I-2 U 36/17 – Zirkoniumoxid

Düsseldorfer Entscheidungen Nr. 3337

Oberlandesgericht Düsseldorf

Urteil vom 23. November 2023, I-2 U 36/17

Vorinstanz: 4b O 8/16

  1. I. Die Berufung der Beklagten zu 1. gegen das am 18. Juli 2017 verkündete Urteil der 4b. Zivilkammer des Landgerichts Düsseldorf wird mit der Maßgabe zurückgewiesen, dass
  2. 1. in Ziffer I.1. des Tenors hinter den Wörtern „eine spezifische Oberfläche von“ statt „wenigstens 25 m2/g“ eingefügt wird „zwischen 25 m2/g und 51 m2/g“,
  3. 2. in Ziffer I.1. des Tenors hinter lit. e) folgender Text eingefügt wird:
    „… mit Ausnahme derjenigen Zusammensetzungen, die im Zeitraum vom 01.01.2014 bis zum 28.06.2016 an Unternehmen der B-Gruppe geliefert wurden“ und
  4. 3. es in Ziffer I.1. hinter lit e) statt „sofern die Beklagten die durch dessen Einschaltung entstehenden Kosten übernehmen und ihn ermächtigen“ heißt: „sofern die Beklagte zu 1. die durch dessen Einschaltung entstehenden Kosten übernimmt und ihn ermächtigt“.
  5. II. Die Kosten des Rechtsstreits in erster Instanz werden – in Abänderung der landgerichtlichen Kostenentscheidung – wie folgt verteilt:
    Die Gerichtskosten und die außergerichtlichen Kosten der Klägerinnen tragen die Klägerinnen zu 55 % und die Beklagte zu 1. zu 45 %. Die außergerichtlichen Kosten der Beklagten zu 1. tragen die Klägerinnen zu 10 %. Im Übrigen findet eine Kostenerstattung nicht statt.
  6. III. Die Kosten des Berufungsverfahrens tragen die Klägerinnen zu 10 % und die Beklagte zu 1. zu 90 %.
  7. IV. Dieses Urteil und das Urteil des Landgerichts, letzteres im Umfang seiner Bestätigung, sind vorläufig vollstreckbar.
    Die Beklagte zu 1. darf die Zwangsvollstreckung der Klägerinnen gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 200.000,- EUR abwenden, wenn nicht die Klägerinnen vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leisten.
    Den Klägerinnen wird nachgelassen, die Zwangsvollstreckung der Beklagten zu 1. wegen ihrer Kosten durch Sicherheitsleistung in Höhe von 120 % des aufgrund dieses Urteils zu vollstreckenden Betrages abzuwenden, wenn nicht die Beklagte zu 1. vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.
  8. V. Die Revision wird nicht zugelassen.
  9. VI. Der Streitwert für die erste Instanz wird in Abänderung der landgerichtlichen Festsetzung auf 1.200.000,- EUR festgesetzt, wovon auf die Beklagte zu 1. und die Beklagte zu 2. jeweils 600.000,- EUR entfallen und wovon von diesen beiden Teilstreitwerten jeweils 300.000,- EUR auf jede Klägerin entfallen.
  10. VII. Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird auf 600.000,- EUR festgesetzt, wovon auf die Klägerinnen jeweils 300.000,- EUR entfallen.
  11. Gründe
  12. A.
    Die Klägerin zu 1. ist eingetragene Inhaberin des auch mit Wirkung für die Bundesrepublik Deutschland erteilten und in französischer Verfahrenssprache veröffentlichten europäischen Patents 0 863 XXA (nachfolgend: Klagepatent, Anlage rop C1). Aus diesem Schutzrecht nehmen sie und die Klägerin zu 2. die Beklagte zu 1. im Berufungsrechtszug noch auf Rechnungslegung, Auskunftserteilung, Rückruf der als patentverletzend angegriffenen Erzeugnisse sowie Feststellung ihrer Verpflichtung zum Schadensersatz in Anspruch.
    Die dem Klagepatent zugrundeliegende Anmeldung wurde am 28.06.1996 unter Inanspruchnahme einer französischen Priorität vom 03.07.1995 eingereicht. Der Hinweis auf die Patenterteilung wurde am 04.12.2002 im Patentblatt bekannt gemacht. Der deutsche Teil des Klagepatents wird beim Deutschen Patent- und Markenamt unter der Registernummer DE 696 25 XXB geführt. Mit Ablauf des 28.06.2016 ist das Klagepatent durch Zeitablauf erloschen.
    Auf eine von der Beklagten zu 1. erhobene Nichtigkeitsklage (3 Ni 6/15 [EP]) hat das Bundespatentgericht mit Urteil vom 25.10.2016 (vorgelegt als Anlage rop C6; nachfolgend: BPatG-Urteil) den deutschen Teil des Klagepatents – entsprechend einer Selbstbeschränkung der Klägerin zu 1. – mit einem Patentanspruch 1 aufrechterhalten, dessen Fassung dem erteilten Patentanspruch 2 entspricht.
    Auf die hiergegen gerichtete Berufung (X ZR 36/17) hat der Bundesgerichtshof das Urteil des Bundespatentgerichts durch Urteil vom 06.08.2019 (vorgelegt als Anlage rop C11; nachfolgend: BGH-Urteil) abgeändert und das Klagepatent – nach Erlass des mit der vorliegenden Berufung angegriffenen landgerichtlichen Urteils – teilweise für nichtig erklärt. Der vom Bundesgerichtshof aufrechterhaltene Patentanspruch 1 lautet in deutscher Übersetzung wie folgt (Änderungen gegenüber der vom Bundespatentgericht aufrechterhaltenen und dem landgerichtlichen Tenor zugrundeliegenden Fassung sind durch Durch- bzw. Unterstreichung gekennzeichnet):
    Zusammensetzung auf der Basis von Zirkoniumoxid, welche Ceroxid und wenigstens ein Dotierungselement umfasst, dadurch gekennzeichnet, dass diese nach Kalzinierung für 6 Stunden bei 1000°C eine spezifische Oberfläche von wenigstens
    zwischen 25 m2/g und 51 m2/g besitzt und dass diese in Form einer reinen festen Lösung des Ceroxids und des Dotierungsmittels in dem Zirkoniumoxid vorliegt.
  13. Am 02.12.2004 schloss die Klägerin zu 1. mit der C (im Folgenden: C) einen als Anlage rop Z1 (in deutscher Übersetzung Anlage rop Z1a) vorgelegten Lizenzvertrag, mit dem sie der C eine exklusive Lizenz an dem Klagepatent erteilte. Gemäß § 10 Abs. 1 dieses Vertrages ist die Klägerin zu 1. dazu berechtigt, Klage gegen mutmaßliche Patentverletzer zu erheben, wenn sie – wie hier – von der Lizenznehmerin dazu aufgefordert wird. Die C wurde mit Entscheidung vom 20.11.2009 ohne Liquidation aufgelöst (vgl. den als Anlage rop Z2a zur Akte gereichten Auflösungsbeschluss). Sämtliche Vermögenswerte, einschließlich der erteilten Lizenz, wurden von der C auf die Klägerin zu 2. übertragen (vgl. den als Anlage rop Z3 vorgelegten Handelsregisterauszug). Die Klägerin zu 1. widersprach der Übernahme der Rechte und Pflichten aus dem Lizenzvertrag nicht. Mit einem als Anlage rop Z4 vorgelegten Schreiben vom 09.11.2015 erklärten die Klägerinnen übereinstimmend, dass der Lizenzvertrag zwischen der Klägerin zu 1. und der C zwischen ihnen auch heute noch fortgesetzt werde.
    Die in Großbritannien geschäftsansässige Beklagte zu 1. vertreibt Chemikalien der früheren Beklagten zu 2. unter anderem an Chemie-Unternehmen und Automobilzulieferer in Deutschland. Zu den von den Beklagten angebotenen Produkten zählen verschiedene Mischoxide aus Zirkoniumoxid (ZrO2) und Ceroxid (CeO2), darunter das Produkt D (nachfolgend: angegriffene Ausführungsform I), das Produkt E (nachfolgend: angegriffene Ausführungsform II) und das Produkt F (nachfolgend: angegriffene Ausführungsform III). Aufgrund einer internen Anpassung wurden mit dem Produkt D identische Produkte auch unter der Bezeichnung G angeboten und vertrieben.
    Anfang 2013 ließ die Klägerin zu 1. in einem Lager in den Niederlanden Produkte der Beklagten beschlagnahmen, welche für den deutschen Markt bestimmt waren und im Verdacht standen, Patente der Klägerin zu 1. zu verletzen. Zu den beschlagnahmten Produkten gehörte u.a. das Produkt D aus den Chargen 08-24 und 08-30. Lieferunterlagen belegen, dass 2000 kg dieses Produkts im Jahr 2005 an die B GmbH (vormals H GmbH) geliefert wurden. Dabei stammten 1000 kg aus einer Charge 051191 und weitere 1000 kg aus einer Charge 051192. Unstreitig wurden auch die angegriffenen Ausführungsformen II und III von der Beklagten zu 1. in Deutschland angeboten und vertrieben.
    Die Klägerin zu 1. und die Beklagten kamen in der Folge überein, die beschlagnahmten Produkte und Unterlagen von einem unabhängigen Gutachter untersuchen und hinsichtlich der Frage der Patentverletzung bewerten zu lassen. Zum Gutachter wurde Patentanwalt Dr. I ernannt. Daneben wurde Dr. J von der K als technischer Experte ernannt. In seinem Analysebericht vom 26.09.2013 (Anlage B17; deutsche Übersetzung Anlage B17a) kam der Gutachter Dr. I zu dem Ergebnis, dass das untersuchte Produkt D in den Schutzbereich der erteilten Klagepatentansprüche 1 und 2 falle.
    Mit einer sog. „B-Vereinbarung“ gestatteten die Klägerinnen gegen eine Ausgleichszahlung Unternehmen der B-Gruppe, Mischoxidprodukte bei der Beklagten zu 1. zu beziehen und anschließend weiter zu verwenden. Der Geltungszeitraum der Vereinbarung betrifft Lieferungen an B vom 01.01.2014 bis zum 31.12.2019.
    Die Klägerinnen haben die Beklagten erstinstanzlich wegen einer Verletzung des Klagepatents durch die angegriffene Ausführungsform I auf Unterlassung, Auskunftserteilung, Rechnungslegung, Rückruf, Vernichtung und Schadensersatz in Anspruch genommen. Nachdem das Klagepatent im Verlaufe des erstinstanzlichen Verfahrens wegen Ablaufs der Schutzdauer zum 20.12.2014 erloschen ist, haben die Klägerinnen und die Beklagte zu 1. den Rechtsstreit hinsichtlich des Unterlassungsanspruchs übereinstimmend für in der Hauptsache erledigt erklärt. Ihre gegen die frühere Beklagte zu 2. gerichtete Klage haben die Klägerinnen, weil die Klageschrift in China nicht zugestellt werden konnte, mit Schriftsatz vom 14.12.2015 zurückgenommen.
    Die Klägerinnen haben vor dem Landgericht geltend gemacht:
    Sowohl nach ihren internen Untersuchungen als auch nach den Untersuchungen des niederländischen Gutachters mache die angegriffene Ausführungsform I von der Lehre des Klagepatents Gebrauch. Die Untersuchung der spezifischen Oberfläche nach 6 Stunden Kalzinieren bei 1000°C habe – insoweit unstreitig – eine spezifische Oberfläche von 52,3 m²/g ergeben. Das Klagepatent definiere den Begriff der „spezifischen Oberfläche“ in seiner Beschreibung anhand des sog. BET-Verfahrens. Dieses werde – ungeachtet der jeweiligen Isotherme der Oberfläche – in der Fachliteratur als universelle Methode zur Bestimmung der spezifischen Oberfläche beschrieben. Es liefere für alle Typen von Isothermen Ergebnisse, die reproduzierbar und somit zur eindeutigen Charakterisierung des Produkts geeignet seien. Im Übrigen weise die angegriffene Ausführungsform I ohnehin eine Isotherme des Typs II auf, hinsichtlich welcher unstreitig sei, dass sich die spezifische Oberfläche sehr genau und korrekt mittels des BET-Verfahrens feststellen lasse.
    Die angegriffene Ausführungsform I liege auch in Form einer reinen festen Lösung des Ceroxids und des Dotierungsmittels in dem Zirkoniumoxid vor. Dies zeige das XRD-Spektrum der untersuchten Probe. Das Klagepatent nenne in seiner Beschreibung explizit (nur) das Analyseverfahren der Röntgenbeugung. Das Vorliegen einer festen Lösung sowie deren (einphasige) Kristallisation im kubischen oder quadratischen System seien daher durch Röntgenbeugungsspektren festzustellen. Eine reine feste Lösung im Sinne des Klagepatents sei immer dann gegeben, wenn die Röntgenbeugungsspektren denjenigen der festen Lösung entsprächen und eine störende Nebenphase mit dieser Methode nicht nachgewiesen werden könne. Die Röntgenbeugungsspektroskopie habe zum Prioritätstag die allgemein anerkannte Methode zur Analyse der Kristallstruktur dargestellt. Es handele sich um die genaueste Methode zur qualitativen und quantitativen Bestimmung von Kristallstrukturen. Der niederländische Gutachter habe zwar die Beugungsmuster versehentlich nicht an Proben gemessen, die bei 1000°C für 6 Stunden kalziniert worden seien, sondern an solchen, die bei 800°C kalziniert worden seien. Von der Klägerin zu 1. seien zwischenzeitlich aber weitere Muster der in den Niederlanden beschlagnahmten Samples beschafft und Röntgenbeugungsspektren nach Kalzinieren dieser Muster bei 1000°C für 6 Stunden gebildet worden. Die Kristallstruktur der Zusammensetzungen habe sich nach Kalzinieren bei höherer Temperatur nicht geändert; die Spektren seien praktisch identisch zu denjenigen, die der niederländische Gutachter ermittelt habe.
    Die Beklagte zu 1., die Klageabweisung und hilfsweise Aussetzung des Rechtsstreits bis zur rechtskräftigen Erledigung des Nichtigkeitsverfahrens beantragt hat, ist dem Vortrag der Klägerinnen wie folgt entgegengetreten:
    Der Stickstoffadsorptionstest (BET-Verfahren) sei gemäß dem in der Klagepatentbeschreibung in Bezug genommenen ASTM-Standard nur auf Materialien anwendbar, die Stickstoff-Adsorptionsisothermen der Typen II oder IV aufwiesen. Nur bei diesen Materialien könne zuverlässig anhand des Stickstoffadsorptionsverhaltens festgestellt werden, bei welchem Volumen eine Monoschicht gebildet werde. Andere zum damaligen Stand der Technik gehörige Messverfahren seien in der Patentbeschreibung nicht genannt. Deshalb könnten Zusammensetzungen, die keine Isotherme des Typs II oder IV aufwiesen, keine spezifische Oberfläche im Sinne des Klagepatents besitzen.
    Die angegriffene Ausführungsform weise keine Isotherme des Typs II oder IV auf. Die Adsorption finde bei ihr in bedeutendem Maße in dem relativen Druckbereich (P/P0) unter 0,05 statt, was kennzeichnend für eine Isotherme des Typs I sei. Auch weise die Isotherme der angegriffenen Ausführungsform I im Bereich zwischen P/P0 = 0,05 und 0,30, welcher der Standardbereich sei, der für die Berechnung der BET-Oberfläche verwendet werde, kein sichtbares „Knie“ auf, wie es für die Isotherme des Typs II oder IV typisch sei. Die Ergebnisse des niederländischen Gutachters könnten daher nicht belegen, dass das betreffende Anspruchsmerkmal tatsächlich verwirklicht sei.
    Im Übrigen liege die angegriffene Ausführungsform I nicht in Form einer reinen festen Lösung des Ceroxids und des Dotierungsmittels in dem Zirkoniumoxid vor. Das niederländische Gutachten sei zu einem entsprechenden Nachweis ungeeignet. Denn die von dem niederländischen Gutachter zur Bestimmung der Kristallstruktur angewandte Methode der Röntgenbeugung sei mit einer Reihe von Nachteilen behaftet, welche einer eindeutigen Aussage über die Kristallstruktur deutliche Grenzen setzen würden und eine Verifizierung der Ergebnisse erforderlich gemacht hätten. Der niederländische Gutachter habe dies im Rahmen seiner Analyse nicht berücksichtigt. In seinen Ausführungen komme im Übrigen zum Ausdruck, dass er die sog. „Vegardsche Regel“ angewandt habe, welche lediglich eine empirisch gefundene Näherung darstelle und auch in der wissenschaftlichen Literatur umstritten sei. Sie könne keinesfalls als eindeutiger Nachweis dafür dienen, dass in dem gefundenen Röntgenbeugungsdiagramm lediglich eine einzige Phase vorliege. Hinzu komme, dass der niederländische Gutachter von der Annahme ausgehe, dass Ceroxid in einer Matrix von kubischem Zirkoniumoxid vorliege. Es gebe daneben aber noch eine Reihe von weiteren Phasen, in denen das Zirkoniumoxid vorliegen könne. Bis auf eine Phase wiesen alle diese Phasen Diffraktogramme auf, die dem kubischen Zirkoniumoxid sehr ähnlich seien, so dass diese Phasen mittels Röntgenbeugung nicht sicher voneinander unterschieden werden könnten. Es könne daher nicht ausgeschlossen werden, dass in den untersuchten Proben ein Gemisch aus mehreren Phasen vorliege.
    Dies folge auch aus einer von ihr – der Beklagten zu 1. – für die angegriffene Ausführungsform I vorgenommenen Rietveld-Verfeinerung (Anlage B18/18a). Hiernach existierten auch Kristallsysteme, die exakt dasselbe Beugungsdiagramm aufwiesen wie in dem niederländischen Gutachten festgestellt, ohne aber in fester Lösung vorzuliegen. Die Rietveld-Verfeinerung zeige, dass die Deutung des experimentell gefundenen Röntgenbeugungsdiagramms durch den niederländischen Gutachter nicht zwingend sei, sondern dass es weitere Modelle gebe, welche die Röntgenbeugungsdiagramme beschreiben könnten. Das niederländische Gutachten liefere daher keinen Nachweis dafür, dass das Produkt D tatsächlich in Form einer reinen festen Lösung des Ceroxids und des Dotierungsmittels in dem Zirkoniumoxid vorliege.
    Vor die Aufgabe gestellt festzustellen, ob eine reine feste Lösung des Ceroxids (und ggf. des Dotierungsmittels) in dem Zirkoniumoxid vorliege, hätte der Fachmann vor diesem Hintergrund jedenfalls zusätzlich die sog. Raman-Spektrografie genutzt. Nur hierdurch könne das Vorliegen nur einer (kubischen oder tetragonalen) Zirkoniumoxid-Phase unter Ausschluss des Vorliegens mehrerer Phasen festgestellt werden. Für das Produkt D sei in ihrem Auftrag ein Raman-Spektrum in einem Forschungslabor bestimmt worden. Die untersuchte Probe sei zufällig aus einer Charge des Produkts ausgewählt worden. Das erhaltene Spektrum (Bl. 225 GA) deute darauf hin, dass in der Probe zwei Phasen vorlägen, nämlich eine kubische Ce-reiche und eine tetragonale Zr-reiche Phase, die sich gegenseitig überlagerten.
    Durch Urteil vom 18.07.2017 hat das Landgericht Düsseldorf eine Patentverletzung bejaht und dem Klagebegehren auf der Grundlage des vom Bundespatentgericht eingeschränkt aufrechterhaltenen Klagepatentanspruchs 1 (= erteilter Patentanspruch 2) wie folgt entsprochen:
  14. I.
    Die Beklagte zu 1. wird verurteilt,
  15. 1.
    der Klägerin zu 2. unter Vorlage eines einheitlichen, geordneten Verzeichnisses vollständig darüber Rechnung zu legen, in welchem Umfang sie in der Zeit vom 02.12.2004 bis einschließlich zum 28.06.2016
  16. Zusammensetzungen auf der Basis von Zirkoniumoxid, welche Ceroxid und wenigstens ein Dotierungselement umfassen,

    in der Bundesrepublik Deutschland angeboten, in Verkehr gebracht oder gebraucht hat oder zu den genannten Zwecken entweder eingeführt oder besessen hat,

    wenn die Zusammensetzung nach Kalzinierung für 6 Stunden bei 1000°C eine spezifische Oberfläche von wenigstens 25 m2/g besitzt und wenn diese in Form einer reinen festen Lösung des Ceroxids und des Dotierungsmittels in dem Zirkoniumoxid vorliegt,

    und zwar unter Angabe

    a) der Menge der erhaltenen oder bestellten Erzeugnisse sowie der Namen und Anschriften der Hersteller, Lieferanten und anderer Vorbesitzer sowie der Einkaufspreise,
    b) der einzelnen Lieferungen und Bestellungen, aufgeschlüsselt nach Typenbezeichnungen, Liefer- und Bestellmengen, -zeiten und -preisen sowie den Namen und Anschriften der Abnehmer und der Verkaufsstellen, für welche die Erzeugnisse bestimmt waren,
    c) der einzelnen Angebote, aufgeschlüsselt nach Typenbezeichnungen, Angebotsmengen, -zeiten und -preisen sowie den Namen und Anschriften der gewerblichen Angebotsempfänger,
    d) der betriebenen Werbung, aufgeschlüsselt nach Werbeträgern, deren Herstellungs- und Verbreitungsauflage, Verbreitungszeitraum und Verbreitungsgebiet,
    e) der nach den einzelnen Kostenfaktoren aufgeschlüsselten Gestehungskosten und des erzielten Gewinns,

  17. wobei die Beklagte zu 1. hinsichtlich ihrer Angaben nach a) und b) Lieferpapiere, hilfsweise Zollpapiere, weiter hilfsweise Lieferscheine, weiter hilfsweise Rechnungen vorzulegen hat,
  18. wobei Angaben zu den Einkaufspreisen sowie den Verkaufsstellen nur für die Zeit vom 30.04.2006 bis zum 28.06.2016 zu machen sind,
  19. wobei der Beklagten zu 1. vorbehalten bleibt, die Namen und Anschriften ihrer nicht-gewerblichen Abnehmer und der Angebotsempfänger statt der Klägerin zu 2. einem von dieser zu bezeichnenden, dieser gegenüber zur Verschwiegenheit verpflichteten, vereidigten und in der Bundesrepublik Deutschland ansässigen Wirtschaftsprüfer mitzuteilen, sofern die Beklagten die durch dessen Einschaltung entstehenden Kosten übernehmen und ihn ermächtigen, der Klägerin zu 2. auf Anfrage mitzuteilen, ob ein bestimmter nicht-gewerblicher Abnehmer oder Angebotsempfänger in der Rechnungslegung enthalten ist;
  20. 2.
    die vorstehend zu Ziffer 1. bezeichneten, seit dem 30.04.2006 im Besitz Dritter befindlichen Erzeugnisse aus den Vertriebswegen zurückzurufen, indem diejenigen gewerblichen Abnehmer, denen durch die Beklagte zu 1. oder mit deren Zustimmung bis zum 28.06.2016 Besitz an den Erzeugnissen eingeräumt wurde, unter Hinweis darauf, dass das Gericht mit dem hiesigen Urteil auf eine Verletzung des Klagepatents EP 0 863 XXA B1 erkannt hat, ernsthaft aufgefordert werden, die Erzeugnisse an die Beklagte zu 1. zurückzugeben und ihnen für den Fall der Rückgabe der Erzeugnisse eine Rückzahlung des gegebenenfalls bereits gezahlten Kaufpreises sowie die Übernahme der Kosten der Rückgabe verbindlich zugesagt wird.
  21. II.
    Es wird festgestellt, dass die Beklagte zu 1. verpflichtet ist, der Klägerin zu 2. allen Schaden zu ersetzen, der ihr durch die unter Ziffer I. 1. bezeichneten, in der Zeit vom 02.12.2004 bis 28.06.2016 begangenen Handlungen entstanden ist und noch entstehen wird.
  22. Zur Begründung hat das Landgericht im Wesentlichen ausgeführt:
    Den Klägerinnen, von denen auch die Klägerin zu 2. als ausschließliche Lizenznehmerin aktivlegitimiert sei, stünden die zuerkannten Ansprüche zu.
    Ob die Oberfläche der angegriffenen Ausführungsform I (Produkt D) Isotherme des Typs II oder IV aufweise, sei für die Verwirklichung der klagepatentgemäßen Lehre unerheblich. Das Klagepatent definiere den Begriff der „spezifischen Oberfläche“ als die spezifische BET-Oberfläche, die bestimmt werde durch Adsorption von Stickstoff gemäß der Norm ASTM D 3663-78. Der Fachmann könne dem Klagepatent keine konkreten Angaben dazu entnehmen, dass die BET-Methode gemäß den Ausführungen in dem zugrundeliegenden Standard nicht auf alle Isothermen angewendet werden solle.
    Angaben dazu, wie das Vorliegen des Ceroxids und des Dotierungsmittels in dem Zirkoniumoxid in reiner fester Lösung ermittelt werden solle, ließen sich dem Patentanspruch selbst nicht entnehmen. Der Fachmann entnehme der Klagepatentbeschreibung aber, dass diese Eigenschaft der Zusammensetzung beispielsweise anhand einer Röntgenbeugungsanalyse ermittelt werden könne. Eine derartige Ermittlung der erfindungsgemäßen Eigenschaft sei damit im Sinne des Klagepatents grundsätzlich geeignet und auch ausreichend.
    Hiervon ausgehend mache die angegriffene Ausführungsform I von der technischen Lehre des Klagepatentanspruchs 1 (in seiner durch das Urteil des Bundespatentgerichts erlangten Fassung) wortsinngemäß Gebrauch. Die angegriffene Ausführungsform habe nach Kalzinierung für 6 Stunden bei 1000°C eine durchschnittliche spezifische Oberfläche von 52,3 m2/g und damit eine solche von mehr als 25 m2/g.
    Die angegriffene Ausführungsform I liege auch in Form einer reinen festen Lösung des Ceroxids und des Dotierungsmittels in dem Zirkoniumoxid vor. Dies hätten die Klägerinnen durch Vorlage der Ergebnisse der Röntgenbeugungsanalyse schlüssig dargetan. Ohne Erfolg bleibe der Verweis der Beklagten auf die von ihr durchgeführte Rietveld-Verfeinerung. Denn das Klagepatent sehe es – wie ausgeführt – als ausreichend an, wenn die Röntgenbeugungsanalyse keine störenden Nebenphasen aufweise. Ebenso komme es nicht auf eine zusätzliche Verifizierung der Ergebnisse mittels einer Raman-Spektroskopie an. In Bezug auf das von der Beklagten zu 1. vorgelegte Raman-Spektrum hätten die Klägerinnen im Übrigen überzeugend dargelegt, dass anhand dieses Spektrums keine eindeutige Aussage in Bezug auf die Verwirklichung des in Rede stehenden Anspruchsmerkmals möglich sei. Zudem sei dieses Spektrum nicht von den in den Niederlanden beschlagnahmten Produkten erstellt worden.
    Wegen weiterer Einzelheiten der Begründung wird auf das Urteil des Landgerichts Bezug genommen.
    Gegen diese Entscheidung richtet sich die Berufung der Beklagten zu 1., mit der sie ihren Antrag auf Klageabweisung weiterverfolgt.
    Ergänzend und vertiefend macht sie geltend:
    Was die Bestimmung der spezifischen Oberfläche anbelange, habe das Landgericht verkannt, dass das BET-Verfahren nicht generell, sondern nur für Mischoxide, die eine bestimmte Isotherme, nämlich eine solche des Typs II oder IV, aufwiesen, anwendbar sei. Das Klagepatent mache sich den ASTM-Standard (vorgelegt als Anlage B13) und dessen Voraussetzungen vollständig zu eigen. Es sei damit bewusst auf Materialien mit den Isothermen des Typs II oder IV beschränkt. Wende man die BET-Methode auf andere Isotherme als die des Typs II oder IV an, ergäbe sich ein fiktiver Wert. Mit einem fiktiven Wert könne jedoch eine erfindungswesentliche Eigenschaft im Sinne des Klagepatents nicht festgestellt werden.
    Zudem habe das Landgericht das Vorliegen einer „reinen festen Lösung“ fehlerhaft beurteilt. Eine patentgemäße reine feste Lösung setze voraus, dass das Zirkonium die Matrix bilde, in die das Ceroxid und das Dotierungsmittel vollständig eingebaut seien. Zusammensetzungen, die weitere Nebenphasen enthielten oder eine deutliche Abweichung von der idealen Gitterstruktur des reinen Zirkoniumoxids aufwiesen, seien nicht vom Schutzbereich des Klagepatents umfasst. Zur Feststellung der reinen festen Lösung wähle der Fachmann eine Messmethode, die zuverlässig und unzweifelhaft die tatsächliche und reine Struktur der Zusammensetzung feststellen könne. Die Klagepatentschrift verweise diesbezüglich zwar auf die Methode der Röntgenbeugung, der Fachmann verstehe dies aber als rein beispielhaft und würde dieses Verfahren nur dann zugrunde legen, wenn er hiermit eindeutig und tatsächlich das Vorliegen nur einer Phase feststellen könne. Sei dies nicht der Fall, würde der Fachmann eine andere Methode benutzen, um die Unterscheidung der erforderlichen reinen Phase von Nebenphasen sicherzustellen. In Betracht komme hier insbesondere die Raman-Spektrografie.
    Vor diesem Hintergrund fehle es am Nachweis einer Patentverletzung. Die angegriffene Ausführungsform I könne mangels eines Isotherms des Typs II oder IV schon überhaupt keine spezifische Oberfläche nach dem Verständnis des Klagepatents aufweisen. Erst recht könne bei ihr die spezifische Oberfläche nicht mittels der im Klagepatent vorgesehenen BET-Methode bestimmt werden.
    Zudem könne nicht festgestellt werden, dass die angegriffene Ausführungsform I als reine feste Lösung vorläge. Aus dem von ihr – der Beklagten zu 1. – vorgelegten Raman-Spektrum, das sie an einer zufällig ausgewählten Charge des Produkts D (auch bezeichnet als L oder M) erstellt habe, ergebe sich vielmehr, dass die angegriffene Ausführungsform I mindestens zwei Phasen aufweise (vgl. Anlage B40). Denn das Spektrum zeige weder nur einen einzigen Peak bei 465 cm-1, wie dies bei einer rein kubischen Phase zu erwarten sei, noch sechs Peaks bei ca. 140, 260, 309, 454, 600 und 630 cm-1, wie dies bei einer tetragonalen Phase üblich sei. Hieraus ziehe der von ihr herangezogene Privatgutachter Prof. Dr. N den Schluss, dass mindestens zwei Phasen vorliegen müssen (vgl. Anlage B27 S. 8).
    Ewas anderes ergebe sich auch nicht aus dem Vorhandensein von Dotierungsmitteln. Soweit diese tatsächlich – wie von den Klägerinnen vorgetragen – die Banden der anderen Elemente beeinflussen könnten, führe dies jedenfalls aus dem Schutzbereich des Klagepatents heraus. Denn – wie ausgeführt – liege eine reine feste Lösung nur dann vor, wenn sie nicht so beeinflusst werde, dass ihre gesamte Gitterstruktur grundlegend verändert werde. Anders gesagt dürften Dotierungsmittel nach dem klagepatentgemäßen Anspruch nur in einem solchen Ausmaß vorhanden sein, das keine deutliche Abweichung von der idealen Gitterstruktur des reinen Zirkoniumoxids (gekennzeichnet durch das Auftreten weiterer Peaks) vorliege.
    Die von ihr vorgelegte Rietveld-Verfeinerung zeige, dass die Deutung des experimentellen Diffraktogramms durch den niederländischen Gutachter nicht zwingend sei. Vielmehr gebe es hiernach weitere Modelle – wie etwa das Vorhandensein mehrerer Phasen –, welche die Röntgenbeugungsdiagramme beschreiben könnten. Die klägerische Röntgenstrahlbeugungsanalyse bringe daher keineswegs klare Ergebnisse hervor, die das Vorliegen einer reinen festen Lösung belegen könnten.
    Im Übrigen hätten die Klägerinnen gegenüber Unternehmen der B-Gruppe einer Lieferung und Verwendung der angegriffenen Ausführungsformen zugestimmt, so dass schon aus diesem Grunde eine Patentverletzung ausscheiden müsse. Die Zustimmung habe in der Folge zu einer Erschöpfung geführt. Dies beziehe sich nicht nur auf Lieferungen in dem von der Klägerin eingeräumten Geltungszeitraum vom 01.01.2014 bis zum 31.12.2019. Vielmehr hätten die Klägerinnen im Jahr 2022 noch eine zweite Vereinbarung mit B getroffen, um den Warenfluss von ihr – der Beklagten zu 1. – an B nicht zu stören. Es sei davon auszugehen, dass diese Vereinbarung auch Rückwirkung für die Zeit vor dem 01.01.2014 entfalte. Da die Klägerinnen in diversen Rechtsstreitigkeiten die Vereinbarungen mit B zunächst verschwiegen hätten, sei von einem unredlichen Prozessverhalten auszugehen, dem nur durch die Anordnung der Vorlage der B-Vereinbarungen begegnet werden könne.
  23. Die Beklagte zu 1. beantragt,
    das Urteil des Landgerichts Düsseldorf vom 18.07.2017 abzuändern und die Klage abzuweisen.
  24. Die Klägerinnen beantragen, nachdem sie die Klage mit Schriftsatz vom 20.04.2023 teilweise zurückgenommen haben,
    die Berufung der Beklagten zu 1. mit der Maßgabe zurückzuweisen,
    1. dass in Ziffer I.1. des landgerichtlichen Tenors hinter den Worten „eine spezifische Oberfläche von“ statt „wenigstens 25 m2/g“ eingefügt wird „zwischen 25 m2/g und 51 m2/g“ und
    2. dass in Ziffer I.1. des Tenors hinter lit. e) folgender Text eingefügt wird:
    „… mit Ausnahme derjenigen Zusammensetzungen, die im Zeitraum vom 01.01.2014 bis zum 28.06.2016 an Unternehmen der B-Gruppe geliefert wurden“.
  25. Sie verteidigen das landgerichtliche Urteil – auch unter Berücksichtigung des zwischenzeitlich im Nichtigkeitsverfahren eingeschränkten Wortlauts des Klagepatentanspruchs 1 – als zutreffend und machen geltend:
    Soweit das in den Niederlanden beschlagnahmte Produkt D aus der Charge 08-30 und aus der Charge 08-24, das als angegriffene Ausführungsform I Gegenstand des erstinstanzlichen Verfahrens gewesen sei, nach Kalzinierung für 6 Stunden bei 1000°C eine spezifische Oberfläche von über 51 m2/g aufweise, sei die Abweichung lediglich geringfügig und durch Herstellungstoleranzen zu erklären. Für die Charge 06-2-21-1 des Produkts G (interne Bezeichnung des Herstellers: M) gebe der Hersteller die spezifische Oberfläche nach Kalzinierung für 4 Stunden bei 1000°C mit 49,10 m2/g an (vgl. Anlage rop C14), womit sie im patentgemäßen Bereich liege. Bei einer Erhöhung der Kalzinierungsdauer von 4 auf 6 Stunden sinke – insoweit unstreitig – die spezifische Oberfläche allenfalls geringfügig. Das Produkt G weise exakt dieselbe Zusammensetzung auf wie das Produkt D, sei daher mit diesem identisch. Vergleiche man den Wert für die Charge 06-2-21-1 mit den gemessenen Werten für die Chargen 08-30 und 08-24, so ergebe sich im Hinblick auf die angegriffene Ausführungsform I eine Fertigungstoleranz von mindestens 5 m2/g. Unter Berücksichtigung dieser Fertigungstoleranz liege die spezifische Oberfläche der angegriffenen Ausführungsform I innerhalb des beanspruchten Bereichs von 25 m2/g bis 51 m2/g. Im Übrigen habe die Beklagte zu 1. jedenfalls mit den Chargen 051191 und 051192 des Produkts D, die ausweislich der als Anlage rop C15 vorgelegten Rechnung vom 08.02.2005 im Jahr 2005 von der Beklagten zu 1. an die H GmbH (später: B GmbH) geliefert worden seien, ein patentgemäßes Produkt in Deutschland angeboten und vertrieben.
    Die angegriffenen Ausführungsformen II und III seien kerngleich zur angegriffenen Ausführungsform I, so dass sie auch noch in zweiter Instanz in das Verfahren eingeführt werden könnten, ohne dass es einer Anschlussberufung bedurft habe. Eine unzulässige Klageerweiterung liege hierin nicht. Unter Anwendung der BET-Methode ergebe sich für beide – insoweit unstreitig – nach Kalzinierung für 6 Stunden bei 1000°C eine spezifische Oberfläche im anspruchsgemäßen Bereich.
    Bei allen drei angegriffenen Ausführungsformen seien innerhalb des Röntgenbeugungsspektrums keine Nebenphasen nachweisbar. Da in der Klagepatentschrift keine anderen Nachweismethoden erwähnt seien, sei die Röntgenbeugungsanalyse jedenfalls die nach dem Klagepatent bevorzugte Nachweismethode. Mit ihr werde in sämtlichen Ausführungsbeispielen der Erfindung das Vorliegen einer reinen festen Lösung nachgewiesen. Sowohl zum Prioritätstag als auch noch heute handele es sich bei der Röntgenbeugungsanalyse um die Standardmethode, um festzustellen, ob mehrere Feststoffe in Form einer reinen festen Lösung vorliegen oder nicht. Andere Analysemethoden, speziell die Raman-Spektroskopie, hätten demgegenüber den Nachteil, dass sie speziell bei der Anwesenheit von Dotierungsmitteln mehrdeutige und stark interpretierungsbedürftige Ergebnisse lieferten. Die Röntgenbeugungsanalyse liefere auch aus funktionaler Sicht hinreichend genaue Messergebnisse. Denn die Lehre des Klagepatents wolle sich insbesondere von den im Stand der Technik bekannten Zusammensetzungen abgrenzen, die sich beim Erwärmen des Produkts auf 1000°C entmischten. Entmischen bedeute in diesem Zusammenhang, dass eine weitreichende Veränderung der inneren Struktur auftrete, die sich im Röntgenbeugungsspektrum durch eine identifizierbare Nebenphase zeige. Solche Zusammensetzungen hätten spürbar negative Auswirkungen auf die Eignung der Zusammensetzung als Bestandteil von Drei-Wege-Katalysatoren.
    Dies sei aber bei den angegriffenen Ausführungsformen gerade nicht der Fall. Die Röntgenbeugungsspektren der angegriffenen Ausführungsformen zeigten klare, scharfe Peaks; identifizierbare Nebenphasen seien nicht vorhanden. Soweit die Beklagte dies unter Hinweis auf die von ihr durchgeführte Raman-Spektroskopie bestreite, sei das vorgelegte Raman-Spektrum zum einen von sehr schlechter Qualität, zum anderen bleibe völlig unklar, wer dieses wann mit welchen Mitteln an welcher Charge welchen Produkts erstellt habe. Jedenfalls sei – insoweit unstreitig – nicht eines der in den Niederlanden beschlagnahmten Produkte analysiert worden. Hinzu komme, dass die Raman-Spektroskopie durch Dotierungsmittel erheblich gestört werde; es würden zusätzliche Peaks erzeugt, die allerdings nicht unbedingt auf eine weitere identifizierbare Nebenphase hindeuten würden.
    Soweit die Beklagte zu 1. sich zur Rechtfertigung ihrer Benutzungshandlungen auf eine Vereinbarung der Klägerinnen mit B berufe, betreffe dies ausschließlich Lieferungen im Zeitraum vom 01.01.2014 bis zum 31.12.2019. Weitere Vereinbarungen habe es nicht gegeben.
    Die Beklagte zu 1. ist einer Einbeziehung der angegriffenen Ausführungsformen II und III in das vorliegende Verfahren entgegengetreten. Der sich auf diese Ausführungsformen beziehende Vortrag betreffe einen anderen Streitgegenstand. Dies ergebe sich schon daraus, dass die ursprünglich angegriffene Ausführungsform I keine spezifische Oberfläche aufweise, die in den klagepatentgemäßen Bereich falle, während dies bei den angegriffenen Ausführungsformen II und III unstreitig der Fall sei. Gleiches gelte für das Produkt G. Es sei zwar richtig, dass sich die Bezeichnung des Produkts D infolge einer internen Anpassung geändert habe, es könne aber keine Identität der Produkte angenommen werden, wenn das eine (D) eine spezifische Oberfläche größer als 51 m2/g aufweise, das andere (G) aber nicht.
    Ungeachtet dessen liege auch im Hinblick auf die angegriffenen Ausführungsformen II und III weder eine spezifische Oberfläche noch eine reine feste Lösung im Sinne der klagepatentgemäßen Lehre vor. Denn beide würden keine Isotherme des Typs II oder IV aufweisen und die durchgeführten Analysen würden für das Vorliegen störender Nebenphasen sprechen.
    Der Senat hat Beweis durch Einholung eines Sachverständigengutachtens erhoben. Wegen des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf das Gutachten des Sachverständigen Prof. Dr. rer. nat. habil. O vom 18.05.2022, dessen Ergänzungsgutachten vom 02.01.2023 sowie auf das Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 02.11.2023 Bezug genommen.
    Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakten nebst Anlagen verwiesen.
  26. B.
    Die zulässige Berufung der Beklagten zu 1. (nachfolgend nur noch: Beklagte) bleibt in der Sache weitgehend ohne Erfolg. Der landgerichtliche Tenor war allerdings an die zwischenzeitlich erfolgte Neufassung des Klagepatentanspruchs 1 sowie wegen der teilweisen Klagerücknahme im Hinblick auf an Unternehmen der B-Gruppe gelieferte Produkte anzupassen. Er umfasst alle drei angegriffenen Ausführungsformen, die angegriffene Ausführungsform I allerdings nur insoweit, als die jeweilige Charge des Produkts D/E nach Kalzinierung für 6 Stunden bei 1000°C eine spezifische Oberfläche von 25 m2/g bis 51 m2/g aufweist (s.u.).
  27. I.
    Soweit die Klägerinnen ihren Verletzungsvorwurf in zweiter Instanz auf andere Produkte stützen als auf das in erster Instanz streitgegenständliche Produkt D, handelt es sich nicht um einen neuen Streitgegenstand; die Einbeziehung dieser weiteren Produkte in den Rechtsstreit ist auch noch in der Berufungsinstanz zulässig, wobei es der Einlegung einer Anschlussberufung der Klägerin nicht bedurfte.
  28. 1.
    Über welchen Lebenssachverhalt das Gericht nach dem Klagebegehren zu entscheiden hat, kann nicht ohne Berücksichtigung der rechtlichen Grundlage entschieden werden, auf die der Kläger seine Klageanträge stützt. Denn diese rechtliche Grundlage bestimmt, welche Einzelheiten eines (behaupteten) tatsächlichen Geschehens in sachlicher, räumlicher und zeitlicher Hinsicht für die gerichtliche Erkenntnis (zumindest potenziell) von Bedeutung sind. Bei einer Patentverletzungsklage sind demgemäß für die Eingrenzung des Streitgegenstands, der der gerichtlichen Entscheidungsfindung unterworfen wird, vornehmlich diejenigen tatsächlichen Elemente von Bedeutung, aus denen sich Handlungen des Beklagten ergeben sollen, die einen der Tatbestände des § 9 PatG ausfüllen. Zur sachlichen Eingrenzung dieser vom Klagebegehren umfassten Handlungen kommt es wiederum typischerweise in erster Linie darauf an, aus welcher tatsächlichen Ausgestaltung eines angegriffenen Erzeugnisses oder Verfahrens sich nach dem Klagevortrag ergeben soll, dass das Erzeugnis oder Verfahren unter den mit der Klage geltend gemachten Patentanspruch subsumiert werden kann. Der Streitgegenstand der Patentverletzungsklage wird demgemäß regelmäßig im Wesentlichen durch die üblicherweise als angegriffene Ausführungsform bezeichnete tatsächliche Ausgestaltung eines bestimmten Produkts im Hinblick auf die Merkmale des geltend gemachten Patentanspruchs bestimmt (vgl. BGH, GRUR 2012, 485 Rn 18 – Rohrreinigungsdüse II; BGH, GRUR 2021, 1167 Rn 44 – Ultraschallwandler).
  29. 2.
    Ist eine weitere, erst in zweiter Instanz in den Rechtsstreit eingeführte Ausführungsform in patentgemäßer Hinsicht kerngleich mit der von Beginn an diskutierten Ausführungsform, betrifft sie denselben Streitgegenstand, so dass sich die Klage und der Urteilsausspruch von vornherein auf sie bezogen haben. Maßgeblich für die Beurteilung der Kerngleichheit ist dabei der Streitgegenstand des erstinstanzlichen Verfahrens, weswegen alle diejenigen neuen Ausführungsvarianten im Berufungsverfahren mit zu behandeln sind, die anhand der Entscheidungserwägungen der Vorinstanz als Patentverletzung ausgewiesen sind. Denn allein die erstinstanzliche Entscheidung ist Grundlage für die Entscheidung des (erstinstanzlich obsiegenden) Klägers, ob er Anschlussberufung einlegt oder nicht. Eine solche ist nur zulässig, wenn das Begehren auf ein Mehr gegenüber dem erstinstanzlichen Urteil gerichtet ist. Mit der Anschlussberufung kann insbesondere nicht derselbe Antrag wiederholt werden, dem das erstinstanzliche Urteil stattgegeben hat (BGH, NJW 1991, 3029 – Anzeigenrubrik I).
    Hieraus folgt unmittelbar, dass eine nach Erlass des erstinstanzlichen Urteils im Nichtigkeitsverfahren vorgenommene Beschränkung des Anspruchs für die Bestimmung des Streitgegenstandes außer Betracht zu bleiben hat. Entscheidend ist vielmehr (allein) der die maßgebliche Fassung des Klagepatentanspruchs wiedergebende landgerichtliche Tenor; an ihm ist zu prüfen, ob verschiedene angegriffene Ausführungsformen im Kern gleichartig sind (vgl. Senat, BeckRS 2019, 6090 Rn 57 – Vorschubeinrichtung; Senat, GRUR-RS 2019, 38883 Rn 44 – Befestigungszwischenstück).
  30. 3.
    Ob die Verletzungsgegenstände kerngleich sind, beurteilt sich neben dem Klagebegehren insbesondere nach den patentrechtlichen Fragestellungen, denen sich das entscheidende Gericht in seinem Urteil gewidmet hat. Werfen andere Verletzungsgegenstände, die in den Entscheidungsgründen nicht ausdrücklich genannt sind, im Hinblick auf den im landgerichtlichen Tenor wiedergegebenen Wortlaut des Patentanspruchs andere patentrechtliche Fragen auf als diejenigen, mit denen sich das erstinstanzliche Gericht in seinen Entscheidungsgründen befasst hat, so ist eine Kerngleichheit zu verneinen. Stellen sich hingegen für die weiteren angegriffenen Verletzungsformen dieselben patentrechtlichen Fragestellungen, die das Landgericht in seiner Entscheidung diskutiert hat, so dass insbesondere über etwaige Einwendungen des Beklagten in dem erstinstanzlichen Urteil bereits mit entschieden wurde, und kommt in den weiteren Verletzungsformen ungeachtet etwaiger Abweichungen im Einzelnen erkennbar das Charakteristische der ursprünglichen Ausführungsform zum Ausdruck, so ist Kerngleichheit gegeben (vgl. auch: Kühnen, Handbuch der Patentverletzung, 15. Aufl. 2023, Kap. H Rn 183).
  31. 4.
    Ausgehend von diesen Grundsätzen ist das die Produkte G, F und E betreffende Rechtsbegehren als bloß klarstellende Einführung identischer bzw. kerngleicher Verletzungsformen anzusehen. Bei sämtlichen Produkten handelt es sich um Zusammensetzungen auf der Basis von Zirkoniumoxid, welches Ceroxid sowie mindestens ein Dotierungsmittel umfasst. Nach dem im landgerichtlichen Tenor wiedergegebenen Wortlaut des Klagepatentanspruchs 1 kommt es dabei weder darauf an, in welchem Verhältnis bzw. in welchem Maße die einzelnen Bestandteile in der Zusammensetzung vorliegen, noch enthält das Klagepatent Vorgaben zu der Wahl bestimmter Dotierungsmittel. Soweit die angegriffenen Produkte entsprechende Unterschiede in ihrer Elementarzusammensetzung aufweisen sollten, ist dies daher für die Beurteilung des Streitgegenstandes ohne Belang. Entscheidend ist nach dem Wortlaut des Klagepatentanspruchs 1 in seiner vom Landgericht gewürdigten Fassung vielmehr, dass die Zusammensetzung nach Kalzinierung für 6 Stunden bei 1000°C in Form einer reinen festen Lösung des Ceroxids und des Dotierungsmittels in dem Zirkoniumoxid vorliegt (Merkmal 3.2) und dass die spezifische Oberfläche mindestens 25 m2/g beträgt (Merkmal 3.1 in seiner dem landgerichtlichen Urteil zugrundeliegenden Fassung). Beide Merkmale sind zwischen den Parteien streitig, wobei der Streit sich im Kern mit den Fragen befasst, ob der Klagepatentanspruch 1 auch Zusammensetzungen erfasst, deren Isotherme nicht dem Typ II oder IV angehören, und anhand welcher Analysemethode richtigerweise das Vorliegen einer reinen festen Lösung festzustellen ist. Mit diesen Streitfragen hat sich das Landgericht ausführlich auseinandergesetzt. Sie stellen sich im Hinblick auf alle angegriffenen Ausführungsformen gleichermaßen; der charakteristische Kern aller Ausführungsformen ist deshalb identisch.
    Dass die angegriffenen Ausführungsformen im Hinblick auf den konkreten Wert ihrer Oberfläche Unterschiede aufweisen, ist insofern unerheblich, als sie jedenfalls sämtlich eine Oberfläche größer als 25 m2/g aufweisen und damit innerhalb des für das Landgericht (noch) maßgeblichen anspruchsgemäßen Bereichs liegen. Ob die Oberfläche sich hingegen in einem Bereich bis zu 51 m2/g bewegt, hat für das Landgericht – vor dem Hintergrund des erstinstanzlichen Sach- und Streitstandes und insbesondere der damaligen Fassung des Klagepatentanspruchs 1 folgerichtig – keine Rolle gespielt. Dass es derartiger Erwägungen nunmehr im Hinblick auf die Verwirklichung von Merkmal 3.1 bedarf, ist ausschließlich Folge der nach Erlass des erstinstanzlichen Verletzungsurteils ergangenen Nichtigkeitsentscheidung des Bundesgerichtshofs. Diese aber hat keine Auswirkungen auf den anhand des erstinstanzlichen Urteils zu bestimmenden Streitgegenstand.
  32. II.
    Das Klagepatent betrifft eine Zusammensetzung auf der Basis von Zirkoniumoxid.
    Derartige Zusammensetzungen werden ausweislich der einführenden Erläuterungen in der Klagepatentschrift vor allem als Beschichtung im Bereich sog. „multifunktioneller“ Katalysatoren eingesetzt. Dabei handelt es sich um Katalysatoren, die nicht nur bei der Oxidation von in den Abgasen von Verbrennungsmotoren enthaltenen Kohlenmonoxiden und Kohlenwasserstoffen mitwirken, sondern auch bei der Reduzierung von gleichermaßen in den Abgasen enthaltenen Stickoxiden („Drei-Wege-Katalysatoren“). Um die katalytische Wirkung durch den Kontakt der Abgase mit der Beschichtung zu steigern, ist es entscheidend, dass die verwendete Beschichtung eine möglichst große spezifische Oberfläche aufweist, die auch bei erhöhter Temperatur – nämlich im Betrieb der Katalysatoren – erhalten bleibt. Gleichfalls von entscheidender Bedeutung ist der Umstand, dass die verwendeten Mischoxide aus im Wesentlichen Ceroxid und Zirkoniumoxid auch bei erhöhter Temperatur ihre Struktur als reine feste Lösung beibehalten und sich insbesondere nicht entmischen (vgl. Anlage rop C1a [DE 696 25 XXB T2], S. 1, zweiter Abs.).
    Nach den Angaben der Klagepatentschrift waren im Stand der Technik keine durch Cer stabilisierten Zirkoniumoxide bekannt, die diese für die Katalyse wichtigen Bedingungen erfüllen konnten. Insbesondere kam es bei den bekannten Zusammensetzungen bei einem Erwärmen des Produkts auf über 900-1000°C zu einer Entmischung der einzelnen Bestandteile, die die Klagepatentschrift als unerwünscht kritisiert (Anlage rop C1a, S. 1, dritter u. vierter Abs.).
    Hiervon ausgehend hat es sich das Klagepatent zur Aufgabe gemacht, ein Mischoxid auf der Basis von Zirkonium und Ceroxid bereitzustellen, in dem das Ceroxid in fester Lösung vorliegt und welches auch bei hohen Temperaturen strukturstabil bleibt und eine große spezifische Oberfläche aufweist (Anlage rop C1a, S. 2, zweiter und dritter Abs.; BPatG-Urteil S. 12; BGH-Urteil Rn 9).
    Zur Lösung dieser Problemstellung schlägt das Klagepatent in dem vom Bundesgerichtshof als Patentanspruch 1 aufrechterhaltenen Hauptanspruch eine Zusammensetzung vor, deren Merkmale sich wie folgt gliedern lassen:
    1. Zusammensetzung auf der Basis von Zirkoniumoxid.
    2. Die Zusammensetzung umfasst (neben dem Zirkoniumoxid)
    2.1 Ceroxid und
    2.2. wenigstens ein Dotierungselement.
    3. Die Zusammensetzung besitzt nach Kalzinierung für 6 Stunden bei 1000°C
    3.1 eine spezifische Oberfläche von 25 m2/g bis 51 m2/g und
    3.2 liegt in Form einer reinen festen Lösung des Ceroxids und des Dotierungsmittels in dem Zirkoniumoxid vor.
  33. Im Hinblick auf den Streit der Parteien bedarf die Merkmalsgruppe 3 der näheren Erläuterung.
  34. 1.
    Merkmal 3 enthält – wovon der Senat in Übereinstimmung mit dem Bundespatentgericht und dem Bundesgerichtshof (BPatG-Urteil S. 14-15, S. 21, BGH-Urteil S. 7) ausgeht – keine Vorgabe für den Herstellungsprozess, sondern lediglich eine Anforderung an die Materialeigenschaften. Den Hintergrund hierfür bildet der auch in der Klagepatentbeschreibung angesprochene Umstand, dass das Kalzinieren im Allgemeinen zu einer Verringerung der spezifischen Oberfläche führt. Merkmal 3 gibt auf dieser Grundlage vor, dass die spezifische Oberfläche der Zusammensetzung auch dann noch mindestens 25 m2/g betragen soll, wenn diese über 6 Stunden hinweg bei 1000°C kalziniert worden ist. Diese Eigenschaft bildet ein Indiz dafür, dass die Zusammensetzung für den vorgesehenen Zweck geeignet ist, weil die Betriebstemperatur eines Katalysators einen vergleichbaren Wert erreichen kann (vgl. BGH-Urteil Rn 13).
  35. 2.
    Die in Merkmal 3.1 beanspruchte „spezifische Oberfläche“ wird in der Klagepatentbeschreibung (Anlage rop C1a, S. 3, letzter Abs.) dahin definiert, dass hierunter die spezifische BET-Oberfläche zu verstehen ist, die bestimmt wird durch Adsorption von Stickstoff gemäß der Norm ASTM D 3663-78. Der in Bezug genommene ASTM-Standard (Anlage B 13; deutsche Übersetzung Anlage B 13a) beschreibt einen Stickstoffadsorptionstest zur Bestimmung der Oberfläche von katalytischen Materialien. Hierbei wird der Oberflächenbereich des Katalysators durch Messung des Volumens des auf verschiedenen Niedrigstufen adsorbierten Stickstoffgases durch die Poren der Zusammensetzung bestimmt. Die Druckunterschiede, welche durch das Einführen der Zusammensetzungsoberfläche in ein bestimmtes Stickstoffvolumen in einer Testvorrichtung erzeugt werden, werden gemessen und zur Berechnung der BET-Oberfläche genutzt (vgl. Anlage B 13a, Ziff. 3).
    Mit der BET-Methode gibt das Klagepatent – wovon das Landgericht zutreffend ausgegangen ist – dem Fachmann ein etabliertes, in der Fachwelt bekanntes Verfahren zur Bestimmung der spezifischen Oberfläche von Katalysatoren an die Hand, welches hierfür schon viele Jahre vor dem Prioritätszeitpunkt des Klagepatents als Standardverfahren verwendet wurde (BPatG-Urteil S. 17). In dem ASTM-Standard (Anlage B 13a, Ziff. 1.1) heißt es eingangs zwar, dass mit dieser Methode die spezifische Oberfläche von Katalysatoren mit einer Adsorptionsisotherme vom Typ II oder IV bestimmt wird, hierin liegt aber keine Beschränkung des Klagepatentanspruchs 1 dergestalt, dass dieser lediglich Zusammensetzungen erfasst, die Isothermen des Typs II oder IV aufweisen (vgl. BGH-Urteil Rn 98 f.).
    Wie insbesondere die Beispiele 1 bis 6 der Klagepatentschrift (Anlage rop C1a, S. 13 ff.) verdeutlichen, bei denen die spezifischen Oberflächen der Zusammensetzungen offenbar problemlos nach der in der allgemeinen Patentbeschreibung angegebenen BET-Methode bestimmt worden sind, geht das Klagepatent davon aus, dass eine Bestimmung der spezifischen Oberfläche der Zusammensetzung nach der BET-Methode generell möglich ist.
    Der Klagepatentschrift lassen sich keine Anhaltspunkte für eine Differenzierung zwischen einzelnen Isothermentypen entnehmen. Weder wird in der Klagepatentschrift darauf hingewiesen, dass vor der Anwendung der BET-Methode zur Bestimmung der spezifischen Oberfläche der Zusammensetzung zunächst überprüft werden müsse, welchem der sechs möglichen Isothermentypen (vgl. Anlage B 3/K 2, S. 4, Fig. 1.1) die Stickstoff-Adsorptionstherme der betreffenden Zusammensetzung zuzuordnen ist, noch wird angegeben, wie die spezifischen Oberflächen von Katalysatoren zu bestimmen sind, die nicht den im ASTM-Standard erwähnten Isothermen der Typen II oder IV zuzuordnen sind. Damit, welchen Isothermentyp die Zusammensetzung aufweist, befasst sich das Klagepatent überhaupt nicht. Den Fachmann verwundert dies trotz des einleitenden Hinweises in dem in Bezug genommenen ASTM-Standard auf Isothermen der Typen II und IV nicht, da ihm die BET-Methode als eine nahezu universell einsetzbare Methode bekannt ist (BPatG-Urteil S. 18). In der Fachwelt wird diese Methode ohne Kenntnis des Isothermentyps zur Bestimmung der spezifischen Oberfläche angewendet (BPatG-Urteil S. 18).
    Wie der betreffende Stand der Technik belegt, ändert hieran auch die Tatsache nichts, dass grundsätzlich noch andere Methoden zur Bestimmung der spezifischen Oberfläche zur Verfügung standen und stehen (vgl. BPatG-Urteil S. 18; Anlage B 28/28a, S. 44). Aus der Tatsache, dass das Klagepatent andere Methoden zur Bestimmung der spezifischen Oberfläche nicht erwähnt, zieht der Fachmann gerade den Schluss, dass mit der in der Klagepatentschrift benannten BET-Methode auch die spezifischen Oberflächen von Zusammensetzungen bestimmt werden können, die abweichend von den im ASTM-Standard erwähnten Stickstoff-Adsorptionsisothermen der Typen II oder IV einem anderen Isothermentyp zuzuordnen sind. Der Einwand der Beklagten, mit der BET-Methode könnten bei Materialien mit anderen Isothermen als den Typen II oder IV nur theoretische Werte für die spezifischen Oberflächen berechnet werden, nicht aber die realen Werte, ändert an der breiten Anwendung der BET-Methode nichts, da damit auf der Basis von standardisierten theoretischen Werten reproduzierbare Daten ermittelt werden können und so eine Grundlage geschaffen wird, auf der die BET-spezifischen Oberflächen von Katalysatoren miteinander verglichen werden können (BPatG-Urteil S. 18).
    Ob die Zusammensetzung nach Kalzinierung für 6 Stunden bei 1000°C eine spezifische Oberfläche von 25 m2/g bis 51 m2/g besitzt, ist damit unter Anwendung der BET-Methode zu bestimmen. Das gilt auch für die spezifischen Oberflächen von Zusammensetzungen, die keine Stickstoff-Adsorptionsisotherme vom Typ II oder IV, sondern eine Isotherme eines anderen Typs aufweisen.
  36. 3.
    Gemäß Merkmal 3.2 soll die patentgemäße Zusammensetzung in Form einer reinen festen Lösung vorliegen.
  37. a)
    Dass die beanspruchte Zusammensetzung die in Merkmal 3.2 beanspruchte Struktur jedenfalls nach dem Kalzinierungsvorgang aufweisen muss, ergibt sich – wovon der Senat in Übereinstimmung mit dem Bundespatentgericht und dem Bundesgerichtshof (BPatG-Urteil S. 15-17; BGH Urteil Rn 18, 19) ausgeht – bereits aus dem französischen Wortlaut des erteilten Patentanspruchs 2, dem der aufrechterhaltene Patentanspruch 1 insoweit entspricht. Die beiden im kennzeichnenden Teil dieses Anspruchs genannten Personalpronomen „elle“ können sich nämlich nur auf die im Oberbegriff genannte „composition“ beziehen, da der Patentanspruch ausschließlich deren Definition dient und der Oberbegriff kein weiteres weibliches Substantiv enthält. Einen entsprechenden Sinngehalt vermittelt im Übrigen auch die englische Version dieses Patentanspruchs (BPatG-Urteil S. 15).
    Zum anderen ergibt sich dieses Verständnis aus der Funktion der Kalzinierung und dem technischen Zusammenhang. Die 6-stündige Kalzinierung dient dazu, die patentgemäße Zusammensetzung auf reale Bedingungen einzustellen. Von entscheidender Bedeutung sind deshalb die kristallinen Eigenschaften der patentgemäßen Ce/Zr-Mischoxide zu diesem Zeitpunkt, da nur sie Aufschluss darüber geben können, ob sich die Zusammensetzung letztendlich für den Einsatz in Katalysatoren eignet oder nicht (Anlage rop C1a, S. 2, zweiter und dritter Abs.; BPatG-Urteil S. 16). Außerdem beruht die Lehre des Klagepatents auf der Erkenntnis, dass es sich in der Katalyse als vorteilhaft erweist, wenn Ceroxid und Zirkoniumoxid nicht in getrennter Form, sondern in Form eines echten Mischoxids vorliegen (Anlage rop C1a, S. 1 zweiter Abs. i.V.m. S. 2 erster Abs.). Hieraus ergibt sich aus technischer Sicht die Schlussfolgerung, dass die patentgemäße Zusammensetzung nach der im Patentanspruch 1 erwähnten Kalzinierung in Form einer reinen festen Lösung vorliegen muss, da das Klagepatent gerade das Ziel verfolgt, ein Entmischen der Bestandteile in der patentgemäßen Zusammensetzung zu vermeiden (Anlage rop C1a, S. 1 vorletzter Abs.; BPatG-Urteil S. 17).
    Die Richtigkeit dieses Verständnisses wird schließlich durch die Ausführungsbeispiele des Klagepatents bestätigt. Denn bei allen sechs Beispielen wird erst im letzten Satz der betreffenden Beschreibung auf die reine Feststofflösungs-Phase der erhaltenen Mischoxide hingewiesen (Anlage rop C1a, S. 13 bis 15, Bsp. 1 bis 6). Die Platzierung dieser Aussage am Ende des jeweiligen Beschreibungstextes sowie die Tatsache, dass in den Beispielen nur eine einzige Röntgenstrahlbeugungsanalyse vorgesehen ist, verdeutlichen dem Fachmann, dass die Kristallstruktur der Zusammensetzungen nach Beendigung sämtlicher in den Beispielen genannter verfahrenstechnischer Maßnahmen und damit erst nach der Kalzinierung bei 1000°C für 6 Stunden ermittelt wird (BPatG-Urteil S. 16, BGH-Urteil Rn 20).
  38. b)
    Unter einer „festen“ Lösung im Sinne von Merkmal 3.2 versteht der Fachmann – ein promovierter Chemiker mit speziellen Kenntnissen auf dem Gebiet der Katalyse, der mit der Entwicklung von Abgaskatalysatoren befasst ist (vgl. BPatG-Urteil S. 12) – eine Mischung zweier Feststoffe in homogener Form (BGH-Urteil Rn 16). Bei Kristallen müssen die Atome der mindestens zwei verschiedenen chemischen Elemente hierfür ein einheitliches Kristallgitter bilden, d.h. im Falle der erfindungsgemäßen Zusammensetzung müssen das Ceroxid und das Dotierungsmittel vollständig in die Kristallgitter des Zirkoniumoxids eingebaut sein, wobei die Fremdatome oder -ionen statistisch verteilt sind (Gutachten des SV Prof. O v. 18.05.2022, S. 2; Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 02.11.2023, S. 6; vgl. hierzu auch: Privatgutachten Prof. N, Anlage B16, S. 4 f.).
    Der Begriff der „reinen“ Lösung im Sinne von Merkmal 3.2 bezieht sich auf die Phasenreinheit, d.h. dass keine (oder nur geringste Mengen) kristallographisch unterscheidbarer Phasen nebeneinander vorliegen dürfen (Gutachten des SV Prof. O v. 18.05.2022, S. 3 oben). Als „Phase“ wird dabei ein räumlicher Bereich bezeichnet, in dem die Materialeigenschaften, wie etwa Dichte, Brechungsindex oder chemische Zusammensetzung, homogen sind. Kristallographisch unterschiedliche Phasen liegen vor, wenn die Phasen entweder verschiedene Kristallstrukturen haben, oder eine Entmischung stattgefunden hat, so dass zwei oder mehr Phasen unterschiedlicher Zusammensetzung, aber gleicher Kristallstruktur vorliegen (Gutachten des SV Prof. O v. 18.05.2022, S. 3 dritter Absatz). Der Bundesgerichtshof spricht in diesem Zusammenhang von einem „mehrphasigen Aufbau“, bei dem die Atome in einzelnen Bereichen jeweils unterschiedlich angeordnet sind (BGH-Urteil Rn 17).
  39. c)
    Der Klagepatentanspruch setzt allein das Vorliegen einer „reinen festen Lösung“ voraus, ohne ein bestimmtes Mess- oder Analyseverfahren zu definieren, anhand dessen dieses Merkmal verifiziert werden soll. Die Klagepatentschrift geht allerdings davon aus, dass das Vorliegen einer reinen festen Lösung mit einem für die erfindungsgemäße Lehre hinreichend praktisch brauchbaren Grad an Gewissheit mittels der Methode der Röntgenbeugungsanalyse (sog. XRD-Analyse) festgestellt werden kann (vgl. auch BGH-Urteil Rn 23). So heißt es auf S. 4 der Klagepatentbeschreibung:
    „Man versteht darunter, dass das Cer vollständig in fester Lösung in dem Zirkonium vorliegt. Die Röntgenstrahl-Beugungsspektren dieser Zusammensetzungen zeigen insbesondere im Inneren dieser letztgenannten das Vorliegen einer einzigen klar identifizierbaren Phase, die derjenigen eines Zirkoniumoxids entspricht, das im kubischen oder quadratischen System kristallisiert ist, was einen Einbau des Cers in das Kristallgitter des Zirkoniumoxids und demgemäß den Erhalt einer wahren festen Lösung widerspiegelt.“
    „Die Zusammensetzungen, die ein Dotiermittel umfassen, liegen in Form einer festen Lösung von Ceroxid und dem Dotiermittel in dem Zirkoniumoxid vor. Die Röntgenbeugung-Spektren dieser Verbindungen sind von der gleichen Art wie diejenigen, die oben beschrieben wurden.“
  40. Auch bei den in der Klagepatentschrift beschriebenen Ausführungsbeispielen der Erfindung wird die Kristallstruktur (ausschließlich) anhand von Röntgenstrahlbeugungsspektren untersucht. Die Beschreibung aller sechs Beispiele schließt insoweit jeweils mit der Bemerkung, die Röntgenstrahlbeugungsanalyse zeige, dass das erhaltene Oxid in Form einer reinen Feststofflösungsphase vorliege (Anlage rop C1a, S. 13-15). In sämtlichen Ausführungsbeispielen des Klagepatents wird das Vorliegen einer reinen festen Lösung damit (allein) mittels Röntgenstrahlbeugungsspektren nachgewiesen.
    Bei der Röntgenstrahlbeugung wird das Kristallgitter des zu untersuchenden Mischkristalls zu einem symmetrisch ähnlichen reziproken Gitter im Fourier-Raum transformiert. Jeder Beugungspunkt entspricht dabei genau einem Beugungspunkt im reziproken Gitter. Die Gitterpunkte im reziproken Gitter wiederum entsprechen einer mit Atomen besetzten Ebene im Kristallgitter, an der man sich die Beugung „ähnlich“ einer Spiegelung vorstellen kann. Die Lage der Beugungsreflexe enthält Informationen über Metrik und Symmetrie des Kristallgitters. Die Intensität der Beugungsreflexe lässt Rückschlüsse auf die Lage der Atome in der Elementarzelle zu (Gutachten des SV Prof. O v. 18.05.2022, S. 4).
    Der Informationsgehalt eines Pulverbeugungsdiagramms ist nach den überzeugenden Ausführungen des gerichtlichen Sachverständigen bei sachgerechter Messung und Analyse enorm (Gutachten des SV Prof. O v. 18.05.2022, S. 5 zweiter Absatz). Der gerichtliche Sachverständige bezeichnet die Röntgenpulverbeugung deshalb als die am besten geeignete Methode zur Feststellung, ob ein kristallines Festkörpergemisch vorliegt (Gutachten des SV Prof. O v. 18.05.2022, S. 6 Ziffer 10; Ergänzungsgutachten des SV Prof. O v. 02.01.2023, S. 4 zu Frage 6; Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 02.11.2023, S. 7). Mit der Methode der Röntgenstrahlbeugungsspektroskopie benennt das Klagepatent damit ein geeignetes – wenn auch nicht das einzig mögliche (vgl. BGH-Urteil Rn 23) – Analyseverfahren, das aus der Sicht des Fachmanns geeignet ist, den Nachweis für eine Verwirklichung des Merkmals 3.2 zu erbringen.
  41. d)
    Wählt der Fachmann für den Nachweis der erfindungsgemäßen „reinen festen Lösung“ die Methode der Röntgenbeugung, so sind weitere Analysen, die das Ergebnis der Röntgenstrahlbeugungsanalyse bestätigen, nach dem Klagepatent nicht erforderlich. Insbesondere nimmt die Klagepatentschrift weder auf die sog. Rietveld-Verfeinerung noch auf die Raman-Spektroskopie Bezug.
    Mit der Rietveld-Verfeinerung kann der Nachteil der Überlagerung von Beugungsreflexen zum Teil dadurch ausgeglichen werden, dass anstelle der integralen Intensität einzelner Beugungsreflexe das gesamte Pulverbeugungsdiagramm (alle Messpunkte) an ein physikalisch-mathematisches Modell nach der Methode der kleinsten Quadrate angepasst wird (Gutachten des SV Prof. O v. 18.05.2022, S. 6 Ziffer 8). Die Rietveld-Verfeinerung ist allerdings keine eigenständige Messmethode, sondern lediglich eine verfeinerte Auswertung der aufgrund der Röntgenbeugungsanalyse erhaltenen Ergebnisse (vgl. Ergänzungsgutachten des SV Prof. O v. 02.01.2023, S. 4 zu Frage 7); sie hängt deshalb von der Genauigkeit der XRD-Spektren ab. Für die Rietveld-Verfeinerung müssen bestimmte Parameter, insbesondere im Hinblick auf die Kristallstruktur, vorgegeben werden. Das macht die Rietveld-Verfeinerung anfällig für strukturelle Fehler (Ergänzungsgutachten des SV Prof. O v. 02.01.2023, S. 4 zu Frage 7; vgl. auch die kritischen Bemerkungen der Beklagten zur Aussagekraft von Rietveld-Verfeinerungen in ihrem Schriftsatz v. 20.04.2023, S. 2).
    Demgegenüber handelt es sich bei der sog. Raman-Spektroskopie um eine eigenständige Messmethode. Die Raman-Spektroskopie beruht auf der Wechselwirkung von (Laser) Licht mit Phononen (Gitterschwingungen), bei der das Licht unelastisch gestreut wird. Mit der Raman-Spektroskopie werden die Wellenlängen und die Intensitäten des gestreuten Lichts gemessen. Die Frequenz des Raman-Streulichts ist gegenüber dem einfallenden Licht verschoben, entweder zu niedrigeren Energien oder zu höheren Energien (Gutachten des SV Prof. O v. 18.05.2022, S. 10/11). Die Raman-Spektroskopie kann allerdings keine Kristallstruktur (Fernordnung) bestimmen, sondern vermag demgegenüber insbesondere die Lokalstruktur der zu untersuchenden Kristallite aufzuschlüsseln. Da das Klagepatent eine „reine feste Lösung“ im makroskopischen Sinne beschreibt, kann nach den überzeugenden Ausführungen des gerichtlichen Sachverständigen die Raman-Spektroskopie die Röntgenstrahlbeugungsanalyse nicht ersetzen (Gutachten des SV Prof. O v. 18.05.2022, S. 11, 13; Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 02.11.2023, S. 20).
    Soweit der gerichtliche Sachverständige die rein visuelle Inspektion von Pulverdiagrammen für nicht mehr zeitgemäß hält und die Rietveld-Verfeinerung (als Ergänzung zur Röntgenbeugung) heutzutage als „de-facto-Standard“ bezeichnet (Gutachten des SV Prof. O, S. 12 Mitte), bezieht sich diese Aussage auf die in der heutigen Zeit in der Wissenschaft zur Verfügung stehenden Analysemethoden. Hierauf kommt es indes nicht an.
    Denn bei der Auslegung eines Patentanspruchs ist grundsätzlich danach zu fragen, wie der Durchschnittsfachmann im Patentanspruch enthaltene Begriffe am Anmelde- bzw. (bei in Anspruch genommenem Zeitrang) Prioritätstag des Klagepatents verstanden hat. Erkenntnisse, die erst später in die Fachwelt gedrungen sind, haben grundsätzlich außer Betracht zu bleiben (Kühnen, Handbuch der Patentverletzung, 15. Auflage, Kap. A Rn 138; vgl. auch die ausführliche Darstellung von Schröler, Mitt 2019, 386 ff. m.w.N.). Eine im Laufe der Zeit eintretende Veränderung, beispielsweise durch das Auffinden besserer Analyseverfahren, darf weder zu einer Einschränkung noch zu einer Erweiterung des Schutzbereichs führen; denn ein sich über die Zeit verändernder Schutzbereich wäre mit dem Gebot der Rechtssicherheit nicht vereinbar (vgl. auch: Senat, Urt. v. 29.07.2010, I-2 U 139/09, Rn 17 – Traktionshilfe; LG Düsseldorf, Urt. v. 22.01.2015, 4c O 16/14, Rn 142 ff, zitiert nach juris).
    Hängt die Auslegung eines im Patentanspruch genannten Begriffs oder der Wert einer im Patentanspruch genannten Größe von der Messmethode ab, so verlangt das Gebot der Rechtssicherheit dementsprechend, dass der Begriff oder der Wert so definiert werden, wie dies dem Fachmann aufgrund seines Kenntnisstands am Anmelde- bzw. Prioritätstag mit den in diesem Zeitpunkt zur Verfügung stehenden Messmethoden möglich war (Senat, Urt. v. 07.07.2016, I-2 U 5/14 Rn 50 – Partikel-Auffangvorrichtung, zitiert nach juris ; LG Düsseldorf, BeckRS 2018, 24128 Rn 57 f.– Anti-HER2-Antikörper). Dies schließt es grundsätzlich nicht aus, den Nachweis der Verletzung auch mit anderen Messmethoden zu führen, die erst nach diesem Zeitpunkt entwickelt oder bekannt geworden sind. Allerdings geben dann die am Anmelde- bzw. Prioritätstag bekannten und vom Fachmann standardmäßig angewandten Messmethoden den Maßstab für die zu fordernde Messgenauigkeit vor (vgl. hierzu auch: BGH, BeckRS 2012, 16616 Rn 16 – Verfahren zum Färben von chromosomalem Zielmaterial; Senat, BeckRS 2013, 12505).
    Im Streitfall ist nach diesen Grundsätzen maßgeblich, wie der Durchschnittsfachmann mit den am 03.07.1995 verfügbaren Analysemöglichkeiten den Begriff der reinen festen Lösung interpretiert hat. Dies bedeutet nicht, dass nicht (auch) durch modernere Analysemethoden, die erst nach dem Prioritätstag des Klagepatents bekannt wurden, das Vorliegen einer reinen festen Lösung nachgewiesen oder auch widerlegt werden könnte. Allerdings können diese Analysemethoden den Schutzbereich des Klagepatents nicht dadurch einschränken, dass sie einen höheren Grad an Messgenauigkeit aufweisen und damit Nebenphasen offenbar werden lassen, die mit den zum Prioritätszeitpunkt des Klagepatents zur Verfügung stehenden Standardmessmethoden nicht ersichtlich waren. Vielmehr ist das Klagepatent dahingehend auszulegen, dass die erfindungsgemäße „reine feste Lösung“ im Rahmen der Analyse (nur) mit einem Grad an Genauigkeit festgestellt werden muss, der mit den zum Prioritätstag bekannten und in der Industrie standardmäßig angewandten Analysemöglichkeiten erzielt werden konnte.
    Nach den überzeugenden Ausführungen des gerichtlichen Sachverständigen stellte die Röntgenbeugungsanalyse am Prioritätstag des Klagepatents die allgemein anerkannte Standardmethode dar, um zu ermitteln, ob mehrere Feststoffe in Form einer reinen festen Lösung vorliegen oder nicht (Protokoll der mündlichen Verhandlung v. 02.11.2023, S. 2, 4, 7). Die Rietveld-Verfeinerung war zwar zum Prioritätstag des Klagepatents bereits seit über 25 Jahren bekannt, sie wurde nach den Ausführungen des gerichtlichen Sachverständigen in der Industrie aber nur sporadisch eingesetzt (Ergänzungsgutachten des SV Prof. O v. 02.01.2023, S. 3 zu Frage 2). In der Industrie wurden vielmehr Verbindungen als „quasi phasenrein“ betrachtet, wenn im Standard-Pulverdiagramm mit dem bloßen Auge keine zusätzlichen Beugungsreflexe mit einer über dem Zwei- bis Dreifachen des statistischen Rauschens liegenden Intensität zu erkennen waren (Ergänzungsgutachten des SV Prof. O v. 02.01.2023, S. 3 zu Frage 2). Von diesem Maßstab geht auch die Klagepatentschrift aus, die die Rietveld-Verfeinerung – obwohl lange bekannt – an keiner Stelle erwähnt. Etwaige Nebenphasen, die mit der Methode der Röntgenstrahlbeugungsanalyse nicht als solche erkennbar sind, haben hiernach für die Beurteilung der erfindungsgemäßen reinen festen Lösung außer Betracht zu bleiben. Die klagepatentgemäße Lehre verlangt vielmehr eine reine feste Lösung in dem Sinne, dass die (ordnungsgemäß durchgeführte) Röntgenstrahlbeugungsanalyse ein Spektrum ergibt, in dem keine Nebenphasen erkennbar sind.
    Dieses Ergebnis entspricht auch der gebotenen funktionalen Betrachtung. Hiernach haben solche Nebenphasen unberücksichtigt zu bleiben, denen für die Materialbeschaffenheit keine wesentliche Bedeutung zukommt (BGH-Urteil Rn 21). Denn das Klagepatent will sich mit dem Erfordernis der „reinen festen Lösung“ nach Kalzinierung insbesondere von den im Stand der Technik bekannten Zusammensetzungen abgrenzen, bei denen es beim Erwärmen auf 1000°C zu einer Entmischung kommt. Entmischen bedeutet in diesem Zusammenhang, dass eine weitreichende Veränderung der inneren Struktur auftritt, die sich im Röntgenbeugungsspektrum durch eine identifizierbare Nebenphase zeigt. Solche Nebenphasen hätten spürbar negative Auswirkungen auf die Eignung der Zusammensetzung als Bestandteil von Drei-Wege-Katalysatoren. Dies will die klagepatentgemäße Lehre durch das Erfordernis der „reinen festen Lösung“ vermeiden. Der gerichtliche Sachverständige geht insofern davon aus, dass erst Nebenphasen von mindestens 1 bis 2 Gewichtsprozent die Eignung der Zusammensetzung für den Einsatz in multifunktionellen Katalysatoren beeinträchtigen würden (Ergänzungsgutachten des SV Prof. O v. 02.01.2023, S. 3 zu Frage 5; vgl. auch: Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 02.11.2023, S. 9). Solche Nebenphasen aber sind im Röntgenbeugungsspektrum auch mit dem bloßen Auge erkennbar; einer Rietveld-Verfeinerung bedarf es insofern nicht.
  42. III.
    Diese Auslegung des Klagepatents zugrunde gelegt, machen alle drei angegriffenen Ausführungsformen – die angegriffene Ausführungsform I allerdings nur in bestimmten Produktionschargen – von der technischen Lehre des Klagepatentanspruchs 1 in der Fassung des Nichtigkeitsurteils des Bundesgerichtshofs unmittelbar wortsinngemäß Gebrauch.
    Dass die angegriffenen Ausführungsformen die Merkmale 1 und 2 der oben wiedergegebenen Merkmalsgliederung wortsinngemäß verwirklichen, steht zwischen den Parteien zu Recht außer Streit. Weitere Ausführungen hierzu erübrigen sich daher. Die Parteien streiten allein darüber, ob die angegriffenen Ausführungsformen auch den Vorgaben der Merkmalsgruppe 3 entsprechen. Dies ist zu bejahen.
  43. 1.
    Merkmal 3.1 des Klagepatentanspruchs 1 verlangt, dass die erfindungsgemäße Zusammensetzung nach Kalzinierung für 6 Stunden bei 1000°C eine spezifische Oberfläche von 25 m2/g bis 51 m2/g aufweist.
    Wie im Rahmen der Auslegung dargelegt, ist für die erfindungsgemäße Lehre unerheblich, welchen Isothermen-Typ die Oberflächen der angegriffenen Ausführungsformen aufweisen. Der Schutzbereich des Klagepatents umfasst insbesondere auch Isothermen, die nicht dem Typ II oder IV angehören; auch in diesem Fall ist der Oberflächenwert nach der BET-Methode zu ermitteln.
  44. aa)
    Hinsichtlich der angegriffenen Ausführungsformen II und III ist zwischen den Parteien unstreitig, dass sich bei einer Bestimmung nach der BET-Methode ein Oberflächenwert im anspruchsgemäßen Bereich ergibt. Das Produkt F (angegriffene Ausführungsform III) weist nach Kalzinierung für 4 Stunden bei 1000°C eine spezifische Oberfläche von 43,54 m2/g auf, das Produkt E (angegriffene Ausführungsform II) nach Kalzinierung für 4 Stunden bei 1000°C eine spezifische Oberfläche von 47,73 m2/g. Eine Erhöhung der Kalzinierungsdauer von 4 auf 6 Stunden führt unstreitig allenfalls zu einer geringfügigen Verminderung der spezifischen Oberfläche. Merkmal 3.1 ist damit verwirklicht.
  45. bb)
    Bezüglich der angegriffenen Ausführungsform I wurden im Rahmen verschiedener Messungen Oberflächenwerte innerhalb und außerhalb des beanspruchten Bereichs ermittelt. Dabei ist unstreitig, dass die Beklagte die Bezeichnungen D und G für dasselbe Produkt verwendet hat. In ihrem Schriftsatz vom 08.11.2019 (dort S. 5) erklärt die Beklagte diesbezüglich:
    „Folglich handelt es sich bei dem Produkt G, welches ausweislich der Rechnungslegung an die P GmbH abgegeben wurde, um einen Anteil der Charge 08-30 der hier angegriffenen Ausführungsform D. Die unterschiedliche Bezeichnung basiert auf einer internen Anpassung.“
    Laut dem als Anlage rop C14 vorgelegten Produktkatalog weist die Charge 06-2-21-1 des Produkts G (interne Bezeichnung: M) nach Kalzinierung für 4 Stunden bei 1000°C eine spezifische Oberfläche von 49,10 m2/g auf. Diesem Wert ist die Beklagte nicht entgegengetreten. Nachdem eine Erhöhung der Kalzinierungsdauer von 4 auf 6 Stunden unstreitig allenfalls zu einer geringfügigen Verminderung der spezifischen Oberfläche führt, verwirklicht die Charge 06-2-21-1 des Produkts G Merkmal 3.1 des Klagepatentanspruchs 1. Gleiches gilt für die Chargen 051191 und 051192 des Produkts D. Insofern ist unstreitig, dass diese beiden Chargen eine spezifische Oberfläche zwischen 25 und 51 m2/g aufweisen (vgl. Schriftsatz der Beklagten v. 15.06.2020, S. 2).
    Die in den Niederlanden durchgeführten Untersuchungen der angegriffenen Ausführungsform I haben hingegen nur eine nicht patentgemäße Oberfläche ergeben. Aus dem Analysebericht gemäß Anlage B17 / B17a ergibt sich für die Charge 08-30 des Produkts D nach 6 Stunden Kalzinieren bei 1000°C eine spezifische Oberfläche von 52,3 m2/g (+/- 0,3). Für die Charge 08-24 des Produkts D wurde ein Oberflächenwert von 54 m2/g (+/- 0,4) ermittelt. Beide Werte liegen damit über der patentgemäßen Obergrenze von 51 m2/g.
    Der Fachmann versteht, dass die in den Anspruch aufgenommene Bereichsangabe den Schutzbereich des Klagepatentanspruchs 1 begrenzt und Über- oder Unterschreitungen des angegebenen Oberflächenbereichs nicht mehr zu der unter Schutz gestellten technischen Lehre gehören. Die Aufnahme von Zahlen- oder Maßangaben in den Anspruch – wie hier – verdeutlicht, dass sie den Schutzgegenstand des Patents mitbestimmen und damit auch begrenzen sollen (vgl. BGH, NJW 1992, 2830 – Chrom-Nickel-Legierung). Es verbietet sich daher, solche Angaben als minder verbindliche, lediglich beispielhafte Festlegungen der geschützten technischen Lehre anzusehen. Eine eindeutige Zahlenangabe bestimmt und begrenzt den geschützten Gegenstand grundsätzlich insoweit abschließend; ihre Über- oder Unterschreitung ist daher in aller Regel nicht mehr zum Gegenstand des Patentanspruchs zu rechnen (BGH, GRUR 2002, 511, 512 – Kunststoffrohrteil; BGH, GRUR 2002, 515, 517 – Schneidmesser I; BGH, GRUR 2002, 519, 521 – Schneidmesser II; BGH, GRUR 2002, 523, 525 – Custodiol I; BGH, GRUR 2002, 527, 529 – Custodiol II).
    Andererseits schließt dies nicht aus, dass der Fachmann eine gewisse, beispielsweise übliche Messtoleranzen umfassende Unschärfe als mit dem technischen Sinngehalt einer Zahlenangabe vereinbar ansieht. Da das Verletzungsgericht aber an den Erteilungsakt – und folglich auch an dessen weiteres Schicksal im Rechtsbestandsverfahren – gebunden ist, ist es ausgeschlossen, im Verletzungsprozess eine Patentauslegung und/oder eine Schutzbereichsbestimmung vorzunehmen, mit denen solche Gegenstände, die dem Patentinhaber im Rechtsbestandsverfahren als Schutzgegenstand genommen worden sind, wieder in das Patent und seinen Schutz einbezogen werden (Senat, GRUR-RS 2022, 38378 Rn 23 – Lichtemmitierendes Bauelement).
    Im Rahmen des Nichtigkeitsverfahrens hat der Bundesgerichtshof mit seinem Urteil vom 06.08.2019 (Anlage rop C11) die hier streitgegenständliche Obergrenze von 51 m2/g in den Klagepatentanspruch 1 aufgenommen und damit die zuvor nach oben offene Bereichsangabe begrenzt. Zur Begründung hat er ausgeführt, das Klagepatent enthalte keine verallgemeinernde Lehre, die es dem Fachmann erstmals ermögliche, nach weiteren Verbesserungsmöglichkeiten zu suchen und den im Patent konkret aufgezeigten Höchstwert zu übertreffen. Der Beitrag des Klagepatents beschränke sich vielmehr darauf, neue Wege aufzuzeigen, durch die die spezifische Oberfläche einer erfindungsgemäßen Zusammensetzung nochmals erhöht werden könne. Bei der gebotenen wertenden Betrachtung sei damit nur derjenige Bereich als ausführbar offenbart anzusehen, der mit dem offenbarten Verfahren erreicht werden könne (Anlage rop C11, S. 27/28). An diese Beschränkung des Anspruchs ist der Senat gebunden. Zwar mögen ggf. noch Ausführungsformen mit einer spezifischen Oberfläche von 51,3 m2/g oder auch 51,4 m2/g das Merkmal 3.1 verwirklichen, da übliche Messtoleranzen im Bereich von +/- 0,3 bis 0,4 m2/g liegen. Ausführungsformen mit einer spezifischen Oberfläche von 52,3 m2/g bzw. 54 m2/g können aber nicht mehr in den Schutzbereich einbezogen werden. Soweit sich die Klägerinnen diesbezüglich auf Fertigungstoleranzen von +/- 5 m2/g berufen, mögen diese in der Praxis bei der Herstellung von Erzeugnissen der in Rede stehenden Art auftreten. Das Klagepatent hat sich jedoch auf einen bestimmten Bereich festgelegt, wobei es eine verbindliche Untergrenze und eine verbindliche Obergrenze angibt. Zusätzliche Toleranzen, die über diesen Bereich hinausgehen, sieht das Klagepatent demgegenüber nicht vor.
  46. b)
    Die Klägerinnen haben weiter schlüssig dargetan und nachgewiesen, dass die angegriffenen Ausführungsformen entsprechend Merkmal 3.2 nach Kalzinierung für 6 Stunden bei 1000°C erfindungsgemäß in Form einer reinen festen Lösung des Ceroxids und des Dotierungsmittels in dem Zirkoniumoxid vorliegen.
  47. aa)
    Ausweislich des von den Klägerinnen in Bezug genommenen Analyseberichts des niederländischen Gutachters (Anlage B 17/17a) wurden Proben des in den Niederlanden beschlagnahmten Produkts D mittels Röntgenbeugung untersucht. Die Röntgenstrahlbeugungsmuster der Proben sind in Figur 1 des Analyseberichts gezeigt. Dieser Darstellung ist zu entnehmen, dass das experimentelle Röntgenbeugungsdiagramm der untersuchten Proben eine deutliche Verschiebung in Richtung niedrigerer 2-Theta-Werte im Vergleich zu kubischem Zirkoniumdioxid aufweist. Nach den Erläuterungen des niederländischen Gutachters kann daraus geschlussfolgert werden, dass in der untersuchten Probe eine wesentliche Menge an Cer vorhanden ist; außerdem lassen die kombinierte elementare Zusammensetzung und die Festphasenstruktur darauf schließen, dass das Cer in fester Lösung im Zirkoniumoxid vorliegt (Anlage B17a, IV. B.2.).
    Zwar hat der niederländische Gutachter bzw. der hinzugezogene technische Experte die Beugungsmuster nicht an Proben gemessen, die bei 1000°C für 6 Stunden kalziniert wurden, sondern an Proben, die bei 800°C kalziniert wurden (Anlage B17a, IV. B.2.), diese Ungenauigkeit haben die Klägerinnen aber ausweislich der Anlage rop C4 durch eine eigene Röntgenbeugungsanalyse korrigiert. Nach dem unwidersprochen gebliebenen Vortrag der Klägerinnen waren Gegenstand dieser Röntgenbeugungsanalyse Proben des in den Niederlanden beschlagnahmten Produkts D, die sich die Klägerin zu 1. zu Analysezwecken beschafft hat. Nach dem ebenfalls unwidersprochen gebliebenen Vortrag der Klägerinnen wurden die Röntgenbeugungsdiagramme von der Klägerin zu 1. nach Kalzinieren dieser Muster bei 1000°C für 6 Stunden gebildet. Substantiierte Einwände gegen die Richtigkeit der als Anlage rop C4 vorgelegten Ergebnisse der von der Klägerin zu 1. durchgeführten Röntgenbeugungsanalyse werden von der Beklagten nicht erhoben. Insbesondere legt sie keine (abweichenden) Ergebnisse einer eigenen Röntgenstrahlbeugungsanalyse vor.
    Die von der Klägerin zu 1. ermittelten Röntgenbeugungsspektren sind unstreitig praktisch identisch mit denjenigen des niederländischen Gutachters. Wie das Landgericht unangegriffen festgestellt hat, zeigen sie in scharfer Abgrenzung genau die Banden, die für kubisches Zirkoniumdioxid charakteristisch sind. Die Peaks sind zwar wiederum von der reinen kubischen Zirkoniumdioxid-Phase in Richtung der kubischen Ceroxid-Phase verschoben. Diese Verschiebung ist jedoch typisch. Sie ist darauf zurückzuführen, dass in den Proben eine große Menge Cer enthalten ist und es durch den Einbau des Cers in das Kristallgitter des Zirkoniumoxids zu einer Verschiebung in der Position der Peaks kommt. Die Röntgenbeugungsspektren gemäß der Anlage rop C4 zeigen – ebenso wie die von dem niederländischen Gutachter ermittelten Beugungsspektren – keine störenden Nebenphasen, sondern nur die verschobenen Peaks der dem Zirkoniumoxid zuzuordnenden Phase. Dass in den Röntgenbeugungsspektren eine störende Nebenphase identifizierbar sei, macht auch die Beklagte nicht geltend.
    Gleiches gilt für die angegriffenen Ausführungsformen II und III. Entsprechende Röntgenstrahlbeugungsspektren haben die Klägerinnen als Anlagen rop C13 und rop C14 vorgelegt. Auch diese zeigen keine störenden Nebenphasen. In den vorgelegten Röntgenstrahlbeugungsspektren zeigt sich zwar eine mit diffuser Streuung einhergehende sog. „amorphe Phase“, diese kann aber nach den Ausführungen des gerichtlichen Sachverständigen nicht als eigenständig betrachtet werden und widerspricht insbesondere nicht der Definition einer reinen festen Lösung (Ergänzungsgutachten des SV Prof. O v. 02.01.2023 S. 6 zu Ziffer I.4; Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 02.11.2023, S. 2, 19). Insoweit stellt auch der Bundesgerichtshof in seinem Urteil vom 06.08.2019 fest, dass ein aus praktischer Sicht hinreichender Grad an Wahrscheinlichkeit für das Vorliegen von aus dem Schutzbereich des Klagepatents herausführenden Nebenphasen nicht gegeben ist, wenn anhand eines Röntgenstrahlbeugungsdiagramms nicht mit absoluter Sicherheit auszuschließen ist, dass weitere Kristallphasen oder Cer in amorpher Form vorhanden sind (Anlage rop C11, S. 17, erster Absatz).
    Soweit sich in Anlage rop C14 bezüglich der angegriffenen Ausführungsform III die Angabe „Tetragonal/cubic wt% 100 %“ findet, haben die Klägerinnen dies nachvollziehbar damit erklärt, dass mit den 100% der Anteil der tetragonalen im Verhältnis zu einer ggf. anwesenden kubischen Phase angegeben werde. Betrage der Wert – wie hier – 100%, handele es sich um eine reine feste Lösung, weil die einzig messbare Phase tetragonal sei und eine kubische Phase nicht feststellbar sei. Die entgegenstehende Aussage der Beklagten, wonach die Angabe bedeute, dass das Produkt in Summe 100% tetragonale und kubische Phase umfasse, überzeugt den Senat nicht. Es ist nicht ersichtlich, welche Aussagekraft eine solche Angabe für den potentiellen Kunden haben sollte.
    Soweit die Beklagte die ordnungsgemäße Durchführung der Analysen zu den angegriffenen Ausführungsformen II und III mit Nichtwissen bestreitet, ist dies unzulässig. Nach § 138 Abs. 4 ZPO reicht es grundsätzlich nicht aus, wenn eine Partei, die ein als patentverletzend angegriffenes Erzeugnis anbietet oder in Verkehr bringt, konkretes Vorbringen der Gegenseite zu dessen technischen Eigenschaften mit Nichtwissen bestreitet. Wer ein Erzeugnis anbietet oder in Verkehr bringt, darf sich der Verantwortung für eine darin liegende Rechtsverletzung nicht dadurch entziehen, dass er Eigenschaften und Funktionsweise des Erzeugnisses nicht zur Kenntnis nimmt. Wenn eine solche Partei nicht selbst über die relevanten Informationen verfügt, ist sie im Rahmen des Möglichen und Zumutbaren gehalten, sich diese Informationen von Dritten zu verschaffen, etwa durch Nachfrage bei Herstellern und Lieferanten oder durch eigene Untersuchungen. Im Verletzungsrechtsstreit kann von der in Anspruch genommenen Partei deshalb grundsätzlich verlangt werden, dass sie auf Vortrag des Gegners zu den technischen Eigenschaften der angegriffenen Ausführungsform konkret erwidert (BGH, GRUR 2023, 474 Rn 29 – CQI-Bericht II; Senat, BeckRS 2017, 162300 Rn 118 ff.; Senat, GRUR-RS 2016, 111011 Rn 69 – Lichtemmittierende Vorrichtung; Senat, BeckRS 2016, 3307n Rn 89). Hat der Kläger zur Begründung seines Verletzungsvorwurfs eigene Untersuchungsergebnisse und/oder ein Privatgutachten vorgelegt, reicht es für ein erhebliches Bestreiten nicht aus, den Klägervortrag als unzureichend zu bezeichnen und Kritik an den vorgelegten Untersuchungen und Unterlagen zu üben. Es ist vielmehr an der Beklagtenseite, wenn möglich eigene Untersuchungen zu veranlassen und – soweit zutreffend – auf dieser Grundlage dem Klägervortrag entgegen zu treten (Senat, GRUR-RS 2021, 39600 Rn 71 – Rasierapparat). Die fachkundige Beklagte trägt aber nicht vor, dass bei einer „korrekten“ Anwendung der Methode der Röntgenbeugungsanalyse störende Nebenphasen in dem XRD-Diffraktogramm erkennbar wären; eigene Röntgenbeugungsspektren hat sie – soweit ersichtlich – nicht erstellt, jedenfalls aber nicht vorgelegt.
  48. bb)
    Die Beklagte macht vielmehr geltend, der Fachmann würde zur Bestimmung des patentgemäßen Fehlens von Nebenphasen und des Vorliegens einer reinen festen Lösung des Ceroxids und des Dotierungsmittels in dem Zirkoniumoxid statt der Röntgenbeugungsanalyse die – nach ihrer Auffassung genauere – Raman-Spektroskopie anwenden (vgl. auch: Anlage B27, S. 2 ff.). Dem ist der gerichtliche Sachverständige in seinem Gutachten entgegengetreten. Nach seinen Ausführungen sind typische Anwendungen der Raman-Spektroskopie die Strukturbestimmung, die qualitative Analyse von Mehrkomponentensystemen und die quantitative Analyse. Mittels der Raman-Spektroskopie könne aber insbesondere keine Fernordnung (Kristallstruktur) bestimmt werden. Auf eben diese Kristallstruktur komme es im Rahmen der erfindungsgemäßen Lehre an, nicht hingegen auf die mittels der Raman-Spektrografie gemessene Lokalstruktur. Aus diesem Grund könne die Raman-Spektrografie die Röntgenstrukturanalyse nicht ersetzen. Möglich sei allenfalls eine sinnvolle Ergänzung der Röntgenbeugungsanalyse durch die Raman-Spektrografie (vgl. Gutachten des SV Prof. O v. 18.05.2022, S. 11 letzter Absatz, S 14 erster Absatz).
    Soweit hiernach die Raman-Spektrografie grundsätzlich geeignet ist, die mittels Röntgenstrahlbeugungsanalyse ermittelten Ergebnisse im Hinblick auf das Vorliegen einer reinen festen Lösung zu überprüfen, vermögen die von der Beklagten vorgelegten Raman-Spektren (Anlagen B40, B62, B64) die Ergebnisse der von den Klägerinnen vorgelegten Röntgenstrahlbeugungsspektren allerdings nicht zu widerlegen.
    Die Beklagte beruft sich darauf, eine rein kubische Phase würde lediglich einen einzigen Peak bei ungefähr 465 cm-1 zeigen, tetragonale Phasen wiesen demgegenüber insgesamt sechs Peaks bei ca. 140, 260, 309, 454, 600 und 630 cm-1 auf. Da die von ihr – der Beklagten zu 1. – erstellten Raman-Spektren weder einen einzelnen Peak bei 465 cm-1, noch sechs Peaks bei ca. 140, 260, 309, 454, 600 und 630 cm-1 zeigten, liege weder eine rein kubische noch eine rein tetragonale Phase vor. Vielmehr sei von mindestens zwei verschiedenen Phasen auszugehen.
    Die Klägerinnen macht demgegenüber geltend, dass die in den angegriffenen Ausführungsformen enthaltenen Dotierungsmittel sowohl eigene Banden in einem Raman-Spektrum hervorrufen als auch die Banden der anderen Elemente beeinflussen können. Insofern werde die Raman-Spektroskopie durch das Vorhandensein von Dotierungsmitteln – anders als die Röntgenstrahlbeugungsanalyse – erheblich gestört (vgl. hierzu auch: Anlage B27, S. 5 letzter Absatz). Während es nämlich durch den Einsatz von Dotierungsmitteln im Röntgenstrahlbeugungsspektrum zu einer leichten Veränderung der Gitterstruktur insgesamt komme, könnten die Dotierungsmittel im Raman-Spektrum weitere Peaks hervorrufen. Vor diesem Hintergrund könnten die von der Beklagten zu 1. vorgelegten Raman-Spektren eine tetragonale Phase zeigen, da sie alle sechs hierfür charakteristischen Peaks mit leichten Verschiebungen enthalten würden.
    Der Umstand, dass Dotierungsmittel im Raman-Spektrum zusätzliche Peaks hervorrufen können, wird durch das von der Beklagten vorgelegte Privatgutachten von Prof. Q bestätigt. Die Privatgutachterin der Beklagten kommt aufgrund dessen zu dem Ergebnis, dass die angegriffenen Ausführungsformen mehrphasig seien und eben keine reinen festen Lösungen (Anlage B78, S. 5, 6). Die Beklagte hat hierzu schriftsätzlich die Auffassung vertreten, Dotierungsmittel dürften in der erfindungsgemäßen Zusammensetzung nur in einem solchen Ausmaß vorhanden sein, dass – (auch) im Raman-Spektrum – keine Abweichung von der idealen Gitterstruktur des reinen Zirkoniumoxids auftrete. Für eine solche Annahme bietet das Klagepatent indes keine Anhaltspunkte. Das Vorhandensein von Dotierungsmitteln wirkt sich insbesondere bei Nutzung der Raman-Spektrografie als Analysemethode störend auf das Analyseergebnis aus. Entsprechendes gilt jedoch nicht für die in der Klagepatentschrift benannte Röntgenbeugungsspektrografie. Sie liefert – insoweit unstreitig – auch bei dem Vorhandensein von Dotierungsmitteln praktisch brauchbare Analyseergebnisse im Hinblick auf das Vorhandensein störender Nebenphasen. Die Raman-Spektroskopie wird im Klagepatent an keiner Stelle erwähnt; ob bei ihrer Nutzung Dotierungsmittel als Störgröße wirken, ist für die klagepatentgemäße Lehre erkennbar ohne Relevanz.
    Aus funktionaler Sicht ist insofern entscheidend, dass die erfindungsgemäße Zusammensetzung keine Nebenphasen aufweist, die die Gebrauchstauglichkeit für den Einsatz in multifunktionellen Katalysatoren vermindern könnten. Entsprechendes behauptet die Beklagte im Hinblick auf die angegriffenen Ausführungsformen selbst nicht und es kann auch nicht festgestellt werden, dass sich solches aus den von ihr vorgelegten Raman-Spektren ergibt. Der gerichtliche Sachverständige führt insoweit aus, die Raman-Spektren böten lediglich einen Nachweis dafür, dass die Umgebung der zentralen Kationen teilweise verzerrt sei (keine lokale kubische Symmetrie aufwiesen). Eine derartige Verzerrung des Sauerstoffgitters sei bei Substitutionsmischkristallen mit derart verschieden großen Kationen zu erwarten. Außerdem handele es sich bei den angegriffenen Ausführungsformen um makrokristalline Materialien mit großer Oberfläche. Da die Oberfläche von Nanomaterialien eine Defektstruktur mit lokalen Verzerrungen aufweise und die Ramanspektroskopie nur sensitiv gegenüber der Oberfläche von Kristalliten sei, könnten mit Hilfe der Raman-Spektroskopie nur sehr bedingt Aussagen über die Phasenreinheit der Kristallite getroffen werden (Gutachten des SV Prof. O v. 18.05.2022, S. 14). Der gerichtliche Sachverständige kommt deshalb für den Senat überzeugend zu dem Ergebnis, dass die von der Beklagten vorgelegten Raman-Spektren der Annahme einer reinen festen Lösung im Sinne des Klagepatents nicht entgegenstehen (Gutachten des SV Prof. O v. 18.05.2022, S. 14).
  49. cc)
    Die Ergebnisse der von den Klägerinnen vorgelegten Röntgenstrahlbeugungsspektren werden auch nicht durch die von der Beklagten durchgeführten Rietveld-Analysen widerlegt (Anlagen B16, B 63). Ungeachtet etwaiger methodischer Fehler bei der Erstellung dieser Analysen (vgl.: Schriftsatz der Klägerinnen v. 13.03.2020, S. 7 ff; Ergänzungsgutachten des SV O v. 02.01.2023, S. 6 zu Frage I.3) behauptet die Beklagte selbst nicht, die vorgelegten Analysen würden eine Mehrphasigkeit der angegriffenen Lösungen belegen. Ihr Vortrag geht lediglich dahin, die durchgeführten Rietveld-Verfeinerungen ließen mehrere Phasen als durchaus möglich erscheinen. Insofern erklärt sie in ihrem Schriftsatz vom 21.02.2020 (dort S. 8 Rn 32):
    „Auch hier verkennt der Gutachter die wesentliche Aussage der vorgelegten Rietveld-Verfeinerungen. So sollte mit diesen theoretischen Betrachtungen nicht bestimmt werden, welche Zusammensetzungen die angegriffenen Ausführungsformen tatsächlich aufweisen. Es sollte lediglich verdeutlicht werden, dass die experimentell erhaltenen XRD-Daten auf beliebige Weise verfeinert werden können.“
    Dies wird auch durch die von der Beklagten beauftragte Privatgutachterin Dr. R bestätigt, die in ihrem Gutachten feststellt, dass die Zuordnung zu einer der beiden Kristallstrukturen oder sogar zu Mischungen aus beiden Strukturen beliebig und nicht eindeutig sei (Anlage B71 S. 4 Mitte). Können die Daten aber auf beliebige Weise verfeinert werden, so vermögen sie gerade nicht die Ergebnisse der von den Klägerinnen vorgelegten XRD-Analysen zu widerlegen.
    Dies gilt umso mehr, als die Klägerinnen eigene Rietveld-Verfeinerungen vorgenommen haben, die die Einphasigkeit der angegriffenen Ausführungsformen bestätigen (vgl. Anlage rop C16, S. 13-14, 15-18, 23-32). Soweit die Beklagte diesbezüglich bemängelt, die Rietveld-Verfeinerungen beruhten auf den XRD-Messungen des niederländischen Gutachters, der die Proben nicht nach den klagepatentgemäßen Vorgaben kalziniert habe, weichen die späteren XRD-Messungen der Klägerinnen hiervon nur unwesentlich ab. Eigene Messungen, die dem entgegenstehen würden, hat die Beklagte nicht durchgeführt, jedenfalls aber nicht vorgelegt.
  50. III.
    Dass die Beklagte den Klägerinnen, die beide nach den unangefochtenen Feststellungen des Landgerichts aktivlegitimiert sind, zum Rückruf der patentverletzenden Produkte sowie, weil sie das Klagepatent schuldhaft verletzt hat, der Klägerin zu 2. auch zum Schadenersatz verpflichtet ist und dieser, um ihr die Berechnung ihrer Ansprüche auf Schadenersatz zu ermöglichen, über den Umfang ihrer Benutzungs- und Verletzungshandlungen Rechnung zu legen hat, hat das Landgericht in dem angefochtenen Urteil zutreffend dargelegt.
    Im Hinblick auf die angegriffenen Ausführungsformen II und III steht zwischen den Parteien nicht im Streit, dass die Beklagte diese in Deutschland angeboten, nach Deutschland verkauft und geliefert hat. Aber auch hinsichtlich der angegriffenen Ausführungsform I liegt eine klagepatentgemäße Benutzungshandlung in Deutschland vor. Insofern kann dahinstehen, ob ein Produkt D/E aus der Charge 06-2-21-1 in Deutschland angeboten oder in den Verkehr gebracht wurde. Denn jedenfalls hat die Beklagte im Jahr 2005 jeweils 1000 kg der Chargen 051191 und 051192 des Produkts D/E an die H GmbH (nunmehr: B GmbH) geliefert. Es ist davon auszugehen, dass der Lieferung ein entsprechendes Angebot vorangegangen ist. Produkte aus den Chargen 051191 und 051192 des Produkts D/E verwirklichen die Merkmale des Klagepatentanspruchs 1 (s.o.).
  51. IV.
    Den Ansprüchen der Klägerinnen aus der Verletzung des Klagepatentanspruchs 1 steht im Streitfall nicht der Einwand der Erschöpfung entgegen. Es ist nicht feststellbar, dass die Beklagte im Umfang der mit der Klage geltend gemachten Benutzungshandlungen zum Anbieten und Liefern der angegriffenen Ausführungsformen berechtigt war.
    Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ist das Ausschließlichkeitsrecht aus einem Erzeugnispatent hinsichtlich solcher Exemplare des geschützten Erzeugnisses erschöpft, die vom Patentinhaber oder mit seiner Zustimmung durch einen Dritten in Verkehr gebracht worden sind. Die rechtmäßigen Erwerber wie auch diesen nachfolgende Dritterwerber sind befugt, diese Erzeugnisse bestimmungsgemäß zu gebrauchen, an Dritte zu veräußern oder zu einem dieser Zwecke Dritten anzubieten (BGH, GRUR 2023, 474 Rn 44 – CQI-Bericht II; BGH, GRUR 2023, 47 Rn 41 – Scheibenbremse II; BGH, GRUR 2018, 170 Rn 35 – Trommeleinheit; BGH GRUR 2012, 1118 Rn 17 – Palettenbehälter II; BGH, GRUR 2007, 769 Rn 27 – Pipettensystem). Eine Vereinbarung, in der sich der Patentinhaber verpflichtet, aus dem Patent keine Ansprüche gegen den Vertragspartner geltend zu machen, führt in der Regel zur Erschöpfung der Rechte im Hinblick auf Erzeugnisse, die auf dieser Grundlage in Verkehr gebracht werden (BGH, GRUR 2023, 474 Rn 48 – CQI-Bericht II). Die Erschöpfung stellt eine Ausnahme gegenüber den Ausschließlichkeitsrechten des Patentinhabers dar, für deren Voraussetzungen grundsätzlich derjenige darlegungs- und beweispflichtig ist, der sich auf die Erschöpfung beruft (BGH, GRUR 2000, 299, 301 – Karate; BGH, GRUR 1976, 579, 581 – Tylosin), vorliegend mithin die Beklagte.
    Die Beklagte beruft sich vorliegend auf eine Vereinbarung der Klägerinnen mit der B GmbH, deren Existenz die Klägerinnen nicht bestreiten. Die Klägerinnen haben vielmehr eingeräumt, der B-Gruppe gestattet zu haben, in dem Zeitraum vom 01.01.2014 bis zum 31.12.2019 von der Beklagten gelieferte Mischoxide in der Herstellung ihrer Katalysatoren zu verwenden. Auch wenn die B-Vereinbarung grundsätzlich geeignet sein sollte, einen Erschöpfungseinwand für die von der Beklagten angebotenen und gelieferten Produkte zu begründen, wäre die Erschöpfungswirkung jedenfalls auf dasjenige Erzeugnis beschränkt, das mit Billigung des Schutzrechtsinhabers in Verkehr gebracht worden ist (BGH, GRUR 2023, 474 Rn 66 – CQI-Bericht II). Betroffen hiervon wären nach dem zugestandenen Inhalt der B-Vereinbarung also ausschließlich Mischoxide, die im Zeitraum vom 01.01.2014 bis zum 31.12.2019 an B geliefert wurden.
    Nachdem die Schutzdauer des Klagepatents mit Wirkung zum 28.06.2016 abgelaufen ist, sind Gegenstand der Klage ohnehin nur bis zu diesem Zeitpunkt erfolgte Lieferungen der Beklagten. Ihre Klage bezüglich an die B-Gruppe erfolgter Lieferungen in dem Zeitraum vom 01.01.2014 bis zum 28.06.2016 haben die Klägerinnen mit Schriftsatz vom 20.04.2023 zurückgenommen. Die Beklagte hat der teilweisen Klagerücknahme in der mündlichen Verhandlung am 02.11.2023 zugestimmt. Damit sind entsprechende Lieferungen nicht mehr streitgegenständlich.
    Soweit die Beklagte geltend macht, es sei davon auszugehen, dass die B-Vereinbarung weitere Zeiträume umfasse bzw. es weitere Vereinbarungen mit B gebe, fehlt es an einem entsprechenden substantiierten Vortrag. Die Klägerinnen haben über den Zeitraum vom 01.01.2014 bis zum 31.12.2019 hinausgehende Vereinbarungen mit B ausdrücklich bestritten. Damit sind sie einer ihnen ggf. obliegenden sekundären Darlegungslast nachgekommen.
    Der von der Beklagten zu 1. mit Schriftsatz vom 29.06.2023 gestellte Antrag auf Vorlage sämtlicher Vereinbarungen, die die Klägerinnen mit der B GmbH bzw. einem mit dieser konzernverbundenen Unternehmen betreffend das Klagepatent und/oder die angegriffenen Ausführungsformen getroffen hat, sowie vollständiger Nachweise für die von B an die Klägerinnen gemäß diesen Vereinbarungen geleisteten Zahlungen oder sonstigen erbrachten Gegenleistungen, bleibt ohne Erfolg Ungeachtet der Frage, ob der gestellte Vorlageantrag hinreichend bestimmt ist, besteht jedenfalls zu einer entsprechenden Anordnung kein Anlass.
    Soweit die Beklagte einen Vorlageanspruch auf die §§ 421, 422 ZPO i.V.m. § 810 BGB zu stützen sucht, liegen die Voraussetzungen nach § 810 BGB ersichtlich nicht vor. Die B-Vereinbarung wurde weder im Interesse der Beklagten errichtet, noch wird in ihr ein zwischen der Beklagten und einem anderen bestehendes Rechtsverhältnis beurkundet, noch enthält die B-Vereinbarung Verhandlungen über ein Rechtsgeschäft zwischen der Beklagten und einem anderen.
    Aber auch die Voraussetzungen einer Vorlageanordnung nach § 142 ZPO sind nicht gegeben. Nach § 142 ZPO darf in einem Patentverletzungsprozess die Vorlage einer Urkunde oder sonstigen Unterlage angeordnet werden, wenn ein gewisser Grad an Wahrscheinlichkeit für eine Schutzrechtsverletzung spricht und wenn die Vorlage zur Aufklärung des Sachverhalts geeignet und erforderlich sowie auch unter Berücksichtigung der rechtlich geschützten Interessen des zur Vorlage Verpflichteten verhältnismäßig und angemessen ist (BGH, GRUR 2013, 316 Rn 22 – Rohrmuffe; BGH, GRUR 2006, 962 – Restschadstoffentfernung; Senat, GRUR-RS 2020, 39519 Rn 81 – Aufweckverfahren; OLG Düsseldorf [15. ZS], BeckRS 2015, 16355 Rn 124; OLG Düsseldorf [15. ZS], GRUR-RS 2016, 6348 Rn. 37 – Eigendrehfrequenz). § 142 ZPO befreit allerdings die Partei, die sich auf eine Urkunde bezieht, nicht von ihrer Darlegungs- und Substantiierungslast. Dementsprechend darf das Gericht die Urkundenvorlage nicht zum bloßen Zwecke der Informationsgewinnung, sondern nur bei Vorliegen eines schlüssigen, auf Tatsachen bezogenen Vortrags der Partei anordnen (von Selle in BeckOK ZPO, 50. Edition, Stand: 01.09.2023, § 142 Rn 11 m.w.N.). § 142 ZPO gibt nicht die Befugnis, unabhängig von einem schlüssigen Vortrag zum Zwecke der Informationsgewinnung (alle möglichen) Urkunden anzufordern. Die vorzulegende Urkunde soll vielmehr für die vom Gericht begehrte Entscheidung relevante Umstände enthalten, dient aber nicht der Ausforschung (LG Düsseldorf, BeckRS 2014, 1803).
    Die Klägerinnen haben in ihrem Schriftsatz vom 29.09.2023 umfangreich zum Inhalt der mit B geschlossenen Vereinbarung vorgetragen und damit den Sachverhalt hinreichend aufgeklärt. Dabei haben sie auch ausdrücklich erklärt, dass es weitere Vereinbarungen mit B, insbesondere eine Vereinbarung aus dem Jahr 2022, nicht gebe. Es sind keine Anhaltspunkte dafür ersichtlich, dass dieses Vorbringen der Klägerinnen nicht der Wahrheit entspricht. Soweit die Beklagte solche Anhaltspunkte in dem bisherigen Prozessverhalten der Klägerinnen zu erblicken meint, tritt der Senat dem nicht bei. Es mag zwar zutreffend sein, dass die Klägerinnen im Rahmen ihrer verschiedentlich geführten Rechtsstreitigkeiten zum Teil erst relativ spät ihre Klage teilweise im Hinblick auf Lieferungen an B in dem Zeitraum vom 01.01.2014 bis 31.12.2019 zurückgenommen haben. Diese teilweisen Klagerücknahmen umfassten aber nach dem eigenen Vortrag der Beklagten sämtlich nur den Zeitraum vom 01.01.2014 bis zum 31.12.2019 bzw. in dieser Zeitspanne liegende kürzere Zeiträume. Anhaltspunkte dafür, dass entsprechende Vereinbarungen mit B auch für die Zeit vor dem 01.01.2014 oder nach dem 31.12.2019 getroffen worden sein könnten, trägt die Beklagte nicht vor. Ihre diesbezüglichen Vermutungen erfolgen vielmehr ins Blaue hinein.
    Im Übrigen wäre es hier zunächst einmal Sache der Beklagten, sich bei ihrer Abnehmerin nach dem Inhalt der mit der Beklagten getroffenen Vereinbarung zu erkundigen. Dass sie bei B keine Informationen über den Inhalt der abgeschlossenen Vereinbarung(en) erlangen kann, behauptet die Beklagte nicht.
  52. V.
    Die Kostenentscheidung folgt aus den §§ 92 Abs. 1, § 97 Abs. 1, 269 Abs. 3 S. 2 ZPO.
  53. Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit ergibt sich aus den §§ 708 Nr. 10, 711, 108 Abs. 1 Satz 1 ZPO.
  54. Es besteht keine Veranlassung, die Revision zuzulassen, weil die hierfür in § 543 ZPO aufgestellten Voraussetzungen nicht vorliegen. Als Einzelfallentscheidung hat die Rechtssache weder grundsätzliche Bedeutung im Sinne des § 543 Abs. 2 Nr. 1 ZPO noch erfordern die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung oder die Fortbildung des Rechts eine revisionsgerichtliche Entscheidung im Sinne des § 543 Abs. 2 Nr. 2 ZPO.
  55. Die Streitwertfestsetzung für das erstinstanzliche Verfahren war wie erfolgt abzuändern (§ 63 Abs. 3 GKG). In ihrer Klageschrift vom 31.07.2014 haben die Klägerinnen den Gesamtstreitwert mit 3.500.000,00 EUR beziffert. Die Klage richtete sich gegen die Beklagte zu 1. und die Beklagte zu 2.; sie war auf drei Patente, darunter das Klagepatent (Patent C), gestützt. Mit im Ausgangsverfahren (4b O 82/14) erlassenem Beschluss vom 21.01.2016 hat das Landgericht angeordnet, dass über die (Klage-) Patente B und C in einem gesonderten Verfahren verhandelt und entschieden werden soll. Der Streitwert für die abgetrennten Verfahren, mithin auch für das das Klagepatent betreffende Verfahren, ist hierbei vorläufig auf jeweils 1.200.000,00 EUR festgesetzt worden. In seinem im vorliegenden Verfahren ergangenen Aussetzungsbeschluss vom 03.03.2016 hat das Landgericht den Streitwert ebenfalls noch vorläufig auf 1.200.000,00 EUR festgesetzt. Weder die zwischenzeitlich erfolgte Klagerücknahme gegenüber der Beklagten zu 2. noch die Erledigung des Unterlassungsantrags nach Ablauf der Schutzdauer des Klagepatents führen zu einer Reduzierung des nach § 3 Abs. 1 GKG für das gerichtliche Verfahren festzusetzenden Gebührenstreitwerts.

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