4a O 91/22 – Solarzelle 4

Düsseldorfer Entscheidungen Nr. 3263

Landgericht Düsseldorf

Urteil vom 15. Dezember 2022, Az. 4a O 91/22

  1. I. Der Verfügungsbeklagten wird im Wege der einstweiligen Verfügung bei Meidung eines vom Gericht für jeden Fall der Zuwiderhandlung festzusetzenden Ordnungsgeldes bis zu EUR 250.000,00, ersatzweise Ordnungshaft oder einer Ordnungshaft bis zu sechs Monaten, im Falle wiederholter Zuwiderhandlung bis zu insgesamt zwei Jahren, wobei die Ordnungshaft an einem ihrer Geschäftsführer zu vollstrecken ist, untersagt,
  2. Solarzellen aufweisend ein Siliziumsubstrat und eine erste Dielektrikumschicht, die Aluminiumoxid aufweist, an einer Oberfläche der lichtabgewandten Rückseite des Siliziumsubstrates,
  3. in der Bundesrepublik Deutschland anzubieten, in Verkehr zu bringen oder zu gebrauchen oder zu den genannten Zwecken einzuführen oder zu besitzen,
  4. wenn die Solarzellen eine zweite Dielektrikumschicht an einer Oberfläche der ersten Dielektrikumschicht aufweisen, wobei sich die Materialien der ersten und der zweiten Dielektrikumschicht unterscheiden und wobei in die zweite Dielektrikumschicht Wasserstoff eingelagert ist, wobei die erste Dielektrikumschicht eine Dicke von weniger als 50 nm aufweist, wobei die zweite Dielektrikumschicht eine Dicke von mehr als 50 nm aufweist.
  5. II. Die Kosten des Verfahrens trägt die Verfügungsbeklagte.
  6. III. Die Vollstreckung der einstweiligen Verfügung in Ziffer I. ist davon abhängig, dass die Verfügungsklägerin vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von EUR 500.000,00 leistet.
  7. Tatbestand
  8. Die Verfügungsklägerin nimmt die Verfügungsbeklagte im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes aus dem deutschen Teil des Europäischen Patents EP 2 XXX XXX B1 (nachfolgend: Verfügungspatent) wegen unmittelbarer wortsinngemäßer Patentverletzung auf Unterlassung in Anspruch.
  9. Die Verfügungsklägerin ist die seit dem XXX im Register des Deutschen Patent- und Markenamts (vgl. Registerauszug in Anlage Ast 2) eingetragene Inhaberin des Verfügungspatents, dessen erteilte Fassung als Anlage Ast 1 vorgelegt wurde. Das Verfügungspatent wurde am XXX unter Inanspruchnahme des Prioritätsdatums 14.11.2007 der DE 10 2007 XXX XXX angemeldet. Das Europäische Patentamt veröffentlichte am 27.08.2014 den Hinweis auf die Erteilung des Verfügungspatents.
  10. Das Verfügungspatent steht in Kraft. Das Verfügungspatent ist von der Einspruchsabteilung des Europäischen Patentamts in beschränktem Umfang aufrechterhalten worden. Für die von der Einspruchsabteilung aufrechterhaltene Anspruchsfassung und Beschreibung wird auf die Anlagen ASt 3 und ASt 4 verwiesen.
  11. In diesem Einspruchsverfahren befand die juristische Beschwerdekammer mit Entscheidung vom 13.06.2020 (Anlage ASt 14) abschließend über die Zulässigkeit des Beitritts von Einsprechenden. In der Ladung (Bescheid) vom 21.10.2020 (Anlage ASt 15) für die (zweite) Einspruchsverhandlung vertrat die Einspruchsabteilung die Auffassung, dass der erteilte Vorrichtungsanspruch 9 weder neu noch erfinderisch ist. Gleiches galt für den damaligen Hilfsantrag 1. Zu der nunmehr geltend gemachten Anspruchsfassung verhielt sich die vorläufige Einschätzung nicht.
  12. In der (zweiten) Einspruchsverhandlung am 25./26.03.2021 erklärte die Einspruchsabteilung, dass sie Hilfsantrag 3, der der aktuellen Anspruchsfassung entspricht, für gewährbar halte. Am Ende der mündlichen Verhandlung stellte der Vorsitzende um 22:28 Uhr fest, dass die Verhandlung aus Zeitgründen vertagt werde und der einzig noch ausstehende Diskussionspunkt die Anpassung der Beschreibung sei (vgl. die Niederschrift über die mündliche Verhandlung in Anlage AGG 1). Diese Einschätzung ging auch aus der vom 13.04.2021 datierten Ladung (Anlage Ast 16) zur nächsten Einspruchsverhandlung hervor.
  13. Nachdem sie im April 2021 von der hiesigen Verfügungsklägerin aus dem französischen Teil des Verfügungspatents in einem Hauptsacheverfahren in Frankreich in Anspruch genommen worden, trat im Juni 2021 die A (nachfolgend: A) dem Einspruchsverfahren bei. Hierin erhob A auf Grundlage von neuem Stand der Technik weitere Rechtsbestandsangriffe (vgl. Anlage ASt 18). In der Folge verlegte die Einspruchsabteilung den Termin für die (dritte) mündliche Verhandlung (vgl. Anlage ASt 19).
  14. In der Ladung vom 17.02.2022 zur dritten mündlichen Verhandlung führte die Einspruchsabteilung aus, dass sie nach vorläufiger Meinung nicht beabsichtige, die bereits geschlossenen Punkte der Diskussion über die Patentierbarkeit wieder zu öffnen; die Streitpunkte bei der Anpassung der Beschreibung seien in der Einspruchsverhandlung zu klären (vgl. S. 5 Anlage AGG 9).
  15. In der (dritten) mündlichen Verhandlung am 28./29.09.2022 bestätigte die Einspruchsabteilung den Rechtsbestand des Verfügungspatents im hier geltend gemachten Umfang und passte die Beschreibung an (Anlagen ASt 3 und ASt 4).
  16. Die von der Verfügungsklägerin ursprünglich erteilten Ansprüche 9, 12 und 13 des Verfügungspatents lauten in der erteilten Fassung in der deutschen Verfahrenssprache wie folgt:
  17. „9. Solarzelle aufweisend: ein Siliziumsubstrat (1); eine erste Dielektrikumschicht (3), die Aluminiumoxid aufweist, an einer Oberfläche des Siliziumsubstrates (1);
  18. gekennzeichnet durch eine zweite Dielektrikumschicht (5) an einer Oberfläche der ersten Dielektrikumschicht (3), wobei sich die Materialien der ersten und der zweiten Dielektrikumschicht unterscheiden und wobei in die zweite Dielektrikumschicht Wasserstoff eingelagert ist.“
  19. „12. Solarzelle nach einem der Ansprüche 9 bis 11, wobei die erste Dielektrikumschicht eine Dicke von weniger als 50nm, vorzugsweise weniger als 30nm und stärker bevorzugt weniger als 10nm aufweist.
  20. 13. Solarzelle nach einem der Ansprüche 9 bis 12, wobei die zweite Dielektrikumschicht eine Dicke von mehr als 50nm, vorzugsweise mehr als 100nm und stärker bevorzugt mehr als 150nm aufweist.“
  21. Der von der Einspruchsabteilung aufrechterhaltene und von der Verfügungsklägerin hier geltend gemachte Anspruch 1 des Verfügungspatents ist gegenüber der vorstehenden Anspruchskombination durch die Einfügung der Worte „der lichtabgewandten Rückseite“ in Bezug auf die Lage der ersten Dielektrikumschicht beschränkt. Der geltend gemachte Anspruch lautet:
  22. „Solarzelle aufweisend:
    ein Siliziumsubstrat;
    eine erste Dielektrikumschicht, die Aluminiumoxid aufweist, an einer Oberfläche der lichtabgewandten Rückseite des Siliziumsubstrates;
    eine zweite Dielektrikumschicht an einer Oberfläche der ersten Dielektrikumschicht,
    wobei sich die Materialien der ersten und der zweiten Dielektrikumschicht unterscheiden und
    wobei in die zweite Dielektrikumschicht Wasserstoff eingelagert ist,
    wobei die erste Dielektrikumschicht eine Dicke von weniger als 50nm aufweist
    wobei die zweite Dielektrikumschicht eine Dicke von mehr als 50nm aufweist.“
  23. Zur Veranschaulichung der Lehre des Verfügungspatents wird nachfolgend dessen Fig. 1 verkleinert eingeblendet:
  24. Fig. 1 veranschaulicht schematisch eine Solarzelle, die allerdings nicht der geltend gemachten Fassung von Anspruch 1 entspricht, da sich die erste und zweite Dielektrikumschicht nicht auf der lichtabgewandten Rückseite des Substrats befinden, sondern auf der Vorderseite. Zu erkennen ist das Siliziumsubstrat (1) auf deren Oberfläche sich eine Aluminiumoxid aufweisende erste Dielektrikumschicht (3) befindet. Auf deren Oberfläche befindet sich wiederum eine zweite Dielektrikumschicht (5).
  25. Die Verfügungsklägerin ist eine der weltweit führenden Hersteller auf dem Gebiet der Photovoltaiktechnologie. Sie ist über eine deutsche Tochtergesellschaft auf dem deutschen Markt für Solarzellenmodule tätig.
  26. Die Verfügungsbeklagte ist die deutsche Niederlassung der in XXX ansässigen B die zu den weltweit führenden Anbietern von Solarlösungen und Photovoltaikprodukten gehört. Der Unternehmensgegenstand der Verfügungsbeklagten ist unter anderem der Verkauf von Produkten aus dem Bereich der erneuerbaren Energie (vgl. den in Anlage Ast 26 vorgelegten Handelsregisterauszug); ferner nimmt sie in Deutschland vertriebliche Aufgaben für den B Solar-Konzern wahr.
  27. Die Verfügungsbeklagte bietet an und vertreibt in Deutschland Solarzellen (nachfolgend: angegriffene Ausführungsformen), zum Beispiel solche mit den Bezeichnungen „B XXX“, und „XXX“, „XXX“, die den Produktgruppen „XXX“ und „XXX“ angehören (vgl. die in Anlage Ast 7 vorgelegten Auszüge der Internetseite der Verfügungsbeklagten und in Anlage Ast 8 vorgelegten Produktdatenblätter der Verfügungsbeklagten).
  28. Die angegriffenen Ausführungsformen beinhalten aus Silizium-Wafern bestehende Solarzellen. Zur Veranschaulichung des Aufbaus der angegriffenen Ausführungsformen wird nachfolgend ein von der Verfügungsklägerin eingereichter und beschrifteter Querschnitt durch die angegriffene Ausführungsform XXX (von S. 18 der Antragschrift = Bl. 21 GA) eingeblendet:
  29. Zwischen dem im Bild unten erkennbaren Siliziumsubstrat (Si) und der Schicht L1 ist ein weitere Schicht vorhanden, die aus einem Siliziumoxid SiOx besteht, nämlich SiO2 (nachfolgend: Siliziumoxidschicht oder Zwischenschicht genannt). Die Dicke dieser SiO2-Zwischenschicht hat die Verfügungsklägerin mit 1,5 nm gemessen, wobei sie nach Angaben der Verfügungsbeklagte eine Dicke von 1 – 4 nm aufweist. Die in dem Querschnitt erkennbare Schicht L1 enthält Aluminium (Al) und Sauerstoff (O) und besteht aus Al2O3 bzw. AlOx. Die L2-Schicht besteht wiederum aus SiNx und weist einen hohen Stickstoff- (N) und Siliziumanteil (Si) auf. Weiterhin sind in der L2-Schicht Wasserstoffatome (H) vorhanden, die als Quelle von Wasserstoff zur Passivierung von nicht abgesättigten Bindungen an der Schnittstelle dienen (vgl. zum Aufbau die eidesstattliche Versicherung von Herrn XXX, Anlage AGG 4 Rn. 6 – 8).
  30. Das Verfügungspatent wurde von einer Tochtergesellschaft der Verfügungsklägerin in drei Hauptsachenverfahren vor der Kammer gegen andere Unternehmen geltend gemacht (Az. 4a O 20/19, 4a O 21/19 und 4a O 32/19; vgl. das in Anlage ASt 12 vorgelegte Urteil vom 16.06.2020 in der Sache 4a O 32/19), in denen die Kammer auf eine Patentverletzung erkannte. Über die gegen diese Urteile eingelegten Berufungen (Az. I-2 U 24/20, I-2 U 26/20 und I-2 U 30/20) wurde noch nicht entschieden. Das Oberlandesgericht Düsseldorf hat den zunächst festgesetzten Termin zur mündlichen Verhandlung über die Berufungen mit Verfügung vom 07.04.2021 aufgehoben, um die Entscheidung im Einspruchsverfahren gegen das hiesige Verfügungspatent abzuwarten (vgl. die gerichtliche Verfügung in Anlage ASt 13).
  31. Nachdem die Kammer in den erwähnten Hauptsacheverfahren auf Verletzung des Verfügungspatents erkannt hatte, mahnte die Verfügungsklägerin die Verfügungsbeklagte mit Schreiben vom 17.07.2020 (Anlage AGG 2) ab. Die daraufhin mit der Muttergesellschaft der Verfügungsbeklagten geführten Gespräche blieben ohne Ergebnis.
  32. Die Verfügungsklägerin meint, die von der Verfügungsbeklagten erhobene Einrede der fehlenden Prozesskostensicherheit greife nicht durch, da im einstweiligen Verfügungsverfahren § 110 ZPO keine Anwendung finde.
  33. Die Verfügungsklägerin trägt vor, die angegriffenen Ausführungsformen verletzten das Verfügungspatent unmittelbar wortsinngemäß. Die zwischen dem Siliziumsubstrat und der ersten Dielektrikumschicht (L1) gelegene Schicht aus Siliziumoxid (SiOx) sei 1,5 nm dick. Diese Zwischenschicht stehe – selbst wenn sie die von der Verfügungsbeklagten angegebene Dicke von 1 – 4 nm besäße – der Verletzung des Verfügungspatents nicht entgegen, wie die Kammer in den parallelen Hauptsacheverfahren bereits entschieden habe. Dem Fachmann sei zum Prioritätszeitpunkt bestens bekannt gewesen, dass bei Abscheidung einer aluminiumoxidhaltigen Dielektrikumschicht auf einem Siliziumsubstrat mit den im Verfügungspatent beispielhaft beschriebenen Verfahren eine Siliziumoxidschicht an der Oberfläche des Substrats entstehe. Das Verfügungspatent setze damit die Möglichkeit des Vorhandenseins einer Siliziumoxid-Zwischenschicht bei Verwendung der beispielhaften Herstellungsverfahren als bekannt voraus. Aus diesem Grunde könne die Schicht nicht aus dem Schutzbereich des Verfügungspatents herausführen. Dies gelte auch, wenn diese Schicht mittels eines gesonderten thermischen Oxidationsschritts gezielt erzeugt worden sei. An dieser Auslegung habe die Anpassung der Beschreibung des Verfügungspatents im Einspruchsverfahren nichts geändert.
  34. Die Verfügungsklägerin meint, die für den Erlass einer einstweiligen Verfügung erforderliche Dringlichkeit liege vor. Der Erlass einer erstinstanzlichen Rechtsbestandsentscheidung sei ein Umstand, der die Dringlichkeit wiederaufleben lasse bzw. neu in Gang setze. Die Verfügungsklägerin habe nicht bereits nach der mündlichen Einspruchsverhandlung im März 2021 gegen die Verfügungsbeklagte vorgehen müsse, sondern die abschließende Entscheidung der Einspruchsabteilung abwarten dürfen. Ein vorheriges Vorgehen sei der Verfügungsklägerin nicht zuzumuten gewesen. Vor der Entscheidung der Einspruchsabteilung sei völlig offen gewesen, ob und wenn ja welche weiteren Rechtsbestandsangriffe gegen das Verfügungspatent die Einspruchsabteilung zulassen würde und ob sie ihre Auffassung zur Rechtsbeständigkeit des letztlich bestätigten Hilfsantrages aufrechterhalten würde. Nach der ersten mündlichen Verhandlung im März 2021, in der die Einspruchsabteilung – insoweit unstreitig – von der Gewährbarkeit der jetzigen Anspruchsfassung ausging, hätten die Einsprechenden weitere Einspruchsgründe geltend gemacht. Weiterhin sei der Streitbeitritt von A im Juni 2021 zu berücksichtigen, der – insoweit unstreitig – zur Verlegung der anberaumten Einspruchsverhandlung führte. A habe auch – insoweit unstreitig – neuen Stand der Technik vorgelegt, der als prima facie relevant angesehen wurde, so dass wieder in die Verhandlung der Patentfähigkeit eingetreten wurde.
  35. Weiterhin sei zu berücksichtigen, dass nach der Einspruchsverhandlung im März 2021 der Inhalt der Beschreibung nicht feststand und anschließend Gegenstand heftiger Diskussionen gewesen sei.
  36. Auch das Vorgehen der Verfügungsklägerin gegen A in Frankreich ändere nichts daran, dass die Entscheidung der Einspruchsabteilung ohne Gefährdung der Dringlichkeit habe abgewartet werden dürfen.
  37. Dass die Verfügungsklägerin zunächst die Entscheidung der Einspruchsabteilung abwarten musste, belege die Entscheidung des Oberlandesgerichts Düsseldorf in den parallelen (Hauptsache-) Verletzungsverfahren, die zunächst anberaumten Berufungsverhandlungen aufzuheben und die Entscheidung im Einspruchsverfahren abzuwarten.
  38. Die Verfügungsklägerin sei auch auf den Erlass einer einstweiligen Verfügung angewiesen. Aufgrund der enorm hohen Nachfrage achteten Kunden weniger auf einen bestimmten Hersteller. Da die Lebensdauer von Solarmodule ca. 20-30 Jahren betrage, sei der Entzug der Marktchancen durch einen Patentverletzer bezogen auf die Patentlaufzeit dauerhaft. Die Verfügungsbeklagte drücke den Verkaufspreis durch den Absatz patentverletzender Solarmodule auf ein Niveau, das es der Verfügungsklägerin wirtschaftlich unmöglich mache, ihre Produktionsmengen auszuweiten.
  39. Entgegen der Behauptung der Verfügungsbeklagten habe diese den Vertrieb der angegriffenen Ausführungsform XXX aus der Serie XXX nicht eingestellt. Auch die angegriffenen Ausführungsformen der XXX-Serie würden weiter werblich als verfügbar angepriesen. Im Übrigen verhalte sich die Verfügungsbeklagte schon nicht zu möglichen weiteren patentverletzenden Produkten.
  40. Die Verfügungsklägerin beantragt:
  41. Der Antragsgegnerin wird im Wege der einstweiligen Verfügung bei Meidung eines vom Gericht für jeden Fall der Zuwiderhandlung festzusetzenden Ordnungsgeldes bis zu 250.000,00 € ersatzweise Ordnungshaft oder einer Ordnungshaft bis zu sechs Monaten, im Falle wiederholter Zuwiderhandlung bis zu insgesamt zwei Jahren, wobei die Ordnungshaft an einem ihrer Geschäftsführer zu vollstrecken ist, untersagt,
  42. Solarzellen aufweisend ein Siliziumsubstrat und eine erste Dielektrikumschicht, die Aluminiumoxid aufweist, an einer Oberfläche der lichtabgewandten Rückseite des Siliziumsubstrates,
  43. in der Bundesrepublik Deutschland anzubieten, in Verkehr zu bringen oder zu gebrauchen oder zu den genannten Zwecken einzuführen oder zu besitzen,
  44. wenn die Solarzellen eine zweite Dielektrikumschicht an einer Oberfläche der ersten Dielektrikumschicht aufweisen, wobei sich die Materialien der ersten und der zweiten Dielektrikumschicht unterscheiden und wobei in die zweite Dielektrikumschicht Wasserstoff eingelagert ist, wobei die erste Dielektrikumschicht eine Dicke von weniger als 50 nm aufweist, wobei die zweite Dielektrikumschicht eine Dicke von mehr als 50 nm aufweist;
  45. Die Verfügungsbeklagte beantragt,
  46. anzuordnen, dass die Antragstellerin der Antragsgegnerin wegen der Prozesskosten Sicherheit in Höhe der voraussichtlich aufzuwendenden gerichtlichen und außergerichtlichen Kosten der ersten und zweiten Instanz leistet;
  47. den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung zurückzuweisen;
  48. hilfsweise:
    Sicherheitsleistung gemäß §§ 921 S. 2, 936 ZPO anzuordnen.
  49. Die Verfügungsbeklagte meint, die Verfügungsklägerin sei zum Leisten einer Prozesskostensicherheit verpflichtet. Die Vorschrift des § 110 ZPO gelte auch im einstweiligen Verfügungsverfahren. Der Verfügungsklägerin bleibe genügend Zeit, um bis zum Termin zur mündlichen Verhandlung am 29.11.2022 eine prozessordnungskonforme Prozesskostensicherheit zu stellen.
  50. Die beantragte einstweilige Verfügung sei nicht zu erlassen. Es fehle bereits an einem Verfügungsanspruch. Die angegriffenen Ausführungsformen verletzten das Verfügungspatent nicht. Bei den hierin verbauten Solarzellen seien an der Oberfläche des Siliziumsubstrats drei Dielektrikumschichten aufgebracht und nicht die vom Verfügungspatent vorgesehenen zwei Dielektrikumschichten. Entgegen der Lehre des Verfügungspatents sei die erste Dielektrikumschicht also nicht auf der Oberfläche des Siliziumsubstrats angeordnet. Vielmehr befindet sich zwischen dem Substrat und der ersten Dielektrikumschicht – insoweit unstreitig – eine Siliziumoxidschicht. Hierzu behauptet die Verfügungsbeklagte, deren Dicke betrage 1 – 4 nm. Es handele sich nicht um eine aufgrund des Herstellungsverfahrens notwendig mitentstehende Siliziumoxid-Zwischenschicht, sondern um eine bewusst an der Oberfläche des Siliziumsubstrats thermisch aufgebrachte erste Schicht.
  51. Entgegen der Auffassung der Verfügungsklägerin und der Kammer im Hauptsacheverfahren 4a O 32/19 werde der Fachmann eine solche Siliziumoxidschicht nicht einfach als nicht ins Gewicht fallend ansehen, insbesondere im Vergleich zu der darüber liegenden ersten Dielektrikumschicht. Die erste Dielektrikumschicht solle nach dem. Verfügungspatent (vgl. Abs. [0015] der Beschreibung des Verfügungspatent) ultradünn sein und laut Patentanspruch 4 bevorzugt eine Dicke von weniger als 10 nm aufweisen. Dagegen wolle das Verfügungspatent einen solchen Herstellungsschritt verzichten (Abs. [0003]), um den dazu erforderlichen „erheblichen Mehraufwand“ zu vermeiden gewünschte Möglichkeit einer „kostengünstigen, industriell realisierbaren Fertigung“ (Absatz [0010]) zu schaffen.
  52. Ferner sei zu berücksichtigen, dass die Patentinhaberin sämtliche Verfahrensansprüche (Ansprüche 1 bis 8 des Verfügungspatents wie ursprünglich erteilt) gestrichen habe. Damit falle auch die vom angerufenen Gericht in den drei genannten Hauptsacheverfahren vertretene Auffassung, das Verfahren gemäß Anspruch 1 und die Vorrichtung gemäß Anspruch 9 würden Teil einer „einheitlichen technischen Lehre“ sein, in sich zusammen.
  53. Für die beantragte einstweilige Verfügung fehle es zudem an der Dringlichkeit. Die Verfügungsklägerin habe den Gang des Rechtsbestandsverfahrens nicht abwarten dürfen. Die Produkte und Marktanteile der Verfügungsbeklagten seien ihr – insoweit unstreitig – seit langem bekannt. Spätestens seit der (zweiten) Einspruchsverhandlung über das Verfügungspatent am 25./26.03.2021 habe die Verfügungsklägerin von einer sicheren, ihr günstigen Rechtsbestandsentscheidung ausgehen können. Allerspätestens nach der Mitteilung der Ladung zur mündlichen Verhandlung am 13.04.2021 (Anlage ASt 16), in der – insoweit unstreitig – zum Ausdruck gekommen sei, dass die Einspruchsabteilung nur noch die Beschreibung verhandeln wolle, habe die Monatsfrist zur Wahrung der Dringlichkeit zu laufen begonnen. Dass sie zu diesem Zeitpunkt von einem gesicherten Rechtsbestand ausgegangen ist, zeige sich darin, dass die Verfügungsklägerin bereits im April 2021 gegen ihre Wettbewerberin A in Frankreich Klage aus dem Verfügungspatent eingereicht habe. Mit der Zurückstellung des Verletzungsangriffs habe die Verfügungsklägerin die Dringlichkeit selbst widerlegt.
  54. Selbst wenn man davon ausgehen wollte, dass sich die Situation aus dieser Einspruchsverhandlung anschließend durch den Beitritt von A zum Einspruchsverfahren verändert haben könnte, hätte der Verfügungsklägerin ein Zeitfenster von knapp drei Monaten zwischen Einspruchsverhandlung und Beitritt zur Verfügung gestanden, indem die Verfügungsklägerin per einstweilige Verfügung hätte gegen die Verfügungsbeklagte vorgehen können. Auch im weiteren Fortgang des Einspruchsverfahrens habe die Verfügungsklägerin vehement insistiert, dass die Diskussion über die Patentansprüche abgeschlossen sei und es nur noch um die Beschreibung gehe.
  55. Auch aufgrund der Entscheidung des EuGH vom 28.04.2022 (C-44/21) habe die Verfügungsklägerin für die Beantragung einer einstweiligen Verfügung nicht bis zur Entscheidung der Einspruchsabteilung abwarten dürfen. Nach dieser Entscheidung dürfe der Erlass einer einstweiligen Verfügung nicht davon abhängig gemacht werden, dass das Patent ein erstinstanzliches Einspruchs- oder Nichtigkeitsverfahren überstanden hat, so dass die Verfügungsklägerin die Entscheidung der Einspruchsabteilung nicht mehr abwarten musste.
  56. Bei der Abwägung, ob eine einstweilige Maßnahme angeordnet wird, müsse der Anspruch der Verfügungsbeklagten auf rechtliches Gehör berücksichtigt werden. Dieser sei hier verletzt, da sowohl das erkennende Gericht als auch die Verfügungsklägerin über einen Informationsvorsprung verfügten, den die Verfügungsbeklagte innerhalb der kurzen, ihr gewährten Reaktionszeit nicht aufholen könne.
  57. Die Verfügungsbeklagte behauptet, zwei der drei angegriffenen Ausführungsformen seien Auslaufprodukte; die dritte angegriffene Ausführungsform (XXX) werde sogar bereits nicht mehr hergestellt und vertrieben; nur noch Restbestände befänden sich bei Vertriebspartnern. Entsprechend sei das Interesse der Verfügungsklägerin an der begehrten Unterlassung gering.
  58. Für die weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird ergänzend auf die ausgetauschten Schriftsätze samt Anlagen sowie auf das Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 29.11.2022 Bezug genommen.
  59. Entscheidungsgründe
  60. Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung ist zulässig und begründet.
  61. A.
    Der von der Verfügungsbeklagten gestellte Antrag auf Leistung von Prozesskostensicherheit nach § 110 ZPO ist unbegründet. Die Einrede kann im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes nicht erhoben werden, da die Vorschrift des § 110 ZPO auf solche Verfahren nicht anwendbar ist. Dies entspricht der inzwischen gefestigten Rechtsprechung des Landgerichts Düsseldorf (LG Düsseldorf, Urteil vom 03.07.2020 – 4c O 25/20 = GRUR-RS 2020, 39316; LG Düsseldorf, Urteil vom 08.05.2017 – 4c O 42/17 = InstGE 5, 234 in Abkehr von InstGE 4, 287). Über die Einrede kann – wie vorliegend – auch in den Gründen des Endurteils entschieden werden (vgl. MüKoZPO/Schulz, 6. Aufl. 2020, ZPO § 113 Rn. 5; Zöller/Herget, ZPO, 34. Aufl. 2022, § 112 Rn. 1), da andernfalls eine nicht gebotene Verzögerung des Verfahrens eintreten würde.
  62. I.
    Das Verfügungsverfahren dient dazu, solche Ansprüche einstweilen zu sichern, mit deren Durchsetzung der Anspruchsteller deswegen nicht auf das Hauptsacheverfahren verwiesen werden kann, weil ein solches Hauptsacheverfahren zu viel Zeit in Anspruch nähme, um die Rechtsdurchsetzung effektiv zu gewährleisten, sei es, weil durch den Zeitablauf die Durchsetzbarkeit der Ansprüche geschmälert oder endgültig verhindert zu werden droht, oder, weil die Ansprüche ohnehin zeitlich begrenzt sind, wie etwa der Unterlassungsanspruch aus einem nur zeitlich begrenzt gültigen technischen Schutzrecht. Deswegen ist das Verfahren auf Erlass einer einstweiligen Verfügung nicht etwa ein lediglich besonders eilig zu betreibendes „Klage“verfahren, sondern ein prozessualer Rechtsstreit besonderer Art. Er ist auf eine summarische Entscheidung gerichtet und gehorcht daher nur insoweit den allgemeinen prozessualen Vorschriften, sofern diese nicht mit den in den §§ 916 bis 945 ZPO niedergelegten Besonderheiten des Eilverfahrens in Widerspruch stehen. Es ist deswegen anerkannt, dass bestimmte prozessuale Vorschriften nicht auf das Verfügungsverfahren anwendbar sind (LG Düsseldorf, Urteil vom 03.07.2020 – 4c O 25/20 = GRUR-RS 2020, 39316).
  63. Hierzu gehört auch die Vorschrift des § 110 ZPO: Das dort geregelte Institut der Prozesskostensicherheit und die Möglichkeit des Beklagten, eine prozesshindernde Einrede bei mangelnder Prozesskostensicherheit zu erheben, ist mit den dargelegten Grundsätzen des einstweiligen Verfügungsverfahrens unvereinbar, und zwar auch dann, wenn über den Antrag auf einstweilige Verfügung aufgrund mündlicher Verhandlung durch Urteil entschieden wird (OLG Köln, Urteil vom 13.08.2004 – 6 U 140/04 = BeckRS 2004, 9872; OLG Frankfurt IPRax 2002, 222; OLG Hamburg GRUR 1999, 91; LG Düsseldorf, Urteil vom 03.07.2020 – 4c O 25/20 = GRUR-RS 2020, 39316; LG Düsseldorf, InstGE 5, 234; LG München I, GRUR-RS 2020, 31319; Rüting in Cepl/Voß, ZPO, 2. Aufl. 2018, § 110 Rn. 4; a.A.: OLG Düsseldorf, Beschluss vom 30.06.2022 – I-20 U 51/22; OLG Köln, ZIP 1994, 326; differenzierend danach, ob Prozesskostensicherheit ohne Verzögerung geleistet werden könnte: BeckOK ZPO/Jaspersen, 46. Ed. 1.9.2022, ZPO § 110 Rn. 3.1). Zwar ist auch der im einstweiligen Verfügungsverfahren in Anspruch genommene Verfügungsbeklagte grundsätzlich schutzbedürftig gegenüber etwaigen Schwierigkeiten bei der Vollstreckung eines Kostentitels, die alleine auf dem Umstand beruhen, dass die Gegenpartei nicht innerhalb des Europäischen Wirtschaftsraums ansässig und mit dem Sitzstaat der Gegenpartei eine Gegenseitigkeit der Vollstreckung nicht völkerrechtlich gewährleistet ist. Dieses Schutzbedürfnis, dem § 110 ZPO Rechnung tragen will, muss indes zurücktreten gegenüber dem Bedürfnis des Anspruchstellers, der – ob zu Recht oder zu Unrecht – geltend macht, seine Anspruchsdurchsetzung und -sicherung sei so dringlich, dass er damit nicht auf ein Hauptsacheverfahren verwiesen werden könne. Könnte dem Antragsteller bzw. Verfügungskläger im einstweiligen Verfügungsverfahren entgegengehalten werden, er müsse zunächst Prozesskostensicherheit leisten, würde das prozessuale Instrument der einstweiligen Verfügung weitgehend entwertet. Der Streit um das Ob und um die Höhe der Prozesskostensicherheit sowie darum, ob eine angeordnete Sicherheit ordnungsgemäß geleistet worden ist, kann so viel Zeit in Anspruch nehmen, dass eine zeitnahe Entscheidung in der Sache nicht mehr gewährleistet wäre. Beispielsweise könnte ein Termin zur mündlichen Verhandlung über einen Verfügungsantrag dadurch entwertet werden, dass der Verfügungsbeklagte – was bei Anwendung des § 110 ZPO zulässig wäre – erst in diesem Termin die Einrede nach § 110 ZPO erhebt. Ebenso wenig ist es einem außerhalb des EWR ansässigen Antragsteller zumutbar, schon bei oder jedenfalls kurz nach Antragstellung und jedenfalls vor Erhebung der Einrede nach § 110 ZPO gleichsam vorbeugend Sicherheit zu leisten, denn er kann die Höhe der zu leistenden Sicherheit nicht im Vornhinein kennen und kann auch nicht allein wegen seines Sitzes außerhalb des Europäischen Wirtschaftsraums gezwungen sein, sich den Zugang zu einem Eilverfahren durch die vorsorgliche Leistung einer Sicherheit für die Prozesskosten „zu erkaufen“ (LG Düsseldorf, Urteil vom 03.07.2020 – 4c O 25/20 = GRUR-RS 2020, 39316).
  64. Durch die Bestimmung eines Termins zur mündlichen Verhandlung über den Verfügungsantrag tritt keine solche „Entschleunigung“ ein, dass nunmehr das Interesse der Verfügungsbeklagten an einer Sicherheit für die Prozesskosten überwiege. Die mit der Terminierung einhergehende Verzögerung trägt zur Wahrung der wechselseitigen Interessen bei und stellt grundsätzlich keinen Grund dar, das Verfahren zulasten des Verfügungsklägers durch Anordnen einer Prozesskostensicherheit weiter zu verzögern.
  65. Dass der Gesetzgeber die gerichtliche Entscheidung im Rahmen des einstweiligen Rechtsschutzes nicht mit Kostenfragen belasten will, zeigt sich jedoch auch daran, dass anders als im Hauptsacheverfahren die Entscheidung über den Verfügungsantrag nicht von der Einzahlung eines Gerichtskostenvorschusses abhängig ist, da § 12 Abs. 1 GKG nur „Klagen“ nennt (LG München I, GRUR-RS 2020, 31319 Rn. 40)
  66. II.
    Der vorliegende Fall belegt, dass § 110 ZPO nicht auf einstweilige Verfügungsverfahren anzuwenden ist. Die Verfügungsklägerin hat den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung am 28.10.2022 eingebracht. Die Verfügungsbeklagte hat mit Schriftsatz vom 17.11.2022 die Einrede der Prozesskostensicherheit erhoben. Es ist der Verfügungsklägerin praktisch kaum möglich, die Prozesskostensicherheit bis zur mündlichen Verhandlung am 29.11.2022 zu leisten (was erst recht gelten würde, wenn diese am 22.11.2022 stattgefunden hatte, auf den die Verhandlung im Zeitpunkt der Erhebung der Einrede durch die Verfügungsbeklagte noch terminiert war).
  67. B.
    Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung ist begründet, da die Verfügungsklägerin einen Verfügungsanspruch (hierzu unter I.) und einen Verfügungsgrund (hierzu unter II.) glaubhaft gemacht hat.
  68. I.
    Die Verfügungsklägerin hat gegen die Verfügungsbeklagte einen Anspruch auf Unterlassung aus Art. 64 Abs. 1 EPÜ i. V. m. § 139 Abs. 1 PatG. Die Untersagung betrifft nicht nur die drei in der Antragschrift konkret genannten angegriffenen Ausführungsformen, sondern umfasst nach den allgemeinen Regeln auch kerngleiche Varianten dieser Ausführungsformen.
  69. 1.
    Das Verfügungspatent (nachfolgend entstammen Abs. ohne Quellenangabe der von der Einspruchsabteilung bestätigten Fassung der Beschreibung des Verfügungspatents in Anlage Ast 4) betrifft eine Solarzelle mit einer oberflächenpassivierenden Dielektrikumdoppelschicht (Abs. [0001]).
  70. a)
    Nach der einleitenden Beschreibung des Verfügungspatents ist es eine entscheidende Voraussetzung für Solarzellen mit hohen Wirkungsgraden, Verluste aufgrund von Oberflächenrekombinationen effektiv zu unterdrücken. Zu diesem Zwecke sollte die Oberfläche von Solarzellen möglichst gut passiviert werden, sodass Ladungsträgerpaare, die im Innern der Solarzelle durch einfallendes Licht erzeugt werden und die an die Oberflächen des Solarzellensubstrates diffundieren, nicht an der Solarzellenoberfläche rekombinieren. Hierdurch können sie nämlich nicht mehr zum Wirkungsgrad der Solarzelle beitragen (Abs. [0002]).
  71. Das Verfügungspatent erläutert nachfolgend verschiedene, im Stand der Technik bekannte Lösungsansätze für dieses Problem:
  72. aa)
    Die unerwünschte Oberflächenrekombination kann etwa durch die Hochtemperaturoxidation bekämpft werden. Bei Laborsolarzellen wird das beschriebene Problem häufig durch das Aufwachsen von Siliziumdioxid bei hoher Temperatur (z.B. >900°C) gelöst. Dieses Vorgehen weist aber aus Sicht des Verfügungspatents Nachteile auf: Ein solcher Hochtemperatur-Prozessschritt bedeutet einen erheblichen Mehraufwand in der Solarzellenprozessierung, weshalb bei der industriellen Solarzellenherstellung derzeit meist auf eine solche Art der Oberflächenpassivierung verzichtet wird (Abs. [0003]). Weiterhin ist bei Hochtemperaturoxidation die Empfindlichkeit von kostengünstigerem multikristallinem Silizium gegenüber hohen Temperaturen problematisch. Die hohen Temperaturen können in diesem Material zu einer erheblichen Reduzierung der Materialqualität, das heißt der Ladungsträgerlebensdauer, und damit zu Wirkungsgradverlusten führen (Abs. [0004]).
  73. bb)
    Das Verfügungspatent erörtert sodann in Abs. [0005] eine Niedertemperatur-Alternative. Hierbei kann die Oberflächenpassivierung mit amorphem Siliziumnitrid oder Siliziumkarbid, die bei Temperaturen von 300 – 400°C beispielsweise mittels plasmaunterstützter chemischer Gasphasenabscheidung (Plasma Enhanced Chemical Vapour Deposition, kurz: PECVD) hergestellt werden.
  74. Allerdings sind aus Sicht des Verfügungspatents die auf diese Weise hergestellten dielektrischen Schichten für großflächige Hocheffizienz-Solarzellen nur begrenzt einsetzbar, da sie eine hohe Dichte sogenannter „Pinholes“ enthalten können. Dies sind kleine Löcher oder Poren in der Schicht, die einer guten Isolation entgegenstehen (Abs. [0005]).
  75. Ferner basiert die Passivierwirkung der so hergestellten Solarzellen größtenteils auf einer sehr hohen positiven Ladungsdichte innerhalb der dielektrischen Schichten. Dies kann bei der Passivierung z.B. der Solarzellenrückseite bei der Verwendung von p-Typ Siliziumwafern zur Ausbildung einer Inversionsschicht führen, über die ein zusätzlicher Verluststrom von Minoritätsladungsträgern aus der Basis der Solarzelle zu den Rückseitenkontakten abfließen kann (sogenannter „parasitärer Shunt“). Auf hoch bor-dotierten p+-Silizium-Oberflächen kann Siliziumnitrid aufgrund der hohen positiven Ladungsdichte sogar zu einer Depassivierung im Vergleich zu einer unpassivierten p+-Oberfläche führen (Abs. [0005]).
  76. cc)
    Sehr gute Passivierungen sowohl auf p- als auch auf p+-Oberflächen wurden dagegen mit amorphen Siliziumschichten erzielt, die ebenfalls mittels plasmaunterstützter Gasphasenabscheidung bei sehr niedrigen Beschichtungstemperaturen (typischerweise < 250°C) hergestellt werden können (Abs. [0006]).
  77. Aber auch dieses Vorgehen hat aus Sicht des Verfügungspatents Nachteile: Die oberflächenpassivierende Eigenschaft solcher amorphen Siliziumschichten kann sehr anfällig gegenüber Temperaturbehandlungen sein. Bei heutigen industriellen Solarzellenprozessen erfolgt die Metallisierung (d.h. das Anbringen von Metallkontakten in die Solarzelle) häufig mittels Siebdrucktechnik. Hierbei findet typischerweise als letzter Prozessschritt eine Feuerung der Kontakte in einem Infrarot-Durchlaufofen bei Temperaturen zwischen ca. 800°C und 900°C statt. Obwohl die Solarzelle diesen hohen Temperaturen nur für wenige Sekunden ausgesetzt ist, kann dieser Feuerschritt zu einer erheblichen Degradation der Passivierwirkung der amorphen Siliziumschichten führen (Abs. [0007]).
  78. dd)
    Eine weitere Möglichkeit, mit der gute Passivierergebnisse erzielt werden können, besteht in Aluminiumoxidschichten, die mittels sequentieller Gasphasenabscheidung (Atomic Layer Deposition, kurz: ALD) bei z.B. etwa 200°C abgeschieden und anschließend bei etwa 425°C getempert werden (Abs. [0008]).
  79. Als nachteilig bezeichnet das Verfügungspatent an dieser Methode jedoch die erforderliche Dauer des Abscheidungsprozesses. Bei der sequentiellen Gasphasenabscheidung wird innerhalb eines Abscheidungszyklus jeweils generell nur eine einzelne Moleküllage des abzuscheidenden Materials auf der Substratoberfläche angelagert. Da ein Abscheidungszyklus typischerweise etwa 0,5 bis 4 Sekunden dauert, sind die Abscheideraten entsprechend niedrig. Die Abscheidung von Aluminiumoxidschichten mit einer Dicke, die für eine Verwendung als Antireflexschicht oder als Rückseitenreflektor geeignet ist, erfordert daher Abscheidungsdauern, die eine Verwendung solcher Schichten bei industriell gefertigten Solarzellen bisher als kommerziell uninteressant erscheinen ließen (Abs. [0008]).
  80. ee)
    Das Verfügungspatent erwähnt in Abs. [0009] kurz weitere Dokumente aus dem Stand der Technik, auf die es jedoch nicht näher eingeht und an deren Lösung es keine Kritik übt. Hierzu gehört ein Aufsatz von XXX et al. aus dem Jahre 2007 (nachfolgend: XXX 2007, vorgelegt auf S. 21 des Anlagenkonvoluts ASt 27).
  81. ff)
    Vor diesem Hintergrund sieht das Verfügungspatent in Abs. [0010] einen Bedarf an einer Solarzelle, „bei der einerseits eine gute Passivierung der Oberfläche der Solarzelle erreicht werden kann und andererseits die obengenannten Nachteile herkömmlicher oberflächenpassivierender Schichten zumindest teilweise vermieden werden können. Insbesondere soll die Möglichkeit einer kostengünstigen, industriell realisierbaren Fertigung von Solarzelle mit einer sehr guten Oberflächenpassivierung geschaffen werden“.
  82. b)
    Zur Lösung dieser (subjektiven) Aufgabe schlägt das Verfügungspatent eine Solarzelle nach Maßgabe des beschränkt aufrecht erhaltenen Anspruchs 1 vor. Dieser lässt sich in Form einer Merkmalsgliederung wie folgt darstellen:
  83. Solarzelle
  84. 1 Die Solarzelle weist ein Siliziumsubstrat (1) auf.
  85. 2 Die Solarzelle weist eine erste Dielektrikumschicht (3) auf
  86. 2.1 Die erste Dielektrikumschicht ist an einer Oberfläche der lichtabgewandten Rückseite des Siliziumsubstrates (1).
  87. 2.2 Die erste Dielektrikumschicht weist Aluminiumoxid auf,
  88. 2.3 Die erste Dielektrikumschicht (3) weist eine Dicke von weniger als 50 nm auf.
  89. 3 Die Solarzelle weist eine zweite Dielektrikumschicht (5) auf.
  90. 3.1 Die zweite Dielektrikumschicht (5) ist an einer Oberfläche der ersten Dielektrikumschicht (3).
  91. 3.2 In die zweite Dielektrikumschicht (5) ist Wasserstoff eingelagert.
  92. 3.3 Die zweite Dielektrikumschicht (5) weist eine Dicke von mehr als 50 nm auf.
  93. 4 Die Materialien der ersten Dielektrikumschicht (3) und der zweiten Dielektrikumschicht (5) unterscheiden sich.
  94. c)
    Die geltend gemachte Anspruchskombination lehrt dem angesprochenen Fachmann – bei dem es sich hier um einen Techniker oder Fachhochschulingenieur mit mehrjähriger Erfahrung in der Entwicklung und Herstellung von Solarzellen und Solarmodulen und in ihrem Einbau in Photovoltaik-Anlagen bzw. ein Halbleiterprozessingenieur mit Erfahrung im Bereich Schichtabscheidung handelt (vgl. S. 17 des Urteils der Kammer vom 16.06.2020 – 4a O 32/19, vorgelegt in Anlage ASt 12) – eine Solarzelle mit drei Elementen: Einem Siliziumsubstrat, einer hierauf angeordneten erste Dielektrikumschicht mit Aluminiumoxid und einer wiederum hierauf angeordneten zweiten Dielektrikumschicht aus einem unterschiedlichen Material, in der Wasserstoff eingelagert ist.
  95. aa)
    Die beiden Dielektrikumschichten müssen sich nach der Beschränkung des Verfügungspatents auf der lichtabgewandten Rückseite des Siliziumsubstrats angeordnet sein (vgl. Abs. [0019]). Auf das Siliziumsubstrat folgt die erste (dünnere) Dielektrikumschicht nach Merkmalsgruppe 2 (mit Aluminiumoxid); diese Schicht ist die „innere“ der beiden Schichten.
  96. Darauf folgt die zweite (dickere) Dielektrikumschicht, die sich auf der Oberfläche der ersten Dielektrikumschicht befindet (Merkmal 3.1). Diese liegt also außen oder aus Sicht des einfallenden Lichts hinter der ersten Dielektrikumschicht. Aufgrund der Anordnung auf der Rückseite des Substrats kann die zweite Dielektrikumschicht als Rückseitenreflektor ausgebildet werden, sodass Licht, das die gesamte Solarzelle durchdringt, an dieser Rückseite weitestgehend reflektiert wird und somit das Solarzellensubstrat ein weiteres Mal durchläuft (Abs. [0019]).
  97. Nach Merkmal 4 unterscheidet sich das Material der ersten Dielektrikumschicht, die Aluminiumoxid aufweist (Merkmal 2.2), von dem Material der zweiten Dielektrikumschicht, für die zudem gefordert ist, dass in ihr Wasserstoff eingelagert ist (Merkmal 3.2). Die beiden Dielektrikumschichten sorgen für eine Passivierung der Oberfläche, was Oberflächenrekombinationen verhindert – also das (Wieder-) Verbinden von zuvor getrennten Elektronen-Loch-Paaren an der Oberfläche.
  98. Die Merkmale 2.3 und 3.3 geben unterschiedliche Dicken der beiden Dielektrikumschichten vor: Während die erste (innere) Dielektrikumschicht weniger als 50 nm dick sein soll, soll die Dicke der auf der ersten Dielektrikumschicht angeordneten zweiten Dielektrikumschicht mehr als 50 nm betragen.
  99. bb)
    In der ersten Dielektrikumschicht wirkt das Aluminiumoxid dielektrisch und passiviert die Substratoberfläche mittels eines elektrischen Feldeffekts (Feldeffektpassivierung). Da die erste Dielektrikumschicht weniger als 50 nm dick ist, können die am Stand der Technik kritisierten langen Herstellungsdauern bei deren Abscheidung (vgl. Abs. [0008]) vermieden bzw. jedenfalls abgemildert werden. Das Verfügungspatent beschreibt die Abscheidung dieser Schicht etwa in Abs. [0021] ff. mittels des ALD-Verfahrens, bei dem „die Aluminium-haltige Schicht in einer Sauerstoff-haltigen Atmosphäre aufoxidiert“ (Abs. [0021] a.E.) wird.
  100. Die zweite Dielektrikumschicht wirkt über eine chemische Passivierung mit Hilfe des eingelagerten Wasserstoffs (Merkmal 3.2) und trägt damit über einen anderen Mechanismus zur Passivierung der Substratoberfläche bei: „Ein Teil des Wasserstoffs aus den PECVD-abgeschiedenen Schichten kann durch die ultradünne Al2O3-Schicht diffundieren und an der Grenzfläche zum Silizium unabgesättigte Silizium-Bindungen passivieren“ (Abs. [0015]). Der Wasserstoff trägt so zum „Absättigen“ der freien Bindungen des Siliziums bei und reduziert so die unerwünschte Rekombination (Abs. [0015], [0029]).
  101. Die vom Verfügungspatent gelehrte Dielektrikum-Doppelschicht ermöglicht eine stabile Passivierung der Substratoberfläche und behält ihre passivierenden Eigenschaften auch nach einem Feuerschritt zum Einbrennen der Metallkontakte bei Temperaturen von 800 bis 900°C (Abs. [0014]).
  102. d)
    Vor dem Hintergrund des Streits der Parteien bedarf Merkmal 2.1, wonach die Solarzelle eine erste Dielektrikumschicht an einer Oberfläche der lichtabgewandten Rückseite des Siliziumsubstrates aufweist, der näheren Erörterung.
  103. Der Anspruch schreibt neben dem Material der ersten Dielektrikumschicht (die Aluminiumoxid aufweisen muss) auch die räumliche Anordnung der ersten Dielektrikumschicht: Diese soll auf der lichtabgewandten Seite „an einer Oberfläche des Siliziumsubstrats“ angeordnet sein. Hierdurch wird aber eine Solarzelle mit einer Siliziumoxid-Zwischenschicht zwischen dem Siliziumsubstrat und der ersten Dielektrikumschicht nicht vom Schutzbereich des Verfügungspatents ausgenommen (hierzu unter aa)). Dies gilt selbst dann, wenn diese Schicht gezielt thermisch aufgewachsen ist (hierzu unter bb)).
  104. aa)
    Merkmal 2.1 fordert in räumlich-körperlicher Hinsicht, dass sich die erste Dielektrikumschicht „an der Oberfläche“ des Siliziumsubstrats befinden muss. Damit darf die erste Dielektrikumschicht nicht beliebig an der Rückseite des Substrats angeordnet sein. Jedoch steht eine Schicht aus Siliziumoxid zwischen dem Siliziumsubstrat und der ersten Dielektrikumschicht – wie sie bei den angegriffenen Ausführungsformen vorhanden ist – der Merkmalsverwirklichung nicht entgegen. Vielmehr weiß der Fachmann, dass eine solche Zwischenschicht bei der Verwendung des vom Verfügungspatent als bevorzugt beschriebenen ALD-Verfahrens (ALD = Atomic Layer Depositon = sequentielle Gasabscheidung) zum Abscheiden der ersten Dielektrikumschicht regelmäßig entsteht. Gleichwohl lehrt das Verfügungspatent dem Fachmann nicht, eine solche Schicht zu vermeiden, sondern nimmt deren Entstehung billigend in Kauf.
  105. (1)
    Zwar mag der Anspruchswortlaut „an der Oberfläche“ bei isolierter Betrachtung auch dahingehend verstanden werden können, dass die erste Dielektrikumschicht unmittelbar auf dem Siliziumsubstrat aufliegen muss. Jedoch ist bei der Auslegung nicht am Wortlaut zu haften, sondern auf den technischen Gesamtzusammenhang abzustellen, den der Inhalt der Patentschrift dem Fachmann vermittelt. Selbst gebräuchliche Fachbegriffe dürfen niemals unbesehen der Auslegung eines technischen Schutzrechts zugrunde gelegt werden; entscheidend ist das fachmännische Verständnis anhand der Beschreibung des Schutzrechts zu ermitteln (BGH, GRUR 1999, 909 – Spannschraube; GRUR 2005, 754 – werkstoff-einstückig; OLG Düsseldorf, Urteil vom 29.10.2015 – I-15 U 25/14). Der Merkmalswortlaut „an einer Oberfläche“ darf hiernach nicht ohne weiteres als ein unmittelbares Anliegen verstanden werden, insbesondere, da ein direkter Kontakt zwischen Substrat und erster Dielektrikumschicht vom Anspruchswortlaut gerade nicht gefordert wird.
  106. (2)
    Dass vielmehr eine dünne Siliziumoxid-Zwischenschicht auf der Substratoberfläche einer Anordnung der ersten Dielektrikumschicht „an der Oberfläche“ nicht entgegensteht, ergibt sich bei der Würdigung der Beschreibung des Verfügungspatents.
  107. (a)
    Grundsätzlich ist ein Verständnis des Anspruchs geboten, das Anspruch und Beschreibung nicht in Widerspruch zueinander bringt, sondern sie als aufeinander bezogene Teile der dem Fachmann mit dem Patent zur Verfügung gestellten technischen Lehre als eines sinnvollen Ganzen versteht (BGH, GRUR 2015, 875, 876 Rn. 16 – Rotorelemente). In der Regel ist davon auszugehen, dass Ausführungsbeispiele vom Patentanspruch erfasst werden. Eine Auslegung des Patentanspruchs, die zur Folge hätte, dass keines der in der Patentschrift geschilderten Ausführungsbeispiele vom Gegenstand des Patents erfasst würde, kommt nur dann in Betracht, wenn andere Auslegungsmöglichkeiten, die zumindest zur Einbeziehung eines Teils der Ausführungsbeispiele führen, zwingend ausscheiden oder wenn sich aus dem Patentanspruch hinreichend deutliche Anhaltspunkte dafür entnehmen lassen, dass tatsächlich etwas beansprucht wird, das so weitgehend von der Beschreibung abweicht (BGH, GRUR 2015, 972 – Kreuzgestänge; BGH, GRUR 2015, 875, 876 Rn. 16 – Rotorelemente; BGH, GRUR 2015, 159 Rn. 26 – Zugriffsrechte).
  108. (b)
    Nach diesen Grundsätzen ergibt sich, dass eine solche Zwischenschicht nicht aus dem Schutzbereich des Verfügungspatents führt. Dem Fachmann war im Prioritätszeitpunkt bekannt, dass bei der Abscheidung der ersten Dielektrikumschicht im ALD-Verfahren eine Zwischenschicht aus Siliziumoxid auf dem Siliziumsubstrats entstehen kann. Gleichwohl beschreibt es ALD als Verfahren zum Abscheiden der ersten Dielektrikumschicht.
  109. (aa)
    Zwar schützt der geltend gemachte Patentanspruch ein Erzeugnis, bei dem es grundsätzlich nicht darauf ankommt, wie es hergestellt wurde. Allerdings geht der Fachmann davon aus, dass er mit den in dem in der Beschreibung erläuterten Verfahren zu einer anspruchsgemäßen Solarzelle gelangt.
  110. Entgegen der Auffassung der Verfügungsbeklagten gilt dies umso mehr nach der Beschränkung des Verfügungspatents, in deren Rahmen die ursprünglich erteilten Verfahrensansprüche gestrichen wurden. Gerade weil nur noch Erzeugnisansprüche eingetragen sind, wird der Fachmann die beschriebenen Herstellungsverfahren im Zusammenhang mit dem beanspruchten Erzeugnis lesen. Dass das beschriebene Verfahren als „nicht beansprucht“ (vgl. Abs. [0011] f.) erläutert wird, steht dem nicht entgegen, da in Abs. [0011] ausdrücklich festgehalten wird: „Ein Verfahren zur Herstellung einer Solarzelle wird nicht beansprucht. Jedoch dient die nachfolgende Beschreibung von Beispielen des nicht beanspruchten Verfahrens zum Herstellen einer Siliziumsolarzelle der Erläuterung der erfindungsgemäßen Solarzelle.“ Vor diesem Hintergrund geht der Fachmann davon aus, dass die Nacharbeitung der beschriebenen Verfahrens zu einer in den Schutzbereich des Verfügungspatents fallenden Solarzelle führt. Bei einem der im Verfügungspatent erläuterten Verfahren bildet sich eine Siliziumoxidschicht zwischen Siliziumsubstrat und der ersten Dielektrikumschicht.
  111. (bb)
    So beschreibt das Verfügungspatent für die Abscheidung der ersten Dielektrikumschicht auch ein ALD-Verfahren, bei dem sich regelmäßig eine Siliziumoxid-Zwischenschicht auf dem Siliziumsubstrat bildet. In Abs. [0023] erörtert das Verfügungspatent drei Verfahren mittels derer eine Aluminiumoxid-Schicht – also eine erste Dielektrikumschicht – auf einer Substratoberfläche aufoxidiert werden kann:
  112. „In einem nachfolgenden Prozessschritt wird die zuvor angelagerte Moleküllage der Aluminium-haltigen Verbindung aufoxidiert. Dies kann zum Beispiel durch umspülen mit Sauerstoff oder einem Sauerstoff-haltigen Gas geschehen. Um die chemischen Reaktionen zu beschleunigen, kann der Sauerstoff in Form eines energiereichen O2-Plasmas zur Verfügung gestellt werden (plasma-unterstützte Abscheidung), wobei es vorteilhaft sein kann, das O2-Plasma nicht direkt über den Substraten sondern in einer separaten Kammer zu zünden und dann zu den Substraten zu leiten (sogenanntes „remote plasma ALD“). Alternativ kann der Sauerstoff bei hohen Temperaturen eingeleitet werden (thermisch unterstützte Abscheidung).“
  113. Bei dem in Abs. [0023] genannten plasma assisted ALD-Verfahren (= plasma-unterstützte Abscheidung) entsteht bei der Herstellung der aluminiumoxid-haltigen, ersten Dielektrikumschicht eine Siliziumoxidschicht an der Oberfläche des Siliziumsubstrats, was dem Fachmann auch bekannt ist – etwa aus einem vom Verfügungspatent in Abs. [0043] zitierten Aufsatz von XXX („M. XXX et al., Atomic layer deposition of oxide thin films with metal alkoxides as oxygen sources, Science 288, 319-321 (2000)“, mit Übersetzung vorgelegt auf S. 29 ff. im Anlagenkonvolut ASt 27). Auch aus anderen Aufsätzen im Stand der Technik hat der Fachmann hiervon Kenntnis, beispielsweise aus zwei Aufsätzen („XXX 2006“, S. 16 ff. im Anlagenkonvolut ASt 27, und „XXX“, S. 1ff. im Anlagenkonvolut ASt 27, auf die der bereits erwähnte, in Abs. [0009] genannte Aufsatz XXX 2007 Bezug nimmt).
  114. (cc)
    Zwar deutet das Verfügungspatent in Abs. [0023] an, das remote plasma ALD-Verfahren zu bevorzugen („vorteilhaft sein kann“), bei dem das Entstehen einer Siliziumoxid-Zwischenschicht verhindert werden kann. Allerdings bietet die Patentbeschreibung des Verfügungspatents keinen Anhaltspunkt dafür, dass nur solche ALD-Verfahren zur Abscheidung der ersten Dielektrikumschicht zulässig sind, bei denen das Entstehen einer Siliziumoxid-Zwischenschicht vermieden wird. Vielmehr entnimmt der Fachmann Abs. [0023], dass auch die Verwendung des (standardmäßigen) plasma assisted ALD-Verfahren zu einer klagepatentgemäßen Solarzelle führt. In den Abs. [0039] ff. beschreibt das Verfügungspatent ein Beispiel bei dem das plasma-assisted ALD-Verfahren (vgl. Abs. [0042]) eingesetzt wird, welches das Verfügungspatent als „aus der Literatur gut bekannt“ bezeichnet. Dabei erläutert das Verfügungspatent die Möglichkeit, das O2-Plasma „oberhalb der zu passivierenden Siliziumoberfläche bzw. in einer separaten Kammer“ zu zünden (Abs. [0040]), wobei es bevorzugt, „dass das Plasma keinen direkten Kontakt zu den Substraten hat“ (Abs. [0042]). Jedenfalls bei der Zündung des O2-Plasmas oberhalb der Substratoberfläche bildet sich zu Anfang des Abscheidungsprozesses eine dünne Siliziumoxid-Schicht auf der Substratoberfläche. Gleichwohl gibt das Verfügungspatent keinen Anhaltspunkt dafür, dass dies vermieden werden muss, um die patentgemäße Lehre auszuführen. Wie bereits ausgeführt wird der Fachmann dies auch auf die beanspruchte Solarzelle beziehen, gerade weil das Herstellungsverfahren nicht mehr beansprucht ist.
  115. Anschließend nennt das Verfügungspatent in Abs. [0043] eine weitere Alternative zur Abscheidung der Aluminiumoxid-Schicht, nämlich ein „thermisches ALD“. Hierfür verweist das Verfügungspatent auf den bereits erwähnten Aufsatz von XXX (S. 29 ff. Anlagenkonvolut ASt 27). Nach diesem Aufsatz kann sich beim ALD-Verfahren „leicht eine dünne SiO2-Zwischenschicht“ bilden, was abermals bestätigt, dass dieses Phänomen dem Verfügungspatent bewusst und dem Fachmann im Prioritätszeitpunkt bekannt war. Vor diesem Hintergrund wird in XXX ein modifiziertes ALD-Verfahren beschrieben, dass eine solche Zwischenschicht verhindern soll.
  116. Dies führt aber nicht dazu, dass der Fachmann eine Siliziumoxid-Zwischenschicht für unzulässig erachtet. Die Verwendung eines Abscheidungsverfahrens, bei dem eine Siliziumoxid-Zwischenschicht vermieden wird, ist nur als eine alternative, möglicherweise bevorzugte Herstellungsmethode beschrieben; gleichwohl ist auch die Verwendung von Herstellungsverfahren mittels anderer ALD-Variante beschreiben, bei denen sich bei der fertigen Solarzelle eine Siliziumoxidschicht zwischen Substrat und erster Dielektrikumschicht befindet. Das Verfügungspatent enthält keine Hinweise, dass das „thermische ALD“ verwendet werden kann; es ist allenfalls bevorzugt.
  117. (dd)
    Es lassen sich dem Verfügungspatent auch im Übrigen keine Anhaltspunkte dafür entnehmen, dass nur ein Teil der beschriebenen Abscheidungsverfahren zur Herstellung einer patentgemäßen Solarzelle zulässig sein könnten. Insbesondere wird das (standardmäßige) plasma-assisted ALD-Verfahren nicht ausgeschlossen – bei dem sich aber eine Siliziumoxid-Zwischenschicht bildet. Dem Wortsinn des Anspruchs kann derartiges nicht entnommen werden.
  118. (3)
    Es existieren auch keine funktionalen Gründe dafür, „an der Oberfläche“ auf einen unmittelbaren Kontakt zu beschränken. Vielmehr wird die patentgemäße Funktion von Merkmal 2.1 im Gesamtgefüge des Anspruchs auch dann erreicht, wenn eine dünne Siliziumoxid-Zwischenschicht vorhanden ist.
  119. Merkmale und Begriffe in der Patentschrift sind grundsätzlich so auszulegen, wie dies angesichts der ihnen nach dem offenbarten Erfindungsgedanken zugedachten technischen Funktion angemessen ist (BGH, GRUR 1999, 909 – Spannschraube; BGH, GRUR 2009, 655 – Trägerplatte). Insbesondere kommt es darauf an, welche – nicht nur bevorzugten, sondern zwingenden – Vorteile mit dem Merkmal erzielt und welche Nachteile des vorbekannten Standes der Technik – nicht nur bevorzugt, sondern zwingend – mit dem Merkmal beseitigt werden sollen (vgl. OLG Düsseldorf, GRUR 2000, 599 – Staubsaugerfilter; OLG Düsseldorf, Urteil vom 08.07.2014 – 15 U 29/14).
  120. Das Verfügungspatent gibt dem Fachmann keinen Anhaltspunkt dafür, dass die Anordnung der ersten Dielektrikumschicht unmittelbar an der Oberfläche des Siliziumsubstrats vorteilhaft ist oder gar eine zwingend zu erreichende Eigenschaft der beanspruchten Vorrichtung sein soll. Vielmehr werden die Vorteile der patentgemäßen Lehre unabhängig davon erreicht, ob sich eine dünne Siliziumoxid-Zwischenschicht auf dem Substrat befindet.
  121. (a)
    Die aluminiumoxid-aufweisende Dielektrikumschicht soll die Oberfläche des Siliziumsubstrats passivieren und so Rekombinationen dort verhindern. Hierbei wirkt die dielektrische Schicht über ein elektrisches Feld passivierend. Dieser setzt zwar eine Nähe zur Substratoberfläche voraus, da das Feld nicht räumlich unbegrenzt wirkt, so dass die erste Dielektrikumschicht nicht beliebig in Bezug auf die Substratoberfläche angeordnet werden kann (was auch der Anspruchswortlaut nicht zuließe). Gleichwohl ist ein unmittelbares Anliegen aus funktionalen Gründen nicht erforderlich.
  122. (b)
    Entsprechendes gilt für die Passivierung durch die zweite Dielektrikumschicht – auch insoweit wird die patentgemäße Funktion durch eine dünne Siliziumoxid-Zwischenschicht nicht beeinträchtigt.
  123. Merkmal 2.1 trägt im Gesamtzusammenhang des Anspruchs dazu bei, dass die zweite Dielektrikumschicht nahe an der Substratoberfläche anzuordnen ist. Mit der Anordnung der ersten Dielektrikumschicht an der Oberfläche des Substrats nach Merkmal 2.1 bestimmt das Verfügungspatent nämlich mittelbar gleichermaßen die räumliche Anordnung der zweiten Dielektrikumschicht, die sich nach Merkmal 3.1 wiederum an der Oberfläche der ersten Dielektrikumschicht befinden soll. Ferner soll die erste Dielektrikumschicht nach Merkmal 2.3 weniger als 50 nm dick sein, was die Distanz zwischen der zu passivierenden Substratoberfläche und der zweiten Dielektrikumschicht begrenzt.
  124. Das Verfügungspatent beschreibt die erste Dielektrikumschicht entsprechend als „ultradünne“ Al2O3-Schicht (Abs. [0015]), durch welche die Wasserstoffatome diffundieren können, die nach Merkmal 3.2 in der zweiten Dielektrikumschicht eingelagert sind. Die Wasserstoffatome sollen nach der patentgemäßen Lehre zur Substratoberfläche wandern, um dort „unabgesättigte Silizium-Bindungen passivieren“ (Abs. [0015]) zu können.
  125. Dies wird durch eine Siliziumoxid-Zwischenschicht von wenigen nm Dicke nicht relevant beeinflusst. Auch wenn das Verfügungspatent Dicken der ersten Dielektrikumschicht von weniger als 30 nm oder sogar weniger als 10 nm bevorzugt, wie der beschränkt aufrecht erhaltene Unteranspruch 4 und Abs. [0031] zeigen, bewegen sich Dicken bis zu 50 nm nach Merkmal 2.3 noch im Rahmen der beanspruchten Lehre. Demgegenüber fallen nur wenige Nanometer dicke Schichten nicht ins Gewicht.
  126. Hieraus folgert der Fachmann, dass es auch für die Passivierungswirkung der zweiten Dielektrikumschicht keine Rolle spielt, ob eine Siliziumoxid-Zwischenschicht vorhanden ist.
  127. (c)
    Ungeachtet dessen ermöglicht die Dünne der ersten Dielektrikumschicht eine Verkürzung des Abscheidungsprozesses. Auch für diesen Vorteil der patentgemäßen Lehre spielt das Vorhandensein einer Siliziumoxid-Zwischenschicht keine Rolle. Gleiches gilt für die anderen vom Verfügungspatent angestrebten Ziele – wie die Temperaturfestigkeit. Hierauf hat eine Zwischenschicht keinen unmittelbaren Effekt.
  128. (4)
    Abgesehen davon, dass das Verfügungspatent ALD-Verfahren beschreibt, bei denen eine Siliziumoxid-Zwischenschicht entsteht, verhält sich das Verfügungspatent nicht zur Zulässigkeit einer solchen Schicht. Ohne hinreichend erkennbaren Ausschluss einer solchen Zwischenschicht geht der Fachmann aber davon aus, dass ihr Vorhandensein, das naturgemäß bei Nacharbeitung der beschriebenen Beispiele auftritt, nicht aus dem Schutzbereich herausführt.
  129. (a)
    In der Diskussion des Standes der Technik in Abs. [0003] erörtert das Verfügungspatent zwar gezielt per Hochtemperaturoxidation hergestellte Siliziumoxid-Passivierungsschicht. Die Kritik des Verfügungspatents richtet sich aber insoweit nicht gegen diese Schicht per se, sondern den Mehraufwand bei deren Herstellung (Abs. [0003]) und die hierfür erforderlichen hohen Temperaturen, die zu Wirkungsgradverlusten führen (Abs. [0004]).
  130. (b)
    Auch der übrigen Beschreibung des Verfügungspatents entnimmt der Fachmann kein Verständnis, wonach eine Siliziumoxid-Zwischenschicht zwingend zu vermeiden ist. Zwar nennt Abs. [0015] als Schlüssel das Verständnis der vorteilhaften Eigenschaften „der erfindungsgemäßen Stapelschicht“ die Kombination einer „im Idealfall atomar ebenen Si/Al2O3-Grenzfläche, die beim ALD-Prozess naturgemäß entsteht,“ mit einer bestimmten, zweiten dielektrischen Schicht. Eine „atomar ebene“ Grenzfläche wird aber bereits nur als „Idealfall“ dargestellt – und nicht als zwingendes Merkmal der beanspruchten Lehre. Weiterhin versteht der Fachmann eine Grenzfläche, die beim ALD-Prozess naturgemäß entsteht vor dem oben dargestellten Hintergrund so, dass hierbei auch eine Siliziumoxidzwischenschicht entsteht.
  131. (c)
    Der Zulässigkeit einer Siliziumoxid-Zwischenschicht steht aus Sicht des Fachmanns Abs. [0020] ebenfalls nicht entgegen, gemäß dem vor dem Abscheiden der ersten Dielektrikumschicht die Oberfläche des Siliziumsubstrates gründlich gereinigt werden kann. Damit sollen Verschmutzungen vermieden werden, welche die abgeschiedene Dielektrikumschicht stören könnten. Zum einen wird die Reinigung der Oberfläche hier nur als Option beschrieben („kann“), so dass der Fachmann aus Abs. [0020] bereits keine zwingende Vorgabe entnehmen kann. Zum anderen wird in Abs. [0020] nicht beschrieben, wie man das Entstehen einer Siliziumoxid-Zwischenschicht bei Anwendung des ALD-Verfahrens vermeiden kann.
  132. bb)
    Für die Frage der Verwirklichung von Merkmal 2.1 spielt es keine Rolle, ob die zwischen Siliziumsubstrat und erster Dielektrikumschicht befindliche Siliziumoxidschicht beim ALD-Verfahren (beiläufig) entstanden ist oder gezielt thermisch aufgewachsen wurde.
  133. Für sich genommen ist die Art und Weise der Herstellung der Siliziumoxidschicht oder, ob diese beiläufig oder gezielt entstanden ist, im Rahmen der Frage der Patentverletzung nicht relevant. Für den geltend gemachten Erzeugnisanspruch kommt es bei der Verletzungsprüfung grundsätzlich nicht darauf an, wie die fragliche Ausführungsform hergestellt wurde. Dieser Aspekt kann nur mittelbar relevant werden, wenn sich das Herstellungsverfahren auf die für das Verfügungspatent relevanten Eigenschaften der fertigen Vorrichtung auswirkt. Vorliegend ist nicht ersichtlich, dass sich die gezielt aufgetragene Siliziumoxid-Zwischenschicht sich in ihren für das Verfügungspatent relevanten Eigenschaften von einer solchen Schicht unterscheidet, die beiläufig entstanden ist. Bei einem Erzeugnispatent macht es keinen Unterschied, ob die patentgemäßen Merkmale dem Erzeugnis bewusst oder unbewusst hinzugefügt wurden.
  134. 2.
    Auf der Grundlage des vorstehenden Verständnisses der geschützten Lehre verwirklichen die angegriffenen Ausführungsformen den geltend gemachten Anspruch 1.
  135. a)
    Bei den angegriffenen Ausführungsformen befindet sich eine Aluminiumoxid-aufweisende Dielektrikumschicht „an der Oberfläche“ eines Siliziumsubstrats im Sinne von Merkmal 2.1. Wie oben dargelegt worden ist, steht dem nicht entgegen, dass sich zwischen dem Siliziumsubstrat und der Aluminiumoxid-Schicht ein Bereich von 1,5 nm Dicke befindet, die aus Siliziumoxid besteht und nicht zur Aluminiumoxid-Schicht (also der ersten Dielektrikumschicht) gehört. Die Kammer geht von einer Dicke von 1,5 nm aus, welche die Verfügungsklägerin durch Messungen ermittelt hat, deren Richtigkeit die Verfügungsbeklagten nicht in Abrede gestellt haben. Vielmehr hat sie selbst vorgetragen und glaubhaft gemacht, dass die betreffende Schicht eine Dicke von 1 – 4 nm habe, in deren Rahmen sich der gemessene Wert hält. Im Übrigen wäre auch eine Dicke von 4 nm noch im Rahmen der Lehre von Merkmal 2.1.
  136. Die übrigen Vorgaben von Merkmalsgruppe 2, die nicht die Anordnung auf der Oberfläche des Siliziumsubstrats betreffen, sind in den angegriffenen Ausführungsformen unstreitig verwirklicht.
  137. b)
    Die Verwirklichung der übrigen Merkmale des geltend gemachten Anspruchs ist zwischen den Parteien im Ergebnis zu Recht unstreitig. Soweit die Parteien leicht unterschiedliche Angaben zu der Dicke der beiden Dielektrikumschichten gemacht haben, kann dies dahingestellt bleiben. Nach dem Vortrag beider Parteien weist nämlich die erste Dielektrikumschicht – wie von Merkmal 2.3 verlangt – eine Dicke von weniger als 50 nm auf, während die Dicke der zweite Dielektrikumschicht im Einklang mit Merkmal 3.3 mehr als 50 nm beträgt.
  138. c)
    Soweit die Verfügungsbeklagte darauf verweist, dass der Aufbau der angegriffenen Ausführungsformen der Lehre der CN XXXU (Anlage AGG 3/3Ü) ihrer Muttergesellschaft entspreche, steht dies einer Patentverletzung nicht entgegen.
  139. 3.
    Die Verfügungsbeklagte verletzt durch Angebot und Vertrieb der – wie gesehen – verfügungspatentgemäßen angegriffenen Ausführungsformen im Inland das Verfügungspatent. Die Verfügungsbeklagte hat den Vortrag der Verfügungsklägerin nicht bestritten, dass sie die angegriffenen Ausführungsformen in Deutschland vertreibt.
  140. II.
    Ein für den Erlass einer einstweiligen Verfügung erforderlicher Verfügungsgrund im Sinne von § 935 ZPO ist zu bejahen.
  141. Gemäß §§ 935, 940 ZPO setzt der Erlass einer einstweiligen Verfügung voraus, dass die Verwirklichung des Rechts einer Partei vereitelt oder wesentlich erschwert wird oder sie zur Abwendung wesentlicher Nachteile für das Recht erforderlich erscheint. Entscheidend für das Vorliegen eines solchen Verfügungsgrundes ist, ob es dem Antragsteller nicht zugemutet werden kann, ein Hauptsacheverfahren durchzuführen und in diesem auf den Erlass eines Vollstreckungstitels zu warten (OLG Düsseldorf, GRUR-RR 2017, 477 Rn. 13 – Vakuumgestütztes Behandlungssystem; OLG Mannheim, InstGE 11, 143 – VA-LCD-Fernseher). Dies setzt neben der Dringlichkeit der Sache grundsätzlich eine Abwägung zwischen den schutzwürdigen Belangen des Antragstellers und den schutzwürdigen Interessen des Antragsgegners voraus (OLG Düsseldorf, InstGE 9, 140 Rn 24 – Olanzapin; OLG Düsseldorf, GRUR-RR 2017, 477 Rn. 1 – Vakuumgestütztes Behandlungssystem; LG Düsseldorf, Urteil vom 21.09.2022 – 4b O 23/22; Schulte/Voß, PatG 11. Aufl.: § 139 Rn. 439; Cepl/Voß, ZPO 2. Aufl., § 940 Rn. 64; Benkard/Grabinski/Zülch, PatG 11. Aufl.: § 139 Rn 153a).
  142. Vorliegend liegt ein Verfügungsgrund vor (hierzu unter 1.), wobei auch die Dringlichkeit nicht durch ein zögerliches Verhalten der Verfügungsklägerin entfallen ist (hierzu unter 2.).
  143. 1.
    Bei der hiernach im Rahmen der Prüfung des Verfügungsgrunds erforderlichen Gesamtabwägung sind alle Gesichtspunkte des Einzelfalls zu berücksichtigen, wobei besonderes Augenmerk auf den Rechtsbestand des Verfügungsschutzrechts und auf die drohenden Schäden auf Seiten des Patentinhabers zu richten ist. Aber auch das Ausmaß der Schäden auf Seiten des Verletzers für den Fall, dass die einstweilige Verfügung wieder aufgehoben werden muss, ist zu berücksichtigen. Der Umstand, dass eine einstweilige Verfügung insbesondere dann wieder aufzuheben ist, wenn sich das Verfügungsschutzrecht als nicht rechtsbeständig erweist, verdeutlicht dabei die Wichtigkeit des gesicherten Rechtsbestands.
  144. a)
    Der Antragsgegner hat ein legitimes Interesse daran, dass er nicht Handlungen auf Grundlage eines Schutzrechts unterlassen muss, das sich später als nicht rechtsbeständig erweist. Dies gilt umso mehr, je größer der drohende Schaden aufgrund der erzwungenen Unterlassung ist. Ist dagegen der Rechtsbestand des Verfügungsschutzrechts ausreichend gesichert oder ist er nicht angegriffenen worden, so überwiegt grundsätzlich das Interesse des Patentinhabers an der Unterlassung der Patentverletzung.
  145. Von einem hinreichend gesicherten Rechtsbestand kann insbesondere dann ausgegangen werden, wenn das Verfügungspatent in einem Einspruchs- oder Nichtigkeitsverfahren erstinstanzlich aufrecht erhalten wurde (vgl. OLG Düsseldorf, InstGE 9, 140 Rn. 28 – Olanzapin; OLG Düsseldorf, InstGE 10, 114 Rn 18 – Harnkatheterset) oder ein Vorbescheid des EPA oder BPatG ergangen ist, der eine solche Aufrechterhaltung hinreichend sicher in Aussicht stellt (OLG Düsseldorf, GRUR-RR 2021, 249 – Cinacalcet II). Allerdings hat die Rechtsprechung bereits vor der Entscheidung Phoenix Contact/Harting des EuGH (GRUR 2022, 811) einen für den Erlass einer einstweiligen Verfügung hinreichend gesicherten Rechtsbestand auch ohne erstinstanzliche Entscheidung im Rechtsbestandsverfahren angenommen – so etwa wenn sich die im Einspruchs- oder Nichtigkeitsverfahren vorgebrachten Einwendungen bei summarischer Prüfung als haltlos erweisen (OLG Düsseldorf InstGE 12, 114 Rn 18 – Harnkatheterset), das Erteilungsverfahren aufgrund Einwendungen Dritter wie ein kontradiktorisches Verfahren geführt wurde oder sich der gesicherte Rechtsbestand etwa dadurch ersehen lässt, dass namhafte Konkurrenten Lizenzen an dem Verfügungsschutzrecht genommen haben oder diese keine Rechtsbestandsverfahren initiiert haben, obwohl dies bei Zweifeln am Rechtsbestand zu erwarten wäre (vgl. OLG Düsseldorf, InstGE 12, 114, 121 – Harnkatheterset; OLG Düsseldorf, Urteil vom 11.01.2018 – I-15 U 66/17 = GRUR-RS 2018, 1291 Rn. 45; Kühnen, Hdb. der Patentverletzung, 14. Aufl. 2022, Kap. G Rn. 58 ff.). Darüber hinaus kann nach einer Gesamtabwägung eine einstweilige Unterlassungsverfügung auch dann ergehen, wenn der Rechtsbestand des Verfügungspatents nicht auf einer der vorgenannten Arten gesichert ist, wenn außergewöhnliche Umstände vorliegen. Solche Umstände können sich ergeben, wenn die Marktsituation oder die aus der Schutzrechtsverletzung drohenden Nachteile ein Zuwarten des Patentinhabers oder ein Hauptsacheverfahren unzumutbar machen. Derartiges gilt insbesondere bei Verletzungshandlungen von Generikaunternehmen (OLG Düsseldorf, GRUR-RR 2021, 249, 252 Rn. 22 – Cinacalcet II).
  146. Liegen solche Umstände vor, kann eine einstweilige Verfügung erlassen werden, wenn aus Sicht des Verletzungsgerichts die besseren Argumente für die Patentfähigkeit sprechen oder – mit Rücksicht auf die im Rechtsbestandsverfahren geltende Beweisverteilung – die Frage der Patentfähigkeit mindestens ungeklärt bleibt, so dass das Verletzungsgericht, wenn es in der Sache selbst zu befinden hätte, den Rechtsbestand zu bejahen hätte (OLG Düsseldorf, Urteil vom 11.01.2018 – I-15 U 66/17 = GRUR-RS 2018, 1291 Rn. 57; OLG Düsseldorf, GRUR-RR 2021, 249, 252 Rn. 22 – Cinacalcet II). Letztlich sind alle relevanten Umstände stets in eine Gesamtabwägung einzubeziehen.
  147. b)
    Vorliegend fällt die vorzunehmende Interessenabwägung zugunsten der Verfügungsklägerin aus. Hierbei muss die Frage, unter welche (Rechtsbestands-) Anforderungen eine einstweilige Verfügung erlassen werden kann, da der Rechtsbestand des Verfügungspatents ausreichend gesichert ist, nachdem dieses von der Einspruchsabteilung (beschränkt) aufrechterhalten worden ist (hierzu unter aa)). Die Verfügungsklägerin, bei der es sich um eine Konkurrentin der Verfügungsbeklagten auf dem Markt für Solarzellen handelt, hat ein legitimes Interesse die patentverletzenden Aktivitäten der Verfügungsbeklagten zu unterbinden (hierzu unter bb)). Schließlich ist nicht ersichtlich, dass auf Seiten der Verfügungsbeklagten derartig schwerwiegende Schäden drohen, die dem Erlass der Unterlassungsverfügung hier ausnahmsweise entgegenstehen könnten (hierzu unter cc)).
  148. aa)
    Aufgrund der Entscheidung der Einspruchsabteilung ist der Rechtsbestand des Verfügungspatents hier in einem hohen Maße gesichert, was im Rahmen der Gesamtabwägung für den Erlass der einstweiligen Verfügung spricht. Die Verfügungsbeklagte hat ebenso wenig vorgebracht, dass die Entscheidung der Einspruchsabteilung unzutreffend ist. Auch im Übrigen gibt es keinen Anlass, trotz der Entscheidung der Einspruchsabteilung den Rechtsbestand in Zweifel zu ziehen. Einen für die Kammer offensichtlichen Fehler der Einspruchsentscheidung, die in einem intensiv geführten Einspruchsverfahren ergangen ist, kann schon deshalb nicht ersehen werden, da die Gründe für die Entscheidung noch nicht vorliegen (vgl. OLG Düsseldorf, Urteil vom 09.07.2021 – I-2 U 3/21 = GRUR-RS 2021, 32434 – Cinacalcet III).
  149. bb)
    Aufgrund der festgestellten Patentverletzung und dem gesicherten Rechtsbestand besteht bereits ein überwiegendes Interesse der Verfügungsklägerin am Erlass der begehrten Verfügung. Auch die weiteren in die Gesamtabwägung einzustellenden Aspekte sprechen hierfür. Die Verfügungsklägerin hat insbesondere ein dringendes Interesse, die patentverletzenden Handlungen der Verfügungsbeklagten zu unterbinden. Sie hat glaubhaft gemacht, dass ihre Marktchancen aufgrund der Preispolitik der Verfügungsbeklagten im Hinblick auf die angegriffenen Ausführungsformen empfindlich verringert sind.
  150. Es kommt nicht auf die zwischen den Parteien streitige Frage an, ob die angegriffenen Ausführungsformen Auslaufmodelle sind. Dies stünde dem Interesse der Verfügungsklägerin hier nicht entgegen, da die Menge der schon oder noch produzierten Produkte nicht beziffert ist und unklar bleibt, wann diese Produkte von der Verfügungsbeklagten nicht mehr vertrieben werden sollen. Ohnehin gilt die vorliegende Entscheidung nicht nur für die drei von der Verfügungsklägerin genannten Modelle, sondern auch für kerngleiche Varianten, etwa in Bezug auf die patentgemäße Lehre identische Nachfolgermodelle. Die Verfügungsbeklagte hat nicht dargetan, dass solche Varianten nicht existieren und auch nicht geplant sind.
  151. cc)
    Schließlich hat die Verfügungsbeklagte kein besonderes Interesse gegen den Erlass der einstweiligen Verfügung dargetan. Sie hat zu den ihr drohenden Schäden aufgrund der beantragten Verfügung nicht konkret vorgetragen. Gegen besonders schwere Schäden spricht bereits, dass es sich bei den angegriffenen Ausführungsformen nach dem Vortrag der Verfügungsbeklagten wie gesehen um Auslaufmodelle handelt, deren Produktion eingestellt ist bzw. wird. Die Verfügungsbeklagte hat auch nicht konkret dazu vorgetragen, inwiefern sie die Untersagung wirtschaftlich treffen würde. Schließlich ist im Rahmen der Interessenabwägung zu berücksichtigen, dass die Verfügungsbeklagte durch die Sicherheitsleistung für die Vollziehung der einstweiligen Verfügung (siehe unten) geschützt ist.
  152. 2.
    Auch die für den Verfügungsgrund erforderliche Dringlichkeit ist gegeben.
  153. Eine solche Dringlichkeit erfordert, dass der Antragsteller mit der Einleitung des einstweiligen Verfügungsverfahrens nicht ungebührlich lange zugewartet und hierdurch zu erkennen gegeben hat, dass er seine Rechte nur zögerlich verfolgt und eines umgehenden Verbots tatsächlich nicht bedarf (OLG Düsseldorf, GRUR-RR 2013, 236 – Flupirtin-Maleat; OLG Düsseldorf, GRUR-RR 2017, 477 – Vakuumgestütztes Behandlungssystem). Wann die Dringlichkeit zu verneinen ist, lässt sich nicht anhand fester Fristen, sondern nur unter Berücksichtigung sämtlicher Umstände des Einzelfalls bestimmen, was je nach konkreter Sachlage zu einem kürzeren oder längeren Zeitraum führen kann. Der Antragsteller braucht bei der Rechtsverfolgung keinerlei Risiko einzugehen. Er darf sich auf jede mögliche prozessuale Situation, die nach Lage der Umstände eintreten kann, vorbereiten, so dass er – wie auch immer sich der Antragsgegner einlassen und verteidigen mag – darauf eingerichtet ist, erfolgreich zu erwidern und die nötigen Glaubhaftmachungsmittel präsentieren zu können (OLG Düsseldorf, Beschluss vom 15.02.2021 – I-2 W 3/21 = GRUR-RS 2021, 2572 Rn. 17 – Cinacalcet I). Dies gilt auch dann, wenn sich die Maßnahmen des Antragstellers zur Aufklärung und Glaubhaftmachung im Nachhinein angesichts der vor Einleitung des gerichtlichen Verfahrens für den Antragsteller noch nicht vorhersehbaren Einlassung des Antragsgegners als nicht erforderlich erweisen sollten (OLG Düsseldorf, GRUR-RS 2021, 32434 – Cinacalcet IV). Sobald der Antragsteller über alle Kenntnisse und Glaubhaftmachungsmittel verfügt, die verlässlich eine aussichtsreiche Rechtsverfolgung ermöglichen, muss er den Verfügungsantrag innerhalb eines Monats anbringen (OLG Düsseldorf, GRUR-RS 2021, 19458 Rn. 24 – Cinacalcet III).
  154. a)
    Der Patentinhaber darf dabei grundsätzlich die erstinstanzliche Aufrechterhaltung des Verfügungspatents in einem Einspruchs- oder Nichtigkeitsverfahren abwarten, ohne die Dringlichkeit für eine einstweilige Verfügung zu riskieren (hierzu unter aa). Es sind auch keine Gründe ersichtlich, warum die Verfügungsklägerin hier im Einzelfall ausnahmsweise nicht die Entscheidung der Einspruchsabteilung abwarten durfte (hierzu unter bb).
  155. aa)
    Der bereits dargelegte Grundsatz, dass der Antragsteller bei der Rechtsverfolgung keinerlei Risiko eingehen muss, gilt nicht nur für die Glaubhaftmachung der Schutzrechtsverletzung, sondern auch für die Frage des Rechtsbestands des Verfügungspatents. Auch nach Verkündung der Entscheidung des EuGH in der Sache Phoenix Contact / Harting (GRUR 2022, 811) am 28.04.2022, wonach es europarechtlich unzulässig ist, wenn „der Erlass einstweiliger Maßnahmen wegen der Verletzung von Patenten grundsätzlich verweigert wird, wenn das in Rede stehende Patent nicht zumindest ein erstinstanzliches Einspruchs- oder Nichtigkeitsverfahren überstanden hat“, muss ein Patentinhaber grundsätzlich nicht vor einer erstinstanzlichen Entscheidung im Rechtsbestandsverfahren eine einstweilige Verfügung beantragen, um die Dringlichkeit zu wahren. Die vom EuGH behandelte Frage, unter welchen Voraussetzungen eine einstweilige Verfügung vom Gericht verweigert werden darf, ist zu trennen von der hier zu entscheidenden Frage, unter welchen Voraussetzungen ein Patentinhaber eine einstweilige Verfügung beantragen muss, um nicht die Dringlichkeit zu riskieren. Auch wenn eine einstweilige Verfügung ohne erstinstanzliche Bestätigung des Rechtsbestands des Verfügungsschutzrechts ergehen kann (was grundsätzlich auch vor der EuGH-Entscheidung galt), ist das Risiko einer Zurückweisung des Verfügungsantrags sicherlich geringer, wenn der Rechtsbestand hinreichend gesichert ist. Der Rechtsbestand des Verfügungspatents ist nämlich – wie oben dargelegt – ein gewichtiger Faktor im Rahmen des Verfügungsgrunds, so dass die erstinstanzliche Bestätigung des Rechtsbestands die Chancen auf ein Obsiegen des Antragstellers steigert. Es wäre auch nicht sachgerecht, wenn aufgrund der EuGH-Entscheidung Patentinhaber ihre Schutzrechte wegen mangelnder Dringlichkeit nicht mehr im Wege einer einstweiligen Verfügung geltend machen könnten, sofern sie sichergehen wollen, dass das Verfügungsschutzrecht rechtsbeständig ist und deshalb eine Entscheidung im Einspruchs- oder Nichtigkeitsverfahren abwarten. Schließlich liegt es nicht zuletzt im Interesse des Verfügungsbeklagten, nicht im summarischen Verfahren der §§ 935 ff. ZPO aus einem technischen Schutzrecht in Anspruch genommen zu werden, das sich später als von Anfang an nichtig herausstellt. Schließlich liegt mit dem Erlass der erstinstanzlichen Entscheidung ein neuer Sachverhalt vor, der allein für sich genommen nicht dinglichkeitsschädlich sein kann (vgl. OLG Düsseldorf, Urteil vom 27.10.2022 – I-15 U 58/22).
  156. Bei diesem Ergebnis bleibt es grundsätzlich auch dann, wenn sich annehmen lässt, dass der Verfügungsantrag möglicherweise bereits vor der Bestätigung des Rechtsbestands hätte erfolgreich angebracht werden können. Unabhängig davon, ob sich derartiges rückblickend überhaupt prognostizieren lässt, ist das Risiko einer Zurückweisung des Verfügungsantrag vor der Entscheidung im Rechtsbestandsverfahren tendenziell größer als nach der Aufrechterhaltung des Schutzrechts. Etwas anders mag gelten, wenn die erstinstanzliche Bestätigung des Rechtsbestands so sicher zu erwarten ist, dass ein Abwarten im Einzelfall auf ein zögerliches Verhalten schließen lässt. Gleiches mag auch dann gelten, wenn aufgrund besonderer Umstände ausnahmsweise die Rechtsbestandsentscheidung keine relevanten Einfluss auf die Erfolgsaussichten eine Verfügungsantrags besitzt, was aber nur in absoluten Ausnahmefällen denkbar erscheint.
  157. Nach diesen Grundsätzen hat sich die Verfügungsklägerin nicht dringlichkeitsschädlich verhalten. Sie hat den Verfügungsantrag am 28.10.2022 und damit innerhalb eines Monats nach der Entscheidung der Einspruchsabteilung am 29.09.2022 bei Gericht eingereicht.
  158. bb)
    Es existieren – insbesondere aus dem Gang des Einspruchsverfahrens – keine Gründe, warum die Verfügungsklägerin im vorliegenden Einzelfall nicht auf die Entscheidung der Einspruchsabteilung im September 2022 abwarten durfte.
  159. Vor der Entscheidung der Einspruchsabteilung in der dritten mündlichen Verhandlung am 28/29.09.2022 war der Rechtsbestand nicht im gleichen Maße gesichert wie nach der Aufrechterhaltung. Bis zur Entscheidung bestand ein relevantes Risiko, dass die einstweilige Verfügung zurückgewiesen wird, weil der Rechtsbestand vom Verletzungsgericht als nicht ausreichend gesichert angesehen wird. Im hiesigen Fall lagen keine besonderen Umstände – wie ein sehr großer drohender Schaden – vor, die den nicht gesicherten Rechtsbestands kompensieren hätten können.
  160. (1)
    Soweit die Verfügungsbeklagten auf den Bescheid der Einspruchsabteilung vom 06.11.2017 (Anlage AGG 5) verweist, kann hieraus kein gesicherter Rechtsbestand hergeleitet werden. Diese Entscheidung war aufgrund der rückwirkenden Unterbrechung des Einspruchsverfahrens unwirksam und nicht abschließend, wie aus dem als Anlage ASt 28 (vgl. S. 4) vorgelegten Urteil aus dem parallelen Hauptsacheverfahren hervorgeht Der dortige Hilfsantrag 3 entspricht zudem nicht der jetzt aufrechterhalten Anspruchsfassung, die das zusätzliche Merkmal aufweist, dass sich die erste Dielektrikumschicht auf der lichtabgewandten Rückseite befindet. Schließlich ist nicht dargetan, dass die Verfügungsklägerin schon 2017 Kenntnis von den angegriffenen Ausführungsformen hatte.
  161. (2)
    Weiterhin ist nicht ersichtlich und wird auch von der Verfügungsbeklagten nicht geltend gemacht, dass die Verfügungsklägerin nach der Ladung (Anlage ASt 15) zur Einspruchsverhandlung am 25./26.03.2021 die beschränkte Aufrechterhaltung ausreichend sicher prognostizieren konnte. In dem Bescheid (Ladung) äußerte die Einspruchsabteilung Zweifel am Rechtsbestand des damaligen Vorrichtungsanspruchs 9 und dem Hilfsantrag 1, verhielt sich aber nicht zum später aufrechterhaltenen Hilfsantrag mit der jetzt geltend gemachten Anspruchsfassung.

    (3)
    Schließlich durfte die Verfügungsklägerin auch nach der mündlichen Einspruchsverhandlung im März 2021 und der zunächst erfolgten Ladung (vom 13.04.2021, Anlage ASt 16) zu der dritten mündlichen Einspruchsverhandlung mit der Stellung eines Verfügungsantrags abwarten, ohne die Dringlichkeit zu riskieren. Zwar hat die Einspruchsabteilung in der Verhandlung und der Ladung die Aufrechterhaltung des jetzt geltend gemachten Anspruchs in Aussicht gestellt. Allerdings hat sie hierüber noch nicht entschieden, da die Zeit für die Anpassung der Patentbeschreibung in der Einspruchsverhandlung gefehlt hat. Die Verfügungsklägerin musste nicht das Risiko eingehen, dass die Einspruchsabteilung ihre – notwendigerweise nicht abschließende Meinung – wieder ändert.

  162. (a)
    Dies gilt insbesondere, da das Vorbringen neuer Einspruchsgründe bzw. Entgegenhaltungen nicht ausgeschlossen war. Dass noch keine Entscheidung gefallen war, belegt der Bescheid der Einspruchsabteilung vom 17.02.2022 (S. 1 f., Anlage AGG 9), in dem diese ausführt:
  163. „lm gegenwärtigen Fall liegt jedoch lediglich ein Abschluss der Diskussion durch die Einspruchsabteilung vor, dessen Rückgängigmachung im Ermessen der Einspruchsabteilung liegt, sofern verfahrensrelevante Gründe dafür vorliegen.“ (…)
  164. „Eine Wiedereröffnung erfolgt nur im Ausnahmefall, sofern dies entscheidungswesentlich erscheint, und liegt im Ermessen der Einspruchsabteilung (siehe z.B. T577/11).“
  165. Damit bestand jedenfalls die Möglichkeit, dass neuer Stand der Technik vorgelegt wird, der dann auch Berücksichtigung findet.
  166. (b)
    Weiterhin konnte die Verfügungsklägerin nicht ausschließen, dass weitere Einsprechende dem Einspruchsverfahren beitreten und neue Einspruchsgründe geltend machen. Nach Art. 105 EPÜ kann ein Dritter dem Einspruchsverfahren auch nach Ablauf der Einspruchsfrist beitreten, wenn gegen ihn Verletzungsklage aus diesem Patent erhoben worden ist. Dieses Risiko hat sich dann auch mit dem Beitritt von A zum Einspruchsverfahren am 17.06.2021 mit neuen Rechtsbestandsangriffen realisiert, in dessen Folge die Einspruchsverhandlung verlegt wurde (vgl. Anlage ASt 19).
  167. (c)
    Für ein Abwarten sprach zudem, dass das Oberlandesgericht Düsseldorf mit Verfügung vom 07.04.2021 die angesetzte Berufungsverhandlungen in den parallelen Hauptsachverfahren mit „Rücksicht auf den Teilwiderruf“ des Verfügungspatents aufgehoben hat, um die Anpassung des Beschreibungstext und die schriftliche Entscheidungsbegründung der Einspruchsabteilung abzuwarten (vgl. Anlage ASt 13). Vor dem Hintergrund dieses Abwartens im Verletzungsverfahren durfte die Verfügungsklägerin berechtigte Zweifel haben, ob ein Verfügungsantrag gegen die Verfügungsbeklagten Erfolg haben würde.
  168. (d)
    Der Dringlichkeit steht auch nicht entgegen, dass die Verfügungsklägerin gegen A im April 2021 ein Hauptsacheverfahren in Frankreich initiiert hat. Die Dringlichkeit ist im Verhältnis des Antragstellers zum Antragsgegner zu beurteilen. Überdies steht es dem Verletzten frei, gegen welchen Verletzer er vorgeht (vgl. OLG Düsseldorf, Urteil vom 27.10.2022 – I-15 U 58/22). Es handelt sich bei dem französischen Klagepatent zudem um einen anderen nationalen Teil des Verfügungspatents. Weiterhin ist nicht ersichtlich, welche Anforderungen an den Rechtsbestand des Klageschutzrechts in einem französischen Hauptsacheverfahren gestellt werden.
  169. (e)
    Für die Frage, ob der Rechtsbestand aus Sicht der Verfügungsklägerin ausreichend sicher war, ist es – entgegen der Ansicht der Verfügungsbeklagten – unerheblich, dass die Verfügungsklägerin im Einspruchsverfahren argumentiert hat, dass die Diskussion zur Patentfähigkeit abgeschlossen sei. Dass sie diese Auffassung vertreten hat, heißt nicht, dass sie darauf vertrauen durfte, dass die Einspruchsabteilung sich dieser Ansicht anschließt. Tatsächlich ist die Einspruchsabteilung wieder in die Diskussion der Patentfähigkeit eingestiegen.
  170. b)
    Unabhängig davon, dass die Verfügungsklägerin – wie vorstehend ausgeführt – grundsätzlich und im vorliegenden Einzelfall die Aufrechterhaltung des geltend gemachten Patentanspruchs abwarten konnte, ohne die Dringlichkeit zu gefährden, durfte sie jedenfalls im vorliegenden Fall auch die Entscheidung über die endgültige Fassung der Patentbeschreibung abwarten.
  171. Selbst wenn die Verfügungsklägerin hätte darauf vertrauen dürfen, dass die Ansprüche des Verfügungspatents wie geschehen geändert werden, wären die Aussichten des Verfügungsantrags ohne Entscheidung über die Anpassung der Beschreibung ungewiss. Die Auslegung von „an der Oberfläche“ und damit die Frage der Patentverletzung beruhen – wie sich aus den Ausführungen oben ergibt –insbesondere auf der Erörterung der ursprünglich beanspruchten Herstellungsverfahren in der Beschreibung. Die Verfügungsbeklagte selbst hat geltend gemacht, dass durch die Streichung der Verfahrensansprüche die von der Kammer in den parallelen Hauptsacheverfahren vorgenommene Auslegung nicht mehr aufrechterhalten werden könne. Dass dies tatsächlich nicht der Fall ist, liegt in der Änderung insbesondere von Abs. [0011] der Patentbeschreibung begründet, gemäß dem „die nachfolgende Beschreibung von Beispielen des nicht beanspruchten Verfahrens zum Herstellen einer Siliziumsolarzelle der Erläuterung der erfindungsgemäßen Solarzelle“ dient. Es ist aber nicht erkennbar, dass es für die Verfügungsklägerin vor der Einspruchsverhandlung im September 2022 absehbar war, dass Abs. [0011] diese Fassung erhalten würde. Vielmehr war die Anpassung der Beschreibung bis zuletzt umstritten.
  172. 3.
    Soweit die Verfügungsbeklagte meint, bei der Interessensabwägung auch die Frage des rechtlichen Gehörs zu berücksichtigen wäre, greift dies nicht durch. Dies gilt schon deshalb, weil die Verfügungsbeklagte ausreichend rechtliches Gehör hatte. Sie hat sich mehrfach schriftsätzlich und während der mündlichen Verhandlung geäußert. Es ist auch nicht im Ansatz ersichtlich, zu welchen Punkten sie nicht vortragen konnte, insbesondere, da der Aufbau der angegriffenen Ausführungsformen von ihr selbst bestätigt wurde.
  173. Die Verfügungsbeklagte hatte zudem bereits vor Antragstellung genügend Anlass und Gelegenheit, sich mit dem Verfügungspatent auseinanderzusetzen. Dieses und dessen Relevanz für die angegriffenen Ausführungsformen waren der Verfügungsbeklagten spätestens aufgrund der Abmahnung im Jahre 2020 positiv bekannt. Auch über die Auslegung des Verfügungspatents durch die Kammer in den Hauptsacheverfahren hätte sie sich Kenntnis verschaffen können. Soweit sie weiter moniert, die Verfügungsklägerin habe ihr das Hauptsacheurteil der Kammer in der Sache 4a O 32/19 trotz Aufforderung mit Schreiben vom 14.08.2020 (Anlage AGG 7) nicht zur Verfügung gestellt, geht dies ins Leere. Das Urteil ist bei Juris und unter GRUR-RS 2020, 24203 veröffentlicht; die Verfügungsbeklagte kannte das Aktenzeichen, wie das genannte Schreiben belegt, und hätte sich so leicht das Urteil verschaffen können.
  174. III.
    Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 Abs. 1 S. 1 ZPO.
  175. Im Rahmen des durch § 938 Abs. 1 ZPO eröffneten Ermessens wird die Vollziehung der einstweiligen Verfügung – soweit die Unterlassung betroffen ist – von der Leistung einer Sicherheit seitens der Verfügungsklägerin abhängig gemacht. Die Anordnung einer Sicherheitsleistung ist deshalb geboten, weil damit gewährleistet wird, dass der Unterlassungsanspruch nicht unter geringeren Bedingungen (nämlich ohne Sicherheitsleistung) vollstreckbar ist, als er es bei einem entsprechenden erstinstanzlichen Hauptsacheurteil wäre (vgl. Kühnen, Hdb. der Patentverletzung, 14. Aufl. 2020, Kap. G Rn. 100). Insofern bleibt für den hilfsweisen Antrag der Verfügungsbeklagten, Sicherheitsleistung gemäß §§ 921 S. 2, 936 ZPO anzuordnen, kein Raum
  176. Bei der Höhe der Sicherheitsleistung war der von der Kammer festgesetzte Streitwert maßgeblich. Die Höhe der Sicherheitsleistung hat sich an dem Schaden zu orientieren, der den Schuldnern durch die vorläufige Vollstreckung droht, und soll dementsprechend den Schadensersatzanspruch aus § 717 Abs. 2 ZPO sowie Anwalts- und Gerichtskosten absichern (OLG Düsseldorf, NJOZ 2007, 451, 454). Grundsätzlich wird sich die Sicherheitsleistung am Streitwert orientieren, wobei die Verfügungsbeklagte die Möglichkeit hat, substantiiert darzulegen und glaubhaft zu machen, dass ihr ein höherer Schaden droht, der dann für die Sicherheitsleistung maßgeblich ist. Entsprechendes hat die Verfügungsbeklagte hier aber nicht dargetan.
  177. Im Übrigen – also hinsichtlich der von der Verfügungsklägerin zu vollstreckenden Kosten – ist das Urteil vorläufig vollstreckbar, ohne dass es eines gesonderten Ausspruchs im Tenor bedurfte (vgl. Zöller/Vollkommer, ZPO, 34. Aufl. 2022, § 929 Rn. 1).
  178. IV.
    Der Streitwert wird auf EUR 500.000,00 festgesetzt.

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