I–2 U 37/19 – Ringnetzwerkkommunikationsverfahren

Düsseldorfer Entscheidungen Nr. 3325

Oberlandesgericht Düsseldorf

Urteil vom 12. Oktober 2023, I–2 U 37/19

Vorinstanz: 4c O 29/18

  1. I. Auf die Berufung wird das am 27. Juni 2019 verkündete Urteil der 4c Zivilkammer des Landgerichts Düsseldorf (Az. 4c O 29/18) abgeändert:

    Die Klage wird abgewiesen.

  2. II. Die Kosten des Rechtsstreits (beider Instanzen) werden der Klägerin auferlegt.
  3. III. Das Urteil ist für die Beklagten wegen ihrer Kosten vorläufig vollstreckbar.
  4. Die Klägerin kann die Zwangsvollstreckung der Beklagten durch Sicherheitsleistung in Höhe von 120 % des vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagten vor der Zwangsvollstreckung Sicherheit in Höhe von 120 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leisten.
  5. IV. Die Revision wird nicht zugelassen.
  6. V. Der Streitwert des Berufungsverfahrens wird auf 1.325.000,- € festgesetzt.
  7.  Gründe
  8. I.
  9. Die Klägerin nimmt die Beklagten wegen mittelbarer Verletzung des deutschen Teils des europäischen Patents 1 974 XXA B1 (nachfolgend: Klagepatent) auf Unterlassung, Auskunftserteilung und Rechnungslegung sowie auf Feststellung der Schadenersatzpflicht dem Grunde nach in Anspruch.
  10. Das Klagepatent wurde am 18. Januar 2007 unter Inanspruchnahme der Priorität der US 335XXB vom 18. Januar 2006 in englischer Verfahrenssprache angemeldet. Die Veröffentlichung des Hinweises auf die Erteilung des Klagepatents erfolgte am 24. Juli 2013. Der deutsche Teil des Klagepatents steht in Kraft.
  11. Bei der Klägerin handelt es sich um die eingetragene und allein verfügungsberechtigte Inhaberin des Klagepatents. Dieses erwarb sie von der B Ltd. mit Sitz in Tel Aviv, wobei die Eintragung und Veröffentlichung des Inhaberwechsels am 19. Januar 2017 erfolgte.
  12. Das Klagepatent trägt die Bezeichnung „C“ („C“). Sein Patentanspruch 1 lautet:
  13. „A method for communication over a bi-directional ring network (22) that includes nodes (N1 – N6) connected by spans (S1 – S6) of the ring network, the method comprising:

    provisioning a virtual private local area network service (VPLS) to serve users over the bi-directional ring network (22), the VPLS comprising connection termination points (54) provisioned respectively on a plurality of the nodes so as to connect each of the plurality of the nodes to a second network (30) external to the ring network (22);

  14. as long as the nodes and spans are fully operational, maintaining one or more of the connection termination points in a deactivated state, so that no more than one of the connection termination points to the second network is active; exchanging messages among the nodes indicative of a failure associated with the bi-directional ring network;
  15. and
  16. responsively to the messages, activating (70) at least one of the deactivated connection termination points so as to maintain connectivity among the users of the VPLS without creating a loop in the VPLS via the second network.“
  17. Und in der eingetragenen deutschen Übersetzung:
  18. „Kommunikationsverfahren über ein bidirektionales Ringnetzwerk (22), das Knoten (N1 – N6) beinhaltet, die durch Strecken (S1 – S6) des Ringnetzwerks verbunden sind, wobei das Verfahren umfasst:
  19. – das Vorsehen eines Virtual Private Local Area Network-Dienstes (VPLS) [im Folgenden: VPS-Dienst ], um Nutzer über das bidirektionale Ringnetzwerk (22) zu bedienen, wobei der VPL-Dienst Verbindungsendpunkte (54) umfasst, die jeweils bei einer Vielzahl der Knoten vorgesehen sind, um jeden der Vielzahl der Knoten mit einem zweiten Netzwerk (30) außerhalb des Ringnetzwerks (22) zu verbinden;
  20. – das Halten eines oder mehrerer Verbindungsendpunkte in einem deaktivierten Zustand solange die Knoten und Strecken voll einsatzfähig sind, so dass nicht mehr als ein Verbindungsendpunkt zu dem zweiten Netzwerk aktiv ist;
  21. – das Austauschen von Meldungen zwischen den Knoten, die einen Ausfall des zugehörigen bidirektionalen Ringnetzwerks anzeigen;
  22. und
  23. – das Aktivieren (70) zumindest eines der deaktivierten Verbindungsendpunkte zum Aufrechterhalten der Verbindung zwischen den Nutzern des VPL-Dienstes in Abhängigkeit von den Meldungen, ohne dass in dem VPL-Dienst eine Schleife über das zweite Netzwerk erzeugt wird.“
  24. Der daneben streitgegenständliche Patentanspruch 8 ist wie folgt gefasst:
  25. „A system (20) for communication, comprising nodes (N1 – N6) connected by spans (S1 – S6) so as to define a bi-directional ring network (22), over which a virtual private local area network service (VPLS) is provisioned to serve users, the VPLS comprising connection termination points (54) provisioned respectively on a plurality of the nodes (N1, N3, N5) so as to connect each of the plurality of the nodes to a second network (30) external to the ring network, wherein the system is arranged to maintain one or more of the connection termination points (54) in a deactivated state, as long as the nodes and spans are fully operational, so that no more than one of the connection termination points to the second network is active, and
  26. wherein the nodes are arranged to exchange messages indicative of a failure associated with the bidirectional ring network, and responsively to the messages, to activate (70) at least one of the deactivated connection termination points so as to maintain connectivity among the users of the VPLS without creating a loop in the VPLS via the second network.”
  27. In der eingetragenen deutschen Übersetzung lautet Patentanspruch 8 wie folgt:
  28. „Kommunikationssystem (20), umfassend:
  29. Knoten (N1 – N6), die durch Strecken (S1 – S6) verbunden sind, um ein bidirektionales Ringnetzwerk (22) zu definieren, über das ein Virtual Private Local Area Network (VPL)-Dienst vorgesehen ist, um Nutzer zu bedienen, wobei der VPL-Dienst Verbindungsendpunkte (54) umfasst, die jeweils an einer Vielzahl der Knoten (N1, N3, N5) vorgesehen sind, um jeden Knoten der Vielzahl von Knoten mit einem zweiten Netzwerk (30) außerhalb des Ringnetzwerks (22) zu verbinden, bei dem das System so angeordnet ist, um einen oder mehrere Verbindungsendpunkte (54) in einem deaktivierten Zustand zu halten, solange die Knoten und Strecken voll einsatzfähig sind, so dass nicht mehr als ein Verbindungsendpunkt zu dem zweiten Netzwerk aktiv ist, und bei dem die Knoten angeordnet sind, um Meldungen auszutauschen, die einen Ausfall des zugehörigen bidirektionalen Ringnetzwerks anzeigen; und
  30. – um zumindest einen der deaktivierten Verbindungsendpunkte zum Aufrechterhalten der Verbindung zwischen den Nutzern des VPL-Dienstes in Abhängigkeit von den Meldungen zu aktivieren, ohne dass eine Schleife in dem VPL-Dienst über das zweite Netzwerk erzeugt wird.“
  31. Die nachfolgend verkleinert wiedergegebenen Figuren 1, 2 und 4 der Klagepatent-schrift erläutern die Erfindung anhand eines bevorzugten Ausführungsbeispiels. Figur 1 ist ein Blockdiagramm zur Illustration eines Kommunikationsnetzwerks zur Unterstützung eines VPL-Dienstes:
  32. Bei Figur 2 handelt es sich um ein Blockdiagramm zur schematischen Darstellung eines der Knoten im bidirektionalen Ringnetzwerk:
  33. Figur 4 ist schließlich ein Blockdiagramm zur beispielhaften schematischen Illustration der Umsetzung eines patentgemäßen Fehlerschutzmechanismus bei einer Segmentierung des bidirektionalen Ringnetzwerkes:
  34. Bei der Beklagten zu 1) handelt es sich um ein deutsches Unternehmen. Sie ist eine 100%-ige Tochtergesellschaft der US-amerikanischen Beklagten zu 2). Die Beklagte zu 2) unterhält die Internetseite www.D.com. Dort wird die Beklagte zu 1) als „Global Sales Contact“ für die Bundesrepublik Deutschland angegeben (vgl. Anlage K5) bzw. als „European Regional Headquarter“ der D Gruppe bezeichnet. Außerdem wird die deutsche Telefonnummer der Beklagten zu 1) als Kontaktmöglichkeit angegeben. Weiterhin ist auf der Website unter der Rubrik „Products & Service“ eine Auflistung und Detailbeschreibung von Produkten abrufbar.
  35. Zur Produktpalette der Beklagten gehört das Produkt „E“ einschließlich des darin vorhandenen Moduls „F“ (im Folgenden: angegriffene Ausführungsform I). Dabei handelt es sich um einen physikalischen Netzwerkknoten, der für den Einsatz im Zusammenhang mit dem Netzwerkschutzmechanismus „Ethernet Ring Protection Switching“ (ERPS) geeignet ist. Die nachfolgend eingeblendete Abbildung ist dem als Anlage K 6 zur Akte gereichten Datenblatt entnommen.
  36. Hinsichtlich der weiteren technischen Ausgestaltung der angegriffenen Ausführungsform I wird auf das vorgenannte Datenblatt Bezug genommen.
  37. Daneben vertreibt die Beklagte zu 2) das Produkt „G“ sowie Produkte der „H“ (im Folgenden: angegriffene Ausführungsform II). Weitere Einzelheiten zu deren technischen Gestaltung lassen sich dem Anlagenkonvolut K 13 entnehmen.
  38. Die Klägerin sieht in dem Verhalten der Beklagten ein Angebot und einen Vertrieb der angegriffenen Ausführungsformen in der Bundesrepublik Deutschland, die nach Auffassung der Klägerin das Klagepatent mittelbar wortsinngemäß verletzen.
  39. Die Beklagten haben erstinstanzlich eine Verletzung des Klagepatents sowie die Passivlegitimation der Beklagten in Abrede gestellt.
  40. Mit Urteil vom 27. Juni 2019 hat das Landgericht Düsseldorf eine mittelbare Verletzung der Patentansprüche 1 und 8 des Klagepatents durch den ERPS- Netzwerkschutzmechanismus bejaht und wie folgt erkannt:
  41. I. Die Beklagten werden verurteilt,
  42. 1. es bei Meidung eines für jeden Fall der Zuwiderhandlung vom Gericht festzusetzenden Ordnungsgeldes bis zu 250.000 EUR – ersatzweise Ordnungshaft – oder einer Ordnungshaft bis zu 6 Monaten, im Falle wiederholter Zuwiderhandlung bis zu insgesamt 2 Jahren, wobei die Ordnungshaft hinsichtlich der Beklagten zu 1) an ihren jeweiligen Geschäftsführern und hinsichtlich der Beklagten zu 2) an ihrem Vorstand zu vollziehen ist, zu unterlassen,
  43. a. Knoten, welche dazu geeignet sind, in einem Kommunikationsverfahren über ein bidirektionales Ringnetzwerk durch Strecken des Ringnetzwerks verbunden zu sein, wobei das Verfahren umfasst:
  44. – das Vorsehen eines Virtual Private Local Area Network-Dienstes (VPLS), um Nutzer über das bidirektionale Ringnetzwerk zu bedienen, wobei der VPL-Dienst Verbindungsendpunkte umfasst, die jeweils bei einer Vielzahl der Knoten vorgesehen sind, um jeden der Vielzahl der Knoten mit einem zweiten Netzwerk außerhalb des Ringnetzwerks zu verbinden;
  45. – das Halten eines oder mehrerer Verbindungsendpunkte in einem deaktivierten Zustand solange die Knoten und Strecken voll einsatzfähig sind, so dass nicht mehr als ein Verbindungsendpunkt zu dem zweiten Netzwerk aktiv ist;
  46. – das Austauschen von Meldungen zwischen den Knoten, die einen Ausfall des zugehörigen bidirektionalen Ringnetzwerks anzeigen; und
  47. – das Aktivieren zumindest eines der deaktivierten Verbindungsendpunkte zum Aufrechterhalten der Verbindung zwischen den Nutzern des VPL-Dienstes in Abhängigkeit von den Meldungen, ohne dass in dem VPL-Dienst eine Schleife über das zweite Netzwerk erzeugt wird,
  48. Abnehmern im Gebiet der Bundesrepublik Deutschland anzubieten und/oder an solche zu liefern;
  49. und/oder
  50. b. Knoten, welche dazu geeignet sind in einem Kommunikationssystem durch Strecken verbunden zu sein, um ein bidirektionales Ringnetzwerk zu definieren, über das ein Virtual Private Local Area Network (VPL)-Dienst vorgesehen ist, um Nutzer zu bedienen, wobei der VPL-Dienst Verbindungsendpunkte umfasst, die jeweils an einer Vielzahl der Knoten vorgesehen sind, um jeden Knoten der Vielzahl von Knoten mit einem zweiten Netzwerk außerhalb des Ringnetzwerks zu verbinden, bei dem das System so angeordnet ist, um einen oder mehrere Verbindungsendpunkte in einem deaktivierten Zustand zu halten, solange die Knoten und Strecken voll einsatzfähig sind, so dass nicht mehr als ein Verbindungsendpunkt zu dem zweiten Netzwerk aktiv ist, und bei dem die Knoten angeordnet sind, um Meldungen auszutauschen, die einen Ausfall des zugehörigen bidirektionalen Ringnetzwerks anzeigen; und um zumindest einen der deaktivierten Verbindungsendpunkte zum Aufrechterhalten der Verbindung zwischen den Nutzern des VPL-Dienstes in Abhängigkeit von den Meldungen zu aktivieren, ohne dass eine Schleife in dem VPL-Dienst über das zweite Netzwerk erzeugt wird,
  51. Abnehmern im Gebiet der Bundesrepublik Deutschland anzubieten und/oder an solche zu liefern;
  52. 2. der Klägerin darüber Auskunft zu erteilen, in welchem Umfang sie die zu Ziff. 1 bezeichneten Handlungen seit dem 19. Januar 2017 begangen haben, und zwar unter Angabe:
  53. a. der Namen und Anschriften der Lieferanten und anderer Vorbesitzer,
  54. b. der Namen und Anschriften der gewerblichen Abnehmer sowie der Verkaufsstellen, für die die Erzeugnisse bestimmt waren,
  55. c. der Menge der hergestellten, ausgelieferten, erhaltenen oder bestellen Erzeugnisse sowie der Preise, die für die betreffenden Erzeugnisse bezahlt wurden,
  56. wobei zum Nachweis der Angaben die entsprechenden Kaufbelege (nämlich Rechnungen, hilfsweise Lieferscheine) in Kopie vorzulegen sind, wobei geheimhaltungsbedürftige Details außerhalb der auskunftspflichtigen Daten geschwärzt werden dürfen;
  57. 3. der Klägerin darüber Rechnung zu legen, in welchem Umfang sie die zu Ziff. 1 bezeichneten Handlungen seit dem 19. Januar 2017 begangen haben und zwar unter Angabe:
  58. a. der einzelnen Lieferungen, aufgeschlüsselt nach Liefermenge, -zeiten, -preisen und Typenbezeichnungen sowie den Namen und Anschriften der gewerblichen Abnehmer,
  59. b. der einzelnen Angebote, aufgeschlüsselt nach Angebotsmengen, -zeiten, -preisen und Typenbezeichnungen, sowie den Namen und Anschriften der gewerblichen Angebotsempfänger,
  60. c. der betriebenen Werbung, aufgeschlüsselt nach Werbeträgern, deren Auflagenhöhe, Verbreitungszeitraum und Verbreitungsgebiet,
  61. d. der nach den einzelnen Kostenfaktoren aufgeschlüsselten Gestehungskosten und des erzielten Gewinns,
  62. wobei den Beklagten vorbehalten bleibt, die Namen und Anschriften der nichtgewerblichen Abnehmer und der Angebotsempfänger statt der Klägerin einem von der Klägerin zu bezeichnenden, ihr gegenüber zur Verschwiegenheit verpflichteten, in der Bundesrepublik Deutschland ansässigen, vereidigten Wirtschaftsprüfer mitzuteilen, sofern die Beklagten dessen Kosten tragen und ihn ermächtigen und verpflichten, der Klägerin auf konkrete Anfrage mitzuteilen, ob ein bestimmter Abnehmer oder Angebotsempfänger in der Aufstellung enthalten ist.
  63. II. Es wird festgestellt, dass die Beklagten als Gesamtschuldner verpflichtet sind, der Klägerin allen Schaden zu ersetzen, der der Klägerin durch die zu I.1. bezeichneten, seit dem 19. Januar 2017 begangenen Handlungen entstanden ist und noch entstehen wird.
  64. Gegen dieses, ihren Prozessbevollmächtigten am 27. Juni 2019 zugestellte Urteil haben die Beklagten mit Schriftsatz vom 23. Juli 2019 Berufung eingelegt, mit der sie ihr vor dem Landgericht erfolglos gebliebenes, auf eine Klageabweisung gerichtetes Begehren weiterverfolgen.
  65. Unter Wiederholung und Vertiefung ihres erstinstanzlichen Vorbringens machen sie geltend:
  66. Die angegriffenen Ausführungsformen stellten bei zutreffender Auslegung keinen vom Patent geforderten VPL-Dienst bereit und unterstützten einen solchen auch nicht. Sie wiesen auch keine patentgemäßen Verbindungsendpunkte auf. Denn der nach dem ERPS-Standard geschaltete Ring Protection Link (RPL) wirke allein als netzwerkinterner Ringschutzmechanismus und sei in der Figur 9-13 der ITU-Empfehlung, auf die sich die Klägerin stütze, kein Bestandteil des Mayor Ring 1 und damit des Netzwerkes, den die Klägerin als bidirektionales Netzwerk ansehe und das die Verbindungsendpunkte beinhalten müsse. Selbst unter Zugrundelegung des unzutreffenden Verständnisses des Landgerichts und der Klägerin könne man zudem allenfalls die Existenz eines Verbindungsendpunktes in Form des RPLs annehmen. Erfindungsgemäß seien pro Knoten aber mehrere Verbindungsendpunkte vorgesehen.
  67. Darüber hinaus fehle es bei den angegriffenen Ausführungsformen auch an einem anspruchsgemäßen Austausch von Meldungen zwischen den Knoten, da der Ausfall nur im Sub-Ring kommuniziert werde. Die Knoten des Mayor Rings tauschten keine Meldungen über Ausfälle im Sub-Ring aus, schon gar nicht würden Meldungen an alle Knoten des Ringnetzwerkes gehen, wie es das Patent lehre.
  68. Auch gebe es die vom Klagepatent vorgesehene Schaltung der Verbindungen zum zweiten Netzwerk zur Aufrechterhaltung der Konnektivität nicht, da ein „RPL owner node“ keine Verbindung zu einem zweiten Netzwerk steuere. Selbst wenn man Strecken des Sub-Rings als Verbindungen zum zweiten Netzwerk und den „RPL owner node“ als Verbindungsendpunkt erachte, führe dies nicht zu einer Aktivierung der deaktivierten Verbindungsendpunkte im Sinne des Klagepatents.
  69. Die Beklagten seien auch nicht passivlegitimiert. Eine Auslieferung der angegriffenen Ausführungsformen nach Deutschland sei nicht erfolgt. Das Anbieten der angegriffenen Ausführungsformen durch die Beklagte zu 1) werde durch das Landgericht schlichtweg behauptet, ohne eine Angebotshandlung und damit eine deliktische Handlung der Beklagten zu 1) darzulegen.
  70. Rechtsfehlerhaft sei das Landgericht ferner davon ausgegangen, dass die angegriffenen Ausführungsformen ein wesentliches Element der Erfindung beträfen. Schließlich fehle es an den Voraussetzungen eines Schlechthinverbots. Die angegriffenen Ausführungsformen könnten patentfrei genutzt werden, ohne dass es einer Abänderung z. B. der implementierten Software bedürfe.
  71. Die Beklagten beantragen,
  72. das Urteil des Landgerichts Düsseldorf vom 27. Juni 2019, Az.: 4c O 29/18, aufzuheben und die Klage abzuweisen.
  73. Die Klägerin beantragt,
  74. die Berufung der Beklagten zurückzuweisen.
  75. Die Klägerin verteidigt das angefochtene Urteil als zutreffend und tritt den Ausführungen der Beklagten unter Wiederholung und Vertiefung ihres erstinstanzlichen Vorbringens entgegen.
  76. Es sei unstreitig, dass beide Ausführungsformen in der Lage seien, einen E-LAN-Dienst bereitzustellen, der inhaltlich einem VPL-Dienst im Sinne des Klagepatents entspreche. Entgegen der Auffassung der Beklagten schlössen sich VPLS und ERPS auch nicht aus, sondern könnten kumulativ eingesetzt werden.
  77. Beide Ausführungsformen seien in der Lage, ERPS zu implementieren und könnten damit als standardgemäßer Netzwerknoten eingesetzt werden, die – gemäß der ITU-T-Empfehlung – dann als „Interconnection Nodes“ dienten. Die Behauptung der Beklagten, die angegriffene Ausführungsform II könne nicht als „interconnection node“ im Sinne der ITU-T-Empfehlung G. 8032/Y.1344 eingesetzt werden, stehe im Widerspruch zu ihrer eigenen Produktbroschüre.
  78. Die angegriffenen Ausführungsformen stellten zudem unstreitig Ports bereit, über die Verbindungen zu anderen Knoten (d.h. deren Ports) aufgebaut werden könnten. Sie verfügten über klagepatentgemäße Verbindungsendpunkte, über die ein Ringnetzwerk mit einem zweiten Netzwerk verbunden werden könne. Da die Ringe eines Leiternetzwerkes im Sinne der ITU-T-Empfehlung über mindestens zwei „interconnection nodes“ miteinander verbunden seien, gebe es damit auch eine erfindungsmäße Vielzahl von Verbindungsendpunkten an den Querverbindungsknoten. Da nur einer diese Punkte deaktiviert gehalten werden müsse, genüge es auch, dass der Schutzmechanismus nur an einem der beiden Verbindungsendpunkte vorgehalten werde.
  79. Im Falle eines Fehlers werde nach der ITU-T-Empfehlung eine Fehlernachricht („signal fail“) von den Knoten, die benachbart zu der jeweils ausgefallenen Ringverbindung seien, jedenfalls an andere Knoten des entsprechenden Rings versendet. Ein Meldungsaustausch zwischen allen Koten verlange das Klagepatent gerade nicht. Da die „interconnection nodes“ zu zwei ERPS-Ringen gehörten, könnten sie sowohl bei einem Fehler auf einer Strecke des Sub-Rings als auch auf einer Strecke des Major-Rings eine entsprechende Fehlernachricht erhalten. Komme es in der in Figur 9-13 der ITU-T-Empfehlung gezeigten Konstellation zu einem Ausfall der „geöffneten“ Verbindung zwischen Major-Ring 1 und Sub-Ring 2, so werde die Fehlermeldung zwangsläufig zwischen den Interconnection Nodes A und B des Major-Rings ausgetauscht, damit der RLP-Port am Interconnection Node A – mit dem Ziel der Aktivierung der Verbindung A-C – aktiviert werden könne. Der Ausfall der Verbindung zwischen Major-Ring und Sub-Ring 2 sei auch anspruchsgemäß, da ein Fehler „in Verbindung mit“ dem bidirektionalen Ringnetzwerk genüge. Die Patentansprüche enthielten auch keine dahingehende Beschränkung, dass der Ausfall ausschließlich unter Einbeziehung des zweiten Netzwerks kompensiert werden könne.
  80. Im Übrigen sei vorliegend ein Schlechthinverbot gerechtfertigt. Den Beklagten sei ohne Weiteres zuzumuten, jegliche Verletzung des Klagepatents durch ihre Kunden mittels einer einfachen Softwareänderung zu verhindern.
  81. Der Senat hat Beweis durch Einholung eines Sachverständigengutachtens von Univ.-Prof. Dr.-Ing. I (Inhaber des Lehrstuhls J an der K) erhoben. Wegen des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf das schriftliche Gutachten des Sachverständigen vom 1. März 2021 (nachfolgend: Gutachten), die Ergänzungsgutachten vom 10. Januar 2022 (nachfolgend: 1. Ergänzungsgutachten) und 29. November 2022 (nachfolgend: 2. Ergänzungsgutachten) sowie das Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 21. September 2023 Bezug genommen.
  82. Wegen der Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Schriftsätze der Parteien nebst Anlagen und den sonstigen Akteninhalt verwiesen.
  83. II.
  84. Die Berufung der Klägerin ist zulässig und hat in der Sache Erfolg.
  85. Nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme machen die angegriffenen Ausführungsformen von der technischen Lehre des Klagepatents keinen Gebrauch. Da es mithin an einer Patentverletzung fehlt, stehen der Klägerin die geltend gemachten Ansprüche auf Unterlassung, Auskunftserteilung und Rechnungslegung, sowie – dem Grunde nach – auf Schadenersatz aus Art. 64 EPÜ i.V.m. §§ 139 Abs. 1 und 2, 140b Abs. 1 und 3 PatG i.V.m. §§ 242, 259 BGB gegen die Beklagten nicht zu.
  86. 1.
    Das Klagepatent bezieht sich auf Kommunikationsverfahren über ein bidirektionales Ringnetzwerk und ein Kommunikationssystem (Abs. [0001]). Es beschreibt einen Fehlerschutzmechanismus für das bidirektionale Ringnetzwerk, das Teil eines Netzverbunds mit mindestens einem weiteren Netzwerk ist, deren Teilnehmer über einen virtuellen privaten LAN-Dienst („Virtual Private LAN Service“ – VPLS) verbunden sind.
  87. In bidirektionalen Netzwerk-Ringtopologien können Daten zwischen jedem Knotenpaar in beide Richtungen im Ring übertragen werden, so dass sie eine effiziente Bandbreitennutzung ermöglichen und gleichzeitig schnellen Schutz gegen Ausfälle bereitstellen (Abs. [0002]). Das führende bidirektionale Protokoll für Hochgeschwindigkeits-Paketringe ist das „Resilient Packet Ring Protocol“ (RPR-Protokoll) (Abs. [0003]).
  88. Ein Verfahren zur Bereitstellung eines VPL-Dienstes über ein RPR-Netzwerk beschreiben L et al. in der US 2003/0074469 A1 und in der US 2004/0022268 A1 (Abs. [0006]). Allgemeinere Methoden – ohne Bezug zu RPR-Netzwerken – werden von M et al. in „Virtual Private LAN Service“ und N et al. in „Virtual Private LAN Service over MPLS“ behandelt (Abs. [0007]). Aus der Perspektive des Endnutzers ist ein VPL-Netzwerk transparent, d.h. er wird der Illusion ausgesetzt, dass das Provider-Netzwerk eine einzige LAN-Domäne ist. Nutzerknoten auf unterschiedlichen physikalischen LANs können daher miteinander über VPL-Verbindungen verbunden werden, um so ein virtuelles privates Netzwerk (VPN) zu definieren, das sich den Nutzern als ein Ethernet-LAN darstellt (Abs. [0008]).
  89. Obwohl bidirektionale Ringnetzwerke bereits aufgrund ihres Aufbaus über integrierte Ausfallschutzmechanismen verfügen, schützen diese nicht vor allen Ausfallszenarien. Treten beispielsweise mehrere Ausfälle gleichzeitig auf, kann es vorkommen, dass einige Knoten im Ring von anderen Knoten isoliert werden, wodurch der VPL-Dienst segmentiert wird. Zu einer Segmentierung kann es ferner kommen, wenn die Verbindung zwischen einem Ring und einem anderen Netzwerk – über die sich der VLP-Dienst erstreckt – ausfällt. Als Folge können Nutzer in einem Segment des VPL-Dienstes nicht mehr mit Nutzern in anderen Segmenten kommunizieren (Abs. [0011]).
  90. Das Klagepatent hat sich zur Aufgabe gemacht, hierfür Schutzmechanismen zur Verfügung zu stellen, die auf derartige Ausfallszenarien reagieren und Lösungen anbieten können (Abs. [0012]).
  91. Patentanspruch 1 schlägt ein Kommunikationsverfahren mit folgenden Merkmalen vor:
  92. 1. Kommunikationsverfahren über ein bidirektionales Ringnetzwerk (22), das Knoten (N1 – N6) beinhaltet, die durch Strecken (S1 – S6) des Ringnetzwerks verbunden sind.
  93. 2. Das Verfahren umfasst:
  94. 2.1. das Vorsehen eines Virtual Private Local Area Network-Dienstes (VPLS), um Nutzer über das bidirektionale Ringnetzwerk (22) zu bedienen;
  95. 2.1.1 Der VPL-Dienst umfasst Verbindungsendpunkte (54).
  96. 2.1.2. Die Verbindungsendpunkte (54) sind jeweils bei einer Vielzahl der Knoten vorgesehen, um jeden der Vielzahl der Knoten mit einem zweiten Netzwerk (30) außerhalb des Ringnetzwerks (22) zu verbinden.
  97. 2.2. das Halten eines oder mehrerer Verbindungsendpunkte in einem deaktivierten Zustand, solange die Knoten und Strecken voll einsatzfähig sind, so dass nicht mehr als ein Verbindungsendpunkt zu dem zweiten Netzwerk aktiv ist;
  98. 2.3. das Austauschen von Meldungen zwischen den Knoten, die einen Ausfall des zugehörigen bidirektionalen Ringnetzwerks anzeigen;
  99. und
  100. 2.4. das Aktivieren (70) zumindest eines der deaktivierten Verbindungsendpunkte zum Aufrechterhalten der Verbindung zwischen den Nutzern des VPL-Dienstes in Abhängigkeit von den Meldungen, ohne dass in dem VPL-Dienst eine Schleife über das zweite Netzwerk erzeugt wird.
  101. Das durch Patentanspruch 8 unter Schutz gestellte Kommunikationssystem zeichnet sich durch folgende Merkmale aus:
  102. 1. Kommunikationssystem (20), umfassend Knoten (N1 – N6).
  103. 2. Die Knoten (N1 – N6) sind durch Strecken verbunden, um ein bidirektionales Ringnetzwerk (22) zu definieren.
  104. 3. Über das bidirektionale Ringnetzwerk ist ein Virtual Private Local Area Network (VPL)-Dienst vorgesehen, um Nutzer zu bedienen.
  105. 3.1. Der VPL-Dienst umfasst Verbindungsendpunkte (54).
  106. 3.2. Die Verbindungsendpunkte (54) sind jeweils an einer Vielzahl der Knoten (N1, N3, N5) vorgesehen, um jeden Knoten der Vielzahl der Knoten mit einem zweiten Netzwerk (30) außerhalb des Ringnetzwerks (22) zu verbinden.
  107. 4. Das System ist so angeordnet, um einen oder mehrere Verbindungsendpunkte (54) in einem deaktivierten Zustand zu halten, solange die Knoten und Strecken voll einsatzfähig sind, so dass nicht mehr als ein Verbindungsendpunkt zu dem zweiten Netzwerk aktiv ist.
  108. 5. Die Knoten sind angeordnet,
  109. 5.1. um Meldungen auszutauschen, die einen Ausfall des zugehörigen bidirektionalen Ringnetzwerks anzeigen,
  110. und
  111. 5.2. um zumindest einen der deaktivierten Verbindungsendpunkte zum Aufrechterhalten der Verbindung zwischen den Nutzern des VPL-Dienstes in Abhängigkeit von den Meldungen zu aktivieren, ohne dass in dem VPL-Dienst eine Schleife über das zweite Netzwerk erzeugt wird.
  112. 2.
    Patentanspruch 1 stellt ein Kommunikationsverfahren über ein bidirektionales Ring-netzwerk unter Schutz. Das die konstruktive Grundlage des beanspruchten Kommunikationsverfahrens bildende Ringnetzwerk zeichnet sich zunächst dadurch aus, dass es
    • über Knoten verfügt, die
    • durch Strecken verbunden sind, und dass es
    • bidirektional ist, also die Daten zwischen jedem Knotenpaar in beide Richtungen im Ring über einen inneren und einen äußeren Ring übertragen werden.
    a)
    Beinhaltet ein bidirektionales Ringnetzwerk Knoten, die durch Strecken des Ringnetzwerkes verbunden sind, ergibt sich nach den Erläuterungen des gerichtlichen Sachverständigen hieraus für den durchschnittlichen Fachmann – als der ein Absolvent eines Diplomstudiengangs der Informatik oder Elektro- und Informationstechnik an einer Universität, Hochschule oder Fachhochschule (FH) anzusehen ist, der sich in die spezielle Problematik der Datenkommunikation und insbesondere der LAN-Technologien eingearbeitet und häufig auch bereits innerhalb der genannten Studiengänge im Rahmen von Praktika erste praktische Erfahrungen gesammelt hat (Gutachten, S. 7, Z. 20 – 29) – , dass dem Ringnetzwerk eine physikalische Ring-Topologie zugrunde liegt (Gutachten, S. 35, Z. 16 – 19). Diese muss jedoch nicht zwingend (auch) eine logische Ringtopologie bedingen, da ein Netz logisch anders strukturiert werden kann als von der physikalischen Topologie vorgegeben. Diese Unterscheidung zwischen einer Ringstruktur auf physikalischer und logischer Ebene verdeutlicht die folgende Abbildung (2. Ergänzungsgutachten, S. 17):
  113. Beiden Abbildungen liegt eine physikalische Ring-Topologie zugrunde.
  114. Im linken Beispiel sind alle Strecken voll einsatzfähig. Da es keinen (logischen) Anfang und kein (logisches) Ende gibt, ist daher ein spezielles Ring-Protokoll notwendig, um Zyklenfreiheit zu gewähren, da ansonsten die Gefahr besteht, dass Nachrichten mehrfach zugestellt werden oder gar endlos kreisen. Der Vorteil der logischen Ringstruktur liegt darin, dass Nachrichten in beide Richtungen und damit auf dem kürzesten Weg übertragen werden können.
  115. Im rechten Beispiel ist die Strecke zwischen Station 1 und 6 auf logischer Ebene deaktiviert. Ein weiteres Protokoll zur Gewährleistung von Zyklenfreiheit ist hier nicht erforderlich, da auf der logischen Ebene kein Ring mehr vorhanden ist. Nachteil der logischen Ringunterbrechung ist eine weniger effiziente Bandbreitennutzung, da eine Sendung wegen der deaktivierten Strecke nun allein im Uhrzeigersinn erfolgen kann (2. Ergänzungsgutachten, S. 10, Z. 20 – S. 11, Z. 2, S. 16, Z. 23 – 28).
  116. b)
    Aufgrund der Unterscheidung zwischen physikalischer und logischer Ebene ist es nach den Ausführungen des gerichtlichen Sachverständigen in der technischen Lehre zur Beurteilung der Topologie eines Netzes für den Fachmann daher wichtig, zu differenzieren, welche Schicht betrachtet wird (Gutachten, S. 51, Z. 5 – 7). Im Bereich der Kommunikationssysteme und Kommunikationsnetze hat sich für die Gliederung der Schichten das „Open Systems Interconnection“ Referenzmodell („OSI-Modell“) der „International Organization for Standardization“ (ISO) etabliert (Gutachten, S. 10 f., Abb. aus Broy, Manfred; Spaniol, Otto: VDI-Lexikon Informatik und Kommunikationstechnik, 1999):
  117. Lokale Netze bzw. lokale Netztechnologien bilden das Grundgerüst vieler moderner Kommunikationsnetze und erstrecken sich über die OSI-Schichten 1 und 2. Vorliegend wird der Fachmann bei der Beurteilung einer Netzwerktopologie im Rahmen des Klagepatents seinen Blick darauf richten, dass gemäß Merkmal 2.1 erfindungsgemäß ein VPL-Dienst vorgesehen ist, um Nutzer über das bidirektionale Netzwerk zu bedienen. Das Erbringen eines LAN- oder eines VPL-Dienstes erfolgt aber stets auf Schicht 2 des OSI-Modells (Gutachten, S. 51, Z. 22 – 24). Somit ist es für den Durchschnittsfachmann offensichtlich, dass die Schicht-2-Topologie des OSI-Modells die maßgebliche Topologie ist und sich das Merkmal 1 auf Ringnetzwerke bezieht, die auch auf der (logischen) OSI-Schicht 2 eine Ringtopologie aufweisen.
  118. Dieses Verständnis deckt sich mit dem allgemeinen Wissen des Fachmanns. Denn aus technisch-fachmännischer Sicht werden die Begriffe „Doppelringnetzwerke“ und „bidirektionale Ringnetzwerke“ im Allgemeinen für Netzwerke verwandt, die sowohl physikalisch als auch logisch eine Ring-Topologie bilden (2. Ergänzungsgutachten, S. 7, Z. 25 – 28). Dementsprechend wird auch in Figur 1 der Klagepatentschrift das zweite Netzwerk [30], das über die Verbindung [34] mit dem bidirektionalen Ringnetzwerk [22] verbunden ist, als „Schicht-2-Netzwerk“ („Layer 2 Network“) bezeichnet (Gutachten, S. 51, Z. 24 – 26).
  119. c)
    Begriffe in den Patentansprüchen sind so zu deuten, wie sie der angesprochene Fachmann nach dem Gesamtinhalt der Patentschrift unter Berücksichtigung der in ihr objektiv offenbarten Lösung versteht (BGH, GRUR 2001, 232, 233 – Brieflocher, m.w.N.).
  120. Aufbauend auf dem vorstehenden – durch den gerichtlichen Sachverständigen überzeugend vermittelten – Verständnis des Durchschnittsfachmanns steht für den Senat fest, dass ein bidirektionales Ringnetzwerk im Sinne der Merkmale 1 und 2.1 auf der OSI-Schicht 2 ein Ringnetzwerk bilden muss, um in den Schutzbereich des Patents zu fallen. Da sich die Lehre des Klagepatents im Kontext eines VPL-Dienstes bewegt, folgt für den Fachmann hieraus, dass es für die Bestimmung der Ringtopologie des bidirektionalen Ringnetzwerkes auf die OSI-Schicht 2 und damit die logische Ringstruktur ankommt. Auch Figur 1 der Klagepatentschrift unterstützt diese Auslegung, da die Nutzer [39] des bidirektionalen Ringnetzwerkes [22] über den Knoten N3 und die aktive Verbindung [34] mit dem weiteren Netzwerk [30] verbunden sind, das als „Layer 2 Network“ betitelt ist, was dafür spricht, dass sich die gesamte Figur mit ihrer Funktionsbeschreibung auf der OSI-Schicht 2 („OSI-Layer 2“) bewegt.
  121. 3.
    Der ebenfalls streitgegenständliche Patentanspruch 8 zeichnet sich im Kern durch die gleichen Merkmale aus wie das den Gegenstand von Patentanspruch 1 bildende Kommunikationsverfahren, so dass zur Vermeidung von Wiederholungen auf die vorstehenden Ausführungen Bezug genommen werden kann.
  122. 4.
    Ausgehend von diesen Überlegungen verletzen die Beklagten das Klagepatent durch das ihnen vorgeworfene Verhalten – Angebot und Vertrieb der angegriffenen Ausführungsformen – nicht mittelbar. Es fehlt bereits an der objektiven Eignung der angegriffenen Ausführungsformen für eine Verwirklichung der durch die Patentansprüche 1 und 8 beanspruchten Erfindung.
  123. a)
    Der in § 10 PatG normierte Gefährdungstatbestand der mittelbaren Patentverletzung bezweckt, die unberechtigte Benutzung der geschützten Erfindung bereits im Vorfeld zu verhindern (BGHZ 115, 204 = GRUR 1992, 40 – beheizbarer Atemluftschlauch; BGHZ 159, 76 = GRUR 2004, 758, 760 – Flügelradzähler; BGHZ 168, 124 = GRUR 2006, 839, 841 – Deckenheizung; BGH, GRUR 2007, 773, 775 – Rohrschweißverfahren). Er verbietet deshalb schon das Anbieten und das Liefern von Mitteln, die den Belieferten in den Stand versetzen, die geschützte Erfindung unberechtigt zu benutzen. Der Tatbestand der mittelbaren Patentverletzung setzt deshalb voraus, dass es sich bei dem Mittel um ein solches handelt, das geeignet ist, vom Abnehmer zur unmittelbaren Benutzung der Erfindung verwendet zu werden. Ob das Mittel die erforderliche Eignung besitzt, beurteilt sich nach der objektiven Beschaffenheit des Gegenstandes, der angeboten oder geliefert wird (BGH, GRUR 2005, 848, 850 – Antriebsscheibenaufzug; GRUR 2007, 679, 683 – Haubenstretchautomat; GRUR 2007, 773, 775 – Rohrschweißverfahren). Das Mittel muss so ausgebildet sein, dass eine wortsinngemäße oder äquivalente Benutzung der geschützten Lehre mit allen ihren Merkmalen durch die Abnehmer möglich ist (BGHZ 115, 205, 208 = GRUR 1992, 40 – beheizbarer Atemluftschlauch; BGH, a.a.O. – Rohrschweißverfahren). Das trifft jedenfalls auf Vorrichtungen zu, mit denen ein patentgeschütztes Verfahren praktiziert werden kann (BGH, a.a.O. – Rohrschweißverfahren).
  124. b)
    Dies vorausgeschickt, vermag der Senat die objektive Eignung der angegriffenen Ausführungsformen für eine Verwirklichung der durch die Patentansprüche 1 und 8 beanspruchten technischen Lehre unter Berücksichtigung des Ergebnisses der Beweisaufnahme nicht festzustellen.
  125. aa)
    Ethernet-Ringe, die der ITU-Empfehlung G.8032 folgen, sind gekoppelte Ethernet-basierte Punkt-zu-Punkt-Verbindungen, die physikalisch in Ringform angeordnet sind. Sie sind bidirektional aufgebaut, da jede Ethernet-Verbindung duplex ist, also in beide Richtungen kommunizieren kann (Gutachten, S. 46, Z. 14 – 16, S. 50, Z. 19 – 22). Beide angegriffenen Ausführungsformen setzen ausweislich ihrer Produktbeschreibungen innerhalb der erzeugten Ethernet-Ringe einen Redundanzmechanismus in Form eines „Ethernet Ring Protection Switching“ (ERPS) nach der ITU-Empfehlung G.8032v2 um (vgl. Anlage K 6 bzw. Anlagenkonvolut K 13, jeweils den Punkt „Product Specifications“).
  126. bb)
    Auf diese Weise konfigurierte Ethernet-Ringe stellen kein Ringnetzwerk im Sinne der Merkmale 1. und 2.1. des Klagepatents dar.
  127. Wie vorstehend erläutert, folgt die logische Ringtopologie nicht stets der physikalischen Topologie, weshalb der Fachmann bei der Beurteilung der Topologie eines Netzes danach differenziert, welche Schicht nach dem OSI-Modell betrachtet wird. Außerdem entnimmt der Fachmann dem Klagepatent, dass für die Beurteilung des in den Merkmalen 1. und 2.1. genannten Ringnetzwerkes die Schicht-2-Topologie des OSI-Modells maßgeblich ist, nicht zuletzt, weil Merkmal 2.1 einen VPL-Dienst vorsieht, das Erbringen eines LAN- oder VPL-Dienstes aber stets auf Schicht 2 des OSI-Modells erfolgt.
  128. Auf der Schicht 2 des OSI-Modells weisen Netze, die – wie die angegriffenen Ausführungsformen – einen ERPS-Schutz nach der ITU-Empfehlung G.8032 umsetzen, keine Ringstruktur auf. Denn die physikalische Ringstruktur von Ethernet-Ringen, die nach dieser Empfehlung konfiguriert sind, wird im Normalbetrieb am „Ring Protection Link“ (RPL) unterbrochen, so wie es die folgende Abbildung 20 (vgl. Gutachten, S. 46) verdeutlicht:
  129. Die Aufgabe des ERPS besteht also gerade darin, die auf der OSI-Schicht 1 physikalisch vorhandene Ringtopologie auf der OSI-Schicht 2 (logische LAN-Ebene) mittels des RLP zu verhindern, um auf diese Weise eine Bus-Struktur zu schaffen, die eine Zyklenfreiheit garantiert (1. Ergänzungsgutachten, S. 16, Z. 10 -13, S. 17, Z. 29 – 30). Gleichzeitig liefert die (noch vorhandene) physikalische Ringtopologie aber eine Redundanz, da bei Ausfall eines Ethernet-Abschnitts dieser dadurch kompensiert werden kann, dass der RPL wieder aktiviert wird (Ethernet Ring Protection Switching). Fällt im Beispiel der Abbildung 20 beispielsweise die Verbindung A-B aus, so ist der Netzverbund in zwei Teile (A-D sowie B-C-F-E) segmentiert; durch Reaktivierung der RPL-Strecke (Verbindung D-E) kann diese Segmentierung behoben und der Ausfall der Verbindung A-B kompensiert werden.
  130. Das Prinzip der Ringunterbrechung auf der Ebene der OSI-Schicht 2 setzt sich auch fort, wenn ein Netzverbund über die Empfehlung G.8032v1 (deren Netzwerk beinhaltet nur einen Ethernet-Ring) hinaus nach der ITU-Empfehlung G.8032v2 neben dem Hauptring weitere Teilringe („Sub-Ringe“) umfasst, die an zwei Punkten des Hauptrings angeschlossen werden. Als logische Topologie weisen solche ERPS-Netzwerke ebenfalls eine Bus-Topologie auf, und zwar im Hauptring einen Bus sowie in den Sub-Ringen – abhängig davon, ob die RPL-Strecke am Rand des Sub-Rings liegt – einen oder zwei Busse. So ist der in der folgenden Abbildung 21 (vgl. S. 47 des Gutachtens) an den Hauptring angeschlossene obere Halbring am RPL (Verbindung G-H) auf der logischen Ebene unterbrochen, so dass dort zwei Busse A-G und C-I-H entstehen:
  131. Auch hier existiert auf der OSI-Schicht 2 keine Ringtopologie und damit kein Ringnetzwerk im Sinne des Klagepatents.
  132. Nichts anderes gilt für Konfigurationen gemäß Figuren 9-12 und 9-13 der ITU-Empfehlung G.8032 (vgl. S. 21 der Empfehlung, Anlage K 7), auf die sich die Klägerin seit Klageerhebung maßgeblich stützt:
  133. Auch hier ist – wie der Sachverständige in seinem 2. Ergänzungsgutachten nachvollziehbar erläutert hat (vgl. dort S. 29, Z. 17 – 21) – auf logischer Ebene die physikalische Ringtopologie in allen drei (Major- bzw. Sub-)Ringen am RPL unterbrochen, zeichnerisch verdeutlicht durch die durchgestrichenen kleinen Kreise. Nur für den Fall des Ausfalls einer aktiven Strecke wird die blockierte RPL-Strecke freigeschaltet, um den Ausfall zu kompensieren. Da folglich auf der entscheidenden OSI-Schicht 2 kein Ringnetzwerk vorliegt, ist auch hier kein bidirektionales Ringnetzwerk im Sinne der Merkmale 1 und 2.1 vorhanden.
  134. cc)
    Für den Senat bestehen – unter Berücksichtigung der gleichermaßen nachvollziehbaren wie überzeugenden Ausführungen des gerichtlichen Sachverständigen – damit keine vernünftigen Zweifel daran, dass nach der ITU-Empfehlung G.8032 konfigurierte Ethernet-Ringnetzwerke auf der – für das Klagepatent – entscheidenden OSI-Schicht 2 keine logische Ringstruktur aufweisen. Die hiergegen vorgebrachten Einwände der Klägerin vermögen nicht zu überzeugen. Insbesondere erscheint allein die Bezeichnung „Ethernet Ring“ wenig aussagekräftig, da unstreitig ist, dass Ethernet-Ringe auf physikalischer Ebene eine Ringstruktur bilden. Gleichermaßen kann aber auch nicht in Abrede gestellt werden, dass die Unterbrechung der physischen Ringstruktur mittels RPL gemäß der ITU-Empfehlung G.8032 den Normalzustand darstellt, um die Bildung von Zyklen zu verhindern (vgl. S. 4, Ziff. 3.2.8 der ITU-Empfehlung G.8032 – Anlage K 7). Auch die Ausführungen des Privatsachverständigen Prof. O in seinem Gutachten vom 26. April 2023 (Anlage TALIENS 3, dort S. 9) beschränken sich auf die Feststellung, dass es sich bei der Figur 9-12 der ITU-Empfehlung G.8032 um ein bidirektionales Ringnetzwerk mit vier durch Verbindungsstrecken miteinander verbundenen Knoten handele. Auf die notwendige Differenzierung der Ring-Topologie anhand der Schichten des OSI-Modells geht der Privatsachverständige nicht ein und klammert damit die – sich aus der Sicht eines Fachmanns aufdrängende – entscheidende Frage aus, ob das Ringnetzwerk auch auf der OSI-Schicht 2 einen Ring bildet. Auch die Anhörung des gerichtlichen Sachverständigen am 21. September 2023 hat diesbezüglich keine neuen Erkenntnisse erbracht. Der Sachverständige hat in dieser allerdings noch einmal betont, wie wichtig in der technischen Lehre die „Schichtorientiertheit“ bei der Betrachtung von Kommunikationssystemen sei.

    III.

  135. Die Kostenentscheidung folgt aus § 91 Abs. 1 ZPO.
  136. Die Anordnungen zur vorläufigen Vollstreckbarkeit ergeben sich aus §§ 708 Nr. 10, 711, 108 ZPO.
  137. Für eine Zulassung der Revision bestand keine Veranlassung, weil die in § 543 ZPO aufgestellten Voraussetzungen dafür ersichtlich nicht gegeben sind. Es handelt sich um eine reine Einzelfallentscheidung ohne grundsätzliche Bedeutung, mit der der Bundesgerichtshof auch nicht im Interesse einer Fortbildung des Rechts oder der Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung befasst werden muss (§ 543 Abs. 2 ZPO)

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