I-15 U 85/22 – Vorhangeinrichtung für Rollwagen

Düsseldorfer Entscheidungen Nr. 3338

Oberlandesgericht Düsseldorf

Urteil vom 23. November 2023, I-15 U 85/22

Vorinstanz: 4b O 52/20

  1. A.
    Auf die Berufung der Beklagten wird – unter Zurückweisung des weitergehenden Rechtsmittels – das am 30.06.2022 verkündete Urteil der 4b Zivilkammer des Landgerichts Düsseldorf teilweise abgeändert und insgesamt wie folgt neu gefasst:
  2. I.
    Die Beklagte wird – wegen Verletzung des deutschen Teils des EP 3 490 XXA – verurteilt,
  3. 1.
    es bei Meidung eines für jeden Fall der Zuwiderhandlung vom Gericht festzusetzenden Ordnungsgeldes bis zu EUR 250.000,00 – ersatzweise Ordnungshaft – oder einer Ordnungshaft bis zu sechs Monaten, im Falle wiederholter Zuwiderhandlung bis zu insgesamt zwei Jahren, wobei die Ordnungshaft an einem der Geschäftsführer ihrer persönlich haftenden Gesellschaft zu vollziehen ist, zu unterlassen,
  4. Vorhangeinrichtungen mit einem Flächenelement sowie mit Verbindungsmitteln, wobei die Verbindungsmittel als an das Flächenelement angeschlossene Spannriemen ausgebildet sind und der jeweilige Spannriemen zweiteilig mit einem längenflexiblen Spanngurt mit zwei jeweils endseitigen Klammern und einem im wesentlichen längenstabilen Spanngurt mit einer Spannklemme ausgebildet ist, wobei die Vorhangeinrichtung auf Stangen verzichtet, und wobei das Flächenelement ein Flächengewicht von weniger als 500 g/m2 aufweist sowie zumindest teilweise transparent und als Netz sowie insbesondere beschichtetes Gewebe ausgebildet ist,
  5. welche Vorhangeinrichtungen dazu geeignet sind, zur wahlweisen Abdeckung einer Zugangsöffnung eines Rollwagens, insbesondere Rollcontainers, zwischen zwei benachbarten Seitenpfosten eines Rollwagengestells an diesen lösbar festgelegt zu werden, wobei die Spannriemen sich jeweils zwischen den beiden Seitenpfosten erstrecken,
  6. Abnehmern im Gebiet der Bundesrepublik Deutschland anzubieten und/oder an solche zu liefern;
  7. 2.
    der Klägerin unter Vorlage eines einheitlichen, chronologisch geordneten
    Verzeichnisses in mittels EDV auswertbarer elektronischer Form darüber
    Auskunft zu erteilen, in welchem Umfang sie seit dem 17.06.2020 die zu I.1. bezeichneten Handlungen begangen hat, und zwar unter Angabe
  8. a) der Namen und Anschriften der Hersteller, Lieferanten und anderer
    Vorbesitzer,
  9. b) der Namen und Anschriften der gewerblichen Abnehmer sowie der
    Verkaufsstellen, für welche die Erzeugnisse bestimmt waren,
  10. c) der Menge der hergestellten, ausgelieferten, erhaltenen oder bestellten Erzeugnisse sowie der Preise, die für die betreffenden Erzeugnisse
    bezahlt wurden,
  11. wobei zum Nachweis der Angaben die entsprechenden Kaufbelege, nämlich Rechnungen, hilfsweise Lieferscheine, in Kopie vorzulegen sind, wobei
    geheimhaltungsbedürftige Details außer den auskunftspflichtigen Daten
    geschwärzt werden dürfen;
  12. 3.
    der Klägerin unter Vorlage eines einheitlichen, chronologisch geordneten Verzeichnisses in mittels EDV auswertbarer elektronischer Form darüber Rechnung zu legen, in welchem Umfang sie (die Beklagte) die zu I.1. bezeichneten Handlungen seit dem 17.07.2020 begangen hat, und zwar unter Angabe
  13. a) der einzelnen Lieferungen, aufgeschlüsselt nach Liefermengen, -zeiten, -preisen und Typenbezeichnungen sowie den Namen und Anschriften der Abnehmer,
  14. b) der einzelnen Angebote, aufgeschlüsselt nach Angebotsmenge, -zeiten, -preisen und Typenbezeichnungen sowie den Namen und Anschriften der gewerblichen Angebotsempfänger,
  15. c) der betriebenen Werbung, aufgeschlüsselt nach Werbeträgern, deren Auflagenhöhe, Verbreitungszeitraum und Verbreitungsgebiet,
  16. d) der nach den einzelnen Kostenfaktoren aufgeschlüsselten Gestehungskosten und des erzielten Gewinns,
  17. wobei es der Beklagten vorbehalten bleibt, die Namen und Anschriften der Angebotsempfänger und der nicht-gewerblichen Abnehmer statt der Klägerin einem von der Klägerin zu bezeichnenden, ihr gegenüber zur Verschwiegenheit verpflichteten, in der Bundesrepublik Deutschland ansässigen vereidigten Wirtschaftsprüfer mitzuteilen, sofern die Beklagte dessen Kosten trägt und ihn ermächtigt und verpflichtet, der Klägerin auf konkrete Anfrage mitzuteilen, ob ein bestimmter Abnehmer oder ein bestimmter Angebotsempfänger in der Aufstellung enthalten ist.
  18. II.
    Es wird festgestellt, dass die Beklagte verpflichtet ist, der Klägerin allen Schaden zu ersetzen, der ihr (der Klägerin) durch die zu I.1. bezeichneten, in der Zeit seit dem 17.07.2020 begangenen Handlungen entstanden ist und noch entstehen wird.
  19. III.
    Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
  20. IV.
    Die Widerklage wird abgewiesen.
  21. B.
    Von den Kosten des Rechtsstreit erster und zweiter Instanz haben die Beklagte 60 % und die Klägerin 40 % zu tragen.
  22. C.
    Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
  23. Der Beklagten wird nachgelassen, die Zwangsvollstreckung der Klägerin durch Sicherheitsleistung in Höhe von 1.500.000,00 EUR abzuwenden, falls nicht die Klägerin zuvor Sicherheit in gleicher Höhe leistet. Der Klägerin wird nachgelassen, die Zwangsvollstreckung der Beklagten wegen ihrer Kosten durch Sicherheitsleistung in Höhe von 120 % des jeweils beizutreibenden Betrages abzuwenden, falls nicht die Beklagte zuvor Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
  24. D.
    Die Revision wird nicht zugelassen.
  25. E.
    Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird auf 2.507.291,01 EUR
    festgesetzt.
  26. Gründe
  27. I.
    Die Klägerin ist eingetragene Inhaberin des deutschen Gebrauchsmusters DE 20 2016 104 XXB (Anlage KR1; Klagegebrauchsmuster), das die Bezeichnung „A“ trägt. Sie ist ferner eingetragene Inhaberin des auch mit Wirkung für die Bundesrepublik Deutschland erteilten europäischen Patents 3 490 XXA (Anlage KR7; Klagepatent), das einen Rollwagen mit Vorhangeinrichtung betrifft. Aus diesen Schutzrechten nimmt sie die Beklagte auf Unterlassung, Auskunftserteilung und Rechnungslegung sowie Feststellung ihrer Verpflichtung zum Schadensersatz in Anspruch. Die Beklagte begehrt im Wege der Widerklage die Erstattung vorgerichtlicher Anwaltskosten.
  28. Das Klagegebrauchsmuster wurde am 29.07.2016 angemeldet. Seine Eintragung wurde am 15.09.2016 bekannt gemacht. Der eingetragene Schutzanspruch 1 des Klagegebrauchsmusters lautet wie folgt:
  29. „Vorhangeinrichtung für Rollwagen (1), insbesondere Rollcontainer, zur wahlweisen Abdeckung einer Zugangsöffnung (2) zwischen zwei benachbarten Seitenpfosten (4a) eines Rollwagengestells (4), mit einem Flächenelement (6) und mit Verbindungsmitteln (7, 8, 9, 10, 16) zur lösbaren Festlegung des Flächenelements (6) an den Seitenpfosten (4a), dadurch gekennzeichnet, dass die Verbindungsmittel (7, 8, 9, 10, 16) als an das Flächenelement (6) angeschlossene Spannriemen (7, 8, 9, 10, 16) ausgebildet sind, welche sich jeweils zwischen den beiden Seitenpfosten (4a) erstrecken.“
  30. Am 03.03.2020 reichte die Klägerin neu formulierte Schutzansprüche zur Gebrauchsmusterakte (Anlage KR3), wobei sie erklärte, das Gebrauchsmuster für die Vergangenheit und Zukunft lediglich im Rahmen dieser neuen Ansprüche geltend zu machen (Anlage KR19). Die nachgereichten Schutzansprüche entsprachen denjenigen Patentansprüchen, die der Prüfer des Europäischen Patentamtes in dem das Klagepatent betreffenden Erteilungsverfahren für gewährbar erachtete. Der neu formulierte Schutzanspruch 1 lautet wie folgt (Änderungen gegenüber dem eingetragenen Schutzanspruch 1 hervorgehoben):
  31. „Kombination aus einem Rollwagen (1), insbesondere Rollcontainer, und einer Vorhangeinrichtung zur wahlweisen Abdeckung einer Zugangsöffnung (2) zwischen zwei benachbarten Seitenpfosten (4a) eines Rollwagengestells (4), mit einem Flächenelement (6) sowie mit Verbindungsmitteln (7, 8; 9, 10, 16) zur lösbaren Festlegung des Flächenelementes (6) an den Seitenpfosten (4a), wobei die Verbindungsmittel (7, 8; 9, 10, 16) als an das Flächenelement (6) angeschlossene Spannriemen (7, 8; 9, 10, 16) ausgebildet sind, welche sich jeweils zwischen den beiden Seitenpfosten (4a) erstrecken, dadurch gekennzeichnet, dass der jeweilige Spannriemen (7, 8; 9, 10, 16) zweiteilig mit einem längenflexiblen Spanngurt (7, 8) mit zwei jeweils endseitigen Klammern (8) und einem im Wesentlichen längenstabilen Spanngurt (9, 10, 16) mit einer Spannklemme (16) ausgebildet ist.“
  32. Wegen des Wortlauts der in erster Instanz „insbesondere“ geltend gemachten Unteransprüche 2 bis 4 sowie 9 und 11 des Klagegebrauchsmusters in der Fassung der Eingabe vom 03.03.2020 wird auf die Anlage K3 Bezug genommen.
  33. Das Klagepatent wurde am 07.04.2017 unter Inanspruchnahme der Priorität des Klagegebrauchsmusters angemeldet. Der erteilte Patentanspruchs 1 hat denselben Wortlaut wie der zur Gebrauchsmusterakte nachgereichte Schutzanspruch 1 des Klagegebrauchsmusters. Ebenso lauten die in erster Instanz „insbesondere“ geltend gemachten erteilten Unteransprüche 2 bis 4 sowie 9 und 11 des Klagepatents wie die entsprechenden Unteransprüche des Klagegebrauchsmusters in der Fassung der Eingabe der Klägerin vom 03.03.2020.
  34. Auf einen von der Beklagten erhobenen Einspruch hat die Einspruchsabteilung des Europäischen Patentamtes durch – nach Erlass des landgerichtlichen Urteils ergangene – Entscheidung vom 03.05.2023 (Anlage KR17) das Klagepatent in eingeschränktem Umfang aufrechterhalten. Der von der Einspruchsabteilung gemäß einem Hilfsantrag (Hilfsantrag IIa) der Klägerin aufrechterhaltene Patentanspruch 1 lautet wie folgt (Änderungen gegenüber dem erteilten Patentanspruch 1 hervorgehoben):
  35. „Kombination aus einem Rollwagen (1), insbesondere Rollcontainer, und einer Vorhangeinrichtung zur wahlweisen Abdeckung einer Zugangsöffnung (2) zwischen zwei benachbarten Seitenpfosten (4a) eines Rollwagengestells (4), mit einem Flächenelement (6) sowie mit Verbindungsmitteln (7, 8; 9, 10, 16) zur lösbaren Festlegung des Flächenelementes (6) an den Seitenpfosten (4a), wobei die Verbindungsmittel (7, 8, 9, 10, 16) als an das Flächenelement (6) angeschlossene Spannriemen (7, 8, 9, 10, 16) ausgebildet sind, welche sich jeweils zwischen den beiden Seitenpfosten (4a) erstrecken, dadurch gekennzeichnet, dass der jeweilige Spannriemen (7, 8, 9, 10, 16) zweiteilig mit einem längenflexiblen Spanngurt (7, 8) mit zwei jeweils endseitigen Klammern (8) und einem im Wesentlichen längenstabilen Spanngurt (9, 10, 16) mit einer Spannklemme (16) ausgebildet ist, wobei die Vorhangeinrichtung auf Stangen verzichtet, und wobei das Flächenelement (6) ein Flächengewicht von weniger als 500 g/m2 aufweist sowie zumindest teilweise transparent und als Netz sowie insbesondere beschichtetes Gewebe ausgebildet ist.“
  36. Gegen die Entscheidung der Einspruchsabteilung haben beide Parteien Beschwerde eingelegt.
  37. Die nachfolgend wiedergegebene Figur 1 stammt aus der Klagepatentschrift. Sie zeigt eine erfindungsgemäße Vorhangeinrichtung in montiertem Zustand an einem Rollwagen.
  38. Die Klägerin und die Beklagte beliefern die B AG / C-Gruppe (im Folgenden nur: B/C) jeweils mit Vorhangelementen für Rollbehälter (Rollcontainer). Diese Vorhangelemente, welche auch „Rollbehälterschürzen“ (RBS) genannt werden, sind dazu bestimmt und geeignet, mit Rollbehältern (Rollcontainern) der B/C verwendet zu werden. Die nachfolgend wiedergegebene Abbildung zeigt beispielhaft einen solchen Rollbehälter der B/C.
  39. ,
  40. Im Jahre 2015 fand eine Ausschreibung der B/C betreffend die „Entwicklung und Beschaffung von Rollbehälter/Rollcontainer-Schürzen / -Netzen“ statt. Hierzu existiert eine Unterlage mit dem Titel „Technische Anforderungen Schürze / engmaschiges Netz für RBeh/RoCo für den Betrieb Paket B AG“, Stand: 22/05/2015, wegen deren Inhalts auf die Anlage KMG-BB3 verwiesen wird. An der Ausschreibung nahmen u.a. die Beklagte und die Klägerin teil, wobei letztere angibt, nicht von vornherein in die Ausschreibung einbezogen gewesen zu sei, sondern die Ausschreibungsunterlage erst später erhalten zu haben.
  41. Am 09./11.05.2016 schloss die Klägerin mit der B/C einen „Rahmenvertrag über die Lieferung von Rollcontainer Netzen für RoCo“ (Anlage KR10). Dieser enthält in seinem § 10 eine Regelung über „Nutzungsrechte“, wegen deren Wortlauts auf das Urteil des Landgerichts sowie die Anlage KR10 verwiesen wird.
  42. In der Folge belieferte die Klägerin die B/C mit Vorhangelementen (Rollbehälternetzen), wobei die Auslieferung der ersten Produkte für den öffentlichen Betrieb nach den Angaben der Klägerin erst am 18.08.2016 erfolgt sein soll.
  43. Die Beklagte schloss am 13./21.06.2021 ebenfalls einen „Rahmenvertrag über die Lieferung von Rollcontainer Netzen für RoCo“ (Anlage B6) mit der B/C ab. Das von der Beklagten auf der Grundlage dieses Rahmenvertrags an die B/C gelieferte Vorhangelement, ist in den nachfolgend wiedergegebenen Abbildungen gezeigt (nachfolgend: angegriffene Ausführungsform).
  44. Die grundsätzliche Ausgestaltung der angegriffenen Ausführungsform ergibt sich ferner aus von der Klägerin als Anlage KR6 überreichten weiteren Fotos. Die angegriffene Ausführungsform dient zur Abdeckung der Zugangsöffnung des Rollbehälters (Rollcontainers) zwischen zwei benachbarten Seitenpfosten des Rollbehältergestells. Sie besteht aus einem als Netz ausgebildeten Flächenelement zur lösbaren Festhängung an dem Rollbehältergestell, wobei jedenfalls die unteren drei Verbindungsmittel zur lösbaren Festhängung an den die Zugangsöffnung begrenzenden Seitenpfosten des Rollbehälters geeignet und bestimmt sind. Die Verbindungsmittel, von denen es insgesamt vier gibt, sind als an das Flächenelement angeschlossene Spannriemen ausgebildet. Die Spannriemen sind jeweils zweiteilig mit einem längenflexiblen Spanngurt mit zwei jeweils endseitigen Klammern und einem im Wesentlichen längenstabilen Spanngurt mit einer Spannklemme ausgebildet.
  45. Die Klägerin sieht in der Lieferung der angegriffenen Ausführungsform an die B/C eine mittelbare Verletzung der Klageschutzrechte.
  46. Mit patentanwaltlichem Schreiben vom 29.07.2019 richtete sie eine das Klagegebrauchsmuster betreffende Berechtigungsanfrage an die Beklagte, die diese mit patentanwaltlichem Schreiben vom 09.08.2019 beantwortete. Mit Patentanwaltsschreiben vom 03.03.2020 wies die Klägerin darauf hin, dass sie in Bezug auf die dem Klagepatent zugrundeliegende Patentanmeldung zwischenzeitlich eine Mitteilung nach Regel 71 (3) EPÜ erhalten habe und dass dementsprechend auch die für die Vergangenheit und Zukunft maßgeblichen Schutzansprüche des Klagegebrauchsmusters eine Einschränkung gemäß einer dem Schreiben beigefügten Anlage erfahren hätten. Außerdem führte sie aus, „vor diesem Hintergrund und in Anbetracht der bereits im Schreiben vom 29.07.2019 geltend gemachten Verletzung“ nunmehr der Abgabe einer Unterlassungserklärung entgegenzusehen. Hierauf reagierte die Beklagte mit patentanwaltlichem Schreiben vom 13.03.2020. Mit weiterem patentanwaltlichem Schreiben vom 25.03.2020 erklärte die Klägerin, dass es sich bei ihrem Schreiben vom 29.07.2019 um eine Abmahnung gehandelt habe, und forderte die Beklagte unter Fristsetzung zur Abgabe eine Unterlassungserklärung auf. Dem trat die Beklagte mit patentanwaltlichem Schreiben vom 06.05.2020 entgegen.
  47. Ihre daraufhin erhobene Klage hat die Klägerin (in erster Linie) auf den Schutzanspruch 1 des Klagegebrauchsmusters in der Fassung der Eingabe vom 03.03.2020 sowie auf den erteilten Patentanspruch 1 des Klagepatents gestützt, wobei sie beide Ansprüche in erster Instanz zuletzt mit der Maßgabe geltend gemacht hat, dass es in diesen am Ende jeweils heißt: „wobei die Vorhangeinrichtung keine Stange aufweist, so dass sie sich bei Nichtgebrauch klein und kompakt zusammenfalten lässt“. Die Klägerin hat vor dem Landgericht geltend gemacht:
  48. Die Beklagte verletze die Klageschutzrechte mit der angegriffenen Ausführungsform mittelbar. Werde die angegriffene Rollbehälterschürze bestimmungsgemäß an einem Rollbehälter der B/C angebracht, liege eine Kombination aus einem Rollwagen und einer Vorhangeinrichtung vor, die sämtliche Merkmale der Ansprüche 1 der Klageschutzrechte in der in erster Instanz geltend gemachten Fassung verwirkliche. Die Klageschutzrechte seien nicht auf Verbindungsmittel beschränkt, die so ausgestaltet seien, dass sie ausschließlich an den Seitenpfosten und nirgendwo anders befestigt werden dürften. Es sei daher jedenfalls unschädlich, wenn die oben am angegriffenen Vorhangelement angeordneten Verbindungsmittel auf den oben die Seitenwände begrenzenden Längsstreben des Rollwagengestells platziert würden. Zudem würden sie jedenfalls auch seitlich an den Seitenpfosten anliegen. Die B/C habe keine Berechtigung zur Nutzung der Klageschutzrechte. Aus dem zwischen ihr und der B/C bestehenden Rahmenvertrag ergebe sich keine solche Berechtigung.
  49. Die Beklagte hat Klageabweisung und hilfsweise Aussetzung des Rechtsstreits bis zur erstinstanzlichen Entscheidung des Europäischen Patentamtes über den gegen das Klagepatent erhobenen Einspruch beantragt. Sie hat eine Verletzung der Klageschutzrechte in Abrede gestellt und geltend gemacht:
  50. Mit der angegriffene Ausführungsform verletze sie die Klageschutzrechte nicht. Nach deren Lehre sei entscheidend, dass das Flächenelement der Vorhangeinrichtung nicht in irgendeiner beliebigen Weise an dem Rollwagen festgelegt werde, sondern die Festlegung zwingend und ausschließlich an den Seitenpfosten erfolge, die die Zugangsöffnung des Rollwagens begrenzten. Unter „Festlegung“ im Sinne der Klageschutzrechte sei dabei eine Befestigung zu verstehen, durch welche die vom Rollwagen aufgenommene und auf der zugehörigen Basis des Rollwagens als Ladefläche aufliegende Ware optimal im Inneren des Rollwagens geschützt sei und nicht über die Zugangsöffnung von der Basis rutschen könne. Eine solche Befestigung liege bei der angegriffenen Ausführungsform nicht vor, weil diese einer Auflage des oberen Abschlusses auf den Seitenwänden des Rollwagens bedürfe. Demgegenüber erfahre der oberste Spannriemen keinerlei Festlegung an den Seitenpfosten.
  51. Außerdem könnten ihr (der Beklagten) keine rechtswidrigen Benutzungshandlungen in Deutschland vorgeworfen werden. Die von ihr hier allein belieferte B/C sei zur Nutzung der vermeintlichen Erfindung berechtigt. Ein entsprechendes Nutzungsrecht ergebe sich aus § 10 des zwischen der Klägerin und der B/C abgeschlossenen Rahmenvertrags. Jenseits dieses Vertrags ergebe sich eine Nutzungsberechtigung der B/C zudem aus den Gesamtumständen der Entwicklungshistorie. Jedenfalls sei die B/C zur Nutzung berechtigt, weil sie (die B/C) das fertige Muster bereits deutlich vor der Anmeldung der Klageschutzrechte in ihrem Besitz gehabt habe.
  52. Die Klageschutzrechte seien außerdem nicht schutzfähig bzw. rechtsbeständig. Die nunmehr beanspruchte Kombination aus einem Rollwagen und einer Vorhangeinrichtung sei nicht hinreichend offenbart. Auch liege eine unzulässige Erweiterung vor, weil nunmehr eine Vorhangeinrichtung allgemeiner Art geschützt sei, während die ursprünglich eingetragene Fassung auf eine Vorhangeinrichtung für Rollwagen gerichtet gewesen sei. Darüber hinaus liege eine neuheitsschädliche offenkundige Vorbenutzung des Gegenstands der Klageschutzrechte durch eine Präsentation eines Prototyps (im Folgenden auch: „Prototyp 2“) im Paketzentrum C im März 2015 vor. Sie – die Beklagte – habe eine bereits zuvor an die B/C gelieferte Rollbehälterschürze in den Jahren 2014/2015 im Hinblick auf ein geringeres Gewicht der Schürze, deren Breite und die Durchsichtigkeit des Materials weiterentwickelt. Am 18.03.2015 sei es deshalb im Paketzentrum C zur Präsentation von vier Prototypen durch sie gekommen. Die dort als „Prototyp 2“ vorgestellte, in der nachfolgend eingeblendeten Abbildung gezeigte Rollbehälterschürze habe sämtliche Merkmale der Hauptansprüche der Klageschutzrechte in der in erster Instanz geltend gemachten Fassung verwirklicht.
  53. .
  54. Die der B/C vorgestellten Prototypen seien in deren Paketzentren erprobt worden. Eine weitere Präsentation des „Prototyps 2“ sei im Mai 2015 bei der E AG (nachfolgend nur: E AG) in F/Schweiz erfolgt. In einer auf letztere Präsentation folgenden E-Mail-Korrespondenz (Anlage B5) sei der „Prototyp 2“ abermals neuheitsschädlich beschrieben worden. Eine neuheitsschädliche Vorwegnahme ergebe sich zudem aus einer E-Mail der B/C an sie vom 03.08.2015 (Anlage B15), welche Nachricht in gleicher Weise allen eingeschalteten Unternehmen zugeleitet worden sei.
  55. Auch beruhten die Klageschutzrechten nicht auf einem erfinderischen Schritt bzw. einer erfinderischen Tätigkeit. Sie habe bereits im Jahre 1988 begonnen, die B/C mit einer Rollbehälterschürze zu beliefern, die entsprechend der Lehre der Klageschutzrechte, jedoch zusätzlich mit einer als Aluminiumprofil ausgestalteten Querstange, ausgestattet gewesen sei. Ausgehend von dieser früheren Rollbehälterschürze stelle sich der Ersatz der Stange durch einen Spannriemen nur als eine einfache handwerkliche Maßnahme dar.
  56. Durch Urteil vom 30.06.2022 in der Fassung des Berichtigungsbeschlusses vom 25.07.2022 hat das Landgericht – nach Beweisaufnahme durch Vernehmung von Zeugen – dem Klagebegehren nach den zuletzt gestellten Anträgen entsprochen und die Widerklage abgewiesen, wobei es in der Sache wie folgt erkannt hat:
  57. „I.
    Die Beklagte wird verurteilt,
  58. 1.a)
    es bei Meidung eines für jeden Fall der Zuwiderhandlung vom Gericht festzusetzenden Ordnungsgeldes bis zu EUR 250.000,00 – ersatzweise Ordnungshaft – oder einer Ordnungshaft bis zu sechs Monaten, im Falle wiederholter Zuwiderhandlung bis zu insgesamt zwei Jahren, wobei die Ordnungshaft an einem ihrer Geschäftsführer zu vollziehen ist, zu unterlassen,
  59. Vorhangeinrichtungen mit einem Flächenelement sowie mit Verbindungsmitteln, wobei die Verbindungsmittel als an das Flächenelement angeschlossene Spannriemen ausgebildet sind und der jeweilige Spannriemen zweiteilig mit einem längenflexiblen Spanngurt mit zwei jeweils endseitigen Klammern und einem im wesentlichen längenstabilen Spanngurt mit einer Spannklemme ausgebildet ist,
  60. welche Vorhangeinrichtungen dazu geeignet sind, zur wahlweisen Abdeckung einer Zugangsöffnung eines Rollwagens, insbesondere Rollcontainers, zwischen zwei benachbarten Seitenpfosten eines Rollwagengestells an diesen lösbar festgelegt zu werden, wobei die Spannriemen sich jeweils zwischen den beiden Seitenpfosten erstrecken,
  61. wobei die Vorhangeinrichtung keine Stangen aufweist, so dass sie sich bei Nichtgebrauch auch klein und kompakt zusammenfalten lässt,
  62. Abnehmern im Gebiet der Bundesrepublik Deutschland anzubieten und/ oder an solche zu liefern,
  63. (DE 20 2016 104 XXB U1, Schutzanspruch 1, eingeschränkte Fassung);
  64. 1.b)
    es bei Meidung eines für jeden Fall der Zuwiderhandlung vom Gericht festzusetzenden Ordnungsgeldes bis zu EUR 250.000,00 – ersatzweise Ordnungshaft – oder einer Ordnungshaft bis zu sechs Monaten, im Falle wiederholter Zuwiderhandlung bis zu insgesamt zwei Jahren, wobei die Ordnungshaft an einem ihrer Geschäftsführer zu vollziehen ist, zu unterlassen,
  65. Vorhangeinrichtungen mit einem Flächenelement sowie mit Verbindungsmitteln, wobei die Verbindungsmittel als an das Flächenelement angeschlossene Spannriemen ausgebildet sind und der jeweilige Spannriemen zweiteilig mit einem längenflexiblen Spanngurt mit zwei jeweils endseitigen Klammern und einem im wesentlichen längenstabilen Spanngurt mit einer Spannklemme ausgebildet ist,
  66. welche Vorhangeinrichtungen dazu geeignet sind, zur wahlweisen Abdeckung einer Zugangsöffnung eines Rollwagens, insbesondere Rollcontainers, zwischen zwei benachbarten Seitenpfosten eines Rollwagengestells an diesen lösbar festgelegt zu werden, wobei die Spannriemen sich jeweils zwischen den beiden Seitenpfosten erstrecken,
  67. wobei die Vorhangeinrichtung keine Stangen aufweist, so dass sie sich bei Nichtgebrauch auch klein und kompakt zusammenfalten lässt,
  68. Abnehmern im Gebiet der Bundesrepublik Deutschland anzubieten und/ oder an solche zu liefern,
  69. (EP 3 490 XXA B1, Anspruch 1, eingeschränkte Fassung);
  70. 2.
    der Klägerin unter Vorlage eines einheitlichen, chronologisch geordneten Verzeichnisses in mittels EDV auswertbarer elektronischer Form darüber Auskunft zu erteilen, in welchem Umfang sie seit dem 15.09.2016 die zu I.1.a) bezeichneten Handlungen und seit dem 17.06.2020 die zu I.1.b) bezeichneten Handlungen begangen hat, und zwar unter Angabe
  71. a) der Namen und Anschriften der Hersteller, Lieferanten und anderer Vorbesitzer,
  72. b) der Namen und Anschriften der gewerblichen Abnehmer sowie der Verkaufsstellen, für welche die Erzeugnisse bestimmt waren,
  73. c) der Menge der hergestellten, ausgelieferten, erhaltenen oder bestellten Erzeugnisse sowie der Preise, die für die betreffenden Erzeugnisse bezahlt wurden,
  74. wobei zum Nachweis der Angaben die entsprechenden Kaufbelege, nämlich Rechnungen, hilfsweise Lieferscheine, in Kopie vorzulegen sind, wobei geheimhaltungsbedürftige Details außer den auskunftspflichtigen Daten geschwärzt werden dürfen;
  75. 3.
    der Klägerin unter Vorlage eines einheitlichen, chronologisch geordneten Verzeichnisses in mittels EDV auswertbarer elektronischer Form darüber Rechnung zu legen, in welchem Umfang sie (die Beklagte) die zu I.1.a) bezeichneten Handlungen seit dem 15.10.2016 und die zu I.1.b) bezeichneten Handlungen seit dem 17.07.2020 begangen hat, und zwar unter Angabe
  76. a) der einzelnen Lieferungen, aufgeschlüsselt nach Liefermengen, -zeiten, -preisen und Typenbezeichnungen sowie den Namen und Anschriften der Abnehmer,
  77. b) der einzelnen Angebote, aufgeschlüsselt nach Angebotsmenge, -zeiten, -preisen und Typenbezeichnungen sowie den Namen und Anschriften der gewerblichen Angebotsempfänger,
  78. c) der betriebenen Werbung, aufgeschlüsselt nach Werbeträgern, deren Auflagenhöhe, Verbreitungszeitraum und Verbreitungsgebiet,
  79. d) der nach den einzelnen Kostenfaktoren aufgeschlüsselten Gestehungskosten und des erzielten Gewinns,
  80. wobei es der Beklagten vorbehalten bleibt, die Namen und Anschriften der Angebotsempfänger und der nicht-gewerblichen Abnehmer statt der Klägerin einem von der Klägerin zu bezeichnenden, ihr gegenüber zur Verschwiegenheit verpflichteten, in der Bundesrepublik Deutschland ansässigen vereidigten Wirtschaftsprüfer mitzuteilen, sofern die Beklagte dessen Kosten trägt und ihn ermächtigt und verpflichtet, der Klägerin auf konkrete Anfrage mitzuteilen, ob ein bestimmter Abnehmer oder ein bestimmter Angebotsempfänger in der Aufstellung enthalten ist.
  81. II.
    Es wird festgestellt, dass die Beklagte verpflichtet ist,
  82. 1. der Klägerin allen Schaden zu ersetzen, der ihr durch die zu I.1.a) bezeichneten, in der Zeit seit dem 15.10.2016 begangenen Handlungen entstanden ist und noch entstehen wird,
  83. 2. der Klägerin allen Schaden zu ersetzen, der ihr durch die zu I.1.b) bezeichneten, in der Zeit seit dem 17.07.2020 begangenen Handlungen entstanden ist und noch entstehen wird.
  84. III.
    Die Widerklage wird abgewiesen.“
  85. Zur Begründung hat das Landgericht im Wesentlichen ausgeführt:
  86. Die Klägerin könne ihre Klage auf das Klagegebrauchsmuster in der hier geltend gemachten Anspruchsfassung stützen. Das Klagegebrauchsmuster sei in dieser Fassung schutzfähig. Eine unzulässige Erweiterung der geltend gemachten Anspruchsfassung liege nicht vor.
  87. Die Lehre des Klagegebrauchsmusters in der in erster Instanz geltend gemachten Fassung sei weder durch offenkundige Vorbenutzungen noch durch druckschriftlichen Stand der Technik neuheitsschädlich vorweggenommen. Nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme sei die Kammer zwar davon überzeugt, dass alle Merkmale des Schutzanspruchs 1 in der geltend gemachten Fassung bei der Vorführung des „Prototyps 2“ im Paketzentrum C im März 2015 erkennbar gewesen seien. Die Kammer könne jedoch nicht feststellen, dass die Lehre damit der Öffentlichkeit zugänglich gemacht worden sei. Sie habe nicht die Überzeugung gewinnen können, dass aufgrund der Vorführung mehr als die nur theoretische Möglichkeit bestanden habe, dass beliebige Dritte zuverlässige, ausreichende Kenntnis vom Gegenstand der Vorbenutzung mit den klagegebrauchsmustergemäßen Merkmalen hätten erhalten können. Es liege auch keine offenkundige Vorbenutzung durch die E-Mail des Zeugen G von der B/C an den Zeugen H vom 03.08.2015 sowie durch inhaltsgleiche E-Mails an andere eingeschaltete Unternehmen vor. Diese E-Mails ließen schon keinen Gegenstand mit sämtlichen erfindungsgemäßen Merkmalen erkennen. Unbeschadet dessen stehe der E-Mail-Verkehr im Kontext der Entwicklungstätigkeit für die B/C, wobei das das Ergebnis der Beweisaufnahme nahelege, dass im Hinblick auf die Entwicklungsarbeit eine Geheimhaltungserwartung bestanden habe. Eine offenkundige Vorbenutzung liege auch nicht im Hinblick auf eine etwaige Präsentation eines Prototyps bei der E AG im Mai 2015 vor, weil diese nicht im Geltungsbereich des Gebrauchsmustergesetzes erfolgt sei. Aus den nach den Angaben der Beklagten im Anschluss an diese Präsentation ausgetauschten E-Mails vom 29.05.2015 ergebe sich ebenfalls keine offenkundige Vorbenutzung. Die Kammer habe bereits Zweifel daran, dass in der betreffenden E-Mail sämtliche Merkmale offenbar werden. Außerdem sei nicht ersichtlich, dass es sich bei der Vorbenutzungshandlung in Form der E-Mail um eine offenkundige Vorbenutzungshandlung handele. Hiergegen spreche der Zusatz unter der E-Mail, in welchem deren Inhalt als vertraulich bezeichnet und als ausschließlich für den bezeichneten Adressaten bestimmt beschrieben werde. Die Lehre des Klagegebrauchsmusters in der in erster Instanz geltend gemachten Fassung beruhe auch auf einem erfinderischen Schritt. Zwar sei nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme davon auszugehen, dass die Rollbehälterschürze, die die Beklagte jedenfalls vor dem 29.07.2016 an die B/C geliefert habe, die Merkmale des neu formulierten Schutzanspruchs 1 des Klagegebrauchsmusters verwirkliche und dieser Gegenstand auch durch offenkundige Vorbenutzung zum Stand der Technik zähle. Der Fachmann gelange aber hiervon ausgehend nicht in naheliegender Art und Weise zu einer Vorrichtung ohne Stangen.
  88. Die angegriffene Ausführungsform mache von der Lehre des Klagegebrauchsmusters mittelbar Gebrauch. Die geschützte Lehre beschränke die Mittel zur Verbindung des Flächenelements mit dem Rollwagen nicht auf die in dem Anspruchswortlaut ausdrücklich genannten Verbindungsmittel. Vielmehr lasse sie daneben auch weitere Verbindungsmittel zu. Das neu in den Schutzanspruch 1 aufgenommene Merkmal („ohne Stange“) schließe nur ein Befestigungsmittel in Form einer Stange aus, nicht aber andere Befestigungsmittel. Hiervon ausgehend entspreche die angegriffene Ausführungsform den Vorgaben des Klagegebrauchsmusters. Sie sei mit Verbindungsmitteln ausgestaltet, die eine lösbare Festlegung des Flächenelements an den Seitenpfosten bewirken und die sich jeweils zwischen den beiden Seitenpfosten erstrecken. Dies sei jedenfalls im Hinblick auf die unteren drei Spannriemen der Fall. Diese leisten auch einen erheblichen Beitrag zur Befestigung des Vorhangelements an dem Rollcontainer.
  89. Die von der Beklagten belieferte B/C sei nicht zur Benutzung der Erfindung berechtigt. Eine entsprechende Berechtigung ergebe sich nicht aus vertraglichen Abreden zwischen der Klägerin und der B/C. § 10 des Rahmenvertrags könne nicht entnommen werden, dass sich die eingeräumten Nutzungsrechte vollständig von dem gelieferten/geleisteten Gegenstand derart lösten, dass mit „Arbeitsergebnis“ eine geschützte Erfindung in Bezug genommen sei, von der der jeweilige Gegenstand/Leistung Gebrauch mache. Auch im Übrigen sehe die Kammer keine auf eine irgendwie geartete Vereinbarung zurückgehende Nutzungsberechtigung. Die B/C sei auch nicht aufgrund eines privaten Vorbenutzungsrechts zur Benutzung der geschützten Lehre berechtigt. Es fehle bereits an einem Erfindungsbesitz der B/C. Dieser sei der „Prototyp 2“ offenbart worden, weil die Beklagte Entwicklungsarbeit für die von der B/C angestrebte Modifikation der Rollbehälterschürzen geleistet habe. Es sei nicht erkennbar, dass die B/C sich derart an der Entwicklungsarbeit beteiligt habe, dass ihr eine Berechtigung an der Erfindung habe zustehen sollen. Die Beklagte sei zur Benutzung der geschützten Lehre auch nicht aufgrund eines in ihrer Person entstandenen privaten Vorbenutzungsrechts berechtigt. Zwar habe die Beklagte Erfindungsbesitz gehabt. Die Kammer habe jedoch nicht die Überzeugung davon gewinnen können, dass die Beklagte diesen auch betätigt habe. Eine Benutzungshandlung liege insbesondere nicht in Form der Präsentation des „Prototyps 2“ im März 2015 vor. Es fehle insoweit an einer ernsthaften gewerblichen Nutzungsabsicht. Was den E-Mail-Verkehr zwischen der Beklagten und der E AG anbelange, habe dieser lediglich Prototypen zum Gegenstand gehabt, im Hinblick auf welche eine gewerbliche Nutzungsabsicht gerade noch nicht erkennbar gewesen sei. Die Kammer könne auch nicht feststellen, dass die Beklagte ihren Erfindungsbesitz dadurch betätigt habe, dass sie Veranstaltungen zur alsbaldigen Benutzungsaufnahme getroffen habe.
  90. Der Geltendmachung der Rechte aus dem Klagegebrauchsmuster stehe nicht der Arglisteinwand entgegen. Denn es sei jedenfalls ein Entnahmesachverhalt nicht dargetan. Es verbleibe die Möglichkeit, dass die Klägerin einen erfindungsgemäßen Gegenstand ganz unabhängig von der Entwicklungsarbeit der Beklagten oder eines anderen Dritten entworfen habe.
  91. Die angegriffene Ausführungsform verletze ferner das Klagepatent in der in erster Instanz geltend gemachten Fassung mittelbar. Die Beklagte sei aus den bereits im Zusammenhang mit dem Klagegebrauchsmuster dargestellten Gründen ebenfalls unter keinem rechtlichen Gesichtspunkt zur Benutzung der Lehre berechtigt. Auch könne die Beklagte der Klägerin nicht den Einwand der widerrechtlichen Entnahme entgegenhalten.
  92. Gegen dieses Urteil hat die Beklagte Berufung eingelegt, mit der sie ihr in erster Instanz erfolglos gebliebenes Klageabweisungs- und Widerklagebegehren weiterverfolgt. In der Berufungsinstanz macht die Klägerin das Klagepatent in der Fassung der Einspruchsentscheidung vom 03.05.2023 geltend. Das Klagegebrauchsmuster macht sie in einer entsprechenden Fassung geltend.
  93. Unter Wiederholung und Ergänzung ihres erstinstanzlichen Vorbringens führt die Beklagte zur Begründung ihrer Berufung aus:
  94. Das Klagepatent sei in der vom Landgericht zugrunde gelegten Fassung nicht rechtsbeständig. Gleiches gelte für das Klagegebrauchsmuster. Der Stand der Technik umfasse verschiedene Vorhangeinrichtungen, die sämtliche anspruchsgemäßen Merkmale vorwegnähmen bzw. nahelegten, nämlich (1.) die seit 1994 bis 2016 u.a. von ihr gelieferte Vorhangeinrichtung („Ausführungsform 1994“), (2.) den von ihr u.a. im März 2015 bei der B/C im Rahmen einer Präsentation vorgestellten Prototyp einer abgewandelten Ausführungsform („Prototyp 2“), (3.) die am 27.03.2015 bei der E AG präsentierte und in ihrer E-Mail an diese vom 29.05.2015 beschriebene Ausführungsform des „Prototyps 2“ und (4.) die in der E-Mail des Zeugen G vom 03.08.2015 beschriebene Ausführungsform. Der „Prototyp 2“ sei entgegen der Auffassung des Landgerichts vor dem Prioritätstag der Öffentlichkeit zugänglich gemacht worden, nämlich zum einen durch die Präsentation im Paketzentrum C am 18.03.2015 und weitere Handlungen bei der Entwicklung der aktuellen Ausführungsform der Vorhangschürze bei der B/C sowie zum anderen durch die Präsentation bei der E AG im März 2015. Auch mit letzterer Präsentation sei eine offenkundige Vorbenutzung erfolgt. Denn diese Präsentation sei ausdrücklich mit dem Ziel erfolgt, dass die E AG als Kunde von ihr diesen Gegenstand ihren eigenen Kunden anbieten und zur Verfügung stellen solle. Hinzu komme die Darstellung des „Prototyps 2“ in der anschließenden E-Mail vom 29.05.2015. In dieser E-Mail mit der zugehörigen Abbildung seien sämtliche Merkmale des Anspruchs 1 der Klageschutzrechte in der in erster Instanz geltend gemachten Fassung deutlich erkennbar gewesen. Soweit das Landgericht hinsichtlich der weiteren Korrespondenz der B/C mit Drittunternehmen, die sich an der Ausschreibung beteiligt haben, eine Offenkundigkeit verneint habe, habe es ebenfalls zu strenge Anforderungen an die Offenkundigkeit gestellt. Die „Ausführungsform 1994“ habe bereits sämtliche Merkmale des erteilten Hauptanspruchs des Klagepatents aufgewiesen. Der „Prototyp 2“ habe ferner sämtliche Merkmale der in erster Instanz geltend gemachten Anspruchsfassung aufgewiesen. Jedenfalls fehle an einer erfinderischen Tätigkeit bzw. einem erfinderischen Schritt. Für den Fachmann sei es ausgehend von der „Ausführungsform 1994“ naheliegend gewesen, die Haltestange der Vorhangeinrichtung wegzulassen und durch andere Mittel zu ersetzen. Der Ersatz der Stange durch einen Spannriemen im oberen Bereich der Schürze stelle nicht mehr als eine bloße handwerkliche Maßnahme dar.
  95. Entgegen der Auffassung des Landgerichts liege in dem Wechsel des Anspruchsgegenstandes von einer Vorhangeinrichtung zu einer Kombination aus Rollwagen und Vorhangeinrichtung eine unzulässige Änderung. Damit sei nicht etwa nur eine Beschränkung des Gegenstandes verbunden, sondern gleichzeitig eine wesentliche Änderung. Derartige Änderungen seien sowohl hinsichtlich des Klagepatents als auch des Klagegebrauchsmusters unzulässig und veränderten den Gegenstand des Schutzrechts.
  96. Die von der Einspruchsabteilung aufrechterhaltene Fassung des Anspruchs 1 des Klagepatents sei ebenfalls nicht patentfähig. Für den Fachmann sei es naheliegend gewesen, aus einer Kombination des druckschriftlichen Standes der Technik bzw. unter Zugrundelegung seines Fachwissens zum Gegenstand des aufrechterhaltenen Klagepatents zu gelangen.
  97. Zu Unrecht habe das Landgericht eine Berechtigung der B/C aufgrund der mit der Klägerin geschlossenen Vereinbarung verneint. Die gesamte Zusammenarbeit der B/C mit ihren Lieferanten und insbesondere auch mit den an der Ausschreibung beteiligten Unternehmen sei davon geprägt gewesen, dass die B/C in der Nutzung der Entwicklungen, die sich im Rahmen der Entwicklungstätigkeit mit den ausschreibenden Unternehmen ergeben, frei habe sein sollen. Unter den gegebenen Umständen habe sich die Einräumung von Nutzungsrechten nach dem Rahmenvertrag nicht etwa nur auf die konkret gelieferten Gegenstände bezogen, sondern vielmehr auf die darin verkörperten technischen Lösungen. Die engere Auslegung des Landgerichts lasse die Regelung in § 10 des Rahmenvertrags leerlaufe; Nutzungsrechte an den gelieferten Gegenständen bestünden ohnehin. Ungeachtet dessen bestehe auch ein Vorbenutzungsrecht der B/C. Diese habe sich zum Zeitpunkt der Anmeldung der Klageschutzrechte im Erfindungsbesitz befunden und habe diesen auch betätigt, nämlich durch die Auftragserteilung an die Klägerin sowie die in den Niederlanden ansässige I Aus den angeführten Gründen sei dem Landgericht auch nicht darin zu folgen, dass der Arglisteinwand gegen die Geltendmachung der Rechte durch die Klägerin nicht begründet sei.
  98. Außerdem erfasse die vom Europäischen Patentamt aufrechterhaltene Anspruchsfassung die angegriffene Ausführungsform nicht. Anspruchsgemäß müsse die Vorhangeinrichtung nunmehr sowohl aus einem Netz als auch (zusätzlich) einem Gewebe bestehen. Die Vorhangeinrichtung müsse mithin beides aufweisen. Die Einspruchsabteilung habe deutlich zwischen einem Netz und einem Gewebe unterschieden, was auch in der geänderten Patentbeschreibung zum Ausdruck komme. Eine Ausführungsform, die – wie die angegriffene Ausführungsform – lediglich aus einem Netz bestehe, werde vom Anspruch nicht (mehr) erfasst.
  99. Die Beklagte beantragt,
  100. unter Abänderung des angefochtenen Urteils
  101. 1. die Klage abzuweisen;
  102. 2. die Klägerin zu verurteilen, an sie (die Beklagte) 7.291,01 EUR nebst Zinsen in Höhe von 5%-Punkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen,
  103. hilfsweise, den Rechtsstreit bis zur rechtskräftigen Erledigung des gegen das Klagepatent beim Europäischen Patentamt anhängigen Einspruchsverfahrens auszusetzen.
  104. Die Klägerin beantragt sinngemäß (Bl. 443-445, 923 eA),
  105. die Berufung zurückzuweisen mit der Maßgabe, dass der Tenor des Urteils des Landgerichts zu I. 1.a) und I. 1.b) jeweils an den Wortlaut des von der Einspruchsabteilung des Europäischen Patentamtes aufrechterhaltenen Patentanspruch 1 angepasst wird,
  106. hilfsweise, die Berufung zurückzuweisen mit der Maßgabe, dass der jeweils 4. Absatz des Tenors des Urteils des Landgerichts zu I.1.a) und I.1.b) wie folgt lautet: „wobei die Vorhangeinrichtung auf Stangen verzichtet“, und der im Tenor des angegriffenen
    Urteils darauf folgende Satzteil („so dass sie sich bei Nichtgebrauch auch klein und kompakt zusammenfalten lässt“) wegfällt.
  107. Sie tritt dem Berufungsvorbringen der Beklagten unter Wiederholung und Ergänzung ihres erstinstanzlichen Vortrags im Einzelnen entgegen, wobei sie geltend macht:
  108. Das Klagegebrauchsmuster sei rechtsbeständig. Hinsichtlich der Präsentation des „Prototyps 2“ bei der B/C liege keine Offenkundigkeit vor. Bei der angeblichen Präsentation des „Prototyps 2“ bei der E AG habe es sich um die Präsentation eines Prototyps gehandelt, über dessen späteren Einsatz noch zu entscheiden gewesen sei, weshalb eine implizite Geheimhaltung vorgelegen habe. Die E-Mail von Herrn D vom 29.05.2015 gebe nicht alle Merkmale der geltend gemachten Ansprüche wieder. Auch handele es sich bei dieser nicht um eine öffentliche Druckschrift. Gleiches gelte für die E-Mail des Zeugen G vom 03.08.2015 an die Ausschreibungsteilnehmer. Eine Offenbarung der Lehre des Klagegebrauchsmusters finde sich darin nicht, vielmehr sei nur rudimentär von einer Schürze mit Gurt und Verzurr-Mechanismus die Rede sowie von der Möglichkeit, eine Stange wegzulassen, aber nur, wenn ein Ersatz für sie gefunden werde. Es werde eine bloße, unfertige Idee im Rahmen eines Meinungsaustausches bei einer Ausschreibung erwähnt.
  109. Eine Verletzung bzw. Benutzung der Klageschutzrechte habe das Landgericht zutreffend bejaht. Ebenso habe das Landgericht ein Benutzungsrecht der B/C aufgrund des Rahmenvertrags zu Recht verneint. Dieser betreffe keine technischen Schutzrechte. Bezeichnenderweise habe die B/C auch zu keinem Zeitpunkt ihr gegenüber ein angebliches Benutzungsrecht geltend gemacht. Falsch sei, dass die B/C im Rahmen der Ausschreibung irgendein Produkt selbst entwickelt hätte. Diese habe vielmehr Hersteller mit der Entwicklung von Mustern beauftragt, über deren Einkauf sie später entschieden habe. Der B/C stehe auch kein Vorbenutzungsrecht zu. Eine Auftragserteilung an sie – die Klägerin – könne nicht zu einem Vorbenutzungsrecht der B/C führen, da diese mit ihr in einer Vertragsbeziehung gestanden habe, in deren Rahmen sie das von ihr später gelieferte Produkt entwickelt habe, wobei die Entwicklung nicht exklusiv für die B/C erfolgt sei. Schließlich gehe auch der Arglisteinwand ins Leere. Der Erfinder der Klageschutzrechte habe die technische Lehre selbständig und ohne fremde Vorbilder erfunden.
  110. Die angegriffene Ausführungsform verwirkliche auch die durch die Einspruchsentscheidung neu hinzu gekommenen bzw. neu in den Anspruch aufgenommenen Merkmale.
  111. Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakten nebst Anlagen Bezug genommen.
  112. II.
    Die zulässige Berufung der Beklagten hat insoweit Erfolg, als das Landgericht die Beklagte auch wegen Verletzung des Klagegebrauchsmusters verurteilt hat. Auf das Klagegebrauchsmuster in der hier geltend gemachten Fassung gestützte Verletzungsansprüche stehen der Klägerin gegen die Beklagte nicht zu. Die weitergehende Berufung der Beklagten ist jedoch unbegründet. Mit der angegriffenen Ausführungsform verletzt die Beklagte das Klagepatent auch in der Fassung der Entscheidung der Einspruchsabteilung des Europäischen Patentamts vom 03.05.2023 mittelbar. Die von der Beklagten belieferte B/C ist nicht vertraglich berechtigt, ihre Rollwagen mit dem von der Beklagten bezogenen angegriffenen Vorhangelement auszurüsten. Auch kann sich die B/C nicht auf ein privates Vorbenutzungsrecht an der angegriffenen Ausführungsform berufen.
  113. A.
    Über die Berufung hat der Senat in seiner geschäftsverteilungsplanmäßigen Besetzung unter Beteiligung von Richter am LG Dr. J entscheiden. Letzterer kann in dem Berufungsverfahren mitwirken; er ist nicht gemäß § 41 Nr. 6 ZPO ausgeschlossen, weil er den Berichtigungsbeschluss des Landgerichts vom 25.07.2022 unterzeichnet hat.
  114. Nach § 41 Nr. 6 ZPO ist ein Richter von der Ausübung des Richteramtes kraft Gesetzes ausgeschlossen, in denen er in einem früheren Rechtszug bei dem Erlass der angefochtenen Entscheidung mitgewirkt hat. An einem Urteil wirken gemäß § 309 ZPO lediglich die Richter mit, die der dem Urteil zu Grunde liegenden Verhandlung beigewohnt haben. Richter am LG Dr. J hat der mündlichen Verhandlung vor dem Landgericht nicht beigewohnt; das Urteil hat er nicht unterzeichnet.
  115. Er wird auch nicht dadurch zum mitwirkenden Richter iSv § 41 Nr. 6 ZPO, dass er mittels des Beschlusses vom 25.07.2022 (Bl. 382 f. LG-Akte) an der Berichtigung des landgerichtlichen Urteils vom 30.06.2022 nach § 319 ZPO beteiligt war. Die Tätigkeit als erkennender Richter iSv § 41 Nr. 6 ZPO setzt voraus, dass der Richter an der Urteilsfindung, d.h. den tatsächlichen Feststellungen und rechtlichen Folgerungen unmittelbar beteiligt gewesen ist und das Urteil mit zu vertreten hat (OLG Braunschweig, NJW-RR 2016, 1152 Rn. 6; BeckOK ZPO/Vossler, 50. Ed. Stand: 01.09.2023, ZPO § 41 Rn. 13.1; MüKoZPO/Stackmann, 6. Aufl., ZPO § 41 Rn. 25; Musielak/Voit/Heinrich, 20. Aufl. 2023, ZPO § 41 Rn. 13; Zöller/Feskorn, ZPO, 25. Aufl., § 41 Rn. 11). Durch den Berichtigungsbeschluss nach § 319 ZPO wird weder die Urteilsfindung nachträglich beeinflusst noch werden die tatsächlichen und rechtlichen Feststellungen des Urteils in der Weise geändert, dass der lediglich am Berichtigungsbeschluss beteiligte Richter diese Feststellungen mit zu vertreten hätte (OLG Braunschweig, NJW-RR 2016, 1152 Rn. 6).
  116. B.
    Das Klagepatent betrifft die Kombination aus einem Rollwagen, insbesondere Rollcontainer, und einer Vorhangeinrichtung (Anlage KR7, Abs. [0001]; die nachfolgenden Bezugnahmen betreffen jeweils die Klagepatentschrift).
  117. Wie die Klagepatentschrift in ihrer Einleitung ausführt, werden Rollwagen typischerweise zum Transport von Waren, beispielsweise innerhalb von Gebäuden oder von einem Gebäude zu einem LKW, eingesetzt. Die Klagepatentschrift bezeichnet sie als das zentrale Transportmittel in der Logistik (Abs. [0002]). Bei den zu transportierenden Waren kann es sich insbesondere um Pakete, aber auch um offene Produkte, Lebensmittel, Maschinenteile etc. handeln (Abs. [0002]). Der Rollwagen verfügt in der Regel über eine Basis und ein mit der Basis verbundenes Rollwagengestell. Die Basis ruht ihrerseits auf mehreren Laufrollen. Die Basis trägt das Rollwagengestell, das sich aus mehreren Seitenwänden mit den jeweiligen Seitenpfosten zusammensetzt (Abs. [0002]). Die Seitenwände stehen überwiegend senkrecht auf der Basis. Sie können geschlossen ausgebildet sein, so dass sie als Seitenplatten ausgeführt sind. Es sind aber auch offene und als Gitterwände ausgelegte Seitenwände möglich. In der Regel ist bei einem solchen Rollwagen (Rollcontainer) eine Zugangsöffnung realisiert, über die die mit Hilfe des Rollwagens transportierten Waren ein- und abgeladen werden könnten (Abs. [0003]).
  118. Nach den Angaben der Klagepatentschrift ist aus der DE 20 2015 101 XXE U1 ein Rollwagen bekannt, der insgesamt über eine kastenförmige Ausgestaltung verfügt. Zum Verschließen einer offenen Seite ist eine Schürze vorgesehen. Diese weist frontseitig Riemen auf, die endseitig mit Haken ausgerüstet sind. Die Haken werden in Ösen des Rollwagens eingehakt. Auf diese Weise kann die Schürze auch auf Rollwagen anderer Abmessungen verwendet werden (Abs. [0004]).
  119. Wie die Klagepatentschrift einleitend weiter ausführt, ist in der DE 20 2014 102 XXF U1 (Anlage B11), deren Figur 1 nachstehend eingeblendet wird, ferner ein Rollcontainer zur Aufnahme einer Mehrzahl von Trägerelementen für Lebensmittel, insbesondere Teigwaren, offenbart. Dieser vorbekannte Rollcontainer weist ein Rollwagengestell auf, welches aus Plattenelementen aufgebaut ist. Eine Zugangsseite bzw. Zugangsöffnung des Rollcontainers ist durch ein flexibles Vorhangelement (Schürze; 5) abgehängt bzw. lösbar verschlossen (Abs. [0005]). Das Vorhangelement (5) besteht aus einem Verbundmaterial, das mindestens eine zwischen zwei Außenfolien eingebettete Innenfolie aufweist, wodurch das Element wärmeisolierend ausgebildet ist. Zur Festlegung des Vorhangelements ist eine oberseitige Fixierschiene (Haltestange; 6) vorhanden. Zusätzlich wird das Vorhangelement mit Schrauben an den Seitenpfosten gehalten (Abs. [0006]).
  120. Nach den Angaben der Klagepatentschrift hat sich dieser Rollcontainer grundsätzlich bewährt. Die Patentschrift kritisiert hieran jedoch als nachteilig, dass die Anbringung und Entfernung der bekannten Vorhangeinrichtung aufwendig ist, weil die Schrauben angebracht und gelöst werden müssen und weil auch und insbesondere die Vorhangfixierschiene festgelegt bzw. entfernt werden muss (Abs. [0007]).
  121. Die Klagepatentschrift erwähnt schließlich noch die US 2 455 XXG, die nach ihren Angaben eine Vorhangeinrichtung beschreibt, die ein Flächenelement aus einem Gewebe aufweist, wobei außerdem zugehörige Spanngurte realisiert sind (Abs. [0008]).
  122. Vor diesem Hintergrund hat es sich das Klagepatent zur Aufgabe gemacht, eine Kombination aus einem Rollwagen und einer Vorhangeinrichtung so weiter zu entwickeln, dass die Anbringung und das Entfernen der Vorhangeinrichtung gegenüber dem Stand der Technik verbessert sind sowie schnell und komfortabel vorgenommen werden können (Abs. [0009]).
  123. Zur Lösung dieser Problemstellung schlägt der Patentanspruch 1 des Klagepatents in der Fassung der Entscheidung der Einspruchsabteilung des Europäischen Patentamtes vom 03.05.2023 (Anlage KR17) die Kombination folgender Merkmale vor:
  124. (1) Kombination aus einem Rollwagen (1), insbesondere Rollcontainer, und einer Vorhangeinrichtung zur wahlweisen Abdeckung einer Zugangsöffnung (2) zwischen zwei benachbarten Seitenpfosten (4a) eines Rollwagengestells (4).
  125. (2) Die Vorhangeinrichtung besitzt
  126. (2.1) ein Flächenelement (6) sowie
  127. (2.2) Verbindungsmittel (7, 8, 9, 10, 16) zur lösbaren Festlegung des Flächenelements (6) an den Seitenpfosten (4a).
  128. (3) Die Verbindungsmittel (7, 8, 9, 10, 16) sind als an das Flächenelement (6) angeschlossene Spannriemen (7, 8, 9, 10, 16) ausgebildet.
  129. (4) Die Spannriemen (7, 8, 9, 10, 16) erstrecken sich jeweils zwischen den beiden Seitenpfosten (4a).
  130. (5) Der jeweilige Spannriemen (7, 8, 9, 10, 16) ist zweiteilig ausgebildet mit
  131. (5.1) einem längenflexiblen Spanngurt (7, 8) mit zwei jeweils endseitigen Klammern (8)
  132. und
  133. (5.2) einem im Wesentlichen längenstabilen Spanngurt (9, 10, 16) mit einer Spannklemme (16).
  134. (6) Die Vorhangeinrichtung verzichtet auf Stangen.
  135. (7) Das Flächenelement (6)
  136. (7.1) weist ein Flächengewicht von weniger als 500 g/m2 auf;
  137. (7.2) ist zumindest teilweise transparent ausgebildet;
  138. (7.3) ist als Netz sowie insbesondere beschichtetes Gewebe ausgebildet.
  139. Zum Verständnis des Patentanspruchs 1 sind im Hinblick auf den Streit der Parteien folgende Bemerkungen veranlasst:
  140. 1.
    Der von der Einspruchsabteilung eingeschränkt aufrechterhaltene Patentanspruch 1 beansprucht – wie schon der erteilte Patentanspruch 1 – Schutz für die Kombination aus einem Rollwagen und einer Vorhangeinrichtung, welche Vorhangeinrichtung zur wahlweisen Abdeckung einer Zugangsöffnung zwischen zwei benachbarten Seitenpfosten des Rollwagengestells dient (Merkmal (1)). Patentanspruch 1 stellt mithin nicht die Vorhangeinrichtung als solche (isoliert) unter Schutz, sondern die Einheit aus Rollwagen und Vorhangeinrichtung.
  141. 2.
    Die Vorhangeinrichtung besitzt ein Flächenelement sowie Verbindungsmittel zur lösbaren Festlegung des Flächenelements an den Seitenpfosten des Rollwagengestells (Merkmalsgruppe (2)). Bei den Verbindungsmitteln handelt es sich um an das Flächenelement angeschlossene Spannriemen (Merkmal (3)), wobei die Spannriemen zweiteilig ausgebildet sind (Merkmal (5)). Sie bestehen aus einem längenflexiblen Spanngurt mit jeweils endseitigen Klammern (Merkmal (5.1)) und einem im Wesentlichen längenstabilen Spanngurt mit einer Spannklemme (Merkmal (5.2)).
  142. Mit Hilfe der jeweiligen endseitigen Klammern umgreift oder übergreift der Spannriemen den zugehörigen Seitenpfosten des Rollwagens (Abs. [0011]). Der Fachmann versteht die Merkmale (2), (4) und (5.1) im Kontext daher so, dass das Flächenelement mit Hilfe der endseitigen Klammern der Spannriemen lösbar an den benachbarten Seitenpfosten des Rollwagengestells befestigt werden kann, und zwar dergestalt, dass die Klammern die betreffenden Seitenpfosten über- oder umgreifen. Demgemäß heißt es in Absatz [0019] der Patentbeschreibung auch, dass die Festlegung des Flächenelements an den Seitenpfosten lösbar über jeweils Klammern geschieht, mit deren Hilfe die fraglichen Seitenpfosten umgriffen oder übergriffen werden.
  143. Das bedeutet nicht, dass die Spannriemen so ausgestaltet sein müssen, dass die Vorhangeinrichtung bzw. ihr Flächenelement ausschließlich derart an dem Rollwagen festgelegt werden kann. Vielmehr können die Spannriemen auch so ausgebildet sein, dass die Vorhangeinrichtung alternativ auch an den Seitenwänden des Rollwagengestells, beispielweise an einer oberen Querstrebe, befestigt werden kann. Ebenso schließt der Patentanspruch 1 zusätzliche Spannriemen mit endseitigen Klammern, über welche die Vorhangeinrichtung an einer oberen Querstrebe befestigt werden kann, nicht aus.
  144. Darüber hinaus können neben Spannriemen prinzipiell auch anderweitige Verbindungsmittel als Stangen vorhanden sein. Denn nach Merkmal (6) weist die erfindungsgemäße Vorhangeinrichtung „nur“ keine Stangen auf, also insbesondere keine oberseitige „Fixierschiene“ bzw. „Haltestange“, wie sie bei dem aus der DE 20 2014 102 XXF bekannten Gegenstand vorgesehen ist und vom Klagepatent als nachteilig beanstandet wird (Abs. [0007]). Die erfindungsgemäße Vorhangeinrichtung verzichtet demgegenüber auf Stangen jedweder Art, weshalb sie sich klein und kompakt zusammenfalten lässt (Abs. [0018]). Ein Verzicht auf jegliche anderweitigen Verbindungsmittel ergibt sich hingegen weder aus Merkmal (6) noch aus einem anderen Merkmal des Patentanspruchs 1.
  145. Ob der Patentanspruch 1, der weder nähere Vorgaben zur genauen Anzahl der Spannriemen macht, noch konkret vorgibt, in welchem Bereich bzw. welchen Bereichen des Flächenelements die Spannriemen an dieses angeschlossen sind, dahin auszulegen ist, dass einer der Spannriemen an die Stelle der im Stand der Technik verwendeten Haltestange tritt, so dass ein oberseitiger Spannriemen vorausgesetzt wird, der die Vorhangeinrichtung an der oberen Seite des Rollwagens hält (verneinend Einspruchsabteilung des EPA, Einspruchsentscheidung, Anlage KR17, Rn. 36.6), bedarf mit Blick auf die angegriffene Ausführungsform keiner Entscheidung.
  146. 3.
    Nach dem neu hinzugekommenen Merkmal (7.1) weist das Flächenelement ein Flächengewicht von weniger als 500 g/m2 auf (vgl. bereits erteilter Unteranspruch 9). Dadurch wird die Handhabung der Vorhangeinrichtung erleichtert (Abs. [0015]), wobei insbesondere die Anbringung der Vorhangeinrichtung an den Seitenpfosten erleichtert wird (Einspruchsabteilung, Anlage KR17, Rn. 36.4).
  147. 4.
    Gemäß dem ebenfalls neu hinzugekommenen Merkmal (7.2) ist das Flächenelement zumindest teilweise transparent ausgebildet (vgl. bereits erteilter Unteranspruch 10). Hierdurch wird erreicht, dass das Flächenelement und damit die Vorhangeinrichtung insgesamt einen zumindest teilweise ungehinderten Blick einer Bedienperson auf die im Inneren des Rollwagens befindlichen Waren zulässt (Abs. [0016], [0032]).
  148. 5.
    Gemäß dem gleichfalls neu hinzugekommenen Merkmal (7.3) ist das Flächenelement als „Netz sowie insbesondere beschichtetes Gewebe ausgebildet“ (vgl. bereits erteilter Unteranspruch 11).
  149. Gemeint ist hiermit, dass es sich bei dem Flächenelement um ein aus einem Gewebe ausgebildeten Netz handelt, welches aus miteinander verbundenen (vorzugsweise beschichteten) Fäden aufgebaut ist. Hingegen besagt dieses Merkmal nicht, dass das Flächenelement einerseits aus einem Netz und andererseits aus einem davon räumlich zu unterscheidenden Gewebe besteht, das Flächenelement also (mindestens) zweiteilig ausgestaltet ist und einen räumlich getrennten Abschnitt „Netz“ und einen räumlichen abgetrennten Abschnitt „Gewebe“ aufweist.
  150. a)
    Nach dem Anspruchswortlaut muss das Flächenelement aus beidem ausgebildet sein, d.h. aus Netz „sowie“ Gewebe, wobei das Wort „sowie“ – entsprechend seiner üblichen synonymen Bedeutung – im Sinne von „und“ zu verstehen ist (vgl. auch Einspruchsabteilung, Anlage KR17, Rn. 37.1 f.). Die beiden Voraussetzungen „Netz“ und „Gewebe“ müssen mithin kumulativ im Flächenelement gegeben sein.
  151. Aus dem Erfordernis des kumulativen Vorhandenseins folgt indes nicht, dass es sich um getrennte Teile (Abschnitte) des Flächenelements handelt. Allein aus dem Wort „sowie“ kann letzteres nicht abgeleitet werden. Dieser Begriff lässt ohne Weiteres auch ein Verständnis zu, wonach die Ausgestaltung eines aus einem Gewebe ausgebildeten Netzes verlangt wird. Aus der Formulierung „ausgebildet als … sowie …“ folgt nichts anderes. Auch wenn es dem Patentinhaber freisteht, wie er den Patentanspruch formuliert, und nicht entscheidend ist, ob oder dass man den Anspruch besser anders hätte formulieren können/sollen, handelt es sich bei der fraglichen Anspruchsformulierung nicht um die übliche (klare) Angabe dafür, dass ein Gegenstand (hier: das Flächenelement) separate Teile aufweisen muss. Von Netz und Gewebe als separate Teile ist im Patentanspruch nicht die Rede; eine „Zweiteilung“ wird dort nicht erwähnt. Auch heißt es im Anspruch nicht etwa, dass das Flächenelement von „aus einem Netz und einem Gewebe“ gebildet wird.
  152. b)
    Die Patentbeschreibung – in der nunmehr maßgeblichen Fassung, die sie durch die Entscheidung der Einspruchsabteilung des Europäischen Patentamtes erlangt hat – bringt ebenfalls nicht zum Ausdruck, dass das Flächenelement aus separaten Teilen, nämlich aus einem Netzteil und einem – davon unterscheidbaren – Gewebeteil besteht. Der Beschreibung entnimmt der Fachmann vielmehr, dass das Merkmal (7.3) gerade nicht in diesem Sinne zu verstehen ist.
  153. aa)
    In dem geänderten Absatz [0016] der Patentbeschreibung (vgl. Anlage KMG BB 006) wird Folgendes ausgeführt (gestrichener Beschreibungstext durchgestrichen, hinzugekommene Wörter in Fettschrift):
  154. „Das Flächenelement ist im Regelfall als Textiles Flächengebilde und insbesondere als Netz und Gewebe, insbesondere beschichtetes Gewebe, ausgebildet. Hierbei können generell Vliesstoffe, Gestricke, Gewebe und/oder Gewirke als Basis genutzt werden. Außerdem ist die Auslegung meistens so getroffen, dass die zur Realisierung des textilen Flächengebildes bzw. Netzes Flächenelementes vorgesehenen Fäden und folglich das Flächenelement insgesamt ein- oder beidseitig beschichtet ist. Für die Beschichtung wird im Allgemeinen auf eine Kunststoffbeschichtung zurückgegriffen. Dadurch lässt sich das Flächenelement besonders einfach verarbeiten und mit den Schläuchen verbinden.
  155. Ferner heißt es am Ende des ebenfalls geänderten Absatzes [0017]:
  156. „… Bei dem Das Flächenelement bzw. Netz handelt es sich ist im Regelfall aus Kunststofffäden aufgebaut. Die Kunststofffäden sind ihrerseits mit Kunststoff beschichtet
    oder werden direkt verarbeitet. Dabei kann jeweils auf einen bekannten Kunststoffschweißvorgang zurückgegriffen werden.“
  157. Außerdem heißt es in Absatz [0032]:
  158. „Das Flächenelement 6 ist als textiles Flächengebilde ausgelegt. Außerdem verfügt das Flächenelement 6 über ein Flächengewicht von weniger als 500 g/m2. Ferner erkennt man insbesondere anhand der Darstellung nach 5 der Fig. 1, dass das Flächenelement 6 und folglich die gesamte Vorhangeinrichtung zumindest teilweise transparent ist. … Anhand des Ausführungsbeispiels wird deutlich, dass das Flächenelement 6 bzw. insbesondere als Netz und als Gewebe ausgebildet ist. Bei dem Gewebe handelt es sich um ein solches aus mit Kunststoff beschichteten Fäden.“
  159. bb)
    Der Fachmann entnimmt diesen Beschreibungsstellen, dass das patentgemäße Flächenelement ein Netz ist, das aus – vorzugsweise beschichteten – Fäden aufgebaut ist.
  160. Nach der Patentbeschreibung (Absatz [0016] Satz 2) kann „Gewebe“ als Basis für das Flächenelement genutzt werden, woraus folgt, dass auch das Netz, als das das Flächenelement nach dem Anspruchswortlaut auch ausgebildet ist, aus Gewebe ausgebildet werden kann. Bei den aufgezählten Materialien wird nicht unterschieden zwischen solchen, die für ein/das Netz genutzt werden sollen, und solchen, die für ein/das Gewebe genutzt werden sollen. Als Basis kann nach der Patentbeschreibung mithin „Gewebe“ für das gesamte Flächenelement verwendet werden, wobei nach dem maßgeblichen Patentanspruch das Flächenelement nunmehr zwingend aus „Gewebe“ ausgebildet sein muss.
  161. Aus der Patentbeschreibung (Absatz [0016] Satz 3) ergibt sich ferner, dass zur Realisierung des Flächenelements „Fäden“ vorgesehen sind und dass die Auslegung meistens so getroffen ist, dass die Fäden und damit das Flächenelement insgesamt ein- oder beidseitig beschichtet sind/ist. Angesprochen ist hiermit das Flächenelement als solches und nicht nur ein Teil davon. Das gesamte Flächenelement besteht demzufolge aus Fäden, weshalb im Falle einer (optionalen) ein- oder beidseitigen Beschichtung der Fäden das gesamte Flächenelement beschichtet ist. Fäden sind nach allgemeinem technischen Verständnis gerade Bestandteil eines Gewebes. Auch hieraus folgt daher, dass das (gesamte) Flächenelement aus Gewebe besteht. In dieselbe Richtung deutet Absatz [0017] Satz 6 der Beschreibung, wonach das Flächenelement im Regelfall aus Kunststofffäden aufgebaut ist. Auch nach dieser Textstelle ist das gesamte Flächenelement aus (Kunststoff-)Fäden aufgebaut. Die Angabe „im Regelfall“ steht dem nicht entgegen. Sie bezieht sich auf die in der Beschreibung angesprochenen (bevorzugten) Kunststofffäden, welche Patentanspruch 1 nicht voraussetzt. Im Einklang hiermit heißt es schließlich in Absatz [0032] der Patentschrift, dass das Flächenelement als Netz und als Gewebe ausgebildet ist (Satz 4), wobei unmittelbar im Anschluss hieran erläutert wird, dass es sich bei dem Gewebe – als das das Flächenelement auch ausgebildet ist – um ein solches aus mit Kunststoff beschichteten Fäden handelt (Satz 5). Das gesamte Flächenelement besteht demnach aus Fäden.
  162. Dem Fachmann erschließt sich hieraus, dass es sich bei dem Flächenelement um ein aus einem Gewebe ausgebildeten Netz handelt, welches insgesamt aus Fäden aufgebaut ist. Die Fäden müssen hierbei nicht zwingend in traditioneller Weise miteinander verknüpft werden, sondern können beispielsweise – bei der Verwendung von Kunststofffäden – auch miteinander verschweißt werden (Abs. [0017]). Die miteinander verbundenen Fäden bilden das Flächenelement, wobei – da das Flächenelement auch als Gewebe ausgebildet ist – nur sie das Flächenelement bilden. Zwar mag unter einem „Gewebe“ allgemein ein textiles Flächengebilde verstanden werden, das aus mindestens zwei Fadensystemen, nämlich Kette und Schuss, besteht, die sich in der Sicht auf die Gewebefläche unter einem Winkel von genau oder annähernd 90° mustermäßig kreuzen. Auf die Herstellung des Flächenelements kommt es dem Klagepatent jedoch nicht an. Mit Recht weist die Klägerin darauf hin, dass der topologische und nicht der fertigungstechnische Charakter im Vordergrund steht. Die das Gewebe bildenden Fäden, bei denen es sich bevorzugt um Kunststofffäden handelt, können daher nach der Patentbeschreibung beispielsweise auch durch einen Kunststoffschweißvorgang und damit anderweitig miteinander verbunden werden.
  163. c)
    Die Streichungen in der Patentbeschreibung durch die Entscheidung der Einspruchsabteilung des Europäischen Patentamtes führen zu keinem anderen Ergebnis.
  164. Der geänderte Satz 1 in Absatz [0016] wiederholt nur den (neugefassten) Anspruchswortlaut, wobei das Wort „sowie“ gegen das Wort „und“ ausgetauscht ist, was die synonyme Verwendung dieser Begriffe bestätigt (vgl. auch Einspruchsabteilung, Anlage KR17, Rn. 37.2). Durch die Beschränkung auf „Netz und Gewebe“ in Absatz [0016] Satz 1 wird zum Ausdruck gebracht, dass diese – vorher lediglich bevorzugte – Ausgestaltung nunmehr verbindlich ist. Aus den Änderungen des Absatzes [0017] ergibt sich ebenfalls kein Anhaltspunkt dafür, dass es sich bei Netz und Gewebe um separate Teile des Flächenelements handelt. Gleiches gilt für die Änderung des Absatzes [0032].
  165. Im Gegenteil spricht gerade letztere Beschreibungsstelle dafür, das Merkmal (7.3) nicht so zu verstehen ist, dass das Flächenelement zweiteilig ausgebildet ist. In dem geänderten Absatz [0032] Satz 4 der Patentbeschreibung wird explizit darauf hingewiesen, dass anhand des Ausführungsbeispiels deutlich wird, dass das Flächenelement „als Netz und als Gewebe“ ausgebildet ist. Das (einzige) Ausführungsbeispiel des Klagepatents, das in den Figuren 1 bis 3 figürlich dargestellt ist, ist demnach gemäß den Vorgaben des Merkmals (7.3) ausgebildet und damit erfindungsgemäß. Die Figuren zeigen ein Flächenelement (6), das an einigen Stellen Schraffuren aufweist. Wie die Klägerin unwidersprochen und plausibel ausgeführt hat, sollen diese Schraffuren andeuten, dass es sich um ein Netz handelt. Da es in den Zeichnungen keinen davon separat gekennzeichneten Abschnitt gibt, der (nur) als Gewebe zu sehen wäre, entnimmt der Fachmann den Zeichnungen, dass – weil das Ausführungsbeispiel erfindungsgemäß ist – das Flächenelement insgesamt ein aus einem Gewebe gebildetes Netz ist.
  166. Die Streichung der Worte „aus dem biegeschlaffen Netz“ in Absatz [0032] Satz 2 der Beschreibung stehen diesem Verständnis nicht entgegen. Sie ist kein Beleg dafür, dass das Flächenelement aus einem Netzteil und einem davon unterscheidbaren Gewebeteil besteht. Vielmehr kann diese Streichung schlicht aus Klarheitsgründen erfolgt sein, weil es im Patentanspruch (nunmehr) heißt, dass das Flächenelement als Netz und Gewebe ausgebildet ist, und in der ursprünglichen Beschreibung an der betreffenden Stelle nur auf das Netz abgestellt wird. Möglicherweise ist die Streichung auch wegen der Angabe „biegeschlaff“ erfolgt, welche der Patentanspruch 1 nicht enthält. Der vorliegenden Einspruchsentscheidung lässt sich nicht entnehmen, warum die Streichungen erfolgt sind.
  167. d)
    Aus der Funktion des Merkmals (7.3) ergibt sich gleichfalls nicht, dass das Flächenelement aus separaten Teilen (einerseits aus einem Netzteil und andererseits aus einem Gewebeteil) besteht.
  168. Das Flächenelement (als Teil der Vorhangeinrichtung) dient als solches der wahlweisen Abdeckung der Zugangsöffnung des Rollwagens. Das Erfordernis eines Netzes trägt zur in Merkmal (7.2) geforderten (zumindest teilweisen) Transparenz des Flächenelements bei; diese lässt sich ohne Weiteres mit einer solchen Struktur erreichen (vgl. auch Abs. [0032]). Ein Netz trägt zudem dazu bei, das in Merkmal (7.1) genannte geringe Flächengewicht zu erzielen, welches wiederum die Anbringung und Entfernung der Vorhangeinrichtung im Vergleich zum in der Klagepatentschrift erwähnten Stand der Technik und somit die Handhabung erleichtert (Abs. [0009], [0015]). Das geforderte Gewebe stellt Fäden zur Verfügung, wodurch u.a. eine – von Patentanspruch 1 nicht zwingend verlangte – Beschichtung ermöglicht wird (Abs. [0016]). Hierbei wird – wie bereits ausgeführt – nach der Beschreibung im Allgemeinen auf eine Kunststoffbeschichtung zurückgegriffen, die wiederum eine einfache Verarbeitung und Verbindung mit Schläuchen und Verstärkungselementen ermöglicht. Mit letzteren Elementen kann das Flächenelement nicht nur verstärkt, sondern es kann zugleich eine Flächenstruktur geschaffen werden und das Flächenelement lässt sich dadurch einfach am Rollwagen anbringen (Abs. [0016], [0017]). All dies erfordert keine zweiteilige Ausbildung des Flächenelements.
  169. Vorteile, die mit einer Ausbildung des Flächenelements in räumlich getrennte Abschnitte (einem Netzteil und einem Gewebeteil) verbunden sind, werden in der Klagepatentbeschreibung nicht erwähnt. Gleichfalls werden dort keine (zu vermeidenden) Nachteile beschrieben, die mit einem einheitlich als Netz aus Gewebe ausgebildeten Flächenelement einhergehen.
  170. Schließlich ist auch weder dargetan noch erkennbar, dass eine technische Funktion, die das Klagepatent dem Netz und Gewebe zuweist, nur dann erfüllt werden kann, wenn eine räumliche Trennung von Netz und Gewebe bzw. eine separate Ausgestaltung vorliegt. Worin der technische Sinn einer entsprechenden Ausgestaltung liegen sollte, erschließt sich nicht, und einen technischen Grund für die nach ihrer Auffassung erforderliche „Zweiteilung“ vermochte die Beklagte im Verhandlungstermin auch nicht zu benennen.
  171. e)
    Schließlich lässt sich auch aus dem von der Klagepatentschrift gewürdigten Stand der Technik nichts dafür herleiten, dass es sich bei Netz und Gewebe um räumlich getrennte Teile des Flächenelements handelt.
  172. aa)
    Eine Abgrenzung zum gewürdigten Stand der Technik im Hinblick auf die Ausgestaltung des Flächenelements lässt sich der Patentbeschreibung nicht entnehmen. Soweit die Klagepatentschrift (Abs. [0004]) hinsichtlich der DE 20 2015 101 XXE die dortige Schürze beschreibt, wird deren Funktion – Verschließen einer offenen Seite des Rollwagens – erläutert. Eine Kritik an der Ausgestaltung der bekannten Schürze, die im Übrigen nicht weiter erwähnt wird, wird nicht geübt. Was die DE 20 2014 102 XXF anbelangt, wird das dortige Vorhangelement beschrieben, das aus einem Verbundmaterial mit mindestens einer zwischen zwei Außenfolien eingebetteten Innenfolie versehen ist (Abs. [0005]). Bei diesem Stand der Technik gibt es folglich zwar in gewisser Weise räumlich voneinander getrennte „Bereiche“ eines Vorhangelements, das prinzipiell dieselbe Aufgabe hat, wie das erfindungsgemäße Flächenelement. Die Folien haben aber einen anderen Zweck, nämlich die Wärmeisolierung. Selbst wenn bei diesem Stand der Technik daher räumlich getrennte Bereiche vorhanden sind, haben diese nichts mit „Netz“ und „Gewebe“ zu tun. Darüber hinaus findet sich auch kein Anhalt, dass die Ausgestaltung des Standes der Technik (Mehrteiligkeit) in irgendeiner Weise als vorteilhaft oder als beibehaltungsbedürftig angesehen wird. Die Kritik an diesem Stand der Technik betrifft schließlich die aufwendige Anbringung und Entfernung dieses Vorhangelements. Die in der einleitenden Beschreibung ebenfalls erwähnte US 2 455 XXG offenbart nach den Angaben der Klagepatentschrift eine Vorhangeinrichtung, die ein Flächenelement aus einem Gewebe aufweist (Abs. [0005]). Hierauf geht die Klagepatentschrift nicht näher ein. Soweit dieses bekannte Flächenelement aus einem einzigen Gewebeteil bestehen sollte, wird eine einteilige Ausgestaltung nicht kritisiert.
  173. bb)
    Soweit die Beklagte auf die Einspruchsentscheidung abstellt, handelt es sich bei der in dieser (Rn. 39.2 und 39.11) angesprochenen Rollbehälterschürze aus den Jahren 1994 bis 2014 und/oder bei der D14 (Ausschreibungsunterlage) sowie der D19 (E-Mail des Zeugen G) nicht um Stand der Technik, den das Klagepatent erwähnt, weshalb dieser nicht auslegungsrelevant ist. Ob sich Patentanspruch 1 ausgehend von dem oben dargelegten Verständnis als rechtsbeständig erweist, ist im Rahmen der Auslegung nicht entscheidend. Denn ein Patentanspruch darf grundsätzlich nicht nach Maßgabe dessen ausgelegt werden, was sich nach Prüfung des Standes der Technik als patentfähig erweist. Grundlage der Auslegung ist vielmehr allein die Patentschrift (BGH, GRUR 2004, 47 – blasenfreie Gummibahn I; GRUR 2012, 1124 Rn. 28 – Polymerschaum; OLG Düsseldorf, Urt. v. 11.11.2021 – I-15 U 25/20, GRUR-RS 2021, 37635 Rn. 88 – Sanitäre Einsetzeinheit; Urt. 30.12.2022 – I-15 U 59/21, GRUR-RS 2022, 37839 Rn. 105 – Waffenverschlusssystem II).
  174. cc)
    Der Senat vermag der Einspruchsentscheidung allerdings auch nicht zu entnehmen, dass das Merkmal (7.3) nach der Auffassung der Einspruchsabteilung des Europäischen Patentamtes eine „Zweiteilung“ des Flächenelements beschreibt.
  175. Die von der Beklagten in Bezug genommenen Ausführungen in Rn. 39.2 der Einspruchsentscheidung zu den nach den Feststellungen der Einspruchsabteilung vorbekannten, aus beschichteten Gewebe bestehenden Rollbehälterschürzen können nicht so verstanden werden, dass es nach Ansicht der Einspruchsentscheidung einen Gegensatz zwischen Netz und Gewebe gibt und die Einspruchsabteilung der Auffassung ist, es bedürfe nach dem Patentanspruch einer räumlichen Trennung bzw. räumlicher Abschnitte. Die Aussage „Das Gewebe ist weder transparent noch als Netz ausgeführt“ bedeutet vielmehr (im Umkehrschluss), dass ein Gewebe als Netz ausgeführt ist. Das spricht – anders als die Beklagte meint – dafür, dass auch das Europäische Patentamt in Bezug auf das Merkmal (7.3) von einer einheitlichen Ausführung des Flächenelements ausgeht.
  176. Aus der Stellungnahme in Rn. 39.11 ergibt sich nichts Gegenteiliges. Soweit es dort in Bezug auf die D19 und die D14 heißt, dass der Verweis auf ein Netz in diesen Dokumenten knapp ist und der Fachmann daraus daher nicht unmittelbar und eindeutig ableiten kann, „ob das Netz als Teil oder als Ersatzes der Schürze vorgesehen ist und ob das Netz transparent ist“, mag sich allein hieraus nicht ergeben, ob die Einspruchsabteilung eine Ausgestaltung, bei der das Netz lediglich ein Teil der Vorhangeinrichtung ist, oder eine Ausgestaltung, bei der die Vorhangeinrichtung insgesamt ein Netz ist, als patentgemäß ansieht. Wenn es im unmittelbar nachfolgenden Satz heißt, der Fachmann könne aus D19 oder D14 auch nicht erkennen, welche Vorteile „die Ausführung der Vorhangeinrichtung als Netz“ ergeben würde, spricht dies jedoch ebenfalls dafür, dass auch die Einspruchsabteilung davon ausgeht, dass das Flächenelement der Vorhangeinrichtung patentgemäß insgesamt als Netz ausgebildet ist.
  177. C.
    Die Beklagte verletzt den deutschen Teil des Klagepatents dadurch mittelbar, dass sie das angegriffene Vorhangelement (Rollbehälternetz) in Deutschland der B/C als Abnehmerin anbietet und auch an sie liefert, die ihrerseits zur Benutzung des durch das Klagepatent geschützten Gegenstandes nicht berechtigt ist (Art. 64 EPÜ i.V. mit §§ 10, 9 Nr. 1 PatG).
  178. 1.
    Die angegriffene Ausführungsform ist dazu geeignet, für die Benutzung der Erfindung gemäß dem Patentanspruch 1 in der Fassung der Einspruchsentscheidung des Europäischen Patentamtes verwendet zu werden. Wird sie bestimmungsgemäß an einem Rollwagen (Rollcontainer) der B/C zur Abdeckung der Zugangsöffnung angebracht, liegt eine Kombination aus einem Rollwagen und einer Vorhangeinrichtung im Sinne des Klagepatents vor, die sämtliche Merkmale des aufrechterhaltenen Patentanspruchs 1 wortsinngemäß verwirklicht.
  179. a)
    Dass es sich bei einem mit der angegriffenen Ausführungsform ausgerüsteten Rollwagen (Rollcontainer) der B/C um eine anspruchsgemäße Kombination aus einem Rollwagen und einer Vorhangeinrichtung im Sinne des Merkmals (1) handelt, steht zwischen den Parteien zu Recht außer Streit. Unstreitig ist ferner, dass die angegriffene Ausführungsform aus einem Flächenelement im Sinne des Merkmals (2.2) besteht, und sie Verbindungsmittel zur lösbaren Festlegung des Flächenelements an den Seitenpfosten im Sinne des Merkmals 2.2 aufweist. Letzteres trifft jedenfalls auf die unteren drei Verbindungsmittel zu.
  180. Die Verbindungsmittel der angegriffenen Ausführungsform sind als an das Flächenelement angeschlossene Spannriemen ausgebildet (Merkmal (3)), was für alle Verbindungsmittel der angegriffenen Ausführungsform zutrifft. Die Spannriemen erstrecken sich jeweils zwischen den beiden Seitenpfosten des Rollwagengestells (Merkmal (4)). Das gilt unstreitig für die unteren drei Spannriemen, trifft aber auch für den obersten Spannriemen zu, da sich dieser ebenfalls räumlich-körperlich zwischen den beiden Seitenpfosten erstreckt.
  181. Die Spannriemen sind jeweils zweiteilig ausgebildet mit einem längenflexiblen Spanngurt mit zwei jeweils endseitigen Klammern und einem im Wesentlichen längenstabilen Spanngurt mit einer Spannklemme (Merkmalsgruppe (5)). Mit Hilfe der endseitigen Klammern des jeweiligen Spannriemens können unstreitig jedenfalls die unteren drei Spannriemen lösbar an den benachbarten Seitenpfosten des Rollwagengestells festgelegt werden, und zwar dergestalt, dass die Klammern die betreffenden Seitenpfosten umgreifen.
  182. b)
    Soweit die Beklagte geltend macht, dass bei Ausrüstung eines Rollwagens der B/C mit der angegriffenen Ausführungsform der obere Spannriemen mit seinen endseitigen Klammern auf den Querstreben der Seitenwände des Rollwagens aufliegt und diese Querstreben übergreift, wie dies aus den als Anlage B14 überreichten Fotos ersichtlich ist, steht dies weder der Verwirklichung des Merkmals (2.2) noch der des Merkmals (4) entgegen. Das gilt schon deshalb, weil die Klägerin in erster Instanz unwidersprochen vorgetragen hat, dass der oberste Spannriemen mit seinen endseitigen Klammern auch unmittelbar mit den Seitenpfosten verbunden werden kann, und zwar am oberen Ende des Seitenpfostens, wo dieser über die Längsstrebe hinausragt, wodurch ebenfalls eine ortsfeste Anbringung des Flächenelements erfolgen kann (Schriftsatz v. 13.05.2022, S. 4 [Bl. 267 LG-Akte]). Dem ist die Beklagte nicht entgegengetreten. Wie bereits ausgeführt, verlangt Patentanspruch 1 nicht, dass die Spannriemen so ausgestaltet sein müssen, dass die Vorhangeinrichtung ausschließlich mit Hilfe der endseitigen Klammern des Spannriemens an den Seitenpfosten dergestalt festgelegt werden kann, dass die Klammern den Seitenpfosten um- oder übergreifen. Vielmehr können die Spannriemen auch so ausgebildet sein, dass die Vorhangeinrichtung alternativ mit einem Spannriemen nebst Klammern anstatt an den Seitenpfosten an der oberen Querstrebe des Rollwagengestells befestigt werden kann.
  183. c)
    Die angegriffene Ausführungsform verzichtet unstreitig in wortsinngemäßer Verwirklichung des Merkmals (6) auf Stangen.
  184. d)
    Das Flächenelement der angegriffenen Ausführungsform weist ferner unstreitig in wortsinngemäßer Verwirklichung des Merkmals (7.1) ein Flächengewicht von weniger als 500 g/m2 auf und es ist – als Netz – unstreitig (zumindest teilweise) transparent ausgebildet, weshalb auch das Merkmal (7.2) verwirklicht ist.
  185. e)
    Das Flächenelement der angegriffenen Ausführungsform entspricht auch wortsinngemäß den Vorgaben des Merkmals (7.3). Denn es handelt sich bei ihm augenscheinlich um ein aus einem Gewebe ausgebildetes Netz, welches aus miteinander verbundenen Kunststofffäden besteht.
  186. 2.
    Bei der damit erfindungsgemäß ausgestalteten angegriffenen Ausführungsform handelt es sich auch um ein Mittel im Sinne von § 10 Abs. 1 PatG, das sich auf ein wesentliches Element der unter Schutz gestellten Erfindung bezieht. Bei der Vorhangeinrichtung handelt es sich um den einen Teil der unter Schutz gestellten Kombination, wobei die eigentliche Erfindung in der gemäß den Merkmalen (2) bis (7) ausgebildeten Vorhangeinrichtung verkörpert ist.
  187. 3.
    Die Beklagte liefert die angegriffene Ausführungsform an die B/C. Diese verwenden die angegriffene Ausführungsform zusammen mit ihren Rollwagen (Rollcontainern) in Deutschland, weshalb auch der für eine mittelbare Patentverletzung erforderliche „doppelte Inlandsbezug“ gegeben ist.
  188. 4.
    Des Weiteren sind nach den unangegriffenen – und auch zutreffenden – Feststellungen des Landgerichts die subjektiven Voraussetzungen für eine mittelbare Patentverletzung im Sinne des §10 Abs. 1 PatG gegeben.
  189. 5.
    Die von der Beklagten in Deutschland mit der angegriffenen Ausführungsform belieferte B/C ist zur Benutzung des durch das Klagepatent geschützten Gegenstandes nicht berechtigt. Sie ist nicht befugt, ihre Rollwagen (Rollcontainer) mit den von der Beklagten und damit aus dritter Quelle bezogenen patentgemäßen Vorhangelementen auszurüsten.
  190. Zur Benutzung der patentierten Erfindung nicht berechtigt sind Personen, denen der Patentinhaber die Benutzung der Erfindung nicht erlaubt hat und denen auch sonst kein Recht zur Benutzung der Erfindung zusteht (BGH, GRUR 2007, 773 Rn. 24 – Rohrschweißverfahren; Benkard PatG/Scharen, 12. Aufl., PatG § 10 Rn. 17). Ein Recht zur Benutzung der patentierten Erfindung kann sich beispielsweise aus einer Lizenz oder aus einem Vorbenutzungsrecht nach § 12 PatG ergeben. Beides ist hier indes nicht der Fall.
  191. a)
    Eine Berechtigung der B/C, ihre Rollwagen mit von aus dritter Quelle bezogenen patentgemäßen Vorhangeinrichtungen auszurüsten bzw. Rollwagen mit solchen Vorhangeinrichtungen zu nutzen, ergibt sich nicht aus einer der B/C von der Klägerin am Gegenstand der Klageschutzrechte (ausdrücklich oder stillschweigend) erteilten Benutzungserlaubnis.
  192. aa)
    Durch den Vertrag gemäß Anlage KR10 ist der B/C keine Lizenz am Gegenstand der Klageschutzrechte eingeräumt worden, die die B/C dazu berechtigt, von Dritten gelieferte schutzrechtsgemäße Vorhangeinrichtungen für ihre Rollwagen zu beziehen.
  193. (1)
    Bei der Auslegung eines Vertrags sind gemäß §§ 133, 157 BGB in erster Linie der von den Parteien gewählte Wortlaut und der dem Wortlaut zu entnehmende objektiv erklärte Parteiwille zu berücksichtigen. Weiter gilt das Gebot der nach beiden Seiten hin interessengerechten Auslegung und der Berücksichtigung des durch die Parteien beabsichtigten Zwecks des Vertrags (BGH, GRUR 2020, 57 Rn. 20 – Valentins; GRUR 2011, 946 Rn. 18 – KD, mwN). Des Weiteren ist nach der allgemeinen Lebenserfahrung davon auszugehen, dass eine vertragliche Bestimmung nach dem Willen der Parteien einen bestimmten, rechtserheblichen Inhalt haben soll. Deshalb ist einer möglichen Auslegung der Vorzug zu geben, bei welcher der Vertragsnorm eine tatsächliche Bedeutung zukommt, wenn sich diese Regelung ansonsten als ganz oder teilweise sinnlos erweisen würde (BGH, NJW 2005, 2618, 2619; NJW 1998, 2966).
  194. (2)
    Ausgehend von diesen Rechtsgrundsätzen ist der B/C mit dem Rahmenvertrag keine Lizenz an den Klageschutzrechten eingeräumt worden.
  195. Bei dem zwischen der Klägerin und der B/C geschlossenen Vertrag gemäß Anlage KR10 handelt es sich um einen Rahmenvertrag über die Lieferung von Rollcontainernetzen für Rollcontainer der B/C. Der gesamte Wortlaut des Vertrags außerhalb von § 10 spricht für einen Liefer-/Werkvertrag in Bezug auf einen bestimmten Gegenstand, welcher Vertrag nichts mit der Einräumung einer Lizenz an einem Schutzrecht zu tun hat. Der Titel des Vertrags lautet „Rahmenvertrag über die Lieferung von Rollcontainer Netzen für RoCo“, wohingegen der Vertrag nicht (auch) als „Lizenzvertrag“ bezeichnet wird. § 1 definiert als Vertragsgegenstand die „Lieferungen/Leistungen“ bzw. „Lieferung von Rollcontainern“. Hauptleistungspflicht ist die Lieferung eines Gegenstands durch den Auftragnehmer (Klägerin) an den Auftraggeber (B/C). Die §§ 2, 3, 4 des Vertrags definieren in Übereinstimmung mit § 1 weitergehend die Lieferbeziehung hinsichtlich eines Leistungsrechts, die Erteilung von Abrufbestellungen sowie einer Nichtabnahmeverpflichtung und Leistungsänderungen, was sich alles auf einen bestimmten Liefergegenstand und dessen Abruf bezieht. Die Lieferung ist die Leistung des Auftragnehmers. Ein Schutzrecht oder eine Erfindung stellt indes keine „Leistung“ in diesem Sinne dar, wobei die Regelung in § 3 (2) des Vertrags, wonach es dem Auftraggeber freisteht, die Leistungen auch von Drittunternehmen zu beziehen, auch nicht auf Schutzrechte passt. Denn entsprechende Schutzrechte können nicht auch von Drittunternehmen bezogen werden. Bei den §§ 5 bis 9, 11 und 13 bis 16 des Vertrags handelt es sich um klassische Klauseln für Lieferverträge.
  196. Der von der Beklagten in Bezug genommene § 10 des Vertrags regelt nach seiner Überschrift „Nutzungsrechte“. Er sieht vor, dass der Auftraggeber mit „der Abnahme der Lieferung und Leistungen“ ein „Nutzungsrecht an Arbeitsergebnissen“ erwirbt. Von „Schutzrechten“ oder „Erfindungen“ ist in dieser Vertragsklausel nicht die Rede, obgleich der Rahmenvertrag den Begriff „Schutzrecht“ an anderer Stelle verwendet, nämlich im Zusammenhang mit der Haftung des Auftragnehmers im Falle einer „Schutzrechtsverletzung“ (§ 12). Der Begriff „Lizenz“ findet sich in § 10 des Vertrags ebenfalls nicht.
  197. Der „Erwerb“ der „Rechte“ soll nach dem Wortlaut des § 10 mit der „Abnahme der Lieferung und der Leistungen“ verbunden sein. Eine Lizenz wird hingegen üblicherweise erteilt oder gewährt, nicht erworben. Üblicherweise bezieht sich eine Lizenz auch auf ein Schutzrecht und nicht auf einen konkreten Liefergegenstand, so dass die Abnahme eines solches für eine Lizenzerteilung in der Regel keine Rolle spielt. Der Lizenzgeber gewährt dem Lizenznehmer ein Recht – unabhängig von einem Gegenstand des Lizenzgebers – Produkte anzubieten etc., die das Schutzrecht nutzen. Erworben werden soll nach § 10 das Nutzungsrecht an „Arbeitsergebnissen“. Der Begriff „Arbeitsergebnis“ wird im Vertrag nicht definiert. Dass er Schutzrechte oder Erfindungen des Auftragnehmers umfassen soll, lässt sich weder § 10 noch den weiteren Vertragsklauseln entnehmen, und dies liegt auch fern. Mit Recht ist das Landgericht davon ausgegangen, dass sich § 10 des Vertrags nicht entnehmen lässt, dass sich die dem Auftraggeber eingeräumten Nutzungsrechte vollständig von dem seitens des Auftragnehmers gelieferten Gegenstand derart lösen, dass mit „Arbeitsergebnis“ ein technisches Schutzrecht des Auftragnehmers gemeint ist, von dem der dem Auftraggeber zu liefernde Gegenstand Gebrauch macht, und welches der Auftragnehmer unabhängig von dem Liefergegenstand benutzen darf.
  198. Mit Recht weist die Klägerin ferner darauf hin, dass nach dem Wortlaut der Klausel offenbar urheberrechtliche Befugnisse geregelt werden sollen. Die Formulierung der mit dem Nutzungsrecht einhergehenden „Nutzungsarten“ entspricht jedenfalls § 31a Abs. 1 UrhG.
  199. Auch wenn bei einer einfachen Lizenz grundsätzlich keine Ausübungspflicht des Lizenznehmers besteht, muten die vertraglichen Regelungen außerdem merkwürdig an, wenn man sie so versteht, dass auch technische Schutzrechte erfasst würden: Der Lizenznehmer (Auftraggeber) könnte die Lieferung von Gegenständen verlangen, müsste dies aber mangels Abnahmepflicht nicht und zahlt dann auch kein Lizenzentgelt an den Lizenzgeber (Auftragnehmer). Auch hierfür fehlen sämtliche üblichen Regelungen einer Lizenzvereinbarung im Rahmenvertrag. Weshalb derartiges im Interesse der Klägerin liegen sollte, erschließt sich nicht. Das gilt umso mehr, als die B/C im Falle einer Lizenzerteilung nach den getroffenen Regelungen von sämtlichen Wettbewerbern der Klägerin schutzrechtsgemäße Erzeugnisse beziehen könnte, ohne im Gegenzug Erzeugnisse bei der B/C bestellen oder eine Lizenzgebühr an diese zahlen zu müssen.
  200. Hinzu kommt, dass Lizenzen an Schutzrechten in der Regel nicht in einem solchen Ausmaß erteilt werden, dass sie – wie es § 10 des Vertrags vorsieht – auch nach Kündigung des Vertrags weiterlaufen. Das wäre eine Aushöhlung des Ausschließlichkeitsrechts des Schutzrechtsinhabers, was Treu und Glauben (§ 242 BGB) widersprechen würde. Hierauf würde sich kein vernünftiger Schutzrechtsinhaber einlassen.
  201. Zu berücksichtigen ist des Weiteren, dass es sich bei dem Rahmenvertrag um einen Vertrag handelt, den die B/C so oder in ähnlicher Form offenbar mehrfach verwendet und der ein gängiges Geschäftsfeld der B/C betrifft. Da es sich bei der B/C um ein großes Wirtschaftsunternehmen handelt, das über eine juristische Abteilung verfügen wird, ist schwer vorstellbar, dass die Vertragsklauseln bzw. der Vertrag nicht unter Mitwirkung von Juristen aufgestellt worden sind. Juristen verwenden aber im Grundsatz bekannte zutreffende Begriffe. Lizenz und Lizenzvertrag etc. sind solche Begriffe, weshalb es naheliegend gewesen wäre, diese Begriffe zu verwenden, hätte man denn an Schutzrechten Lizenzen erteilen wollen.
  202. Ohne Erfolg macht die Beklagte schließlich geltend, dass § 10 des Vertrags leerläuft, wenn man ihn nicht so versteht, dass (auch) ein Nutzungsrecht hinsichtlich der streitgegenständlichen Schutzrechte erteilt wird. Das gilt schon deshalb, weil es möglich ist, „Selbstverständlichkeiten“ in einen Vertrag aufzunehmen bzw. in diesem auch etwas zu regeln, was möglicherweise bereits aus dem Gesetz folgen würde. Eine entsprechende Abrede bzw. Klausel führt beiden Vertragsparteien die geltenden Regelungen/Bedingungen unmittelbar vor Augen.
  203. (3)
    Mit Recht ist das Landgericht davon ausgegangen, dass sich auch aus den Begleitumständen des Vertragsschlusses bzw. der Entstehungsgeschichte des Vertrags kein anderweitiges Verständnis des § 10 ergibt. Das gilt schon deshalb, weil der Rahmenvertrag mit keinem Wort auf die Entwicklung der Vorhangeinrichtung und/oder die Ausschreibung der B/C eingeht.
  204. bb)
    Ergibt sich aus dem Rahmenvertrag damit keine Lizenz, die der B/C die Nutzung schutzrechtsgemäßer Vorhangeinrichtungen aus dritter Quelle mit ihren Rollwagen gestattet, kommt es nicht darauf an, ob es sich bei § 10 des Rahmenvertrags um eine Allgemeine Geschäftsbedingung im Sinne des § 305 BGB handelt und diese bei einem anderen Verständnis oder jedenfalls einer Mehrdeutigkeit nach § 305c Abs. 2 BGB eine überraschende Klausel im Sinne des § 305c Abs. 1 BGB darstellt oder einer Inhaltskontrolle nach § 307 BGB nicht standhält.
  205. cc)
    Zu Recht hat das Landgericht auch die Einräumung eines Nutzungsrechts an den Klageschutzrechten, das die Benutzung von aus dritter Quelle stammenden, schutzrechtsgemäßen Vorhangeinrichtungen einschließt, durch eine irgendwie geartete anderweitige (ausdrückliche oder konkludente) Vereinbarung zwischen der Klägerin und der B/C verneint. Den diesbezüglichen Ausführungen des Landgerichts tritt der erkennende Senat bei. Das Berufungsvorbringen der Beklagten gibt zu einer abweichenden Beurteilung keinen Anlass.
  206. dd)
    Gegen die Annahme, dass der B/C ein Nutzungsrecht an den Klageschutzrechten weder durch den Rahmenvertrag noch anderweitig eingeräumt worden ist, spricht letztlich auch, dass sich die B/C gegenüber der Klägerin nach deren unwidersprochen gebliebenen Vortrag zu keinem Zeitpunkt auf ein eigenes Benutzungsrecht berufen hat. Dem diesbezüglichen Vortrag der Klägerin ist die Beklagte nicht entgegengetreten. Die Beklagte behauptet insbesondere nicht, dass die B/C sich aufgrund ihres Vertragsverhältnisses mit der Klägerin als berechtigt ansieht, die angegriffene Ausführungsform oder das in der Anlage KMG-BB4 gezeigte Rollbehälternetz der I für ihre Rollcontainer zu nutzen.
  207. b)
    Die von der Beklagten belieferte B/C kann an der angegriffenen Ausführungsform auch kein privates Vorbenutzungsrecht (§ 12 PatG) für sich in Anspruch nehmen.
  208. Die Voraussetzungen für den Erwerb eines Vorbenutzungsrechts nach § 12 PatG hat das Landgericht im angefochtenen Urteil zutreffend wiedergegeben. Hierauf wird zur Vermeidung von Wiederholungen Bezug genommen. Die Beweislast für die Entstehungstatsachen und den Umfang des Vorbenutzungsrechts hat derjenige, der sich darauf beruft (OLG Düsseldorf, GRUR 2018, 814 Rn. 90 – Schutzverkleidung für funktechnische Anlagen; Benkard PatG/Scharen, a.a.O., PatG § 12 Rn. 27 mwN), hier mithin die Beklagte, die sich im Verhandlungstermin vor dem Senat nur noch auf ein privates Vorbenutzungsrecht ihrer Abnehmerin (B/C) berufen hat.
  209. aa)
    Die B/C hat einen Gegenstand mit sämtliche Merkmalen des Patentanspruchs 1 in der Fassung der Einspruchsentscheidung des Europäischen Patentamts (nachfolgend nur noch: Patentanspruch 1) nicht im Sinne des § 12 PatG vorbenutzt.
  210. (1)
    Ohne Erfolg macht die Beklagte geltend, ein Vorbenutzungsrecht betreffend einen solchen Gegenstand sei spätestens mit der „Beauftragung“ der Klägerin und/oder der Firma I durch die B/C entstanden.
  211. (1.1)
    In Bezug auf die I hat die Beklagte schon nicht substanziiert dargetan und auch nicht unter Beweis gestellt hat, dass dieses Unternehmen vor dem Prioritätstag des Klagepatents (29.07.2016) einen Rahmen- oder anderweitigen Liefervertrag mit der B/C abgeschlossen hat. Ebenso hat sie nicht nachgewiesen, dass die B/C von der Firma I vor dem Prioritätstag mit der von ihr angeführten Ausführungsform der Firma I beliefert wurde.
  212. (1.2)
    Was die von der Klägerin selbst auf der Grundlage des mit der B/C abgeschlossenen Rahmenvertrags an die B/C gelieferten Erzeugnisse anbelangt, handelt es sich bei diesen – wovon die Parteien übereinstimmend ausgehen – zwar um patentgemäß ausgestaltete Vorhangeinrichtungen. Ferner ist davon auszugehen, dass die B/C bereits vor dem Prioritätszeitpunkt des Klagepatents Kenntnis von der fertigen Entwicklung und damit der Erfindung der Klägerin hatte. Die B/C dürfte diese Kenntnis auch schon im Zeitpunkt des Abschlusses des Rahmenvertrags vom 09./11.05.2016 gehabt haben, da sie andernfalls kaum bereits einen solchen Vertrag mit der Klägerin abgeschlossen hätte. Der Entstehung eines privaten Vorbenutzungsrechts in der Person der B/C aufgrund der Vorbenutzung eines Gegenstands mit sämtliche Merkmalen des Patentanspruchs 1 steht unter den hier gegebenen Umständen allerdings entgegen, dass die B/C die Kenntnis der Erfindung von der Klägerin selbst erlangt hat.
  213. (1.2.1)
    Der Erwerb eines Vorbenutzungsrechts setzt – über den Wortlaut des § 12 PatG hinaus – voraus, dass der Handelnde selbstständigen Erfindungsbesitz erlangt und diesen redlich erworben und ausgeübt hat (BGH, GRUR 2010, 47 Rn. 17 – Füllstoff; OLG Düsseldorf, GRUR-RR 2012, 319, 321 – Einstieghilfe für Kanalöffnungen; GRUR 2018, 814 Rn. 91 – Schutzverkleidung für funktechnische Anlagen; Benkard PatG/Scharen, a.a.O., PatG § 12 Rn. 5, 8 und 9). Redlich erworben ist der Erfindungsbesitz, wenn der Benutzer sich für befugt halten durfte, die erfindungsgemäße Lehre auf Dauer für eigene Zwecke anzuwenden (BGH, GRUR 2010, 47 Rn. 17 – Füllstoff; OLG Düsseldorf, GRUR-RR 2012, 319, 321 – Einstieghilfe für Kanalöffnungen; Benkard PatG/Scharen, a.a.O., PatG § 12 Rn. 8). Redlichkeit wird zwar nicht schon dadurch ausgeschlossen, dass der Erfindungsbesitz vom Inhaber des Patents oder dessen Rechtsvorgängern abgeleitet ist (BGH, GRUR 1964, 673, 675 – Kasten für Fußabtrittsroste; GRUR 2010, 47 Rn. 17 – Füllstoff; Benkard PatG/Scharen, a.a.O., PatG § 12 Rn. 7). Unredlich handelt der Benutzer aber, wenn er die geschützte Lehre widerrechtlich entnommen hat (BGH, GRUR 1964, 673, 675 – Kasten für Fußabtrittsroste; GRUR 2010, 47 Rn. 17 – Füllstoff; Benkard PatG/Scharen, a.a.O., PatG § 12 Rn. 8). Außerdem ist ein Vorbenutzungsrecht in aller Regel ausgeschlossen, wenn der Benutzer und der Erfinder in vertraglicher Beziehung stehen und der Erfindungsbesitz im Zusammenhang mit der Erfüllung dieses Vertrags erlangt wurde (BGH, GRUR 2010, 47 Rn. 18 – Füllstoff; OLG Düsseldorf, GRUR-RR 2012, 319, 321 – Einstieghilfe für Kanalöffnungen; Benkard PatG/Scharen, a.a.O., PatG § 12 Rn. 8). In diesem Fall kann und muss jede Vertragspartei aus den vertraglichen Vereinbarungen entnehmen, ob und welche Rechte ihr in Bezug auf Erfindungen der anderen Seite zustehen. Werden die Rechte an solchen Erfindungen im Vertrag abgetreten oder zumindest ein schuldrechtlicher Anspruch auf Abtretung begründet, hat der begünstigte Teil hinreichende Möglichkeiten, die geschützte Lehre für seine eigenen Zwecke zu nutzen. Macht er von diesen Möglichkeiten keinen Gebrauch oder stehen ihm derartige Rechte weder nach dem Vertrag noch nach dem Gesetz zu, kann er redlicherweise nicht erwarten, dennoch zur weiteren Nutzung der Erfindung befugt zu sein. Zur Entstehung eines Vorbenutzungsrechts gegenüber dem Erfinder oder dessen Rechtsnachfolgern kann es weder im einen noch im anderen Fall kommen. Für die Anwendung von § 12 PatG ist in solchen Konstellationen kein Raum (BGH, GRUR 2010, 47 Rn. 18 – Füllstoff).
  214. (1.2.2)
    Im Streitfall könnte in dem Abschluss des Rahmenvertrags zwischen der B/C und der Klägerin zwar eine eigene Veranstaltung der B/C zur alsbaldigen Aufnahme der Benutzung liegen. Das bedarf jedoch keiner Vertiefung. Insoweit muss hier nicht weiter erörtert werden, ob der bloße Abschluss eines Lieferungsvertrags über noch herzustellende Ware für eine entsprechende Veranstaltung ausreicht (vgl. hierzu Benkard PatG/Scharen, a.a.O., PatG § 12 Rn. 17). Ebenso kann dahinstehen, ob der Abschluss eines Rahmenvertrags aufgrund dessen der vertraglich nicht zu einer Abnahme verpflichtete Auftraggeber die zu liefernden Produkte erst noch bei dem Lieferanten bestellen (abrufen) muss, genügen kann. Wann die erste Bestellung von Rollcontainernetzen durch die B/C bei der Klägerin auf der Grundlage des Rahmenvertrags vom 09./11.05.2016 erfolgte, ist streitig. Die erste Auslieferung soll nach dem Vortrag der Klägerin erst am 18.08.2016 und damit nach dem Prioritätstag des Klagepatents erfolgt sein (Bl. 274 eA; Bl. 295 LG-Akte). Eine frühere Belieferung hat die Beklagte nicht konkret dargetan und auch nicht unter Beweis gestellt. Hierauf kommt es letztlich jedoch nicht an. Denn die B/C durfte sich – wovon das Landgericht im Ergebnis zutreffend ausgegangen ist – hier jedenfalls redlicherweise nicht für befugt halten, den Erfindungsbesitz unabhängig von durch die Klägerin selbst gelieferten patentgemäßen Rollcontainernetzen auf Dauer selbst ausüben zu dürfen.
  215. Hat die B/C schon vor dem Abschluss des Rahmenvertrags vom 09./11.05.2016 Kenntnis von der fertigen Erfindung gehabt, standen die B/C und die Klägerin zu diesem Zeitpunkt zwar noch nicht in einer entsprechenden vertraglichen Lieferbeziehung und die B/C hat den Erfindungsbesitz nicht im Zusammenhang mit der Erfüllung dieses Vertrags erlangt. Die Kenntniserlangung erfolgte allerdings aufgrund einer Einbeziehung der Klägerin in die Entwicklung einer neuen für Rollbehälter/Rollcontainer für den Betrieb der B/C. Grundlage hierfür war eine Ausschreibung der B/C. Diese Ausschreibung begründete ein vertragsähnliches Vertrauensverhältnis, das die B/C zur Rücksichtnahme auf die Rechte, Rechtsgüter und Interessen der Klägerin verpflichtete. Der Ausschreibung lagen eigene Ausschreibungsunterlagen der B/C zugrunde, die die B/C zu beachten hatte. Diese Ausschreibungsunterlagen sahen nicht vor, dass die B/C Entwicklungen eines Ausschreibungsteilnehmers (Projektpartners) unabhängig von dessen Beauftragung mit der Serienanfertigung des von ihm entwickelten Gegenstands benutzen darf. Das konnte die B/C redlicherweise auch nicht erwarten. Zwar erfolgte die Entwicklungstätigkeit auch und gerade in ihrem Interesse. Diese Tätigkeit wurde jedoch von ihr nicht vergütet. Auch ergab sich aus den Ausschreibungsunterlagen nicht, dass die Entwicklung exklusiv für die B/C erfolgen sollte.
  216. Ein den Gegenstand des Patentanspruchs 1 von vornherein betreffendes Vorbenutzungsrecht der B/C kann hier zudem frühestens mit dem Abschluss des Rahmenvertrags zwischen der B/C und der Klägerin entstanden sein. Jedenfalls zu diesem Zeitpunkt durfte sich die B/C nicht für befugt halten, den von der Klägerin erlangten Erfindungsbesitz unabhängig von diesem Rechtsverhältnis auf Dauer ausüben zu dürfen. Denn der Rahmenvertrag, der die Rechtsbeziehung der B/C zur Klägerin regelt, sieht weder eine Abtretung der Rechte an der Erfindung der Klägerin auf die B/C noch die Einräumung eines Nutzungsrechts zugunsten der B/C vor, das diese dazu berechtigt, die Erfindung der Klägerin unabhängig von der Lieferung entsprechender Gegenstände durch diese zu benutzen.
  217. (2)
    Soweit sich die Beklagte im Verhandlungstermin in Bezug auf ein privates Vorbenutzungsrecht der B/C auf die Ausschreibungsunterlagen der B/C (Anlage KMG-BB3; D14) und die E-Mail des Zeugen G an die Beklagte (Anlage B15; D19) sowie die anderen an der Ausschreibung teilnehmenden Hersteller berufen hat, ergibt sich aus diesen Unterlagen weder einzeln noch in der Gesamtschau ein Erfindungsbesitz der B/C in Bezug auf einen Gegenstand mit sämtlichen Merkmalen des hier geltend gemachten Patentanspruchs 1. Außerdem liegt insoweit weder eine Benutzung noch eine Veranstaltung zur Benutzung der B/C im Sinne von § 12 PatG vor.
  218. (3)
    Die nach dem Ergebnis der erstinstanzlichen Beweisaufnahme der BL/C im März 2015 von der Beklagten präsentierte, in dem vorgelegten Protokoll vom 23.05.2015 gemäß Anlage B3 (D12) gezeigte Rollbehälterschürze mit der Bezeichnung „Prototyp 2“ (D13) hat die Merkmale (7.1) und (7.3) nicht verwirklicht. Außerdem hat das Landgericht zutreffend angenommen, dass die B/C durch diese (nicht offenkundige) Präsentation keinen selbstständigen Erfindungsbesitz erlangt hat, aufgrund dessen sie sich für befugt halten durfte, die Lehre des Patentanspruchs 1 in der in erster Instanz geltend gemachten Fassung auf Dauer für eigene Zwecke anzuwenden (LG-Urt., S. 54 f.). Darüber hinaus würde es insoweit auch an einer Betätigung eines entsprechenden Erfindungsbesitzes durch die B/C fehlen. Im Rahmen der Präsentation wurde der „Prototyp 2“ von den Mitarbeitern der B/C lediglich in Augenschein genommen und dergestalt getestet, dass die Schürzen an Rollwagen angebracht wurden (vgl. Aussage des Zeugen K, LG-Sitzungsprotokoll v. 17.05.2022, S. 4 [Bl. 280 LG-Akte]), worin aus Sicht der B/C noch keine hinreichenden Praxistests lagen. Solche sollten vielmehr erst noch erfolgen, und zwar – wie sich aus dem Protokoll vom 23.05.2015 (D12) ergibt – jedenfalls zunächst nur mit dem hier nicht relevanten „Prototyp 3“. Insoweit hat die B/C nicht einmal Veranstaltungen zur Benutzung des „Prototyps 2“ getroffen. Weder hat sie den festen und endgültigen Entschluss gefasst, diese Rollbehälterschürze gewerblich zu nutzen, noch hat sie irgendwelche Vorkehrungen getroffen, die alsbaldige Umsetzung eines entsprechenden Entschlusses in die Tat vorbereiten. Aus dem Protokoll der B/C über die Vorstellung der Prototypen (D 12) ergibt sich vielmehr, dass sich die B/C zunächst für den „Prototypen 3“ entschieden hatte. Dies hat auch die erstinstanzliche Beweisaufnahme bestätigt. So hat insbesondere der Zeuge K bekundet, der „Prototyp 2“ sei eigentlich bereits im ersten Termin von der B/C verworfen worden (LG-Sitzungsprotokoll v. 17.05.2022, S. 4 [Bl. 280 LG-Akte]).
  219. bb)
    Die B/C mag für sich zwar ein Vorbenutzungsrecht in Bezug auf den Gegenstand des erteilten Patentanspruchs 1 in Anspruch nehmen können. Die angegriffene Ausführungsform ist von diesem Vorbenutzungsrecht indes nicht umfasst.
  220. (1)
    Nach den Feststellungen des Landgerichts lieferte die Beklagte schon vor dem Prioritätstag des Klagepatents eine Rollbehälterschürze an die B/C (LG-Urt. S. 40), nämlich eine Rollbehälterschürze entsprechend den technischen Zeichnungen PTZ A 42-2298/1 und PTZ A 42-2298/3 (Anlage B1; D9) des L in M (LG-Urt., S. 41). Diese Rollerbehälterschürze (nachfolgend auch: „alte Schürze“) benutzte die B/C nach den Feststellungen des Landgerichts – zusammen mit ihren Rollwagen – zur Auslieferung oder Abholung von Paketen zu Kunden (LG-Urt., S. 40). Die B/C rüstete ihre Rollwagen danach vor dem Prioritätstag des Klagepatents mit dieser Rollbehälterschürze aus und gebrauchte die Kombination aus Rollwagen und Rollbehälterschürze im Rahmen ihres Geschäftsbetriebs. Nach den Feststellungen des Landgerichts verwirklichte die von der B/C vorbenutze Gesamtkombination – unter Zugrundelegung der Patentauslegung des Landgerichts – sämtliche Merkmale des erteilten Patentanspruchs 1 (LG-Urt., S. 40). Insbesondere entsprach die vorbenutzte – von der Beklagten auch als „Ausführungsform 1994“ bezeichnete – Rollbehälterschürze in Bezug auf ihre Verbindungsmittel/Spannriemen nach den Feststellungen des Landgerichts den Vorgaben der Merkmalsgruppe (5) (LG-Urt., S. 41).
  221. Diese tatsächlichen Feststellungen hat der Senat gemäß § 529 Abs. 1 Nr. 1 ZPO seiner Entscheidung zugrunde zu legen. Konkrete Anhaltspunkte, die Zweifel an der Richtigkeit oder Vollständigkeit der vorgenannten Feststellungen begründen und deshalb eine erneute Feststellung gebieten, haben insoweit weder die Klägerin noch die Beklagte vorgetragen. Es sind auch sonst keine konkreten Anhaltspunkte ersichtlich, die Zweifel an der Richtigkeit oder Vollständigkeit der vom Landgericht vorgenommenen Beweiswürdigung begründen und eine andere Wertung als richtiger erscheinen lassen könnten. Für die Richtigkeit der Feststellungen des Landgerichts spricht vielmehr, dass auch die Einspruchsabteilung des Europäischen Patentamtes in ihrer das Klagepatent betreffenden Einspruchsentscheidung nach Beweisaufnahme aufgrund der von der Beklagten vorgelegten Unterlagen die (offenkundige) Vorbenutzung der Rollbehälterschürzen entsprechend den von der Beklagten vorgelegten Verdingungsunterlagen (Anlage B13/Anlage A4; D7 im Einspruchsverfahren) durch Verkauf und Lieferung an die Deutsche Bundespost als erwiesen angesehen hat (Anlage KR17, Rn. 23.5). Die Einspruchsabteilung hat darüber hinaus aufgrund der von der Beklagten vorgelegten Unterlagen und der von ihr durchgeführten Beweisaufnahme als erwiesen angesehen, dass die Beklagte in den Jahren 2013 bis 2015 Rollbehälterschürzen mit der Material-Nr. XXH an Paketzentren und andere Dienststellen der B/C verkauft und geliefert hat. Nach den Feststellungen der Einspruchsabteilung betrafen letztere Lieferungen Schürzen, die jedenfalls den in der von der Beklagten im Einspruchsverfahren überreichten Bestellung der N vom 06.02.2014 (D16) enthaltenen technischen Zeichnungen entsprachen, welche Zeichnungen den in den früheren Ausschreibungsunterlagen der B/C enthaltenen Zeichnungen (D7 und D9) entsprechen (Anlage KR17, Rn. 23.5).
  222. Dass die von der B/C vorbenutzte („alte“) Rollbehälterschürze eine obere Haltestange aufwies, mag unschädlich sein, weil der erteilte Patentanspruch 1 eine auf Stangen verzichtende Ausgestaltung nicht ausdrücklich vorgibt und sich lediglich aus der Beschreibung des erteilten Patents ergibt, dass die Vorhangeinrichtung auf Stangen verzichtet (Abs. [0018], Z. 28-3). Insoweit kann hier zugunsten der Beklagten unterstellt werden, dass der erteilte Patentanspruch 1 nicht im Lichte der Patentbeschreibung dahin auszulegen ist, dass die Vorhangeinrichtung auf Stangen verzichtet, so dass die vorbenutzte „alte Schürze“ – wovon das Landgericht ausgegangen ist – den Vorgaben des erteilten Patentanspruchs 1 entsprochen hat. Letzteres entspricht der Auffassung der Einspruchsabteilung des Europäischen Patentamtes. Denn diese ist in ihrer Einspruchsentscheidung (Anlage KR17, Rn. 32 ff.) davon ausgegangen, dass die in den Verdingungsunterlagen der B/C und den technischen Zeichnungen des L gezeigten Rollbehälterschürzen, welche jeweils eine obere Haltestange aufweisen, den Gegenstand des erteilten Patentanspruchs 1 neuheitsschädlich vorwegnehmen.
  223. (2)
    Die vorbenutzte Rollbehälterschürze verwirklichte nicht das neu hinzugekommene Merkmal (6). Ebenso entsprach diese Schürze nicht den Vorgaben der ebenfalls neu hinzugekommenen Merkmale (7.1), (7.2) und (7.3). Dies steht der Annahme eines sich auf die angegriffene Ausführungsform erstreckenden Vorbenutzungsrechts der B/C allerdings nicht notwendig entgegen.
  224. Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ist der Vorbenutzer grundsätzlich auf die Nutzung desjenigen Besitzstands beschränkt, für den vor dem Anmelde- oder Prioritätstag sämtliche Voraussetzungen des Ausnahmetatbestands erfüllt waren. Weiterentwicklungen über den Umfang der bisherigen Benutzung hinaus sind ihm verwehrt, wenn sie in den Gegenstand der geschützten Erfindung eingreifen (BGH, GRUR 2002, 231, 234 – Biegevorrichtung; GRUR 2019, 1171 Rn. 29 – Schutzverkleidung). Einen solchen Eingriff hat der Bundesgerichtshof für den Fall angenommen, dass bei der als patentverletzend angegriffenen Ausführungsform erstmals alle Merkmale eines Patentanspruchs verwirklicht sind, während dies bei der vorbenutzten Ausführungsform wegen Fehlens eines dieser Merkmale noch nicht gegeben war (BGH, GRUR 2002, 231, 234 – Biegevorrichtung). Ein Eingriff in den Gegenstand des Schutzrechts kann darüber hinaus aber auch dann vorliegen, wenn der Vorbenutzer die Erfindung in einem stärkeren Maße nutzt, als dies seinem Besitzstand entspricht, oder wenn er die Erfindung in anderer Weise nutzt, als dies vor dem Anmelde- oder Prioritätstag der Fall war. Zwar darf das Vorbenutzungsrecht nicht so eng gefasst werden, dass der Vorbenutzer davon keinen wirtschaftlich sinnvollen Gebrauch machen kann. Andererseits ist aber dem Umstand Rechnung zu tragen, dass die technische Lehre eines Patents oder Gebrauchsmusters Alternativen umfassen kann, die die technischen und wirtschaftlichen Vorteile der Erfindung in quantitativ oder qualitativ unterschiedlicher Weise verwirklichen (BGH, GRUR 2019, 1171 Rn. 29 – Schutzverkleidung).
  225. Ob in diesem Sinne eine andere Benutzungsform vorliegt, ist am Maßstab der unter Berücksichtigung von Beschreibung und Zeichnungen ausgelegten Schutzansprüche zu entscheiden. Veränderungen, die keinen Einfluss darauf haben, ob und in welcher Weise die technische Lehre eines Schutzanspruchs und deren einzelne Merkmale verwirklicht werden, sind für das Vorbenutzungsrecht ohne Belang. Wird hingegen mindestens ein Merkmal des Schutzanspruchs in technisch anderer Weise verwirklicht, als dies vor dem Anmeldetag oder Prioritätstag der Fall war, kann dies die Grenzen des Vorbenutzungsrechts überschreiten. Ob letzteres der Fall ist, ist aufgrund einer Gesamtwürdigung zu entscheiden, die das Interesse des Vorbenutzers, den erworbenen Besitzstand wirtschaftlich sinnvoll nutzen zu können, und das Interesse des Schutzrechtsinhabers, die Benutzung seines Schutzrechts nur dulden zu müssen, soweit die unter Schutz gestellte technische Lehre vom Vorbenutzer auch erkannt und umgesetzt worden ist, in einen angemessenen Ausgleich bringt. Danach können die Grenzen des Vorbenutzungsrechts überschritten sein, wenn mit der Modifikation ein zusätzlicher Vorteil verwirklicht wird, der von der nicht modifizierten Ausführungsform nicht verwirklicht worden ist. Dies kommt in Betracht, wenn erstmals eine Ausführungsform benutzt wird, die in einem Unteranspruch oder in der Beschreibung wegen dieses zusätzlichen Vorteils hervorgehoben wird. Sind hingegen in einem Schutzanspruch für ein Merkmal zwei vollständig gleichwertige Alternativen genannt, wird der Umstand, dass der Vorbenutzer nur eine dieser Alternativen benutzt hat, regelmäßig keine entsprechende Beschränkung seiner Benutzungsbefugnis rechtfertigen. Ebenso wird es zu würdigen sein, wenn in der Patentschrift oder der Gebrauchsmusterschrift eine Abweichung von der Vorbenutzung offenbart ist, bei der es sich um eine selbstverständliche Abwandlung handelt, die aus Sicht des Fachmanns mit dem Erfindungsbesitz des Vorbenutzers zum Anmelde- oder Prioritätszeitpunkt ohne Weiteres in Betracht zu ziehen ist (BGH, GRUR 2019, 1171 Rn. 26 ff. – Schutzverkleidung; GRUR 2023, 1184 Rn. 70 ff. – Faserstoffbahn).
  226. Für die Beurteilung der Frage, ob eine Modifikation des vorbenutzten Gegenstands von dem Vorbenutzungsrecht gedeckt ist, ist nach der dargestellten Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs maßgeblich, ob mit der Modifikation ein zusätzlicher Vorteil verwirklicht wird oder ob es sich um eine vollständig gleichwertige Alternative oder eine selbstverständliche Abwandlung handelt (BGH, GRUR 2023, 1184 Rn. 83 – Faserstoffbahn). Diese Frage ist auch dann von Bedeutung, wenn mit der Modifikation – wie hier – erstmals die zusätzlichen Merkmale eines Unteranspruchs verwirklicht werden. Die Hervorhebung eines Merkmals in einem Unteranspruch kann zwar im Einzelfall dafür sprechen, dass es sich um einen relevanten zusätzlichen Vorteil handelt. Die Aufnahme in einen Unteranspruch vermag die inhaltliche Prüfung, ob ein solcher Vorteil vorliegt oder ob es sich nur um eine vollständig gleichwertige Alternative oder eine selbstverständliche Abwandlung handelt, nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs indes nicht zu ersetzen (BGH, GRUR 2023, 1184 Rn. 84 – Faserstoffbahn).
  227. Diese Grundsätze gelten nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs unabhängig davon, ob lediglich die Verletzungsklage auf eine durch zusätzliche Merkmale beschränkte Fassung eines unabhängigen Schutzanspruchs eines Gebrauchsmusters gestützt wird oder ob das Gebrauchsmuster in einem Löschungsverfahren entsprechend beschränkt worden ist (BGH, GRUR 2023, 1184 Rn. 85 – Faserstoffbahn). Nichts anderes gilt im Falle einer Patentverletzungsklage, wenn das Patent – wie hier – in einem Einspruchs- oder Nichtigkeitsverfahren entsprechend beschränkt worden ist. Nach § 12 Abs. 1 PatG treten die Wirkungen des erteilten Patents gegenüber demjenigen nicht ein, der zum Anmelde- oder Prioritätszeitpunkt im Erfindungsbesitz war. Dem hierdurch begründeten Schutz des Vorbenutzers kann durch eine nachträgliche Beschränkung des Schutzrechts nicht die Grundlage entzogen werden. Nach den oben aufgezeigten Grundsätzen vermag der Umstand, dass ein vorbenutzter Gegenstand alle Merkmale eines erteilten unabhängigen Anspruchs erfüllt, zwar nicht jede nachträgliche Modifikation zu rechtfertigen. Ob eine Modifikation nach den oben aufgezeigten Maßstäben vom Vorbenutzungsrecht gedeckt ist oder nicht, hat sich nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs aber bereits aus der erteilten Fassung des Patents bzw. aus der ursprünglich eingetragenen Fassung des Gebrauchsmusters ergeben. Eine nachträgliche Änderung der Ansprüche vermag ein danach bestehendes Recht zur Modifikation des vorbenutzten Gegenstands nicht zu beseitigen (BGH, GRUR 2023, 1184 Rn. 86 – Faserstoffbahn).
  228. (3)
    Danach kommt es im Streitfall darauf an, ob die von der B/C vorbenutzte Rollcontainerschürze („alte Schürze“ / „Ausführungsform 1994“) so modifiziert werden darf, dass sie die zusätzlichen Merkmale (6) bis (7.3) des Patentanspruchs 1 verwirklicht. Dies kommt (nur) in Betracht, wenn mit diesen Modifikationen kein zusätzlicher, durch die Patentschrift hervorgehobener Vorteil verbunden ist oder wenn es sich bei diesen zusätzlichen Merkmalen aus Sicht des Fachmanns mit dem Erfindungsbesitz des Vorbenutzers zum Prioritätszeitpunkt um eine selbstverständliche, ohne weiteres in Betracht zu ziehende Abwandlung des ursprünglich genutzten Gegenstandes handelt (BGH, GRUR 2023, 1184 Rn. 90 – Faserstoffbahn). Beides ist indes nicht der Fall. Mit den Modifikationen gemäß den neu hinzugekommenen Merkmalen sind zusätzliche, durch die Patentschrift hervorgehobene Vorteile verbunden. Außerdem handelt es sich zumindest bei den zusätzlichen Merkmalen (7.1) und (7.3) aus Sicht des Fachmanns mit dem Erfindungsbesitz der B/C zum Prioritätszeitpunkt des Klagepatents nicht nur um eine selbstverständliche, ohne weiteres in Betracht zu ziehende Abwandlung der vorbenutzen („alten“) Rollbehälterschürze.
  229. (3.1)
    In dem Verzicht auf Stangen liegt ein in der Klagepatentschrift ausdrücklich hervorgehobener (wesentlicher) Vorteil. Die Klagepatentschrift bemängelt an dem aus der DE 20 2014 102 XXF bekannten Stand der Technik das Vorhandensein einer oberseitigen Vorhangfixierschiene, weil diese dazu beiträgt, dass die Anbringung und Entfernung der bekannten Vorhangeinrichtung aufwendig ist (Abs. [0007]). Das Klagepatent will daher auf eine solche obere Haltestange sowie auf jegliche andere Stange verzichten. Diesbezüglich wird in der Beschreibung ausdrücklich betont, dass sich die Vorhangeinrichtung dadurch bei Nichtgebrauch klein und kompakt zusammenfalten lässt (Abs. [0016]). Mit dem Merkmal (6) wird somit ein zusätzlicher Vorteil verwirklicht, welcher nicht nur im Klagepatent ausdrücklich hervorgehoben wird, sondern der dem Fachmann auch unmittelbar einleuchtet.
  230. Bei dem zusätzlichen Merkmal (6) handelt es sich aus Sicht des Fachmanns mit dem Wissen des Prioritätstages mit Blick auf den in der Klagepatentschrift gewürdigten (druckschriftlichen) Stand der Technik auch nicht um eine selbstverständliche, ohne weiteres in Betracht zu ziehende Abwandlung des ursprünglich genutzten Gegenstandes. Denn die gattungsbildende DE 20 2014 102 XXF lehrte gerade die Verwendung einer oberen Haltestange zur Festlegung des Vorhangelements.
  231. Etwas Anderes könnte allerdings gelten, wenn der „Prototyp 2“ aufgrund der von der Beklagten behaupteten Präsentation dieses Prototyps bei der E AG in der Schweiz zum für das Klagepatent relevanten Stand der Technik gehören sollte. Letzteres hat die Einspruchsabteilung des Europäischen Patentamtes verneint. Sie hat es zwar für erwiesen erachtet, dass der Geschäftsführer der Beklagten, Her O, im Frühjahr 2015 vor dem 29.05.2015 Herrn D von der E AG eine Rollbehälterschürze vorstellte und diesem zwei Muster übergab. Die Einspruchsabteilung hat es jedoch nicht für bewiesen angesehen, dass die bei diesem Treffen übergebenen Muster dem „Prototyp 2“ gemäß der Anlage B 4 (D13) entsprachen bzw. es sich bei einem der Muster um ein überarbeitetes Exemplar des im Paketzentrum C gezeigten „Prototyps 2“ handelte (Anlage KR 17, Rn. 26.5). Im vorliegenden Verfahren bedarf dies keiner Vertiefung. Insbesondere kann dahinstehen, ob im Rahmen der hier anzustellenden Prüfung, ob es sich bei den zusätzlichen Merkmalen um technisch selbstverständliche, ohne weiteres in Betracht zu ziehende Abwandlungen des von der B/C vorbenutzten Gegenstands handelt, entgegen der Beurteilung der Rechtsbestandsinstanz angenommen werden könnte, dass es sich bei dem von der Beklagten angeführten Prototyp doch um Stand der Technik handelt. Letzteres kann hier zugunsten der Beklagten unterstellt werden. Ebenso kann unterstellt werden, dass es sich – wovon die Einspruchsabteilung ausgegangen ist (Anlage KR17, Rn. 27.5) – bei der E-Mail des Geschäftsführers der Beklagten an Herrn D von der E AG (D15) und – wie die Einspruchsabteilung ebenfalls angenommen hat (Anlage KR17, Rn. 29.5) – bei der E-Mail des Zeugen G von der B/C an den Zeugen H (D19) sowie an die an der Ausschreibung teilnehmenden anderen Hersteller jeweils um schriftlichen Stand der Technik handelt. Im Hinblick auf einen solchen Stand der Technik mag es sich allein bei dem Verzicht auf Stangen gemäß Merkmal (6) um eine selbstverständliche Abwandlung der von der B/C vorbenutzten „alten Schürze“ handeln. In Bezug auf die zusätzlichen Modifikationen gemäß den Merkmalen (7.1) und (7.3) lässt sich hieraus jedoch nichts herleiten.
  232. (3.2)
    Mit den Modifikationen gemäß den Merkmalen der Merkmalsgruppe (7) ist gleichfalls ein zusätzlicher, durch die Patentschrift hervorgehobener Vorteil verbunden und jedenfalls bei den zusätzlichen Merkmalen (7.1) und (7.3) handelt aus Sicht des Fachmanns mit dem Erfindungsbesitz der B/C zum Prioritätszeitpunkt auch nicht nur um selbstverständliche, ohne weiteres in Betracht zu ziehende Abwandlungen der vorbenutzen („alten“) Rollbehälterschürze.
  233. (3.2.1)
    Dadurch, dass das Flächenelement gemäß Merkmal (7.1) ein Flächengewicht von weniger als 500 g/m2 aufweist, wird die Handhabung der Vorhangeinrichtung erleichtert, was in der Patentbeschreibung ausdrücklich betont wird (Abs. [0015]). Die zumindest teilweise transparente Ausbildung des Flächenelements gemäß Merkmal (7.2) ermöglicht, dass das Flächenelement und damit die Vorhangeinrichtung insgesamt einen zumindest teilweise ungehinderten Blick einer Bedienperson auf die im Inneren des Rollwagens befindlichen Waren zulässt, was ebenfalls in der Patentbeschreibung hervorgehoben wird (Abs. [0015], [0032]). Wie der Fachmann unschwer erkennt, trägt die Ausgestaltung als Netz zu der in Merkmal (7.2) geforderten (zumindest teilweisen) Transparenz des Flächenelements bei; diese lässt sich gut mit einer solchen Struktur erreichen. Außerdem trägt die Ausbildung als Netz dazu bei, das im Anspruch angegebene geringe Flächengewicht zu erzielen.
  234. Bei dem Gegenstand der Erfindung gemäß dem Klagepatent in der von der Einspruchsabteilung beschränkt aufrechterhaltenen Fassung handelt es sich vor diesem Hintergrund unzweifelhaft um eine vorteilhafte Ausführungsform.
  235. (3.2.2)
    Zumindest bei den zusätzlichen Merkmalen (7.1) und (7.3) handelt es sich aus Sicht des Durchschnittsfachmanns mit dem Wissen des Prioritätstages und ohne Kenntnis der Klageschutzrechte auch nicht um ein technisch selbstverständliche, ohne weiteres in Betracht zu ziehende Abwandlungen der vorbenutzten „alten Schürze“.
  236. (3.2.2.1)
    Die zuvor von der B/C benutze Rollbehälterschürze bestand aus beschichtetem Gewebe (vgl. D7, Seiten 11 und 12: „2.1 Gewebe“, „2.2 Tränkung“). Nach den eigenen Angaben der Beklagten (Klageerwiderung v. 23.12.2020, S. 4 [Bl. 43 LG-Akte]) war sie durchgängig aus einem Stoff (Gewebe) gefertigt. Das Gewebe war weder teilweise transparent noch als Netz ausgeführt. Auch hatte das Flächenelement der „alten Schürze“ ein Flächengewicht von mehr als 500 g/m2. Wenn die Tränkung berücksichtigt wird, ergibt sich aus der Seite 12 der D7 ein Flächengewicht von mindestens 640 g/m2 (590 g/m2 für das Gewebe und 50 g/m2 für die Tränkung) für das Flächenelement (vgl. Einspruchsabteilung, Anlage KR 17, Rn. 39.10). Aber auch ohne Berücksichtigung der Tränkung hatte das bisherige Flächenelement ein Flächengewicht von deutlich über 500 g/m2.
  237. Nach dem Vorbringen der Beklagten wies zwar bereits der der E AG vorgestellte „Prototyp 2“ ein mittiges Sichtfenster aus schwarzen Gittergewebe auf. Ein Sichtfenster weisen auch die in der E-Mail der Beklagten an die E AG vom 29.05.2015 (D15) abgebildeten Rollbehälterschürzen auf. Das Flächenelement als solches bestand bei diesen Rollbehälterschürzen jedoch ebenfalls aus einem beidseits beschichteten Gewebe, in das das Sichtfenster lediglich eingearbeitet war. Das Flächenelement war damit nicht im Sinne des Klagepatents als Netz und Gewebe ausgebildet (Merkmal (7.3)). Auch wies es unstreitig kein Flächengewicht von weniger als 500 g/m2 auf (Merkmal (7.1)).
  238. Verzichtet der Fachmann, wie in der E-Mail der B/C an die Beklagte (D19) und die anderen an der Ausschreibung teilnehmenden Hersteller vorgeschlagen bzw. in Erwägung gezogen, auf die bei der „alten Schürze“ vorgesehene obere Haltestange und auf sonstige Stangen (Merkmal (6)), wird er – ohne Kenntnis der Erfindung gemäß den Klageschutzrechten – prinzipiell bestrebt sein, das Flächenelement weiterhin „stabil“ und damit im Wesentlichen aus einem Gewebe auszubilden, wie dies auch bei dem „Prototyp 2“ und den in der E-Mail der Beklagten an die E AG vom 29.05.2015 (D15) gezeigten Rollbehälterschürzen der Fall ist. Eine Ausbildung des Flächenelements als Netz und Gewebe im Sinne des Klagepatents ist insoweit nicht technisch selbstverständlich.
  239. (3.2.2.2)
    Dass es sich bei der Ausbildung des Flächenelementes als Netz und Gewebe nicht um eine selbstverständliche, ohne weiteres in Betracht zu ziehende Abwandlung der vorbenutzten „alten Schürze“ handelt, lässt auch nicht aus der Ausschreibungsunterlage der B/C (D14) herleiten. Denn in dieser ist lediglich knapp bzw. schlagwortartig von „Schürze bzw. Netz“ („Schürze / engmaschiges Netz“) die Rede. Weder ist danach eine Ausgestaltung als Netz vorgegeben noch wird dort eine Ausbildung des kompletten Flächenelements als transparentes Netz erwähnt. Aus dem bloßen Hinweis auf ein Netz kann der Fachmann weder unmittelbar und eindeutig ableiten, ob das Netz – wie bei dem „Prototyp 2“ – lediglich als Teil oder aber als Ersatz der aus einem beschichteten Gewebe bestehenden Schürze vorzusehen ist (vgl. auch Einspruchsabteilung, Anlage KR 17, Rn. 39.11). Ferner ist in der Ausschreibung nicht von einem Flächenelement ohne Haltestange die Rede, so dass dieser Unterlage ein Hinweis auf ein Flächenelement, das als Netz ausgebildet ist und das zugleich auf Stangen verzichtet, nicht zu entnehmen ist.
  240. (3.2.2.3)
    In der E-Mail des Zeugen G (D19) an den Zeugen H sowie die anderen an der Ausschreibung teilnehmenden Hersteller ist ebenfalls nur knapp von „Netz / Schürze“ („der Schürze/des Netzes“; „Das Netz/die Schürze“) die Rede. Zwar heißt es in dieser E-Mail einleitend auch, dass die obere Metallschiene, wie sie an den bisherigen („heutigen“) Schürzen montiert ist, auch komplett entfallen könne. Hierbei handelt es sich aber zunächst einmal nur um eine Möglichkeit, welche von der B/C in den Raum gestellt wurde und zu welcher konkrete Lösungsvorschläge gerade erst noch erarbeitet werden sollten. Eine unmittelbare und eindeutige Anregung dahin, die „alte Schürze“ derart abzuwandeln, dass bei dieser die obere Haltestange entfällt und statt eines Gewebes ein (zumindest teilweise transparentes) Netz verwendet wird, wohingegen die bisherigen Verbindungsmittel/Spannriemen beibehalten werden, ergab sich aus dieser Mitteilung nicht. Erst recht ergab sich kein Hinweis auf ein Flächengewicht von weniger als 500 g/m2.
  241. (3.2.2.4)
    Gegen die Annahme, dass es sich bei den zusätzlichen Merkmalen (6) bis (7.3) aus Sicht des Fachmanns mit dem Erfindungsbesitz der B/C zum Prioritätszeitpunkt insgesamt um eine selbstverständliche, ohne weiteres in Betracht zu ziehende Abwandlung der „alten Schürze“ handelt, spricht letztlich auch, dass die Einspruchsabteilung in der Verbesserung der Handhabung eben dieser Rollbehälterschürze durch die vorgenannten Merkmale sogar eine erfinderische Tätigkeit erblickt hat (Anlage KR 17, Rn. 39 ff.). Die Einspruchsabteilung hat in diesem Zusammenhang angenommen, dass auch die D14 oder die D19 den Fachmann nicht veranlassen, ein Netz in die Vorhangeinrichtung der aus D7 bzw. D9 bekannten Kombination aufzunehmen, so dass der Fachmann mit der Lehre aus der D19 oder der D14 nicht zu einem erfindungsgemäßen Flächenelement gelangen würde (Anlage KR 17, Rn. 39.11).
  242. (3.3)
    Bei den von der angegriffenen Ausführungsform verwirklichten zusätzlichen Merkmalen des aufrechterhaltenen Patentanspruchs 1 handelt es sich damit nicht jeweils um eine selbstverständliche, ohne weiteres in Betracht zu ziehende Abwandlung der von der B/C vorbenutzten („alten“) Rollbehälterschürze“. Dass der B/C das erfindungsgemäße Rollcontainernetz der Klägerin zum Prioritätstag bereits bekannt war, steht dem nicht entgegen, weil sich die B/C – wie bereits ausgeführt – im Rahmen von § 12 PatG auf diese Kenntnis nicht berufen kann.
  243. (3.4)
    Ob in der Abwandlung gegenüber der vorbenutzten „alten“ Rollbehälterschürze – wovon die Einspruchsabteilung ausgegangen ist – eine erfinderische Tätigkeit liegt, muss vorliegend nicht entschieden werden. Eine Modifikation des vorbenutzten Gegenstands ist von dem Vorbenutzungsrecht nur gedeckt, wenn mit der Modifikation kein zusätzlicher Vorteil verwirklicht wird oder es sich um eine selbstverständliche Abwandlung handelt. Darüber hinaus ist es dem Vorbenutzer nicht gestattet, die Vorbenutzung in einer Weise fortzuentwickeln, die zwar keine selbstverständliche Abwandlung darstellt, für den Fachmann mit dem Erfindungsbesitz des Vorbenutzers aber nahelag (offengelassen von BGH, GRUR 2019, 1171 Rn. 33 – Schutzverkleidung und BGH, GRUR 2023, 1184 Rn. 88 – Faserstoffbahn). Dadurch würden die Grenzen des Vorbenutzungsrechts zu Lasten des Patentinhabers überschritten.
  244. c)
    Auf ein eigenes privates Vorbenutzungsrecht an der angegriffenen Ausführungsform hat sich die Beklagte zuletzt nicht mehr berufen. Ein solches besteht aus den vorstehenden Gründen auch nicht.
  245. D.
    Den von der Beklagten erhobenen Einwand der widerrechtlichen Entnahme hat das Landgericht zu Recht nicht durchgreifen lassen. Die Beklagte hat einen Entnahmesachverhalt weder schlüssig dargetan noch unter Beweis gestellt. Dass die Klägerin von dem „Prototyp 2“ im Rahmen ihrer Teilnahme an der Ausschreibung der B/C Kenntnis erlangt hat, ist weder konkret dargetan noch unter Beweis gestellt. Die in erster Instanz durchgeführte Beweisaufnahme hat keine Anhaltspunkte hierfür ergeben. Mit dem Landgericht vermag auch der Senat ferner nicht festzustellen, dass es sich bei dem Gegenstand der Erfindung gemäß dem Klagepatent um eine gemeinsame Entwicklungstätigkeit der Klägerin und der B/C handelt.
  246. E.
    Dass die Beklagte im Hinblick auf die vorstehend dargelegte Verletzung bzw. Benutzung des Klagepatents zur Unterlassung und, weil sie das Klagepatent schuldhaft verletzt hat, auch zum Schadenersatz verpflichtet ist und der Klägerin, um ihr die Berechnung ihrer Ansprüche auf Schadenersatz zu ermöglichen, über den Umfang ihrer Benutzungs- und Verletzungshandlungen Rechnung zu legen hat, hat das Landgericht im angefochtenen Urteil zutreffend dargelegt; auf diese – von der Berufung nicht gesondert angegriffenen – Ausführungen wird zur Vermeidung von Wiederholungen Bezug genommen. In Bezug auf die Beschränkung, die das Klagepatents im Einspruchsverfahren erfahren hat, ist der Urteilstenor an den geänderten Patentanspruch 1 anzupassen gewesen. Mit Rücksicht hierauf und im Hinblick auf den Wegfall der auf das Klagegebrauchsmuster gestützten Urteilsaussprüche (dazu sogleich), hat der Senat den Tenor des angefochtenen Urteils aus Gründen der besseren Übersichtlichkeit insgesamt neu gefasst.
  247. F.
    Zu einer Aussetzung der Verhandlung im vorliegenden Verletzungsrechtsstreit (§ 148 ZPO) besteht keine hinreichende Veranlassung, nachdem die Einspruchsabteilung des Europäischen Patentamtes das Klagepatent durch Entscheidung vom 03.05.2023 (Anlage KR17) mit dem hier geltend gemachten Patentanspruch 1 eingeschränkt aufrechterhalten hat (§ 148 ZPO).
  248. 1.
    Der Gegenstand des aufrechterhaltenen Patentanspruchs 1 geht nicht über den Inhalt der Anmeldung in der ursprünglich eingereichten Fassung hinaus.
  249. Mit Recht ist die Einspruchsabteilung davon ausgegangen, dass eine Kombination aus einem Rollwagen und einer Vorhangeinrichtung bereits in der ursprünglichen Anmeldung nach deren Gesamtinhalt offenbart ist (Anlage KR17, Rn. 31.4). Auch wenn der angemeldete Anspruch 1 auf eine Vorhangeinrichtung für einen Rollwagen gerichtet ist, wird in dem Beschreibungstext der Anmeldung doch eine erfindungsgemäße Vorhangeinrichtung im Zusammenwirken mit einem Rollwagen beschrieben. Ebenso wie die Anmeldung einleitend zum Stand der Technik nach der allgemeinen Erläuterung, wozu ein Rollwagen genutzt wird und wie ein solcher ausgestaltet ist, als gattungsbildenden Stand der Technik gemäß der DE 20 2014 102 XXF U1 einen Rollcontainer mit einem Vorhangelement beschreibt, beschreibt sie in ihrem die Erfindung betreffenden Beschreibungsteil einen Rollwagen mit einer zugehörigen Vorhangeinrichtung. Ein Rollwagen samt Vorhangeinrichtung ist auch in der Figur 1 der Anmeldung dargestellt. Zudem ist bereits in dem angemeldeten Patentanspruch 1 beschrieben, dass sich die an das Flächenelement der Vorhangeinrichtung angeschlossenen Spannriemen zwischen den beiden Seitenpfosten erstrecken, womit im Anspruch selbst, der Zustand beschrieben ist, in dem die Vorhangeinrichtung an einem Rollwagen befestigt ist.
  250. 2.
    Es kann ferner kein vernünftiger Zweifel daran bestehen, dass das Merkmal (6) in der Anmeldung unmittelbar und eindeutig offenbart ist. Bereits im Beschreibungstext der Anmeldung heißt es ausdrücklich, dass die erfindungsgemäße Vorhangeinrichtung außerdem auf Stangen verzichtet, so dass sich die Vorhangeinrichtung bei Nichtgebrauch klein und kompakt zusammenfalten lässt. Ein Rollwagen mit einer Vorhangeinrichtung ohne Stangen ist auch in den Figuren der Anmeldung gezeigt. Soweit es in der Beschreibung zunächst heißt, dass zu der einfachen Handhabung das geringe Flächengewicht des Flächenelements von weniger als 500 g/m2 ganz wesentlich beiträgt, steht das Merkmal (6) nicht in untrennbarem Zusammenhang mit einer solchen Ausgestaltung. Der Verzicht auf Stangen soll nach der Patentbeschreibung bewirken, dass sich die Vorhangeinrichtung bei Nichtgebrauch klein und kompakt zusammenfalten lässt. Das Flächengewicht von weniger als 500 g/m2 trägt zu dieser Wirkung nicht bei, auch wenn beide Merkmale die Handhabung des Flächenelements verbessern (vgl. Einspruchsabteilung, Anlage KR17, Rn. 33.2 und 33.3). Darauf kommt es letztlich allerdings nicht einmal an, weil der aufrechterhaltene Patentanspruch 1 eine entsprechende Ausgestaltung nunmehr ohnehin zwingend voraussetzt (Merkmal (7.1)).
  251. 3.
    Die ebenfalls neu hinzugekommenen Merkmale der Merkmalsgruppe (7) entsprechen den ursprünglichen Unteransprüchen 10, 11 und 12.
  252. 4.
    Der Gegenstand des Patentanspruchs 1 in der hier geltend gemachten Fassung ist gegenüber dem Stand der Technik neu. Das gilt selbst dann, wenn der sog. Prototyp 2 der Beklagten entgegen der Beurteilung der Einspruchsabteilung aufgrund einer Präsentation bei der E AG zum Stand der Technik gehören würde.
  253. 5.
    Die fachkundige Einspruchsabteilung hat angenommen, dass der Gegenstand des beschränkt aufrechterhaltenen Patentanspruchs 1 auf einer erfinderischen Tätigkeit beruht, was sie im Einzelnen begründet hat. Diese Entscheidung erscheint jedenfalls vertretbar.
  254. Dass sich an dieser Beurteilung etwas ändert, wenn der „Prototyp 2“ bzw. ein diesem entsprechender (überarbeiteter) Prototyp aufgrund einer Präsentation der Beklagten bei der E AG – entgegen den Feststellungen der Einspruchsabteilung – zum Stand der Technik gehören würde, vermag der Senat nicht zu erkennen. Im Rahmen der hier allein zu treffenden Aussetzungsentscheidung kommt es hierauf im Übrigen nicht an, weil der Senat nicht feststellen kann, dass ein entsprechender Gegenstand von der Beklagten offenkundig vorbenutzt worden ist.
  255. Eine offenkundige Vorbenutzung des „Prototyps 2“ durch dessen Präsentation im Paketzentrum C am 18.03.2015 hat die Einspruchsabteilung nach dem Ergebnis der von ihr durchgeführten Beweisaufnahme verneint. Ebenso hat das Landgericht in Bezug auf das Klagegebrauchsmuster eine offenkundige Vorbenutzung des „Prototyps 2“ durch dessen Präsentation bei der B/C verneint. Nach dem Ergebnis der vom Landgericht in erster Instanz verfahrensfehlerfrei durchgeführten Beweisaufnahme ist dies nicht zu beanstanden.
  256. Was die von der Beklagten ferner behauptete Präsentation des „Prototyps 2“ bzw. eines entsprechenden überarbeiteten Prototyps bei der E AG in der Schweiz anbelangt, kann dahinstehen, ob die Einspruchsabteilung dem Zeugen D zu Unrecht nicht gestattet hat, dass nach seinen Angaben bei ihm im Büro befindliche Muster einer Rollbehälterschürze im Rahmen seiner Vernehmung in Augenschein zu nehmen (vgl. Anlage KR17, Rn. 21 ff.). Selbst wenn der Zeuge D deshalb im Beschwerdeverfahren nochmals (ergänzend) zu vernehmen wäre, rechtfertigt dies eine Aussetzung des vorliegenden Verletzungsrechtsstreits nicht. Wird die mangelnde Rechtsbeständigkeit eines Patents – wie hier – auf eine offenkundige Vorbenutzung gestützt, setzt eine Aussetzung der Verhandlung im Hauptsacheverfahren zunächst eine schlüssige und detaillierte Darstellung des Vorbenutzungstatbestandes mit entsprechenden Beweisantritten im Nichtigkeitsverfahren voraus. Um auch die darüber hinaus erforderliche Wahrscheinlichkeit des positiven Nachweises der Vorbenutzung darzutun, müssen darüber hinaus zusätzliche objektive Anhaltspunkte für die Richtigkeit der Vorbenutzungs-Behauptung vorgetragen werden. Eine Beweisaufnahme zur weiteren Klärung des voraussichtlichen Erfolges der Nichtigkeitsklage als Grundlage für eine Aussetzungsentscheidung nach § 148 ZPO kommt nicht in Betracht. Eine solche Beweisaufnahme wäre für das Rechtsbestandsverfahren nicht verbindlich, könnte den Ablauf jenes Verfahrens stören, griffe letztlich in die Kompetenz für die Entscheidung über den Einspruch ein und würde den Sinn und Zweck einer Aussetzung nach § 148 ZPO, überflüssige Mehrarbeit und einander widersprechende Entscheidungen in parallelen Prozessen zu verhindern, in sein Gegenteil verkehren (st. Rspr. des OLG Düsseldorf, vgl. GRUR 1979, 636, 637 – Ventilanbohrvorrichtung; Urt. v. 19.03.2009 – I-2 U 55/08; Urt. v. 10.03.2016 – 2 U 41/15, BeckRS 2016, 120305 Rn. 107). Wird der Rechtsbestand eines Patents mit einer angeblich offenkundigen Vorbenutzung angegriffen, so kommt die Aussetzung eines Hauptsacheverfahrens vor diesem Hintergrund nur in Betracht, wenn der Verletzer die behauptete Vorbenutzungshandlung im Verletzungsrechtsstreit durch liquide Beweismittel (wie Urkunden oder dergleichen) nachweisen kann. Ein Aussetzungsantrag, der auf eine angeblich offenkundige Vorbenutzung gestützt ist, welche nicht lückenlos durch liquide Beweismittel belegt ist, sondern – zumindest in Teilen – auch auf einen Zeugenbeweis angewiesen ist, muss hingegen ohne Erfolg bleiben (vgl. auch BeckOK PatR/Voß, 22. Ed. Stand: 15.07.2023, Vor §§ 139–142b (Verletzungsprozess) Rn. 185; Kühnen, Handbuch der Patentverletzung, 12. Aufl., Kap. E Rn. 871). Da eine Vernehmung des angebotenen Zeugen nur im Einspruchsverfahren, jedoch nicht im Verletzungsprozess erfolgt, ist bereits unvorhersehbar, in welcher Weise der benannte Zeugen überhaupt aussagen wird und ob seine Aussage, wenn sie für den Einsprechenden günstig sind, für glaubhaft gehalten werden. Schon wegen dieser gänzlich unsicheren Prognose verbietet sich die Annahme, es sei mit überwiegender Wahrscheinlichkeit ein Widerruf des Patents zu erwarten. Das gilt auch im Streitfall. Eine hinreichend zuverlässige Prognose, ob der Zeuge D die Behauptungen der Beklagten bei einer etwaigen erneuten Vernehmung durch die Beschwerdekammer in allen Punkten glaubhaft bestätigen wird, ist nicht möglich.
  257. G.
    Soweit die Klägerin ihre Klage auf das Klagegebrauchsmuster stützt, ist ihre Klage unbegründet. Aus dem Schutzanspruch 1 des Klagegebrauchsmusters in der hier geltend gemachten Fassung kann die Klägerin, worauf der Senat im Verhandlungstermin hingewiesen hat, keine Rechte herleiten.
  258. 1.
    Die Klägerin macht das Klagegebrauchsmuster vorliegend nicht in der eingetragenen Fassung, sondern in einer Fassung geltend, die der Fassung des von ihr neu formulierten, mit Eingabe vom 03.03.2020 zur Gebrauchsmusterakte gereichten Schutzanspruchs 1 entspricht, und die zusätzlich – in Anlehnung an den von der Einspruchsabteilung beschränkt aufrechterhaltenen Patentanspruch 1 – die Merkmale (6) bis (7.3) beinhaltet.
  259. 2.
    Der Gebrauchsmusterinhaber kann neu formulierte Schutzansprüche zur Gebrauchsmusterakte reichen (BGH, GRUR 1998, 910, 912 – Scherbeneis), die er grundsätzlich zur Grundlage einer Verletzungsklage machen kann. Auch kann er im Verletzungsrechtsstreit einen eingeschränkten Schutz geltend machen, wenn er entsprechende Schutzansprüche nicht beim Deutschen Patent- und Markenamt eingereicht hat (BGH, GRUR 2003, 867, 868 – Momentanpol I). Hat der Gebrauchsmusterinhaber neu formulierte Schutzansprüche zur Gebrauchsmusterakte eingereicht, kann er das Gebrauchsmuster in einem Verletzungsrechtsstreit ferner grundsätzlich auch in einem gegenüber den nachgereichten Schutzansprüchen noch weiter beschränkten Umfang geltend machen.
  260. 3.
    Nachgereichte bzw. neu formulierte Schutzansprüche gewähren allerdings nur Rechte, wenn sie durch die eingetragene Fassung des Gebrauchsmusters und dessen Schutzumfang gedeckt sind (BGH, GRUR 2003, 867, 868 – Momentanpol I). Sind sie unzulässig erweitert, können aus ihnen keine Rechte hergeleitet werden.
  261. a)
    Es gibt daher zwei Voraussetzungen, die kumulativ vorliegen müssen: Erstens muss der Schutzanspruch, wie er durch den Gebrauchsmusterinhaber im Verletzungsrechtsstreit geltend gemacht wird, durch die ursprüngliche Offenbarung in den Anmeldeunterlagen gedeckt sein. Zweitens muss sich der geltend gemachte Schutzbereich innerhalb des Schutzbereichs halten, wie er sich nach § 12a GebrMG aus den der Eintragung zu Grunde liegenden Schutzansprüchen im Fall ihrer Schutzfähigkeit hätte ergeben können.
  262. In der Entscheidung „Momentanpol“ hat der Bundesgerichtshof für die Fallkonstellation, dass der Gebrauchsmusterinhaber keine neu formulierten Schutzansprüche zu Gebrauchsmusterakte gereicht hat, dementsprechend ausgeführt, dass im Verletzungsrechtsstreit (nur) zu prüfen ist, ob sich der Gebrauchsmusterinhaber auf eine durch die maßgebliche ursprüngliche Offenbarung gestützte und im Rahmen der der Gebrauchsmustereintragung zu Grunde liegenden Schutzansprüche liegende Fassung des Schutzbegehrens zurückgezogen hat, die die angegriffene, Dritten nach § 11 Abs. 1 S. 2 GebrMG verbotene Handlung erfasst (BGH, GRUR 2003, 867, 868 – Momentanpol I). In dem betreffenden Fall ist er – wie sich aus den Gründen seines Urteils ergibt (BGH, GRUR 2003, 867 unter II. 2. a)) – davon ausgegangen, dass der Gebrauchsmusterschutz so, wie er durch den dortigen Kläger im Rechtsstreit (hilfsweise) geltend gemacht worden ist, durch die ursprüngliche Offenbarung in den Anmeldeunterlagen gedeckt ist und sich der Kläger deshalb zur Beseitigung einer Erweiterung grundsätzlich auf diese Schutzansprüche zurückziehen konnte. Weiter hat der Bundesgerichtshof angenommen, dass sich der geltend gemachte Schutzumfang innerhalb des Schutzbereichs hält, wie er sich nach § 12a GebrMG aus den der Eintragung zu Grunde liegenden Schutzansprüchen im Fall ihrer Schutzfähigkeit hätte ergeben können.
  263. Nichts anderes gilt, wenn der Gebrauchsmusterinhaber bereits neue Gebrauchsmusteransprüche zur Akte gereicht hat. Auch in diesem Fall muss der Gebrauchsmusterschutz so, wie er durch den Kläger im Verletzungsrechtsstreit gemäß den nachgereichten Schutzansprüchen geltend gemacht wird, wegen des Verbots unzulässiger Erweiterungen (§ 15 Abs. 1 Nr. 3 GebrMG) durch die ursprüngliche Offenbarung in den Anmeldeunterlagen gedeckt sein. Darüber hinaus muss sich aber auch der nunmehr geltend gemachte Schutzumfang gemäß den nachgereichten Schutzansprüchen selbstverständlich innerhalb des Schutzbereichs halten, wie er sich nach § 12a GebrMG aus den der Eintragung zu Grunde liegenden Schutzansprüchen im Fall ihrer Schutzfähigkeit hätte ergeben können.
  264. b)
    Im Ansatz scheint hiervon auch das Landgericht ausgegangen zu sein. Denn es hat ausgeführt, dass der Schutzgegenstand nicht über denjenigen hinausgehen darf, der sich gemäß § 12a Abs. 1 GebrMG aus der eingetragenen Anspruchsfassung ergibt und wie sie von der ursprünglichen Offenbarung gedeckt ist (LG-Urt., S. 18). Nachfolgend hat das Landgericht allerdings nur geprüft, ob der Gegenstand des Klagegebrauchsmusters in der in erster Instanz geltend gemachten Fassung über den Inhalt der Anmeldung hinausgeht, was es zu Recht verneint hat.
  265. c)
    Dass sich der geltend gemachte Schutzbereich des Klagegebrauchsmusters innerhalb des Schutzbereichs halten muss, wie er sich nach § 12a GebrMG aus den der Eintragung zu Grunde liegenden Schutzansprüchen im Fall ihrer Schutzfähigkeit hätte ergeben können, ergibt sich auch aus folgender Kontrollüberlegung:
  266. Der von der Klägerin hier geltend gemachte Schutz gemäß dem neu formulierten Schutzanspruch, der durch die Kombination der oben unter B. wiedergegebenen Merkmale definiert ist, könnte nicht Gegenstand einer zulässigen beschränkten Verteidigung im Löschungsverfahren sein.
  267. In einem Gebrauchsmusterlöschungsverfahren ist wie im Patentnichtigkeitsverfahren eine Verteidigung des Klagegebrauchsmusters mit beschränkten Schutzansprüchen möglich (vgl. BGH, GRUR 2005, 316, 318 – Fußbodenbelag). Für die beschränkte Verteidigung des Gebrauchsmusters in einem Löschungsverfahren gelten die im Patentrecht entwickelten Grundsätze zur beschränkten Verteidigung des erteilten Patents entsprechend (BGH, GRUR 2005, 316, 318 f. – Fußbodenbelag). Was das Patentnichtigkeitsverfahren anbelangt, ist dem Patentinhaber zwar die Möglichkeit eröffnet, das Schutzrecht in eingeschränkter Fassung zu verteidigen. Es dient aber nicht darüber hinaus der Gestaltung des Patents. Deshalb darf ein Patentanspruch im Nichtigkeitsverfahren nicht so geändert werden, dass er einen von der erteilten Fassung nicht umfassten Gegenstand einbezieht (BGH, GRUR 2005, 145, 146 – Elektronisches Modul; GRUR 2019, 389 Rn. 33 – Schaltungsanordnung III; GRUR 2021, 579 Rn. 103 – Nachrichtenübermittlungsdienst). Ein Gegenstand, der durch das erteilte Patent zwar offenbart, von ihm aber nicht geschützt ist, kann im Patentnichtigkeitsverfahren nicht nachträglich in das Patent einbezogen und unter Schutz gestellt werden (BGH, GRUR 2005, 145, 146 – Elektronisches Modul). Entsprechendes gilt im Gebrauchsmusterlöschungsverfahren (BGH, GRUR 2005, 316, 318 – Fußbodenbelag). Der Gegenstand der Anmeldung darf deshalb in diesem bei der Aufstellung neuer Schutzansprüche (nur) beschränkt werden, solange dadurch das Gebrauchsmuster nicht auf einen Gegenstand erstreckt wird, der von den eingetragenen Schutzansprüchen nicht erfasst ist, und von dem der Fachmann auf Grund der ursprünglichen Offenbarung erkennen kann, dass er von vornherein von dem Schutzbegehren umfasst sein sollte (vgl. BGH, GRUR 2005, 316, 318 f. – Fußbodenbelag; BPatG, Beschl. v. 05.04.2022 – 35 W (pat) 412/20, GRUR-RS 2022, 7764 Rn. 20 – Aufzugssicherung; Bühring/Braitmayer, GebrMG, 9. Aufl., § 4 Rn. 167).
  268. Das Gebrauchsmusterrecht enthält zwar keinen dem Nichtigkeitsgrund des § 22 Abs. 1, 2. Halbsatz PatG entsprechenden Löschungsgrund. Dies schon deswegen, weil es keine – nach einem materiellen Prüfungsverfahren – „erteilte“ Fassung gibt, sondern nur eine – materiell ungeprüfte – eingetragene Fassung, welche durch das Einreichen neuer Schutzansprüche gerade nicht ohne weiteres inhaltlich geändert wird. Jedoch hat die Eintragung des Streitgebrauchsmusters, mit der dem Inhaber die Verbietungsrechte des § 11 GebrMG zustehen, eine vergleichbare Zäsurwirkung wie eine Patenterteilung. Insbesondere wird dadurch gegenüber der Öffentlichkeit der Schutzbereich des Streitgebrauchsmusters nach § 12a GebrMG dokumentiert. Dann aber kann die Öffentlichkeit auch darauf vertrauen, dass dieser Schutzbereich nachträglich nicht noch erweitert wird. Insbesondere darf eine „Beschränkung“ des Gegenstands des Gebrauchsmusters nicht in einer Weise erfolgen, dass das Gebrauchsmuster auf einen Gegenstand erstreckt wird, der von den eingetragenen Schutzansprüchen nicht umfasst ist (vgl. BGH, GRUR 2005, 316 – Fußbodenbelag; BPatG, Beschl. v. 05.04.2022 – 35 W (pat) 412/20, GRUR-RS 2022, 7764 Rn. 20).
  269. d)
    Letzteres ist hier jedoch der Fall.
  270. Die eingetragenen Schutzansprüche beanspruchen (allein) Schutz für eine Vorhangeinrichtung für Rollwagen. Die nachgereichten Schutzansprüche und der im vorliegenden Rechtsstreit weiter geänderte Schutzanspruch, für den die Klägerin nunmehr Schutz haben will, betreffen hingegen die Kombination aus einem Rollwagen und einer Vorhangeinrichtung. Auch wenn ein solcher Gegenstand (die Kombination eines Rollwagens und einer Vorhangeinrichtung) in der dem Klagegebrauchsmuster zugrundeliegenden Anmeldung offenbart ist, wäre er von den eingetragenen Schutzansprüchen im Falle ihrer Schutzfähigkeit, da nicht in einem eingetragenen Schutzanspruch beansprucht, nicht geschützt. In dieser Änderung liegt daher keine Beschränkung des Gegenstands des Klagegebrauchsmusters, sondern vielmehr eine Erweiterung des Schutzgegenstands, die ausgehend von den obigen Ausführungen nicht zulässig ist und aus der die Klägerin daher keine Rechte herleiten kann.
  271. 5.
    Dass die Klägerin vorliegend aus der von ihr geltend gemachten Anspruchsfassung nicht die Kombination eines Rollwagens und einer Vorhangeinrichtung, sondern – unter dem rechtlichen Gesichtspunkt einer mittelbaren Verletzung des geltend gemachten Schutzanspruchs – nur eine Vorhangeinrichtung angreift, ist ohne Bedeutung. Denn das Vorliegen einer Schutzbereichserweiterung ist abstrakt anhand des neu eingereichten bzw. neu formulierten Schutzanspruchs zu prüfen.
  272. 6.
    Auf eine die Erweiterung des Schutzbereichs ggf. „bereinigende“ Anspruchsfassung, die zusätzlich die vorgenommenen Einschränkungen berücksichtigt, hat sich die Klägerin im vorliegenden Rechtsstreit nicht zurückgezogen, weshalb dahinstehen kann, ob derartiges (noch) möglich wäre.
  273. H.
    Die Widerklage der Beklagten ist unbegründet. Ein Anspruch auf Erstattung vorgerichtlicher Anwaltskosten steht der Beklagten gegen die Klägerin nicht zu.
  274. 1.
    Zwar kann im Falle einer unberechtigten Abmahnung aus einem Patent oder Gebrauchsmuster dem Abgemahnten ein Anspruch aus § 823 Abs. 1 BGB auf Erstattung der Kosten, die er für Abwehr der Abmahnung aufgewandt hat, gegen den Abmahnenden zustehen (vgl. z.B. OLG Düsseldorf, Urt. v. 31.01.2013 – I-2 U 54/11, BeckRS 2013, 11782). Im Streitfall war die auf das Klagegebrauchsmuster gestützte Abmahnung auch jedenfalls deshalb unberechtigt, weil die Klägerin schon mit dieser einen Gebrauchsmusterschutz geltend gemacht hat, der durch die eingetragene Fassung des Klagegebrauchsmusters nicht gedeckt war.
  275. 2.
    Ein Erstattungsanspruch der Beklagten gegen die Klägerin auf Erstattung der Kosten für die Abwehr der Abmahnung scheidet jedoch aus, weil die Beklagte ihren Patentanwalt bereits mit der Beantwortung der Berechtigungsanfrage der Klägerin beauftragt hat und die ersetzt verlangten Anwaltskosten bereits durch dadurch entstanden sind, so dass diese nicht durch die Abmahnung verursacht worden sind.
  276. a)
    Ebenso wie durch eine rechts- oder patentanwaltliche Berechtigungsanfrage eine Geschäftsgebühr nach Nr. 2300 VV RVG entsteht, entsteht eine solche Geschäftsgebühr durch die Beantwortung einer Berechtigungsanfrage durch einen Patent- oder Rechtsanwalt.
  277. Die Berechtigungsanfrage öffnet dem Empfänger – anders als bei der unberechtigten Abmahnung – allerdings nicht den Weg für eine Kostenerstattung vom Abmahnenden wegen einer unberechtigten Abmahnung (J-Fohrmann/Schwab in: Götting/Nordemann, UWG, Handkommentar, UWG § 12 Rn. 3). Die Antwort auf eine Berechtigungsfrage ist insbesondere kein Geschäft des Anfragenden, weshalb sie keine Kostenerstattungsansprüche des Empfängers nach §§ 683 S. 1, 677, § 670 BGB gegen den Anfragenden auslöst (vgl. OLG Frankfurt a.M., GRUR-RR 2018, 411 Rn. 92 ff. – INTER CONTROL; LG München I, InstGE 6, 117 – Kosten der Gegenabmahnung auf Berechtigungsanfrage; Albrecht/Hoffmann, Die Vergütung des Patentanwalts, 4. Aufl., Rn. 457; Mes, 5. Aufl., § 139 Rn. 272; Jestaedt/Fink/Meiser/Jestaedt, 7. Aufl., DesignG § 42 Rn. 113; Geschke in: Münchener Prozessformularbuch, Gewerblicher Rechtsschutz, Urheber- und Presserecht, 6. Aufl., Form. D. 1. Anm. 7).
  278. b)
    Der Patentanwalt der Beklagten hat vorliegend daher bereits durch die Beantwortung der Berechtigungsanfrage eine Geschäftsgebühr entsprechend Nr. 2300 VV RVG verdient. VV 2300 RVG sieht eine Geschäftsgebühr mit einem Rahmen von 0,5 bis 2,5 vor. Bei Rahmengebühren bestimmt der Rechtsanwalt die Gebühr nach näherer Maßgabe des § 14 Abs. 1 S. 1 RVG nach billigem Ermessen. In durchschnittlichen Fällen ist die in der Bemerkung zu Nr. 2300 RVG VV angeführte 1,3-fache Gebühr die Regelgebühr. Eine solche Geschäftsgebühr begehrt die Beklagte hier für die außergerichtliche Tätigkeit ihres Patentanwalts.
  279. c)
    Eine gesonderte (weitere) Geschäftsgebühr nach Nr. 2300 VV RVG für die außergerichtliche Tätigkeit betreffend die Erwiderung auf die Abmahnung ist nicht angefallen. Denn es handelt sich bei dieser Tätigkeit um dieselbe Angelegenheit im Sinne von § 15 Abs. 2 RVG wie bei der Tätigkeit bezüglich der Berechtigungsanfrage (vgl. dazu, dass die der Berechtigungsanfrage nachfolgende Abmahnung keinen weiteren Gebührentatbestand auslöst, Berechtigungsanfrage und nachfolgende Abmahnung vielmehr einen einheitlichen Gebührentatbestand bilden: Geschke in: Münchener Prozessformularbuch: Gewerblicher Rechtsschutz, Urheber- und Presserecht, 6. Aufl., Form. D. 1. Anm. 7).
  280. § 15 Abs. 2 RVG bestimmt, dass der Rechtsanwalt die Gebühr in derselben Angelegenheit nur einmal fordern kann. Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs betreffen weisungsgemäß erbrachte anwaltliche Leistungen in der Regel dieselbe Angelegenheit, wenn zwischen ihnen ein innerer Zusammenhang besteht und sie sowohl inhaltlich als auch in der Zielsetzung so weitgehend übereinstimmen, dass von einem einheitlichen Rahmen der anwaltlichen Tätigkeit gesprochen werden kann (BGH, BGH, GRUR 2019, 1044 Rn. 24 – Der Novembermann; Urt. v. 23.03.2023 – ZR 17/22, RGRUR-RS 2023, 15884 – Aminosäurekapseln, jeweils mwN). Ein einheitlicher Rahmen der anwaltlichen Tätigkeit kann grundsätzlich auch dann noch vorliegen, wenn der Anwalt zur Wahrnehmung der Rechte des Geschädigten verschiedene, in ihren Voraussetzungen voneinander abweichende Anspruchsgrundlagen zu prüfen oder mehrere getrennte Prüfungsaufgaben zu erfüllen hat. Denn unter einer Angelegenheit im gebührenrechtlichen Sinn ist das gesamte Geschäft zu verstehen, das der Rechtsanwalt für den Auftraggeber besorgen soll. Die Angelegenheit ist von dem Gegenstand der anwaltlichen Tätigkeit abzugrenzen, der das konkrete Recht oder Rechtsverhältnis bezeichnet, auf das sich die anwaltliche Tätigkeit bezieht. Eine Angelegenheit kann durchaus mehrere Gegenstände umfassen. Für einen einheitlichen Rahmen der anwaltlichen Tätigkeit reicht es grundsätzlich aus, wenn die verschiedenen Gegenstände in dem Sinn einheitlich vom Anwalt bearbeitet werden können, dass sie verfahrensrechtlich zusammengefasst oder in einem einheitlichen Vorgehen geltend gemacht werden können. Ein innerer Zusammenhang zwischen den anwaltlichen Leistungen ist zu bejahen, wenn die verschiedenen Gegenstände bei objektiver Betrachtung und unter Berücksichtigung des mit der anwaltlichen Tätigkeit nach dem Inhalt des Auftrags erstrebten Erfolgs zusammengehören (BGH, NJW 2011, 2591 Rn. 9; NJW 2019, 1522 Rn. 17; GRUR 2019, 1044 Rn. 24 – Der Novembermann; Urt. v. 23.03.2023 – ZR 17/22, GRUR-RS 2023, 15884 – Aminosäurekapseln).
  281. Danach handelt es sich bei Beantwortung einer Berechtigungsfrage und der Erwiderung auf eine dieser nachfolgenden Abmahnung auf Seiten des angeblichen Verletzers um eine Angelegenheit. Denn zwischen der Beantwortung einer ein bestimmtes Patent oder Gebrauchsmuster betreffenden Berechtigungsanfrage und der Abwehr einer nachfolgenden Abmahnung aus diesem Patent oder Gebrauchsmuster besteht ein innerer Zusammenhang insofern, als es jeweils um die Vermeidung einer gerichtlichen Inanspruchnahme wegen Verletzung dieses Schutzrechts geht. Mit der Berechtigungsanfrage wird ein angeblicher Verletzer zum einen auf das Schutzrecht hingewiesen und zum anderen wird in diesem der vermeintliche Benutzungstatbestand dargetan. Hieran schließt sich die Aufforderung an den Verletzer an, sich hierzu zu äußern bzw. zu erläutern, worin seine Berechtigung zur Vornahme der angegriffenen Handlungen liegt. Beantwortet der Verletzer diese Anfrage dahingehend, dass er eine Schutzrechtsverletzung in Abrede stellt, wird er regelmäßig die anspruchshindernden und/oder –vernichtenden Umstände vorbringen, aus denen er auch eine ggf. nachfolgende Abmahnung zurückweisen wird. Jedenfalls kann er aber bereits zu diesem Zeitpunkt die Gründe vorbringen, aus denen er später eine nachfolgende Abmahnung zurückweist. Daraus folgt zugleich, dass die Beantwortung der Berechtigungsanfrage und die Abwehr der Abmahnung sowohl inhaltlich als auch in der Zielsetzung so weitgehend übereinstimmen, dass von einem einheitlichen Rahmen der anwaltlichen Tätigkeit gesprochen werden kann
  282. d)
    Durch die Erwiderung auf die der Beantwortung der Berechtigungsanfrage nachfolgende Abmahnung ist vorliegend damit keine weitere Geschäftsgebühr entsprechend Nr. 2300 VV RVG angefallen. Die ersetzt verlangte Geschäftsgebühr ist vielmehr bereits durch die Beantwortung der Berechtigungsanfrage entstanden, so dass die geltend gemachten Anwaltskosten nicht durch die – erst später erfolgte – Abmahnung der Klägerin verursacht worden und deshalb nicht erstattungsfähig sind. Ein Anspruch der Beklagten auf Erstattung der Kosten für die Beantwortung der Berechtigungsanfrage besteht nicht.
  283. I.
    Der nicht nachgelassene, nach Schluss der mündlichen Verhandlung eingegangene Schriftsatz der Beklagten vom 09.11.2023 gibt weder Anlass zu einer abweichenden Entscheidung noch zu einer Wiedereröffnung der mündlichen Verhandlung, §§ 156, 296a ZPO.
  284. Die Kostenentscheidung folgt aus § 92 Abs. 1 ZPO.
  285. Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit ergibt sich aus §§ 708 Nr. 10, 711, 108 Abs. 1 Satz 1 ZPO.
  286. Es besteht keine Veranlassung, die Revision zuzulassen, weil die hierfür in § 543 ZPO aufgestellten Voraussetzungen nicht vorliegen. Als Einzelfallentscheidung hat die Rechtssache weder grundsätzliche Bedeutung im Sinne des § 543 Abs. 2 Nr. 1 ZPO noch erfordern die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung oder die Fortbildung des Rechts eine revisionsgerichtliche Entscheidung im Sinne des § 543 Abs. 2 Nr. 2 ZPO

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