4a O 115/21 – Aneuploidienachweisverfahren 2

Düsseldorfer Entscheidungen Nr. 3342

Landgericht Düsseldorf

Urteil vom 5. Oktober 2023, Az. 4a O 115/21

  1. Tatbestand
  2. Die Klägerin nimmt die Beklagten aus dem deutschen Teil des EP 2 827 XXX B3 (nachfolgend: Klagepatent, vorgelegt mit Übersetzung in Anlage K 1 bzw. K 1a) wegen behaupteter mittelbarer wortsinngemäßer Patentverletzung auf Unterlassung, Auskunft und Rechnungslegung sowie Feststellung der Verpflichtung zum Leisten von Schadensersatz in Anspruch.
  3. Das Klagepatent mit dem Titel „Abbildung und Evaluierung von Embryos, Oozyten und Stammzellen“ wurde am 23.08.2010 unter Inanspruchnahme der Prioritätsdaten der US XXX P vom 22.08.2009 und der US XXX P vom 07.05.2010 angemeldet. Das Europäische Patentamt veröffentlichte am 24.09.2020 den Hinweis auf die Erteilung des Klagepatents. Die eingetragene Inhaberin des Klagepatents war das „A” (nachfolgend: „die ehemalige Patentinhaberin“ oder „A“). Seit dem 19.04.2023 ist die Klägerin als Patentinhaberin eingetragen (Anlage K 61).
  4. Die ehemalige Patentinhaberin leitete am 18.06.2021 ein Beschränkungsverfahren ein; das Europäische Patentamt gab dem Antrag statt. Die geänderte Patentschrift wurde am 18.08.2021 veröffentlicht.
  5. Der deutsche Teil des Klagepatents steht in Kraft. Die B, eine Tochtergesellschaft der Beklagten zu 1) und Schwestergesellschaft der Beklagten zu 2) legte am 21.07.2021 Einspruch gegen das Klagepatent vor dem Europäischen Patentamt ein. Über den Einspruch wurde vor Schluss der hiesigen mündlichen Verhandlung noch nicht entschieden.
  6. Der geltend gemachte Patentanspruch 1 lautet in der englischen Verfahrenssprache des Klagepatents in seiner beschränkten Fassung wie folgt:
  7. „A method for determining developmental potential of a human embryo comprising measuring the following cell parameter:
    the time interval between the first and second mitosis;
    and employing said cell parameter measurement to provide a determination of the developmental potential of said embryo;
    wherein said developmental potential is the ability or capacity to develop into a blastocyst.”
  8. In der eingetragenen deutschen Übersetzung lautet Anspruch 1 wie folgt:
  9. „Verfahren zum Bestimmen eines Entwicklungspotentials eines menschlichen Embryos, umfassend Messen des folgenden Zellparameters:
    das Zeitintervall zwischen der ersten und zweiten Mitose;
    und Verwenden der Zellparametermessung um eine Bestimmung des Entwicklungspotential des Embryos zu ermöglichen;
    wobei das Entwicklungspotential die Eignung oder Fähigkeit ist, sich in eine Blastozyste zu entwickeln.“
  10. Wegen des Wortlauts der geltend gemachten Unteransprüche wird auf das Klagepatent verwiesen.
  11. Zur Veranschaulichung wird nachfolgend ein von der Klägerin markierter – nicht übersetzter – Ausschnitt aus Figur 13 des Klagepatents eingeblendet, die nach Absatz [0148] der Beschreibung des Klagepatents (nachfolgend sind Absätze ohne Quellenangabe solche des Klagepatents) ein Modell für die Entwicklung von menschlichen Embryonen auf der Grundlage von korrelierter Bildgebung und molekularer Analyse zeigt. Dargestellt ist zum einen der erste mitotische Zellzyklus, mit dem das Zeitintervall von der Befruchtung bis zum Abschluss des ersten Zytokineseereignisses („1st cytokinesis“), d.h. die Teilung des befruchteten Oozyten in zwei Tochterzellen, gemeint ist (Abs. [0030] der Beschreibung des Klagepatents). Zum anderen ist der zweite mitotische Zellzyklus geteilt, bei dem eine der beiden Tochterzellen in zwei Enkelzellen geteilt wird (Abs. [0031] der Beschreibung des Klagepatents).
  12. Die Klägerin ist ein Unternehmen im Bereich der Reproduktionsmedizin mit Sitz im X und gehört zum C-Konzern.
  13. Bei der Beklagten zu 1) handelt es sich um ein in der Reproduktionsmedizin und der In-Vitro Fertilisation von menschlichen Embryos (IVF) tätiges Unternehmen mit Sitz in Z. Die Beklagte zu 2) ist deren deutsche Niederlassung.
  14. Der Konzern der Beklagten bietet ein in verschiedenen Varianten erhältliches Inkubatorsystem „D“ (mit den Varianten „E“, „F“ und „G“) an (nachfolgend: angegriffene Ausführungsform I) an. Für nähere Informationen zur Ausgestaltung der angegriffenen Ausführungsform I wird auf die in den Anlagen K 6 – K 10 vorgelegten Unterlagen verwiesen. Zur Veranschaulichung wird nachfolgend aus dem Ausdruck von der Internetseite der Beklagten zu 1) (Anlage K 5) die nachfolgende Abbildung (von S. 21 KL = Bl. 470 GA) eingeblendet:
  15. In der angegriffenen Ausführungsform I (D-Inkubator) werden befruchtete Eizellen kultiviert. Die angegriffene Ausführungsform I verfügt ferner über eine integrierte mikroskopische Spezialkamera und einem Computerprozessor. Die integrierte mikroskopische Kamera fertigt alle 10 Minuten sieben bis acht Bilder von jeder befruchteten Eizelle von unterschiedlichen Schichten des Embryos an. Die angegriffene Ausführungsform I bietet also die Möglichkeit, „Time-Lapse“-Aufnahmen der inkubierten Embryonen zu erstellen und „live“ zu betrachten.
  16. Üblicherweise wird zusammen mit dem „D“ Inkubatorsystem (angegriffene Ausführungsform I) eine Software namens H“ ausgeliefert (angegriffene Ausführungsform II).
  17. Mittels der angegriffenen Ausführungsform II (J) kann ein Benutzer über die Funktion „I“ die angefertigten Videos der dynamischen Entwicklung einzelner Embryos im Zeitraffer ansehen. Über die Funktion „X“ kann die eigentliche Auswertung, Analyse und Auswahl der am besten geeigneten Embryos erfolgen.
  18. Dabei kann der Benutzer „X“ nach vom Benutzer definierten Kriterien erstellen. Zu den vordefinierten Variablen gehören unter anderem die Zeitpunkte der Zellteilungen in zwei Zellen (t2) und in drei Zellen (t3).
  19. Bei der angegriffenen Ausführungsform II können die jeweils durch den Nutzer eigenständig annotierten, vordefinierten Parameter unter Anwendung eines „Models“ entweder rein informatorisch hinsichtlich der zeitlichen und morphologischen Entwicklung des Embryos dargestellt werden oder – durch Festlegung bestimmter Beurteilungskriterien durch den Nutzer – zu einem „Score“ führen, welcher letztlich eine Bewertung der Entwicklungsfähigkeit des Embryos darstellt. Die angegriffene Ausführungsform II enthält kein vordefiniertes Modell. Sämtliche Modelle müssen dabei vom Nutzer selbst definiert werden.
  20. In der Grundversion der J-Software muss der Nutzer eigenständig eine Annotation der morphologischen Ereignisse vornehmen, also selbst entscheiden, ob ein Ereignis (wie eine Zellteilung) eingetreten ist. Daneben ist es gegen Aufpreis möglich, eine „X“-Funktion zu erwerben. Hierbei besteht die Möglichkeit, dass mit Hilfe eines bestimmten „Y“ die Annotation der morphologischen Ereignisse, etwa X oder X, durch die Software automatisch vorgenommen wird. Das „X“ entspricht einer durch die Software mit Hilfe künstlicher Intelligenz ermittelten Grades an Wahrscheinlichkeit, dass der durch die Bilderkennung getroffene Annotations-Vorschlag richtig ist.
  21. Über die bei der angegriffenen Ausführungsform II – sowohl bei der „X“ als auch bei der „>“ – vorhandene Funktion „I“ kann dem Benutzer ein Teilungsdiagramm angezeigt werden. Der Benutzer kann die chronologische Entwicklung des Embryos mittels eines Drehknopfs ansehen und auf die Zeitpunkte von Zellteilungen etc. scrollen.
  22. Schließlich bieten die Beklagten eine Software namens „K“ an (angegriffene Ausführungsform III), bei der es sich um eine Plug-in Lösung für die J-Software (Angegriffene Ausführungsform II) handelt. Die angegriffene Ausführungsform III stellt basierend auf den mit Hilfe der angegriffenen Ausführungsformen I und II gewonnen Daten ein Entscheidungstool hinsichtlich bestimmter Embryos dar. Bei Einsatz der angegriffenen Ausführungsform III verwendet der Nutzer kein eigenes Modell. Die angegriffene Ausführungsform III findet Anwendung, wenn bei „X“ K ausgewählt wird. Sie ist in zwei Versionen (K D3 und K D5) als Entscheidungshilfe für Embryonen an Tag 3 bzw. Tag 5 erhältlich. Grundlage für das „K“ Tool sind klinische, morphokinetische Daten von mehreren tausend künstlich befruchteten Embryos, von denen bekannt ist, ob deren Implantation nach einer Einpflanzung an Tag 3 bzw. 5 nach der Befruchtung zu einer erfolgreichen Schwangerschaft und/oder zu der Geburt eines gesunden Kindes geführt haben. Die für das Entwicklungsmuster relevanten Variablen und Zeitintervalle entsprechen dabei den vordefinierten Variablen bzw. Zeitintervallen der angegriffenen Ausführungsform II.
  23. Die angegriffenen Ausführungsformen werden auf den englischsprachigen Internetseiten www.XXX dargestellt. Auf diesen Internetseiten werden unter „Contact Us“, unter „Germany“ sowohl die Kontaktdaten der Beklagten zu 1) auch der Beklagten zu 2) aufgeführt. Auf diesen Internetseiten sind auch Kliniken in Deutschland genannt, die eine Behandlung mit den angegriffenen Ausführungsformen anbieten. So bietet das Kinderwunschzentrum X eine Behandlung mittels eines „X Inkubator“ an (angegriffene Ausführungsform I).
  24. Die Klägerin trägt vor, die Beklagten verletzten durch den Vertrieb aller angegriffenen Ausführungsformen mittelbar das Klagepatent.
  25. Die Klägerin behauptet, die ehemalige Patentinhaberin habe ihr das Klagepatent mit „Patent Assignment Agreement“ vom 06.04.2023 (Anlage K 60) übertragen. Zudem habe die ehemalige Patentinhaberin ihr damit sämtliche Ansprüche und Rechte auf Schadensersatz, die sich aus einer früheren Verletzung der übertragenen Patente ergeben haben und/oder ergeben abgetreten. In der mündlichen Verhandlung hat die Klägerin die Anlage K 75 im Original vorgelegt. Diese wurde von der Kammer und den Parteien in Augenschein genommen.
  26. Die Klägerin behauptet, Frau L habe mit Erklärung vom 18.X.2023 (Anlage K 65) bestätigt, das „Patent Assignment Agreement“ am 06.04.2023 unterzeichnet zu haben. Herr M habe mit Erklärung vom 19.05.2023 (Anlage K 67) bestätigt, das „Patent Assignment Agreement“ am 06.04.2023 unterzeichnet zu haben. Herr O habe mit Erklärung vom 19.05.2023 (Anlage K 66) bestätigt, das „Patent Assignment Agreement“ am 12.04.2023 unterzeichnet zu haben. Die Unterschriften auf dem „Patent Assignement Agreement“ stimmten auch offenkundig mit den Unterschriften auf den als Kopien den jeweiligen Erklärungen beigefügten Personalausweisen überein.
  27. Aus dem als Anlage K 86 vorgelegten Auszug aus dem Schweizer Handelsregister ergebe sich, dass Herr P Herr O gemeinsam zur Vertretung der Klägerin berechtigt seien. Frau L sei mit „XXX“ vom 04.07.2018 (Anlage K 85) X zum Abschluss von Verträgen und Transaktionen betreffend das Management und die Lizensierung von Patenten ermächtigt worden.
  28. Jedenfalls sei das „Patent Assignment Agreement“ durch den Umschreibungsantrag der ehemaligen Patentinhaberin vom 14.04.2023 (Anlage K 70) bestätigt worden.
  29. Die Beklagte zu 1) sei passivlegitimiert, da sie nach außen gegenüber (potentiellen) Kunden in Deutschland als Ansprechpartnerin auftrete. Aus den rechtlichen Hinweisen zur Webseite www.XXX werde ferner deutlich, dass die Beklagte zu 1) als Konzernmutter für den Inhalt der Webseite verantwortlich zeichne.
  30. Entgegen der Ansicht der Beklagten sei der Patentanspruch nicht insofern abschließend, dass nur der im Anspruch genannte Zeitraum zur Bewertung des Embryos herangezogen werden könne. Die Absätze [0079] f. der Klagepatentbeschreibung zeigten, dass auch 4 oder mehr Zellparameter Verwendung finden könnten.
  31. Die Klägerin trägt vor, die Beklagten verletzten Patentanspruch 1 des Klagepatents mittelbar, indem sie die angegriffenen Ausführungsformen I – III in Deutschland Nichtberechtigten zur Benutzung in Deutschland anböten und lieferten. Die angegriffenen Ausführungsformen stellten wesentliche Mittel für das klagepatentgemäße Verfahren dar. Auch die übrigen Voraussetzungen der mittelbaren Patentverletzung lägen vor. Die angegriffenen Ausführungsformen seien zur Verwendung des vom Klagepatent geschützten Verfahrens geeignet.
  32. Die Klägerin meint, für die geltend gemachte mittelbare Patentverletzung sei maßgeblich, dass die angegriffenen Ausführungsformen zur Durchführung des patentierten Verfahrens objektiv geeignet seien und sich dabei auf ein wesentliches Element der Erfindung beziehen. Es komme allein darauf an, dass die angegriffenen Ausführungsformen einen funktionalen Beitrag zur Verwirklichung des klagepatentgemäßen Verfahrens leisten.
  33. Weiterhin ist die Klägerin der Ansicht, für die Frage der mittelbaren Patentverletzung komme es gerade nicht darauf an, ob die Software der angegriffenen Ausführungsformen selbstständig und unmittelbar die Parameter ermittele. Der Benutzer könne bei den angegriffenen Ausführungsformen die Anknüpfungspunkte der zu bestimmenden Parameter frei definieren und dabei auch die vom Klagepatent vorgesehenen Parameter einstellen.
  34. Sowohl anhand der angegriffenen Ausführungsform I als auch der angegriffenen Ausführungsform II ließe sich das klagepatentgemäße Zellparameter messen. Dies sei möglich durch die manuelle Berechnung des Zeitintervalls unter Verwendung der (teils automatisch) annotierten Zeitpunkte der Zytokineseereignisse t2 und t3. Mittels der Funktion „X                                                         “ lasse sich das klagepatentgemäße Zeitintervall cc2 (t3-t2) unmittelbar bestimmen.
  35. Unabhängig von der Definition der Annotationsstrategie könne der Benutzer bei den angegriffenen Ausführungsformen I und II jedenfalls in den von den einzelnen Embryonen generierten Videos manuell vor- oder zurückspulen und den Entwicklungsstatus des jeweiligen Embryos zu einem bestimmten Zeitpunkt ab Befruchtung bestimmen. Die für die Berechnung der Zeitintervalle gemäß des Klagepatents relevanten Zeitpunkte – nämlich der Abschluss der erste und zweiten Zytokinose (t2 und t3) – könnten mithilfe des D Systems und der zugehörigen J-Software ohne weiteres gemessen bzw. „annotiert“ werden, im Falle der Zeitpunkte t2 und t3 sogar automatisch durch die Software selbst.
  36. Bei beiden Softwareversionen der angegriffene Ausführungsform II (Standard und Guided Annotation) sei eine Messung der Zellparameter möglich und auch vorgesehen. Aus dem Benutzerhandbuch zur Guided Annotation ergäben sich auch die Variablen zur Zellteilung t2, t3 und t4.
  37. Bei der angegriffenen Ausführungsform II könne ein Benutzer mittels der Funktion „I“ die patentierten Zellparameter messen. Dies gelte sowohl für die Software-Version „Standard Annotation“ als auch die Version „Guided Annotation“.
  38. Die Beklagten hätten zugestanden, dass der jeweilige Benutzer neue Annotierungsvariablen vom Kundensupport erstellen und importieren lassen könne.
  39. Auch könnten bei der angegriffenen Ausführungsform II Modelle mit benutzerdefinierten Ausdrücken durch die Verknüpfung mehrerer vordefinierter Zeitvariablen erstellt werden.
  40. Das Entwicklungsmuster der angegriffenen Ausführungsform III basiere unter anderem auf dem Zeitintervall zwischen t2 (dem Zeitpunkt der endgültigen Zellteilung in zwei Zellen) und t3 (dem Zeitpunkt der endgültigen Zellteilung in drei Zellen). Der Benutzer werde auch dazu ermutigt, über die vordefinierten Variablen hinaus auch andere Zellparameter bei der Bestimmung des Potentials von Embryonen zu berücksichtigen.
  41. Der mithilfe der angegriffenen Ausführungsformen gemessene Zellparameter könne zur Bestimmung der Fähigkeit des Embryos, sich in eine Blastozyste zu entwickeln, genutzt werden. Dies werde nicht zuletzt durch zahlreiche Fachartikel belegt, die die Nutzung des klagepatentgemäßen Zellparameters zur Bestimmung des Entwicklungspotentials des Embryos – größtenteils sogar unter Benutzung der angegriffen Ausführungsformen selbst – beschrieben.
  42. So seien in den Studien von XXX et al. (Anlage K 27), XXX et al. (Anlage K 28) und XXX et al. (Anlage K 30) die angegriffenen Ausführungsformen I und II bereits tatsächlich für die Durchführung des klagepatentgemäßen Verfahrens genutzt worden. Unter anderem auf die Fachartikel von XXX et al. und XXX et al. werde auf der Website zum D-System verwiesen. Den Fachartikel von XXX et al. habe Dr. XXX in einem für die Beklagte verfassten White Paper (Anlage K 29), das über die Website der Beklagten abrufbar sei, als Referenz genannt. Zudem sei in der Literatur belegt, dass die angegriffene Ausführungsform III zur Vorhersage der Blastozystenentwicklung verwendet werde. Dies demonstriere ein Artikel von XXX et al. in einem Textbuch von XXX et al. (Anlage K 56). In dem Textbuch von XXX et al. „XXX“ werde zudem das Vorgehen der IVI-Gruppe beschrieben, die standardmäßig die angegriffenen Ausführungsformen I und II mit Hilfe der Funktion Compare & Select zur Anwendung des von XXX et al. zur Bewertung von Embryonen entwickelten Algorithmus verwendeten. In einer Veröffentlichung von XXX et al. (Anlage K 62) werde die Vorhersagekraft des morphokinetischen Markers für die Blastozystenentwicklung bestätigt.
  43. Auch die subjektiven Voraussetzungen der mittelbaren Patentverletzung seien erfüllt. Für die Beklagten sei offensichtlich, dass Abnehmer der angegriffenen Ausführungsformen diese in patentverletzender Weise nutzten. Die Vorhersagekraft des klagepatentgemäßen Zellparameters für die Einnistung des Embryos und damit auch die Bildung einer Blastozyste sei u.a. Gegenstand des Patents EP XXX der Rechtsvorgängerin der Beklagten XXX. Zudem müsse sich für die Beklagten die standardmäßige Verwendung der patentierten Zellparameter durch eine ihrer bedeutendsten Kunden – die XXX-Gruppe – aufdrängen. Dies ergebe sich auch aus der engen Verbindung zu Dr. XXX, der an der Entwicklung der angegriffenen Ausführungsformen beteiligt gewesen sei. Die Beklagte habe weiterhin eine Studie von XXX et al. gefördert, die den K-Algorithmus unter anderem mit den Algorithmen von XXX et al. und XXX et al. verglichen habe.
  44. Die Ausführungen der Beklagtenseite könnten kein Vorbenutzungsrecht gemäß § 12 PatG begründen. Die Beklagtenseite habe gleich in mehrfacher Hinsicht deren Voraussetzungen nicht hinreichend substantiiert dargelegt. Die Beklagten könnten sich wegen der strengen Betriebsbezogenheit des Vorbenutzungsrechts nicht auf Handlungen der „XXX“ berufen, für die nicht vorgetragen sei, dass es sich bei ihr und der Beklagten zu 1) um denselben „Betrieb“ im Sinne von § 12 PatG handele. Hinsichtlich der Beklagten zu 2) komme ein Vorbenutzungsrecht nicht in Betracht, da eine bloße Konzernverbundenheit jedenfalls nicht ausreiche. Des Weiteren fehle jeglicher substantiierte Vortrag seitens der Beklagten, inwieweit sie im Prioritätszeitpunkt im Besitz der patentierten Erfindung und nicht bloß von Zeitraffertechnologie im Allgemeinen gewesen seien. Die Beklagtenseite trage nicht vor, inwieweit sie Erfindungsbesitz der patentierten Zellparameter gehabt habe. Der bloße Besitz von Zeitraffertechnologie als solcher reiche gerade nicht für eine Vorbenutzung aus.
  45. Schließlich scheitere ein Vorbenutzungsrecht daran, dass im Zeitraum der angeblichen Vorbenutzungen in den Jahren 2008-2009 die Verletzungsformen XXX“ nach dem eigenen Vortrag der Beklagtenseite noch gar nicht verfügbar gewesen seien. Insoweit handele es sich daher um Weiterentwicklungen der angeblichen ursprünglichen Vorbenutzung, die die Patentverletzung vertieften und daher nicht von einem etwaigen Vorbenutzungsrecht gedeckt sein könnten.
  46. Ebenso fehle es an einer Gewerblichkeit der Vorbenutzung, denn die Beklagtenseite habe weder substantiiert dargelegt, dass es sich bei den Kongressen um gewerbliche Veranstaltungen handelte, noch, dass die angeblich deutschen Teilnehmer aus gewerblichen Gründen anwesend gewesen seien bzw. mit ihr Kontakt aufgenommen hätten. Darüber hinaus fehle es auch am Inlandsbezug der angeblichen Vorbenutzungen.
  47. Auch wenn die angegriffenen Ausführungsformen klagepatentfrei verwendet werden könnten, sei hier ein Schlechthinverbot gerechtfertigt. Ein bloßer Warnhinweis wäre hier nicht ausreichend, da sich die Abnehmer an die in der Fachliteratur vorgesehenen Empfehlungen halten würden und den Warnhinweis damit ignorieren. Weiterhin sei es problemlos möglich, die angegriffenen Ausführungsformen so umzugestalten, dass keine Patentverletzung mehr möglich wäre.
  48. Schließlich werde sich das Klagepatent als rechtsbeständig erweisen.
  49. Die Klägerin beantragt,
  50. I. es bei Meidung eines für jeden Fall der Zuwiderhandlung fälligen, vom Gerichtfestzusetzenden Ordnungsgeldes bis zu 250.000,00 EUR, – ersatzweise Ordnungshaft bis zu sechs Monaten – oder einer Ordnungshaft bis zu sechs Monaten, im Falle wiederholter Zuwiderhandlung bis zu insgesamt zwei Jahren, wobei die Ordnungshaft an den Geschäftsführern der Beklagten zu vollziehen ist, zu unterlassen,
  51. 1. ein Inkubatorsystem mit Zeitraffer-Mikroskop, welches geeignet ist zur Verwendung in einem Verfahren zur Bestimmung des Entwicklungspotentials eines menschlichen Embryos, umfassend
    das Messen des folgenden Parameters: das Zeitintervall zwischen der ersten und zweiten Mitose; und Verwenden der Zellparametermessung um eine Bestimmung des Entwicklungspotential des Embryos zu ermöglichen; wobei das Entwicklungspotential die Eignung oder Fähigkeit ist, sich in eine Blastozyste zu entwickeln,
  52. Abnehmern im Gebiet der Bundesrepublik Deutschland anzubieten und/oder an solche zu liefern
  53. insbesondere, wenn,
  54. das Verfahren das Messen beider umfasst: des Zeitintervalls zwischen der ersten und der zweiten Mitose und die Synchronizität der zweiten und dritten Mitose,
  55. und/oder
    die Parameter durch Zeitrafferaufnahme gemessen werden,
  56. und/oder
    die menschlichen Embryos frisch aus Oozyten durch in-vitro-Fertilisation hergestellt wurden,
  57. und/oder
    die menschlichen Embryos zuvor eingefroren waren,
  58. und/oder
    die Zeitrafferaufnahme mit einem computergesteuerten Mikroskop durchgeführt wird, das für eine digitale Speicherung und Analyse ausgerüstet ist,
  59. und/oder
    die Zeitrafferaufnahme Hellfeldbeleuchtung, Dunkelfeldbeleuchtung, Phasenkontrast, Hoffman-Modulationskontrast, Differentialinterferenzkontrast verwendet,
  60. und/oder
    das Intervall zwischen Bildern zwischen 1 und 30 Minuten beträgt,
  61. und/oder
    das Verfahren weiter den Schritt zum Bestimmen einer Rangordnung der relativen Entwicklungspotentiale der Embryos innerhalb einer Gruppe umfasst,
  62. und/oder
    die Zeitrafferaufnahme mit einem computergesteuerten Mikroskop durchgeführt wird, das für eine digitale Bildspeicherung und -analyse und einer automatisierten Bildanalyse ausgerüstet ist, um vorherzusagen, ob der Embryo wahrscheinlich eine Blastozyste wird, und um die Qualität einer Blastozyste zu bestimmen,
  63. hilfsweise:
    ein Inkubatorsystem mit Zeitraffer-Mikroskop, welches geeignet ist zur Verwendung in einem Verfahren zur Bestimmung des Entwicklungspotentials eines menschlichen Embryos, umfassend
  64. das Messen des folgenden Parameters: das Zeitintervall zwischen der ersten und zweiten Mitose; und Verwenden der Zellparametermessung um eine Bestimmung des Entwicklungspotential des Embryos zu ermöglichen; wobei das Entwicklungspotential die Eignung oder Fähigkeit ist, sich in eine Blastozyste zu entwickeln,
  65. Abnehmern im Gebiet der Bundesrepublik Deutschland anzubieten und/oder an solche zu liefern,
  66. ohne beim Angebot und/oder der Lieferung ausdrücklich und unübersehbar darauf hinzuweisen, dass das Inkubatorsystem mit Zeitraffer-Mikroskop nicht ohne Zustimmung der Klägerin als Patentinhaberin des europäischen Patents EP 2 827 XXX zum Bestimmen des Entwicklungspotentials menschlicher Embryonen in eine Blastozyste durch Messung und Anwendung des Zellparameters des Zeitintervalls zwischen erster und zweiter Mitose, verwendet werden darf;
  67. 2. eine Software zur Auswertung von mittels eines Zeitraffer-Mikroskops gemessenen Zellparametern, welche geeignet ist zur Verwendung in einem Verfahren zur Bestimmung des Entwicklungspotentials eines menschlichen Embryos, umfassend das Messen des folgenden Parameters: das Zeitintervall zwischen der ersten und zweiten Mitose; und Verwenden der Zellparametermessung um eine Bestimmung des Entwicklungspotential des Embryos zu ermöglichen; wobei das Entwicklungspotential die Eignung oder Fähigkeit ist, sich in eine Blastozyste zu entwickeln,
  68. Abnehmern im Gebiet der Bundesrepublik Deutschland anzubieten und/oder an solche zu liefern,
  69. insbesondere, wenn
    das Verfahren das Messen beider umfasst: des Zeitintervalls zwischen der ersten und der zweiten Mitose und die Synchronizität der zweiten und dritten Mitose,
  70. und/oder
    die Parameter durch Zeitrafferaufnahme gemessen werden,
  71. und/oder
    die menschlichen Embryos frisch aus Oozyten durch in-vitro-Fertilisation hergestellt wurden,
  72. und/oder
    die menschlichen Embryos zuvor eingefroren waren,
  73. und/oder
    die Zeitrafferaufnahme mit einem computergesteuerten Mikroskop durchgeführt wird, das für eine digitale Speicherung und Analyse ausgerüstet ist,
  74. und/oder
    die Zeitrafferaufnahme Hellfeldbeleuchtung, Dunkelfeldbeleuchtung, Phasenkontrast, Hoffman-Modulationskontrast, Differentialinterferenzkontrast verwendet,
  75. und/oder
    das Intervall zwischen Bildern zwischen 1 und 30 Minuten beträgt,
  76. und/oder
    das Verfahren weiter den Schritt zum Bestimmen einer Rangordnung der relativen Entwicklungspotentiale der Embryos innerhalb einer Gruppe umfasst,
  77. und/oder
    die Zeitrafferaufnahme mit einem computergesteuerten Mikroskop durchgeführt wird, das für eine digitale Bildspeicherung und -analyse und einer automatisierten Bildanalyse ausgerüstet ist, um vorherzusagen, ob der Embryo wahrscheinlich eine Blastozyste wird, und um die Qualität einer Blastozyste zu bestimmen,
  78. hilfsweise:
    eine Software zur Auswertung von mittels eines Zeitraffer-Mikroskops gemessenen Zellparametern, welche geeignet ist zur Verwendung in einem Verfahren zur Bestimmung des Entwicklungspotentials eines menschlichen Embryos, umfassend
  79. das Messen des folgenden Parameters: das Zeitintervall zwischen der ersten und zweiten Mitose; und Verwenden der Zellparametermessung um eine Bestimmung des Entwicklungspotentials des Embryos zu ermöglichen; wobei das Entwicklungspotential die Eignung oder Fähigkeit ist, sich in eine Blastozyste zu entwickeln,
  80. ohne beim Angebot und/oder der Lieferung ausdrücklich und unübersehbar darauf hinzuweisen, dass das Inkubatorsystem mit Zeitraffer-Mikroskop nicht ohne Zustimmung der Klägerin als Patentinhaberin des europäischen Patents EP 2 827 XXX zum Bestimmen des Entwicklungspotentials menschlicher Embryonen in eine Blastozyste durch Messung und Anwendung des Zellparameters des Zeitintervalls zwischen erster und zweiter Mitose, verwendet werden darf;
  81. II. der Klägerin in darüber einer mittels EDV auswertbaren, elektronischen Form Auskunft zu erteilen, in welchem Umfang sie, die Beklagten, die zu Ziffer I.1. und I.2. bezeichneten Handlungen seit dem 21. Oktober 2020 begangen haben und zwar unter Angabe
  82. 1. der Namen und Anschriften der Hersteller, Lieferanten und anderer Vorbesitzer,
  83. 2. der Namen und Anschriften der gewerblichen Abnehmer sowie der Verkaufsstellen, für die die Erzeugnisse bestimmt waren,
  84. 3. der Menge der hergestellten, ausgelieferten, erhaltenen oder bestellten Erzeugnisse sowie der Preise, die für die betreffenden Erzeugnisse bezahlt wurden;
  85. wobei zum Nachweis der Angaben die entsprechenden Kaufbelege (nämlich Rechnungen, hilfsweise Lieferscheine, höchst hilfsweise Zollpapiere) in Kopie vorzulegen sind, wobei geheimhaltungsbedürftige Details außerhalb der auskunftspflichtigen Daten geschwärzt werden dürfen;
  86. III. der Klägerin darüber in einer mittels EDV auswertbaren, elektronischen Form Rechnung zu legen, in welchem Umfang sie, die Beklagten, die unter Ziffer I.1. und I.2. bezeichneten Handlungen seit dem 21. November 2020 begangen haben, und zwar unter Angabe
  87. 1. der einzelnen Lieferungen, aufgeschlüsselt nach Liefermengen, -zeiten und -preisen einschließlich der Typenbezeichnungen sowie der Namen und Anschriften der Abnehmer,
  88. 2. der einzelnen Angebote, aufgeschlüsselt nach Angebotsmengen, -zeiten und -preisen einschließlich der Typenbezeichnungen sowie der Namen und Anschriften der gewerblichen Angebotsempfänger,
  89. 3. der betriebenen Werbung, aufgeschlüsselt nach Werbeträgern, deren Auflagenhöhe, Verbreitungszeitraum und Verbreitungsgebiet,
  90. 4. der nach den einzelnen Kostenfaktoren aufgeschlüsselten Gestehungskosten und des erzielten Gewinns;
  91. wobei
  92. – es den Beklagten vorbehalten bleibt, die Namen und Anschriften der nichtgewerblichen Abnehmer und Angebotsempfänger statt der Klägerin einem von der Klägerin zu bezeichnenden, ihr gegenüber zur Verschwiegenheit verpflichteten, in der Bundesrepublik Deutschland ansässigen vereidigten Wirtschaftsprüfer mitzuteilen, sofern die Beklagten dessen Kosten trägt und ihn ermächtigt und verpflichtet, der Klägerin auf konkrete Anfrage mitzuteilen, ob ein bestimmter Abnehmer oder Angebotsempfänger in der Aufstellung enthalten ist;
  93. IV. festzustellen, dass die Beklagten verpflichtet sind, der Klägerin allen Schaden zu ersetzen, der ihr durch die in Ziffer I.1. und I.2. bezeichneten, seit dem 21. November 2020 begangenen Handlungen entstanden ist und noch entstehen wird.
  94. Weiterhin beantragt die Klägerin die Festsetzung von Teilsicherheiten für die gesonderte vorläufige Vollstreckung der Ansprüche auf Unterlassung und Auskunft und Rechnungslegung.
  95. Die Beklagten beantragen,
  96. die Klage abzuweisen;
  97. hilfsweise
    den Beklagten zu gestatten, die Zwangsvollstreckung durch Sicherheitsleistung, die auch in Form einer Bankbürgschaft erbracht werden kann, ohne Rücksicht auf eine Sicherheitsleistung der Klägerin abzuwenden,
  98. sowie hilfsweise
    den Rechtsstreit gemäß § 148 ZPO bis zu einer rechtskräftigen Entscheidung in dem das europäische Patent EP 2 827 XXX B1 betreffenden Einspruchsverfahren vor dem Europäischen Patentamt auszusetzen.
  99. Die Beklagten meinen, die Klägerin sei jedenfalls für die geltend gemachten Ansprüche auf Auskunft und Rechnungslegung sowie auf Feststellung der Schadensersatzplicht dem Grunde nach nicht aktivlegitimiert.
  100. Die Beklagten bestreiten mit Nichtwissen, dass Frau XXX und Herr XXX am selben Tag (nämlich am 06.04.2023) das „Patent Assignment Agreement“ eigenhändig unterschrieben hätten. Der angebliche Übertragungsvertrag enthalte keinen Hinweis auf den Ort des Vertragsschlusses. Frau XXX wohne und arbeitet laut dem als Anlage K 65 vorgelegten Bestätigungsschreiben (angeblich) in den Vereinigte Staaten, XXX wohne und arbeitete (angeblich) in der Schweiz. Die Klägerin habe nicht vorgetragen, warum beide den vermeintlichen Übertragungsvertrag am selben Tag unterschrieben hätten. Bemerkenswert sei auch, dass die Unterschriften von Herrn Willem O und Herrn XXX zeitlich auseinanderfielen, obwohl beide angeblich nur gemeinsam zur Unterschrift berechtigt seien.
  101. Die Beklagten bestreiten zudem die Echtheit der Unterschriften mit Nichtwissen. Die Unterschriften von Frau XXX, Herrn XXX Herrn XXX auf dem „Patent Assignment Agreement“ wichen von den Unterschriften auf den in Kopie vorgelegten Ausweisdokumenten ab.
  102. Die Beklagten bestreiten mit Nichtwissen, dass eine Zahlung stattgefunden hat und dass ein Zusammenhang zwischen dem Zahlungsbeleg und dem angeblichen Übertragungsvertrag bestehe.
  103. Die Beklagten bestreiten mit Nichtwissen, dass Frau XXX die ehemalige Patentinhaberin wirksam vertreten habe. Sie bestreiten zudem, dass Herr XXX Herr XXX vertretungsbefugt gewesen seien. Der vorgelegte Handelsregisterauszug datiere auf den 21.05.2023 und lasse somit keine Rückschlüsse auf die Vertretungsverhältnisse am 06.04.2023 bzw. 12.04.2023 zu.
  104. Die Ausführungen der Klägerin zu einer Genehmigung des angeblichen Übertragungsvertrages seien unsubstantiiert. Auf die Genehmigung sei US-Recht anzuwenden. Die Klägerin habe lediglich pauschal und ohne entsprechenden Nachweis behauptet, dass es sowohl in den USA als auch der Schweiz eine dem § 177 Abs. 1 BGB entsprechende Vorschrift gäbe. Selbst bei Anwendbarkeit deutschen Rechts sei der Vortrag zur Genehmigung des angeblichen Übertragungsvertrages unsubstantiiert. Die Klägerin habe keine konkreten Umstände vorgetragen, die auf eine hinreichend konkrete Genehmigungserklärung des jeweils Vertretenen durch die vertretungsberechtigte Person schließen ließen. Sämtliche vorgetragenen Handlungen, nämlich die Zahlung des Betrages an die ehemalige Patentinhaberin und der Umschreibungsantrag, seien von der Klägerin vorgenommen worden. Der bloßen Entgegennahme der angeblichen Zahlung durch die ehemalige Patentinhaberin komme kein Erklärungswert zu.
  105. Es fehle jedenfalls an einer Passivlegitimation der Beklagten zu 1). Verantwortliche für die Internetseite www.XXX.com sei die XXX XXX AB, nicht die Beklagte zu 1). Die Beklagte zu 1) sei nicht deswegen haftbar, weil sie die Holdinggesellschaft der Beklagten zu 2) sei. Dass die Beklagte zu 1), wie von der Klägerin im Parallelverfahren 4a O 68/21 vorgetragen, an verschiedenen Stellen der Website als Teil der „XXX Group“ genannt werde, begründe keine Verantwortlichkeit für die Angebote der angegriffenen Ausführungsformen. Es handele sich nur um einen vorsorglichen Hinweis auf den urheberrechtlichen Schutz der Webseite eines Unternehmens der XXX Gruppe. Erst recht folge aus den Pressemitteilungen keine Verantwortlichkeit der Beklagten zu 1).
  106. Die vermeintliche Erfindung des Klagepatents liege nicht in der Anwendung der „XXX“-Technologie mit den sich hierdurch bietenden Möglichkeiten, sondern darin, spezifische Zellparameter festzulegen, um das Entwicklungspotential zur Blastozyste zu bestimmen. Das klagepatentgemäße Zellparameter, das einzeln gemessen werden könne, ergebe sich aus dem Patentanspruch. Das klagepatentgemäße Bewertungsverfahren sei insgesamt darauf ausgerichtet, in einem frühen Zellstadium (unter Zugrundelegung des Zeitintervalls zwischen erster und zweiter Mitose) die Fähigkeit des Embryos zu ermitteln, sich in eine Blastozyste zu entwickeln, um einen möglichst frühzeitigen Transfer des Embryos zu ermöglichen. Das Klagepatent sei auf eben dieses Verfahren beschränkt Die Blastozyste selbst sei kein Parameter bei der Bewertung des Embryos nach dem klagepatentgemäßen Verfahren.
  107. Es liege keine mittelbare Verletzung von Anspruch 1 des Klagepatents vor. Die Klägerin könne nicht darlegen, dass die Beklagten mit den angegriffenen Ausführungsformen Mittel im Sinne des § 10 Abs. 1 PatG anbieten und/oder liefern, welche objektiv dazu geeignet und seitens der Abnehmer der Beklagten dazu bestimmt sind, für die Benutzung des klagepatentgemäßen Verfahrens nach Anspruch 1 verwendet zu werden.
  108. Die Klägerin habe nicht ausreichend dargelegt, dass sich mit der angegriffenen Ausführungsform I allein das Zeitintervall zwischen der ersten und zweiten Mitose ermitteln lasse. Der vom Nutzer eingegebene Zeitpunkt der Insemination lasse keine Rückschlüsse auf die Dauer des Zeitintervalls zwischen erster und zweiter Mitose zu.
  109. Auch die J-Software (angegriffene Ausführungsform II) verwirkliche nicht die Lehre des Klagepatents. In der Grundversion zeige ein Diagramm unterhalb des „XXX“-Bildes lediglich die Blastomerenaktivität an, wobei ein Ausschlag der dargestellten Funktionskurve ein Hinweis auf ein Zellteilungsereignis sein könne. Der Nutzer müsse die Annotation der morphologischen Ereignisse selbständig vornehmen. Nur diese Daten zeige die Annotierungstabelle an. Aus der Technote der Beklagten (Anlage K 12) ergebe sich, dass nur Ereignisse, keine Zeiträume, annotiert werden könnten. Mithilfe der Annotierungstabelle ließen sich keine Zeitintervalle darstellen, da die dargestellten Zeitpunkte sich nur auf die Insemination bezögen. Die Berechnung von Zeitintervallen müsse händisch erfolgen.
  110. Die Funktionalität, exakte Zellteilungsereignisse zu erkennen und einen Vorschlag für die entsprechende Annotation zu machen, sei lediglich dann gegeben, wenn der Nutzer die „XXX“-Funktionalität erwerbe. Der Nutzer könne aus einer Vielzahl vordefinierter Variablen wählen, zu denen nur die nicht geschützten Zeitpunkte t2 und t3 gehörten. Die Zeitpunkte bezögen sich jeweils nur auf die Insemination. Eine Bestimmung des klagepatentgemäßen Zeitintervalls sei auch bei der „XXX“ nur durch den Nutzer händisch möglich.
  111. Bei der Funktion „Compare and Select“ könnten die jeweils durch den Nutzer eigenständig annotierten, vordefinierten Parameter unter Anwendung eines Modells entweder rein informatorisch dargestellt werden oder – durch Festlegung bestimmter Beurteilungskriterien durch den Nutzer – zu einem “Score” führen. Der Benutzer selbst müsse definieren, welche Parameter seinen Endpunkt unterstützen. Der relevante klinische Endpunkt sei immer die Lebendgeburt und nicht das Erreichen des Blastozystenstadiums. Dieses diene zwar zur Bestimmung des Entwicklungspotentials, sei aber nicht selbst Gegenstand der Prognose.
  112. Mit der Funktion „Report“ könne lediglich ein Bericht über die Behandlung des Patienten erstellt werden.
  113. Das anspruchsgemäße Zeitintervall ließe sich auch mit K (angegriffene Ausführungsform III) nicht messen. Bezugspunkt sei das Einnistungspotential, nicht das Erreichen des Blastozystenstadiums. Dieses sei nur ein Anhaltspunkt aus einer Vielzahl von Parametern. Die Klägerin trage selbst nicht vor, dass die Beklagten dazu ermunterten, ein Modell zu erstellen, dass dem Klagepatent entspreche.
  114. Die konkrete Festlegung und Abstimmung der von der angegriffenen Ausführungsform I verwendeten Faktoren – einzeln und in der Gesamtschau – obliege jeder einzelnen Klinik und werde von der Beklagten nicht vorgegeben. Es könnten nur Zeitpunkte, keine Zeitintervalle von der angegriffenen Ausführungsform II annotiert werden. Die Beklagten empfählen in ihrer Technote die Blastozystenbildung als zu annotierendes Ereignis.
  115. Hinsichtlich der angegriffenen Ausführungsform I fehle es an der objektiven Eignung zur Durchführung des klagepatentgemäßen Verfahrens. Es handele sich um ein Zeitraffermikroskop, dass das Klagepatent nicht unter Schutz stelle. Für das Messen des Zellparameters und darauf aufbauend das Bestimmen der Entwicklungskompetenz des Embryos biete es keinerlei Unterstützung.
  116. Auch hinsichtlich der angegriffenen Ausführungsform II fehle es an der objektiven Eignung. Das klagepatentgemäße Zellparameter werde nicht gemessen. Bei der Dauer zwischen der ersten und zweiten Mitose handele es sich um kein morphologisches Ereignis, welches als solches annotiert werden könnte, sondern um ein Zeitintervall zwischen zwei verschiedenen morphologischen Ereignissen. Für die objektive Eignung genüge nicht, dass die Zeitpunkte t2 und t3 gemessen würden. Die einzige Möglichkeit, eine solche Berechnung durch das System durchführen zu lassen, bestehe bei der Grundversion der angegriffenen Ausführungsform I darin, das Zeitintervall über die Funktion „Compare and Select“ als „Custom Expression“ zu definieren. Auch bei der „XXX“-Funktionalität würden keine Zeitintervalle annotiert. Es gebe für den Nutzer keine Möglichkeit, die grundsätzliche Funktionsweise der Annotation durch die Software zu verändern.
  117. Die angegriffene Ausführungsform II führe weder in der Grundversion noch mit der „XXX“-Funktionalität eine Bestimmung des Potentials des Embryos, sich in eine Blastozyste zu entwickeln, durch. Es werde keine Entscheidung vorgegeben und auch keine Entscheidungsempfehlung abgegeben. Auch die „XXX“-Funktionalität gebe nur Vorschläge zur Annotation von Ereignissen, keine Entscheidungsempfehlung bezüglich des Transfers oder des Entwicklungspotentials. Der bei der Funktion „Compare and Select“ gebildete Score sei nur ein Parameter bei der Entscheidung des Nutzers. Es handele sich nicht um eine Prognose hinsichtlich der Entwicklungskompetenz.
  118. Auch die angegriffene Ausführungsform III sei objektiv nicht geeignet, das klagepatentgemäße Verfahren umzusetzen. Mit dieser ließen sich nur die Zeitpunkte t2 und t3 annotieren, nicht aber das klagepatentgemäße Merkmal. Bezugspunkt sei ferner das Entwicklungspotential im Hinblick auf eine Lebendgeburt, nicht aber im Hinblick auf die Fähigkeit des Embryos, sich in eine Blastozyste zu entwickeln.
  119. Die angegriffenen Ausführungsformen I und II bezögen sich zudem nicht auf ein wesentliches Element der Erfindung. Der Beitrag der angegriffenen Ausführungsform II beschränke sich auf das Messen der Zeitpunkte t2 und t3. Diese Funktion könne auch von jedem anderen „XXX“-Mikroskop erfüllt werden. Es handele sich bei den angegriffenen Ausführungsformen I und II um lediglich austauschbare Mittel.
  120. Schließlich fehle es an der erforderlichen Verwendungsbestimmung der Abnehmer sowie dem subjektiven Element der mittelbaren Patentverletzung. Die Referenzliste auf wissenschaftliche Aufsätze und die XXX-Empfehlungen seien nicht geeignet, eine Verwendungsbestimmung zu begründen.
  121. Das informierte Fachpublikum verstehe den Verweis auf die „References“ nicht als eindeutigen Hinweis darauf, die in diesen Artikeln dargelegten Parameter unmittelbar einzusetzen. In diesen Artikeln würden die klagepatentgemäßen Parameter entweder gar nicht erwähnt, lediglich neutral beschrieben oder es werde sogar hervorgehoben, dass sie keine Aussagekraft hätten. Keiner der Aufsätze stelle eine tatsächliche Nutzung des Klagepatents dar. Vielmehr relativierten die Studien zudem die Bedeutung des Merkmals cc2 und wiesen darauf hin, dass die späteren Entscheidungszeitpunkte für die erfolgreiche Entwicklung von Embryonen entscheidend seien. In den Fachaufsätzen werde empfohlen, den Embryo nicht in einem frühen Stadium zu transferieren, sondern diesen mindestens fünf Tage lang in vitro bis zum Blastozystenstadium zu kultivieren. Der D Inkubator sei dazu unstreitig in der Lage und der Nutzer werde dazu in der Technote angehalten. Der jeweilige Nutzer habe demnach keine Veranlassung, das klagepatentgemäße Verfahren anzuwenden, um eine Prognose über ein Stadium abzugeben, dass er ohnehin prüfen könne.
  122. Auch die XXX-Publikation spreche lediglich die Empfehlung aus, dass die jeweilige Klinik selbständig und mit Blick auf ihre konkrete Situation prüfen müsse, ob ein „XXX“-System überhaupt Sinn mache und ob und wenn ja welche morphokinetischen Parameter berücksichtigt werden sollten. Es werde nicht nahegelegt, den klagepatentgemäßen Parameter zu verwenden. Die Beklagten hätten den Artikel zudem – was auch die Klägerin nicht behaupte – nicht zitiert und auch nicht in Bezug genommen.
  123. Schließlich habe die Klägerin auch den erforderlichen Nachweis hinsichtlich des für §10 PatG erforderlichen subjektiven Elements der Beklagten nicht erbracht. Die Beklagten hätten weder die erforderliche Kenntnis, noch sei die Verwendung für diese offensichtlich. Zudem sei nicht offensichtlich, dass das klagepatentgemäße Verfahren überhaupt Verwendung finde, da der Nutzer das Blastozystenstadium selbst überwachen könne, was das Bestimmen der diesbezüglichen Entwicklungskompetenz überflüssig mache.
  124. Sollte allein die Möglichkeit, mit den angegriffenen Ausführungsformen bestimmte morphologische und morphokinetische Eigenschaften der Embryonen – insbesondere Zeitpunkte t2 und t3 – anhand von erstellten Bildern im „XXX“-Verfahren zu annotieren, für eine mittelbare Patentverletzung ausreichen, stünde den Beklagten in diesem Fall ein Vorbenutzungsrecht nach § 12 Abs. 1 S. 1 PatG zu. Dieses beruhe auf dem Erfindungsbesitz und den Veranstaltungen der Rechtsvorgängerin XXX AS. Mit den von der XXX entwickelten und vertriebenen Vorgängermodellen des D sowie der jeweils zugehörigen Software sei es bereits möglich gewesen, bestimmte morphologische und morphokinetische Eigenschaften der Embryonen – insbesondere Zellteilungen – anhand von erstellten Bildern im „XXX“-Verfahren zu annotieren, etwa mittels der 2008 auf einem Anual Meeting der XXX („XXX“) gezeigten Software „XXX oder auf dem „XXX“ 2009 der XXX (“XXX“) in XXX. Weiterhin sei der weiter entwickelte „D-D“ mit der Software H“ (v.0.9.17) im Jahre 2009 auf dem 25. jährlichen Treffen der XXX („XXX“) in XXX ausgestellt worden. Schließlich seien angegriffene Ausführungsformen der Uniklinik XXX angeboten worden.
  125. Schließlich sei jedenfalls die seitens der Klägerin beantragte unbedingte Unterlassungsverfügung nicht gerechtfertigt. Die angegriffenen Ausführungsformen könnten patentfrei genutzt werden.
  126. Angaben zu den hergestellten Erzeugnissen seien schon deshalb nicht geschuldet, da die Beklagten die angegriffenen Ausführungsformen nicht in Deutschland herstellten.
  127. Jedenfalls sei die Verhandlung des vorliegenden Rechtsstreits im Hinblick auf das parallele Nichtigkeitsverfahren auszusetzen, da sich das Klagepatent hierin mit überwiegender Wahrscheinlichkeit als nicht rechtsbeständig erweisen werde. Der Gegenstand des Klagepatents sei neuheitsschädlich durch die Veröffentlichungen von XXX et al. (Anlage B 14) und XXX et al. (Anlage B 15) vorweggenommen. Zudem sei das Klagepatent mangels Ausführbarkeit nichtig und der Inhalt der erteilten Fassung des Klagepatents gehe über den Inhalt der ursprünglich eingereichten Anmeldeunterlagen hinaus und sei damit mangels Ursprungsoffenbarung nichtig.
  128. Das Gericht hat den Parteien und den Prozessbevollmächtigten von Amts wegen gestattet, sich während der mündlichen Verhandlung an einem anderen Ort aufzuhalten und dort Verfahrenshandlungen über den von der Justiz des Landes NRW zur Verfügung gestellten Virtuellen Meetingraum (VMR) vorzunehmen. Davon hat Herr Dr. XXX, Leiter XXX-Gruppe, auf Seiten der Klägerin Gebrauch gemacht.
  129. Für die Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird auf die ausgetauschten Schriftsätze samt Anlagen sowie auf das Protokoll der mündlichen Verhandlung verwiesen.
  130. Entscheidungsgründe
  131. Die Klage ist unbegründet. Die Klägerin hat gegen die Beklagten keine Ansprüche aus Art. 64 EPÜ i.V.m. §§ 139 Abs. 1, Abs. 2, 140b Abs. 1, Abs. 3 PatG i.V.m. §§ 242, 259 BGB.
  132. I.
    Die Frage der Aktivlegitimation kann im Hinblick auf die mangelnde Verletzung dahinstehen.
  133. II.
    Die Beklagten verletzen das Klagepatent aufgrund des Angebots und/oder Vertriebs der angegriffenen Ausführungsformen nicht mittelbar (§ 10 PatG).
  134. Das Klagepatent, dessen deutscher Übersetzung (Anlage K 3a) die nachfolgend ohne Quellenangabe zitierten Absätze entstammen, betrifft insbesondere die Bildgebung und Bewertung menschlicher Embryonen.
  135. 1.
    In seiner einleitenden Beschreibung schildert das Klagepatent die Bedeutung und Verbreitung der In-vitro-Fertilisation (IVF) bei der Kinderwunschbehandlung (Abs. [0002]). Durch IVF-Zyklen entsteht jährlich eine große Zahl von Embryonen, häufig mit unterschiedlichem und unzureichend definiertem Potenzial für eine erfolgreiche Implantation und Entwicklung bis zum normalen Geburtstermin. Dabei betrug die durchschnittliche Lebendgeburtsrate pro Zyklus nach einer IVF Berichten zufolge nur 30 %.
  136. Das Verständnis von der allgemeinen Entwicklung von Embryonen ist nach dem Stand der Technik begrenzt, da biologische Studien an menschlichen Embryonen nach wie vor schwierig sind und häufig von der Forschungsfinanzierung ausgeschlossen werden. Trotz der Unterschiede zwischen menschlichen Embryonen und denen anderer Spezien basiert daher die Mehrheit der Studien über die Entwicklung von Embryonen vor der Implantation auf Modellorganismen (d.h. anderen Spezien), die sich schwer auf die Entwicklung menschlicher Embryonen übertragen lassen (Abs. [0003]).
  137. Das Klagepatent schildert weiter, dass in jüngerer Zeit Zeitrafferbildgebungsanalysen eingeführt wurden, um die Entwicklung menschlicher Embryonen zu überwachen und ihre potenzielle Lebensfähigkeit zu bewerten (Abs. [0005]). Dabei ist die Extrusion der Polkörper und die Bildung von Vorkernen analysiert und mit einer guten Morphologie an Tag 3 korreliert worden. Eine Korrelation zwischen den Parametern und der Blastozystenbildung oder dem Schwangerschaftsausgang ist jedoch ausgeblieben (Abs. [0005]). Weitere Verfahren beobachteten den Beginn der ersten Furchung als Indikator für die Lebensfähigkeit eines menschlichen Embryos, erkannten jedoch nicht die Bedeutung und Dauer der Zytokinese oder der Zeitintervalle zwischen den frühen Teilungen an (Abs. [0005]). Weitere Verfahren (WO/2007/144001) verwendeten die Zeitrafferbildgebung zur Messung von Zeitpunkt und Umfang der Zellteilung während der frühen Entwicklung boviner Embryonen, die sich im Hinblick auf das Entwicklungspotential, das morphologische Verhalten, die epigenetischen Programme sowie die den Embryotransfer umgebenden Zeitpunkte und Parater erheblich von menschlichen Embryonen unterschieden (Abs. [0006]). Spezifische Bildgebungsparater oder Zeitintervalle, die eine Prognose über die Lebensfähigkeit menschlicher Embryonen zulassen würden, sind nicht offenbart worden (Abs. [0006]). XXX et al. haben die Zeitrafferbildgebung angewendet, um die Entwicklung menschlicher Embryonen während der ersten 24 Stunden nach der Befruchtung zu beobachten (Abs. [0007]). Zwar ist festgestellt worden, dass die Synchronie der Nuklei nach der ersten Teilung mit dem Schwangerschaftsausgang korreliert, allerdings ist geschlussfolgert worden, dass die erste Furchung kein bedeutender Prognoseparameter ist (Abs. [0007]). Keine Studie hat die Bildgebungsparameter durch Korrelation mit den molekularen Programmen oder der chromosomalen Zusammensetzung der Embryonen validiert (Abs. [0008]).
  138. Das Klagepatent hält die im Stand der Technik bekannten Verfahren zur Evaluierung menschlicher Embryonen daher für mangelhaft (Abs. [0009]).
  139. Das Klagepatent macht keine Angaben zu seiner Aufgabenstellung. Ausgehend von dem erörterten Stand der Technik lässt sich als technisches Problem des Klagepatents ansehen, ein Verfahren zur Bewertung menschlicher Embryonen bereitzustellen, das die geschilderten Probleme überwindet.
  140. 2.
    Zur Lösung dieser Aufgabe schlägt das Klagepatent in Anspruch 1 ein Verfahren zur Bestimmung des Entwicklungspotentials eines menschlichen Embryos vor, das in Form einer Merkmalsgliederung wie folgt dargestellt werden kann:
  141. Verfahren zur Bestimmung des Entwicklungspotentials eines menschlichen Embryos, umfassend
  142. 1. Messen des folgenden Zellparameters: das Zeitintervall zwischen der ersten und zweiten Mitose;
  143. 2. und Verwenden der Zellparametermessung um eine Bestimmung des Entwicklungspotential des Embryos zu ermöglichen;
  144. 3. wobei das Entwicklungspotential die Eignung oder Fähigkeit ist, sich in eine Blastozyste zu entwickeln.
  145. 3.
    Das klagepatentgemäße Verfahren dient der Bestimmung des Entwicklungspotentials eines Embryos anhand des Zeitintervalls zwischen der ersten und zweiten Mitose (Abs. [0010]).
  146. a)
    Für die Zell-Parametermessung im ersten Verfahrensschritt (Merkmal 1) sieht der Klagepatentanspruch ein Zellparameter, nämlich das Zeitintervall zwischen der ersten und zweiten Mitose, vor. Die Mitose definiert das Klagepatent in Abs. [0029] wie folgt:
  147. „In der Mitose beginnt und vollzieht die Zelle ihre Zellteilung. Dabei wird zuerst das Kernmaterial aufgeteilt, und dann wird das zytoplasmatische Material und das aufgeteilte Kernmaterial (Zytokinese) in zwei getrennte Zellen geteilt.“
  148. Das Zeitintervall zwischen den Mitosen lässt sich gemäß Abs. [0159] ermitteln, indem die Anzahl der Zellen in jedem Modell gezählt wird. Die Zeit zwischen der ersten und zweiten Mitose kann gemäß Abs. [0211] als die Zeit zwischen dem 2-Zellen-Modell und dem 3-Zellen-Modell gemessen werden. Gemäß Abs. [0211] kann abweichend davon die Anzahl der Bilder gezählt werden, in denen das 2-Zellen-Modell am wahrscheinlichsten ist. Dem entnimmt der Fachmann, dass das klagepatentgemäße Zeitintervall zwischen der ersten und zweiten Mitose der Zeitraum zwischen dem Zeitpunkt, in dem sich der Embryo erstmals im 2-Zell-Stadium und dem Zeitpunkt, in dem sich der Embryo erstmals im 3-Zell-Stadium befand, ist, welches dem Zeitraum entspricht, in dem sich der Embryo im 2-Zell-Stadium befindet.
  149. b)
    Im zweiten Verfahrensschritt (Merkmale 2 und 3) soll die Zell-Parametermessung dazu verwendet werden, eine Bestimmung des Entwicklungspotentials des Embryos zu ermöglichen (Merkmal 2), wobei das Entwicklungspotential die Eignung oder Fähigkeit ist, sich in eine Blastozyste zu entwickeln.
  150. Dem entnimmt der Fachmann, dass genau dieser Zellparameter (Zeitintervall zwischen erster und zweiter Mitose) maßgeblich für die Entscheidung ist, ob der menschliche Embryo die Eignung oder Fähigkeit hat, sich in eine Blastozyste zu entwickeln. Aus einer Zusammenschau der Merkmale ergibt sich, dass nach Merkmal 1 allein das Zeitintervall zwischen der ersten und zweiten Mitose gemessen wird und dann gemäß Merkmal 2 diese Messung („Verwenden der Zellparametermessung) verwendet wird, um eine Bestimmung des Entwicklungspotentials des Embryos zu bestimmen. Das Entwicklungspotential ist in Merkmal 3 als Eignung und Fähigkeit, sich in eine Blastozyste zu entwickeln, definiert. Der Fachmann versteht unter einer Blastozyste einen Embryo, der sich im sog. „Blastozystenstadium“ befindet, in dem die befruchtete Eizelle durch die Ausbildung einer flüssigkeitsgefüllten Höhle (Blastozystenhöhle) gekennzeichnet ist. Dieses Stadium erreichen Embryonen 5-6 Tage nach der Follikelpunktion.
  151. Das Klagepatent führt in Abs. [0079] aus, dass eine Messung eines einzelnen Parameters ausreichend sein kann, um zu einer Bestimmung des Entwicklungspotentials zu gelangen, während es bei anderen Ausführungsformen wünschenswert sein kann, Messungen von mehr als einem Parameter zu verwenden, zum Beispiel 2 Zellparameter, 3 Zellparameter oder 4 oder mehr Zellparameter. Letztere sind indes gerade nicht beansprucht. Dies entnimmt der Fachmann auch einem Vergleich mit dem Unteranspruch 2, der ein Verfahren nach Anspruch 1 umfassend das Messen beider: des Zeitintervalls zwischen der ersten und zweiten Mitose und der Synchronizität der zweiten und dritten Mitose lehrt. Daraus ergibt sich, dass Anspruch 1 gerade keine Messung weiterer Zellparameter und damit auch keine Verwendung weiterer als des in Merkmal 1 genannten Zellparameters vorsieht.
  152. Endpunkt der vorzunehmenden Bestimmung des Entwicklungspotentials des Embryos ist die Entwicklung zur Blastozyste. Abs. [0051] der Klagepatentbeschreibung führt aus, dass es für die Zwecke der In-vitro-Fertilisation als vorteilhaft betrachtet werde, wenn der Embryo in der frühen Entwicklung in den Uterus übertragen werde, z.B. an Tag 2 oder Tag 3, d.h. bis zum 8-zelligen Stadium, um das Verlustrisiko von Embryonen aufgrund der Nachteile der Kulturbedingungen bezüglich der In-vitro-Umgebung zu reduzieren und um potentiell schädliche Ergebnisse zu reduzieren, die mit epigenetischen Fehlern in Zusammenhang gebracht werden, welche während der Kultur auftreten könnten. Dementsprechend sei es zu bevorzugen, dass die Messung von Zellparametern innerhalb von 2 Tagen nach der Befruchtung stattfinde, obwohl längere Analyseperioden, z.B. etwa 36 Stunden, etwa 54 Stunden, etwa 60 Stunden, etwa 72 Stunden, etwa 84 Stunden, etwa 96 Stunden und mehr, ebenfalls in Betracht gezogen würden (Abs. [0051]). Die 5-6 Tage (also 120 bis 144 Stunden) nach der Follikelpunktion eintretende Entwicklung des Embryos in eine Blastozyste stellt daher einen nicht mehr zur Bewertung heranzuziehenden Parameter dar.
  153. III.
    Die Beklagten verletzen das Klagepatent nicht mittelbar durch das Anbieten und Liefern der angegriffenen Ausführungsformen.
  154. Nach § 10 Abs. 1 PatG ist es jedem Dritten verboten, im Inland nicht zur Benutzung der patentierten Erfindung berechtigten Personen Mittel, die sich auf ein wesentliches Element der Erfindung beziehen, zur Benutzung der Erfindung im Inland anzubieten oder zu liefern, wenn der Dritte weiß oder es auf Grund der Umstände offensichtlich ist, dass diese Mittel dazu geeignet und bestimmt sind, für die Benutzung der Erfindung verwendet zu werden. Dies gilt nicht, wenn die Zustimmung des Patentinhabers vorliegt.
  155. Die angegriffene Ausführungsform III sowie die angegriffene Ausführungsform II bei Nutzung der Funktion „XXX“ weisen keine objektive Eignung auf, das klagepatentgemäße Verfahren zu verwirklichen. Hinsichtlich der angegriffenen Ausführungsform I sowie der angegriffenen Ausführungsform II bei Nutzung der Standardversion ist dies ebenfalls nicht zur Überzeugung der Kammer festzustellen (dazu unter 1.). Überdies ist eine Verwendungsbestimmung bei den Abnehmern nicht ersichtlich (dazu unter 2.).
  156. 1.
  157. a)
    Ein Mittel bezieht sich dann auf ein „wesentliches Element“ der Erfindung, wenn es wortsinngemäß oder äquivalent ein oder mehrere Merkmale des jeweiligen Patentanspruchs erfüllt (BGH, GRUR 2004, 758 – Flügelradzähler; BGH, GRUR 2005, 848 – Antriebsscheibenaufzug; BeckOK PatR/Ensthaler, 23. Ed. 15.1.2022, PatG § 10 Rn. 5). Ob die erforderliche Eignung des Mittels vorliegt, für die Benutzung der Erfindung verwendet zu werden, beurteilt sich nach der objektiven Beschaffenheit des Gegenstands, der angeboten oder geliefert werden soll oder worden ist (BGH GRUR 2005, 848, 850 – Antriebsscheibenaufzug; BGH, GRUR 2015, 467 Rn. 34 – Audiosignalcodierung; Benkard PatG/Scharen, 11. Aufl. 2015, PatG § 10 Rn. 5). Da der Patentanspruch maßgeblich dafür ist, welcher Gegenstand durch das Patent geschützt ist, sind regelmäßig alle im Patentanspruch benannten Merkmale wesentliche Elemente der Erfindung im Sinne des § 10 Abs. 1 PatG (vgl. BGH, GRUR 2004, 758 – Flügelradzähler), soweit sie nicht ausnahmsweise zum Leistungsergebnis nichts beitragen (vgl. BGH, GRUR 2007, 769 – Pipettensystem).
  158. Bei einem Verfahrensanspruch bezieht sich eine im Patentanspruch genannte Vorrichtung, die zur Ausführung des Verfahrens verwendet wird, regelmäßig auf ein wesentliches Element der Erfindung (vgl. BGH, GRUR 2007, 773 – Rohrschweißverfahren). Etwas anderes gilt nur für Mittel, die zwar bei der Benutzung der Erfindung verwendet werden können, zur Verwirklichung der geschützten Lehre jedoch nichts beitragen. Leistet ein Mittel dagegen einen solchen Beitrag, kommt es grundsätzlich nicht darauf an, mit welchem Merkmal oder welchen Merkmalen des Patentanspruchs es zusammenwirkt (BGH, GRUR 2015, 467 Rn. 58 – Audiosignalcodierung; BGH, GRUR 2012, 1230 – MPEG-2-Videosignalcodierung; BGH, GRUR 2007, 769 – Pipettensystem). Deshalb ist grundsätzlich unerheblich, ob das Merkmal, mit dem das Mittel zusammenwirkt, durch den Stand der Technik vorweggenommen oder nahegelegt ist oder ob es den „Kern“ der Erfindung betrifft (BGH, GRUR 2015, 467 Rn. 58 – Audiosignalcodierung; BGH, GRUR 2007, 769 – Pipettensystem; BGH, GRUR 2004, 758 – Flügelradzähler).
  159. Nicht von § 10 PatG erfasst sind aber Mittel, die lediglich den Gegenstand oder Ausgangspunkt eines geschützten Verfahrens betreffen. Für die mittelbare Verletzung eines Patents, das ein Verfahren zum Decodieren von Daten betrifft, reicht es deshalb nicht aus, einen Datenträger anzubieten oder zu liefern, der zur Decodierung geeignete Daten enthält. Ein Decodierverfahren ist ohne das Einlegen eines Datenträgers in ein hierzu vorgesehenes Abspielgerät weder unvollständig noch funktionsuntauglich; es fehlt dann lediglich an Bedarf und Anlass für den Ablauf des Verfahrens (BGH, GRUR 2015, 467 Rn. 87 – Audiosignalcodierung; BGH, GRUR 2012, 1230 – MPEG-2-Videosignalcodierung).
  160. Weiterhin bezieht sich ein Mittel nicht auf ein wesentliches Element der Erfindung, wenn es zwar bei der Benutzung eingesetzt werden kann, aber von völlig untergeordneter Bedeutung ist (BGH, GRUR 2007, 769 – Pipettensystem) und zur Verwirklichung der geschützten Lehre nichts beiträgt (BGH, GRUR 2015, 467 Rn. 95 m.w.N. – Audiosignalcodierung).
  161. b)
    Nach diesen Maßgaben ist bereits fraglich, ob es sich bei der angegriffenen Ausführungsform I und der angegriffenen Ausführungsform II in der Standardversion um Mittel handelt, die sich auf ein wesentliches Element des klagepatentgemäßen Verfahrens beziehen. Die angegriffene Ausführungsform II bezieht sich bei Nutzung der Funktion „XXX“ nicht auf ein wesentliches Element des klagepatentgemäßen Verfahrens. Die angegriffene Ausführungsform III stellt ebenfalls kein Mittel i.S.d. § 10 PatG dar.
  162. aa)
    Die angegriffene Ausführungsform I „D“ (einschließlich der Varianten „XXX“, „F“ und „G“) ist nicht für die Durchführung des klagepatentgemäßen Verfahrens geeignet.
  163. Bei der angegriffenen Ausführungsform I handelt es sich um ein Inkubatorsystem, das mit einer integrierten mikroskopischen Spezialkamera und einem Computerprozessor ausgestattet ist, mit deren Hilfe die Entwicklung der Embryonen nach der Befruchtung überwacht werden kann (Vgl. Anlage K 6; „XXX“). Über die Zeitstempel der Bilder können die Zeitpunkte der Zellteilungen erfasst werden, was wiederum die Berechnung des Zeitintervalls nach Merkmal 1 ermöglicht. Der Benutzer der angegriffenen Ausführungsform I kann am integrierten Bildschirm der angegriffenen Ausführungsform I ablesen, zu welchen Zeitpunkt ein bestimmtes Zellereignis beginnt oder endet bzw. wie lange es dauert. Jedoch nimmt die Spezialkamera in regelmäßigen Abständen Bilder auf, sodass über die Zeitstempel mehrere Zellteilungsereignisse festgehalten werden. Es wird dadurch gerade nicht nur die Bestimmung des Zeitintervalls nach Merkmal 1 ermöglicht.
  164. bb)
    Die angegriffene Ausführungsform II ist – sofern sie auf einer angegriffenen Ausführungsform I aufgespielt ist – zur Messung des in Merkmal 1 genannten Zeitintervalls nicht geeignet. Dem steht nicht entgegen, dass es an einer vordefinierten Einstellung hierfür fehlt. Es ist unstreitig möglich, dass ein Benutzer das klagepatentgemäße Zeitintervall ermitteln kann, etwa im Wege der „Custom Expression“ (Nutzerdefinierter Ausdruck). Die Zeitpunkte t2 und t3 lassen sich unstreitig annotieren.
  165. Allerdings sind auch bei der angegriffenen Ausführungsform II mehrere Zellparameter, nicht nur das klagepatentgemäße, abzulesen.
  166. Hinsichtlich der Grundversion der Software, bei der der Nutzer selbst entscheiden muss, ob bestimmte Zellteilungsereignisse stattgefunden haben, kann auf die obigen Ausführungen zur angegriffenen Ausführungsform I verwiesen werden. Es werden auch hier zugleich mehrere Zellteilungsereignisse angezeigt. Bei Nutzung der Funktion „XXX“ werden Zellteilungsereignisse bereits durch die Software vorgegeben. Unstreitig werden nicht nur die für die Bestimmung des anspruchsgemäßen Zellparameters maßgeblichen Zellteilungsereignisse bestimmt.
  167. cc)
    Die angegriffenen Ausführungsformen III (K D3 und K D5) sind – für sich genommen – keine Mittel, die sich auf ein wesentliches Element der Erfindung des Klagepatents beziehen. Es handelt sich jedenfalls nur um ein Plug-In, das ausschließlich als Bestandteil der angegriffenen Ausführungsform II Verwendung findet und somit für sich genommen bereits keinen Beitrag zur Durchführung des klagepatentgemäßen Verfahrens leisten kann. Die angegriffenen Ausführungsformen III ermöglichen zudem – auch als Plug-In – nicht die Bestimmung, ob ein Embryo die Eignung oder Fähigkeit hat, sich in eine Blastozyste zu entwickeln auf Basis des Zeitintervalls zwischen der ersten und zweiten Mitose. Die angegriffene Ausführungsform III dient als Entscheidungshilfe, welche Embryos verwendet werden sollen, ohne hierfür das Zeitintervall zwischen der ersten und zweiten Mitose heranzuziehen.
  168. 2.
    Bei den angegriffenen Ausführungsformen I und II ist jedenfalls keine Verwendungsbestimmung zu bejahen.
  169. a)
    Die Verwendungsbestimmung spiegelt den erkennbaren Handlungswillen des Belieferten wieder, der das ihm bereitgestellte Verfahren so zusammenfügen und herrichten wollen muss, dass es patentverletzend angewendet werden kann. Genügend ist hierfür, dass bei objektiver Betrachtung aus der Sicht des Liefernden die hinreichend sichere Erwartung besteht, dass der Abnehmer das angebote-ne/gelieferte Mittel zum patentverletzenden Gebrauch verwenden wird. Ist das Mittel hingegen – wie hier – sowohl patentgemäß als auch patentfrei einsetzbar, kann ohne weitere Anhaltspunkte nicht von der Offensichtlichkeit der Verwendungsbestimmung ausgegangen werden (vgl. BGH, GRUR 2005, 848 ff. – Antriebsscheibenaufzug). Da der Wille des Abnehmers als innere Tatsache nur schwer festzustellen ist, kann der Kläger dazu im Rahmen der Offensichtlichkeit auf objektive Indizien und Erfahrungen des täglichen Lebens zurückgreifen (vgl. BGH, GRUR 2005, 848 ff. – Antriebsscheibenaufzug; OLG Düsseldorf, GRUR-RR 2016, 97, 104). Von Bedeutung sind dabei das Maß der Eignung des Mittels für den patentgemäßen Gebrauch, die übliche Verwendung und Anwendungshinweise des Liefernden.
  170. b)
    In der Gesamtschau aus verschiedenen Indizien besteht bei den angegriffenen Ausführungsformen I und II keine solche Bestimmung zur Verwendung im klagepatentgemäßen Verfahren.
  171. aa)
    Aus der Technote der Beklagten (Anlage K 12) ergibt sich keine Verwendungsbestimmung. Dieser sind Definitionen der zu annotierenden Stadien bis hin zur schlüpfenden Blastozyste zu entnehmen. Sämtliche Zellparameter, die nach der Entwicklung zur Blastozyste liegen, finden im klagepatentgemäßen Verfahren jedoch gerade keine Berücksichtigung. Auch kann der Technote keine Empfehlung entnommen werden, gerade (nur) das klagepatentgemäße Zellparameter heranzuziehen, um das Potential des Embryos zu bestimmen, sich in eine Blastozyste zu entwickeln.
  172. bb)
    Der Hinweis auf der Website der Beklagten (Anlage K 26) auf verschiedene Fachartikel stellt keinen Hinweis auf die Verwendbarkeit der angegriffenen Ausführungsformen I und II für das klagepatentgemäße Verfahren dar. Dies lässt sich nicht mit dem Aufzeigen einer patentgemäßen Verwendungsmöglichkeit in einer Gebrauchsanleitung oder ähnlichem gleichsetzen, da es sich nur um einen Verweis auf verschiedene Artikel in der Fachliteratur handelt. Entgegen der Auffassung der Klägerin sind die referenzierten wissenschaftlichen Artikel keine Werbung, die Einsatzmöglichkeiten der angegriffenen Ausführungsformen aufzeigen sollen.
  173. cc)
    Zwar wird im Artikel von XXX et al. (2014) (Anlage K 63) eine Studie dargestellt, in der mit Hilfe der angegriffenen Ausführungsformen I und II Zellparameter in den ersten fünf Tagen der Embryonenentwicklung bestimmt wurden. Bei der Studie selbst wurde das klagepatentgemäße Verfahren nicht durchgeführt, da eine Entwicklung bis zum Blastozystenstadium beobachtet wurde, doch wird ein Transfer am zweiten oder dritten Tag zur Vermeidung von Schwangerschaftskomplikationen als vorteilhaft angesehen (S. 578 der Anlage K 63). Die Studie schlägt ein Model vor, bei dem unter anderem das klagepatentgemäße Zellparameter cc2 zur Bestimmung des Potentials sich in eine Blastozyste zu entwickeln genutzt wird. Daraus ergibt sich jedoch keine sichere Erwartung dafür, dass nur dieses Zellparameter von Nutzern der angegriffenen Ausführungsformen I und II herangezogen werden wird, um das Entwicklungspotential von Embryos zu prognostizieren. Insbesondere schlägt auch der Artikel nicht die Nutzung nur eines einzelnen Zellparameters vor.
  174. dd)
    Auch aus dem Artikel von XXX et al. (2022) (Anlage K 62) ergibt sich keine Verwendungsbestimmung. Die bloße tabellarische Bezugnahme auf Studien, die morphokinetische Marker zur Vorhersage der Blastozystenbildung vorschlagen, unter denen sich eine Studie von XXX et al. (2015), eine Studie von XXX et al. (2019) und XXX et al. (2012) befinden, die jeweils unter Nutzung des D unter anderem das klagepatentgemäße Zellparameter als relevant zur Vorhersage der Entwicklung in eine Blastozyste bestimmt haben, genügt nicht, um eine sichere Erwartung zu begründen, dass die Nutzer allein das klagepatentgemäße Zellparameter heranziehen werden, um das Entwicklungspotential bezogen auf die Entwicklung in eine Blastozyste zu bestimmen.
  175. ee)
    Auch der Artikel von XXX et al. (2014) (Anlage K 27), auf den die Beklagten auf der Website verweisen, lässt eine Verwendungsbestimmung hinsichtlich der angegriffenen Ausführungsformen I und II nicht ausreichend erkennen. Der Artikel stellt eine Studie vor, in der mit Hilfe der angegriffenen Ausführungsformen I und II Embryonen bis zum Blastozystenstadium kultiviert wurden (S. 2 der Anlage K 27). Die Studie kommt zu dem Ergebnis, dass signifikante Unterschiede unter anderem bei dem Zellparameter Dauer des zweiten Zellzyklus cc2 (also das Zeitintervall zwischen der ersten und zweiten Mitose) vorlagen zwischen Embryonen, die sich in Blastozysten entwickelten und solchen, die sich nicht in Blastozysten oder in Blastozysten schlechter Qualität entwickelten (S. 1 der Anlage K 27). Dem Artikel ist damit durchaus zu entnehmen, dass (unter anderem) das klagepatentgemäße Zellparameter zur Beurteilung des Entwicklungspotentials des Embryos im Sinne der Eignung oder Fähigkeit, sich in eine Blastozyste zu entwickeln, für geeignet erachtet wurde. Eine Durchführung des klagepatentgemäßen Verfahrens unter Verwendung der angegriffenen Ausführungsformen I und II geht aus dem Artikel jedoch gerade nicht hervor, da die Embryonen bis zum Blastozystenstadium kultiviert wurden. Der Artikel legt auch nicht nahe, auf die Kultivierung bis zu diesem Stadium zu verzichten. Vielmehr heißt es auf S. 6 des Artikels, dass die untersuchten Parameter auch Auswirkungen auf die Fähigkeit von Blastozysten guter Qualität zur Einnistung zeigten. Überdies begründet der Artikel, der neben dem klagepatentgemäßen Parameter weitere Zellparameter als relevant für das Potential des Embryos, sich in eine Blastozyste zu entwickeln, benennt, keine sichere Erwartung, dass Nutzer gerade nur das klagepatentgemäße Zellparameter zur Beurteilung des Entwicklungspotentials des Embryos bestimmen werden. Unerheblich ist hingegen, dass in der Studie, wie von den Beklagten beanstandet, der Zellparameter selbständig berechnet wurde.
  176. ff)
    Auch der Artikel von XXX et al (2011) (Anlage K 28), auf den die Beklagten auf der Website verweisen, lässt eine Verwendungsbestimmung hinsichtlich der angegriffenen Ausführungsformen I und II nicht ausreichend erkennen. Der Artikel stellt eine Studie vor, in der mit Hilfe der angegriffenen Ausführungsformen I und II Embryonen für mindestens 64 Stunden kultiviert und überwacht wurden (S. 2658 der Anlage K 28). Die Studie schlägt ein in Figur 6 (S. 2665 der Anlage K 28) dargestelltes Verfahren vor, in dem das klagepatentgemäße Zellparameter cc2 in einem letzten Bewertungsschritt zur Unterscheidung zwischen mit + und – bewerteten Embryonen herangezogen wird. Zur Veranschaulichung wird nachfolgend Figur 6 aus dem Artikel von XXX verkleinert eingeblendet.
  177. Die Studie kommt zu dem Ergebnis, dass das Zellparameter cc2 Einfluss auf die Fähigkeit von Embryonen hat, sich zu implantieren. Endpunkt des klagepatentgemäßen Verfahrens ist indes nicht die Bestimmung der Fähigkeit des Embryos, sich einzunisten, sondern die Bestimmung der Eignung oder Fähigkeit des Embryos, sich in eine Blastozyste zu entwickeln. Zwar ist der Klägerin dahingehend zuzustimmen, dass die erfolgreiche Einnistung des Embryos eine vorhergehende Entwicklung in eine Blastozyste voraussetzt, doch ist eine erfolglose Einnistung andererseits nicht mit der erfolglosen Entwicklung in eine Blastozyste gleichzusetzen. Wie die Beklagten ausführen, weist XXX et al. darauf hin, dass für die Implantation nicht nur die Fähigkeit des Embryos, sich in eine Blastozyste zu entwickeln, sondern auch nachfolgende wichtige Prozesse, wie das Schlüpfen und die Einnistung in die Gebärmutter entscheidend sind (S. 2668 der Anlage K 28). Der klagepatentgemäße Parameter wird überdies dahingehend relativiert, dass es für wahrscheinlich gehalten wird, dass spätere Zellteilungsereignisse, wie die Teilung in fünf Zellen, aussagekräftiger seien. Als Nachteil der Bestimmung dieser Zellteilungsereignisse wird die zunehmende Schwierigkeit des Zählens von mehr Zellen dargestellt (S. 2668 der Anlage K 28). Dieses Problem stellt sich bei der automatischen Annotation von Zellteilungsereignissen durch die angegriffenen Ausführungsformen I und II hingegen nicht. Unerheblich ist hingegen, dass in der Studie, wie von den Beklagten beanstandet, der Zellparameter selbständig berechnet wurde.
  178. gg)
    Auch der Artikel von XXX et al. (2015) (Anlage K 30) lässt keine Verwendungsbestimmung hinsichtlich der angegriffenen Ausführungsformen I und II erkennen. Der Artikel stellt eine Studie vor, in der mit der Hilfe der angegriffenen Ausführungsformen I und II unter anderem das Zeitintervall „cc2“ berechnet wurde, welches dem Zeitintervall zwischen der ersten und zweiten Mitose und damit Merkmal 1 entspricht. Der Artikel kommt zu dem Ergebnis, dass signifikante Unterschiede hinsichtlich der Implantationswahrscheinlichkeit von Embryonen bestehen, bei denen cc2 zwischen neun und zwölf Stunden beträgt (S. 276 der Anlage K 30). Die Studie macht vom klagepatentgemäßen Verfahren keinen Gebrauch. Die Implantationswahrscheinlichkeit setzt zwar die Entwicklung des Embryos in eine Blastozyste voraus, doch ist die fehlende Eignung zur Einnistung nicht mit der fehlenden Entwicklung in eine Blastozyste gleichzusetzen. Es gilt das oben zum Artikel von XXX et al. Gesagte entsprechend.
  179. Der Studie ist jedoch, entgegen des Einwands der Beklagten, nicht zu entnehmen, dass ein Transfer von Embryonen erst am 5. Tag vorzugswürdig sei. Vielmehr wird auf eine Studie von XXX et al. (2014) Bezug genommen, wonach Embryonen an Tag 3, ausgewählt nach morphologischen und morphokinetischen Kriterien, dieselbe Einnistungswahrscheinlichkeit aufwiesen wie an Tag 5 transferierte Embryonen (S. 281 der Anlage K 30).
  180. hh)
    Der Umstand, dass in einer Veröffentlichung der XXX Group aus dem Jahr 2020 (Anlage K 31) auf Studien Bezug genommen wird, die eine Bedeutung der Dauer des zweiten Zellzyklus, der dem klagepatentgemäßen Zellparameter entspricht, für die Implantationswahrscheinlichkeit feststellen, kann ebenfalls keine Verwendungsbestimmung begründen.
  181. ii)
    Die Verwendungsbestimmung ergibt sich auch nicht aus dem dokumentierten Vorgehen der Kliniken der XXX-Gruppe. In dem Lehrbuch „XXX“ von XXX et al. (Anlage K 55) wird die typische Vorgehensweise der Benutzung des D Systems in den Kliniken der XXX-Gruppe beschrieben. In diesen Kliniken – von denen keine in Deutschland liegt – werden die angegriffenen Ausführungsformen I und II zusammen mit einem Embryonenbewertungs-Algorithmus von XXX et al. (2013, XXX) verwendet. Der Algorithmus wurde entwickelt, um die Implantation von Embryonen vorherzusagen.
  182. Als „selection criteria“ in diesem Algorithmus wird unter anderem cc2 (t3-t2 = Merkmal 1) genannt (S. 516 Anlage K 55). Das klagepatentgemäße Zellparameter wird als eines von drei „Selection criteria“ aufgeführt, so dass ihm ein maßgeblicher Einfluss bei der Auswahl der Embryonen zukommt. Die Parameter dienen jedoch der Bestimmung der Implantationswahrscheinlichkeit. Die Kliniken der XXX-Gruppe führen damit gerade nicht das klagepatentgemäße Verfahren durch. Auch insoweit kann auf die obigen Ausführungen zum Artikel von XXX et al. verwiesen werden.
  183. jj)
    Eine Verwendungsbestimmung ergibt sich auch nicht aus dem Patent der Beklagten EP 2 714 XXX B1 (Anlage K 53). In diesem wird gerade die erfolgreiche Implantation des Embryos als Endpunkt der Bewertung des Embryos festgelegt (Abs. [0035] der Beschreibung des EP 2 714 XXX B1).
  184. IV.
    Weder der nachgelassene Schriftsatz der Beklagten vom 04.07.2023 noch der nicht nachgelassene Schriftsatz der Klägerin vom 13.07.2023 machen eine Wiedereröffnung der mündlichen Verhandlung erforderlich. Sie beziehen sich jeweils auf die nicht entscheidungserhebliche Aktivlegitimation der Klägerin.
  185. Der Klägerin war kein Schriftsatznachlass zur Stellungnahme auf die Auslegung der Kammer zu gewähren. Abgesehen davon, dass es für Ausführungen zu Rechtsfragen wie der Patentauslegung keines Schriftsatznachlasses bedarf, hat die Klägerin auch zu Recht nicht mehr geschrieben, da sie bereits in der mündlichen Verhandlung ausreichend Gelegenheit zur Stellungnahme hatte.
  186. Schließlich gebietet auch der Schriftsatz der Klägerin vom 14.08.2023 keinen Anlass zur Wiedereröffnung, da sich der Streitgegenstand durch die Aufrechterhaltung des Klagepatents nicht geändert hat.
  187. V.
    Die Kostenentscheidung folgt aus § 91 Abs. 1 ZPO.
  188. Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit folgt aus § 709 ZPO.
  189. VI.
    Der Streitwert wird auf 10.000.000 EUR festgesetzt.
  190. Der Streitwert war auf 10.000.000 EUR nach Ansicht der Kammer zu erhöhen. Der Streitwert in Höhe von 500.000 EUR erscheint deutlich untersetzt, da das tatsächliche wirtschaftliche Interesse der Klägerin wesentlich höher einzuschätzen ist.
  191. Das Klagepatent hat noch eine lange (mögliche) Restlaufzeit bis zum 23.08.2030.
  192. Es lässt sich ein hoher Angriffsfaktor auf Seiten der Beklagten feststellen. Die Beklagte ist auf dem inländischen Markt aktiv und veräußert die nach Angaben der Parteien sehr kostspieligen angegriffenen Ausführungsformen an Fachkliniken und Arztpraxen. Es ist zu erwarten, dass sie durch ihre Tätigkeit auf dem deutschen Markt hohe Gewinne erzielt.

Schreibe einen Kommentar