4c O 66/19 – Stuhlführungsvorrichtung

Düsseldorfer Entscheidungen Nr. 3274

Landgericht Düsseldorf

Urteil vom 24. November 2022, Az. 4c O 66/19

  1. 1. Die Klage wird abgewiesen.
    2. Die Kosten des Rechtsstreits werden der Klägerin auferlegt.
    3. Das Urteil ist wegen der Kosten gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 120 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages vorläufig vollstreckbar.
    4. Der Streitwert wird auf EUR 500.000,00 festgesetzt.
  2. Tatbestand
  3. Die Klägerin macht als ausschließliche Lizenznehmerin gegenüber den Beklagten Ansprüche auf Unterlassung und Rechnungslegung sowie mit Blick auf die Beklagte zu 1) Feststellung der Schadensersatzverpflichtung dem Grunde nach und Ersatz von Abmahnkosten wegen Verletzung des deutschen Gebrauchsmusters DE 20 2013 XXX XXX U1 (Anlage K 1; im Folgenden: Klagegebrauchsmuster) geltend, das als Abzweigung aus der europäischen Patentanmeldung EP 2 XXX XXX A1 (Anmeldenummer: 13 XXX XXX.3, Anlage K 2; nachfolgend: Anmeldung Stammpatent) unter Inanspruchnahme zweier innerer Prioritäten vom 18. Juli 2012 (DE 20 2012 XXX XXX.4) und 4. Juli 2013 (DE 20 2013 XXX XXX.5) am 16. Juli 2013 angemeldet wurde. Die Eintragung des Klagegebrauchsmusters erfolgte am 27. Mai 2015 und der Hinweis auf die Eintragung wurde am 2. Juli 2015 bekanntgemacht. Das Klagegebrauchsmuster steht in Kraft.
  4. Auf den mit Schriftsatz der Beklagten zu 1) vom 11. Mai 2020 (Anlage KE 9) gegen das Klagegebrauchsmuster zum Deutschen Patent- und Markenamt (DPMA) erhobenen Löschungsantrag hat die Gebrauchsmusterabteilung des DPMA den Löschungsantrag auf die mündliche Verhandlung vom 31. Januar 2002 durch Beschluss vom gleichen Tage (Az. 20 2013 XXX XXX.8) rechtskräftig zurückgewiesen. Wegen des Inhalts des Protokolls der Verhandlung sowie des Beschlusses wird Bezug genommen auf das Anlagenkonvolut zum Schriftsatz der Klägerin vom 29. März 2022.
  5. Das Klagegebrauchsmuster betrifft eine Vorrichtung zur Abstützung und zur beweglichen Führung eines Stuhles. Der Anspruch 1 des Klagegebrauchsmusters lautet:
  6. „1. Vorrichtung (1) zur Abstützung und zur beweglichen Führung eines Stuhles in einer in einem Gehäuse (2) vorgesehenen, als Langlochführung (3) ausgebildeten Führungskulisse (3) mit einem in der Führungskulisse (3) verfahrbaren, eine Stuhlaufnahme (5) des Stuhles abstützenden Laufwagen (4), wobei der Laufwagen (4) einen Führungsschlitten (4.1) aufweist und entlang einer innerhalb der Langlochführung (3) angeordneten Führungsschiene (9) bewegbar ist, dadurch gekennzeichnet, dass das Gehäuse (2, 22) eine durch einen Deckhohlprofilteil (24) gebildete Abdeckung aufweist, wobei in dem Deckhohlprofilteil (24) zwei mit Abstand zueinander angeordnete Verfahrnuten (25, 26) ausgebildet sind, die von einem Teil (27) einer Stuhlaufnahme (28) durchgriffen werden, so dass die Stuhlaufnahme (28) mitsamt dem montierten Stuhl entlang der Länge der Verfahrnut (25) verfahren werden oder gleiten kann.“
  7. Die nachstehend verkleinert wiedergegebenen Figuren sind dem Klagegebrauchsmuster entnommen und erläutern dessen technische Lehre anhand bevorzugter Ausführungsbeispiele:
  8. Figur 1 zeigt in einer teilweise aufgeschnittenen Seitendarstellung ein Ausführungsbeispiel einer Vorrichtung nach der Lehre des Klagegebrauchsmusters, wobei Figur 2 eine teilweise aufgeschnittene Draufsicht auf das Ausführungsbeispiel nach Figur 1 enthält. Die Figuren 4 und 5 zeigen jeweils in einer perspektivischen Darstellung ebenfalls ein Ausführungsbeispiel einer erfindungsgemäßen Vorrichtung, wobei in Figur 5 das Deckhohlprofilteil (Abdeckplatte) fehlt. Die Figur 6 enthält eine Draufsicht auf dieses Ausführungsbeispiel. Die Figur 8 zeigt schließlich eine Vorderansicht auf das Ausführungsbeispiel nach Figur 4.
  9. Die Parteien sind Wettbewerber auf dem Markt für Stuhlführungen, wobei die Klägerin im Jahr 2002 von ehemaligen Mitarbeitern der Beklagten zu 1) gegründet wurde. Stuhlführungen werden unter anderem in Sitzungssälen in öffentlichen Gebäuden eingebaut, um die Position des Stuhles zu einem fest eingebauten Tisch variieren zu können, bei Nichtbesetzung des Stuhles aber ein (automatisches) Verfahren in eine tischnahe Ruheposition zu ermöglichen.
  10. Zum Produktangebot der Beklagten zu 1) gehören Stuhlführungen, die über zwei mit Abstand zueinander angeordnete Verfahrnuten verfügen, die von einem Teil der Stuhlaufnahme derart durchgriffen werden, dass die Stuhlaufnahme mit dem Stuhl entlang der Länge der parallel angeordneten Verfahrnuten bewegbar ist. Eine entsprechende Stuhlführung ist auch in der über den Internetauftritt der Beklagten zu 1) abrufbaren Produktbroschüre „XXX“ gezeigt (vgl. Anlage K 14). Die Beklagten bewerben die vorgenannte Stuhlführung (im Folgenden: angegriffene Ausführungsform) auf den Seiten 4 und 11 wie folgt:
  11. Soweit die Beklagten mit Blick auf ihre „Erfolgsschiene“ Bezug nehmen auf eine „patentierte Stuhlführung“, so ist damit ihr deutsches Patent DE 10 2013 XXX XXX B3 (vgl. Anlage K 8; nachfolgend: DE‘XXX oder Beklagtenpatent) gemeint, das am 5. September 2013 angemeldet und dessen Erteilung am 18. September 2014 bekanntgemacht wurde. Gegen die Erteilung des Beklagtenpatents hatte die Klägerin Einspruch eingelegt, da sie es vor dem Hintergrund der prioritätsälteren Anmeldung ihres Stammpatents als nicht patentfähig erachtet hatte. Durch Beschluss der Einspruchsabteilung des DPMA vom 7. Februar 2017 wurde das Beklagtenpatent aufrechterhalten. Wegen der weiteren Einzelheiten der Entscheidung wird auf die Anlage KE 4 Bezug genommen. Die gegen diese Entscheidung zum Bundespatentgericht seitens der Klägerin als Einsprechende eingelegte Beschwerde ist durch Beschluss des BPatG vom 23. September 2020 (Az. 11 W(Pat) 12/17) zurückgewiesen worden. Wegen des Inhalts dieses Beschlusses wird Bezug genommen auf die Anlage zum Schriftsatz der Beklagten vom 11. Dezember 2020 (Bl. 117ff. d.A.).
  12. Mit Schreiben vom 18. Juni 2019 (Anlage K 9) mahnte die Klägerin die Beklagten unter Aufforderung zur Abgabe einer strafbewehrten Unterlassungs- und Verpflichtungserklärung ab. Die Beklagten reagierten mit Schreiben vom 28. Juni 2018 (Anlage K 10) und wiesen die Ansprüche zurück, wobei sie zugleich auf ihr eigenes Patent DE‘XXX verwiesen.
  13. Die Klägerin behauptet mit Blick auf die Aktivlegitimation, dass sie von der Schutzrechtsinhaberin, der A GmbH, eine – nicht schriftlich fixierte – ausschließliche Lizenz erhalten habe. Die A verfüge über keinen eigenen operativen Betrieb und habe bislang auch nur der Klägerin Lizenzen erteilt. Entsprechendes ließe sich den als Anlage K 11 und K 13 zur Akte gereichten Bestätigungen der Geschäftsführer der Klagegebrauchsmusterinhaberin entnehmen.
  14. Die angegriffenen Ausführungsformen würden von der technischen Lehre des Klagegebrauchsmusters wortsinngemäß Gebrauch machen.
  15. Soweit sowohl die Einspruchsabteilung in ihrer Entscheidung über den Einspruch der Klägerin gegen das Beklagtenpatent als auch die Gebrauchsmusterabteilung des DPMA zwischen einer Ein- und einer Zweischienenführung unterschieden hätten, sei dies auf den vorliegenden Fall nicht übertragbar, jedenfalls aber nicht haltbar. Das Klagegebrauchsmuster würde durch die Bezugnahme auf den Stand der Technik in den Absätzen [0003] und [0004] und die selbst gestellte Aufgabe, diese Vorrichtungen weiterzuentwickeln, hinreichend deutlich machen, dass auch Vorrichtungen mit mehr als einer Führungsschiene unter Schutz gestellt werden sollen. Insoweit handele es sich bei dem Begriff „einer“ Führungsschiene um einen unbestimmten Artikel. Die Beklagten könnten sich mit Blick auf den Verletzungsvorwurf auch nicht nur auf ein pauschales Bestreiten beziehen, insbesondere müssten sie sich im Zuge der sekundären Darlegungslast dazu erklären, inwieweit die angegriffene Ausführungsform von ihrem eigenen Patent Gebrauch mache bzw. in welchen Punkten diese sich vermeintlich unterscheide.
  16. Der Beklagte zu 2) könne sich auch nicht mit Verweis auf sein Alter und die Durchführung einer Patentrecherche exkulpieren. Zum einen fehle es am Vortrag zur Durchführung und dem Ergebnis der Recherche und zum anderen würde eine Neuheitsrecherche vor einer Patentanmeldung keine Freedom-to-Operate-Recherche ersetzen. Die Schutzrechte seien dem Beklagten zu 2) auch bereits durch das (Einspruchs-)Verfahren bekannt gewesen.
  17. Die Klägerin beantragt,
  18. 1. die Beklagten zu 1) und 2) zu verurteilen,
  19. 1.1. es bei Meidung eines für jeden Fall der Zuwiderhandlung festzusetzenden Ordnungsgeldes bis zu 250.000,- EUR, ersatzweise Ordnungshaft bis zu sechs Monaten, oder Ordnungshaft bis zu sechs Monaten, im Wiederholungsfall bis insgesamt zu zwei Jahren, zu unterlassen,
  20. eine Vorrichtung zur Abstützung und zur beweglichen Führung eines Stuhles in einer in einem Gehäuse vorgesehenen, als Langlochführung ausgebildeten Führungskulisse mit einem in der Führungskulisse verfahrbaren, eine Stuhlaufnahme des Stuhles abstützenden Laufwagen, wobei der Laufwagen einen Führungsschlitten aufweist und entlang einer innerhalb der Langlochführung angeordneten Führungsschiene bewegbar ist,
  21. herzustellen, anzubieten, in den Verkehr zu bringen und/oder zu gebrauchen, bei der
  22. das Gehäuse eine durch einen Deckhohlprofilteil gebildete Abdeckung aufweist, wobei in dem Deckhohlprofilteil zwei mit Abstand zueinander angeordnete Verfahrnuten ausgebildet sind, die von einem Teil einer Stuhlaufnahme durchgriffen werden, so dass die Stuhlaufnahme mit-samt dem montierten Stuhl entlang der Länge der Verfahrnut verfahren werden oder gleiten kann;
  23. 1.2. der Klägerin Rechnung zu legen, in welchem Umfang die Beklagten die zu der Ziffer 1.1. bezeichneten Handlungen seit dem 27. Juni 2015 begangen haben, und zwar unter Angabe
  24. a. der Herstellungsmengen und Herstellungszeiten,
  25. b. der einzelnen Lieferungen, aufgeschlüsselt nach Liefermengen, Lieferzeiten, Lieferpreisen und Kundenbezeichnungen sowie den Namen und Anschriften der gewerblichen Abnehmer,
  26. c. der einzelnen Angebote, aufgeschlüsselt nach Angebotsmengen, Angebotszeiten, Angebotspreisen und Typenbezeichnungen sowie den Namen und Anschriften der Angebotsempfänger,
  27. d. der betriebenen Werbung, aufgeschlüsselt nach Werbeträgern, deren Auflagehöhen, Verbreitungszeitraum und Verbreitungsgebiet,
  28. e. der nach den einzelnen Kostenfaktoren aufgeschlüsselten Gestehungskosten und des erzielten Gewinns, der nicht durch Abzug von Fixkosten und variablen Gemeinkosten gemindert ist, es sei denn, diese können ausnahmsweise den in dem Klageantrag zu Ziffer 1.1. genannten Gegenständen unmittelbar zugeordnet werden;
  29. wobei den Beklagten vorbehalten bleibt, die Namen und Anschriften der nichtgewerblichen Abnehmer und der Angebotsempfänger statt der Klägerin einem von der Klägerin zu bezeichnende, ihr gegenüber zur Verschwiegenheit verpflichteten, in der Bundesrepublik Deutschland ansässigen, vereidigten Wirtschaftsprüfer mitzuteilen, sofern die Beklagten dessen Kosten tragen und ihn ermächtigen und verpflichten, der Klägerin auf konkrete Anfrage mitzuteilen, ob ein bestimmter Antragsgegner oder Angebotsempfänger in der Aufstellung enthalten ist;
  30. 2. die Beklagte zu 1) zu verurteilen, an sie einen Betrag von 2.108,45 € zu zahlen;
  31. 3. festzustellen, dass die Beklagte zu 1) verpflichtet ist, der Klägerin allen Schaden zu ersetzen, der dieser durch die zu der Ziffer 1.1. bezeichneten Handlungen entstanden ist.
  32. Die Beklagten beantragen,
    die Klage abzuweisen.
  33. Die Beklagten rügen die Bestimmtheit der Klageanträge. Sie rügen ferner die Aktivlegitimation der Klägerin, da der Vortrag der Klägerin zu einer vermeintlichen ausschließlichen Lizenz nur auf Behauptungen beruhe und somit unsubstantiiert sei.
  34. Die Beklagten meinen, die angegriffene Ausführungsform mache von der technischen Lehre des Klagegebrauchsmusters keinen Gebrauch. Für das Klagegebrauchsmuster sei es entscheidend, dass die Führung des Stuhles über eine einzelne Führungsschiene erfolge. Insoweit sei die Angabe „einer … Führungsschiene“ im Anspruchswortlaut als Zahlangabe und nicht als unbestimmter Artikel zu verstehen. Das entsprechende Verständnis sei insbesondere auch von mehreren, technisch fachkundig besetzten Spruchkörpern sowohl mit Blick auf den Rechtsbestand des Klagegebrauchsmusters wie auch im Rahmen der Rechtsbestandsbestätigung des Beklagtenpatents angenommen worden.
  35. Sie behaupten, dass die angegriffene Ausführungsform – was der Klägerin und ihren Gesellschaftern auch bekannt sei – wie jede Stuhlführung der Beklagten zu 1) über zwei Führungsschienen verfüge. Demgegenüber bewerbe die Klägerin ihre Produkte mit dem Vorteil einer Einschienenführung. Der Vortrag der Klägerin zur Verletzung sei im Übrigen unsubstantiiert, da der streitgegenständlichen Produktbroschüre der innere Aufbau der angegriffenen Stuhlführung nicht entnommen werden könne. Insoweit sie auch der Verweis auf das Beklagtenpatent untauglich, da dieses zum einen eine Zweischienenführung offenbare und zum anderen nur pauschal behauptet worden sei, dass die angegriffene Ausführungsform im Inneren so ausgestaltet sei, wie es das Klagegebrauchsmuster vorgebe.
  36. Selbst wenn man davon ausgehen wolle, das Beklagtenpatent zeige den inneren Aufbau der angegriffenen Ausführungsform, so fehle es dennoch an einer Verletzung. Denn bei der Ein- bzw. Zweischienenführung handele es sich um eigenständige, technisch nebeneinander stehende Lösungsansätze mit jeweils eigenen Vor- und Nachteilen. Dies hätten auch bereits die Einspruchsabteilung sowie der Beschwerdesenat des BPatG im Rahmen ihrer Entscheidung über den Einspruch der Klägerin gegen das Beklagtenpatent festgestellt. Dem Beklagtenpatent ließe sich indes kein Hinweis auf eine Führungsschiene entnehmen, die zwei Linearführungen ausbilde. Vielmehr sehe das Beklagtenpatent zwei u-förmige Führungsschienen vor. Unabhängig davon würden die Beklagten auch kein Deckhohlprofil, sondern nur ein (Abdeck-)Blech verwenden.
  37. Mit Blick auf die geltend gemachten Abmahnkosten bestreiten die Beklagten deren Höhe sowie die tatsächliche Zahlung durch die Klägerin mit Nichtwissen.
  38. Sie meinen zudem, dass eine Haftung des Beklagten zu 2) nicht in Betracht komme. Insoweit behaupten sie, dass sich der Beklagte zu 2) auf Grund seines Lebensalters von 70 Jahren zunehmend aus dem Geschäftsbetrieb zurückziehe. Auch habe er alle ihm aus der Rechtsprechung zur Geschäftsführerhaftung folgenden Obliegenheiten und Pflichten erfüllt, insbesondere habe er auf Grund der Ausführungen der Einspruchsabteilung zum Beklagtenpatent davon ausgehen dürfen, dass sich die Ein- und Zweischienenlösungen maßgeblich voneinander unterscheiden. Zudem habe er bei Anmeldung des Beklagtenpatentes eine umfangreiche Schutzrechterecherche durchführen lassen.
  39. Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird darüber hinaus auf die zwischen den Parteien gewechselten Schriftsätze sowie auf die zu den Akten gereichten Unterlagen ergänzend Bezug genommen.
  40. Entscheidungsgründe
  41. Die Klage ist zulässig, hat in der Sache jedoch keinen Erfolg.
  42. I.
    Die Klage ist zulässig, insbesondere sind die Klageanträge hinreichend bestimmt im Sinne von § 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO.
  43. Nach der gefestigten Rechtsprechung der Düsseldorfer Patentkammern ist es statthaft, aber auch ausreichend, wenn der – eine wortsinngemäße Verletzung seines Schutzrechtes geltend machende – Kläger seinen auf Unterlassung gerichteten Klageantrag auf Grundlage des Wortlauts des verletzten Schutzrechtes formuliert (vgl. Kühnen, Hdb. der Patentverletzung, 14. Auflage 2022, Kapitel D., Rn. 535 m.w.N.). Zwar hat der BGH in seiner Entscheidung „Blasfolienherstellung“ (vgl. GRUR 2005, 569ff.) ausgeführt, dass wenn und soweit die Benutzung eines Anspruchsmerkmals streitig ist, der Klageantrag (und die Urteilsgründe) über den Anspruchswortlaut hinaus an die zur Entscheidung gestellte Verletzungsform anzupassen sind, indem konkret diejenigen konstruktiven oder räumlich-körperlichen Mittel bezeichnet werden, mit denen bei der angegriffenen Ausführungsform das bzw. die streitige(n) Anspruchsmerkmal(e) verwirklicht werden. Entsprechende Modifikationen sind jedoch abzulehnen, da die Orientierung am Anspruchswortlaut hinreichende Gewähr dafür bietet, dass der Urteilstenor nur diejenigen Details enthält, die für die geschützte Lehre von Bedeutung sind. Insoweit wird zugleich verhindert, dass Gestaltungsmerkmale Eingang in den Urteilstenor finden, die außerhalb der Erfindung stehen und deswegen den Verbotstenor ungerechtfertigt einschränken würden (vgl. Kühnen, a.a.O.). Etwaige Unklarheiten im Rahmen einer ggf. erforderlichen Zwangsvollstreckung lassen sich dadurch vermeiden, dass der dem Anspruchswortlaut folgende (Unterlassungs-)Tenor anhand der Urteilsgründe ausgelegt wird, so dass der Titel nicht auch auf solche Ausführungsformen erstreckt wird, die nicht im Kern des gerichtlichen Verbots liegen.
  44. Vorliegend orientiert sich die von der Klägerin mit der Replik vorgelegte Formulierung ihres Unterlassungsantrags am Wortlaut des Klagegebrauchsmusters und ist damit nicht zu beanstanden.
  45. II.
    Die Klage ist unbegründet, da die angegriffene Ausführungsform nicht von allen Merkmalen des geltend gemachten Vorrichtungsanspruchs 1 Gebrauch macht und der Klägerin daher die geltend gemachten Ansprüche auf Unterlassung, Auskunft und Rechnungslegung sowie Ersatz von Abmahnkosten und Schadensersatzfeststellung nicht zustehen.
  46. 1.
    An der Aktivlegitimation der Klägerin bestehen keine Bedenken.
  47. Inhaberin des Klagegebrauchsmusters ist unstreitig die A GmbH, deren Gesellschafter zugleich Gesellschafter-Geschäftsführer der Klägerin sind. Klageberechtigt ist – nach der insoweit vorherrschenden Meinung in Rechtsprechung und Literatur – neben dem Schutzrechtsinhaber grundsätzlich jedenfalls auch der ausschließliche Lizenznehmer (statt vieler: Grabinski/Zülch in Benkard, Kommentar zum PatG, 11. Auflage 2015, § 139 PatG, Rz. 17 m.w.N.).
  48. Auf Vorhalt der Beklagten, die bloße Behauptung einer bestehenden ausschließlichen Lizenz zu Gunsten der Klägerin stelle keinen substantiierten Vortrag dar, hat die Klägerin mit der Re- und zuletzt auch mit ihrer Triplik umfangreich zu den Umständen der von ihr behaupteten Lizenzvergabe vorgetragen und insoweit vorgebracht, dass ein schriftlicher Lizenzvertrag zwar nicht existiere, der einzige (gesellschafts-)Zweck der A GmbH es aber sei, Schutzrechte (für die Klägerin) zu halten. Dementsprechend sei es in der Vergangenheit auch zu keinen Lizenzierungen der A GmbH an Dritte gekommen und das operative Tagesgeschäft, hier Herstellung und Vertrieb der geschützten Stuhlführungen, sei einzig durch die Klägerin erfolgt. Dieser Vortrag wurde seitens der Klägerin zudem mit den beiden vor ihr als Anlagen K 11 und K 13 zur Akte gereichten Bestätigungen der Gesellschafter der A GmbH unterlegt.
  49. Vor dem Hintergrund der engen gesellschaftlichen und personellen Verflechtungen der Klägerin mit der A GmbH vermochte die Kammer den Vortrag der Klägerin ohne weiteres nachzuvollziehen. Soweit die Beklagten in ihrer Quadruplik das Bestehen einer ausschließlichen Lizenz (erneut) in Abrede stellen, so haben sie keine Umstände aufzuzeigen vermocht, die den schlüssigen Vortrag der Klägerin widerlegen oder jedenfalls hinreichend in Zweifel ziehen können. Zwar mag der Abschluss eines schriftlichen Lizenzvertrages aus Sicht eines Dritten in der Regel zweckmäßig sein und damit nahegelegen haben, indes besteht mit Blick auf einen Lizenzvertrag nach allgemeinen zivilrechtlichen Regeln weder ein Schriftformerfordernis, noch gibt es Anhaltspunkte dafür, dass die Unterzeichner der beiden Erklärungen der Anlagen K 11 und K 13 wissentlich oder unwissentlich die Unwahrheit bekundet haben.
  50. 2.
    Das Klagegebrauchsmuster betrifft eine Vorrichtung zur Abstützung und zur beweglichen Führung eines Stuhles.
  51. Zu dem Hintergrund der Erfindung führt das Klagegebrauchsmuster einleitend in dem Absatz [0002] aus, dass Vorrichtungen zur Abstützung und zur beweglichen Führung eines Stuhles der vom Klagegebrauchsmuster betroffenen Art beispielsweise in Sitzungssälen von öffentlichen Gebäuden benutzt werden, in denen die Vorrichtungen häufig in den Saalboden eingelassen sind, um es zu ermöglichen, dass die Stuhlposition zu einem fest montierten Tisch verändert werden kann. Dabei soll sichergestellt werden, dass bei Nichtbesetzung des Stuhles der Stuhl über eine schräge Ebene automatisch in eine Ruheposition verfährt, in der die Sitzfläche weitestgehend unterhalb des fest montierten Tisches gelegen ist. Somit sind geordnete Stuhlpositionen automatisch einzunehmen, um hinter den Rückenlehnen der Stühle ausreichende Durchgänge bereit zu stellen.
  52. Unter Bezugnahme auf die DE 203 XXX XXX U1 (nachfolgend nur: DE‘XXX) beschreibt das Klagegebrauchsmuster in Absatz [0003] eine Stuhlführung als vorbekannt, bei der als Führungskulisse eine Langlochführung in dem Gehäuse vorgesehen ist und als Stuhlaufnahme eine Stuhlaufnahmehülse dient, deren unteres Ende sich nach unten verjüngend und konisch ausgebildet ist und in einer entsprechend ausgeführten Öffnung des Laufwagens formschlüssig eingesetzt ist. Dabei ist – so das Klagegebrauchsmuster in Absatz [0004] – in der gebauten Version dieser Stuhlführung als Führungsschiene eine Zweischienenführung vorgesehen, die sich jeweils in den beiden Außenseitenkantenbereichen der Langlochführung erstreckt und die über eine Vielzahl von Schrauben als Verbindungselemente zu befestigen ist. Als nachteilig an dieser Lösung beschreibt es das Klagegebrauchsmuster, dass auf Grund unterschiedlicher Anzugsmomente dieser Schrauben, die sich bei der Montage einer derartigen Stuhlführung nicht vermeiden lassen, aufwändige Nachjustierarbeiten erforderlich sind. Zudem ist es bei dieser Zweischienenausführung schwierig, eine Abdeckung vorzusehen.
  53. Vor dem Hintergrund dieses Standes der Technik formuliert das Klagegebrauchsmuster in Absatz [0005] als (technische) Aufgabe, eine Vorrichtung zur Abstützung und zur beweglichen Führung eines Stuhles der eingangs genannten Art derart zu verbessern, dass diese mit einem verringerten Aufwand funktionstauglich zu montieren und auch zu bewegen ist. Zudem sollen die Voraussetzungen für die Abdeckung einer Langlochführung geschaffen werden, die funktionstauglich und einfach zu montieren ist.
  54. Zur Lösung dieser Aufgabe schlägt das Klagegebrauchsmuster in Anspruch 1 eine Vorrichtung mit folgenden Merkmalen vor:
  55. 1. Vorrichtung zur Abstützung und zur beweglichen Führung eines Stuhles in einer Führungskulisse;
    1.1. die Führungskulisse ist in einem Gehäuse vorgesehen,
    1.2. die Führungskulisse ist als Langlaufführung ausgebildet;
    2. mit einem in der Führungskulisse verfahrbaren, eine Stuhlaufnahme des Stuhles abstützenden Laufwagen,
    3. der Laufwagen weist einen Führungsschlitten auf und ist entlang einer innerhalb der Langlaufführung angeordneten Führungsschiene bewegbar;
    4. das Gehäuse weist eine durch eine Deckhohlprofilteil gebildete Abdeckung auf;
    5. in dem Deckhohlprofilteil sind zwei mit Abstand zueinander angeordnete Verfahrnuten ausgebildet,
    6. die Verfahrnuten werden von einem Teil einer Stuhlaufnahme durchgriffen,
    6.1. so dass die Stuhlaufnahme mitsamt dem montierten Stuhl entlang der Länge der Verfahrnuten verfahren werden oder gleiten kann.
  56. 3.
    Zwischen den Parteien steht – zu Recht – nur die Verwirklichung der Merkmale 3. und 4. in Streit, wobei es vorliegend jedenfalls an der Verwirklichung des Merkmals 3 durch die angegriffene Ausführungsform fehlt.
  57. 3.1.
    Die Kammer vermochte nicht festzustellen, dass die angegriffene Ausführungsform Gebrauch von Merkmal 3. macht, gemäß dem der Laufwagen einen Führungsschlitten aufweist und entlang einer innerhalb der Langlaufführung angeordneten Führungsschiene bewegbar ist.
  58. 3.1.1.
    Gemäß Merkmal 1. des Anspruchs 1 wird vom Klagegebrauchsmuster eine Vorrichtung zur Abstützung und zur beweglichen Führung eines Stuhles in einer Führungskulisse beansprucht, die von den nachfolgenden Merkmalen 1.1. bis 6.1. näher beschrieben wird. Danach ist die Führungskulisse in einem Gehäuse vorgesehen (Merkmal 1.1.) und sie ist als Langlochführung ausgebildet (Merkmal 1.2.). Bestandteil der Vorrichtung ist nach Merkmal 2. zudem ein in der Führungskulisse verfahrbarer, eine Stuhlaufnahme des Stuhles abstützender Laufwagen, der gemäß Merkmal 3. einen Führungsschlitten aufweist und entlang einer innerhalb der Langlochführung angeordneten Führungsschiene bewegbar ist. Nach dem kennzeichnenden Teil des Anspruchs 1 weist das Gehäuse zudem eine durch ein Deckhohlprofilteil gebildete Abdeckung auf (Merkmal 4.), wobei in dem Deckhohlprofilteil zwei mit Abstand zueinander angeordnete Verfahrnuten ausgebildet sind. Die Verfahrnuten werden schließlich nach Merkmal 6. von einem Teil einer Stuhlaufnahme durchgriffen, so dass die Stuhlaufnahme mitsamt dem montierten Stuhl entlang der Länge der Verfahrnuten verfahren werden oder gleiten kann (Merkmal 6.1.).
  59. Danach setzt das Klagegebrauchsmuster eine als Langlochführung ausgebildete Führungskulisse voraus, in deren Inneren sich ein beweglicher Laufwagen befindet, der die Stuhlaufnahme für den zu tragenden Stuhl abstützt. Der Laufwagen selbst soll einen Führungsschlitten aufweisen und entlang einer ebenfalls innerhalb der Langlochführung angeordneten Führungsschiene bewegbar sein.
  60. Der Streit der Parteien geht vorliegend mit Blick auf dieses Merkmal um die Frage, ob die Vorgabe der Bewegbarkeit entlang einer Führungsschiene als räumlich-körperliche Vorgabe zu verstehen ist, nach der es tatsächlich auf das Vorhandensein einer einzelnen Führungsschiene ankommt, oder ob der Fachmann den Begriff „einer“ nicht als Zahlwort sondern als unbestimmten Artikel versteht mit der Folge, dass die Lehre des Klagegebrauchsmusters nicht auf die Verwendung einer einzelnen Führungsschiene begrenzt ist, so dass es ggf. auch mehr als eine Führungsschiene, insbesondere zwei Führungsschienen, geben kann.
  61. Der Fachmann versteht die Vorgabe von „einer Führungsschiene“ im erstgenannten Sinn, d.h. er erkennt, dass das Klagegebrauchsmuster ihm eine konkrete Vorgabe dahingehend macht, dass im Inneren der Führungskulisse nur eine einzige Führungsschiene vorhanden sein soll.
  62. Dies ergibt sich allerdings zunächst nicht, jedenfalls nicht allein, aus dem Wortlaut des Anspruchs. Denn das Wort „einer“ kann – wie zuvor bereits ausgeführt – sowohl im Sinne einer Zahlvorgabe wie „1“ Führungsschiene als auch als unbestimmter Artikel verstanden werden. Im letzteren Fall eines unbestimmten Artikels würde die Anzahl der erlaubten Führungsschienen nicht festgelegt werden, vielmehr entnimmt der Fachmann der Verwendung eines unbestimmte Artikels in dem Anspruch nur die Vorgabe, dass es mindestens einer Führungsschiene bedarf.
  63. Das vorgenannte Verständnis einer zahlenmäßigen Begrenzung ergibt sich für den Fachmann aber unter Berücksichtigung des übrigen Inhalts der Klagegebrauchsmusterschrift. Nach § 12a S. 1 GebrMG wird der Schutzbereich eines Gebrauchsmusters durch die Schutzansprüche bestimmt, wobei auch die Beschreibung und die Zeichnungen heranzuziehen sind (§ 12a S. 2 GebrMG). Der Schutzbereich eines Gebrauchsmusters wird dabei nach den gleichen Grundsätzen wie der eines Patents bestimmt (vgl. Scharen in Benkard, Kommentar zum Patentgesetz, 11. Auflage, § 12a GebrMG, Rn. 3; Braitmayer in Bühring, Kommentar zum Gebrauchsmustergesetz, 8. Auflage, § 12a, Rn. 2 jeweils m.w.N.). Insoweit ist bei der für die Bestimmung des Schutzbereichs gebotenen Auslegung des Anspruchs nicht die sprachliche oder logisch-wissenschaftliche Bedeutung der im Anspruch verwendeten Begriffe maßgeblich, sondern deren technischer Sinn, der unter Berücksichtigung von Aufgabe und Lösung, wie sie sich objektiv für den von dem Gebrauchsmuster angesprochenen Fachmann aus dem Gebrauchsmuster ergeben, ermittelt wird (vgl. Braitmayer/Bühring, a.a.O., § 12a, Rn. 9; BGH, GRUR 2004, 845ff. – Drehzahlermittlung; GRUR 1XXX, 422, 424 – Streckwalze). Zu berücksichtigen sind in diesem Zusammenhang der Sinngehalt des Anspruchs in seiner Gesamtheit und der Beitrag, den die einzelnen Merkmale zum Leistungsergebnis der geschützten Erfindung beitragen (BGH, GRUR 2007, 410, 413 – Kettenradanordnung). Unerheblich ist grundsätzlich, ob sich aus anderen, außerhalb des zulässigen Auslegungsmaterials liegenden Unterlagen ein anderes Verständnis von einem in der Gebrauchsmusterschrift verwendeten Begriff ergibt, solange sich nicht in der Gebrauchsmusterschrift Anhaltspunkte dafür finden lassen, dass ein solches Verständnis auch im Zusammenhang mit der geschützten Lehre zugrundezulegen ist. Denn das Gebrauchsmuster stellt gleichsam sein eigenes Lexikon dar (BGH, GRUR 2002, 515ff. – Schneidmesser I; GRUR 1999, 909ff. – Spannschraube). Die Gebrauchsmusterschrift ist insoweit in einem sinnvollen Zusammenhang zu lesen und der Anspruch im Zweifel so zu verstehen, dass sich keine Widersprüche zu den Ausführungen in der Beschreibung und den bildlichen Darstellungen in den Zeichnungen ergeben, sondern sie als aufeinander bezogene Teile der dem Fachmann mit dem Gebrauchsmuster zur Verfügung gestellten technischen Lehre als ein sinnvolles Ganzes verstanden werden (Braitmayer/Bühring, a.a.O., § 12a, Rn. 40ff.; BGH, GRUR 2009, 653, 654 – Straßenbaumaschine; OLG Düsseldorf, Mitt. 1998, 179 – Mehrpoliger Steckverbinder). Dabei erlaubt ein Ausführungsbeispiel regelmäßig keine einschränkende Auslegung eines die Erfindung allgemein kennzeichnenden Anspruchs (BGH, GRUR 2004, 1023, 1024f. – bodenseitige Vereinzelungseinrichtung).
  64. Die allgemeine Beschreibung des Klagegebrauchsmusters beschäftigt sich in den Absätzen [0006] bis [0011] durchgängig mit dem eigentlichen Kern der Erfindung, der in der durch ein Deckhohlprofilteil gebildeten Abdeckung der Führungskulisse des Stuhls liegt. Gleichwohl heißt es in Absatz [0009] (Hervorhebung hinzugefügt):
  65. „Bevorzugt ist eine Vorrichtung zur Abstützung und zur beweglichen Führung eines Stuhles vorgesehen, bei der zunächst das Gehäuse nicht aus dem Vollen, d. h. aus einem Vollmaterial herzustellen ist, um einen inneren Hohlraum zur Aufnahme der Führungsschiene geschaffen zu haben, sondern bei dem das Gehäuse zunächst aus einem per Laserzuschnitt hergestellten Blechprofil gehäuseseitig herzustellen ist. […]“
  66. Der Fachmann kann dieser Beschreibungsstelle entnehmen, dass das Klagegebrauchsmuster hier im Singular von „der“ Führungsschiene spricht. Dass dieser Absatz für sich allein genommen nicht geeignet ist, die Lehre des Anspruchs 1 auf eine einzelne Führungsschiene einzuschränken, ergibt sich für den Fachmann indes bereits durch das einleitende Wort „Bevorzugt“. Der Fachmann erkennt dadurch, dass das Klagegebrauchsmuster im Folgenden eine Vorrichtung beschreibt, die unter seine technische Lehre fallen soll, dabei aber auch andere Ausgestaltungen nicht ausschließen will.
  67. Auch mit Blick auf die Ausführungsbeispiele findet der Fachmann zunächst keinen eindeutigen Hinwies darauf, dass die Lehre des Klagegebrauchsmusters auf eine einzelne Führungsschiene begrenzt ist. Zwar ist keiner der Figuren 1 bis 8 ein Ausführungsbeispiel mit mehr als einer Führungsschiene zu entnehmen. Vielmehr zeigen die nachfolgend wiedergegebenen Figuren 2 und 6 jeweils nur eine einzelne Führungsschiene:
  68. In Figur 2 ist die einzelne Führungsschiene mit der Bezugsziffer 9 und in Figur 6 mit der Bezugsziffer 210 dargestellt. Es entspricht jedoch den zuvor dargestellten und allgemein anerkannten Auslegungsgrundsätzen, dass Ausführungsbeispiele die Lehre des jeweiligen Schutzrechtes nicht abschließend einschränken können, sondern dem Fachmann nur einen Hinweis auf das technische Verständnis geben. Insoweit wird der Fachmann den Hauptanspruch eines Schutzrechtes – wenn nicht konkrete Anhaltspunkte für ein gegenteiliges Verständnis vorliegen – regelmäßig so auslegen, dass sämtliche Ausführungsbeispiele vom Anspruch umfasst sind. Umgekehrt wird er ein oder mehrere Merkmale eines Anspruchs aber nicht deswegen einschränkend auslegen, nur weil sämtliche Ausführungsbeispiele nur eine bestimmte Ausgestaltung, hier die Einschienenführung, zeigen.
  69. Etwas anderes, d.h. die Beschränkung des Schutzumfangs auf eine einzelne Führungsschiene, ergibt sich für den Fachmann vorliegend aber unter Berücksichtigung des nachstehend wiedergegebenen Absatzes [0022] (Hervorhebungen hinzugefügt):
  70. „Vom grundsätzlichen Aufbau her soll die dargestellte Vorrichtung zur Abstützung und beweglichen Führung eines Stuhles so gestaltet sein, wie sie in der DE-Gebrauchsmusterschrift 203 XXX XXX U1 und DE-Gebrauchsmusterschrift 20 2011 XXX XXX.0 beschrieben sind. Danach ist allgemein mit 1 die Vorrichtung zur Abstützung und zur beweglichen Führung eines Stuhles in einem Gehäuse 2 beziffert. Dieses Gehäuse 2 hat eine Langlochführung 3, in der ein Laufwagen 4 als Teil eines Führungsschlittens 4.1 bewegbar geführt ist. An dem Laufwagen 4 ist eine Stuhlaufnahme 5 vorgesehen, die über eine Kontermutter 6 an dem Laufwagen 4 einfach und schnell zu befestigen ist. Die Stuhlaufnahme 4 ist mit Befestigungsschrauben 7 versehen, an der zwei Schlittenkörper 8 demontierbar zu befestigen sind. Diese beiden Schlittenkörper 8 sind einer als Einschienenführung ausgebildeten Führungsschiene 9 zugeordnet, die einer zentral innerhalb der Langlochführung 3 bzw. Führungskulisse zentral angeordneten Einschienenführung 9 zugeordnet, die einen erhabenen Bereich 10 aufweist. Zu beiden Seiten dieses erhabenen Bereiches 10 erstrecken sich Laufflächen 11, an denen die Schlittenkörper 8 entlang gleiten. Diese Laufflächen bieten ideale Voraussetzungen dafür, auch eine Bremsvorrichtung vorzusehen, wie sie vom Grundsätzlichen her in dem deutschen Gebrauchsmuster 20 2011 XXX XXX.0 beschrieben ist. Auf den Offenbarungsgehalt dieser Gebrauchsmusterschrift wird hiermit ausdrücklich verwiesen und zum Gegenstand der vorliegenden Beschreibung und damit zum Offenbarungsgehalt der vorliegenden Anmeldung gemacht.“
  71. Das Klagegebrauchsmuster macht hier zunächst grundsätzliche Ausführungen zum Aufbau einer erfindungsgemäßen Stuhlführung, wobei es insoweit – in Kongruenz mit den Ausführungsbeispielen – von einer als Einschienenführung ausgebildeten Führungsschiene spricht, mithin von einer grundsätzlichen Ausgestaltung, die nur eine einzelne Führungsschiene umfasst.
  72. Unterstützung in diesem Verständnis erfährt der Fachmann dann noch durch die Bezugnahme auf die aus der DE‘XXX vorbekannte Vorrichtung, welche gemäß dem vorstehenden Absatz als Vorlage/Grundlage für eine erfindungsgemäße Vorrichtung dient. Die DE‘XXX offenbart – wie das Klagegebrauchsmuster in Absatz [0004] im Rahmen der Darstellung des Standes der Technik beschreibt – eine als Zweischienenführung ausgestaltete Führungskulisse, mithin eine Vorrichtung, die über mehr als eine Führungsschiene verfügt. Entgegen der Auffassung der Klägerin führt die allgemeine Bezugnahme auf die DE‘XXX in Absatz [0022] jedoch nicht dazu, dass das Klagegebrauchsmuster grundsätzlich auch solche Vorrichtungen als anspruchsgemäß erachten will, die über mehr als eine einzelne Führungsschiene verfügen. Vielmehr kann der Fachmann dem Absatz [0004] weiter entnehmen, dass das Klagegebrauchsmuster an der DE‘XXX und der dort gezeigten Zweischienenführung mehrere Nachteile identifiziert hat, die durch die erfindungsgemäße Lösung überwunden werden sollen. Neben dem Nachteil, dass es bei einer Zweischienenführung schwierig sein kann, eine Abdeckung vorzusehen, bemängelt das Klagegebrauchsmuster an der Zweischienenführung noch, dass die Montage erschwert wird, da unterschiedliche Anzugsmomente der Schrauben beachtet werden müssten und es erheblicher Nachjustierarbeiten bedürfe. Wie der Fachmann dem nachfolgenden Absatz [0005] sodann entnehmen kann, stellt sich das Klagegebrauchsmuster explizit die Aufgaben, sowohl eine funktionstaugliche Abdeckung bereitzustellen, als auch („Zudem“) einen verringerten Montageaufwand der Führungskulisse zu ermöglichen. Mit anderen Worten geht es dem Klagegebrauchsmuster nicht nur um das Bereitstellen einer Abdeckung, sondern auch um die Vermeidung des aus der Zweischienenführung unmittelbar resultierenden Montageaufwandes. Insoweit erkennt der Fachmann unter Berücksichtigung des Absatzes [0022] dann auch, dass der letztgenannte Nachteil gerade durch das Vorsehen einer einzelnen Führungsschiene (mit weniger Schrauben) gelöst werden soll, mithin das Klagegebrauchsmuster von der Zweischienenführung Abstand nehmen will.
  73. Dass das Wort „eine“ im Wortlaut des Merkmals 3 als Zahlwort und nicht als unbestimmter Artikel zu verstehen ist, ergibt sich außerdem aus den Ausführungen der verschiedenen technisch fachkundig besetzten Stellen, die sich mit dem Rechtsbestand des Klagegebrauchsmusters bzw. des Beklagtenpatents beschäftigt haben. Diese Ausführungen zum technischen Verständnis sind zwar für das Verletzungsgericht – worauf die Klägerin zu Recht hingewiesen hat – nicht bindend, können indes regelmäßig als fachkundige Stellungnahme zum Verständnis des Fachmanns berücksichtigt werden.
  74. So hat die Gebrauchsmusterabteilung des DPMA in ihrem den Löschungsantrag der Beklagten zu 1) zurückweisenden Beschluss vom 31. Januar 2022 unter Ziffer 3.1. unter anderem zum Offenbarungsgehalt des Klagegebrauchsmusters ausgeführt, dass „die innerhalb der als Langlochführung ausgebildeten Führungskulisse des Gehäuses angeordnete Führungsschiene (9) (bzw. 210) auch im Streitgebrauchsmuster lediglich als eine Führungsschiene bzw. Einschienenführung zu verstehen“ sei. Das DPMA begründet dies damit, dass etwas anderes als eine einzelne Führungsschiene bzw. Einschienenführung, insbesondere eine Zweischienenführung, einzig von den Absätzen [0003] und [0004] mit Blick auf die DE‘XXX offenbart und diese Art der Schienenführung dort explizit als nachteilig beschrieben sei.
  75. Entsprechendes folgt aus den von den Parteien in Bezug genommenen Entscheidungen der Einspruchsabteilung und des technischen Beschwerdesenats des BPatG, die zwar beide mit Blick auf ein anderes Schutzrecht, das Beklagtenpatent, ergangen sind, in denen die jeweiligen Fach-Instanzen jedoch auch Ausführungen zum Verständnis des Fachmanns von der Lehre des Klagegebrauchsmusters bzw. der inhaltsgleichen europäischen Patentanmeldung der Klägerin (EP 2 XXX XXX A1) getätigt haben, da diese als Entgegenhaltung Gegenstand des Einspruchsverfahrens war. Sowohl die Einspruchsabteilung als auch der Beschwerdesenat des BPatG führen zum Verständnis des Fachmanns von der Entgegenhaltung EP‘XXX im ersten Absatz der letzten Seite (vgl. Anlage K 4) bzw. in Ziffer 5 auf Seite 8f. (vgl. Bl. 124f d.A.) aus, dass die EP‘XXX nur eine Einschienenführung umfasst bzw. offenbart, die die Nachteile der aus der DE‘XXX vorbekannten Zweischienenführung überwinden soll. Insoweit bleibt festzustellen, dass mehrere, technisch-fachkundige besetzte Instanzen ein übereinstimmendes Verständnis des Offenbarungsgehalts von Merkmal 3 vertreten.
  76. Ein weiteres Indiz für das vorstehend beschriebene eingeschränkte Verständnis des Fachmanns von Merkmal 3 bildet das Erteilungsverfahren des zum Klagegebrauchsmuster parallelen EP‘XXX, welches die gleichen Prioritäten wie das Klagegebrauchsmuster in Anspruch nimmt. Im Rahmen des Erteilungsverfahrens sah sich die Anmelderin – insoweit unstreitig – dazu veranlasst, das Merkmal der Einschienenführung explizit in den Hauptanspruch aufzunehmen, was ebenfalls dafür spricht, dass die generelle Lehre der beiden Schutzrechte und der Prioritätsdokumente auf eine einzelne Führungsschiene beschränkt ist.
  77. Schließlich lassen sich – anders als die Klägerin meint – auch der Systematik des Klagegebrauchsmusters keine Anhaltspunkte dafür entnehmen, dass der Begriff „einer“ als unbestimmter Artikel zu verstehen ist. Der Klägerin ist insoweit zuzugeben, dass in dem abhängigen Unteranspruch 11, der insbesondere auch auf den hier streitgegenständlichen Hauptanspruch 1 Bezug nimmt, davon die Rede ist, dass „die Führungsschiene (9) als zentral in der Langlochführung (3) ausgebildete Einschienenführung ausgebildet ist, der den Längsseitenaußenkanten (3.1) der Langlochführung (3) benachbarte Schlittenkörper (8) des Führungsschlittens (4.1) zugeordnet sind“. Auch wenn in diesem Unteranspruch erstmals explizit von einer Einschienenführung die Rede ist, bedeutet dies nicht zwangsläufig im Umkehrschluss, dass der Anspruch 1 nicht schon grundsätzlich auf eine Einschienenführung beschränkt sein kann. Denn der Fachmann erkennt, dass sich der Unteranspruch 11 vom Hauptanspruch nicht einzig durch das Vorsehen einer einzelnen Führungsschiene als Einschienenführung unterscheidet, was für das Verständnis der Klägerin sprechen würde. Vielmehr macht Unteranspruch 11 noch weitere räumlich-körperliche Vorgaben, die von der Einschienenführung zu beachten sind, so dass der Fachmann den Unteranspruch 11 als spezielle Art der Einschienenführung versteht. Etwas anderes folgt auch nicht aus dem seitens der Klägerin in der letzten mündlichen Verhandlung noch mit Blick auf die Systematik vorgebrachten Argument, dass das Klagegebrauchsmuster begrifflich zwischen „einer Führungsschiene“ (Anspruch 1) und einer „Einschienenführung“ (Unteranspruch 11) vermeintlich unterscheide. Denn der Fachmann kann insbesondere dem zuvor bereits in Bezug genommenen Absatz [0022] entnehmen, dass das Klagegebrauchsmuster diese beiden Begriffe synonym verwendet.
  78. 3.1.2.
    Die Kammer vermochte unter Berücksichtigung des obigen Verständnisses nicht festzustellen, dass die angegriffene Ausführungsform Gebrauch von Merkmal 3 macht.
  79. Vorliegend kam es nicht darauf an, ob der Vortrag der Klägerin zum inneren Aufbau der angegriffenen Ausführungsform – wie die Beklagten meinen – nicht hinreichend substantiiert ist oder ob es den Beklagten vielmehr im Wege der sekundären Darlegungslast oblegen hätte, aufzuzeigen, wie ihre Stuhlführung aufgebaut ist. Denn zwischen den Parteien steht außer Streit, dass die angegriffene Stuhlführung jedenfalls nicht über eine einzelne Führungsschiene im Inneren verfügt. Vielmehr stützt auch die Klägerin ihren Verletzungsvorwurf durch den Verweis auf das Beklagtenpatent darauf, dass die angegriffenen Ausführungsform über zwei Führungsschienen verfügt, was indes außerhalb des Schutzbereichs des Anspruchs 1 liegt.
  80. 3.2.
    Da die Kammer eine Verwirklichung von Merkmal 3 nicht festzustellen vermochte, kam es nicht mehr darauf an, ob die angegriffene Ausführungsform Gebrauch von Merkmal 4 macht, gemäß dem das Gehäuse eine durch ein Deckhohlprofilteil gebildete Abdeckung aufweisen soll.
  81. III.
    Die Nebenentscheidungen folgen aus §§ 91 Abs. 1, 709 ZPO.

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