4a O 50/21 – Endlosriemen

Düsseldorfer Entscheidungen Nr. 3288

Landgericht Düsseldorf

Urteil vom 21. April 2023, Az. 4a O 50/21

  1. I. Die Beklagten werden verurteilt,

    1. es bei Meidung eines für jeden Fall der Zuwiderhandlung vom Gericht festzusetzenden Ordnungsgeldes bis zu EUR 250.000 – ersatzweise Ordnungshaft – oder einer Ordnungshaft bis zu sechs Monaten, im Falle wiederholter Zuwiderhandlung bis zu insgesamt zwei Jahren, wobei die Ordnungshaft an den jeweiligen gesetzlichen Vertretern zu vollziehen ist, zu unterlassen,

  2. Endlosriemen, mit elastomerem Riemenkörper und darin eingebettetem lasttragenden Kord, wobei der Kord mehrere Garne umfasst, die jeweils über eine erste Drehung entsprechend einem ersten Drehungskoeffizienten und einer ersten Drehrichtung verfügen, und besagter Kord über eine der ersten Drehung gegenläufige zweite Drehung entsprechend einem zweiten Drehungskoeffizienten verfügt, wobei erster und zweiter Drehungskoeffizient in einem Verhältnis des ersten zum zweiten größer 1,5 stehen, wobei der zweite Drehungskoeffizient bei größer 1,8 und kleiner 3,5 liegt
  3. im Geltungsbereich der Bundesrepublik Deutschland herzustellen, anzubieten, in Verkehr zu bringen und/oder zu gebrauchen und/oder zu den genannten Zwecken einzuführen und/oder zu besitzen,
  4. 2. der Klägerin darüber Auskunft zu erteilen, in welchem Umfang die Beklagten die unter Ziff. I. 1. bezeichneten Handlungen seit dem 10. Mai 2017 begangen haben, und zwar unter Angabe
  5. a) der Namen und Anschriften der Hersteller, Lieferanten und anderer Vorbesitzer,
    b) der Namen und Anschriften der gewerblichen Abnehmer sowie der Verkaufsstellen, die für die Erzeugnisse bestimmt waren,
    c) der Menge der ausgelieferten, erhaltenen oder bestellten Erzeugnisse sowie der Preise, die für die betreffenden Erzeugnisse bezahlt wurden,
  6. wobei
  7.  zum Nachweis der Angaben die entsprechenden Kaufbelege (nämlich Rechnungen, hilfsweise Lieferscheine, höchst hilfsweise Zollpapiere) in Kopie vorzulegen sind, wobei geheimhaltungsbedürftige Details außerhalb der auskunftspflichtigen Daten geschwärzt werden dürfen;
  8. 3. der Klägerin in einer geordneten Aufstellung schriftlich darüber Rechnung zu legen, in welchem Umfang die Beklagten die unter Ziff. I. 1. bezeichneten Handlungen seit dem 10. Juni 2017 begangen haben, und zwar unter Angabe
  9. a) der einzelnen Lieferungen, aufgeschlüsselt nach Lieferungsmengen, -zeiten, -preisen und Typenbezeichnungen sowie den Namen und Anschriften der gewerblichen Abnehmer,
    b) der einzelnen Angebote, aufgeschlüsselt nach Angebotsmengen, -zeiten, – preisen und Typenbezeichnungen sowie den Namen und Anschriften der gewerblichen Angebotsempfänger,
    c) der betriebenen Werbung, aufgeschlüsselt nach Werbeträgern, deren Auflagenhöhe, Verbreitungszeitraum und Verbreitungsgebiet,
    d) der nach den einzelnen Kostenfaktoren aufgeschlüsselten Gestehungskosten und des erzielten Gewinns,
  10. wobei
  11.  es den Beklagten vorbehalten bleibt, die Namen und Anschriften der nichtgewerblichen Abnehmer und Angebotsempfänger statt der Klägerin einem von der Klägerin zu bezeichnenden, ihr gegenüber zur Verschwiegenheit verpflichteten vereidigten Wirtschaftsprüfer mitzuteilen, sofern die Beklagten dessen Kosten trägt und ihn ermächtigt und verpflichtet, der Klägerin auf konkrete Anfrage mitzuteilen, ob ein bestimmter Abnehmer oder Angebotsempfänger in der Aufstellung enthalten ist.
  12. 4. Die Beklagte zu 1) wird verurteilt, die in ihrem unmittelbaren und/oder mittelbaren Besitz und/oder Eigentum befindlichen, vorstehend unter Ziff. I. 1. bezeichneten Erzeugnisse auf eigene Kosten zu vernichten oder nach ihrer Wahl an einen von der Klägerin zu benennenden oder zu beauftragenden Gerichtsvollzieher zum Zwecke der Vernichtung auf Kosten der Beklagten zu 1) herauszugeben.
  13. 5. Die Beklagten werden verurteilt, die vorstehend unter Ziff. I. 1. bezeichneten, in Verkehr gebrachten Erzeugnisse gegenüber den gewerblichen Abnehmern unter Hinweis auf den gerichtlich festgestellten patentverletzenden Zustand der Sache und mit der verbindlichen Zusage zurückzurufen, etwaige Entgelte sowie notwendige Verpackungs- und Transportkosten sowie mit der Rückgabe verbundene Zoll- und Lagerkosten zu übernehmen und die Erzeugnisse wieder an sich zu nehmen.
  14. II. Es wird festgestellt, dass die Beklagten verpflichtet sind, der Klägerin allen Schaden zu ersetzen, der ihr durch die in Ziffern I. 1. bezeichneten, seit dem 10. Juni 2017 begangenen Handlungen entstanden ist und noch entstehen wird.
  15. III. Die Kosten des Rechtsstreits werden den Beklagten auferlegt.
  16. IV. Das Urteil ist für die Klägerin in der Hauptsache vorläufig vollstreckbar gegen Sicherheitsleistung in Höhe von EUR 1.500.000,00. Daneben sind die Aussprüche zur Unterlassung, Rückruf und Vernichtung (Ziffern I.1., I.4. und I.5 des Tenors) gemeinsam gesondert vorläufig vollstreckbar gegen Sicherheitsleistung in Höhe von EUR 1.105.000. Die Aussprüche zur Auskunft und Rechnungslegung (Ziffern I.2 und I.3 des Tenors) sind gemeinsam gesondert vorläufig vollstreckbar gegen Sicherheitsleistung in Höhe von EUR 350.000. Wegen der Kosten ist das Urteil gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrags vorläufig vollstreckbar.
  17. Tatbestand
  18. Die Klägerin nimmt die Beklagten wegen Verletzung des deutschen Teils des europäischen Patents EP 1 861 XXA B1 (Anlagen K4/K4a; nachfolgend: Klagepatent) auf Unterlassung, Auskunft, Rechnungslegung, Rückruf und Feststellung der Schadensersatzverpflichtung, sowie die Beklagte zu 1) darüber hinaus auf Vernichtung in Anspruch.
  19. Die Klägerin ist die im Register des Deutschen Patent- und Markenamtes eingetragene und allein verfügungsberechtigte Inhaberin des Klagepatents, welches am 24. März 2006 unter Inanspruchnahme der Priorität US 88XXB vom 24. März 2005 angemeldet wurde. Die Patenterteilung wurde am 10. Mai 2017 veröffentlicht. Das Klagepatent wurde unter anderem mit Wirkung für die Bundesrepublik Deutschland erteilt (vergleiche Registerauszug des DPMA, Anlage K5).
  20. Das Klagepatent steht in Kraft. Die Beklagte zu 1) erhob am 29. Oktober 2021 gegen den deutschen Teil des Klagepatents im Umfang der Patentansprüche 1 und 3 bis 13 Nichtigkeitsklage zum Bundespatentgericht. Eine Entscheidung hierauf erging bisher noch nicht.
  21. Die Klägerin macht in dem vorliegenden Rechtsstreit den Patentanspruch 1 nach dem im Nichtigkeitsverfahren gestellten Hilfsantrag (vgl. Anlagen K34/ K34a) geltend, welcher in deutscher Übersetzung wie folgt lautet:
  22. „1. Endlosriemen (10, 26, 32) mit elastomerem Riemenkörper (12) und darin eingebettetem lasttragenden Kord (22), wobei der Kord (22) mehrere Garne (2) umfasst, die jeweils über eine erste Drehung entsprechend einem ersten Drehungskoeffizienten und einer ersten Drehrichtung verfügen, umfasst und über eine der ersten Drehrichtung gegenläufige zweite Drehung entsprechend einem zweiten Drehungskoeffizienten verfügt, dadurch gekennzeichnet, dass erster und zweiter Drehungskoeffizient in einem Verhältnis des ersten zum zweiten größer 1,5 stehen, wobei der zweite Drehungskoeffizient bei größer 1,8 und kleiner 3,5 liegt.
  23. Dieser Anspruch entspricht der Kombination der Ansprüche 1 und 4 der derzeit erteilten Fassung des Klagepatents.
  24. Wegen des weiteren, lediglich als Insbesondere-Antrag geltend gemachten Unteranspruchs 3 wird auf die Klagepatentschrift sowie auf die Anlagen K34 / 34a verwiesen.
  25. Die nachfolgend dargestellte Figur 1 des Klagepatents zeigt einen Querschnitt durch einen Keilrippenriemen (10) gemäß einer Ausführungsform des Klagepatents, der einen Abschnitt eines elastomeren Hauptriemenkörpers (12), mit einem lasttragenden Kord (22) beinhaltet.
  26. Die nachfolgend dargestellte Figur 7 zeigt eine schematische Seitenansicht eines lasttragenden Kords (22) zur Verstärkung eines Gummiverbundartikels gemäß einer Ausführungsform des Klagepatents:
  27. Die Beklagten sind Tochtergesellschaften der B AG. Die Beklagte zu 2) ist zu 94,86 % Gesellschafterin der Beklagten zu 1). Seit dem 26. September 2019 besteht zwischen den beiden Unternehmen ein Beherrschungs- und Gewinnabführungsvertrag.
  28. Die Beklagte zu 1) ist verantwortlich für die Herstellung sowie den Vertrieb von Riemen und Antriebssystemen aus Gummi und Kunststoff, auch im Verbund mit anderen Werkstoffen, Rollen und Riemenscheiben sowie Komplettsystemen für Antrieb und Transport. Die Beklagte zu 2) ist verantwortlich für die Herstellung und den Vertrieb von technischen Artikeln aller Art aus natürlichem oder synthetischen Kautschuk, Kunststoff oder sonstigen Rohstoffen. Ausweislich des Handelsregisters ist Unternehmensgegenstand der Beklagten zu 2) „die Herstellung und der Vertrieb von technischen Artikeln aller Art aus natürlichem oder synthetischen Kautschuk, Kunststoff oder sonstigen Rohstoffen, die Übernahme von kaufmännischen und technischen Dienstleistungen aller Art sowie die Beteiligung an Unternehmen aller Art.“ Weiter heißt es: „Ihren Unternehmensgegenstand kann die Gesellschaft selbst oder durch Tochter- und Beteiligungsunternehmen verwirklichen.“
  29. Die Beklagte zu 1) stellt in der Bundesrepublik Deutschland Keilrippenriemen, u.a. mit den Bezeichnungen „C“, „D“ und „E“ (nachfolgend insgesamt als „angegriffene Ausführungsformen“ bezeichnet) her.
  30. Zur Veranschaulichung werden im Folgenden die angegriffenen Ausführungsformen bildlich dargestellt:
  31. Die nachfolgende Abbildung zeigt eine Seitenansicht einer angegriffenen Ausführungsform, in der mehrere lasttragende Korde eingebettet sind (Beschriftung stammt von der Klägerin):
  32. Die angegriffenen Ausführungsformen werden in der Bundesrepublik Deutschland u.a über verschiedene Onlinehändler, wie etwa https://www.F.de/, https://www.G.de/, https://www.H.de, https://www.I.de und https://www.J.de zum Verkauf angeboten, wobei zwischen den Parteien streitig ist, ob die Beklagten in Geschäftsbeziehung zu den Betreibern dieser Webseiten stehen.
  33. Darüber hinaus bietet die Beklagte zu 1) die angegriffene Ausführungsform auf ihrer eigenen Webseite https://www.K.com/L zum Verkauf an.
  34. Über die Webseite der Beklagten zu 2) (https://www.M.com/de/) gelangt man durch Anklicken mehrerer Verknüpfungen zur Webseite der Beklagten zu 1). Beide Webseiten weisen ein einheitliches „Corporate Design“ auf.
  35. Die Klägerin meint, die angegriffene Ausführungsform mache von allen Merkmalen des Anspruchs 1 des Klagepatents – in der Fassung des Hilfsantrags – Gebrauch. Hinsichtlich der Merkmale, wonach der erste und der zweite Drehungskoeffizient in einem Verhältnis des ersten zum zweiten größer 1,5 stehen und wobei der zweite Drehungskoeffizient bei größer 1,8 und kleiner 3,5 liegt, behauptet sie, dass das Verhältnis der jeweiligen ersten und zweiten Drehungskoeffizienten bei allen angegriffenen Ausführungsformen größer als 1,5 sei. Mit der Klageschrift hat sie hierzu zunächst eine Tabelle aus einem von ihr beauftragten Prüfbericht (Anlage K 22) vorgelegt.
  36. Während des laufenden Rechtsstreits seien weitere Messungen (Anlage K31) – diesmal unter Verwendung der in Absatz [0030] des Klagepatents genannten Formel – durchgeführt worden. Auch hiernach sei das Verhältnis des ersten zum zweiten Drehungskoeffizienten bei allen angegriffenen Ausführungsformen größer als 1,5. Es betrage bei den einzelnen Produkten zwischen 1,79 und 3,30. Der zweite Drehungskoeffizient sei jeweils größer 1,8 und kleiner 3,5. Hinsichtlich der Einzelheiten wird auf die Tabelle 4, Seite 4 der Anlage K31 Bezug genommen.
  37. Die Beklagte zu 2) sei hinsichtlich der geltend gemachten Ansprüche neben der Beklagten zu 1) passivlegitimiert. Als Mutterunternehmen der Beklagten zu 1) müsse sie sich deren Verletzungshandlungen zurechnen lassen, da sie in diese eingebunden sei. Aufgrund ihres sich aus dem Handelsregister ergebenden Gesellschaftszwecks begreife sie sich selbst als Entwickler, Hersteller und Lieferant von Antriebsriemen und sei maßgeblich im Geschäftsbereich der Beklagten zu 1) involviert. Auf ihren jeweiligen Webseiten seien die Beklagten so eng miteinander verflochten, dass eine Unterscheidung kaum möglich sei. Die Beklagte zu 1) werde als fester Bestandteil der Konzernstruktur der Beklagten zu 2) dargestellt und die Produkte der Beklagten zu 1) seien direkt über die Webseite der Beklagten zu 2) erreichbar. Dies stelle eine unternehmensbezogene Information und zugleich Werbung dar.
  38. Das Klagepatent werde sich zudem im Nichtigkeitsverfahren jedenfalls in der Fassung der gestellten Hilfsanträge im Hinblick auf die Entgegenhaltungen JP H5-83XXD („O“ = E1; vorgelegt als Anlage B2 / B2a; nachfolgend: E1), US 6,689,XXE B2 (“P” = E2; vorgelegt als Anlage B3 / B3a; nachfolgend: E2), JP 2003/194XXF A („Q.” = E3; vorgelegt als Anlage B4 / B4a; nachfolgend: E3) US 4,083,XXG A („R“, E4 im Nichtigkeitsverfahren, vorgelegt als Anlage K32; nachfolgend: E4) als rechtsbeständig erweisen und aufrechterhalten werden, weshalb der Rechtsstreit nicht auszusetzen sei.
  39. Die Entgegenhaltung E1 offenbare nicht das Merkmal des Anspruchs 1 des Klagepatents, wonach der erste und der zweite Drehungskoeffizient in einem Verhältnis des ersten zum zweiten größer 1,5 stehen. Sie offenbare keinen Drehungskoeffizienten, sondern einen Verdrehungsfaktor („twist factor“). Diese Begriffe dürften nicht gleichgesetzt werden. Zudem sei die Berechnung der Beklagten betreffend den Verdrehungsfaktor falsch. Setze man den ersten Verdrehungsfaktor mit dem zweiten Verdrehungsfaktor ins Verhältnis und bilde aus diesen beiden Werten einen Drehungskoeffizienten, so ergäben sich Werte unterhalb von 1,5, sodass das Merkmal nicht erfüllt sei.
  40. Hinsichtlich der Entgegenhaltung E2 verwendeten die Beklagten unzulässigerweise zwei Ausführungsbeispiele kombiniert, die jedoch jeweils für sich zu betrachten seien. Darüber hinaus verwendeten sie hinsichtlich des Verhältnisses der Drehungskoeffizienten zueinander unzulässigerweise Minimal- und Maximalwerte, was jedoch dem Verständnis des Fachmanns widerspreche.
  41. Schließlich offenbare die Entgegenhaltung E3 schon nicht die Merkmale einer ersten und zweiten Drehung im Sinne des Klagepatents, da lediglich von „aufwärts“ und „abwärts“ gesprochen werde. Auch enthalte keines der Ausführung- und Vergleichsbeispiele ein Verhältnis des ersten zum zweiten Drehungskoeffizienten von größer als 1,5.
  42. Die Klägerin hat mit der Klageschrift vom 3. Mai 2021 ursprünglich beantragt, die Beklagten wegen unmittelbarer Verletzung des erteilten Anspruchs 1 und des Unteranspruchs 3 des Klagepatents zur Unterlassung, Auskunft, Rechnungslegung, Vernichtung, Rückruf und Feststellung der Schadensersatzverpflichtung zu verurteilen.
  43. Mit Schriftsatz vom 15. Dezember 2022 hat sie die Klageanträge entsprechend dem Patentanspruch 1 nach dem Hilfsantrag des Nichtigkeitsverfahrens angepasst. Ferner hat die Klägerin in der mündlichen Verhandlung vom 14. März 2023 den Vernichtungsantrag zu Ziffer I. 4. zurück genommen, soweit dieser gegen die Beklagte zu 2) gerichtet war. Sie beantragt nunmehr,
  44. wie erkannt.
  45. Hilfsweise beantragt sie,
  46. I. die Beklagten zu verurteilen,
    1. es bei Meidung eines für jeden Fall der Zuwiderhandlung vom Gericht festzusetzenden Ordnungsgeldes bis zu EUR 250.000 – ersatzweise Ordnungshaft – oder einer Ordnungshaft bis zu sechs Monaten, im Falle wiederholter Zuwiderhandlung bis zu insgesamt zwei Jahren, wobei die Ordnungshaft an den jeweiligen gesetzlichen Vertretern zu vollziehen ist, zu unterlassen,
    Endlosriemen, mit elastomerem Riemenkörper und darin eingebettetem lasttragenden Kord, wobei der Kord mehrere Garne umfasst, die jeweils über eine erste Drehung entsprechend einem ersten Drehungskoeffizienten und einer ersten Drehrichtung verfügen, und besagter Kord über eine der ersten Drehung gegenläufige zweite Drehung entsprechend einem zweiten Drehungskoeffizienten verfügt, wobei erster und zweiter Drehungskoeffizient in einem Verhältnis des ersten zum zweiten größer 1,5 stehen
    im Geltungsbereich der Bundesrepublik Deutschland herzustellen, anzubieten, in Verkehr zu bringen und/oder zu gebrauchen und/oder zu den genannten Zwecken einzuführen und/oder zu besitzen,
  47. insbesondere, wenn es sich bei den Endlosriemen um Keilrippenriemen handelt,
  48. und/oder
  49. wenn der zweite Drehungskoeffizient bei größer 1,8 und kleiner 3,5 liegt;
  50. 2. der Klägerin darüber Auskunft zu erteilen, in welchem Umfang die Beklagten die unter Ziff. I. 1. bezeichneten Handlungen seit dem 10. Mai 2017 begangen haben, und zwar unter Angabe
  51. a) der Namen und Anschriften der Hersteller, Lieferanten und anderer Vorbesitzer,
    b) der Namen und Anschriften der gewerblichen Abnehmer sowie der Verkaufsstellen, die für die Erzeugnisse bestimmt waren,
    c) der Menge der ausgelieferten, erhaltenen oder bestellten Erzeugnisse sowie der Preise, die für die betreffenden Erzeugnisse bezahlt wurden,
  52. wobei
  53. – zum Nachweis der Angaben die entsprechenden Kaufbelege (nämlich Rechnungen, hilfsweise Lieferscheine, höchst hilfsweise Zollpapiere) in Kopie vorzulegen sind, wobei geheimhaltungsbedürftige Details außerhalb der auskunftspflichtigen Daten geschwärzt werden dürfen;
  54. 3. der Klägerin in einer geordneten Aufstellung schriftlich darüber Rechnung zu legen, in welchem Umfang die Beklagten die unter Ziff. I. 1. bezeichneten Handlungen seit dem 10. Juni 2017 begangen haben, und zwar unter Angabe
    a) der einzelnen Lieferungen, aufgeschlüsselt nach Lieferungsmengen, -zeiten, -preisen und Typenbezeichnungen sowie den Namen und Anschriften der gewerblichen Abnehmer,
    b) der einzelnen Angebote, aufgeschlüsselt nach Angebotsmengen, -zeiten, – preisen und Typenbezeichnungen sowie den Namen und Anschriften der gewerblichen Angebotsempfänger,
    c) der betriebenen Werbung, aufgeschlüsselt nach Werbeträgern, deren Auflagenhöhe, Verbreitungszeitraum und Verbreitungsgebiet,
    d) der nach den einzelnen Kostenfaktoren aufgeschlüsselten Gestehungskosten und des erzielten Gewinns,
  55. wobei
  56. – es den Beklagten vorbehalten bleibt, die Namen und Anschriften der nichtgewerblichen Abnehmer und Angebotsempfänger statt der Klägerin einem von der Klägerin zu bezeichnenden, ihr gegenüber zur Verschwiegenheit verpflichteten vereidigten Wirtschaftsprüfer mitzuteilen, sofern die Beklagten dessen Kosten trägt und ihn ermächtigt und verpflichtet, der Klägerin auf konkrete Anfrage mitzuteilen, ob ein bestimmter Abnehmer oder Angebotsempfänger in der Aufstellung enthalten ist;
  57. 4. die Beklagte zu 1) zu verurteilen, die in ihrem unmittelbaren und/oder mittelbaren Besitz und/oder Eigentum befindlichen, vorstehend unter Ziff. I. 1. bezeichneten Erzeugnisse auf eigene Kosten zu vernichten oder nach ihrer Wahl an einen von der Klägerin zu benennenden oder zu beauftragenden Gerichtsvollzieher zum Zwecke der Vernichtung auf Kosten der Beklagten zu 1) herauszugeben;
  58. 5. die Beklagten zu verurteilen, die vorstehend unter Ziff. I. 1. bezeichneten, in Verkehr gebrachten Erzeugnisse gegenüber den gewerblichen Abnehmern unter Hinweis auf den gerichtlich festgestellten patentverletzenden Zustand der Sache und mit der verbindlichen Zusage zurückzurufen, etwaige Entgelte sowie notwendige Verpackungs- und Transportkosten sowie mit der Rückgabe verbundene Zoll- und Lagerkosten zu übernehmen und die Erzeugnisse wieder an sich zu nehmen;
  59. I. festzustellen, dass die Beklagten verpflichtet sind, der Klägerin allen Schaden zu ersetzen, der ihr durch die in Ziff. I. 1. bezeichneten, seit dem 10. Juni 2017 begangenen, Handlungen entstanden ist und noch entstehen wird;
  60. Die Beklagten beantragen,
  61. die Klage abzuweisen;
  62. hilfsweise,
  63. den Rechtsstreit bis rechtskräftigen Abschluss des Nichtigkeitsverfahrens betreffend das Klagepatent EP 1 861 XXA B1auszusetzen.
  64. Die Beklagten sind der Ansicht, dass jedenfalls die Beklagte zu 2) nicht passivlegitimiert sei. Diese sei in keiner patentrechtlich relevanten Weise an einer Verletzungshandlung beteiligt. Sie nehme keinen Einfluss auf das Produktportfolio, Produktdesign oder die Produktherstellung der Beklagten zu 1). Weder aus dem Gesellschaftszweck der Beklagten zu 2) noch aus der gesellschaftsrechtlichen Verflechtung der beiden Beklagten lasse sich eine patentrechtliche Verantwortlichkeit der Beklagten zu 2) für etwaige Verletzungshandlungen durch die Beklagte zu 1) konstruieren.
  65. Ferner sei der Anspruch 1 des Klagepatents nicht verletzt. Der Vortrag der Klägerin zur Verletzung der Merkmale, wonach der erste und zweite Drehungskoeffizient in einem Verhältnis des ersten zum zweiter größer 1,5 stehen und der zweite Drehungskoeffizient bei größer 1,8 und kleiner 3,5 liegen müsse, sei unschlüssig. Eine Verwirklichung dieser Merkmale werde mit Nichtwissen bestritten. Bei der in Absatz [0030] des Klagepatents genannten Formel handele es sich um eine Legaldefinition des Drehungskoeffizienten. Mithin sei diese auch zwingend bei der Berechnung des Drehungskoeffizienten hinsichtlich der angegriffenen Ausführungsform einzusetzen gewesen. Auch darüber hinaus sei das von der Klägerin angewendete Messverfahren nicht geeignet, zuverlässige oder belastbare Ergebnisse hervorzubringen.
    Hinsichtlich der mit der Replik vorgelegten Testergebnisse sind die Beklagten der Auffassung, dass diesen kein Beweiswert zukomme. Die überreichten Messungen böten keine Gewissheit. Dies werde auch dadurch bestätigt, dass die Ergebnisse der ersten und zweiten Messung um mindestens einen Faktor 2 auseinanderlägen. Die Beklagten behaupten, dass das verwendete Prüfinstitut nicht unparteilich sei, die Messung nicht fachmännisch durchgeführt und die Messwerte, die in die Formel eingestellt wurden, nicht korrekt ermittelt worden seien.
  66. Schließlich sei, so die Beklagten, der Rechtsstreit gemäß § 148 ZPO im Hinblick auf das vor dem Bundespatentgericht gegen das Klagepatent anhängige Nichtigkeitsverfahren auszusetzen.
  67. Das Klagepatent sei – auch in der Fassung des nunmehr vorgelegten Hilfsantrages – durch die Entgegenhaltungen E1, E2 und E3 im Stand der Technik in allen Merkmalen neuheitsschädlich vorweggenommen.
  68. Zwar sei der von der E1 genannte Verdrehungsfaktor geringfügig von einem Drehungskoeffizienten zu unterscheiden. Allerdings sei das im Klagepatent angegebene Verhältnis des ersten zum zweiten Drehungskoeffizienten mit dem in der E1 angegebenen Verdrehungsfaktor identisch. Das Verhältnis von beiden betrage 2,33, weshalb es lediglich erforderlich sei, den zweiten Drehungskoeffizienten leicht zu erhöhen, um zum Gegenstand des Klagepatents zu gelangen. Dies gelte auch zumal der Fachmann der E1 keine kritische Relevanz eines Drehungskoeffizienten von 1,8 entnehme, zumal in der Figur 3 der Druckschrift die wiedergegebenen Messpunkte mit Linien verbunden sein, aus denen sich für den zweiten Drehungskoeffizienten Werte von 1,85, 1,9 oder 2,0 ergäben.
  69. Die E2 offenbare für das Verhältnis der Drehungskoeffizienten zueinander einen Bereich von 0,43 bis 2,19. Dieser Bereich ergebe eine Überschneidung mit dem im Anspruchs 1 vorgegebenen Bereich von mindestens 1,5. Nach Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs zu solchen Bereichsüberschneidungen werde durch den Bereich auch das klagepatentgemäße Verhältnis der Drehungskoeffizienten von größer 1,5 erfasst.
  70. Schließlich zeige die E3 sämtliche Merkmale des Anspruchs 1 des Klagepatents. Insbesondere offenbare diese für den ersten Drehungskoeffizienten Werte im Bereich von 1,53 bis 5,83 und für den zweiten Drehungskoeffizienten Wert von 1,59 bis 6,12, was für das Verhältnis der beiden Koeffizienten zueinander Werte im Bereich von 0,25 bis 3,66 ergebe, sodass sich eine signifikante Überlappung mit dem durch das Klagepatent vorgegebenen Bereich von mindestens 1,5 ergebe.
  71. Jedenfalls fehle es vor dem Hintergrund der E4 an einer erfinderischen Tätigkeit.
  72. Wegen der Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die gewechselten Schriftsätze nebst deren Anlagen sowie auf das Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 14. März 2023 verwiesen.
  73. Entscheidungsgründe
  74. Die Klage ist zulässig und begründet.
  75. Die angegriffenen Ausführungsformen verwirklichen sämtliche Merkmale des Klagepatents unmittelbar und wortsinngemäß nach dem Hauptantrag, so dass der Klägerin gegen die Beklagten die geltend gemachten Ansprüche zustehen. Eine Aussetzung im Hinblick auf das anhängige Nichtigkeitsverfahren kommt vorliegend nicht in Betracht.
  76. I.
    1)
    Das Klagepatent (die nachfolgend genannten Abs. ohne Quellenangabe sind solche des Klagepatents) betrifft einen Endlosriemen, der einen lasttragenden Kord umfasst und insbesondere solche Riemen, bei denen der Kord mehrere verdrehte Garne umfasst, die zum Ausbilden des Kords in einer der ersten Drehung der verdrehten Garne gegenläufigen Richtung miteinander verdreht sind. Ferner betrifft es Verfahren zur Herstellung solcher Riemen (Absatz [0001]).
    Aus dem Stand der Technik ist bekannt, dass zur Konstruktion von Endlosriemen, und anderen Kautschukverbunderzeugnissen, die einen mehrere Garne umfassenden lasttragenden Kord verwenden, in einem ersten Schritt zum Bilden einer Anzahl verdrehter Garne zunächst ein oder mehrere Fäden von Garnen zu verdrehen und sodann in einem zweiten Schritt zum Bilden eines verdrehten oder kablierten Kords die verdrehten Garne miteinander zu verdrehen. Weiter ist bekannt, dass bei derartigen Konstruktionen, die einzelnen Garne während der ersten Drehetappe in eine Richtung zu drehen und während der zweiten Drehetappe die verdrehten Garne in die gegenläufige Richtung zu verzwirnen. Normalerweise hat es sich bei derartigen für diese Zwecke gedachten Konstruktionen als wünschenswert erwiesen, das Verdrehen und Verzwirnen so durchzuführen, dass eine ausgeglichene Drehung erreicht wird, d. h. eine Anordnung, bei der ein in einer offenen Schleife gehaltener Kord sich nicht mit sich selbst verdreht. Dies wird z. B. dadurch erreicht, dass der erste und der zweite Drehvorgang so durchgeführt werden, dass die Fadenrichtung im gedrehten Kord mit der Längsachse des Kords selbst übereinstimmt, und wird durch die Verwendung gleich großer, aber entgegengesetzter Drehungskoeffizienten während der ersten und der zweiten Drehung beschrieben (Absatz [0002]). In Absatz [0003] führt das Klagepatent weiter aus, dass im Bereich der in modernen Multifunktionsanwendungen von Autos eingesetzten Keilrippenriemen die Leistungsanforderungen an deren Biegewechselfestigkeit und Tragfähigkeit stark zugenommen haben. Das Klagepatent kritisiert, dass höhermodulige Kords im Stand der Technik dafür bekannt sind, dass sie eine hohe Lasttragefähigkeit, aber eine relativ schlechte Biegewechselfestigkeit aufweisen. Zwar wurden Versuche unternommen, die Biegewechselfestigkeit von aus solchen Kords gebildeten Riemen zu verbessern, z.B. indem statt verdrehtes Kord geflochtenes Kord verwendet wurde, aber solche Verfahren sind im Allgemeinen teurer und führen häufig dazu, dass die Kordfestigkeit insgesamt abnimmt und somit der Wert des Materials geringer wird.
    Aus dem Stand der Technik benennt das Klagepatent zwei Druckschriften, die sich mit der Lösung des dargestellten Problems beschäftigen.
    So ist in der US-A-3597303 eine Radialreifenabdeckung beschrieben, bei der die Korde aus Fasern aus Polyvinylalkohol gebildet sind, wobei die Korde mehrere Garne umfassen. Die Garne verfügen jeweils über eine erste Drehung entsprechend einem ersten Drehungskoeffizienten in einer ersten Drehrichtung und einer der ersten Drehrichtung gleichläufige zweite Drehung entsprechend einem zweiten Drehungskoeffizienten (Absatz [0004]).
    Die in Absatz [0005] aufgeführte Druckschrift US-A-5521007 offenbart Endlosriemen die einen, in einem elastomeren Riemenkörper eingebetteten, lasttragenden Kord umfassen. Der Kord umfasst mehrere Garne, die zum Bilden von Strängen jeweils über eine erste Drehung entsprechend einem ersten Drehungskoeffizienten in einer ersten Drehrichtung verfügen und die Stränge zum Bilden des Kords über eine der ersten Drehrichtung gegenläufige zweite Drehung entsprechend einem zweiten Drehungskoeffizienten verfügen. Der erste Drehungskoeffizient und der zweite Drehungskoeffizient stehen dabei in einem Verhältnis des ersten zum zweiten größer oder gleich 1,25.
    Hiervon ausgehend benennt das Klagepatent weiterhin einen Bedarf an einem hochmoduligen, lasttragenden Kord, etwa für den Einbau in ein Endlosriemen oder ein ähnliches Kautschukverbunderzeugnis, der ein gutes Gleichgewicht zwischen Lasttragefähigkeit und Biegewechselfestigkeit aufweist (Absatz [0006]).
    Zur Lösung dieser Aufgabe schlägt das Klagepatent in Absatz [0007] einen Endlosriemen mit elastomerem Riemenkörper und einen darin eingebetteten, lasttragenden Kord – entsprechend dem Klagepatentanspruch 1 – vor. Der Kord umfasst mehrere Garne, die jeweils über eine erste Drehung entsprechend einem ersten Drehungskoeffizienten und in einer ersten Richtung verfügen und der Kord über eine der ersten Drehrichtung gegenläufige zweite Drehung entsprechend einem zweiten Drehungskoeffizienten verfügen. Dieser ist dadurch gekennzeichnet, dass erster und zweiter Drehungskoeffizienten in einem Verhältnis des ersten zum zweiten von größer als 1,5 stehen. Der Endloskraftübertragungsriemen soll zweckmäßigerweise aus einem Keilrippenriemen, einem Keilriemen, einem flachen Riemen und einem Zahnriemen, in die das lasttragende Kord eingebaut ist, ausgewählt werden.
    Der von dem Klagepatent vorgeschlagene Endlosriemen mit eingebetteten lasttragenden Kord lässt sich – in der Fassung des Hilfsantrages im Nichtigkeitsverfahren – anhand der folgenden Merkmalsgliederung darstellen:
    1. Endlosriemen
    1.1. mit elastomerem Riemenkörper und
    2. einem darin eingebetteten lasttragenden Kord,
    2.1. wobei der Kord mehrere Garne umfasst, die jeweils über eine erste Drehung entsprechend einem ersten Drehungskoeffizienten und einer ersten Drehrichtung verfügen, und
    2.2. über eine der ersten Drehung gegenläufige zweite Drehung entsprechend einem zweiten Drehungskoeffizienten verfügt,
    3. wobei erster und zweiter Drehungskoeffizient in einem Verhältnis des ersten zum zweiten größer 1,5 stehen,
    2. wobei der zweite Drehungskoeffizient bei größer 1,8 und kleiner 3,5 liegt.
    Erfindungsgemäß konstruierte Endlosriemen weisen gegenüber ähnlichen Riemen, die herkömmliche lasttragende Kords verwenden, laut dem Klagepatent eine erheblich verbesserte Biegewechselfähigkeit auf, während die Lasttragefähigkeit im Wesentlichen gleich bleibt (vgl. Absatz [0042]).
  77. 2)
    Vor dem Hintergrund des Streits der Parteien bedürfen allein die Merkmale 3 und 4 des Klagepatentanspruchs 1 gemäß der vorstehend dargestellten Merkmalsanalyse der Auslegung. Das Merkmal 3 beschäftigt sich mit dem Verhältnis der Drehungskoeffizienten des verwendeten Garns zueinander. Das Verhältnis des ersten zum zweiten Drehungskoeffizienten muss größer als 1,5 sein. Das durch den Hilfsantrag eingefügte Merkmal 4 lehrt zudem, dass der zweite Drehungskoeffizienten größer 1,8 und kleiner 3,5 sein muss.
    Der Begriff des Drehungskoeffizienten ist in Absatz [0030] erläutert. Dieser beschreibt zunächst die Begriffe des Garns und des Kords, wie sie auch in dem übrigen Klagepatentanspruch Verwendung finden. Ein „Garn“ (oder „Strang“ oder „Zwirn“) bezieht sich dabei auf ein Basisgarn oder Basisgarne, die als Zwischenschritt bei der Bildung eines Kords gefaltet, gedreht, verdreht oder kabliert werden. Der Begriff „Kord“ bezieht sich auf ein oder mehrere Stränge oder Zwirne oder ein oder mehrere Garne, die in einem letzten Schritt zur Bildung des Kords miteinander verdreht, verzwirnt oder kabliert werden.
    Schließlich wird der Begriff des „Drehungskoeffizienten“ (englisch: „twist multiplier“) erläutert, der klagepatentgemäß zur Beschreibung des Merkmals Drehung, wie es für die Ausführung der Erfindung gilt, verwendet wird. Er wird im Text des Absatzes [0030] als das Verhältnis der Umdrehungen pro Meter (UPM) oder Umdrehungen pro Inch (UPI) zur Quadratwurzel der Garnnummer definiert. Die Garnnummer ist als das Verhältnis von 5905 zum dtex der Fäden oder das Verhältnis von 5315 zum Denier der Fäden in Gramm pro 9000 m definiert. Unter dtex und Denier, die beide nicht im Klagepatent definiert sind, versteht der Fachmann Einheiten zur Angabe des Gewichts von Fäden je Länge.
    Abschließend heißt es im Absatz [0030], dass der Drehungskoeffizient durch folgende Gleichung „definiert“ ist (im englischen Original: „the following equation defines the twist multiplier“):
  78. Die Gleichungen unterscheiden sich demzufolge danach, ob mit der Einheit der Umdrehungen pro Meter (UPM) und mit der Einheit dtex oder Umdrehungen pro Inch (UPI) und der Einheit Denier operiert wird. Das Ins-Verhältnis-Setzen der verschiedenen Variablen der Gleichung funktioniert jedoch bei beiden Einheiten in derselben Weise.
    Bei diesen mathematischen Gleichungen handelt es um eine Legaldefinition des Begriffs des Drehungskoeffizienten. Für die Annahme einer solchen spricht bereits der Wortlaut des Absatzes [0030], wonach der Drehungskoeffizient durch die dort angegebenen Gleichungen „definiert“ wird. Ferner bestimmt der Absatz [0030] die Bedeutung der Komponenten der Gleichung, wie die Garnnummer sowie weitere im Rahmen der Klagepatentschrift verwendete Begriffe, wie z.B. „Garn“ oder „Kord“. Der Fachmann entnimmt dem insgesamt, dass der Absatz [00030] dazu dient, wesentliche, für das Verständnis der Erfindung maßgebliche Begriffe für die Auslegung und Ausführung des Klagepatents zu definieren. Anhaltspunkte dafür, dass das Klagepatent an anderen Stellen der Beschreibung ein anderes Verständnis des Drehungskoeffizienten als das in Absatz [0030] genannte zu Grunde legt oder aber die Gleichungen nur als eines – von potentiell mehreren – geeigneten Analyseverfahren zur Bestimmung der Eigenschaft des Drehungskoeffizienten erwähnt (vgl. hierzu Kühnen, Handbuch der Patentverletzung, 15. Aufl., Kap. A, Rn. 61 mwN), bestehen nicht. Der Fachmann wird Absatz [0030] folglich so verstehen, dass erfindungsgemäß nur eine Ausführungsform sein kann, bei der der Drehungskoeffizient durch die dort aufgeführten Gleichungen widergegeben ist (vgl. OLG Düsseldorf, GRUR-RS 2019, 38979, Rn. 57 – Drehratensensor).
  79. II.
    Unter Zugrundelegung der vorstehenden Auslegung machen die angegriffenen Ausführungsformen von allen Merkmalen des Anspruchs 1 des Klagepatents in der streitgegenständlichen Fassung wortsinngemäß Gebrauch.
  80. Wie oben bereits ausgeführt, steht zwischen den Parteien allein die Verletzung der Merkmale 3 und 4 des Anspruchs 1 des Klagepatents (in der Fassung des Hilfsantrages) im Streit. Hinsichtlich der übrigen Merkmale ist die Verletzung des Klagepatentanspruchs zwischen den Parteien unstreitig.
  81. 1)
  82. Die angegriffenen Ausführungsformen verwirklichen das Merkmal 3 des Anspruchs 1 des Klagepatents.
  83. Nach der obigen Auslegung müssen sich die angegriffenen Ausführungsformen daran messen lassen, ob die Drehungskoeffizienten der Garne gemäß der in Absatz [0030] des Klagepatents genannten Definition bestimmbar sind.
  84. Die Klägerin hat jedenfalls durch den Vortrag in der Replik in ausreichend substantiierter Weise dargelegt, dass unter Verwendung dieser Definition bei sämtlichen angegriffenen Ausführungsformen das Verhältnis des ersten zum zweiten Drehungskoeffizienten >1,5 beträgt. Aus der Tabelle Bl. 112 GA bzw. auf Seite 4 des Prüfberichts vom 24. Januar 2022 (Anlage K 31) ergibt sich, welche Probe verwendet wurde, welche Ergebnisse die Messung der einzelnen Drehungskoeffizienten unter Verwendung der Gleichung gemäß der Definition des Klagepatents ergeben haben und schließlich das Ergebnis des Ins-Verhältnis-Setzens.
  85. Dem können die Beklagten nicht mit Erfolg entgegen halten, der Verletzungsvortrag sei unschlüssig, da die Klägerin in der Klageschrift die Verwirklichung des Merkmals 3 noch mittels des Prüfberichts vom 21. April 2021 (Anlage K 22) vorgetragen hat, in dem eine andere Gleichung verwendet wurde. Denn aus dem klägerischen Vortrag wird insgesamt deutlich, dass dem Verletzungsvortrag allein der neuere Prüfbericht gemäß Anlage K 31 und nicht mehr der ältere gemäß Anlage K 22 zu Grunde liegen soll. Dies hat der Prozessbevollmächtigte der Klägerin jedenfalls in der mündlichen Verhandlung klargestellt.
  86. Diesen substantiierten Verletzungsvortrag haben die Beklagten nicht in erheblicher Weise bestritten.
    Will der Beklagte in einem Patentverletzungsprozess geltend machen, die angegriffene Ausführungsform sei in ihren konstruktiven Einzelheiten oder ihrer Zusammensetzung unzutreffend beschrieben, darf er sich nicht darauf beschränken, den Sachvortrag des Klägers zur Ausgestaltung des vermeintlichen Verletzungsgegenstandes lediglich pauschal zu bestreiten. Er ist vielmehr gehalten, zu den einzelnen relevanten Behauptungen in den Schriftsätzen der Klägerseite Stellung zu nehmen und sich über die diesbezüglichen tatsächlichen Umstände vollständig und der Wahrheit gemäß zu erklären (§ 138 Abs. 1 ZPO). Dies bedeutet zwar nicht, dass der Beklagte von sich aus das Gericht und den Kläger über den wirklichen Verletzungstatbestand zu unterrichten hätte. Der Beklagte kann sich im Gegenteil auf das Bestreiten bestimmter vom Kläger behaupteter technischer Merkmale beschränken. Allerdings darf dieses Bestreiten nicht pauschal bleiben, sondern muss konkret und substantiiert sein. Kein erhebliches Bestreiten stellt es dar, wenn sich der Beklagte darauf beschränkt, am Sachvortrag des Klägers lediglich zu bemängeln, dessen Ausführungen zum Verletzungstatbestand seien unsubstantiiert. Seiner Darlegungslast kommt der Kläger zunächst dadurch nach, dass er die konkrete Behauptung aufstellt, die angegriffene Ausführungsform mache von jedem Merkmal des Klagepatentanspruchs Gebrauch. Irgendeines Nachweises hierzu bedarf es zunächst noch nicht. Die Notwendigkeit ergänzenden, weiter substantiierten Vortrages ergibt sich für den Kläger erst dann, wenn der Beklagte die Verwirklichung eines oder mehrerer Merkmale bestritten hat. Dem Beklagten obliegt es deshalb, sich – und zwar der Wahrheit gemäß (§ 138 Abs. 1 ZPO) – darüber zu erklären, ob und ggf. welches Anspruchsmerkmal von der angegriffenen Ausführungsform nicht verwirklicht werden soll. Dies kann zunächst zwar ebenfalls pauschal erfolgen und braucht nicht weiter substantiiert zu werden als die gegenteilige (pauschale) Behauptung des Klägers. Nur wenn der Beklagte sich im genannten Sinne konkret geäußert hat, ist der betreffende Sachvortrag streitig, so dass der Kläger jetzt seine Verletzungsbehauptung weiter ausführen muss (OLG Düsseldorf, Urteil vom 17. Dezember 2015 – I-2 U 54/04 –, Rn. 144, juris; vgl. auch OLG Düsseldorf, Urteil vom 5. Juli 2018 – I-2 U 41/17 –, juris).
  87. Diesen Anforderungen genügt der Beklagtenvortrag hinsichtlich des Merkmals 3 nicht. Die Beklagten beschränken sich vielmehr darauf, den Vortrag der Klägerin, die angegriffene Ausführungsformen wiesen alle ein Verhältnis der beiden Drehungskoeffizienten zueinander von mehr als 1,5 auf, was auch durch Vorlage einer entsprechenden Tabelle mit Messergebnissen substantiiert ist, als unsubstantiiert und unschlüssig zu bemängeln. Die Beklagten wären aber gehalten gewesen, sich darüber zu erklären, ob der klägerische Vortrag zutrifft – sprich ob die Verhältnisse der Drehungskoeffizienten bei den einzelnen angegriffenen Ausführungsformen die von der Klägerin behaupteten Werte aufweisen oder ob dies nicht der Fall ist, d.h. insbesondere ob die Werte tatsächlich niedriger als 1,5 liegen. Dies haben die Beklagten jedoch unterlassen. Unbehelflich ist es in diesem Zusammenhang auch, wenn die Beklagten pauschal die Unparteilichkeit des von der Klägerin eingesetzten Prüfinstituts, die Methodik des Testberichts, die Fachgerechtigkeit der Messung und die Richtigkeit der verwendeten Messwerte sowie weitere Tatsachen im Zusammenhang mit der Messung infrage stellen. Vielmehr hätte es ihnen oblegen, konkret aufzuzeigen, warum die verwendeten Messwerte oder das eingesetzte Messverfahren nicht zutreffend sind. Im Übrigen haben die Beklagten weder behauptet, dass mittels anderer Mess- oder Berechnungsmethoden im Hinblick auf die angegriffenen Ausführungsformen Ergebnisse zu den Drehungskoeffizienten bzw. deren Verhältnis zueinander ermittelt werden könnten, welche aus einer Verletzung des Klagepatents herausführen, noch haben sie entsprechende eigene Messergebnisse vorgelegt. Wie vorstehend dargelegt, braucht die Klägerin einen Beweis über die Richtigkeit des von ihr verwendeten Messverfahrens oder der von ihr behaupteten Werte erst dann zu erbringen, wenn die Beklagten ihren Vortrag zur Verwirklichung der Merkmale des Klagepatents erheblich bestritten haben. Hieran fehlt es bereits.
  88. Erst recht erweist sich das Bestreiten der Beklagten als rechtlich unerheblich, soweit sie „die Verwirklichung von Merkmal M3“ mit Nichtwissen bestreiten. Denn dieses Bestreiten mit Nichtwissen verstößt gegen § 138 Abs. 4 ZPO. Nach dieser Vorschrift ist ein Bestreiten mit Nichtwissen nur über Tatsachen zulässig, die nicht Gegenstand der eigenen Wahrnehmung der betreffenden Partei waren. Eigenen Handlungen und Wahrnehmungen der Partei sind in diesem Zusammenhang auch Vorgänge gleichgestellt, hinsichtlich derer sich die Partei in zumutbarer Weise die notwendigen Informationen verschaffen kann. Ein Bestreiten mit Nichtwissen ist hinsichtlich solcher Tatsachen erst zulässig, wenn die Partei ihrer insoweit bestehenden Pflicht zur Informationsverschaffung nachgekommen ist (BGH, GRUR 2010, 1107 – JOOP! (zum Markenrecht); BGH GRUR 2009, 1142 – MP3-Player-Import; siehe auch Zöller/Greger, ZPO, 34. Aufl., § 138, Rn. 16).
    In Anwendung dieser Grundsätze gilt für das Bestreiten der Beklagten mit Nichtwissen hier folgendes:
    Die Beklagte zu 1) ist unstreitig Herstellerin der angegriffenen Ausführungsformen. Mithin unterliegt es ihrer eigenen, unmittelbaren Wahrnehmung, ob diese die Merkmale 3 und 4 verwirklicht, sprich ob das Verhältnis der beiden Drehungskoeffizienten zueinander >1,5 ist und der zweite Drehungskoeffizient bei größer 1,8 und kleiner 3,5 liegt, wie die Klägerin dies behauptet. Die Beklagte zu 2) ist Muttergesellschaft und zu 94,86 % Gesellschafterin der Beklagten zu 1). Seit dem 26. September 2019 besteht zwischen den beiden Unternehmen zudem ein Beherrschungs- und Gewinnabführungsvertrag. Aufgrund dieser gesellschaftsrechtlichen Verhältnisse ist es der Beklagten zu 2) ohne weiteres möglich, sich bei ihrer Tochtergesellschaft, der Beklagten zu 1), über die Merkmale der angegriffenen Ausführungsform zu erkundigen und diese zur Erteilung der entsprechenden Informationen anzuhalten. Dass sie dieser Informationsbeschaffungspflicht bisher und ohne aussagekräftiges Ergebnis nachgekommen wäre, trägt die Beklagte zu 2) bereits nicht vor.
  89. 2)
    Die angegriffenen Ausführungsformen verwirklichen darüber hinaus das Merkmal 4 des Klagepatents in der Fassung des Hilfsantrages, wonach der zweite Drehungskoeffizient bei größer 1,8 und kleiner 3,5 liegt. Die entsprechenden Werte des zweiten Drehungskoeffizienten bei der angegriffenen Ausführungsform hat die Klägerin wiederum durch die Tabelle auf Seite 4 des Prüfberichts vom 24. Januar 2022 (Anlage K 31) in substantiierter Weise vorgetragen. Diese liegen sämtlich zwischen 1,8 und 3,5. Mit Schriftsatz vom 22. Juni 2022, in welchem die unmittelbare Verletzung des aktuellen Merkmals 4 geltend gemacht wird, hat die Klägerin diesen Vortrag wiederholt. Dem durch Vorlage dieser Tabelle substantiierten Vortrag der Klägerin zu den Drehungskoeffizienten bei den angegriffenen Ausführungsformen sind die Beklagten, wie soeben ausgeführt, nicht in erheblicher Weise entgegengetreten.
  90. III.
    Die Beklagten sind passivlegitimiert. Sie nehmen beide im Inland rechtswidrige Benutzungshandlungen im Sinne des § 9 S. 2 Nr. 1 PatG vor.
  91. Die Beklagte zu 1) verstößt gegen § 9 S. 2 Nr. 1 PatG, indem sie rechtswidrig die patentverletzenden angegriffenen Ausführungsformen in der Bundesrepublik Deutschland herstellt und anbietet. Sie bietet die angegriffenen Ausführungsformen über jedenfalls ihre eigene Webseite https://www.K.com/S zum Kauf an. Dem entsprechenden Vortrag der Klägerin in der Replik sind die Beklagten nicht mehr entgegen getreten. Ob und ggf. aufgrund welcher rechtlichen und/oder tatsächlichen Umstände sich die Beklagte zu 1) die Angebote der angegriffenen Ausführungsformen auf den Webseiten https://www.G.de/, https://www.H.de, https://www.I.de, https://www.J.de und https://www.F.de/ zurechnen lassen muss, kann damit dahin stehen.
  92. Auch die Beklagte zu 2) nimmt im Inland hinsichtlich der angegriffenen Ausführungsformen eine (eigene) Angebotshandlung im Sinne des § 9 S. 2 Nr. 1 PatG vor.
    Im Interesse des nach dem Gesetzeszweck gebotenen effektiven Rechtsschutzes für den Schutzrechtsinhaber ist der Begriff des Anbietens im wirtschaftlichen Sinne zu verstehen. Entscheidend ist, ob eine im Inland begangene Handlung nach ihrem objektiven Erklärungsgehalt einen schutzrechtsverletzenden Gegenstand der Nachfrage zur Verfügung stellt. Ebenso wenig wie das Anbieten im Sinne Patentgesetzes ein Angebot i.S. des § 145 BGB voraussetzt, ist es deshalb erforderlich, dass der Anbietende bevollmächtigt oder beauftragt ist, für den Abschluss von Geschäften über den schutzrechtsverletzenden Gegenstand mit Dritten zu werben. Der Begriff des „Anbietens” erfasst auch vorbereitende Handlungen, die das Zustandekommen eines späteren Geschäfts über einen unter Schutz stehenden Gegenstand ermöglichen oder fördern sollen, das die Benutzung dieses Gegenstands einschließt (BGH, GRUR 2006, 927 – Kunststoffbügel).
    Ein Mittel hierzu ist auch die bloße Bewerbung eines Produkts im Internet. Voraussetzung hierbei ist aber, dass das angebotene Erzeugnis verbal bzw. bildlich dargestellt wird. Bereits diese Maßnahme ist bestimmt und geeignet, Interesse an dem beworbenen Gegenstand zu wecken und diesen betreffende Geschäftsabschlüsse zu ermöglichen. Das Unterhalten einer entsprechenden Internetseite mit der Ausstattung von Links, die im Hinblick auf die Produkte des Konzerns auf die Seiten der Tochtergesellschaften verweisen, stellt eine unternehmensbezogene Information und zugleich Werbung dar (vgl. OLG Düsseldorf, Urteil vom 21. Dezember 2006 – I-2 U 58/05 – juris – Thermocycler).
    An diesen Grundsätzen gemessen liegt ein Anbieten der angegriffenen Ausführungsformen durch die Beklagte zu 2) vor. Diese werden über die der Webseite der Beklagten zu 2) in wahrnehmbarer Weise, etwa verbal und bildlich, dargestellt. Wie von der Klägerin unbestritten vorgetragen und durch ihren Prozessbevollmächtigten in der mündlichen Verhandlung nochmals demonstriert, unterhält die Beklagte zu 2) unter https://www.T.com/U eine Webseite, die unter einem sogenannten Reiter eine „V“ nennt, hinter der sich die Beklagte zu 1) verbirgt; deren Kontaktadresse wird am Ende des hinter dem Reiter erscheinenden Textes aufgeführt. Unter dem weiteren Reitern „Produkte & Lösungen“ wird dem Besucher der Webseite eine Auswahl verschiedener Produktkategorien angezeigt. Klickt man auf „Antriebssysteme“ und sodann auf „Antriebsriemen Automotive“, so gelangt man auf eine Maske, in der man eine Region der Welt auswählen muss. Klickt der Nutzer sodann auf die Region „EMEA & Russland“ und wählt die Sprache „Deutsch“ aus, so wird er auf die Webseite der Beklagten zu 1) (www.K.com/eu/de-de) weitergeleitet, auf der unter anderem die angegriffene Ausführungsform zum Kauf angeboten wird.
    Dieser Mechanismus stellt bereits eine eigene Angebotshandlung der Beklagten zu 2) dar. Zwar benötigt es das Betätigen mehrerer Links und die Eingabe einer bestimmten Region und Sprache, um die Seite der Beklagten zu 1) zum Angebot der angegriffenen Ausführungsformen zu gelangen. Allerdings stellen diese Zwischenschritte für den durchschnittlichen (Internet-)Nutzer keine relevante Barriere dar und es liegt nahe, dass er sie vornehmen wird, um zu einer bestimmten Produktkategorie zu gelangen. Dies gilt umso mehr, als sich der Internetauftritt der Beklagten zu 2) nicht primär an den Endverbraucher, sondern vielmehr an gewerbliche Abnehmer, wie etwa die Betreiber von Kfz-Werkstätten, richten dürfte. Solche gewerbliche Abnehmer werden auf der Suche nach bestimmten, für ihr Unternehmen benötigten Produkten gezielt – auch von der Webseite der Beklagten zu 2) ausgehend – suchen und ggf. mehrere Links anklicken. Hinzu kommt, dass – wie auf den von den Parteien vorgelegten Screenshots (zum Beispiel Anlage K 16) ersichtlich – es sich bei dem Design der Webseiten beider Beklagter um das einheitliche „Corporate Design“ der Muttergesellschaft des Konzerns, der B AG handelt. Trotz der Notwendigkeit, mehrere Links anzuklicken und eine Auswahl hinsichtlich Region und Sprache zu treffen, erscheinen auch hierüber die Internetauftritte der Beklagten zu 1) und der Beklagten zu 2) aus Sicht eines objektiven Betrachters als Einheit.
  93. IV.
    Aufgrund der festgestellten Patentverletzungen der Beklagten stehen der Klägerin die nachfolgenden Ansprüche zu:
  94. 1)
    Der Klägerin steht gegen die Beklagten aus Art. 64 EPÜ i.V.m. § 139 Abs. 1 PatG ein Unterlassungsanspruch in dem tenorierten Umfang zu. Für den Unterlassungsanspruch erforderliche Wiederholungsgefahr ergibt sich hier ohne weiteres aus dem Umstand, dass die Beklagten, wie dargestellt, bereits in der Vergangenheit im Inland rechtswidrige Verletzungshandlungen vorgenommen haben (vgl. BGH, GRUR 2003, 1031 – Kupplung für optische Geräte) und diese nicht durch geeignete Maßnahmen ausgeräumt haben.
  95. Dem können die Beklagten nicht mit Erfolg entgegenhalten, in der Vergangenheit nicht sämtliche, in § 9 S. 2 Nr. 1 PatG aufgeführten, widerrechtlichen Benutzungshandlungen (selbst) vorgenommen zu haben. Dies lässt eine Begehungsgefahr und damit eine Unterlassungsverpflichtung im Hinblick auf sämtliche in der Vorschrift genannten Benutzungshandlungen nicht entfallen. Gegenstand eines Unterlassungsanspruchs können auch Benutzungshandlungen sein, derer sich der Verletzer bisher noch nicht bedient hat. Insoweit ist zwischen Herstellungs- und reinen Vertriebsunternehmen zu unterscheiden.
    Ist es zu Herstellungshandlungen gekommen, besteht im Allgemeinen eine Begehungsgefahr auch für nachfolgende Angebots- und Vertriebshandlungen, weil die Herstellung eines Produktes typischerweise ihrem anschließenden Verkauf dient. Ein Hersteller ist daher regelmäßig wegen sämtlicher Benutzungshandlungen des § 9 Nr. 1 PatG zu verurteilen. Ist der Verletzer demgegenüber ein reines Handelsunternehmen, so schafft jede Angebotshandlung eine Begehungsgefahr für das Inverkehrbringen, Gebrauchen, Besitzen und Einführen. Grund hierfür ist, dass der Geschäftsbetrieb des jeweiligen Unternehmens auch auf diese Benutzungsarten ausgerichtet ist bzw. diese Benutzungsarten vom üblichen Geschäftsbetrieb eines solchen Unternehmens umfasst sind, so dass regelmäßig auch mit diesen zu rechnen ist. Darüber hinaus ist ohne anderweitige Anhaltspunkte, welche die Beklagten konkret einwenden müssen, nach der Lebenserfahrung regelmäßig die Annahme gerechtfertigt, dass es auch bereits zu anderweitigen Benutzungshandlungen (z.B. Inverkehrbringen) gekommen ist. Welche konkrete Benutzungsart vom Patentinhaber im Einzelfall aufgedeckt wird, hängt häufig vom Zufall ab. In einem solchen Fall bestehen daher regelmäßig keine Bedenken, die Verurteilung auf Unterlassung auf alle in § 9 PatG genannten Benutzungsarten (bei reinen Handelsunternehmen mit Ausnahme der Benutzungsvariante des Herstellens) zu beziehen, auch wenn eine Verletzungshandlung nur für eine dieser Benutzungsarten nachgewiesen wird (vgl. OLG Düsseldorf, GRUR-RS 2017, 109833 – Trocknungsanlage; GRUR-RS 2019, 10841 – Sprengreinigungsverfahren).
    Nach diesen Grundsätzen ist eine umfassende Verurteilung beider Beklagter zur Unterlassung angezeigt.
    Unstreitig hat die Beklagte zu 1) die angegriffenen Ausführungsformen in der Vergangenheit sowohl hergestellt als auch angeboten, was bereits für sich genommen eine Verurteilung zur Unterlassung aufgrund einer Begehungsgefahr wegen sämtlicher Benutzungshandlungen im Sinne des § 9 Nr. 1 PatG rechtfertigt. Sofern die Klägerin an der Behauptung der Verletzungshandlung des Einführens in der mündlichen Verhandlung nicht länger festgehalten hat, ist dies hierfür unerheblich. Die Beklagten haben demgegenüber nicht konkret eingewendet, dass sie in Zukunft diese Benutzungshandlung unter keinen Umständen aufnehmen werden. Ferner liegt auch eine Begehungsgefahr hinsichtlich des Gebrauchens vor.
    Hinsichtlich der Beklagten zu 2) lässt sich zwar derzeit nur ein Anbieten feststellen. Dies zieht jedoch im Falle der Beklagten zu 2) nach den obigen Maßstäben nicht nur die Begehungsgefahr für die hiermit üblicherweise in Verbindung stehenden Benutzungshandlungen wie das Inverkehrbringen, Gebrauchen, Besitzen und Einführen nach sich. Denn bei der Beklagten zu 2) handelt es sich nicht um ein reines Vertriebsunternehmen. Ausweislich des Handelsregisters ist Unternehmensgegenstand der Beklagten zu 2) „die Herstellung und der Vertrieb von technischen Artikeln aller Art aus natürlichem oder synthetischen Kautschuk, Kunststoff oder sonstigen Rohstoffen, die Übernahme von kaufmännischen und technischen Dienstleistungen aller Art sowie die Beteiligung an Unternehmen aller Art.“ Sie ist demnach selbst ein Herstellungsunternehmen und damit in der Lage, die angegriffenen Ausführungsformen entweder selbst oder durch mit ihr verbundene Unternehmen herstellen zu lassen.
  96. 2)
    Der mit dem Klageantrag zu I. 2. geltend gemachte Auskunftsanspruch über die Herkunft und die Vertriebswege der angegriffenen Ausführungsform ergibt sich gegen die Beklagten gemäß Art. 64 EPÜ i.V.m. § 140b Abs. 1 PatG unmittelbar aus dem Umstand, dass sie die klagepatentverletzende angegriffenen Ausführungsformen im Inland benutzt.
  97. 3)
    Der darüber hinaus mit dem Klageantrag I.3. verfolgte Anspruch auf Rechnungslegung ergibt sich aus §§ 242, 259 BGB. Die Klägerin befindet sich in unverschuldeter Unkenntnis über den Umfang der Benutzungs- und Verletzungshandlungen der Beklagten und kann sich diese Kenntnis auch nicht in zumutbarer Weise selbst verschaffen. Gleichzeitig bedarf sie dieser Informationen, um etwa ihren ebenfalls geltend gemachten Anspruch auf Schadenersatz beziffern.
  98. 4)
    Aus § 140a Abs. 1 S. 1 PatG steht der Klägerin ferner gegen die Beklagten zu 1) einen Anspruch auf Vernichtung der patentverletzenden Erzeugnisse der angegriffenen Ausführungsform zu. Die Beklagte zu 1) stellt die patentverletzenden Erzeugnisse in der Bundesrepublik her und bietet diese zum Kauf an, weshalb davon auszugehen ist, dass sie sich im inländischen Besitz und/oder Eigentum der patentverletzenden Erzeugnisse befindet.
  99. 5)
    Aufgrund der Klagepatentverletzungen durch die Beklagten steht der Klägerin aus § 140a Abs. 3 PatG darüber hinaus der mit dem Klageantrag I. 5. geltend gemachte Rückrufanspruch zu.
  100. 6)
    Schließlich hat die Klägerin gegen die Beklagten einen Anspruch auf Schadenersatz aus Art. 64 EPÜ i.V.m. § 139 Abs. 2 S. 1 PatG dem Grunde nach.
  101. Dieser Anspruch kann vorliegend im Wege der Feststellungsklage verfolgt werden. Insbesondere liegt das hierfür gemäß § 256 Abs. 1 ZPO erforderliche Feststellungsinteresse vor. Die Klägerin ist derzeit noch nicht in der Lage, die Höhe des Schadensersatzanspruches zu beziffern, da sie auf die noch zu erteilenden Auskünfte der Beklagten angewiesen ist. Deshalb kann ihr nicht zugemutet werden, den Anspruch im Wege der Leistungsklage verfolgen. Etwa zum Zwecke der Hemmung der Verjährung muss ihr daher eine Geltendmachung im Wege der Feststellungsklage zugebilligt werden.
  102. Der Schadensersatzanspruch ist auch materiell berechtigt. Die festgestellte, rechtswidrige Klagepatentverletzung erfolgte schuldhaft im Sinne des § 139 Abs. 2 S. 1 PatG. Bei den Beklagten handelt es sich um Fachunternehmen, die auf einem ähnlichen Geschäftsfeld wie die Klägerin tätig ist. Als solchem war es ihr ohne weiteres möglich und zumutbar, sich vor Vornahme von Benutzungshandlungen nach etwaigen entgegenstehenden Schutzrechten Dritter zu vergewissern und in der Folge die klagepatentverletzenden Benutzungshandlungen zu unterlassen.
  103. V.
    Die Verhandlung ist nach Ausübung des der Kammer insoweit zukommende Ermessens nicht nach § 148 ZPO in Bezug auf das Nichtigkeitsverfahren gegen das Klagepatent auszusetzen.
  104. 1.)
    Nach § 148 ZPO kann das Gericht bei der Vorgreiflichkeit eines anderen Verfahrens die Verhandlung eines Rechtsstreits aussetzen. Die Vorgreiflichkeit ist hier aufgrund der vorstehend angenommenen Verletzung des Schutzrechtes hinsichtlich der anhängigen Nichtigkeitsklage gegeben.
  105. Die Erhebung einer Nichtigkeitsklage stellt allerdings ohne Weiteres noch keinen Grund dar, den Verletzungsrechtsstreit auszusetzen. Denn die Patenterteilung ist auch für die (Verletzungs-) Gerichte bindend. Wegen der gesetzlichen Regelung, die für die Ansprüche nach §§ 139 ff. PatG lediglich ein in Kraft stehendes Patent verlangt und für die Beseitigung dieser Rechtsposition nur die in die ausschließliche Zuständigkeit des Patentgerichts fallende Nichtigkeitsklage oder den Einspruch vor dem jeweiligen Patentamt zur Verfügung stellt, kann der Angriff gegen das Klagepatent nicht als Einwand im Verletzungsverfahren geführt werden.
  106. Jedoch darf dies nicht dazu führen, dass diesem Angriff jede Auswirkung auf das Verletzungsverfahren versagt wird. Die Aussetzung des Verletzungsstreits im Rahmen der nach § 148 ZPO zu treffenden Ermessenentscheidung ist vielmehr grundsätzlich, aber auch nur dann geboten, wenn mit hinreichender Wahrscheinlichkeit zu erwarten ist, dass das Klagepatent der erhobenen Nichtigkeitsklage oder dem erhobenen Einspruch nicht standhalten wird (BGH, GRUR 2014, 1237, 1238 – Kurznachrichten; OLG Düsseldorf, Urteil vom 11.06.2015 – I-2 U 64/14).
  107. Wegen des vorstehend beschriebenen Regelungsgehaltes der §§ 139 ff. PatG bei der Frage, ob ein Rechtsstreit im Hinblick auf einen Einspruch oder ein Nichtigkeitsverfahren auszusetzen ist, sind nur diejenigen Einwände zu prüfen, die der Beklagte, der die Aussetzung begehrt, geltend macht. Mithin trägt der Beklagte die Darlegungs- und Beweislast für den mangelnden Rechtsbestand des Klagepatents.
    Vorliegend hat das Bundespatentgericht in seinem qualifizierten Hinweis vom 19. September 2022 (Anlage B 5) neben Ausführungen zur Neuheit und erfinderischen Tätigkeit im Lichte der E1 (JP H5-83XXD – „O“), E2 (US 6,689,XXE B2 – “P”), E3 (JP 2003/194XXF A – „Q.”) und E4 (US 4,083,XXG A – „R“) auch in Bezug auf den nunmehr geltend gemachten Hilfsantrag gemacht. Die vorläufige Auffassung des Rechtsbestandsgerichts ist zwar nicht bindend und sie nimmt die spätere Entscheidung selbstverständlich auch nicht vorweg. Andererseits ist davon auszugehen, dass der vorläufigen Auffassung bereits eine umfassende und sorgfältige Prüfung zugrunde liegt und das Bundespatentgericht in einem solchen Bescheid entsprechende Hinweise nicht leichtfertig erteilt (vgl. OLG Düsseldorf, Urt. v. 4.3.2021 – 2 U 25/20, GRUR-RS 2021, 4420 Rn. 23, m.w.N.).
  108. 2)
    Die Beklagten tragen aus der vor dem Bundespatentgericht anhängigen Nichtigkeitsklage folgende drei Druckschriften vor, in welchen der Anspruch 1 des Klagepatents neuheitsschädlich vorweggenommen sein soll: JP H5-83XXD („O“ = E1; vorgelegt als Anlage B2 / B2a; nachfolgend: E1), US 6,689,XXE B2 (“P” = E2; vorgelegt als Anlage B3 / B3a; nachfolgend: E2) und JP 2003/194XXF A („Q.” = E3; vorgelegt als Anlage B4 / B4a; nachfolgend: E3) sowie eine Druckschrift, im Hinblick auf welche das Klagepatent nicht erfinderisch sein soll: US 40,083,XXG („R“ – E4, vorgelegt in englischer Sprache durch die Klägerin als Anlage K32 – nachfolgend: E4) .
  109. Die Beurteilung, ob der Gegenstand eines Patents durch eine Vorveröffentlichung neuheitsschädlich getroffen ist, erfordert die Ermittlung des Gesamtinhalts der Vorveröffentlichung. Maßgeblich ist, welche technische Information dem Fachmann offenbart wird. Zu ermitteln ist deshalb nicht, in welcher Form der Fachmann etwa mit Hilfe seines Fachwissens eine gegebene allgemeine Lehre ausführen kann oder wie er diese Lehre gegebenenfalls abwandeln kann, sondern ausschließlich, was der Fachmann der Vorveröffentlichung als den Inhalt der gegebenen (allgemeinen) Lehre entnimmt. Der Fachmann muss die technische Lehre des Patents der Vorveröffentlichung unmittelbar und eindeutig entnehmen können. Über den „reinen Wortlaut” ist dabei mitoffenbart, was in den Merkmalen des Patentanspruchs und im Wortlaut der Beschreibung nicht ausdrücklich erwähnt, aus der Sicht des Fachmanns jedoch nach seinem allgemeinen Fachwissen für die Ausführung der unter Schutz gestellten Lehre selbstverständlich oder unerlässlich ist und deshalb keiner besonderen Offenbarung bedarf (BGH, GRUR 2009, 382 – Olanzapin).
  110. Eine Erfindung gilt darüber hinaus als auf einer erfinderischen Tätigkeit beruhend, wenn sie sich für den Fachmann nicht in naheliegender Weise aus dem Stand der Technik ergibt. Es ist deshalb zu fragen, ob ein über durchschnittliche Kenntnisse und Fähigkeiten verfügender Fachmann, wie er auf dem technischen Gebiet der Erfindung in einschlägig tätigen Unternehmen am Prioritätstag typischerweise mit Entwicklungsaufgaben betraut wurde und dem unterstellt wird, dass ihm der gesamte am Prioritätstag öffentlich zugängliche Stand der Technik bei seiner Entwicklungsarbeit zur Verfügung stand, in der Lage gewesen wäre, den Gegenstand der Erfindung aufzufinden, ohne eine das durchschnittliche Wissen und Können einschließlich etwaiger Routineversuche übersteigende Leistung erbringen zu müssen (vgl. BGH, GRUR 2012, 378, 379 – Installiereinrichtung II). Um das Begehen eines von den bisher beschrittenen Wegen abweichenden Lösungsweg nicht nur als möglich, sondern dem Fachmann nahegelegt anzusehen, bedarf es daher – abgesehen von denjenigen Fällen, in denen für den Fachmann auf der Hand liegt, was zu tun ist – in der Regel zusätzlicher, über die Erkennbarkeit des technischen Problems hinausreichender Anstöße, Anregungen, Hinweise oder sonstiger Anlässe dafür, die Lösung des technischen Problems auf dem Weg der Erfindung zu suchen (BGH, GRUR 2009, 746, 748 – Betrieb einer Sicherheitseinrichtung; BGH, GRUR 2012, 378, 379 – Installiereinrichtung II).
  111. An diesen Grundsätzen gemessen ist nicht mit hinreichender Wahrscheinlichkeit zu erwarten, dass Bundespatentgericht das Klagepatent – jedenfalls in der Fassung des im hiesigen Verletzungsverfahren nunmehr als Hauptantrag gestellten Hilfsantrags aus dem Nichtigkeitsverfahren – im Hinblick auf die Entgegenhaltungen E1, E2, E3 und E4 vernichten wird.
  112. a)
    Die Entgegenhaltung E1 nimmt das Klagepatent in der Fassung des Hilfsantrages nicht neuheitsschädlich vorweg; auch beruht das Klagepatent in dieser Fassung gegenüber der E1 auf einer erfinderischen Tätigkeit.
  113. aa)
    Die Entgegenhaltung E1 offenbart jedenfalls nicht das Merkmal 4 unmittelbar und eindeutig, weil die Schrift lediglich zeigt, dass der zweite Drehungskoeffizient mindestens 3,5 beträgt. So offenbart der Anspruch 1 in der E1 die Grenze des zweiten Drehungskoeffizienten bei 3,5 und nicht – wie das Merkmal 4 – kleiner als 3,5 (vgl. BPatG, Anlage B 5, S. 28.).
  114. bb)
    Ferner wird dem Fachmann ein zweiter Drallfaktor, der das Merkmal 4 erfüllt, nicht durch die E1 nahegelegt. Vielmehr lehrt die Druckschrift von einem solchen Drehungskoeffizienten weg, indem sie unten auf Seite 99 offenbart, dass der sekundären Verdrehungsfaktor/Drallfaktor mindestens 3,5 betragen müsse, um Schäden an einem Riemen zu vermeiden. Somit hat der Fachmann ausgehend von der E1 keinen Anlass, einen Endlosriemen mit einem Kord zu konstruieren, bei welchem der zweite Drehungskoeffizient < 3,5 ist, wie es das Merkmal 4 des Anspruchs 1 in der Fassung des streitgegenständlichen Antrags zeigt.
    Zu diesem Ergebnis gelangt auch das Bundespatentgericht (Anlage B 5, Seite 28 f.), wenn es ausführt, dass die Bereiche der Merkmale 3 und 4 der hiesigen Merkmalsgliederung in dem auf Seite 29 des Hinweises dargestellten Diagramm 6 ohne Überschneidung nebeneinanderliegen und – wie ausgeführt – der Wert von 3,5 für den zweiten Drehungskoeffizienten die Grenze markiert.
    Der Ansicht der Beklagten, dass das Bundespatentgericht in Kenntnis des Urteils der Patentprüfungs- und Markenkammer des Patent- und Markenamtes der Vereinigten Staaten vom 29. Juli 2022 (Anlagen B7 / B 8) von dieser Ansicht abweichen wird, vermag die Kammer nicht beizutreten. Die subjektiven Äußerungen des Erfinders, welche im US-Verfahren offenbar Berücksichtigung fanden, kommen im Rechtsbestandsverfahren vor dem Bundespatentgericht mitnichten die gleiche Relevanz zu. Abgesehen davon ist im Kontext der E 1 ebenfalls nicht ersichtlich, dass ein zweiter Drehungskoeffizient von 1,8 keine Schäden durch Zahnradversatz hervorrufen würde (vgl. E1, S. 99 unten).
  115. b)
    Das Klagepatent ist neu und erfinderisch gegenüber der Entgegenhaltung E2 (US 6,689,XXE B2 – “P”, Anlage B3 / B3a).
  116. aa)
    Mangels Offenbarung des Merkmals 3 des Klagepatentanspruchs ist dieser neu.
    Ein Verhältnis des ersten Drehungskoeffizienten zum zweiten Drehungskoeffizienten von größer 1,5 kann der E2 an keiner Stelle unmittelbar und eindeutig entnommen werden.
    Der Drehungskoeffizient ist im Klagepatent in Absatz [0030] dahingehend definiert, dass er das Verhältnis der Umdrehungen pro Meter oder Umdrehungen pro Inch zur Quadratwurzel der Garnnummer beschreibt. Die Garnnummer wiederum stellt danach das Verhältnis von 5905 zum dtex der Fäden oder das Verhältnis von 5315 zum Denier der Fäden in Gramm pro 9000 m dar. Insofern kann der Fachmann zwar Spalte 6, Zeile 47 f. ([0059]) der E2 die Anzahl der Umdrehungen pro Meter entnehmen, indem er die für die „Enddrehung“ und „Primärdrehung“ angegebenen Werte auf das Maß von 1 m hochrechnet (es ergeben sich dann 100 bis 23 pro 1 m für die Enddrehung und 170 bis 380 für die Primärdrehung). Zum dtex oder Denier der Garne ist jedoch in der E2 nichts ausgesagt, weshalb dem Fachmann der wesentliche Wert zur Berechnung der Garnnummer, die ihrerseits für den Drehungskoeffizienten benötigt wird, fehlt. Soweit die Druckschrift an der genannten Stelle Ausführungen zu einem Gesamtdenier von weniger als 4000 oder mehr als 8000 macht, hilft dies dem Fachmann für die Berechnung nicht weiter, da er nach wie vor die Denier der einzelnen Garne nicht kennt (so auch BPatG, Anlage B 5, S. 20). In dem Ausführungsbeispiel in Spalte 13, Z. 10 ff (Absatz [0086]) sind beide Drehungskoeffizienten hingegen gleich groß (vgl. BPatG, Anlage B 5, S. 19).
  117. bb)
    Entgegen der Auffassung der Beklagten kann der Fachmann den fehlenden Wert vorliegend nicht in naheliegender Wiese durch die Offenbarung des zuletzt genannten Beispiels in Spalte 13, Zeile 10 ff. ([0086]) in Kombination mit dem zuerst genannten Ausführungsbeispiel der E2 ermitteln.
    Dass im Rahmen der E2 die beiden Drehungskoeffizienten zueinander in ein Verhältnis zu setzen wären und dieses Verhältnis darüber hinaus den klagepatentgemäßen Wert, nämlich 1,5, übertrifft, lässt sich der Druckschrift an keiner Stelle entnehmen.
    Auch wenn der Anlass der Kombination beider Abschnitte bereits fraglich ist, dürfte der Fachmann auch bei dieser Kombination nicht das erfindungsgemäße Verhältnis im Sinne des Merkmals 3 erhalten(vgl. BPatG, Anlage B5, S. 20 ff.).
  118. c)
    Darüber hinaus ist das Klagepatent gegenüber der Entgegenhaltung E3 (=JP 2003-194XXF A, „Q“ – Anlage B4/B4a) sowohl neu, als auch erfinderisch.
    Auch in dieser Druckschrift wird bereits das Merkmal 3 des Klagepatents nicht im Sinne der eingangs zitierten Rechtsprechung unmittelbar und eindeutig offenbart. Das erfindungsgemäße Verhältnis wird auch nicht nahe gelegt. Sofern eine Kombination der in den Absätzen [0023], [0033] angegebenen Werte bzw. Vergleich der Bereiche überhaupt vom Fachmann in Betracht gezogen werden sollte, hat das Bundespatentgericht nachvollziehbar und überzeugend dargelegt, dass der Fachmann auch nach verschiedenen Berechnungen nicht das erfindungsgemäße Verhältnis des ersten und zweiten Drehungskoeffizienten ermittelt (vgl. BPatG, Anlage B 5, S. 22 ff.). Sofern die Beklagten in der mündlichen Verhandlung vorgetragen haben, dass es ausweislich des US-Verfahrens auch möglich sei, die Tabellen anders zu werten, setzen sie damit lediglich ihre Ansicht an die im qualifizierten Hinweis geäußerte Ansicht des Bundespatentgerichts.
  119. d)
    Gegen eine Aussetzung des Rechtsstreits im Hinblick auf die Entgegenhaltung E4 spricht bereits, dass die Beklagte diese gar nicht und die Klägerin sie lediglich in englischer Sprache, mithin keine Partei deutsche Übersetzungen der englisch-sprachigen Entgegenhaltung vorgelegt hat (vgl. LG Düsseldorf, Urteil vom 04.07.2013 – 4b O 13/12 – Rn. 70 bei Juris; OLG Düsseldorf, Urteil vom 12. Juni 2014 – I-2 U 58/13 – Rn. 38 bei Juris; vgl. auch OLG Düsseldorf, Urteil vom 29. April 2010 – I-2 U 126/09 –, Rn. 48 bei Juris – Harnkatheterset). Den Parteien ist in der prozessleitenden Verfügung vom 07. Juni 2021 (Bl. 34 ff GA) aufgegeben worden, von fremdsprachigen Unterlagen mit demselben Schriftsatz eine deutsche Übersetzung einzureichen. Dieser Auflage ist die – für die Frage der Aussetzung darlegungspflichtige – Beklagte nicht nachgekommen.
  120. In der Fassung des hier streitgegenständlichen Anspruchs ist das Klagepatent darüber hinaus auch nach Ansicht des Bundespatentgerichts sowohl neu als auch erfinderisch gegenüber der E4.
  121. aa)
    Die E4 offenbart einen Endlosriemen zur Kraftübertragung („endless power transmission belt“, Spalte 1, Zeile 15), der in seinem lasttragenden Bereich einen lasttragenden Kord („load-carrying cord“, Spalte 1, Zeile 16 f.) aufweist, der seinerseits in einem elastomeren Kissen („elastomeric cushion“, Spalte 3, Zeile 29 f.) eingebettet ist, was den Merkmalen 1., 1.1. und 2. des Anspruchs 1 des Klagepatents entspricht. In Spalte 1, Zeile 34 f. ist weiter beschrieben, dass der Kord aus miteinander verdrehten Garnen besteht („cord made of yams twisted“), wozu es in einem Ausführungsbeispiel in Spalte 2 Zeilen 67 f. bis Spalte 3, Zeile 4 heißt, dass zwei Garne des Kords in eine Richtung und die so gefertigten Lagen sodann in eine zweite, entgegengesetzte Richtung miteinander verdreht werden („The exemplary cord of the belt is made of a plurality of two twisted yams twisted in one direction as indicated by the arrow in FIG. 3 to define a twisted ply. A plurality of three plies thus defined are twisted in an opposite direction as indicated by the arrow to define the cord.“). Die Verdrehung erfolgt anhand eines Drehungskoeffizienten („twist factor“), der durch die Gleichung TM = t x d½ x K beschrieben wird. Hierbei entspricht TM dem Drehungskoeffizienten, t der Drehung des Kord in Umdrehungen per Inch, d dem Denier des Kords und K einer Konstante für das jeweils verwendete Material (Spalte 2, Zeilen 40 bis 48). Für die jeweiligen Drehungskoeffizienten sieht die E4 in Spalte 2, Zeile 50 f. Werte von 4 bis 8 vor. Ein bestimmtes Verhältnis der beiden Drehungskoeffizienten zueinander – entsprechend dem Merkmal 3 des Anspruchs 1 des Klagepatents – offenbart die E4 jedoch nicht eindeutig und unmittelbar. Es ist an keiner Stelle gezeigt, dass die Drehungskoeffizienten der beiden Drehungen überhaupt in ein bestimmtes Verhältnis zu setzen wären. Ferner wird ein zweiter Drehungskoeffizient größer als 1,8 und kleiner als 3,5 nicht gezeigt.
  122. bb)
    Das Merkmal 4 des Anspruchs 1 wird dort nicht unmittelbar und eindeutig offenbart sowie auch nicht nahegelegt für den Fachmann.
    Wie soeben erwähnt, lehrt die E4 in Spalte 2, Zeilen 50 f. einen Drehungskoeffizienten für beide Drehungen aus dem Bereich von 4 bis 8. Damit liegt der zweite Drehungskoeffizient außerhalb des vom Merkmal 4 vorgegebenen Bereiches von größer 1,8 und kleiner 3,5. Hiervon ausgehend hat der Fachmann, dem die E4 den Wertebereich von 4 bis 8 als vorzugswürdig präsentiert („it has been found that belts having a load-carrying cord twisted in terms of a twist multiplier within the range of 4 – 8 provide improved performance over previous belts“.), keine Veranlassung, die Erfindung dahin weiterzuentwickeln, dass der zweite Drehungskoeffizient außerhalb dieses Bereiches, namentlich bei größer 1,8 und kleiner 3,5 liegt.
    Auch nach dem Hinweis des Bundespatentgerichts, steht die E4 dem Klagepatentanspruch 1 in der streitgegenständlichen Fassung nicht mehr entgegen. Denn die E4 lehre in Spalte 2, Zeilen 49 bis 52 einen zweiten Drehungskoeffizienten von 4 bis 8. Dies entspreche nicht dem Merkmal M5 (Merkmal 4 nach der hiesigen Merkmalsgliederung), wonach der zweite Drehungskoeffizient größer 1,8 und kleiner 3,5 sein müsse und lege dies auch nicht nahe (S. 28 des Hinweises, Anlage B5).
  123. VI.
    Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 92 Abs. 2 Nr. 1, 269 Abs. 3 S. 2, 100 Abs. 1 ZPO.
    Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt in der Hauptsache aus § 709 S. 1 ZPO, hinsichtlich der Kosten aus § 709 S. 2 ZPO, jeweils in Verbindung mit § 108 ZPO.
  124. Der Streitwert wird auf 1.500.000,00 EUR festgesetzt.

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