend unbeachtlich.
Hinsichtlich des von der Klägerin neben dem Klagepatent ebenfalls in den Rechtsstreit eingeführten deutschen Patent 43 41 xxx (Anlage K 2) ergibt sich für die Verletzungsfrage keine abweichende Beurteilung.
III.
Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 91 Abs. 1, 269 Abs. 3 ZPO.
Die Anordnungen zur vorläufigen Vollstreckbarkeit und zur Sicherheitsleistung folgen aus §§ 709, 108 ZPO.
Der Streitwert beträgt 1.000.000,00 EUR.
Dr. R1 Dr. R2