Düsseldorfer Entscheidungen Nr. 3233
Landgericht Düsseldorf
Urteil vom 30. Juni 2022, Az. 4b O 52/20
- I. Die Beklagte wird verurteilt,
- 1.a) es bei Meidung eines für jeden Fall der Zuwiderhandlung vom Gericht festzusetzenden Ordnungsgeldes bis zu EUR 250.000,00 – ersatzweise Ordnungshaft – oder einer Ordnungshaft bis zu sechs Monaten, im Falle wiederholter Zuwiderhandlung bis zu insgesamt zwei Jahren, wobei die Ordnungshaft an einem ihrer Geschäftsführer zu vollziehen ist, zu unterlassen,
- Vorhangeinrichtungen mit einem Flächenelement sowie mit Verbindungsmitteln, wobei die Verbindungsmittel als an das Flächenelement angeschlossene Spannriemen ausgebildet sind und der jeweilige Spannriemen zweiteilig mit einem längenflexiblen Spanngurt mit zwei jeweils endseitigen Klammern und einem im wesentlichen längenstabilen Spanngurt mit einer Spannklemme ausgebildet ist,
- welche Vorhangeinrichtungen dazu geeignet sind, zur wahlweisen Abdeckung einer Zugangsöffnung eines Rollwagens, insbesondere Rollcontainers, zwischen zwei benachbarten Seitenpfosten eines Rollwagengestells an diesen lösbar festgelegt zu werden, wobei die Spannriemen sich jeweils zwischen den beiden Seitenpfosten erstrecken,
- wobei die Vorhangeinrichtung keine Stangen aufweist, so dass sie sich bei Nichtgebrauch auch klein und kompakt zusammenfalten lässt,
- Abnehmern im Gebiet der Bundesrepublik Deutschland anzubieten und/ oder an solche zu liefern,
- (DE 20 2016 XXX 192 U1, Schutzanspruch 1, eingeschränkte Fassung);
- 1.b) es bei Meidung eines für jeden Fall der Zuwiderhandlung vom Gericht festzusetzenden Ordnungsgeldes bis zu EUR 250.000,00 – ersatzweise Ordnungshaft – oder einer Ordnungshaft bis zu sechs Monaten, im Falle wiederholter Zuwiderhandlung bis zu insgesamt zwei Jahren, wobei die Ordnungshaft an einem ihrer Geschäftsführer zu vollziehen ist, zu unterlassen,
- Vorhangeinrichtungen mit einem Flächenelement sowie mit Verbindungsmitteln, wobei die Verbindungsmittel als an das Flächenelement angeschlossene Spannriemen ausgebildet sind und der jeweilige Spannriemen zweiteilig mit einem längenflexiblen Spanngurt mit zwei jeweils endseitigen Klammern und einem im wesentlichen längenstabilen Spanngurt mit einer Spannklemme ausgebildet ist,
- welche Vorhangeinrichtungen dazu geeignet sind, zur wahlweisen Abdeckung einer Zugangsöffnung eines Rollwagens, insbesondere Rollcontainers, zwischen zwei benachbarten Seitenpfosten eines Rollwagengestells an diesen lösbar festgelegt zu werden, wobei die Spannriemen sich jeweils zwischen den beiden Seitenpfosten erstrecken,
- wobei die Vorhangeinrichtung keine Stangen aufweist, so dass sie sich bei Nichtgebrauch auch klein und kompakt zusammenfalten lässt,
- Abnehmern im Gebiet der Bundesrepublik Deutschland anzubieten und/ oder an solche zu liefern,
- (EP 3 XXX 871 B1, Anspruch 1, eingeschränkte Fassung);
- 2. der Klägerin unter Vorlage eines einheitlichen, chronologisch geordneten Verzeichnisses in mittels EDV auswertbarer elektronischer Form darüber Auskunft zu erteilen, in welchem Umfang sie seit dem 15.09.2016 die zu I.1.a) bezeichneten Handlungen und seit dem 17.06.2020 die zu I.1.b) bezeichneten Handlungen begangen hat, und zwar unter Angabe
- a) der Namen und Anschriften der Hersteller, Lieferanten und anderer Vorbesitzer,
- b) der Namen und Anschriften der gewerblichen Abnehmer sowie der Verkaufsstellen, für welche die Erzeugnisse bestimmt waren,
- c) der Menge der hergestellten, ausgelieferten, erhaltenen oder bestellten Erzeugnisse sowie der Preise, die für die betreffenden Erzeugnisse bezahlt wurden,
- wobei zum Nachweis der Angaben die entsprechenden Kaufbelege, nämlich Rechnungen, hilfsweise Lieferscheine, in Kopie vorzulegen sind, wobei geheimhaltungsbedürftige Details außer den auskunftspflichtigen Daten geschwärzt werden dürfen;
- 3. der Klägerin unter Vorlage eines einheitlichen, chronologisch geordneten Verzeichnisses in mittels EDV auswertbarer elektronischer Form darüber Rechnung zu legen, in welchem Umfang sie (die Beklagte) die zu I.1.a) bezeichneten Handlungen seit dem 15.10.2016 und die zu I.1.b) bezeichneten Handlungen seit dem 17.07.2020 begangen hat, und zwar unter Angabe
- a) der einzelnen Lieferungen, aufgeschlüsselt nach Liefermengen, -zeiten, -preisen und Typenbezeichnungen sowie den Namen und Anschriften der Abnehmer,
- b) der einzelnen Angebote, aufgeschlüsselt nach Angebotsmenge, -zeiten, -preisen und Typenbezeichnungen sowie den Namen und Anschriften der gewerblichen Angebotsempfänger,
- c) der betriebenen Werbung, aufgeschlüsselt nach Werbeträgern, deren Auflagenhöhe, Verbreitungszeitraum und Verbreitungsgebiet,
- d) der nach den einzelnen Kostenfaktoren aufgeschlüsselten Gestehungskosten und des erzielten Gewinns,
- wobei es der Beklagten vorbehalten bleibt, die Namen und Anschriften der Angebotsempfänger und der nicht-gewerblichen Abnehmer statt der Klägerin einem von der Klägerin zu bezeichnenden, ihr gegenüber zur Verschwiegenheit verpflichteten, in der Bundesrepublik Deutschland ansässigen vereidigten Wirtschaftsprüfer mitzuteilen, sofern die Beklagte dessen Kosten trägt und ihn ermächtigt und verpflichtet, der Klägerin auf konkrete Anfrage mitzuteilen, ob ein bestimmter Abnehmer oder ein bestimmter Angebotsempfänger in der Aufstellung enthalten ist.
- II. Es wird festgestellt, dass die Beklagte verpflichtet ist,
- 1. der Klägerin allen Schaden zu ersetzen, der ihr durch die zu I.1.a) bezeichneten, in der Zeit seit dem 15.10.2016 begangenen Handlungen entstanden ist und noch entstehen wird,
- 2. der Klägerin allen Schaden zu ersetzen, der ihr durch die zu I.1.b) bezeichneten, in der Zeit seit dem 17.07.2020 begangenen Handlungen entstanden ist und noch entstehen wird.
- III. Die Widerklage wird abgewiesen.
- IV. Die Beklagte trägt die Kosten des Rechtsstreits.
- V. Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von EUR 2.500.000,- vorläufig vollstreckbar, wobei für die teilweise Vollstreckung des Urteils folgende Teilsicherheiten festgesetzt werden:
- Ziff. I.1.a) und Ziff. I. 1.b): EUR 1.500.000,-
- Ziff. I. 2. und Ziff. I. 3.: EUR 650.000,-
- Ziff. IV.: 110% des jeweils zu vollstreckenden Betrags.
- Tatbestand
- Die Klägerin macht als im Patentregister eingetragene Inhaberin gegen die Beklagte auf die Verletzung des deutschen Gebrauchsmusters DE 20 2016 XXX 192 U1 (im Folgenden: Klagegebrauchsmuster) sowie auf die Verletzung des europäischen Patents 3 XXX 871 B1 (im Folgenden: Klagepatent) gestützte Ansprüche auf Unterlassen, Auskunftserteilung und Rechnungslegung sowie Feststellung einer Schadensersatzpflicht dem Grunde nach geltend. Die Beklagte geht im Wege der Widerklage gegen die Klägerin auf Erstattung von Aufwendungen vor, die ihr, der Beklagten, dadurch entstanden sind, dass sie sich gegen eine auf die Verletzung des Klagegebrauchsmusters gestützte Abmahnung der Klägerin verteidigt hat.
- Die Eintragung des am 29.07.2016 angemeldeten Klagegebrauchsmusters vom 10.08.2016 mit dem Titel „XXX“ wurde am 15.09.2016 bekannt gemacht. Die Klägerin ist als Inhaberin des Klagegebrauchsmusters im Patentregister eingetragen (vgl. Registerauszug v. 23.06.2020, Anlage KR2). Der Klagegebrauchsmusteranspruch 1 lautet in der eingetragenen Fassung wie folgt:
- „Vorhangeinrichtung für Rollwagen (1), insbesondere Rollcontainer, zur wahlweisen Abdeckung einer Zugangsöffnung (2) zwischen zwei benachbarten Seitenpfosten (4a) eines Rollwagengestells (4), mit einem Flächenelement (6) und mit Verbindungsmitteln (7, 8, 9, 10, 16) zur lösbaren Festlegung des Flächenelements (6) an den Seitenpfosten (4a), dadurch gekennzeichnet, dass die Verbindungsmittel (7, 8, 9, 10, 16) als an das Flächenelement (6) angeschlossene Spannriemen (7, 8, 9, 10, 16) ausgebildet sind, welche sich jeweils zwischen den beiden Seitenpfosten (4a) erstrecken.“
- Mit Eingabe vom 03.03.2020 reichte die Klägerin neue Schutzansprüche zur Gebrauchsmusterakte (vgl. Anlage KR3), die auf das das Klagepatent betreffende Erteilungsverfahren zurückgehen, in dessen Rahmen das EPA mit Mitteilung nach Regel 71 (3) EPÜ am 24.01.2020 (Anlage KR4) auf diejenige Anspruchsfassung des Klagepatents hinwies, die es für erteilungsfähig erachtete. Dem entsprechend passte die Klägerin die Klagegebrauchsmusteransprüche an. Der Klagegebrauchsmusteranspruch 1 lautet danach in der geänderten Fassung wie folgt (Änderungen gegenüber der ursprünglich erteilten Anspruchsfassung sind unterstrichen):
- „Kombination aus einem Rollwagen (1), insbesondere Rollcontainer, und einer Vorhangeinrichtung zur wahlweisen Abdeckung einer Zugangsöffnung (2) zwischen zwei benachbarten Seitenpfosten (4a) eines Rollwagengestells (4), mit einem Flächenelement (6) sowie mit Verbindungsmitteln (7, 8; 9, 10, 16) zur lösbaren Festlegung des Flächenelementes (6) an den Seitenpfosten (4a), wobei die Verbindungsmittel (7, 8; 9, 10, 16) als an das Flächenelement (6) angeschlossene Spannriemen (7, 8; 9, 10, 16) ausgebildet sind, welche sich jeweils zwischen den beiden Seitenpfosten (4a) erstrecken,
- dadurch gekennzeichnet, dass
- der jeweilige Spannriemen (7, 8; 9, 10, 16) zweiteilig mit einem längenflexiblen Spanngurt (7, 8) mit zwei jeweils endseitigen Klammern (8) und einem im Wesentlichen längenstabilen Spanngurt (9, 10, 16) mit einer Spannklemme (16) ausgebildet ist.“
- Ein Löschungsverfahren ist gegen das Klagegebrauchsmuster, das in Kraft steht, nicht anhängig.
- Das Klagepatent mit dem Titel „XXX“ nimmt die Priorität des hiesigen Klagegebrauchsmusters vom 29.07.2016 in Anspruch und geht auf die WO 2018/XXX A1 (vorgelegt als Anlage B9) zurück. Das zuletzt genannte Dokument enthält eine Fassung von Patentansprüchen, die den für das Klagegebrauchsmuster eingetragenen Ansprüchen entspricht. Die Anmeldung vom 07.04.2017 wurde am 05.06.2019 offengelegt, die Veröffentlichung des Hinweises auf die Patenterteilung datiert vom 17.06.2020. Der hier maßgebliche Klagepatentanspruch 1 lautet wie der mit Eingabe vom 03.03.2020 zur Gebrauchsmusterakte gereichte Klagegebrauchsmusteranspruch 1, weshalb auf diesen verwiesen wird.
- Die Beklagte hat mit Eingabe vom 17.03.2021 (Anlage B13) Einspruch gegen die Erteilung des Klagepatents erhoben. Eine Entscheidung des Einspruchsverfahrens steht noch aus.
- Das Klagepatent steht in Kraft.
- Die Klägerin macht nunmehr eine eingeschränkte Fassung der beiden Klageschutzrechte geltend, die (einheitlich) wie folgt lautet (das gegenüber der Fassung des Klagegebrauchsmusters in der zur Gebrauchsmusterakte gereichten Fassung bzw. das gegenüber dem Klagepatent in seiner erteilten Fassung ergänzte Merkmal wird nachfolgend unterstrichen):
- „Kombination aus einem Rollwagen (1), insbesondere Rollcontainer, und einer Vorhangeinrichtung zur wahlweisen Abdeckung einer Zugangsöffnung (2) zwischen zwei benachbarten Seitenpfosten (4a) eines Rollwagengestells (4), mit einem Flächenelement (6) sowie mit Verbindungsmitteln (7, 8; 9, 10, 16) zur lösbaren Festlegung des Flächenelementes (6) an den Seitenpfosten (4a), wobei die Verbindungsmittel (7, 8; 9, 10, 16) als an das Flächenelement (6) angeschlossene Spannriemen (7, 8; 9, 10, 16) ausgebildet sind, welche sich jeweils zwischen den beiden Seitenpfosten (4a) erstrecken,
- wobei die Vorhangeinrichtung keine Stange aufweist, so dass sie sich bei Nichtgebrauch klein und kompakt zusammenfalten lässt,
- dadurch gekennzeichnet, dass
- der jeweilige Spannriemen (7, 8; 9, 10, 16) zweiteilig mit einem längenflexiblen Spanngurt (7, 8) mit zwei jeweils endseitigen Klammern (8) und einem im Wesentlichen längenstabilen Spanngurt (9, 10, 16) mit einer Spannklemme (16) ausgebildet ist“
- Die Klägerin und die Beklagte beliefern die A (im Folgenden: A) mit textilen Ausrüstungsgegenständen, insbesondere mit Vorhangelementen, auch „Rollbehälterschürzen“ (im Folgenden: RBS) genannt. Die Vorhangelemente sind dazu bestimmt und geeignet, mit den Rollbehältern der A, nachfolgend beispielhaft abgebildet,
- ,
- verwendet zu werden.
- Abbildungen eines Vorhangelements der Beklagten (im Folgenden: angegriffene Ausführungsform), welches diese an die A liefert, wird nachfolgend wiedergegeben:
- .
- Zwischen der Klägerin und der A besteht ein im Mai 2016 geschlossener sog. „Rahmenvertrag über die Lieferung von Rollcontainer Netzen für RoCo“ (Anlage KR10). Die Regelung § 10 des Vertrags lautet wie folgt:
- „Mit der Abnahme der Lieferungen und Leistungen ist der zu keinen weiteren Zahlungspflichten führende Erwerb der folgenden Rechte beim Auftraggeber verbunden: Nutzungsrecht an Arbeitsergebnissen. An sonstigen Arbeitsergebnissen, die speziell vom Auftragnehmer für den Auftraggeber erstellt wurden, erwirbt der Auftraggeber das, unentgeltliche, unwiderrufliche, unbeschränkte und unabhängig von der Zustimmung des Auftragnehmers übertragbare Nutzungsrecht für alle bekannten und daraus ableitbaren Nutzungsarten. Dies gilt auch im Falle der Kündigung. Das Nutzungsrecht umfasst ausdrücklich alle bekannten Nutzungsarten; auf ihre Aufzählung wird einvernehmlich verzichtet. Das Nutzungsrecht schließt insbesondere auch das Recht auf Änderung, wirtschaftliche Verwertung, Veröffentlichung, Vervielfältigung sowie das Recht der Weitergabe an Dritte für eventuelle Folgeaufträge mit ein. Vorstehend dem Auftraggeber eingeräumte Rechte bleiben auch im Fall einer Kündigung bestehen.“
- Wegen des übrigen Regelungsinhalts wird auf das Vertragsdokument (Anlage KR10) verwiesen.
- Die Klägerin mahnte die Beklagte vorgerichtlich gestützt auf das Klagegebrauchsmuster ab. Hiergegen wehrte sich die Beklagte ihrerseits mit anwaltlichem Schreiben.
- Die Klägerin ist der Auffassung, die Beklagte mache von der Lehre der Klageschutzrechte auch in der hier beschränkt geltend gemachten Fassung mittelbar Gebrauch, ohne dass insoweit eine Berechtigung der Beklagten und/ oder der A vorliege.
- Die Lehre der Klageschutzrechte sei nicht auf Verbindungsmittel beschränkt, die so ausgestaltet seien, dass sie ausschließlich an den Seitenpfosten und nirgendwo anders befestigt werden dürften. Es sei daher jedenfalls unschädlich, wenn die oben am angegriffenen Vorhangelement angeordneten Verbindungsmittel auf den oben die Seitenwände begrenzenden Längsstreben platziert würden. Zudem würden sie jedenfalls auch seitlich an den Seitenpfosten anliegen.
- Die Beklagte könne auch aus dem Vertrag zwischen ihr, der Klägerin, und der A (Anlage KR10) keine Nutzungsberechtigung im Hinblick auf das Klagepatent und -gebrauchsmuster herleiten. Es fehle bereits an einer Berechtigung der A, die an die Beklagte vermittelt werden könne.
- § 10 des Rahmenvertrags sehe eine Nutzungsberechtigung nur dann vor, wenn es sich bei den Klageschutzrechten um „sonstige Arbeitsergebnisse“ handele, die noch dazu „speziell vom Auftragnehmer für den Auftraggeber erstellt worden“ seien, was nicht der Fall sei. Bei einer „Erfindung“ bzw. bei einem eine solche Erfindung verkörpernden Schutzrecht handele es sich um kein „sonstiges Arbeitsergebnis“ im Sinne der Regelung. Damit seien typischerweise vielmehr die unmittelbaren Ergebnisse einer vom Auftraggeber initiierten Tätigkeit wie Text- oder Designerstellung, Softwareprogrammierung, Schaltpläne und dergleichen gemeint. Die gesamte Formulierung der Klausel deute darauf hin, dass damit urheber- und wettbewerbsrechtliche Ansprüche geregelt werden sollen. Auch seien die streitgegenständlichen Erfindungen „nicht speziell für den Auftraggeber“ erstellt.
- Auch aus anderen Umständen könne eine Nutzungsberechtigung der A nicht hergeleitet werden.
- Dem Klagegebrauchsmuster fehle auch nicht die Schutzfähigkeit. Gleiches gelte im Hinblick auf die Rechtsbeständigkeit des Klagepatents, weshalb auch dessen Vernichtung im Rahmen des Einspruchsverfahrens nicht mit der für eine Aussetzung erforderlichen Wahrscheinlichkeit zu erwarten stehe.
- Die Beklagte mache zu Unrecht geltend, dass es sich bei der modifizierten Fassung des Klagegebrauchsmusteranspruchs 1 um eine unzulässige Erweiterung handele.
- Die nunmehr geltend gemachte Kombination aus Rollwagen und Vorhangeinrichtung sei die sinnvolle, in der Beschreibung immer wieder hervorgehobene, erfindungsgemäße Verwendung der Vorhangeinrichtung.
- Die von der Beklagten im Zusammenhang mit einer offenkundigen Vorbenutzung vorgetragene Handlung in Form der Präsentation eines Prototyps einer Rollbehälterschürze („Prototyp 2“) bei dem Paketzentrum in XXX im März 2015 lasse schon eine Offenbarung sämtlicher Merkmale der Klageschutzrechte nicht erkennen. Jedenfalls fehle es aber auch an der Offenkundigkeit, weil es sich um eine rein betriebsinterne Besichtigung gehandelt habe.
- Auch fehle es nicht an einem erfinderischen Schritt bzw. einer erfinderischen Tätigkeit im Hinblick auf den von der Beklagten behaupteten und von ihr, der Klägerin, mit Nichtwissen bestrittenen Vertrieb einer Rollbehälterschürze aus dem Jahre 1988. Insbesondere handele es sich bei dem Weglassen der Stange nicht um eine bloße handwerkliche Maßnahme. Die Beklagte trage weiter auch nicht vor, was den Durchschnittsfachmann veranlasst habe, den ihm bekannten Stand der Technik zu der klageschutzrechtsgemäßen Lehre zu kombinieren.
- Die Klägerin beantragt,
- wie erkannt;
- hilfsweise,
es ihr, der Klägerin, nachzulassen, die Zwangsvollstreckung wegen der Kosten gegen Sicherheitsleistung durch Bankbürgschaft abzuwenden. - Die Beklagte beantragt,
- die Klage abzuweisen;
- hilfsweise,
den Rechtsstreit bis zur erstinstanzlichen Entscheidung des Europäischen Patentamtes über den gegen das Klagepatent erhobenen Einspruch auszusetzen. - Die Beklagte macht zudem im Wege der der Klägerin am 29.12.2020 zugestellten Widerklage einen auf die Erstattung der ihr aus der Verteidigung gegen das Abmahnschreiben der Klägerin entstandenen Kosten gerichteten Anspruch geltend.
- Die Beklagte beantragt widerklagend,
- die Klägerin zu verurteilen, an sie EUR 7.291,01 nebst Zinsen in Höhe von 5 %-Punkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen.
- Die Klägerin beantragt,
- die Widerklage abzuweisen.
- Die Beklagte meint, die angegriffene Ausführungsform verletze die Klageschutzrechte nicht.
- Klageschutzrechtsgemäß sei entscheidend, dass das Flächenelement der Vorhangeinrichtung nicht in irgendeiner beliebigen Weise an dem Rollwagen (Rollcontainer) festgelegt werde, sondern die Festlegung zwingend und ausschließlich an den Seitenpfosten erfolge, die die Zugangsöffnung des Rollwagens begrenzen. Unter Festlegung im Sinne der Klageschutzrechte sei dabei eine Befestigung zu verstehen, wodurch die vom Rollwagen aufgenommene und auf der zugehörigen Basis des Rollwagens als Ladefläche aufliegende Ware optimal im Inneren des Rollwagens geschützt sei und nicht über die Zugangsöffnung von der Basis rutschen könne.
- Eine Befestigung in diesem Sinne liege bei der angegriffenen Ausführungsform nicht vor, weil diese einer Auflage des oberen Abschlusses auf den Seitenwänden des Rollwagens bedürfe. Demgegenüber erfahre der oberste Spannriemen keinerlei Festlegung an den Seitenpfosten.
- Weiter fehle es bereits an ihr, der Beklagten, vorwerfbaren Benutzungshandlungen, weil ihr aufgrund des zwischen der Klägerin und der A geschlossenen Rahmenvertrags (Anlage KR10) ein Benutzungsrecht zur Belieferung der A mit der angegriffenen Ausführungsform zustehe. Jenseits des in Rede stehenden Rahmenvertrags zwischen der A und der Klägerin ergebe sich zudem eine Nutzungsberechtigung der A aus den Gesamtumständen der Entwicklungshistorie. Jedenfalls sei die A ihrerseits zur Nutzung berechtigt, weil sie das fertige Muster bereits deutlich vor der Anmeldung der Klageschutzrechte in ihrem Besitz gehabt habe. Von den so gearteten Berechtigungen leite auch die Beklagte ihre eigene Berechtigung ab. Benutzungshandlungen an andere Abnehmer innerhalb des Gebiets der Bundesrepublik Deutschland gebe es nicht.
- Das Klagegebrauchsmuster sei aber weiter auch nicht schutzfähig, im Hinblick auf das Klagepatent sei eine Vernichtung wegen fehlenden Rechtsbestands jedenfalls überwiegend wahrscheinlich.
- Die von der Klägerin mit Eingabe vom 03.03.2020 (Anlage KR3) vorgenommene Änderung des Anspruchssatzes des Klagegebrauchsmusters stelle eine unzulässige Erweiterung dar.
- Die nunmehr beanspruchte Kombination aus einem Rollwagen und einer Vorhangeinrichtung sei in der Klagegebrauchsmusterschrift nicht hinreichend offenbart. Auch liege eine unzulässige Erweiterung vor, weil durch das Klagegebrauchsmuster nunmehr eine Vorhangeinrichtung allgemeiner Art geschützt sei, während die ursprünglich eingetragene Fassung auf eine Vorhangeinrichtung für Rollwagen gerichtet gewesen sei. Damit habe die Klägerin den Rollwagen in unzulässiger Weise von einer bloßen Zutat zu einem erfindungswesentlichen Element erhoben.
- Soweit die Klägerin die Anspruchsfassungen weiter auf eine Vorhangeinrichtung ohne Stange modifiziere, sei eine solche bereits nicht als erfindungswesentlich offenbart. Zudem sei das Merkmal „ohne Stange“ in der Beschreibung auch nicht in Alleinstellung offenbart, weshalb es aus dem Gesamtkontext nicht herausgelöst werden könne.
- Auch liege eine neuheitsschädliche offenkundige Vorbenutzung durch die Präsentation eines Prototyps (im Folgenden auch: „Prototyp 2“) im Paketzentrum XXX im März 2015 vor, was die Klägerin mit Nichtwissen bestreitet.
- Die Beklagte behauptet in diesem Zusammenhang, sie habe eine der an die A bereits zuvor gelieferten Rollbehälterschürzen in den Jahren 2014/2015 im Hinblick auf ein geringeres Gewicht der Schürze, deren Breite und die Durchsichtigkeit des Materials weiter entwickelt. Am 18.03.2015 sei es deshalb im Paketzentrum der A zur Präsentation von vier Prototypen gekommen. Die als Prototyp 2 vorgestellte RBS (im Folgenden auch: „Prototyp 2“) sei mit einer Halterung in Form eines Zurrgurts mit Gummi und Haken ausgestaltet gewesen. Eine Abbildung des von der Beklagten in Bezug genommenen Prototyps 2 wird nachfolgend wiedergegeben (die Abbildung entstammt der Anlage B4):
- .
- Die vorgestellten Prototypen seien auch in den Paketzentren der A erprobt worden.
- Zu einer weiteren Präsentation des Prototyps 2 sei es, was die Klägerin mit Nichtwissen bestreitet, im Mai 2015 bei der in Bern (Schweiz) ansässigen B AG gekommen. In einer auf die Vorstellung folgenden E-Mail-Korrespondenz (Anlage B5) zwischen der B AG und der Beklagten sei der Prototyp 2 abermals derart beschrieben, dass darin eine neuheitsschädliche Vorwegnahme liege.
- Eine neuheitsschädliche Vorwegnahme der Klageschutzrechte in der hier geltend gemachten beschränkten Fassung ergebe sich weiter auch aus der E-Mail-Nachricht des Zeugen C an den Zeugen D vom 3. August 2015 (Anlage B15), die in gleicher Weise allen Unternehmen zugeleitet worden sei.
- Auch fehle es den Klageschutzrechten an einem erfinderischen Schritt bzw. einer erfinderischen Tätigkeit. In diesem Zusammenhang behauptet die Beklagte, sie habe bereits im Jahre 1988 begonnen, A mit der RBS’88, die entsprechend der Lehre der Klageschutzrechte, jedoch zusätzlich mit einer als Aluminiumprofil ausgestalteten Querstange, ausgestattet gewesen sei, zu beliefern. Ausgehend von dieser RBS’88 stelle sich der Ersatz der Stange durch den Spannriemen als nicht mehr als eine bloße einfache handwerkliche Maßnahme dar. Eine solche Ausgestaltung sei für einen Fachmann zudem in Kenntnis der US 6,XXX,792 B1 (Anlage B8) nahegelegt.
- Das Gericht hat Beweis erhoben durch Vernehmung der Zeugen C, E, F und D. Wegen des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf das Protokoll zur mündlichen Verhandlung vom 15.02.2022 (Bl. 200 – Bl. 221 GA) sowie auf das Protokoll zur mündlichen Verhandlung vom 17.05.2022 (Bl. 277 – Bl. 289 GA) Bezug genommen.
- Entscheidungsgründe
- Die Klage hat Erfolg (dazu im 1. Teil), die Widerklage ist ohne Erfolg (dazu im 2. Teil).
- 1. Teil
Die zulässige Klage ist auch begründet. - Der Klägerin stehen sowohl die auf die Verletzung des Klagegebrauchsmusters (dazu unter Pkt. A.) als auch die auf die Verletzung des Klagepatents (dazu unter Pkt. B.) gestützten Ansprüche zu.
- A.
Aufgrund der Verletzung der Lehre des schutzfähigen Klagegebrauchsmusters, zu deren Benutzung die Beklagte aus keinem rechtlichen Gesichtspunkt befugt ist, stehen der Klägerin die Ansprüche auf Unterlassen, Auskunftserteilung und Rechnungslegung sowie Feststellung einer Schadensersatzpflicht dem Grunde nach zu, § 24 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2, § 24b Abs. 1, 3 GebrMG i. V. m. §§ 242, 259 BGB. - I.
Das Klagegebrauchsmuster nimmt einleitend auf einen Stand der Technik Bezug, wonach Rollwagen typischerweise zum Transport von Waren, beispielsweise innerhalb von Gebäuden oder von einem Gebäude zu einem LKW, eingesetzt werden (Abs. [0002] des Klagegebrauchsmusters, Anlage KR1; Abschnitten des Klagegebrauchsmusters wird nachfolgend das Kürzel „KR1“ beigegeben). Weiter beschreibt das Klagegebrauchsmuster Rollwagen als das zentrale Transportmittel in der Logistik (Abs. [0002] KR1). Bei den Waren könne es sich um Pakete, aber auch offene Produkte, Lebensmittel, Maschinenteile etc. handeln (Abs. [0002] KR1). - In der Folge beschreibt das Klagegebrauchsmuster den Wagen genauer. Dieser verfüge in der Regel über eine Basis und das mit der Basis verbundene Rollwagengestell, die Basis ruhe ihrerseits auf mehreren Laufrollen, bei denen es sich um feststehende Bockrollen oder auch Lenkrollen handeln könne (Abs. [0002] KR1). Die Basis trage das Rollwagengestell, das sich aus mehreren Seitenwänden mit den jeweiligen Seitenpfosten zusammensetze (Abs. [0002] KR1). Die Seitenwände würden überwiegend senkrecht auf der Basis stehen, es sei eine geschlossene Ausbildung der Seitenwände möglich, so dass diese als Seitenplatten ausgeführt seien (Abs. [0003] KR1). Es seien aber auch als Gitterwände ausgelegte offen ausgebildete Seitenwände möglich (Abs. [0003] KR1). Regelmäßig sei bei einem so ausgestalteten Rollwagen respektive Rollcontainer eine Zugangsöffnung realisiert, über den die mit Hilfe des Rollwagens transportierten Waren ein- und abgeladen werden könnten. (Abs. [0003] KR1). Auch könnten zwei Zugangsöffnungen vorgesehen sein (Abs. [0003] KR1).
- Das Klagepatent nimmt sodann Bezug auf die DE 20 2014 XXX 603 U1 (im Folgenden auch: DE‘603) als gattungsbildenden Technikstand (Druckschrift vorgelegt als Anlage B11). Diese offenbare einen Rollcontainer zur Aufnahme einer Mehrzahl von Trägerelementen für Lebensmittel, insbesondere Teigwaren (Abs. [0004] KR1). Der vorbekannte Rollcontainer weise ein Rollwagengestellt auf, welches aus Plattenelementen aufgebaut sei. Eine Zugangsseite bzw. eine Zugangsöffnung des Rollcontainers sei durch ein flexibles Vorgangelement abgehängt bzw. lösbar verschlossen (Abs. [0004] KR1). Das Vorhangelement bestehe aus einem Verbundmaterial, das mindestens eine zwischen zwei Außenfolien eingebettete Innenfolie aufweise, wodurch das Element wärmeisolierend ausgebildet sei (Abs. [0005] KR1). Zur Festlegung des Vorhangelements sei eine oberseitige Fixierschiene vorhanden, zusätzlich werde das Vorhangelement mit Schrauben an den Seitenpfosten gehalten (Abs. [0005] KR1).
- Das Klagegebrauchsmuster kritisiert an der DE‘603, dass Anbringung und Entfernung der bekannten Vorhangeinrichtung aufwendig seien, weil die Schrauben angebracht und gelöst werden müssten und weil zusätzlich die Vorhangfixierschiene festgelegt bzw. entfernt werden müsse (Abs. [0006] KR1).
- Ausgehend von dem so dargestellten Stand der Technik und der daran geübten Kritik nimmt es sich das Klagegebrauchsmuster zur Aufgabe (technisches Problem), eine Vorhangeinrichtung für Rollwagen bereitzustellen, bei der das Anbringen und Entfernen gegenüber dem Stand der Technik verbessert sei und schnell und komfortabel vorgenommen werden könne (Abs. [0007] KR1).
- Die Lösung der Aufgabe soll durch eine Vorrichtung mit den folgenden Merkmalen erfolgen (hier eingetragene Fassung):
- 1. Vorhangeinrichtung für Rollwagen (1), insbesondere Rollcontainer, zur wahlweisen Abdeckung einer Zugangsöffnung (2) zwischen zwei benachbarten Seitenpfosten eines Rollwagengestells (4),
- 2. mit einem Flächenelement (6) und
- 3. mit Verbindungsmitteln (7, 8; 9, 10, 16)
- 3.1 zur lösbaren Festlegung des Flächenelements (6) an den Seitenpfosten (4a).
- 4. Die Verbindungsmittel (7, 8; 9, 10, 16) sind als an das Flächenelement (6) angeschlossene Spannriemen (7, 8; 9, 10, 16) ausgebildet,
- 4.1 welche sich jeweils zwischen den beiden Seitenpfosten (4a) erstrecken.
- II.
Die Klägerin kann sich – wie hier – im Verletzungsverfahren auch in zulässigerweise auf eine Anspruchsfassung berufen, die gegenüber der eingetragenen Fassung weiter beschränkt ist. Das gilt sowohl im Hinblick darauf, dass die Klägerin durch Eingabe zur Gebrauchsmusterakte weitergehende Beschränkungen vorgenommen hat (dazu unter Ziff. 1.), als auch im Hinblick darauf, dass sie im Rahmen des hiesigen Verletzungsrechtsstreits weitergehende Beschränkungen vorgenommen hat (dazu unter Ziff. 2.), wenngleich sich daraus Besonderheiten für die Prüfung der Schutzfähigkeit ergeben, worauf im Zusammenhang damit nachfolgend (unter Ziff. III.) noch näher einzugehen sein wird. - Die Vorrichtung, die nach der hier geltend gemachten Anspruchsfassung streitgegenständlich ist, kann wie folgt gegliedert werden (die Merkmale, die in der beschränkten, zur Gebrauchsmusterakte gereichten, Fassung ergänzt wurden, sind nachfolgend einfach unterstrichen, die Merkmale, die die Klägerin im Rahmen des hiesigen Verletzungsverfahrens ergänzt hat, sind doppelt unterstrichen):
- (1) Kombination aus einem Rollwagen, insbesondere Rollcontainer, und einer Vorhangeinrichtung zur wahlweisen Abdeckung einer Zugangsöffnung zwischen zwei benachbarten Seitenpfosten eines Rollwagengestells.
- (2) Die Vorhangeinrichtung besitzt ein Flächenelement sowie Verbindungsmittel zur lösbaren Festlegung des Flächenelements an den Seitenpfosten.
- (3) Die Verbindungsmittel sind als an das Flächenelement angeschlossene Spannriemen ausgebildet.
- (4) Die Spannriemen erstrecken sich jeweils zwischen den beiden Seitenpfosten.
- (5) Der jeweilige Spannriemen ist zweiteilig ausgebildet mit:
- (a) einem längenflexiblen Spanngurt mit zwei jeweils endseitigen Klammern und
- (b) einem im Wesentlichen längenstabilen Spanngurt mit einer Spannklemme.
- (6) Die Vorhangeinrichtung weist keine Stangen auf, so dass sie sich bei Nichtgebrauch auch klein und kompakt zusammenfalten lässt,
- 1.
Die Einreichung neuer Schutzansprüche zu den Akten eines Gebrauchsmusters – wie hier mit Eingabe der Klägerin vom 03.03.2020 (Anlage KR3) geschehen, aus der sich eine Beschränkung der geschützten Lehre auf zweiteilig ausgebildete und näher spezifizierte Spannriemensysteme ergibt – bewirkt keine unmittelbare Änderung des Gegenstandes des Gebrauchsmusters (BGH, GRUR 1998, 910 (912)) – Scherbeneis). Der Gebrauchsmusterinhaber ist gleichwohl nicht gehindert, eine Verletzungsklage auf der Grundlage der neu eingereichten Ansprüche geltend zu machen. In den eingeschränkten Schutzansprüchen ist dann eine schuldrechtlich bindende Erklärung des Gebrauchsmusterinhabers an die Allgemeinheit zu erblicken, Schutz gegenüber jedermann nur noch im Umfang der neu gefassten Ansprüche geltend zu machen (BGH, a.a.O.). - 2.
Weiter ist es dem Gebrauchsmusterinhaber unbenommen, die Verletzungsklage auf eine Anspruchsfassung zu stützen, die weitergehende Einschränkungen enthält als diejenigen, die zur Gebrauchsmusterakte gelangt sind (Scharen, in: Benkard, PatG, Kommentar, 11. Auflage, 2015, § 12a GebrMG, Rn. 7). Ein Rechtssatz des Inhalts, dass der Gebrauchsmusterinhaber im Verletzungsstreit nur dann einen eingeschränkten Schutz geltend machen könne, wenn auch entsprechend eingeschränkte Schutzansprüche beim Patentamt eingereicht worden sind, besteht nicht (BGHZ 155, 51 – Momentanpol). - III.
Das Klagegebrauchsmuster ist in der hier geltend gemachten Fassung schutzfähig. - 1.
Die Schutzfähigkeit des Klagegebrauchsmusters steht nicht unter dem Aspekt der unzulässigen Erweiterung in Zweifel. - Auch wenn die Einreichung neuer Schutzansprüche zu den Akten eines Gebrauchsmusters keine unmittelbare Änderung des Gegenstands des Gebrauchsmusters bewirkt und eine weitergehende Beschränkung des geschützten Gegenstandes auch im Verletzungsverfahren noch möglich ist (dazu zuvor unter Ziff. II.), ist die Fassung des Klagegebrauchsmusters, auf die sich der Inhaber im Rahmen einer Verletzungsklage stützt, auf seine Schutzfähigkeit hin zu überprüfen (Goebel/ Engel, in: Benkard, PatG, Kommentar, 11. Auflage, 2015, § 4 GebrMG, Rn. 49 und § 12a, Rn. 7). Der Schutzgegenstand darf dabei nicht über denjenigen hinausgehen, der sich gem. § 12a Abs. 1 GebrMG aus der eingetragenen Anspruchsfassung ergibt und wie sie von der ursprünglichen Offenbarung gedeckt ist (vgl. auch Rechtsgedanke § 4 Abs. 5 GebrMG und § 15 Abs. 1 Nr. 3 GebrMG).
- Derartige Mängel bestehen im Hinblick auf die im Rahmen des hiesigen Verletzungsrechtsstreits geltend gemachte Anspruchsfassung nicht.
- a)
Vorliegend wendet die Beklagte ein, eine unzulässige Erweiterung der hier geltend gemachten Anspruchsfassung liege im Verhältnis zu der eingetragenen Anspruchsfassung insoweit vor, als Schutzgegenstand nunmehr (bereits nach der Eingabe vom 03.03.2020 zur Gebrauchsmusterakte gereichten Fassung) die Kombination eines Rollwagens mit einer Vorhangeinrichtung sei, während sich das eingetragene Klagegebrauchsmuster allein auf eine Vorhangeinrichtung beziehe. Insoweit vermag die Kammer indes eine unzulässige Erweiterung nicht anzunehmen. - Der Anspruch darf nicht auf einen Gegenstand gerichtet werden, den die ursprüngliche Offenbarung aus Sicht des Fachmanns nicht zur Erfindung gehörend erkennen lässt (BGH, GRUR 2011, 1109, Rn. 36 – Reifenabdichtmittel). Wenn der Anmelder sich nicht an den objektiven Umfang der ursprünglichen Offenbarung hält und er mehr beansprucht als ursprünglich, liegt eine unzulässige Erweiterung vor (Moufang, in: Schulte, PatG, Kommentar, 11. Auflage, 2022, § 38, Rn. 10).
- Das Einfügen eines weiteren Merkmals – wie hier mit der Kombination der ursprünglich angemeldeten Vorhangeinrichtung mit dem Rollwagen – aus der Beschreibung in den Patentanspruch ist nicht zulässig, wenn es dort zwar erwähnt, in seiner Bedeutung für die im Anspruch umschriebene Erfindung jedoch nicht zu erkennen ist, mit anderen Worten muss dieses Merkmal in der Beschreibung als zu der im Patentanspruch unter Schutz gestellten Lehre gehörig zu erkennen sein.
- Letzteres – die Erkennbarkeit des Merkmals als zu der im Patentanspruch unter Schutz gestellten Lehre – ist hier mit Blick auf die Ergänzung des Rollwagens der Fall, weshalb eine unzulässige Erweiterung insoweit nicht vorliegt.
- Unerheblich ist, dass der Inhalt der Ansprüche ursprünglich eine Kombination aus Rollwagen und Vorhangeinrichtung nicht vorsah. Denn eine Offenbarung ergibt sich aus dem Gesamtinhalt der Anmeldung (Moufang, ebd., § 38, Rn. 15, 17). Die Kombination von Merkmalen, die für sich den Anmeldeunterlagen entnehmbar sind, muss in ihrer Gesamtheit eine technische Lehre darstellen, die vom Fachmann der ursprünglichen Offenbarung als mögliche Ausgestaltung zu entnehmen ist (Moufang, ebd., § 38, Rn. 18).
- So ist es vorliegend bei einem Vergleich der eingetragenen Anspruchsfassung mit dem hier geltend gemachten Gegenstand.
- In der Gebrauchsmusterbeschreibung, die der eingetragenen Fassung zugrunde liegt, findet das Zusammenwirken zwischen der geschützten Vorhangeinrichtung und dem Rollwagen einen Ausdruck, wenn es dort heißt, dass die Befestigung der Vorhangeinrichtung anhand der „sich jeweils zwischen den beiden Seitenpfosten erstreckenden“ Spannriemen erfolgt. Weiter zeigt das mit Figur 1 der Klagegebrauchsmusterschrift illustrierte Ausführungsbeispiel die Kombination aus Rollwagen und Vorhangeinrichtung.
- b)
Auch soweit die Beklagte meint, der Schutzgegenstand der hier geltend gemachten Anspruchsfassung beziehe sich nunmehr auf eine Vorhangeinrichtung allgemeiner Art, statt – wie ursprünglich – auf eine „Vorhangeinrichtung für einen Rollwagen“, folgt daraus eine unzulässige Erweiterung nicht. Auch liegt insoweit kein „Aliud“ vor. - Die Vorhangeinrichtung nach der eingetragenen Anspruchsfassung ist dadurch gekennzeichnet, dass sie sich zur Abdeckung einer Öffnung in der seitlichen Begrenzung eines Rollwagens eignet. Zu diesem Zweck besitzt die Vorhangeinrichtung ein Flächenelement. Im Übrigen ist die gebrauchsmustergemäße Vorhangeinrichtung durch ihre Verbindungsmittel gekennzeichnet, die mit den Seitenpfosten zur Befestigung zusammenwirken. Eine weitergehende Beschränkung einer Vorhangeinrichtung, die für einen Rollwagen geeignet ist, ergibt sich aus der eingetragenen Anspruchsfassung nicht. Nicht ersichtlich ist, inwiefern eine – von der Beklagten so genannte – „Vorhangeinrichtung allgemeiner Art“ über eine solche Ausgestaltung nicht verfügt und sich so eine Erweiterung ergibt.
- c)
Auch die Ergänzung des Merkmals (6), wonach die Vorhangeinrichtung keine Stange aufweist, so dass diese sich bei Nichtgebrauch auch klein und kompakt zusammenfalten lässt, begründet keine unzulässige Erweiterung. - Eine solche Ausgestaltung ist in Abschnitt [0016] (a. E.) des Klagegebrauchsmusters beschrieben. Sie ist auch als zur Erfindung gehörig offenbart, wie sich für den Fachmann aus einer Gesamtschau mit Abschnitt [0019] des Klagegebrauchsmusters ergibt. Daraus ergibt sich nämlich, dass die Verbindungsmittel der geschützten Lehre geeignet sind, die Verbindung des Flächenelements an den Rollwagen ausschließlich zu bewerkstelligen (ohne, dass die Lehre des Klagegebrauchsmusters hierauf beschränkt ist, vgl. dazu nachfolgend unter Ziff. IV., 1. lit. a)), so dass es einer Arretierstange nicht mehr bedarf.
- Es begegnet auch keinen Bedenken, dass das in Rede stehende Merkmal in Abschnitt [0016] mit weiteren Merkmalen, insbesondere mit einem Flächenelement mit geringem Flächengewicht, beschrieben ist. Es ist erlaubt, von mehreren Merkmalen eines Ausführungsbeispiels, die zusammengenommen, aber auch für sich betrachtet dem erfindungsgemäßen Erfolg förderlich sind, nur eines oder einzelne in den Anspruch aufzunehmen (BGH, GRUR 1990, 432 (433) – Spleißkammer).
- 2.
Die durch das Klagegebrauchsmuster geschützte Lehre (in der hier geltend gemachten Fassung) ist weder durch offenkundige Vorbenutzungshandlungen (dazu unter lit. a)) noch durch druckschriftlichen Stand der Technik (dazu unter lit. b)) neuheitsschädlich vorweggenommen. - Die Schutzfähigkeit des Gebrauchsmusters setzt voraus, dass dieses neu ist, § 1 Abs. 1, § 3 Abs. 1 Satz 1, § 13 Abs. 1, § 15 Abs. 1 Nr. 1 GbrMG. Grundsätzlich ergibt sich der Gegenstand des Gebrauchsmusters, der am Stand der Technik zu prüfen ist, aus den Schutzansprüchen in der eingetragenen Fassung (BGH, GRUR 1998, 910 (912) – Scherbeneis). Wie bei der Prüfung der unzulässigen Erweiterung (dazu bereits zuvor unter Ziff. 1.) ist jedoch eine von der Eintragung abweichende Fassung maßgeblich, soweit der Inhaber sein Schutzrecht nunmehr in eingeschränktem Umfang verteidigt (a.a.O.).
- Der Neuheit steht entgegen, wenn der Gegenstand des Gebrauchsmusters sich – ausgehend von dem für den Zeitrang der Anmeldung maßgeblichen Tag (hier: Anmeldetag 29.07.2016) – bereits aus dem Stand der Technik ergibt, das heißt durch schriftliche Beschreibung oder durch eine im Geltungsbereich des Gebrauchsmustergesetzes erfolgte Benutzung der Öffentlichkeit zugänglich gemacht worden ist, § 3 Abs. 1 Satz 2 GbrMG, wobei für die Beurteilung der Neuheitsschädlichkeit einer offenkundigen Vorbenutzung im Inland die gleichen Grundsätze wie im Patentrecht gelten (Goebel/ Engel, in: Benkard, PatG, Kommentar, 11. Auflage, 2015, § 3 GebrMG, Rn. 10f.).
- Eine neuheitsschädliche Vorwegnahme kann hier weder unter dem Aspekt der offenkundigen Vorbenutzung (dazu unter lit. a)) noch durch schriftliche Beschreibung (dazu unter lit. b)) festgestellt werden.
- a)
Die Kammer kann eine Vorwegnahme der Lehre durch offenkundige Vorbenutzungshandlungen nicht feststellen. - aa)
Eine Benutzung ist der Öffentlichkeit zugänglich gemacht, wenn die Handlung geeignet war, das Wesen der Erfindung einer beliebigen Zahl von Personen kundbar zu machen (Moufang, ebd., § 3, Rn. 50). Die Erfindung muss aus der Benutzung erkennbar sein und Dritte müssen die Benutzung wahrnehmen und aufgrund der Kenntnisnahme der Erfindung erkennen können (a.a.O.). - Die Erkennbarkeit der Erfindung setzt voraus, dass die Benutzung dem Fachmann die Informationen über die Erfindung ihrem Wesen nach vermitteln (Moufang, ebd., Rn. 51). Ob diese Voraussetzung erfüllt ist, beurteilt sich nach den konkreten Umständen des jeweiligen Falles. Von Bedeutung ist dabei vor allem, ob die die Erfindung verkörpernde Vorrichtung kompliziert oder einfach aufgebaut ist, ob die erfindungswesentlichen Merkmale aus ihr klar zu ersehen sind und ob beim Betrachter Verständnis für die vorhandene Maschineneinrichtung vorauszusetzen ist. Während im einen Fall bereits eine Besichtigung ausreichen kann, um die Erfindung zu verstehen, kann es im anderen Fall erforderlich sein, Konstruktion und Wirkungsweise der gezeigten Vorrichtung im Einzelnen zu erläutern (BGH, GRUR 1996, 747 (752) – Lichtbogen-Plasma-System).
- Durch eine Benutzung wird eine Lehre öffentlich zugänglich, wenn die nicht nur theoretische Möglichkeit besteht, dass über sie beliebige Dritte zuverlässige, ausreichende Kenntnis vom Gegenstand der Vorbenutzung erhalten konnten, d.h. wenn die beanspruchte Lehre aus der Benutzung erkennbar wird und die Weiterverbreitung des auf diese Weise erlangten Wissens von der Erfindung an beliebige Dritte nach der Lebenserfahrung nahegelegen hat oder doch wenigstens nicht unwahrscheinlich ist (BGH, GRUR 1962, 518 (520) – Blitzlichtgerät). Dabei bedarf es keiner Feststellung, dass von der gegebenen Möglichkeit auch Gebrauch gemacht worden ist; die Eröffnung der Möglichkeit der Kenntnisnahme ist ausreichend (a.a.O.). Einen gewichtigen Anhaltspunkt liefert dabei der Umstand, ob für den Mitteilungsempfänger eine Pflicht zur Geheimhaltung bestanden hat oder wenigstens nach der Lebenserfahrung anzunehmen war, dass er die Benutzungshandlung, z. B. wegen eines eigenen geschäftlichen oder sonstigen Geheimhaltungsinteresses, tatsächlich geheim halten werde (BGH, GRUR 1996, 747 (752) – Lichtbogen-Plasma-System). Im Allgemeinen ist die Offenkundigkeit zu verneinen, wenn eine Geheimhaltungspflicht ausdrücklich oder stillschweigend vereinbart ist oder wenn sie sich sonst wie nach Treu und Glauben aus den Umständen des Falles ergibt (a.a.O.). Unter diesen Voraussetzungen kann nach dem gewöhnlichen Lauf der Dinge damit gerechnet werden, dass derjenige, der durch die Benutzungshandlung von der Erfindung erfahren hat, sich vertragstreu verhalten und seine Kenntnis nicht weitergeben wird (a.a.O.). Ist im Zusammenhang mit der Lieferung eine Geheimhaltungspflicht nicht vereinbart worden und eine Geheimhaltung auch sonst nicht zu erwarten, ist umgekehrt in der Regel davon auszugehen, dass mit der Lieferung die Kenntnis von der Erfindung der Öffentlichkeit preisgegeben und die jedenfalls nicht fernliegende Möglichkeit geschaffen worden ist, dass beliebige Dritte von ihr Kenntnis nehmen können (a.a.O.).
- Nach dieser Maßgabe gilt hier für die im Einzelnen vorgetragenen Vorbenutzungshandlungen Folgendes:
- bb)
Der Gegenstand des Klagegebrauchsmusters in der hier geltend gemachten Fassung ist neu gegenüber der Vorbenutzungshandlung in Form der Präsentation des sog. Prototypens 2 im Paketzentrum XXX am 18. März 2015. - Nach Würdigung des Ergebnisses der Beweisaufnahme unter Berücksichtigung des gesamten Inhalts der Verhandlung gem. § 286 Abs. 1 Satz 1 ZPO ist die Kammer zwar davon überzeugt, dass die Merkmale der klagegebrauchsmustergemäßen Lehre in der hier geltend gemachten Fassung bei der Vorführung des Prototypens 2 in dem Paketzentrum XXX im März 2015 erkennbar waren (dazu unter lit. (aaa)). Die Kammer kann indes nicht feststellen, dass die Lehre damit der Öffentlichkeit zugänglich gemacht wurde (dazu unter lit. (bbb)).
- aaa)
Durch die Benutzungshandlung in Form der Präsentation des Prototypens 2 im März 2015 werden die klagegebrauchsmustergemäßen Merkmale offenbar. - Vorliegend ist aufgrund der Zeugenaussagen sowie unter Berücksichtigung des gesamten Inhalts der mündlichen Verhandlung, insbesondere des Protokolls zur Präsentation aus März 2015 (Anlage B3), davon auszugehen, dass die genannte Benutzungshandlung dem Fachmann die Information über die Erfindung vermittelt hat.
- (1)
Wesentlich für die so vorgenommene Würdigung ist zunächst, dass es sich bei den erfindungsgemäßen Merkmalen um solche handelt, die sich dem Betrachter des Gegenstandes ohne weitergehende Untersuchung durch Betrachtung erschließen, und dass ein Personenkreis zugegen war, der ein besonderes Ausgenmerk auf die Ausgestaltung des Vorhangelements an dem Rollwagen sowie den dafür erforderlichen Sachverstand hatte. - (2)
Die Zeugen haben bestätigt, dass es in der Präsentation aus März 2015 um eine Rollbehälterschürze, mithin eine flächige Vorhangeinrichtung zur lösbaren Festlegung des Flächenelements an den Seitenpfosten eines Rollwagens, ging (Merkmal (2)) und dass eine solche Vorhangeinrichtung auch mit einem Rollwagen verbunden worden ist (Merkmal (1)). Weiter war den Zeugen jedenfalls auf Einsichtnahme in das Protokoll zur in Rede stehenden Präsentation (Anlage B3) erinnerlich, dass die Verbindungsmittel als Spanngurte (Merkmal (3)), die sich jeweils zwischen den Seitenpfosten erstrecken (Merkmal (4)), ausgestaltet waren. - Auch eine im Sinne der Merkmalsgruppe (5) zweiteilige Ausgestaltung der Spannriemen lag bei dem Prototypen 2 zur Überzeugung der Kammer vor. So hat der Zeuge C sagen können, dass Spanngurte vorhanden gewesen seien, die einerseits über eine gewisse Beweglichkeit und Flexibilität verfügt hätten, man sie andererseits aber auch habe festzurren können (Protokoll zur mündlichen Verhandlung v. 15.02.2022, S. 4, 2. und 3. Abs; Bl. 202 GA, letzter Abs. – Bl. 203 GA, 1. vollst. Abs; nachfolgend werden die Fundstellen der Zeugenaussagen derart wiedergegeben, dass sich die erste Angabe stets auf die den Parteien übersandte Abschrift des Protokolls bezieht und die zweite Angabe die Fundstelle in dem bei der Gerichtsakte befindlichen Protokoll betrifft). Daraus ergibt sich für die Kammer, dass der Spannriemen einen längenflexiblen (Teilmerkmal (5a)) und einen längenstabilen Gurt (Teilmerkmal 5(b)) aufwies. Die Verbindung der Gurte am Rahmen sei, so der Zeuge C weiter, über Haken erfolgt (Protokoll zur mündlichen Verhandlung v. 15.02.2022, S. 4, 1. Abs.; Bl. 202 GA, vorletzter Abs.). Dabei handelt es sich um endseitige Klammern (Teilmerkmal (5a)). Der Zeuge E hat zumindest bestätigen können, dass es Bestrebungen dahingehend gab, die Verbindungsmittel teilweise längenflexibel und teilweise längenstabil auszugestalten (Protokoll zur mündlichen Verhandlung v. 15.02.2022, S. 14, 1. Abs.; Bl. 213 GA, 3. Abs.), wenn er auch eine genauere zeitliche Einordnung nicht vornehmen konnte. Auch der Zeuge D hat auf Vorhalt eines Musters, das in den hier interessierenden Merkmalen dem im März 2015 präsentierten Prototypen 2 entspricht, die Ausgestaltung der Spanngurte erkennen können (Protokoll zur mündlichen Verhandlung v. 15.02.2022, S. 18, 4. und 5. Abs., Bl. 218 GA, 1. und 2. Abs.). Der Zeuge F hat ausgeführt, dass er wisse, dass es ein Gummiband für die erste leichtere Fixierung des Vorhangelements und ein weiteres für das Festziehen des Gurtes gab (Protokoll zur Sitzung v. 17.05.2022, S. 3, 3. Abs. a. E.; Bl. 279 GA, letzter Abs.).
- Schließlich haben alle Zeugen auf entsprechenden Vorhalt auch ausgesagt, dass es Bestrebungen gab, eine Befestigung des Vorhangelements im oberen Bereich des Rollcontainers nicht mehr über eine an dem Vorhangelement befindliche Stange zu lösen (Protokoll zur mündlichen Verhandlung v. 15.02.2022, S. 5, 2. Abs., S. 13, 2. Abs. und S. 18, letzter Abs., Bl. 204, 1. Abs. GA, Bl. 212, 3. Abs. GA; Protokoll zur mündlichen Verhandlung v. 17.05.2022, S. 3, 3. Abs.; Bl. 279 GA, letzter Abs.). Sie konnten in diesem Zusammenhang jedoch weder eine genauere zeitliche Einordnung vornehmen, noch haben sie – mit Ausnahme des Zeugen D (Protokoll zur mündlichen Verhandlung v. 15.02.2022, S. 19, 1. Abs.; Bl. 218 GA, 3. Abs.) – eigene Wahrnehmungen dazu bekundet, wie eine Befestigung alternativ erfolgen sollte (zu diesem Problem auch noch nachfolgend unter Ziff. (iii) zu dem Aspekt der Ausführbarkeit). Die Abbildung des Prototypens 2 in dem Protokoll zur Präsentation aus März 2015 (Anlage B3, S. 2, unten) lässt das Fehlen einer dem Vorhangelement zuordbaren Befestigungsstange und einen über die Zurrgurte bewerkstelligten Befestigungsmechanismus jedoch erkennen. Weiter heißt es unter der Abbildung zur Halterung „Zurrgurt mit Gummi und Haken“, während die Beschreibung der Halterung bei den anderen Prototypen, jedenfalls teilweise, auf ein „altes Stangenmodul“ Bezug nimmt (Anlage B3, S. 3, Abbildung „Prototyp 3“) und die Abbildungen des Prototypens 1 (Anlage B3, S. 2, oben) sowie des Prototypens 4 (Anlage B3, S. 3, unten) die Verwendung einer Stange im oberen Bereich nahelegen.
- Die Kammer hat keine Zweifel daran, dass das Protokoll den Präsentationsinhalt zutreffend wiedergibt, weshalb es in der Gesamtbetrachtung mit den Zeugenaussagen als Nachweis für die zeitliche Einordnung einer Ausgestaltung ohne Stange und mit Spannriemen auch als oberem Befestigungsmechanismus taugt. Denn die Zeugen haben die grundsätzliche Existenz solcher Protokolle bestätigt (Protokoll zur mündlichen Verhandlung v. 15.02.2022, S. 3, 4. Abs.; Bl. 202 GA, 3. Abs.; Protokoll zur mündlichen Verhandlung v. 17.05.2022, S. 4, 3. Abs.; Bl. 280 GA, vorletzter Abs.) und das sich ihnen bei Vorhalt des Protokolls offenbarende Erscheinungsbild solcher Protokolle erkannt (Protokoll zur mündlichen Verhandlung v. 15.02.2022, S. 7, 6. und 7. Abs., S. 13, 2. Abs. a. E., S. 18, vorletzter und letzter Abs.; Bl. 206 GA, 6. und 7. Abs., Bl. 218 GA, 2. und 3. Abs.; Protokoll zur mündlichen Verhandlung v. 17.05.2022, S. 2, vorletzter Abs.; Bl. 278, vorletzter Abs.). Der Zeuge F fungierte dabei sogar als Ersteller solcher Protokolle, insbesondere auch des hier maßgeblichen, was dafürspricht, dass er eine besonders gute Wahrnehmungsfähigkeit für die Authentizität solcher Protokolle hat. Er hat weiter erläutert, dass die Protokolle typischerweise zeitnah nach der Präsentation erstellt werden, damit die Details der Präsentation berücksichtigt werden können (Protokoll zur mündlichen Verhandlung v. 17.05.2022, S. 3, 3. Abs.; Bl. 279 GA, letzter Abs.). Schließlich hat auch die Klägerin keine konkreten Bedenken gegen die „Echtheit“ des Protokolls vorgebracht.
- (3)
Bei der Kammer bestehen weiter auch keine Zweifel daran, dass es sich bei der als Prototyp 2 präsentierten Rollbehälterschürze bereits um eine ausführbare Vorhangeinrichtung handelte. Daran fehlt es vorliegend insbesondere nicht deshalb, weil das Vorhangelement im oberen Bereich des Rollwagens nicht über eine Stange befestigt ist. Die Klägerin meint, dies sei der Fall, weil aus der Abbildung des Prototypens 2 in dem Präsentationsprotokoll (Anlage B3, S. 2, unten) ersichtlich werde, dass das Vorhangelement in einem Umfang durchhänge, der eine Fixierung des Frachtguts ausschließe. - Im Ausgangspunkt zutreffend ist, dass es für die Annahme einer neuheitsschädlichen offenkundigen Vorbenutzung auch eines ausführbaren Produkts bedarf. Aus dem Stand der Technik kommt als neuheitsschädlich grundsätzlich nur das in Betracht, was bereits als ausführbare technische Lehre vorliegt, deren Ergebnisse sich gezielt und nicht nur zufällig bei ihrer Anwendung erreichen lassen (Mellulis, in: Benkard, PatG, Kommentar, 11. Auflage, 2015, § 3, Rn. 181). Der Technikstand muss die Erfindung daher auch deshalb so deutlich und vollständig offenbaren, dass ein Fachmann sie ausführen kann (a.a.O.).
- Die Ausführbarkeit des hier in Rede stehenden Produkts im Sinne der erfindungsgemäßen Lehre setzt voraus, dass eine Stange zur Befestigung des Vorhangelements nicht nur entbehrt wird, sondern auch ein alternativer Mechanismus existiert, über den eine hinreichende Befestigung umsetzbar ist. Ein solcher besteht bei dem Prototypen 2 in der Form, dass die Befestigungsmittel, die zur Halterung des Vorhangelements an dem Rollwagen in dessen unterer Hälfte zum Einsatz gelangen, auch zur oberen Befestigung verwendet werden. Das entspricht einer in dem Klagegebrauchsmuster als bevorzugt beschriebenen Ausführungsform, wie sie etwa in Figur 1 dargestellt wird.
- Dieser Mechanismus gewährleistet auch eine hinreichende Befestigung. Die Kammer deutet schon die Abbildung des Prototypens 2 in dem Protokoll vom 18.03.2015 (Anlage B3, S. 2, untere Abbildung; in vergrößerter Form vorgelegt als Anlage B4) nicht derart, dass das Vorhangelement „zu stark“ durchhängt. Dieser Einwand ist zudem auch durch die Aussage des Zeugen F widerlegt. Dieser hat sich auf Vorhalt der Anlage B4 dahingehend eingelassen, dass das Vorhangelement dort im oberen Bereich zwar etwas herunterhängt, dass aber gleichwohl eine hinreichende Befestigung gegeben sei. Dies hat er dadurch unterstrichen, dass er weiter bekundet hat, dass auch die heute verwendete Ausführungsform in dieser Art und Weise herunterhängt (Protokoll zur mündlichen Verhandlung v. 17.05.2022, S. 11, 1. Abs.; Bl. 287 GA, letzter Abs.).
- (4)
Die Kammer hält die Zeugen auch für glaubwürdig und ihre Aussagen für glaubhaft. - Erinnerungslücken haben diese zu erkennen gegeben, nachdem sie zuvor ihr Erinnerungsvermögen im Hinblick auf die jeweils an sie gerichtete Beweisfrage überprüft haben. Insbesondere auch der Umstand, dass die Zeugen zu Beginn ihrer Vernehmung angegeben haben, dass sie keine oder nur wenig Erinnerung an die Präsentation, die Gegenstand des Beweisthemas ist, haben, begründet keine Zweifel an deren Glaubwürdigkeit. Die Kammer hält es vielmehr für nachvollziehbar, dass die Zeugen an die Präsentation, die im Vernehmungszeitpunkt mehr als sieben Jahre zurücklag, nicht ohne weiteres Erinnerungen generieren konnten. Dies gilt umso mehr als die Zeugen nach ihrem Bekunden während ihrer Tätigkeit für die A an mehreren Präsentationen teilnahmen. Dass sie die ihnen fehlende Erinnerung ohne weiteres zum Ausdruck gebracht haben, spricht aus Sicht der Kammer dafür, dass sie bestrebt waren, nur solche Aussagen zu machen, die sie an eine eigene Erinnerung anbinden konnten.
- Weiter hält es die Kammer für plausibel, dass sich bei den Zeugen auf Vorhalt des Protokolls von der Besichtigung (Anlage B3) bzw. bei vorheriger Einsichtnahme in eigene digitale Dokumente oder nach Vorhalt eines Musters eine Erinnerung an den Präsentationsvorgang einstellte, sich diese Unterlagen und Muster insoweit mithin als Gedächtnisstütze erwiesen. Es entspricht der eigenen Erfahrung der Kammermitglieder, dass sich gerade im Hinblick auf weiter zurückliegende Vorgänge eine aktive Erinnerung nicht unbedingt ergibt, sich eine solche aber unter Zuhilfenahme von Wort- und Bildmaterial reaktivieren lässt. Die Zeugen haben auf Vorhalt des genannten Materials hin dann auch, ohne dass es insoweit großer Überlegungen bedurft hätte, konkrete Bekundungen machen können, die teilweise weit über den Inhalt des Protokolls hinausgingen. Dies steht gegen den Vorwurf, dass die Zeugen lediglich den Inhalt der ihnen vorgehaltenen Unterlagen wiedergegeben bzw. ohne eigene Erinnerung lediglich die Ausgestaltung des ihnen in der Sitzung gezeigten Musters beschrieben haben, ohne dass dies eine Anbindung an die eigene Erinnerung hatte. Die Kammer hat weiter auch weder auf Seiten des Zeugen F, der noch bei der A beschäftigt ist, noch bei den Zeugen C und E, eine Tendenz erkannt, ihre Aussage inhaltlich an dem Interesse ihres (früheren) Arbeitgebers auszurichten.
- bbb)
Die Kammer hat nicht die Überzeugung gewinnen können, dass aufgrund der Vorführung des Prototypens 2 mehr als die nur theoretische Möglichkeit bestand, dass beliebige Dritte zuverlässige, ausreichende Kenntnis vom Gegenstand der Vorbenutzung mit den klagegebrauchsmustergemäßen Merkmalen erhalten konnten. - (1)
Eine Weiterverbreitung der Lehre des Klagegebrauchsmusters war nicht deshalb zu erwarten, weil bei der Präsentation Mitarbeiter der A, namentlich die vernommenen Zeugen C, E und F, zugegen waren. - Die Kammer geht davon aus, dass es sich dabei um einen begrenzten, der Vertraulichkeit unterliegenden Personenkreis handelte. Anhaltspunkte dafür, dass diese Vertraulichkeit verletzt wurde, sieht die Kammer nicht, weshalb es insoweit an der Zugriffsmöglichkeit auf die maßgeblichen technischen Informationen durch beliebige Dritte fehlt (vgl. auch BGH, Urt. v. 20.06.2020, Az.: X ZR 17/98, Ziff. 7, zitiert nach BeckRS 2000, 7419 – Patentfähigkeit einer hydraulischen Spannmutter).
- (i)
Der Zeuge F hat auf Nachfrage, wie er mit den Informationen, die bei der Präsentation ausgetauscht worden sind, verfahren sei, angegeben, dass er angenommen habe, dass diese nicht an außerhalb der Projektarbeit stehende Personen weitergegeben werden sollten. Die Informationen seien lediglich an die Teilnehmer der Präsentation und den unmittelbaren Dienstvorgesetzen gelangt (Protokoll zur mündlichen Verhandlung v. 17.05.2022, S. 5, letzter Abs.; Bl. 282 GA, 2. Abs.). Zwar lag nach den Bekundungen des Zeugen keine ausdrückliche oder gar schriftliche Klausel vor, mit der eine Geheimhaltung für das konkrete Projekt vereinbart worden ist (Protokoll zur mündlichen Verhandlung v. 17.05.2022, S. 6, 2. Abs.; Bl. 282 GA, letzter Abs.), gleichwohl sei jedem Mitarbeiter klar gewesen, dass Informationen über die Präsentation nicht hätten weitergegeben werden dürfen (a.a.O.). Der Zeuge hat seine Annahme nachvollziehbar damit begründet, dass er einerseits in dem Bewusstsein gewesen sei, dass die Informationen „geistiges Eigentum“ des Herstellers/ Lieferanten bzw. der A hätten enthalten können und andererseits bekundet, dass er sich an „Regularien“ in Form arbeitsvertraglicher Geheimhaltungsvereinbarungen gebunden gesehen habe, aufgrund derer eine Weitergabe nicht habe erfolgen dürfen (Protokoll zur mündlichen Verhandlung v. 17.05.2022, S. 5 unten – S. 6 oben; Bl. 282 GA, 2. Abs.). Dabei kommt es nicht darauf an, ob die rechtliche Wertung des Zeugen zutreffend ist, dass die Informationen tatsächlich nicht weitergegeben werden durften, maßgeblich ist, dass der Zeuge sich an eine Geheimhaltungspflicht gebunden sah bzw. zumindest einer Erwartungshaltung zur Geheimhaltung nachkommen wollte. Denn auch dies rechtfertigt die Annahme, dass durch das Vorliegen der maßgeblichen Informationen bei den Präsentationsteilnehmern eine Möglichkeit der Kenntnisnahme für beliebige Dritte nicht begründet worden ist. - Dazu, dass die Kammer den Zeugen F für glaubwürdig hält, hat sie bereits (unter lit. aaa), (4)) ausgeführt.
- (ii)
Die Aussage des Zeugen F wird zudem gestützt durch die Bekundung des glaubwürdigen Zeugen E. Auch dieser hat sich dahingehend eingelassen, dass man sich über den Präsentationsinhalt lediglich mit der eigenen Abteilung, die mit dem Projekt befasst war, ausgetauscht habe (Protokoll zur mündlichen Verhandlung v. 15.02.2022, S. 14, 2. Abs.; Bl. 213 GA, vorletzter Abs.). Er habe auf jeden Fall angenommen, dass die Informationen gegenüber anderen nicht hätten mitgeteilt werden dürfen (Protokoll zur mündlichen Verhandlung v. 15.02.2022, S. 14, 3. Abs.; Bl. 213 GA, letzter Abs.). Dies hat der Zeuge auch dahingehend plausibel begründen können, dass er grundsätzlich von seinem jeweiligen Abteilungsleiter darauf hingewiesen worden sei (Protokoll zur mündlichen Verhandlung v. 15.02.2022, S. 14, 3. letzter Abs.; Bl. 214 GA, 1. Abs.). - Die Aussage des Zeugen C war im Hinblick auf eine im Zusammenhang mit der Präsentation stehende Geheimhaltungsvereinbarung zwar weniger detailreich als diejenige der Zeugen F und E. Gleichwohl legt auch diese nahe, dass der Zeuge annahm, dass im Hinblick auf die ausgetauschten Informationen Stillschweigen zu bewahren war. So hat der Zeuge C sich dahingehend eingelassen, dass es üblicherweise beidseitige Geheimhaltungsvereinbarungen gegeben habe, wobei er nicht mehr sagen könne, ob dies in dem hier konkreten Fall so gewesen sei (Protokoll zur mündlichen Verhandlung v. 15.02.2022, S. 5, 4. Abs.; Bl. 204 GA, 3. Abs.). Er könne eine solche bei seinen Unterlagen jedenfalls nicht finden (Protokoll zur mündlichen Verhandlung v. 15.02.2022, S. 6, 4. Abs.; Bl. 205 GA, 4. Abs.). In der Regel seien aber auch alle Mitarbeiter der A an das Post- und Briefgeheimnis gebunden, auch gebe es Vorschriften dazu, dass nicht fotografiert werden dürfe und es würden Sicherheitsbelehrungen erfolgen (Protokoll zur Sitzung v. 15.02.2022, S. 5, unten – S. 6, oben; Bl. 204 GA, vorletzter und letzter Abs. – Bl. 205 GA, 1. Abs.). Die Kammer hat bereits dazu ausgeführt, dass unerheblich ist, ob diese Vorschriften die Informationen aus der Präsentation tatsächlich erfassen, was insbesondere im Hinblick auf das Post- und Briefgeheimnis und etwaige Sicherheitsbelehrungen zweifelhaft erscheint. Die Kammer wertet die von dem Zeugen vorgenommene Einordnung jedenfalls als Anhaltspunkt dafür, dass dieser davon ausging, dass von ihm die Geheimhaltung des Präsentationsinhalts erwartet wurde.
- Die Kammer entnimmt schließlich der Aussage des Zeugen D nichts, was der hier vorgenommenen Würdigung entgegensteht. Der Zeuge, der im Präsentationszeitpunkt Geschäftsführer der Beklagten war, hat keine eigene Wahrnehmung zu etwaigen Geheimhaltungsverpflichtungen bzw. -erwartungen von Mitarbeitern der A bekundet. Er hat lediglich ausgeführt, dass er selbst als Besucher des Paketzentrums in XXX nicht über etwaige Geheimhaltungsverpflichtungen belehrt worden sei (Protokoll zur Sitzung v. 15.02.2022, S. 19, letzter vollst. Abs.; Bl. 219 GA, 1. Abs.). Diese Aussage steht in einem gewissen Widerspruch zur Aussage des Zeugen C, dessen Einlassung jedenfalls grundsätzlich eine Belehrung von Besuchern von Paketzentren bestätigt. Wenn der Zeuge D eine Belehrung nicht erhalten hat, steht dies einer Würdigung, dass sich die Mitarbeiter der A zur Geheimhaltung veranlasst sahen, jedoch nicht entgegen. Eine Belehrung des Zeugen D kann insbesondere auch deshalb unterblieben sein, weil man davon ausging, dass dieser als Vertreter des Lieferanten der Prototypen ohnehin kein Interesse an einer Weitergabe von die Prototypen betreffenden Informationen hatte.
- (iii)
Die so in Bezug genommenen Zeugenaussagen fügen sich auch stimmig in die unstreitige Tatsache ein, dass die Präsentation des in Rede stehenden Prototypens in die Entwicklung einer modifizierten Rollbehälterschürze für die A durch die Beklagte eingebunden war. In einem solchen Verhältnis der Spezialanfertigung besteht sowohl auf Seiten des Kunden als auch auf Seiten des Herstellers regelmäßig – auch ohne ausdrückliche Vertraulichkeitsvereinbarung – die Erwartungshaltung, dass mit der gemeinsamen Entwicklung verbundene technische Einzelheiten nicht preisgegeben werden (a.a.O.). In einem solchen Bereich der Entwicklung und Erprobung kann eine öffentliche Zugänglichmachung deshalb nicht ohne weiteres angenommen werden (in BGH, GRUR 2001, 819 (823) – Schalungselement heißt es insoweit sogar, ein solcher Bereich begründe grundsätzlich keine öffentliche Zugänglichmachung). Wie ausgeführt, bestätigt die Einvernahme der vernommenen Zeugen, dass eine solche Erwartungshaltung auch in dem hier vorliegenden Fall gegeben war. - (iv)
Die Beweisaufnahme hat darüber hinaus auch keine hinreichenden Anhaltspunkte dafür ergeben, dass neben den vernommenen Zeugen weitere Personen Teilnehmer der Präsentation waren und dass dadurch die Möglichkeit der Kenntnisnahme auch über den Kreis der Präsentationsteilnehmer hinaus eröffnet war. - Der Zeuge C hat zwar bekundet, dass es üblich war, ab einem gewissen, recht frühen, Stadium auch Mitarbeiter der Arbeitssicherheit und -medizin sowie des Betriebsrates hinzuzuziehen (Protokoll zur Sitzung v. 15.02.2022, S. 10, 1. Abs.; Bl. 209 GA, 2. Abs.), hatte jedoch keine Erinnerung mehr, wie dies im Hinblick auf die beweisgegenständliche Präsentation war (Protokoll zur Sitzung v. 15.02.2022, S. 10, 2. Abs.; Bl. 209 GA, 3. Abs.). Des Weiteren ist zu berücksichtigen, dass der Zeuge sich dahingehend eingelassen hat, dass auch diese Mitarbeiter der Geheimhaltung unterliegen. Gegen einen erweiterten Teilnehmerkreis steht zudem auch, dass weitere Mitarbeiter indem Protokoll zur Präsentation aus März 2015 nicht als Teilnehmer genannt sind (vgl. Anlage B3, S. 1, Tabellenabschnitt „Teilnehmer“), obwohl der Zeuge F als Protokollführer bekundet hat, dass eine entsprechende Aufnahme in das Protokoll bei Anwesenheit dieser Kollegen üblich gewesen sei (Protokoll der mündlichen Verhandlung v. 17.05.2022, S. 4, vorletzter Abs.; Bl. 281 GA, 2. Abs.).
- (2)
Auch die Möglichkeit, dass andere Mitarbeiter der A in den Präsentationsbereich gelangen konnten, reicht der Kammer zur Überzeugungsbildung im Hinblick auf eine öffentliche Zugänglichmachung nicht aus. Auf der Grundlage der Zeugenaussagen vermag die Kammer nicht zu erkennen, dass sich daraus mehr als eine nur theoretische Möglichkeit der Kenntnisnahme von dem vorbenutzen Gegenstand ergab. - Der Zeuge D hat bekundet, dass die Präsentation im laufenden Betrieb stattgefunden habe und dass Mitarbeiter gekommen seien, um Rollwagen für die Präsentation zu bringen und wieder abzuholen (Protokoll zur mündlichen Verhandlung v. 15.02.2022, S. 19, letzter vollst. Abs.; Bl. 219 GA, oben). Nach seiner Wahrnehmung sei es möglich gewesen, dass diese Mitarbeiter die präsentierten Prototypen auch hätten sehen können.
- Allein auf diese wenig detailreiche Aussage vermag die Kammer jedoch ihre Überzeugung, dass die nicht nur unwahrscheinliche Möglichkeit der Kenntnisnahme durch Dritte bestand, nicht zu stützen. Ihr steht insbesondere die Einlassung des Zeugen F entgegen, der den Präsentationsbereich des Paketzentrums genau und im Hinblick auf die Einsichtnahmemöglichkeit durch andere Mitarbeiter der A geschildert hat. Aus dessen Zeugeneinvernahme ergibt sich, dass die Präsentation hinter einem sog. „Vorsorter“ stattfand, wobei es sich um eine Vorrichtung handelt, auf der die Pakete zu Transport- und Verfrachtungszwecken aufgelegt werden (Protokoll zur mündlichen Verhandlung v. 17.05.2022, S. 4, unten; Bl. 281 GA, 3. Abs.). Der Zeuge hat lediglich für Präsentationen im Paketzentrum XXX – Gegenstand der Beweisfrage ist eine Präsentation im Paketzentrum XXX – geschildert, dass diese auf freier Fläche stattgefunden haben. Nach der weitergehenden Beschreibung des Zeugen, die dieser noch ohne dass das Gericht eine inhaltliche Verbindung zur Möglichkeit der Einsichtnahme hergestellt hatte, abgab, könne man sich die Vorrichtung als Rohrgestänge einer Loupingbahn im Freizeitpark vorstellen, das durch Gitter von dem übrigen Freibereich abgegrenzt sei (Protokoll zur mündlichen Verhandlung v. 17.05.2022, S. 5, oben; Bl. 281 GA, 3. Abs.). Hinter diesem sog. „Vorsorter“ sei im Präsentationszeitpunkt, so zwischen 10.00 und 12.00 Uhr, ein freier Bereich vorhanden, indem nachts Elektro-Schlepper geladen werden (Protokoll zur mündlichen Verhandlung v. 17.05.2022, S. 10, 3. Abs.; Bl. 287, 1. Abs.). Auch der Zeuge F hat bestätigt, dass in dem Paketzentrum Mitarbeiter zugegen waren, die Frage, ob diese nach seinem Eindruck Kenntnis von den Präsentationsinhalten nehmen konnten, hat dieser jedoch – im Unterschied zu dem Zeugen D – verneint. Er hat weiter auch ausgeführt, weshalb er zu diesem Eindruck gelangt sei, nämlich weil dies im Hinblick auf den Arbeitsanfall sowie dem in dem Paketzentrum vorherrschenden Lärm seiner Wahrnehmung nach nicht möglich gewesen sei (Protokoll zur mündlichen Verhandlung v. 17.05.2022, S. 5, 1. Abs.; Bl. 281 GA, 3. Abs.). Nochmals gezielt dazu befragt, ob der Bereich optisch einzusehen gewesen sei, hat der Zeuge bekundet, dass er davon aufgrund der Ausmaße des Vorsorters nicht ausgehe. Dieser sei ein ovaler Kreis von etwa 10 Metern wie ein Karussell. Hinzukommen würden Auflegelinien, die sich nochmal 20 Meter weg von dem Testbereich befinden würden (Protokoll zur mündlichen Verhandlung v. 17.05.2022, S. 8, letzter Abs.; Bl. 285 GA, 3. Abs.). Die um den Vorsorter befindlichen Gitter würden eine Höhe von 2 Metern aufweisen, in der Kreismitte würden undurchsichtige Stahlschränke positioniert sein. Schließlich habe man sich bewusst hinter den „Vorsorter“ begeben, um einer Einsichtnahme des Präsentationsbereichs durch die übrigen Mitarbeiter entgegenzuwirken (a.a.O.), so dass die Geheimhaltung gewährleistet gewesen sei (Protokoll zur mündlichen Verhandlung v. 17.05.2022, S. 5, 2. Abs. a. A.; Bl. 281 GA, letzter Abs.) und die Mitarbeiter nicht von ihrer Arbeit abgelenkt worden seien (Protokoll zur mündlichen Verhandlung v. 17.05.2022, S. 8, letzter Abs.; Bl. 285 GA, 3. Abs.).
- Die Kammer verkennt nicht, dass der Zeuge F weiter erklärt hat, dass er nicht ausschließen könne, dass einer der Elektro-Schlepper tagsüber in den freien Bereich zurückkomme (a.a.O.), aber auch dies reicht der Kammer für die Annahme einer mehr als nur unwahrscheinlichen Möglichkeit der Kenntnisnahme durch andere Mitarbeiter nicht aus. Der Zeuge F hat sich weiter derart eingelassen, dass grundsätzlich keiner der Schlepper zurückkam (a.a.O.). Dass der Zeuge, in dem Bestreben entsprechend der an ihn im Vorfeld seiner Einvernahme gerichteten Belehrung wahrheitsgemäß auszusagen, gleichwohl nicht ausschließen wollte, dass auch vormittags mal ein Schlepper in den freien Bereich hinter dem „Vorsorter“ zurückgelangt, leuchtet der Kammer ein. Damit aber hat er letztlich nicht mehr als die theoretische Möglichkeit benannt. Denn eine physische Barriere, die die Schlepper an einer Einfahrt in den freien Bereich hinderte, war jedenfalls nicht vorhanden.
- (3)
Schließlich hat die Beweisaufnahme auch nicht zur Überzeugung der Kammer ergeben, dass die Weiterverbreitung der geschützten Lehre deshalb zu erwarten war, weil der Prototyp 2 im Anschluss an die Präsentation noch erprobt worden ist. - (i)
Keinem der Zeugen war hinreichend erinnerlich, ob der präsentierte Prototyp 2 überhaupt zu Testzwecken in dem Paketzentrum verblieben ist. Das Protokoll der Besichtigung verhält sich lediglich dazu, dass Tests im Hinblick auf den – hier für die Frage der offenkundigen Vorbenutzung unerheblichen – Prototypen 3 erfolgen sollten (vgl. Anlage B3, S. 4, Z. 3 – Z. 5, jeweils Sp. 3). Aus dem Umstand, dass sich das Protokoll zu einem Verbleib des Prototypens 2 nicht verhält, ist zwar nicht zwingend zu folgern, dass eben dieser Prototyp nicht bei der A belassen wurde. Denn insoweit haben der Zeuge F und der Zeuge C erklärt, dass die Entscheidung darüber, ob dieser Umstand in das Protokoll aufgenommen wird, immer auch ein bisschen im Ermessen des jeweiligen Protokollführers gelegen habe (Protokoll zur mündlichen Verhandlung v. 15.02.2022, S. 12, oben; Bl. 211 GA, 3. Abs.); Protokoll zur mündlichen Verhandlung v. 17.05.2022, S. 4, 3. Abs.; Bl. 280 GA, 4. Abs.). Der Zeuge F hat weiter bekundet, er gehe aber aufgrund des Protokollinhalts davon aus, dass der Prototyp 2 ausschließlich während der Präsentation getestet worden sei (Protokoll zur mündlichen Verhandlung v. 17.05.2022, S. 4, vorletzter Abs.; Bl. 280 GA; vorletzter Abs.). Jedenfalls aber kann aus dem Schweigen des Protokolls zu einem Verbleib des Prototypens 2 bei der A auch nichts dafür hergeleitet werden, dass die Beklagte diesen Prototypen zu Testzwecken in dem Paketzentrum beließ. - Sowohl der Zeuge C (Protokoll zur mündlichen Verhandlung v. 15.02.2022, S. 5, 3. Abs. und S. 9, vorletzter Abs.; Bl. 204 GA, 2. Abs. und Bl. 209 GA, 1. Abs.) als auch der Zeuge E (Protokoll zur mündlichen Verhandlung v. 15.02.2022, S. 13, vorletzter Abs. und S. 16, letzter Abs.; Bl. 213 GA, 1. Abs. und Bl. 216 GA, 3. Abs.) und der Zeuge F (Protokoll zur mündlichen Verhandlung v. 17.05.2022, S. 4, 1. Abs.; Bl. 280 GA, 2. Abs.) haben bekundet, keine Angaben dazu machen zu können, ob der Prototyp 2 im Anschluss an die Präsentation getestet worden ist. Einzig der Zeuge D hat sich dahingehend eingelassen, dass es stets so war, dass alle Modelle, die präsentiert worden seien, vor Ort bei der Post belassen worden seien. Dies sei insbesondere auch hinsichtlich solcher Modelle der Fall gewesen, die zunächst – wie der Prototyp 2 – nicht in die engere Auswahl genommen worden seien (Protokoll zur mündlichen Verhandlung v. 15.02.2022, S. 19, 1. Abs.; Bl. 218, 3. Abs.). Unbeschadet des Umstands, dass sich dieser pauschalen Aussage nichts im Hinblick auf den hier konkret in Rede stehenden Prototypen entnehmen lässt, geht aus ihr weiter auch nicht hervor, dass mit dem Verbleib der Modelle die betriebliche Testung derselben unweigerlich einhergeht. Der Zeuge D hat den Verbleib der Modelle insbesondere damit begründet, dass diese weiteren konkreten Betriebsangehörigen hätten vorgeführt werden sollen, etwa dem Betriebsrat (a.a.O.). Daraus ergibt sich gerade keine Überzeugung im Hinblick auf einen Testbetrieb, der die Möglichkeit der Kenntnisnahme durch weitere Mitarbeiter im Sinne einer öffentlichen Zugänglichmachung bietet. Denn insoweit hat der Zeuge C – worauf bereits (unter Ziff. (1), (iv)) Bezug genommen worden ist – erklärt, dass auch die Mitarbeiter des Betriebsrates einer Geheimhaltungspflicht unterliegen würden.
- (ii)
Weitergehende Zweifel der Kammer daran, dass ein etwaiger Testbetrieb des Prototypen 2 geeignet gewesen wäre, eine hinreichende Möglichkeit der Kenntnisnahme zu verschaffen, sind dadurch begründet, dass die Beweisaufnahme mindestens Anhaltspunkte dafür bietet, dass auch derartige Tests in einer Atmosphäre der Geheimhaltung stattfinden konnten. - Die Einvernahme des Zeugen F hat ergeben, dass im Betrieb der A unterschiedliche Tests von Betriebsmitteln vorkommen können. Vorauszuschicken ist in diesem Zusammenhang, dass ein Testbetrieb der Rollbehälterschürzen nach der Einlassung des genannten Zeugen jedenfalls nicht derart erfolgte, dass diese im Außendienst, das heißt beim Kunden, zum Einsatz gelangten (Protokoll zur mündlichen Verhandlung v. 17.05.2022, S. 4, 3. letzter Abs.; Bl. 281 GA, 1. Abs.). Tests kamen grundsätzlich in der Form vor, dass die Schürzen ausschließlich in der Präsentation getestet worden seien (Protokoll zur mündlichen Verhandlung v. 17.05.2022, S. 4, 2. Abs.; Bl. 280 GA, 3. Abs.), was nach den vorherigen Ausführungen (unter Ziff. (1)) die Geheimhaltung der sich offenbarten Informationen impliziert. Des Weiteren konnten die Schürzen auch zum Testbetrieb in ein anderes Paketzentrum verbracht werden. In einem solchen Fall, so hat der Zeuge auf Nachfrage zu konkreten Geheimhaltungsmaßnahmen im Kontexts des Testbetriebs weiter bekundet, seien die Schürzen bewusst einem nur sehr kleinen Kreis zugänglich gemacht worden (Protokoll zur mündlichen Verhandlung v. 17.05.2022, S. 5, 2. Abs.; Bl. 281 GA, letzter Abs. – Bl. 282 GA, 1. Abs.). Die Tests seien in aller Regel allein durch die Gruppenführer, die für bestimmte Teams in einer Stärke von vier bis fünf Personen verantwortlich gewesen seien, durchgeführt worden (a.a.O.). Daneben konnten (umfassendere) Tests auch derart erfolgen, dass Modelle „in den Umlauf“ gegeben worden seien, so dass diese durch eine Mehrzahl von Beschäftigten der A hätten geprüft werden können (Protokoll zur mündlichen Verhandlung v. 17.05.2022, S. 8, 2. Abs.; Bl. 284 GA, letzter Abs.). Ein solches Prozedere erweist sich nach den Ausführungen des Zeugen auch deshalb als aufwändig, weil man die Relation, das heißt den genauen Weg, den die Schürze vollziehe, festlegen müsse, um diese nach dem Testbetrieb auch wiederzufinden (Protokoll zur mündlichen Verhandlung v. 17.05.2022, S. 8, 2. und 3. Abs.; Bl. 284, letzter Abs. und Bl. 285 GA, 2. Abs.). Diese Art des Testbetriebs mag eine hinreichende Möglichkeit der Kenntnisnahme begründen. Dies kann jedoch hier dahinstehen, weil sich im Rahmen der Beweisaufnahme nicht hat aufklären lassen, ob ein solcher Testbetrieb im Hinblick auf den Prototypen 2 erfolgt ist. Im Gegenteil, der Zeuge F hält diese Art des Testbetriebs aufgrund des hier bereits in Bezug genommenen Protokollinhalts (Anlage B3, S. 4, Z. 3 – Z. 5, jeweils Sp. 3) im Hinblick auf den Prototypen 3 für wahrscheinlich, nicht jedoch hinsichtlich des Prototypens 2 (a.a.O.).
- (iii)
Angesichts der auf der Grundlage der vorherigen Ausführungen (unter Ziff. (i) und Ziff. (ii)) bestehenden Zweifel vermag die Kammer für eine Möglichkeit der Kenntnisnahme auch nichts aus der Aussage des Zeugen C herleiten, wonach – losgelöst von dem konkreten hier in Rede stehenden Prototypen – bei Tests von Rollbehälterschürzen durch den Zeugen F im Briefzentrum auch viele Kollegen, in der Tagesschicht durchaus im Umfang von rund 50 Leuten, in dem Briefzentrum anwesend waren (Protokoll zur mündlichen Verhandlung v. 15.02.2022, S. 5, vorletzter Abs.; Bl. 204 GA, 4. Abs.). - cc)
Es liegt auch keine offenkundige Vorbenutzung durch die E-Mail des Zeugen C an den Zeugen D vom 03.08.2015 (Anlage B15) unter weitergehender Berücksichtigung des Umstands vor, dass eine E-Mail mit im wesentlichem identischem Inhalt am selben Tag auch an andere Unternehmen, die sich an der Entwicklungsarbeit für Rollbehälterschürzen der A beteiligten, unter anderem an die Klägerin, versendet worden ist (E-Mail an die Klägerin liegt als Anlage KR13 vor). - aaa)
Zunächst lassen die hier in Bezug genommenen E-Mails selbst schon keinen Gegenstand mit den erfindungsgemäßen Merkmalen erkennen. Denn diese verhalten sich lediglich zur oberen Befestigung des Vorhangelements, wobei insbesondere ausgeführt wird, die obere Metallschiene solle entfallen. Weiter wird dort erwogen, eine obere Befestigung über einen breiteren, starken Gurt mit Verzurr-Mechanismus und seitlich angebrachten Ösen (Ringen) zu verwenden. Über die Ausgestaltung des Gurtes, insbesondere eine zweiteilige Ausgestaltung desselben wie in Merkmalsgruppe (5) vorgesehen, verhält sich der Inhalt der Nachrichten nicht. Weiter ist ausgehend von dem dargestellten Inhalt der E-Mail zweifelhaft, ob darin überhaupt eine ausführbare Lehre offenbart wird (zu diesem Erfordernis bereits unter lit. bb), aaa), (3)). Das Weglassen der Stange allein ist insoweit nicht ausreichend, vielmehr bedarf es eines Befestigungsmechanismus, der eine hinreichende Halterung des Vorhangelements an dem oberen Bereich des Rollwagens gewährleistet (vgl. dazu auch weiter unten im Zusammenhang mit dem erfinderischen Schritt unter Ziff. 3., lit. b), aa)). Zwar wird in der E-Mail alternativ zur oberen Befestigung der Vorhangeinrichtung über eine Stange ein Gurt mit Verzurr-Mechanismus genannt. Eine konkrete Ausgestaltung eines solchen Gurtes wird darin aber nicht offenbar, weshalb es an einer ausführbaren Anweisung fehlt. - bbb)
Unbeschadet dessen vermag die Kammer aber auch nicht anzunehmen, dass durch den Versand der E-Mail an den so beschränkten Personenkreis – der Zeuge C hat angegeben, es seien jedenfalls zu Beginn des Ausschreibungsverfahrens 14 Unternehmen beteiligt gewesen (Protokoll zur mündlichen Verhandlung v. 15.02.2022, S. 8, 3. letzter Abs.; Bl. 207 GA, vorletzter Abs.) , wobei unklar ist, wie viele im August 2015 davon noch vorhanden waren – mehr als die theoretische Möglichkeit der Kenntnisnahme von einem erfindungsgemäßen Gegenstand für beliebige Dritte geschaffen worden ist. - Der hier in Rede stehende E-Mail-Verkehr steht im Kontext der Entwicklungstätigkeit für die A. Keiner der Parteien hat zwar vorgetragen, dass in diesem Zusammenhang konkrete Geheimhaltungsvereinbarungen getroffen worden sind, der Zeuge F hat das Vorliegen einer ausdrücklichen Geheimhaltungsvereinbarung zwischen der A und den jeweiligen Unternehmen sogar verneint (Protokoll zur mündlichen Verhandlung v. 17.05.2022, S. 6, 2. Abs., Bl. 282, letzter Abs.). Gleichwohl legt aber das Ergebnis der Beweisaufnahme, auch wenn diese allein die Präsentation von Prototypen im März 2015 betraf, nahe, dass im Hinblick auf die Entwicklungsarbeit eine Geheimhaltungserwartung bestand. Insoweit wird im Wesentlichen auf die vorherigen Ausführungen zur Beweiswürdigung unter lit. bb), bbb) verwiesen. Hier sei noch ergänzend angeführt, dass der Zeuge C und der Zeuge F jeweils bekundet haben, dass man von Seiten der Post auch im Verhältnis zu den Herstellern der Schürzen untereinander keine Detailinformationen weitergegeben habe, dass man insbesondere Hersteller nicht über Prototyen anderer Hersteller in Kenntnis gesetzt habe (Protokoll zur mündlichen Verhandlung v. 15.02.2022, S. 9, 1. Abs.; Bl. 208 GA, 2. Abs.) und dass man auch Präsentationen zeitlich so gelegt habe, dass sich die einzelnen Hersteller nicht begegneten (Protokoll zur mündlichen Verhandlung v. 17.05.2022, S.9, letzter Abs.; Bl. 286 GA, 2. Abs.). Auch seien – was der Zeuge C bekundet hat – die Ausschreibungsunterlagen (Anlage B13, Anlage 11) nur gezielt an eine begrenzte Anzahl von Herstellern (14 an der Zahl) versendet worden (Protokoll zur mündlichen Verhandlung v. 15.02.2022, S. 8, 4. Abs., Bl. 207 GA, vorletzter Abs.).
- dd)
Eine die Neuheitsschädlichkeit begründende offenkundige Vorbenutzung liegt auch nicht mit einer etwaigen Präsentation eines Prototypens mit den erfindungsgemäßen Merkmalen bei der in der Schweiz ansässige B AG im Mai 2015 vor. - Nach dem Wortlaut des § 3 Abs. 1 Satz 2 GebrMG bilden nur solche Benutzungshandlungen den für die Neuheitsprüfung maßgeblichen Technikstand ab, die „im Geltungsbereich dieses Gesetzes“, mithin im Gebiet der Bundesrepublik Deutschland, stattgefunden haben.
- Die Präsentation eines erfindungsgemäßen Gegenstandes im Ausland, wie hier, ist mithin nicht erfasst.
- ee)
Das Fehlen einer inländischen Benutzungshandlung lässt sich auch nicht durch einen Verweis auf die als Anlage B5 vorgelegte im Anschluss an die Präsentation ausgetauschte E-Mail-Korrespondenz vom 29.05.2015 zwischen Herrn G, einem der Geschäftsführer der Beklagten, und Herrn H von der B AG (vorgelegt als Anlage B5) und den weitergehenden Verweis darauf, dass diese Abbildungen und Wortbeschreibungen eines klagegebrauchsmustergemäßen Gegenstandes enthält, kompensieren. - aaa)
Zwar liegt in der Beschreibung der Rollbehälterschürzen mit der E-Mail des Herrn G an Herrn H eine als inländische Vorbenutzungshandlung zu qualifizierende Handlung vor. Insoweit greift der Gedanke, dass es für ein im Inland abgegebenes Angebot nicht darauf ankommt, wo das Angebot zugeht (Scharen, ebd., § 9, Rn. 10). Aufgrund des Firmensitzes der Beklagten nimmt das Angebot seinen Ausgangspunkt jedenfalls im Gebiet der Bundesrepublik Deutschland, was ausreichend ist. - bbb)
Die Kammer hat aber bereits Zweifel daran hat, dass aus den Bild- und Wortdarstellungen in der E-Mail des Herrn G an Herrn H vom 29.05.2015 (Anlage B5) sämtliche erfindungsgemäßen Merkmale offenbar werden. - Die Beklagte stützt sich in diesem Zusammenhang auf die nachfolgend wiedergegebene Abbildung (Anlage B5, S. 2, oben),
- ,
- die mit „Rollbehälterschürze Sichtfenster Gurtverschluss“ überschrieben ist. Zweifel bestehen seitens der Kammer insbesondere im Hinblick auf eine Vorwegnahme der Merkmalsgruppe (5), die die zweiteilige Ausbildung der Spannriemen zum Gegenstand hat. Dies lässt sich der Abbildung nicht ohne weiteres entnehmen. Nun mag eingewandt werden können, dass Herr H nach dem Vortrag der Beklagten aufgrund der ihm präsentierten Rollbehälterschürze, die dem Prototypen 2 der Präsentation aus März 2015 entsprechen soll, in Kenntnis über die erfindungsgemäße Ausgestaltung ist, aber auch dies führt aufgrund nachfolgender Ausführungen nicht zur Annahme einer die Neuheitsschädlichkeit begründenden offenkundigen Vorbenutzung.
- ccc)
Es ist nicht ersichtlich, dass es sich bei der Vorbenutzungshandlung in Form der E-Mail an Herrn H um eine offenkundige Vorbenutzungshandlung handelt, mithin die Möglichkeit besteht, dass über die darin enthaltenen Informationen beliebige Dritte zuverlässige, ausreichende Kenntnis vom Gegenstand der Vorbenutzung erhalten konnten. - Auf die Größe des informierten Empfängerkreises kommt es zwar insoweit nicht an (Melullis, in: Benkard, PatG, Kommentar, 11. Auflage, 2015, § 3, Rn. 80). Auch die Weitergabe an nur eine Person kann daher die Öffentlichkeit begründen, wenn diese keiner Geheimhaltungsverpflichtung unterliegt, denn es besteht auch bei einem einzelnen Informationsträger die reale Möglichkeit, dass er sein Wissen weitergibt (a.a.O.).
- Dies vermag die Kammer vorliegend gleichwohl nicht anzunehmen.
- Zwar hat die Beklagte behauptet, dass Herr H sich an eine Geheimhaltungsverpflichtung oder -erwartung nicht gebunden fühle, wofür auch die E-Mail des Herrn H an Herrn G vom 29.05.2015 (Anlage B5) spricht. Denn darin gibt er zu erkennen, dass er die vorgezeigten Muster und die Lösungsvorschläge an Kunden weiterleiten werde. Dagegen steht allerdings der Zusatz unter der hier in Rede stehenden E-Mail des Herrn G an Herrn H, worin der Inhalt der E-Mail als vertraulich bezeichnet und als ausschließlich für den bezeichneten Adressaten bestimmt beschrieben wird. Dass sich Herr H, der nach seiner Ankündigung, die Informationen an Kunden weiterzugeben, den Vertraulichkeitshinweis erhalten hat, in der Folge nicht an diesen gehalten hat, kann nicht ohne weiteres angenommen werden. Die Kammer kann auch im Hinblick auf den von Herrn H in seiner E-Mail in Bezug genommenen Kundenkreis nicht ausschließen, dass dieser in vergleichbarer Form wie die A einer Geheimhaltungserwartung unterlag. Dies scheint der Kammer insbesondere vor dem Hintergrund nicht fernliegend, weil die B AG nach dem eigenen Vortrag der Beklagten die I mit Rollbehälterschürzen beliefert, die im Hinblick auf die ihr im Zusammenhang mit der Entwicklung von Rollbehälterschürzen überlassenen Informationen gegebenenfalls vergleichbar wie die A verfährt.
- Offenbleibt in dem Zusammenhang aber auch, inwiefern Herr H eine Weitergabe an im Gebiet der Bundesrepublik Deutschland ansässige Kunden beabsichtigte. Der Sitz der B AG in der Schweiz legt dies nicht nahe.
- Damit aber fehlt der erforderliche Inlandsbezug der offenkundigen Vorbenutzung. Allein der Umstand, dass die Angebotshandlung ihren Anfang im Gebiet der Bundesrepublik nimmt, kann hier nicht ausreichen. Der Gesetzeswortlaut des § 3 Abs. 1 GbrMG („durch eine im Geltungsbereich dieses Gesetzes erfolgte Benutzung der Öffentlichkeit zugänglich gemacht“) knüpft zwar einen Inlandsbezug zuvorderst an die Benutzungshandlung und nicht daran an, dass die öffentliche Zugänglichmachung im Inland erfolgt. Es geht aber gleichwohl darum, dass die offenkundige Vorbenutzung in ihrer Gesamtheit einen Inlandsbezug aufweist, mithin auch die Möglichkeit der Kenntnisnahme im Inland geschaffen wird. Das geht aus der Gesetzesbegründung hervor, die im Kontext der hiesigen Regelung von „inländischen offenkundigen Vorbenutzungen“ spricht (BT-Drs. 10/3903, S. 20, re. Sp., unter Ziff. 2., a), 2. Abs.), womit ein Inlandsbezug sowohl für die Benutzungshandlung als auch für die Öffentlichkeit zum Ausdruck gebracht wird.
- ddd)
Aus den dargelegten Gründen bedarf es einer Beweisaufnahme, dass die Präsentation bei der B AG tatsächlich stattgefunden hat, nicht. Es mag lediglich noch die Frage aufgeworfen sein, ob es sich bei der E-Mail selbst um der Neuheit entgegenstehenden druckschriftlichen Stand der Technik handelt – worauf (nachfolgend unter lit. b)) noch einzugehen sein wird. - ff)
Hinreichende Anknüpfungspunkte für eine offenkundige Vorbenutzung ergeben sich auch nicht daraus, dass die Klägerin ihrerseits einen erfindungsgemäßen Gegenstand bei der A präsentiert hat, der dann in Praxistests auch im Kontakt mit Kunden der A zum Einsatz gelangt ist. - Hierauf hat sich die Beklagte nach der Vernehmung des Zeugen F berufen, weil diese ergeben habe, dass vor der Auftragserteilung mit jedem neuen Produkt Praxistests durchgeführt werden würden.
- Eine solche Aussage entnimmt die Kammer jedoch der Einvernahme des Zeugen F nicht.
- Der Zeuge F hat zunächst bekundet, dass es Testverfahren gebe, bei denen die Rollbehälterschürzen auch im Kundenkontakt zum Einsatz gelangen, so sei es etwa bei dem Prototypen 3 aus der Präsentation aus März 2015 gewesen (Protokoll zur mündlichen Verhandlung v. 17.05.2022, S. 8, 3. Abs., Bl. 285 GA, 2. Abs.). Im weiteren Verlauf seiner Vernehmung hat er bekundet, dass eine Auftragserteilung erfolgt, wenn das Produkt serienreif ist (Protokoll zur mündlichen Verhandlung v. 17.05.2022, S. 9, letzter Abs., Bl. 286 GA, 2. Abs.). Wiederum zu einem späteren Zeitpunkt seiner Vernehmung hat er dann ausgeführt: „Die Praxistests, die ich beschrieben habe, das sind keine Besonderheiten für SKM. Das ist für sämtliche Betriebsmittel so, wo das möglich ist, also insbesondere bei solchen, die bei den Transporten beteiligt sind“ (a.a.O.).
- Der von der Beklagten angenommene zwingende Zusammenhang zwischen der Auftragserteilung und den Praxistests, wonach letztere eine Auftragserteilung bedingen, geht aus dieser Aussage nicht hervor. Die Bekundungen zur Serienreife und Auftragserteilung stehen in keinem unmittelbaren Zusammenhang mit den Praxistests. Im Gegenteil hat der Zeuge im Kontext seiner Aussage zur Serienreife und Auftragserteilung kundgetan, dass teilweise auch im Serienbetrieb noch eine Weiterentwicklung erfolge (a.a.O.). Aus der Aussage des Zeugen ergeben sich deshalb keine Anhaltspunkte dafür, dass ein von der Klägerin hergestellter erfindungsgemäßer Gegenstand vor ihrer, der Klägerin, Beauftragung im Jahr 2016, in Praxistests zum Einsatz gelangt ist, noch dazu außerhalb der Neuheitsschonfrist von sechs Monaten (§ 3 Abs. 1 Satz 3 GebrMG). Der Rahmenvertrag zwischen der A und der Klägerin (Anlage KR10) datiert aus Mai 2015 (2 ½ Monate vor der Anmeldung des Klagegebrauchsmusters), eine etwaige Testung eines von der Klägerin hergestellten erfindungsgemäßen Gegenstandes kann mithin gerade innerhalb der Neuheitsschonfrist erfolgt sein, wenn eine solche – was naheliegt – in einer gewissen zeitlichen Nähe zur Auftragserteilung erfolgt ist.
- b)
Es liegt weiter auch kein druckschriftlicher Stand der Technik vor, der der Neuheit der Lehre des Klagegebrauchsmusters in der hier geltend gemachten Fassung entgegensteht. - Weder der E-Mail-Verkehr zwischen der A mit den an dem Ausschreibungsverfahren beteiligten Unternehmen vom 03.08.2015 (Anlage K13 und Anlage B15) noch der E-Mail-Verkehr des Herrn G an Herrn H vom 29.05.2015 (Anlage B5) nehmen die hier geltend gemachte Lehre des Klagegebrauchsmusters als druckschriftlichen Stand der Technik vorweg.
- Dem steht zum einen entgegen, dass sich aus den in Rede stehenden Unterlagen nicht sämtliche erfindungsgemäßen Merkmale ergeben. Auf die Ausführungen zur offenkundigen Vorbenutzung durch die jeweiligen Nachrichten (unter lit. a), cc) und ee), bbb)) wird Bezug genommen. Sie gelten hier entsprechend. Zum anderen fehlt es an einer öffentlichen Zugänglichmachung. Auch eine schriftliche Beschreibung bzw. eine ihr gleichzusetzende bildliche Darstellung muss der Öffentlichkeit zugänglich sein, das heißt sie muss zur Vervielfältigung und Verbreitung in der Öffentlichkeit geeignet, bestimmt und jedenfalls bereitgehalten sein (Goebel/Engel, ebd., § 3, Rn. 7). Das trifft auf die hier in Rede stehenden elektronischen Nachrichten nicht zu. Diese waren vielmehr für den internen Gebrauch bestimmt und deren Kenntnisnahme auf einen beschränkten Personenkreis begrenzt. Auch insoweit wird auf die hier entsprechend geltenden Ausführungen zur offenkundigen Vorbenutzung (unter lit. a), cc), bbb) und lit. a), ee), ccc)) verwiesen.
- 3.
Die Lehre des Klagegebrauchsmusters beruht auch auf einem erfinderischen Schritt. - Nach § 1 Abs. 1 GebrMG werden Erfindungen geschützt, die auf einem erfinderischen Schritt beruhen, woraus abgeleitet wird, dass die Schutzfähigkeit eines Gebrauchsmusters eine erfinderische Leistung verlangt (Goebel/ Engel, ebd., § 1, Rn. 12). Die Wertung, ob eine solche erfinderische Leistung vorliegt, vollzieht sich grundsätzlich nach denselben Grundsätzen wie im Patentrecht (BGH, GRUR 2006, 842, Rn. 19 – Demonstrationsschrank“). Danach ist die erforderliche erfinderische Leistung zu verneinen, wenn der Stand der Technik die erfindungsgemäße Lösung nahelegt (Asendorf/ Schmidt, in: Benkard, PatG, Kommentar, 11. Auflage, 2015, § 4, Rn. 17). In den Stand der Technik sind alle der Öffentlichkeit vor dem Prioritätstag zugänglichen Lehren (Beschreibungen und Benutzungen) einzubeziehen (ebd., § 4, Rn. 21). Es ist zu fragen, ob ein über durchschnittliche Kenntnisse und Fähigkeiten verfügender Fachmann, wie er auf dem technischen Gebiet der Erfindung in einschlägig tätigen Unternehmen am Prioritätstag typischerweise mit Entwicklungsaufgaben betraut wurde und dem unterstellt wird, dass ihm der gesamte am Prioritätstag öffentlich zugängliche Stand der Technik bei seiner Entwicklungsarbeit bekannt zur Verfügung stand, in der Lage gewesen wäre, den Gegenstand der Erfindung aufzufinden, ohne eine das durchschnittliche Wissen und Können einschließlich etwaiger Routineversuche übersteigende Leistung erbringen zu müssen (a.a.O.).
- In diesem Zusammenhang macht die Beklagte geltend, ausgehend von der bereits seit den 1990er-Jahren von der A eingesetzten Vorhangeinrichtung, sei die klagegebrauchsmustergemäße Lösung naheliegend. Insbesondere stelle der Ersatz der Stange durch den Spannriemen nicht mehr als eine bloße einfache handwerkliche Maßnahme dar. Die gestellte Aufgabe bestehe dabei darin, eine Vorhangeinrichtung zu schaffen, die sich zusammenfalten lasse, was jedwede starre Konstruktion verbiete.
- Dieser Wertung folgt die Kammer nicht.
- Zwar ist nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme davon auszugehen, dass die Rollbehälterschürze, die die Beklagte jedenfalls vor dem 29.07.2016 an die A geliefert hat, die Merkmale (1) – (5) verwirklicht und dieser Gegenstand auch durch offenkundige Vorbenutzung zum Stand der Technik zählt (dazu unter lit. a)). Aus Sicht der Kammer gelangt der Fachmann aber hiervon ausgehend nicht in naheliegender Art und Weise zu einer Vorrichtung, die keine Stangen aufweist, so dass sie sich bei Nichtgebrauch auch klein und kompakt zusammenfalten lässt (Merkmal (6)) (dazu unter lit. b)).
- a)
Die Kammer ist nach Durchführung der Beweisaufnahme davon überzeugt, dass eine Rollbehälterschürze, die die Merkmale (1) – (5) der geschützten Lehre zeigt, jedenfalls vor dem hier maßgeblichen Zeitpunkt (29.07.2016) durch die Beklagte an die A geliefert worden ist und dort zur Auslieferung oder Abholung von Paketen zu Kunden der A verwendet worden ist. - Die Zeugen haben bestätigt, dass bis zu der von der A angestrebten Modifikation der Rollbehälterschürze im Jahre 2015 eine von der Beklagten gelieferte „alte“ Rollbehälterschürze, auch bezeichnet als „XXX“, zum Einsatz gelangt ist (Merkmale (1) und (2)) (Protokoll zur mündlichen Verhandlung v. 15.02.2022, S. 7, 4. Abs. von unten, S. 19, letzter Abs. und S. 20, 1. Abs.; Bl. 206 GA, 3. letzter Abs., Bl. 219 GA, 2. Abs.). Sie haben diese weiter auf Vorhalt von Abbildungen bzw. eines in der Sitzung vorliegenden Musters dahingehend identifiziert, dass sie mit Spannriemen ausgestaltet gewesen sei (Merkmale (3) und (4)) (Protokoll zur mündlichen Verhandlung v. 15.02.2022, S. 7, 4. letzter Abs., S. 16, 1. und 2. Abs.; Bl. 206 GA, 3. letzter Abs., Bl. 215 GA, 3. Abs.). Eine Ausgestaltung dieser Spannriemen im Sinne der Merkmalsgruppe (5) folgt jedenfalls aus einer gemeinsamen Betrachtung der Zeugenaussagen, die das ihnen vorgehaltene Muster mit einer Ausgestaltung der Spannriemen im Sinne von Merkmalsgruppe (5) grundsätzlich als alte Rollbehälterschürze erkannten, sowie den als Anlage B1 vorgelegten Scans von Unterlagen des Posttechnischen Zentralamtes in XXX aus dem Jahre 1988.
- Der Zeuge F hat ohne Einsichtnahme in die Unterlagen des Posttechnischen Zentralamtes erklärt, dass auch bei der alten Vorrichtung die Spanngurte zweiteilig ausgestaltet gewesen seien (Protokoll zur mündlichen Verhandlung v. 17.05.2022, S. 3, 3. Abs. a. E.; Bl. 279, letzter Abs. a. E.). Dies wird auch bei einer Gesamtschau aus den Zeichnungen PTZ A XXX und PTZ A XXX (Anlage B1, Seiten 1 und 2) und der Bestandteileliste (Anlage B1, Seite 3), wie sie Gegenstand der Unterlagen des Posttechnischen Zentralamtes sind, deutlich. Der Spannriemen ist danach aus einem längenstabilen Teil (in der Bestandteilliste bezeichnet mit „Gurt“, Kennziffern 12 und 13; die Ziffern lassen sich sowohl der Bestandteilliste entnehmen als auch sind sie in den Zeichnungen enthalten, um deutlich zu machen, wie die Bestandteile eingesetzt werden) und einem als „Gummigurt“ bezeichneten, das heißt einem längenflexiblen, Teil (Kennziffer 14) gebildet. Der Gummigurt 14 ist endseitig jeweils mit „Haken“ 10, das heißt mit Klammern, ausgestattet. An dem längenstabilen Teil 12/13 befindet sich mittig ein „Klemmschloß“ 11, das heißt eine Spannklemme. Die Kammer hält die Unterlagen des Posttechnischen Zentralamtes auch für geeignet, die Ausgestaltung der alten Schürze nachzuweisen. Denn sowohl die Zeugen C (Protokoll zur mündlichen Verhandlung v. 15.02.2022, S. 6, vorletzter Abs.; Bl. 205 GA, vorletzter Abs.) und F (Protokoll zur mündlichen Verhandlung v. 17.05.2022, S. 6, 3. Abs.; Bl. 283 GA, 2. Abs.) als auch der Zeuge D (Protokoll zur mündlichen Verhandlung v. 15.02.2022, S. 20, 1. Abs.; Bl. 219 GA, 2. Abs.) haben diese Unterlagen zunächst, ohne dass diese ihnen vorgehalten worden wären, in Bezug genommen und erklärt, dass diese Grundlage für die Herstellung der alten Rollbehälterschürze gewesen seien. Auf Vorhalt der Unterlagen (Anlage B1) haben sie diese als solche identifiziert, die sie bei ihrer vorherigen Aussage vor Augen hatten (Protokoll zur mündlichen Verhandlung v. 15.02.2022, S. 6, letzter Abs., S. 20, 2. Abs.; Bl. 205 GA, letzter Abs., Bl. 219, 3. Abs.; Protokoll zur mündlichen Verhandlung v. 17.05.2022, S. 6, vorletzter und letzter Abs.; Bl. 283 GA, 3. und 4. Abs.).
- Der Zeuge F hat weiter bestätigt, dass diese Rollbehälterschürzen auch im Kundenkontakt zum Einsatz gelangt sind (Protokoll zur mündlichen Verhandlung v. 17.05.2022, S. 7, 1. Abs.; Bl. 283 GA, vorletzter Abs.).
- b)
Ausgehend von der offenkundigen Vorbenutzungshandlung in Form der Lieferung und Verwendung der Rollbehälterschürzen (wie unter lit. a) dargestellt) gelangt der Fachmann zu der geschützten Lehre in der hier geltend gemachten Fassung weder durch eine einfache handwerkliche Maßnahme (dazu unter lit. aa)) noch durch Kombination mit der US 6,XXX,792 B1 (Druckschrift vorgelegt als Anlage B8) (dazu unter lit. bb)) in naheliegender Art und Weise. - aa)
Der Ersatz der Stange durch den Spannriemen stellt sich nicht als lediglich handwerkliche Maßnahme dar. - In diesem Zusammenhang ist zu berücksichtigen, dass die erfindungsgemäße Lösung für das technische Problem, eine Vorhangeinrichtung klein und kompakt zusammenfalten zu können, nicht allein in dem Weglassen der Stange besteht, sondern vielmehr darin, statt der oberen Befestigung des Vorhangelements über eine diesem zuordbare Stange – wie im Stand der Technik bekannt – eine alternative Befestigungsmöglichkeit zu schaffen. Die Lehre des Klagegebrauchsmusters setzt dies um, indem diejenigen Verbindungsmittel, die das Vorhangelement im Übrigen an dem Rollwagen befestigen, auch für das Halten des Vorhangs am oberen Teil verwendet werden. Dies macht – wie es in Abschnitt [0019] ausdrücklich heißt – das Vorsehen einer Arretierstange entbehrlich.
- Aus der E-Mail der A an die Beklagte bzw. die Klägerin im August 2015 (Anlage B15 und Anlage K13) ergibt sich für die Kammer kein Indiz dafür, dass es sich um eine bloß handwerkliche Maßnahme handelte. Darin wird zwar die Überlegung geäußert, dass man die Stange durch einen breiteren, starken Gurt mit Verzurr-Mechanismus und seitlich angebrachten Ösen zum Einhängen an den oberen Profilenden ersetzen könne. Aus der E-Mail, die im Kontext der technischen Entwicklung der Rollbehälterschürze für die A steht, geht indes auch hervor, dass dies mit der „technischen Fachseite“ erörtert worden sei, so dass es sich nicht um den Gedanken eines technischen Laien handelt, was gegebenenfalls dafürsprechen könnte, dass es sich um eine naheliegende Überlegung handelt.
- Der Fachmann erhält auch aus der in Rede stehenden E-Mail keinen Anlass zum Ergreifen einer solchen Maßnahme, weil diese bereits keinen Stand der Technik bildet (dazu zuvor unter Ziff. 2., lit. b)).
- bb)
Auch ergibt sich die geschützte Lehre in der hier geltend gemachten Fassung nicht in naheliegender Art und Weise bei einer Kombination der offenkundigen Vorbenutzungshandlung in Form der Lieferung und des Einsatzes der „alten“ Rollbehälterschürzen mit der US 6,XXX,792 B1 (Anlage B8; nachfolgend daher auch kurz als „B8“ bezeichnet). - Die Beklagte hat keinen Anlass zur Kombination vorgetragen. Auch die Kammer vermag einen solchen vor dem Hintergrund, dass die B8 ausgehend von Figur 1 eine Rollbehälterschürze XX offenbart, die nicht nur eine Längsseite des Rollwagens verschließt, sondern beide Längsseiten eines Rollwagens erfasst, nicht zu erkennen. Dabei handelt es sich um eine grundsätzlich andersartige Ausgestaltung als bei dem vorbenutzten Gegenstand, der zu einer Befestigung am oberen Teil des Rollwagens zwang, weil er nur eine Längsseite bedeckte.
- IV.
Die angegriffene Ausführungsform macht von der Lehre des Klagegebrauchsmusters mittelbar Gebrauch. - Nach § 11 Abs. 2 Satz 1 GebrMG ist es jedem Dritten verboten, ohne Zustimmung des Gebrauchsmusterinhabers in der Bundesrepublik Deutschland anderen als zur Benutzung des Gegenstandes des Gebrauchsmusters berechtigten Personen, Mittel, die sich auf ein wesentliches Element der Erfindung beziehen, zur Benutzung der Erfindung im Gebiet der Bundesrepublik Deutschland anzubieten oder zu liefern, wenn der Dritte weiß oder es auf Grund der Umstände offensichtlich ist, dass diese Mittel dazu geeignet und bestimmt sind, für die Benutzung der Erfindung verwendet zu werden.
- Diese Voraussetzungen liegen hier vor.
- 1.
Bei der angegriffenen Ausführungsform handelt es sich um ein wesentliches Mittel, das zur Benutzung der klagegebrauchsmustergemäßen Lehre objektiv geeignet ist. - Ein Mittel bezieht sich auf ein Element der Erfindung, wenn es geeignet ist, mit einem solchen bei der Verwirklichung des geschützten Erfindungsgedankens funktional zusammenzuwirken (BGH, GRUR 2004, 758 (761) – Flügelradzähler). Da der Patentanspruch (hier der Gebrauchsmusteranspruch) maßgeblich für den Umfang der geschützten Lehre ist, sind regelmäßig alle im Patentanspruch benannten Merkmale wesentliche Elemente der Erfindung (a. a. O.), soweit sie nicht ausnahmsweise zum erfindungsgemäßen Leistungsergebnis nichts beitragen (BGH, GRUR 2007, 769 – Pipettensystem). Im Zusammenhang mit einem Verfahrensanspruch bedeutet dies, dass eine im Patentanspruch genannte Vorrichtung, die zur Ausführung des Verfahrens verwendet wird, sich regelmäßig auf ein wesentliches Element der Erfindung bezieht (BGB, GRUR 2007, 773 – Rohrschweißverfahren). Aber auch ein im Anspruch nicht genanntes Mittel ist wesentlich, wenn es geeignet ist, mit einem wesentlichen, nämlich im Patentanspruch erwähnten Erfindungselement so funktional zusammenzuwirken, dass es zu einer Verwirklichung des Erfindungsgedankens kommt (BGH, 2004, 758 (760 f.) – Flügelradzähler).
- Ein Mittel ist dann objektiv geeignet, um für die Benutzung der Erfindung verwendet zu werden, wenn dieses im Zusammenhang mit weiteren Elementen in eine Gestaltung gebracht werden kann, die von allen Merkmalen des unter Patentschutz stehenden Gegenstandes (bzw. Verfahrens) Gebrauch macht und damit eine Benutzungshandlung im Sinne von § 9 PatG verwirklicht (vgl. BGH, GRUR 2005, 848 (850) – Antriebsscheibenaufzug).
- Das Vorhangelement, zu dem der Anspruchswortlaut im Wesentlichen Vorgaben enthält, ist – worüber die Parteien nicht streiten – ein wesentliches Mittel, das zudem auch geeignet ist, zusammen mit einem Rollwagen in eine Gestaltung entsprechend der klagegebrauchsmustergemäßen Vorrichtung verbracht zu werden, was die Beklagte zuletzt in Abrede gestellt hat.
- Ein mit dem angegriffenen Vorhangelement versehener Rollwagen verwirklicht insbesondere auch die Merkmale (2) und (4). Auch ist das angegriffene Vorhangelement nicht mit einer Stange ausgestattet (Merkmal (6)). Die übrigen Merkmale stehen zwischen den Parteien zu Recht nicht in Streit, weshalb auf weitere Ausführungen verzichtet wird.
- a)
Die nach dem Klagegebrauchsmuster geschützte Lehre beschränkt die Mittel zur Verbindung des Flächenelements mit dem Rollwagen nicht auf die in dem Anspruchswortlaut ausdrücklich genannten Verbindungsmittel. Vielmehr lässt sie daneben auch weitere Verbindungsmittel zu. - aa)
Die Kammer entnimmt weder dem Anspruchswortlaut („die Verbindungsmittel“) noch dem übrigen Auslegungsmaterial bei der gebotenen funktionsorientierten Betrachtung, dass zusätzliche Verbindungsmittel, die die Merkmale des Anspruchswortlauts nicht erfüllen, aus der geschützten Lehre ausgenommen sind. - Soweit der Anspruchswortlaut in Merkmal (3) von „die Verbindungsmittel“ spricht, kommt darin grammatikalisch eine Bezugnahme auf diejenigen Verbindungsmittel zum Ausdruck, die in Merkmal (2) erstmalig Erwähnung finden. Eine Beschränkung auf die konkrete Art der Verbindungsmittel in Form der Spannriemen ist damit nicht verbunden. Im Übrigen enthält der Wortlaut des Klagegebrauchsmusters keine andere Angabe, der der Fachmann die Abwesenheit anderer Verbindungsmittel ausdrücklich entnimmt. Insbesondere daraus, dass es in Merkmal (2) heißt, dass die Vorhangeinrichtung ein Flächenelement sowie Verbindungsmittel „besitze“ lässt sich nicht schließen, dass der Anspruchswortlaut die Bestandteile der Vorrichtung abschließend benennt. Eine solche Bedeutung haftet dem Wort „besitzen“ schon bei rein sprachlich-philologischer Bedeutung nicht zwingend an.
- Zusätzliche Verbindungsmittel stehen auch der erfindungswesentlich angestrebten Aufgabe, gegenüber vorbekannten Vorhangeinrichtungen eine verbesserte Anbringung und Entfernung zu ermöglichen (Abs. [0007] des Klagegebrauchsmusters), nicht entgegen. Eine dem Erfindungsziel entgegenstehende kompliziertere Anbringung und Entfernung des Vorhangelements geht mit zusätzlichen Verbindungsmitteln nicht zwingend einher.
- Dem hiesigen Auslegungsergebnis Entgegenstehendes entnimmt die Kammer auch Abschnitt [0019] des Klagegebrauchsmusters nicht, wo es heißt, dass die geschützte Lehre ohne umständliche Schraubverbindungen oder eine Arretierstange auskomme („Umständliche Schraubverbindungen oder eine Arretierstange sind weder erforderlich noch notwendig.“). Damit hebt die Beschreibung lediglich hervor, dass die in dem Anspruchswortlaut genannten Verbindungsmittel bei entsprechender Ausgestaltung – wie etwa in Abschnitt [0016] des Klagegebrauchsmusters und Figur 1 dargestellt – allein eine Befestigung des Vorhangelements leisten können. Sie müssen dies aber nicht zwingend. Das folgert der Fachmann weiter auch daraus, dass das Klagegebrauchsmuster lediglich eine Verbesserung (Abs. [0007] des Klagegebrauchsmusters), nicht aber eine bestmögliche Optimierung des vorbekannten Technikstandes anstrebt.
- Nach alledem ergibt sich aus der gebotenen technisch-funktionalen Betrachtung aus der Sicht des Fachmannes „lediglich“ eine dahingehende Beschränkung des Schutzgegenstands, dass die in dem Anspruchswortlaut genannten Verbindungsmittel jedenfalls einen Beitrag von einigem Umfang zu der Befestigung des Vorhangelements an den Rollcontainer leisten. Denn mit ihnen erfährt der erfindungsgemäße Erfolg einer einfacheren Anbringung und Entfernung des Vorhangelements eine Umsetzung. Mit einer „Befestigung“ des Vorhangelements verbindet das Klagegebrauchsmuster dabei eine Verbindung zwischen Vorhangelement und Rollcontainer, durch die das in dem Rollcontainer aufbewahrte Frachtgut in diesem gehalten und an einem Herausfallen gehindert wird (Abs. 0019] des Klagegebrauchsmusters).
- bb)
Ein anderes Verständnis ergibt sich auch nicht daraus, dass in die hier geltend gemachte Anspruchsfassung das Merkmal (6) aufgenommen ist, wonach die Vorhangeinrichtung keine Stange aufweist. - Dieses Merkmal schließt ein bestimmtes Befestigungsmittel in Form einer Stange der Vorhangeinrichtung aus, nicht aber andere Befestigungsmittel. Damit soll wortlautgemäß zusätzlich ermöglicht werden, dass das Vorhangelement bei Nichtgebrauch klein und kompakt zusammengefaltet werden kann.
- b)
Die angegriffene Ausführungsform ist unstreitig mit Verbindungsmitteln ausgestaltet, die eine lösbare Festlegung des Flächenelements an den Seitenpfosten bewirken (Merkmal (2)) und die sich jeweils zwischen den beiden Seitenpfosten erstrecken (Merkmal (4)). Denn dies ist jedenfalls im Hinblick auf die unteren drei Spannriemen der Fall. Diese leisten auch einen erheblichen Beitrag zur Befestigung des Vorhangelements an dem Rollcontainer. Denn ohne diese wäre das Vorhangelement lediglich in dem oberen Bereich an dem Rollwagen angebracht. Die gesamte Öffnung des Rollcontainers wäre demgegenüber nicht hinreichend durch das Vorhangelement abgedeckt. Vielmehr könnte in dem Rollwagen befindliches Frachtgut nicht gehalten werden und würde ohne weiteres aus der Öffnung fallen. - Ausgehend von dem hier vertretenen Auslegungsergebnis ist es dann für eine Merkmalsverwirklichung unschädlich, wenn die Klammern des obersten Spannriemens der angegriffenen Ausführungsform auf dem oberen Abschluss der Seitenwände des Rollwagens aufliegen, mithin bei diesen keinerlei Festlegung an den Seitenpfosten erfolgt, und eine hinreichende Befestigung des Vorhangelements erst mit Hilfe dieses zusätzlichen Verbindungsmittels erfolgt.
- Soweit die Beklagte weiter auch eine Verwirklichung von Merkmal (6) unter Verweis darauf in Abrede gestellt hat, dass auch bei dem obersten Verbindungsmittel ein Spannriemen anstelle einer Stange verwendet werde, ergeben sich daraus keine hier nicht bereits erörterten Nichtverletzungsargumente. Das angegriffene Vorhangelement weist auch unstreitig keine Stange auf.
- Darauf, ob im Hinblick auf den obersten Spannriemen noch davon gesprochen werden kann, dass dieser in irgendeiner Form jedenfalls auch eine Befestigung über den Seitenpfosten erfährt, kommt es nach alledem nicht an.
- 2.
Die angegriffenen Vorhangelemente sind auch subjektiv dazu bestimmt, bei dem Abnehmer in Kombination mit einem Rollwagen eingesetzt zu werden. Die Beklagte weiß auch um die entsprechende Eignung der von ihr angebotenen und gelieferten Vorhangeinrichtung sowie um eine entsprechende Verwendungsbestimmung bei ihrem Abnehmer. - Dies ergibt sich vorliegend bereits daraus, dass die Beklagte die angegriffene Ausführungsform der A gerade im Hinblick auf die Verwendung zusammen mit einem Rollwagen zur Verfügung stellt.
- 3.
Die A, an die allein die Beklagte die angegriffene Ausführungsform liefert – Benutzungshandlungen gegenüber anderen Abnehmern hat die Klägerin auch auf ein prozessual erhebliches Bestreiten der Beklagten nicht aufgezeigt – , ist auch nicht zur Benutzung der patentierten Erfindung berechtigt. - Eine entsprechende Berechtigung der A ergibt sich weder aus vertraglichen Abreden zwischen der Klägerin und der A (dazu unter lit. a)) noch aus einem privaten Vorbenutzungsrecht der A (dazu unter lit. b)).
- a)
Eine Nutzungsberechtigung der A aufgrund einer ausdrücklichen oder stillschweigenden Nutzungsrechtseinräumung durch die Klägerin liegt nicht vor. - aa)
Eine vertragliche Nutzungsberechtigung ergibt sich nicht aus dem zwischen der Klägerin und der A am 09./ 11.05.2016 abgeschlossenen „Rahmenvertrag über die Lieferung von Rollcontainer Netzen für RoCo“, wie er als Anlage KR10 Aktenbestandteil ist. - aaa)
Nach §§ 133, 157 BGB ist bei der Auslegung von Willenserklärungen und Verträgen der wirkliche Wille der Vertragsschließenden im Zeitpunkt des Vertragsschlusses zu erforschen (BGH, Urt. v. 19.01.2000, Az.: VIII ZR 275/98, Rn. 20, zitiert nach juris). Ausgangspunkt ist dabei der Wortlaut der Erklärung und dem diesen zu entnehmenden objektiv erklärten Parteiwillen (BGH, Urt. v. 06.07.2005, Az.: VIII ZR 136/04, Rn. 28, zitiert nach juris), es sind jedoch weiter auch die außerhalb des Erklärungsaktes liegenden, für den Erklärungsempfänger erkennbaren Begleitumstände des Vertragsschlusses einzubeziehen (Ellenberger, in: Grüneberg, BGB, Kommentar, 81. Auflage, 2022, § 133, Rn. 15). Als solche können insbesondere die Entstehungsgeschichte der Vereinbarung, Äußerungen der Parteien über den Inhalt des Rechtsgeschäfts sowie die bestehende Interessenlage zu berücksichtigen sein (Ellenberger, ebd., § 133, Rn. 16 – 18). Obwohl die Erklärung mit dem Zeitpunkt ihres Wirksamwerdens ihren grundsätzlich unveränderlichen Erklärungswert erhält, kann auch späteres Verhalten der Parteien zumindest als Indiz für die Auslegung von Bedeutung sein (BGH, Urt. v. 06.07.2005, Az.: VIII ZR 136/04, Rn. 29, zitiert nach juris). Diese Auslegungsgrundsätze gelten auch für patentrechtliche Lizenzverträge (Ullmann/ Deichfuß, in: Benkard, PatG, Kommentar, 11. Auflage, 2015, § 15, Rn. 116) sowie für gebrauchsmusterrechtliche Nutzungsrechtseinräumungen. Der Abschluss eines Lizenzvertrags kann auch konkludent erfolgen (BGH, GRUR 2016, 201, Rn. 28 – Ecosoil). An seinen Nachweis sind wegen der mit einer Lizenzerteilung verbundenen rechtlichen Konsequenzen keine geringen Anforderungen zu stellen (Kühnen, ebd., Kap. E., Rn. 197). - Diese Auslegungsgrundsätze gelten auch für das hiesige Vertragsverhältnis, auf das ausweislich seines § 24 Abs. 3 deutsches Recht Anwendung findet.
- bbb)
Der Rahmenvertrag zwischen der A und der Klägerin (Anlage KR10) gewährt der A kein Recht zur Benutzung der klagegebrauchsmustergemäßen Lehre. - (1)
Aus dem Wortlaut der in Rede stehenden Klausel ergibt sich zunächst, dass mit dem Erwerb von „Nutzungsrechten an Arbeitsergebnissen“ über die bloße bestimmungsgemäße Benutzung des gelieferten Gegenstandes/ der Leistung hinaus, weitergehende Nutzungsmöglichkeiten eingeräumt werden, wobei die Parteien unterschiedlicher Auffassung darüber sind, worin die Nutzungsmöglichkeiten bestehen. - Bei der hierbei gebotenen Vertragsauslegung ist zunächst zu berücksichtigen, dass die Hauptleistungspflicht, die das Vertragsverhältnis zwischen der Klägerin und der A regelt, die „Lieferung von Rollcontainer Netzen für Rollcontainer der B AG“ (§ 1 des Vertrags sowie die Bezeichnung des Vertragsdokuments als „Rahmenvertrag“) ist, wobei die Lieferung der Netze im Einzelnen noch zukünftig zu beauftragen ist (§ 2 Abs. 2 und § 4 Abs. 1 des Vertrages). Das Vertragsdokument ist seiner Systematik nach vor allem werkvertraglich (§ 631ff. BGB) bzw. werklieferungsvertraglich (§ 650 BGB) geprägt. Insbesondere ist in §§ 9, 10 des Vertrags von der „Abnahme der Lieferung und Leistungen“ die Rede. Die bestimmungsgemäße Benutzung der Rollcontainer Netze durch die A ergibt sich mithin ohne weiteres aus der Lieferung der Netze, weshalb mit dem Erwerb von Nutzungsrechten weitergehende Nutzungsmöglichkeiten verbunden sein müssen. Auch der Begriff des „Arbeitsergebnisses“, der sich von demjenigen der „Lieferung“ und „Leistungen“ unterscheidet, legt nahe, dass Gegenstand des Nutzungsrechts ein in dem gelieferten Produkt/ Leistung verkörperter weitergehender immaterieller Wert ist.
- Das Vertragsverhältnis selbst nennt keine Beispiele oder eine Definition solcher Arbeitsergebnisse, jedoch besteht ein Anwendungsbereich für die vertragliche Regelung in der Form, dass mit der Lieferung der Netze teilweise die Übergabe von weiteren Leistungsbestandteilen – die Klägerin spricht insoweit beispielhaft von Text- oder Designerstellung, von Softwareprogrammierung und von Schaltplänen – einhergeht. Auch das Vertragsdokument lässt dies vereinzelt erkennen, wenn es etwa in § 4 Abs. 4 des Vertrags heißt, dass dem Angebot für eine Prüfung durch den Auftraggeber erforderliche Belege (Aufgabenbeschreibung, Terminpläne und Preis-/ Kostenaufgliederung) beizufügen seien, oder in § 9 Abs. 3 des Vertrags von „vom Auftraggeber geforderten Dokumentationen“ die Rede ist. § 11 Abs. 2 und § 12 Abs.3 lit. (a) des Vertrags erwähnt schließlich „Software“ als Leistung. Ausgehend von den so beschriebenen „Leistungen“ macht es etwa Sinn, dass die Regelung von einem Recht zur „Veröffentlichung“ oder „Vervielfältigung“ spricht.
- Nach Auffassung der Kammer kann dem in Rede stehenden Vertragspassus gleichwohl nicht entnommen werden, dass sich die eingeräumten Nutzungsrechte vollständig von dem gelieferten/ geleisteten Gegenstand derart lösen, dass mit „Arbeitsergebnis“ eine geschützte Erfindung in Bezug genommen ist, von der der jeweilige Gegenstand/ Leistung Gebrauch macht. Dagegen steht, dass die vertragliche Regelung im Hinblick auf den Erwerb der Nutzungsrechte an die Abnahme eines konkret gelieferten Produkts/ einer Leistung anknüpft. Dies legt nahe, dass die gewährten Nutzungsmöglichkeiten im Hinblick auf eben diesen konkreten Gegenstand/ Leistung bestehen. Hinsichtlich der Nutzungsmöglichkeit an einer patentrechtlich geschützten Erfindung erscheint demgegenüber eine Verknüpfung der Rechteeinräumung an die Lieferung eines konkreten Gegenstands nicht sinnhaft. Denn die technische Lehre ist von dem konkreten Gegenstand, in dem diese verkörpert wird, trennbar. Es bedarf auch deshalb keiner wiederkehrenden Erteilung einer Erlaubnis zur Benutzung einer technischen Lehre mit jeder neuen Lieferung eines (identischen) Produkts. Eine solche erfordert ihrem Wesen nach vielmehr eine einmalige Willensbetätigung des Patentinhabers. Insoweit wäre zu erwarten gewesen, dass ein als Rahmenvertrag ausgestaltetes Verhältnis eine von der konkreten Lieferung unabhängige Nutzungsrechtseinräumung vorsieht.
- Soweit es deshalb in der in Rede stehenden Regelung weiter heißt, das Nutzungsrecht schließe das Recht zur Weitergabe an Dritte für eventuelle Folgeaufträge ein, erfasst dies nach Auffassung der Kammer nicht die Konstellation, dass ein Dritter – wie etwa die Beklagte – mit der Lieferung eines Gegenstandes beauftragt wird, der durch das technische Schutzrecht eines Dritten geschützt ist.
- (2)
Die Kammer gelangt auch unter Berücksichtigung des Vertragspassus nach § 3 zu keinem anderen Verständnis. - Die Klausel regelt ausgehend von ihrer Überschrift („keine Abnahmeverpflichtung“), dass Seitens der A keine Abnahmeverpflichtung besteht, die hier interessierenden Absätze 1 und 2 lauten wie folgt:
- „(1) Dieser Rahmenvertrag begründet keine Abnahmepflicht des Auftraggebers und berechtigt nicht zur Leistungserbringung. Dem Auftraggeber steht es frei, die genannten Leistungen auch von Drittunternehmen zu beziehen. Eventuell genannte Mengen sind geschätzte Angaben, die tatsächlichen Bedarfsmengen können erheblich von den geschätzten Angaben abweichen.
- (2) Dem Auftraggeber steht es frei, die genannten Leistungen auch von Drittunternehmen zu beziehen.“
- Damit wird der Auftraggeber, die A, davon entbunden, die Rollbehälterschürzen allein über den Vertragspartner zu beziehen. Dass damit die Berechtigung einhergeht, dass das Drittunternehmen auch ein technisches Schutzrecht der Klägerin benutzt, kann nicht angenommen werden. Der Rahmenvertrag bestimmt den Vertragsgegenstand in Form der Rollbehälterschürzen nicht näher, sondern berechtigt die A lediglich, auch andere Unternehmen mit der Lieferung von Rollbehälterschürzen zu beauftragen. Rollbehälterschürzen aber können, ohne dass es dabei zur Verletzung des hiesigen Klagegebrauchsmusters kommt, ohne weiteres auch durch andere Unternehmen hergestellt werden.
- (3)
Die Kammer entnimmt der Regelung entgegen ihres nach Maßgabe der Ausführungen unter Ziffer (1) und (2) bestehenden Bedeutungsgehalts auch aus den Begleitumständen des Vertragsschlusses nichts anderes. - Die Beklagte macht insoweit geltend, die Entwicklungshistorie sei zu berücksichtigen. Es wird nachfolgend (unter lit. bb), bbb)) noch dazu ausgeführt, dass die Kammer aus der Entwicklungshistorie keine Anhaltspunkte für eine Nutzungsrechtseinräumung herleiten kann. In Ergänzung dazu sei hier lediglich darauf verwiesen, dass es der Kammer unter Berücksichtigung der hier bereits unter Ziffer (1) und (2) dargestellten Bedenken im Hinblick auf eine Nutzungsrechtseinräumung an die A zudem zweifelhaft erscheint, dass die A nach dem Vortrag der Beklagten vor allem in dem Jahr 2015 eine gebrauchs- und patentrechtlich relevante Entwicklungsleistung im Zusammenhang mit den Rollbehälterschürzen vollbracht hat, sich Rechte im Hinblick auf diese Leistung jedoch – zeitlich deutlich nach dem Beginn dieser Entwicklungstätigkeit – erst im Zusammenhang mit der Lieferung von Rollbehälterschürzen – der Vertrag mit der Klägerin datiert aus Mai 2016 – zusichern lässt.
- bb)
Auch im Übrigen sieht die Kammer keine auf eine irgendwie geartete Vereinbarung, ob ausdrücklich oder stillschweigend, zurückgehende Nutzungsberechtigung. - aaa)
Insoweit begegnet es bereits Bedenken, dass die Beklagte ihren Vortrag schon nicht erkennbar an eine Willensäußerung oder zumindest an einen hinreichend konkreten Realakt der Klägerin und/ oder der A knüpft, denen der von der Beklagten behauptete Bedeutungsgehalt – Einräumung einer Nutzungsberechtigung – beigemessen werden könnte. Im Beklagtenvorbringen heißt es insoweit lediglich, die A habe das Muster bereits deutlich vor der Anmeldung erhalten. Demzufolge sei die A ihrerseits zur Nutzung berechtigt. Dies ergebe sich einerseits aus dem Rahmenvertrag und gleichzeitig aber auch aus der Zusammenarbeit mit den an der Ausschreibung beteiligten Unternehmen (Schriftsatz v. 28.10.2021, S. 3, unter Ziff. 4., Bl. 159 GA). Sofern die Beklagte die Berechtigung der A weiter daraus herleitet, dass sie Dritte mit der Lieferung der Rollbehälterschürzen beauftragen darf, ist dazu bereits zuvor unter lit. aa), bbb), (2) ausgeführt worden. - bbb)
Aus dem Vorbringen der Beklagten ergibt sich aber auch nicht, dass die Lehre des Klagegebrauchsmusters aus einer gemeinsamen Entwicklungstätigkeit der A und der Klägerin hervorgegangen ist, die ein von der Klägerin als potenzielle Vertragspartnerin anzuerkennendes Interesse von A an der Beteiligung an dem entstandenen technischen Schutzrecht aufzeigt und hiervon ausgehend die Behauptung einer irgendwie gearteten Nutzungsrechtseinräumung an die A durch die Klägerin trägt. - Der in diesem Zusammenhang maßgebliche Vortrag der Beklagten lautet, die Rollbehälterschürzen seien in gemeinsamen Gesprächen, Erprobungen, Produktvorstellungen und dergleichen entwickelt worden (Duplik v. 09.09.2021, S. 14, 1. Abs., Bl. 127 GA). Der Entwicklungsprozess sei dadurch gekennzeichnet, dass es einen Austausch von Gedanken und Überlegungen zwischen den beteiligten Unternehmen und der A gegeben habe (a.a.O.). Als Ergebnis der gemeinsamen Entwicklungstätigkeit habe dann die Ausschreibung der A gestanden (a.a.O.). Genau diese Situation erfasse die Regelung in dem Vertrag (a.a.O.) [gemeint ist der Rahmenvertrag]. Selbstverständlich erwarte die A, dass sie an denjenigen Arbeitsergebnissen, an deren Erstellung sie mitgewirkt habe – wie hier -, auch umfassende Nutzungsrechte erwerbe (a.a.O.). Weiter trägt die Beklagte vor, die A habe einen erfindungsgemäßen Gegenstand gemeinsam mit allen Anbietern entwickelt und dabei die entsprechenden technischen Vorgaben gemacht und auch die jeweiligen Entwicklungsschritte mit den Anbietern geteilt (Schriftsatz v. 28.10.2021, S. 3, unter Ziff. 3., Bl. 159 GA).
- Ausgangspunkt der Würdigung des so gehaltenen Sachvortrags der Beklagten analog § 286 Abs. 1 Satz 1 ZPO ist, dass nicht jede Mitwirkung/ Veranlassung einer Entwicklungstätigkeit aus der Sicht der Beteiligten das Interesse begründet, sämtliche Mitwirkende an einem in diesem Zusammenhang entstehenden technischen Schutzrecht zu beteiligen. Denkbar ist vielmehr auch, dass eine Entwicklungstätigkeit derart angestoßen wird, dass eine Partei an einen zu entwickelnden Gegenstand Anforderungen allgemeiner Art stellt – etwa vorgibt, was dieser zu leisten im Stande sein müsse –, ohne dass damit bereits konkrete technische Lösungsvorschläge verbunden sind, die noch dazu im Ergebnis in eine dem Gebrauchsmuster- oder Patentschutz zugängliche Erfindung münden. Liegt dann weiter in einer solchen Konstellation die Entwicklungsarbeit im Wesentlichen in der Hand einer Partei, die etwa auch die sachlichen und personellen Mittel für diese zur Verfügung stellt und/ oder das technische Knowhow einbringt, besteht für die Annahme eines berechtigten Interesses der die Entwicklungsarbeit veranlassenden Partei, welches die Nutzungsrechtseinräumung auch an der technischen Lehre als solcher (nicht an dem einzelnen Gegenstand, in dem diese Lehre verkörpert ist), grundsätzlich kein Raum. Das stellt sich auch nicht dann zwingend anders dar, wenn während der Entwicklungstätigkeit ein Austausch mit dem „Auftraggeber“ stattfinden, in dessen Rahmen dieser entweder zu erkennen gibt, dass er mit dem bisherigen Entwicklungsfortschrift einverstanden ist oder aber seine Vorgaben in irgendeiner Form weiter konkretisiert.
- Die Kammer kann auf der Grundlage des Vortrags der Beklagten das Vorliegen eines solchen Sachverhalts nicht ausschließen, mehr noch erscheint er ihr eher wahrscheinlich.
- (1)
Die Beklagte nimmt im Rahmen ihrer Klageerwiderung genau solche Anforderungen der A an einen Gegenstand in Bezug, für den erst noch technische Lösungsvorschläge entwickelt werden müssen. Darin heißt es, die A habe 2014/2015 eine Weiterentwicklung der Schürzen verlangt, so dass diese mithilfe eines geringeren Gewichts leichter handhabbar seien (Klageerwiderung v. 23.12.2020, S. 5 unter Ziff. 3., Bl. 44 GA). Weiter habe eine Anpassung der Schürzenbreite an geänderte Maße des Rollwagens sowie die Durchsichtigkeit der Schürzen erfolgen sollen (a.a.O.). - (2)
Dass – was die Beklagte behauptet hat – die Ausschreibung das Ergebnis einer gemeinsamen Entwicklungstätigkeit sei, lässt sich jedenfalls den mit dem Anlagenkonvolut B13 (dort Anlage 11) vorgelegten Ausschreibungsunterlagen (Stand: 22.05.2015) mit dem Titel „XXX“ nicht entnehmen. Denn sie enthalten keine konkreten technischen Vorgaben, erst recht nicht solche, die die erfindungsgemäßen Merkmale begründen. In Entsprechung des Bildes, welches sich für die Kammer bis dato ergibt, lesen sich diese wie ein allgemein gehaltenes Anforderungsprofil. - Der Beschreibung der „wesentlichen Aufgabe“ unter Ziffer 1.3 (Anlage B13, Anlage 11, S. 5) lassen sich die bereits durch das Beklagtenvorbringen in Bezug genommenen allgemeinen Anforderungen an eine modifizierte Rollbehälterschürze, beispielsweise eine sichere und effiziente Handhabung oder eine Anbringungsmöglichkeit an Rollbehälter mit unterschiedlichen Maßen, entnehmen. Weiter ist in den Ausschreibungsunterlagen eine Darstellung „grundsätzlicher Anforderungen an Transportbetriebsmittel“ enthalten (Anlage B13, Anlage 11, S. 9, Ziff. 3.3.). Einleitend mit dem Passus „Folgende allgemeine Anforderungen sind bei der Entwicklung und Herstellung zu berücksichtigen“ finden dann allgemeine Zielvorgaben an die Entwicklung der Schürzen, wie etwa die Bedienerfreundlichkeit oder die platzsparende Lagerung der Schürzen, eine Erwähnung. In der Folge wird dann mit einem vergleichbar geringen Detailgrad zu „funktionalen/ betrieblichen Anforderungen“ (Anlage B13, Anlage 11, S. 10, Ziff. 3.3.1) sowie zu „konstruktiven Anforderungen“ (Anlage B13, Anlage 11, S. 11, Ziff. 3.3.2) ausgeführt. In den konstruktiven Anforderungen heißt es zum Beispiel, die angebrachte Schürze müsse die in dem Rollwagen befindlichen Postzustellungen in jedem Betriebszustand halten und gegen Herausfallen sichern oder die Schürze solle einfach und sicher zu lösen sein. Im Übrigen lassen die Unterlagen erkennen, dass die Vorgaben der Post auch arbeitssicherheitsrechtliche und -medizinische Belange betreffen (vgl. z.B. Anlage B13, Anlage 11, S. 13, Ziff. 3.4).
- (3)
Die Kammer gewinnt auch aus den Aussagen der vernommenen Zeugen, die sich die Beklagte teilweise zu Eigen gemacht hat, keinen anderen Eindruck im Hinblick auf den hier zu würdigenden Sachvortrag. - Der Zeuge F hat bekundet, dass die Post im Rahmen der Präsentationsprotokolle festgehalten habe, was dem Lieferanten an Verbesserungspotenzial habe vermittelt werden sollen und wo Nacharbeitungsbedarf bestanden habe (Protokoll zur mündlichen Verhandlung v. 17.05.2022, S. 4, 3. Abs. und S. 9, 2. Abs., Bl. 280 GA, 4. Abs. und Bl. 286 GA, 2. Abs.). Weder aus der Aussage noch aus dem als Anlage B3 vorgelegten Protokoll ergibt sich aber, dass in dem Kontext konkrete technische Vorgaben gemacht worden sind. Die Aussage steht noch dazu in Verbindung mit einer Präsentation der Beklagten im März 2015, zu diesem Zeitpunkt aber lag bereits ein von der Beklagten hergestellter Prototyp mit den erfindungsgemäßen Merkmalen vor (dazu bereits zuvor unter Ziff. III., 2., a), bb), aaa)), ohne dass insoweit noch ein Zutun der A erkennbar wird. Die hier bereits im Zusammenhang mit der Schutzfähigkeit in Bezug genommenen E-Mails der A an die an dem Ausschreibungsverfahren beteiligten Unternehmen aus August 2015 (Anlage B15 und Anlage K13) ergeben insoweit kein anderes Bild. Auch sie sind der Präsentation der Prototypen nachgelagert und zeigen lediglich, dass die Post (doch wieder) zu einer Schürze ohne Stange optierte. Dass sie in diesem Kontext auch technische Überlegungen anstellte, rechtfertigt keine Wertung dahingehend, dass sie an der technischen Entwicklungsarbeit im Detail beteiligt war.
- Schließlich ergibt sich auch daraus, dass der Zeuge C sich dahingehend eingelassen hat, dass die A die führende Stelle sei, die die Vorgaben mache (Protokoll zur mündlichen Verhandlung v. 15.02.2022, S. 9, 1. Abs., Bl. 208 GA, 2. Abs.), nichts anderes. Diese Aussage fügt sich vielmehr in den hier bereits gewonnenen Eindruck der Kammer ein, dass nämlich die A die Zielvorgaben machte und insoweit auch bestimmte, welche technischen Ansätze weiterverfolgt werden sollten.
- b)
Die A ist auch nicht aufgrund eines privaten Vorbenutzungsrechts zur Benutzung der klagegebrauchsmustergemäßen Lehre berechtigt. - Ein Recht zur Benutzung der geschützten Erfindung kann sich unter anderem auch aus einem Vorbenutzungsrecht nach § 13 Abs. 3 GebrMG i. V. m. § 12 PatG ergeben (Scharen, ebd., § 10, Rn. 16). Gem. § 12 Abs. 1 Satz 1 PatG tritt die Wirkung des Patents gegenüber demjenigen nicht ein, der die Erfindung zur Zeit der Anmeldung – oder gem. § 12 Abs. 2 Satz 1 PatG im Prioritätszeitpunkt – bereits im Inland in Benutzung genommen oder die dafür erforderlichen Veranstaltungen getroffen hat. Unter den genannten Bedingungen ist der Vorbenutzer berechtigt, die Erfindung – ungeachtet des bestehenden Patents – für die Bedürfnisse seines eigenen Betriebs weiterhin zu benutzen (OLG Düsseldorf, GRUR 2018, 814, Rn. 89 – Schutzverkleidung für funktechnische Anlagen).
- Der Erwerb des Vorbenutzungsrechts setzt zunächst – über den Wortlaut des § 12 PatG hinaus – voraus, dass der Handelnde selbstständig Erfindungsbesitz erlangt und diesen redlich erworben hat (BGH, GRUR 1960, 546 (548) – Bierhahn; OLG Düsseldorf, GRUR 2018, 814, Rn. 91 – Schutzverkleidung für funktechnische Anlagen). Das Entstehen eines Erfindungsbesitzes verlangt – wie der Wortlaut des § 12 Abs. 1 Satz 1 PatG vorgibt – weiter eine Betätigung des Erfindungsbesitzes.
- Hier fehlt es bereits an einem Erfindungsbesitz der A.
- Erfindungsbesitz hat, wer auf Grund eigener Erkenntnis oder die eines für ihn handelnden Gehilfen weiß, welche Maßnahmen er treffen muss, um zum erfindungsgemäßen Erfolg zu gelangen. Dieses Wissen ist gegeben, wenn die sich aus Aufgabe und Lösung ergebende technische Lehre objektiv fertig und subjektiv erkannt worden ist, dass und wie eine tatsächliche Ausführung möglich ist (BGH, GRUR 2012, 895, Rn. 18 – Desmopressin).
- Die Beklagte meint, aus der Vernehmung des Zeugen C würden sich Anhaltspunkte dafür ergeben, dass die A bereits vor dem Prioritätstag einen Gegenstand entwickelt habe, der der klagegebrauchsmustergemäßen Lehre entspreche.
- Ausgehend hiervon vermag aber die Kammer nicht davon auszugehen, dass die A einen das Vorbenutzungsrecht begründenden Erfindungsbesitz hatte.
- Die A ist unter der Präsentation im März 2015 durch die Beklagte in Kenntnis eines erfindungsgemäßen Gegenstandes gesetzt worden (vgl. dazu zuvor unter Ziff. III., 2., lit. a), bb), aaa)). Diese Kenntnis aber geht nicht hinreichend sicher auf eine eigenständige Entwicklungstätigkeit der A zurück, vielmehr liegt nahe, dass diese auf die Entwicklungsarbeit der Beklagten nach allgemeinen Vorgaben der A zurückgeht. Diesbezüglich wird auf die vorherigen Ausführungen (unter lit. a), bb), bbb)) zu einer etwaigen vertraglichen Nutzungsberechtigung der A aufgrund einer gemeinsamen Entwicklungstätigkeit Bezug genommen.
- Zwar kann grundsätzlich auch derjenige, der eine von einem Dritten gemachte und mitgeteilte Erfindung ausführt, ein Vorbenutzungsrecht erwerben (OLG Karlsruhe, GRUR 1983, 67 (69)), was auch bereits aus § 12 Abs. 1 Satz 4 PatG folgt. Dies setzt aber voraus, dass der Benutzer sich aufgrund der Umstände auch für befugt halten durfte, von der von ihm erkannten Lehre Gebrauch zu machen (BGH, GRUR 2010, 47, Rn. 19 – Füllstoff). Daran fehlt es in einem Fall, in dem der Erfinder und der Benutzer in vertraglicher Beziehung stehen und der Erfindungsbesitz im Zusammenhang mit der Erfüllung dieses Vertrags erlangt wurde (BGH, ebd., Rn. 18).
- So verhält es sich hier.
- Der A ist der Prototyp 2 mitgeteilt worden, weil die Beklagte Entwicklungsarbeit für die von der A angestrebte Modifikation der Rollbehälterschürzen geleistet hat. Hierbei ist weder erkennbar, dass die A sich derart an der Entwicklungsarbeit beteiligt hat, dass ihr nach dem zumindest stillschweigenden Willen der A und der Beklagten eine Berechtigung an der Erfindung zustehen sollte, noch ist erkennbar, dass eine solche Berechtigung mit Abschluss des zwischen der Beklagten und der A im Juni 2018 geschlossenen Rahmenvertrags (Anlage B6), der zeitlich zudem nach dem hier maßgeblichen Anmeldetag des Klagegebrauchsmusters liegt, eingeräumt werden sollte. Auf die hier entsprechend geltenden Ausführungen zur Nutzungsrechtseinräumung durch den Rahmenvertrag zwischen der Klägerin und der A (unter lit. a), aa)) wird insoweit Bezug genommen.
- Aus denselben Gründen kann sich die A auch dann nicht auf ein Vorbenutzungsrecht berufen, wenn ihr eine erfindungsgemäße Rollbehälterschürze vor dem Anmeldetag des Klagegebrauchsmusters durch die Klägerin zur Kenntnis gebracht worden ist.
- V.
Die Beklagte verfügt auch ihrerseits nicht über eine Berechtigung zur Benutzung der klagegebrauchsmustergemäßen Lehre. - 1.
Ein Vertragsverhältnis, welches unmittelbar zwischen der Klägerin und der Beklagten besteht, behauptet die Beklagte schon nicht. Sie bringt vielmehr vor, dass die Beklagte eine Nutzungsberechtigung von der A ableite. Da jedoch die A weder vertraglich noch gesetzlich (§ 13 Abs. 3 GebrMG i. V. m. § 12 PatG) zur Nutzung der geschützten Lehre berechtigt ist (dazu zuvor unter Ziff. IV., 3.), scheidet eine von dieser abgeleitete Nutzungsberechtigung aus. - 2.
Die Beklagte ist zur Benutzung der durch das Klagegebrauchsmuster geschützten Lehre auch nicht aufgrund eines in ihrer Person entstandenen privaten Vorbenutzungsrechts gem. § 13 Abs. 3 GebrMG i. V. m. § 12 PatG berechtigt. - a)
Insoweit ist zunächst zu berücksichtigen, dass die Beklagte selbst nicht geltend macht, ein privates Vorbenutzungsrecht in ihrer Person erworben zu haben. Die Beklagte macht – wozu (unter Ziff. IV., 3., lit. b)) bereits ausgeführt worden ist – vielmehr geltend, ein privates Vorbenutzungsrecht sei auf Seiten der A entstanden. Die Kammer konnte jedoch nicht erkennen, dass die A selbstständig in Kenntnis der geschützten Lehre gelangt ist bzw., dass die Beklagte insoweit als ihr Gehilfe fungierte. Aus der so zusammengefassten Würdigung der Kammer ergibt sich indes, dass ein eigenes privates Vorbenutzungsrecht der Beklagten zu erwägen ist. In diesem Zusammenhang ist insbesondere auch die zur offenkundigen Vorbenutzung durchgeführte Beweisaufnahme zu würdigen (Kühnen, Hdb. der Patentverletzung, 14. Auflage, 2022, Kap. E., Rn. 602). - b)
Die Kammer nimmt zwar an, dass die Beklagte in dem hier maßgeblichen Zeitpunkt (29.07.2016) Erfindungsbesitz hatte, wobei insoweit auf die Ausführungen unter Ziffer III. 2., lit. a), bb), aaa)) Bezug genommen wird. Die Kammer konnte indes keine Überzeugung davon gewinnen, dass die Beklagte den Erfindungsbesitz auch betätigt hat. - Die Betätigung des Erfindungsbesitzes kann entweder dadurch geschehen, dass der Verletzer in vorprioritärer Zeit Benutzungshandlungen im Inland vorgenommen hat, oder aber – wenn es im Prioritätszeitpunkt zu solchen Benutzungshandlungen noch nicht gekommen ist – subsidiär (vgl. etwa OLG Düsseldorf, ebd., Rn. 95) jedenfalls Veranstaltungen zur alsbaldigen Aufnahme der Benutzung getroffen hat.
- Eine Betätigung des Erfindungsbesitzes liegt weder unter dem Gesichtspunkt der Benutzung (dazu unter lit. aa)) noch unter dem Gesichtspunkt der Vornahme von Veranstaltungen zur alsbaldigen Benutzungsaufnahme (dazu unter lit. bb)) vor.
- aa)
Die Beklagte hat ihren Erfindungsbesitz nicht durch Benutzung betätigt. - Eine Benutzungshandlung liegt insbesondere nicht in der Form der Präsentation des Prototypens 2 im März 2015 vor.
- Der Begriff der Benutzung in § 12 Abs. 1 Satz 1 PatG orientiert sich an demjenigen der § 9, 10 PatG (OLG Düsseldorf, ebd., Rn. 94). Da diese untereinander gleichwertig sind, genügt die Vornahme einer Benutzungsart (a.a.O.). Die Benutzungshandlung muss jedoch „die Ernsthaftigkeit einer gewerblichen Nutzungsabsicht in die Tat umsetzen“ (OLG Düsseldorf, Urt. v. 26.10.2006, Az.: I-2 U 109/03, Rn. 30 und Rn. 37, zitiert nach BeckRS 2008, 5802), woran es bei der einmaligen Herstellung eines unverkäuflichen Modells oder eines noch zu testenden Prototypen (a.a.O.) oder bei der Anfertigung einer Null-Serie, in Bezug auf die eine Entscheidung über ihre gewerbliche Umsetzung am Prioritätstag noch nicht getroffen ist, fehlt (Kühnen, ebd., Kap. E., Rn. 571).
- Nach dieser Maßgabe fehlt es im Zusammenhang mit der Präsentation des Prototypens 2 im März 2015 an einer ernsthaften gewerblichen Nutzungsabsicht.
- Im Rahmen der Präsentation wurden der A nach dem eigenen Vorbringen der Beklagten vier Prototypen vorgestellt. Aus dem Präsentationsprotokoll geht hervor, dass während der Besichtigung jedenfalls zunächst eine Entscheidung für den sog. Prototypen 3 erfolgte (vgl. Anlage B3, S. 4, Z. 3), in dem die erfindungsgemäßen Merkmale unstreitig nicht verkörpert sind. Zwar haben die Zeugen bestätigt, dass mit der vorläufigen Entscheidung für den Prototypen 3 eine endgültige Ablehnung der übrigen Prototypen noch nicht verbunden war (Protokoll zur mündlichen Verhandlung v. 15.02.2022, S. 9, 5. Abs., Bl. 208 GA, 3. letzter Abs.; Protokoll v. 17.05.2022, S. 8, 2. Abs., Bl. 284 GA, letzter Abs.). In einem Offenhalten im Hinblick auf technisch abweichende Ausgestaltungen kommt aber gerade noch keine ernste Nutzungsabsicht für eine bestimmte Ausführungsform zum Ausdruck.
- Weder der Vortrag der Beklagten noch die Zeugenvernehmung haben darüber hinaus konkrete Handlungen erkennen lassen, im Hinblick auf welche eine ernsthafte Absicht zur gewerblichen Benutzung hervortritt.
- Das gilt weiter auch für den hier bereits im Zusammenhang mit der offenkundigen Vorbenutzung (unter Ziff. III., 2., a), ee)) in Bezug genommenen E-Mail-Verkehr zwischen Herrn G und Herrn H (Anlage B5). Unbeschadet dessen, dass dieser die Frage nach einer Benutzungshandlung gerade im Inland aufwirft, hat dieser Prototypen zum Gegenstand, im Hinblick auf welche eine gewerbliche Nutzungsabsicht gerade noch nicht erkennbar ist.
- bb)
Die Kammer kann auch nicht feststellen, dass die Beklagte ihren Erfindungsbesitz dadurch betätigt hat, dass sie Veranstaltungen zur alsbaldigen Benutzungsaufnahme getroffen hat. - Veranstaltungen zur alsbaldigen Aufnahme der Benutzung setzen voraus, dass der Verletzer – erstens – den festen und endgültigen Entschluss gefasst hat, die Erfindung gewerblich zu benutzen, und dass er – zweitens – solche Vorkehrungen (technischer oder kaufmännischer Art) getroffen hat, die die alsbaldige Umsetzung dieses Entschlusses in die Tat vorbereiten (BGH, GRUR 1969, 35 (36) – Europareise; OLG Düsseldorf, ebd., Rn. 95). Handlungen, die eine noch ungewisse zukünftige Benutzung vorbereiten und die erst Klarheit darüber schaffen sollen, ob die gemachte Erfindung im Inland gewerblich benutzt werden kann und/ oder soll, die also dazu dienen, den auf die gewerbliche Benutzung der Erfindung im Inland gerichteten Willen erst zu bilden, sind keine Veranstaltungen im Sinne von § 12 PatG (BGH, GRUR 1969, 35 (36f.) – Europareise). Maßgeblich ist, ob die gesamten Umstände für einen unbefangenen Betrachter erkennen lassen, dass die Benutzungsaufnahme bevorsteht (Kühnen, ebd., Kap. E., Rn. 571). Das Gesamtverhalten vor der Anmeldung (bzw. vor dem Prioritätstag) ist für die Beurteilung der Frage heranzuziehen, ob im Anmeldezeitpunkt der ernstliche Wille zur alsbaldigen Benutzung der Erfindung erkennbar war (Scharen, ebd., § 12, Rn. 13).
- Solche Voraussetzungen ergeben sich aus der Vernehmung der Zeugen unter Berücksichtigung des gesamten Inhalts der Verhandlung nicht.
- Die Entscheidung auf Seiten der Beklagten zur gewerblichen Benutzung der angegriffenen Ausführungsform (im Inland) hing nach dem sich hier darbietenden Sachverhalt von der Beauftragung der A mit der Lieferung solcher Schürzen ab. Die Beklagte selbst trägt vor, die angegriffenen Rollbehälterschürzen innerhalb des Gebiets der Bundesrepublik Deutschland ausschließlich an die A zu vertreiben. Dass die Beklagte in der Vergangenheit hiervon losgelöst Bestrebungen zur gewerblichen Benutzung des vorbenutzten Gegenstandes hatte, ist nicht erkennbar. Die erste Beauftragung der Beklagten mit der Lieferung der angegriffenen Rollbehälterschürzen durch die A erfolgte im September 2017 und damit nach dem hier maßgeblichen Anmeldetag des Klagegebrauchsmusters (29.06.2016).
- VI.
Der Geltendmachung der Rechte aus dem Klagegebrauchsmuster steht auch vorliegend nicht der allgemeine Arglisteinwand des § 242 BGB i. V. m. § 13 Abs. 2 GebrMG entgegen. - Die Beklagte macht insoweit den Einwand der widerrechtlichen Entnahme geltend und stützt sich insbesondere darauf, dass die Klägerin das Klagegebrauchsmuster zum Schutzrecht angemeldet habe, obwohl die A materiell Berechtigte sei.
- Dem vermag die Kammer nicht zu folgen.
- Dabei kann im Ergebnis dahinstehen, ob sich die Beklagte als Dritter überhaupt darauf berufen kann, dass die A Betroffene einer widerrechtlichen Entnahme ist. Die Einwendung erwächst aus der persönlichen Beziehung zwischen dem Patentinhaber und dem Geschädigten – hier der A –, weshalb ein Dritter, der selbst durch die Entnahme nicht verletzt ist, diesen Einwand nicht erheben kann (Kühnen, ebd., Kap. E., Rn. 656).
- Vorliegend ist jedenfalls ein Entnahmesachverhalt nicht dargetan.
- Für einen solchen kommt es entscheidend darauf an, dass die Klägerin im Hinblick auf die Lehre des Klagegebrauchsmusters materiell Nichtberechtigte ist und dass sie vor der Anmeldung des Klagegebrauchsmusters Kenntnis von einem erfindungsgemäßen Gegenstand erlangt hat (dazu grundsätzlich BGH, GRUR 2005, 567 – Schweißbrennerreinigung).
- Dies ergibt sich aus dem Beklagtenvorbringen nicht.
- Hieran fehlt es unabhängig davon, ob die Entwicklung des erfindungsgemäßen Gegenstandes jedenfalls auch der A zuzuordnen ist – was die Kammer hier nicht sieht (dazu bereits unter Ziff. IV., 3., a), bb), bbb)) – oder ob man – wie die Kammer zuvor unter Ziff. V., 2., lit. a)) – der Beklagten die Entwicklung eines solchen in Form des Prototypens 2 zuordnet.
- Die Kammer kann nicht erkennen, dass die Klägerin vor der Anmeldung des Klagegebrauchsmusters Kenntnis von einem von einem Dritten geschaffenen erfindungsgemäßen Gegenstands hatte. Eine solche Kenntnis ergibt sich nicht daraus, dass die A gegenüber den an der Entwicklung beteiligten Unternehmen technische Vorgaben gemacht hat, die die Merkmale erkennen lassen. Insbesondere enthalten die Ausschreibungsunterlagen (Anlage B13, Anlage 11) solche konkreten Vorgaben nicht. Eine solche Kenntnis der Klägerin lässt sich auch nicht daraus ableiten, dass der Klägerin der Prototyp 2 vor der Anmeldung des Klagegebrauchsmusters bekannt wurde. Denn auch dafür gibt es keine hinreichenden Anhaltspunkte. Es ist nicht dargetan, dass die Unternehmen, die an der Modifikation der Rollbehälterschürze für die A arbeiteten, derart zusammenwirkten, dass sie gegenseitig über die entworfenen Prototypen informiert worden sind. Auch die hier bereits im Zusammenhang mit einer offenkundigen Vorbenutzungshandlung erörterten E-Mails der A an die Klägerin aus August 2015 (Anlage KR13) gibt solche Anhaltspunkte nicht her. Denn diese offenbarte weder sämtliche erfindungsgemäßen Merkmale noch enthält sie eine ausführbare Lehre (vgl. dazu unter Ziff. III., 2., lit. a), cc), aaa)).
- Nach alledem verbleibt die Möglichkeit, dass die Klägerin einen erfindungsgemäßen Gegenstand ganz unabhängig von der Entwicklungsarbeit der Beklagten oder eines anderen Dritten entworfen hat.
- VII.
Der Klägerin stehen die geltend gemachten Ansprüche in dem begehrten Umfang zu. - 1.
Die Beklagten sind gem. § 24 Abs. 1 Satz 1 GebrMG zur Unterlassung in dem von der Klägerin begehrten Umfang verpflichtet. - Eine mittelbare Patent- bzw. Gebrauchsmusterverletzung löst nicht in jedem Fall eine unbedingte Unterlassungsverurteilung (sog. „Schlechthin-Verbot“) aus. Grundsätzlich erfolgt ein solch umfassendes Unterlassungsgebot aber dann, wenn das angebotene oder gelieferte Mittel – technisch und wirtschaftlich sinnvoll – ausschließlich in schutzrechtsverletzender Weise eingesetzt werden kann (BGH, GRUR 2006, 839, Rn. 27 – Deckenheizung). Darlegungs- und beweisbelastet für eine schutzrechtsfreie Benutzungsmöglichkeit ist der klagende Schutzrechtsinhaber, der ein Schlechthin-Verbot einfordert, wobei insoweit zunächst die – auch hier von der Klägerin vorgebrachte – pauschale Behauptung ausreichend ist, dass es an einer schutzrechtsfreien Verwendungsmöglichkeit fehle (Kühnen, ebd., Kap. A., Rn. 545). Es obliegt sodann dem Verletzer eine konkrete schutzrechtsfreie Verwendungsmöglichkeit darzutun (a.a.O.).
- Daran fehlt es vorliegend.
- Die Beklagte hat konkrete gebrauchsmusterfreie Verwendungsmöglichkeiten mit ihrem Vortrag, die angegriffene Ausführungsform könne auch bei anderen Rollwagen zum Einsatz kommen, die nicht zwingend die Merkmale nach Anspruch 1 des Klagegebrauchsmusters erfüllen, nicht aufgezeigt.
- 2.
Die Beklagte ist der Klägerin gem. § 24b GebrMG, §§ 242, 259 BGB zur Auskunftserteilung und Rechnungslegung verpflichtet. - Soweit die Auskunftserteilung Angaben über die Herkunft und den Vertriebsweg der angegriffenen Ausführungsform betrifft, besteht der Anspruch gem. § 24b Abs. 1 GbrMG aufgrund der festgestellten Rechtsverletzung. Eine Unverhältnismäßigkeit der Auskunftserteilung im Sinne von § 24b Abs. 4 GebrMG ist nicht erkennbar.
- Auf die darüber hinausgehenden Angaben hat die Klägerin einen Anspruch gem. §§ 242, 259 BGB. Sie ist auf diese Angaben, über die sie ohne eigenes Verschulden nicht verfügt, zur Bezifferung des ihr zustehenden Schadensersatzanspruchs (dazu nachfolgend unter Ziff. 3.) angewiesen. Die Beklagte wird durch die Auskunftserteilung auch nicht erkennbar unzumutbar belastet.
- 3.
Ein Anspruch Klägerin auf Schadensersatz ergibt sich aus § 24 Abs. 2 GebrMG. - Die Beklagte war bei Anwendung der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt (§ 276 BGB) gehalten, zu überprüfen, ob die angegriffene Ausführungsform Schutzrechte Dritter verletzt.
- Die genaue Schadenshöhe steht derzeit noch nicht fest. Da es jedoch ausreichend wahrscheinlich ist, dass der Klägerin durch die rechtsverletzenden Handlungen der Beklagten ein Schaden entstanden ist und dieser von der Klägerin noch nicht beziffert werden kann, weil sie ohne eigenes Verschulden in Unkenntnis über den Umfang der Benutzungs- und Verletzungshandlungen ist, ist ein rechtliches Interesse der Klägerin an einer Feststellung der Schadenersatzverpflichtung dem Grunde nach anzuerkennen, § 256 ZPO.
- B.
Aufgrund der Verletzung des Klagepatents, zu dessen Benutzung die Beklagte unter keinem rechtlichen Gesichtspunkt berechtigt ist, stehen der Klägerin die Ansprüche auf Unterlassen, Auskunftserteilung und Rechnungslegung sowie Feststellung einer Schadensersatzpflicht dem Grunde nach zu, Art. 64 Abs. 1 EPÜ i. V. m. § 139 Abs. 1, Abs. 2, § 140b Abs. 1, 3 PatG, §§ 242, 259 BGB. - Eine Aussetzung der Verhandlung ist nicht geboten.
- I.
Im Hinblick auf den dem Klagepatent zugrunde liegenden Stand der Technik kann im Wesentlichen auf die Ausführungen zu dem Klagegebrauchsmuster (unter Pkt. A., Ziff. I.) verwiesen werden. Das Klagepatent nennt in seinem Abschnitt [0004] als gattungsbildenden Technikstand lediglich weiter noch die DE 20 2015 XXX 362 U1 (vorgelegt als Anlage B11). - II.
Die angegriffene Ausführungsform verletzt auch die Lehre des Klagepatents in der hier geltend gemachten Fassung mittelbar, § 10 PatG. Aufgrund der identischen Fassung von Klagegebrauchsmuster und Klagepatent kann auf die diesbezüglichen Ausführungen zur Verletzung des Klagegebrauchsmusters (unter Pkt. A., Ziff. IV.) verwiesen werden. Die Beklagte ist aus den bereits im Zusammenhang mit dem Klagegebrauchsmuster dargestellten Gründen (unter Pkt. A., Ziff. V.) auch unter keinem rechtlichen Gesichtspunkt zur Benutzung der Lehre berechtigt. Auch kann die Beklagte der Klägerin nicht den Einwand der widerrechtlichen Entnahme entgegenhalten. Auf die entsprechenden Ausführungen im Zusammenhang mit der Verletzung des Klagegebrauchsmusters (unter Pkt. A., Ziff. VI.) wird verwiesen. - III.
Der Klägerin stehen die geltend gemachten Ansprüche in dem begehrten Umfang zu. - 1.
Ein Anspruch auf Unterlassung ergibt sich aus Art. 64 Abs. 1 EPÜ i. V. m. § 139 Abs. 1 PatG. - Wegen der Verurteilung zu einem vollumfänglichen Unterlassen wird auf die Ausführungen zur Verletzung des Klagegebrauchsmusters (unter Pkt. A., Ziff. VII., 1.) verwiesen. Diese gelten hier entsprechend.
- 2.
Der Anspruch der Klägerin auf Auskunftserteilung und Rechnungslegung folgt aus Art. 64 Abs. 1 EPÜ i. V. m. §§ 242, 259 BGB. - Zur weitergehenden Begründung wird auf die hier entsprechend geltenden Ausführungen zum Klagegebrauchsmuster (unter Pkt. A., Ziff. VII., 2.) verwiesen.
- 3.
Der Anspruch der Klägerin auf Schadensersatz folgt aus Art. 64 Abs. 1 EPÜ i. V. m. § 139 Abs. 2 PatG. - Zur Begründung wird auf die entsprechenden Ausführungen zum Klagegebrauchsmuster (unter Pkt. A., Ziff. VII., 3.) Bezug genommen.
- IV.
Eine Aussetzung der Verhandlung gem. § 148 Abs. 1 ZPO wegen des anhängigen Rechtsbestandsverfahrens ist nicht geboten. - 1.
Nach § 148 Abs. 1 ZPO kann das Gericht bei der Vorgreiflichkeit eines anderen Verfahrens einen Rechtsstreit aussetzen. Die Vorgreiflichkeit ist aufgrund der Verletzung des Klagepatents hinsichtlich des gegen dieses anhängigen Einspruchsverfahrens gegeben. Die Existenz des Rechtsbestandsverfahrens als solches stellt jedoch ohne weiteres noch keinen Grund dar, den Verletzungsrechtsstreit auszusetzen. Die Patenterteilung ist auch für die (Verletzungs-) Gerichte bindend. Wegen der gesetzlichen Regelung, die für die Ansprüche nach §§ 139ff. PatG lediglich ein in Kraft stehendes Patent verlangt und für die Beseitigung dieser Rechtsposition nur die in die ausschließliche Zuständigkeit des Patentgerichts fallende Nichtigkeitsklage bzw. das in die Zuständigkeit des Patentamtes fallende Einspruchsverfahren zur Verfügung stellt, kann der Angriff gegen das Klagepatent nicht als Einwand im Verletzungsverfahren geführt werden. Jedoch darf dies nicht dazu führen, dass diesem Angriff jede Auswirkung auf das Verletzungsverfahren versagt wird. Die Aussetzung des Verletzungsstreits im Rahmen der nach § 148 ZPO zu treffenden Ermessensentscheidung ist vielmehr grundsätzlich, aber auch nur dann geboten, wenn mit hinreichender Wahrscheinlichkeit zu erwarten ist, dass das Klagepatent der erhobenen Nichtigkeitsklage oder dem erhobenen Einspruch nicht standhalten wird (BGH, GRUR 2014, 1237 (1238) – Kurznachrichten; OLG Düsseldorf, GRUR-RS 2015,18679, Rn. 74). - Dies ist hier nicht der Fall.
- 2.
Die Kammer vermag eine Vernichtung des Klagepatents nicht mit der für eine Aussetzung erforderlichen Wahrscheinlichkeit anzunehmen. - Insoweit wird im Wesentlichen auf die Ausführungen zur Schutzfähigkeit des Klagegebrauchsmusters (unter Pkt. A., Ziff. III.) verwiesen, wonach die Kammer die Schutzfähigkeit des Klagegebrauchsmusters festgestellt hat. Die dortigen Ausführungen gelten hier entsprechend. Soweit eine unzulässige Erweiterung der eingetragenen Fassung in Rede steht, macht die Beklagte keine anderen Unterschiede zwischen den das Klagepatent betreffenden ursprünglichen Offenbarungsunterlagen, insbesondere der WO 2018/XXX A1 (Anlage B9), und der erteilten Fassung geltend als im Zusammenhang mit dem Klagegebrauchsmuster. Sie weist auch insoweit auf keinen abweichenden Offenbarungsgehalt dieser Unterlagen im Vergleich zu denjenigen, die für das Klagegebrauchsmuster maßgeblich sind, hin. Soweit die Beklagte geltend macht, eine unzulässige Erweiterung ergebe sich gegenüber der eingetragenen Fassung im Vergleich zu der hier beschränkend geltend gemachten Fassung, ergeben sich ebenfalls keine Unterschiede. Zudem ist bisher auch nicht erkennbar, dass sie diese Einwände bereits in dem das Klagepatent betreffenden Einspruchsverfahren gegen den dort als Hilfsantrag VIII. gestellten Antrag der Klägerin, der der hiesigen Fassung des Klagepatents entspricht, vorgebracht hat.
- Anlass zur Ergänzung besteht lediglich noch im Hinblick auf die als offenkundige Vorbenutzung in Bezug genommene Präsentation eines mit dem Prototypen 2 übereinstimmenden Gegenstandes bei der B AG in der Schweiz im Mai 2015. § 3 Abs. 1 Satz 2 PatG sieht für die patentrechtliche Neuheitsprüfung keine Beschränkung auf inländische offenkundige Vorbenutzungshandlungen vor. Eine Neuheitsschädlichkeit der in Rede stehenden Präsentation kann deshalb – anders als im Zusammenhang mit der gebrauchsmusterrechtlichen Neuheitsprüfung – nicht unter Verweis darauf verneint werden, dass sich die Präsentation in der Schweiz zugetragen hat.
- Gleichwohl veranlasst auch diese von der Beklagten behauptete Vorbenutzungshandlung eine Aussetzung nicht.
- Bedarf es – wie hier – im Hinblick auf eine eingewandte offenkundige Vorbenutzungshandlung im Rechtsbestandsverfahren eines noch nicht erhobenen Zeugenbeweises, weil der Nachweis allein mit liquiden Beweismitteln nicht geführt werden kann, rechtfertigt dies eine Aussetzung grundsätzlich nicht (Kühnen, ebd., Kap. E., Rn. 871). Denn für das Verletzungsgericht ist nicht vorhersehbar, in welcher Weise die benannten Zeugen überhaupt aussagen werden, und wie ihre Aussagen, sofern diese ergiebig sind, gewürdigt werden. Eine überwiegende Wahrscheinlichkeit für eine Vernichtung des Patents kann in diesen Konstellationen daher nicht angenommen werden (a.a.O.). Umstände, die es vorliegend rechtfertigen, ausnahmsweise eine Aussetzungsentscheidung zu treffen, sieht die Kammer nicht. Insbesondere ergibt sich aus dem Umstand, dass die Klägerin vorliegend eine gegenüber der erteilten Fassung des Klagepatents abweichende Fassung geltend macht, keine Reduzierung des Aussetzungsmaßstabes in einem Umfang, der trotz der unsicheren Prognose hinsichtlich des Ergebnisses der Beweisaufnahme im Rechtsbestandsverfahren eine Aussetzung rechtfertigt.2.Teil
Die zulässige Widerklage ist unbegründet. - A.
Der Beklagten steht ein Anspruch auf Schadensersatz wegen der ihr aus der Verteidigung gegen die Abmahnung der Klägerin entstandenen Kosten gem. § 823 Abs. 1 BGB nicht zu. - Die unberechtigte Schutzrechtsverwarnung aus einem gewerblichen Schutzrecht kann unter dem Gesichtspunkt eines rechtswidrigen und schuldhaften Eingriffs in das Recht am eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb einen Schadensersatzanspruch auslösen (BGH, GRUR 2020, 1116, Rn. 17 – unberechtigte Schutzrechtsverwarnung III).
- Vorliegend ist schon nicht zu erkennen, dass die durch die Klägerin ausgesprochene Abmahnung rechtswidrig erfolgte. Denn die angegriffene Ausführungsform verletzt das Klagegebrauchsmuster, ohne dass eine Berechtigung der Beklagten vorliegt. Der Klägerin steht mithin ein Anspruch auf Unterlassung zu. Zur Vermeidung von Wiederholungen wird auf die Ausführungen im 1. Teil unter Pkt. A. verwiesen.
- Die Kammer kann insbesondere auch nicht erkennen, dass die Abmahnung auf eine nicht schutzfähige Fassung des Gebrauchsmusters gestützt ist. Zwar sind der Anspruch des Klagegebrauchsmusters in der eingetragenen bzw. in der zur Gebrauchsmusterakte gereichten Fassung nach dem Ergebnis der hiesigen Beweisaufnahme aufgrund der offenkundigen Vorbenutzung in Form der von der Beklagten an die A gelieferten „alte“ Rollbehälterschürze neuheitsschädlich vorweggenommen. Denn diese zeigt die Merkmale (1) – (5) der hier geltend gemachten Anspruchsfassung. Auf die diesbezüglichen Ausführungen im 1. Teil unter Pkt. A., Ziff. III., 3., lit. a) wird Bezug genommen. Die Klägerin hat indes im Rahmen des hiesigen Klageverfahrens von Beginn an jedenfalls in Form eines „Insbesondere-Antrags“ auch eine Anspruchsfassung geltend gemacht, welche das Merkmal (6) der hiesigen Fassung enthält (vgl. Klageschrift v. 23.06.2020, S. 3, Bl. 3 GA). Dass sich dies in der Abmahnung anders verhielt, ist nicht dargetan. Eine derart abgefasste Abmahnung aber stellt sich als berechtigt dar (vgl. Kühnen, ebd., Kap. C., Rn. 148).
- B.
Da der Hauptanspruch nicht besteht, hat die Beklagte auch keinen Zinsanspruch gem. § 291 Abs. 1 ZPO.3. Teil
Der Beklagten war ein Schriftsatznachlass auf die Ausführungen der Klägerin in deren Schriftsatz vom 13.05.2022 (Vorbringen unter lit. d), Seite 9 bis Seite 10 bis zu dem Passus „Zeugnis des Herrn J, zu laden über die Klägerin“, Bl. 272f. GA) nicht zu gewähren, weil es auf dieses Vorbringen – wie aus der Urteilsbegründung hervorgeht – für die Entscheidung nicht ankam. - 4. Teil
Es bestand keine Veranlassung, die mündliche Verhandlung auf den nicht nachgelassenen Schriftsatz der Klägerin vom 20.06.2022 wiederzueröffnen, § 156 Abs. 1 ZPO. Dieser enthält im Wesentlichen Rechtsausführungen. Soweit dieser Tatsachenvortrag enthält, ist dieser für die Entscheidung nicht erheblich. - 5.Teil
Die Kostenentscheidung folgt aus § 91 Abs. 1 ZPO, die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 709 Satz 1 ZPO und – soweit die Vollstreckung der Kostenentscheidung betroffen ist – auf § 709 Satz 1, 2 ZPO. - 6.Teil
Der Streitwert wird gem. § 51 Abs. 1 i. V. m. § 39 Abs. 1 und § 45 Abs. 1 Satz 1 GKG auf EUR 2.507.291,01 festgesetzt. - Der Teilstreitwert für die auf die Verletzung des Klagegebrauchsmusters gestützten Ansprüche wird mit EUR 1.000.000,- angesetzt. Dies entspricht der Wertangabe der Klägerin bei Einleitung des Verfahrens. Eine Reduzierung des angegebenen Streitwerts nach der Klageerweiterung ist nicht angezeigt. Denn das Interesse der Klägerin im Hinblick auf die auf die Verletzung des Klagegebrauchsmusters gestützten Ansprüche erfährt dadurch, dass die Klage nunmehr auch auf eine Verletzung des Klagepatents gestützt wird, keine Änderung.
- Der Teilstreitwert für die auf die Verletzung des Klagepatents gestützten Ansprüche wird mit EUR 1.500.000,- angesetzt. Nach den eigenen Angaben der Klägerin beläuft sich ihr Interesse in diesem Zusammenhang auf den 1,5-fachen Wert des Streitwerts des Klagegebrauchsmusters. Dieses Verhältnis spiegelt sich auch in der gerichtlichen Bemessung des Streitwerts wider.
- Der Teilstreitwert für die Widerklage entspricht dem bezifferten Klageantrag.
- Von einer Addition der Teilstreitwerte der auf das Klagegebrauchsmuster und das Klagepatent gestützten Ansprüche ist nicht deshalb abzusehen, weil die beiden Schutzrechte in identischem Umfang geltend gemacht werden (Kühnen, ebd., Kap. J., Rn. 154).