4a O 79/22 – S1P-Rezeptormodulator

Düsseldorfer Entscheidungen Nr. 3258

Landgericht Düsseldorf

Urteil vom 26. Januar 2023, Az. 4a O 79/22

  1. I.
    Der Verfügungsbeklagten wird aufgegeben,
  2. 1.
    es bei Meidung eines für jeden Fall der Zuwiderhandlung vom Gericht festzusetzenden Ordnungsgeldes von bis zu € 250.000,00 – ersatzweise Ordnungshaft – oder Ordnungshaft bis zu sechs Monaten, im Falle wiederholter Zuwiderhandlung bis zu insgesamt zwei Jahren, wobei die Ordnungshaft an dem gesetzlichen Vertreter zu vollziehen ist, zu unterlassen, Arzneimittel enthaltend einen
  3. S1P-Rezeptormodulator zur Verwendung bei der Behandlung von schubförmig-remittierender Multipler Sklerose in einer Tagesdosis von 0,5 mg p.o.,
    wobei der S1P-Rezeptmodulator 2 Amino-2-[2-(4-octylphenyl) ethyl]propan-1,3-diol in freier Form oder in Form eines pharmazeutisch unbedenklichen Salzes ist

    in der Bundesrepublik Deutschland anzubieten, in den Verkehr zu bringen oder zu gebrauchen oder zu den genannten Zwecken entweder einzuführen oder zu besitzen;

  4. 2.
    im Gebiet der Bundesrepublik Deutschland die in ihrem unmittelbaren oder mittelbaren Besitz oder ihrem Eigentum befindlichen Erzeugnisse nach Ziffer I.1. an einen Gerichtsvollzieher zum Zwecke der Verwahrung herauszugeben, die andauert, bis über das Bestehen eines Vernichtungsanspruchs zwischen den Parteien rechtskräftig entschieden oder eine einvernehmliche Regelung herbeigeführt worden ist.
  5. II.
    Die Kosten des Verfahrens werden der Verfügungsklägerin zu 15% und der Verfügungsbeklagten zu 85% auferlegt.
  6. III.
    Die Vollziehung der einstweiligen Verfügung hinsichtlich Ziffer I. wird von einer Sicherheitsleistung in Höhe von EUR 3.000.000,00 abhängig gemacht. Wegen der Kosten ist das Urteil ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar.
  7. Tatbestand
  8. Die Verfügungsklägerin nimmt die Verfügungsbeklagte wegen Benutzung des Erfindungsgegenstands des europäischen Patents EP 2 959 XXX B1 (Patentschrift Anlagen FBD 8, 8a; nachfolgend: Verfügungspatent) im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes auf Unterlassung und Herausgabe zur Sicherung des Vernichtungsanspruchs wegen des Vertriebs des generischen Arzneimittelmittels „A“ (angegriffene Ausführungsform) in Anspruch.
    Die Verfügungsklägerin ist die Konzernmutter der B-Gruppe, zu der die 100%-ige Tochtergesellschaft der Verfügungsklägerin, die C GmbH, zählt. Die C GmbH ist in Deutschland innerhalb der B-Gruppe zuständig für den Vertrieb des Arzneimittels „D“ mit dem Wirkstoff 2-Amino-2-[2-(4-octylphenyl)ethyl]propan-1,3-diol, der auch als „XXX“ oder unter dem Internationalen Freinamen „F“ bekannt ist. Das Medikament dient zur Behandlung von bestimmten Patientengruppen mit schubförmig-remittierender Multipler Sklerose (J). Bis zum Ablauf des 22. März 2022 bestand für das Arzneimittel „D“ ein regulatorischer Vermarktungsschutz nach Art. 14 Abs. 11 VO (EG) 726/2004, § 24b Abs. 1 S. 2 AMG.
    Die Verfügungsklägerin ist eingetragene Inhaberin des Verfügungspatents (vgl. Registerauszug des DPMA, Anlage FBD 1), welches am 25. Juni 2007 unter Inanspruchnahme der Priorität der britischen Patentanmeldung GBXXX vom 27. Juni 2006 angemeldet wurde. Es handelte sich um eine Teilanmeldung der europäischen Patentanmeldung EP XXX.5, ursprünglich veröffentlicht als WO 2008/XXX A1.
    Die Prüfungsabteilung des EPA wies zunächst die Erteilung eines auf der Anmeldung basierenden Patents am 19. November 2020 wegen fehlender Neuheit zurück. Dagegen legte die Verfügungsklägerin am 22. Dezember 2020 Beschwerde ein. Die Beschwerdekammer des EPA hob die Entscheidung der Prüfungsabteilung am 8. Februar 2022 auf. Die im Beschwerdeverfahren eingereichten Einwendungen Dritter wurden als verspätet zurückgewiesen. Die Beschwerdekammer verwies die Sache an die Prüfungsabteilung zurück, mit der Anordnung, ein Patent auf der Grundlage eines Anspruchs mit vorgegebenem Wortlaut und einer daran anzupassenden Beschreibung zu erteilen (vgl. zur vorläufigen Auffassung der Technischen Beschwerdekammer vom 8. Oktober 2021 nebst deutscher Übersetzung Anlagen FBD 11 und FBD 11a; Protokoll der Beschwerdeverhandlung vom 8. Februar 2022 nebst deutscher Übersetzung Anlagen FBD 12 und FBD 12a; schriftlichen Gründe der Entscheidung nebst deutscher Übersetzung Anlagen FBD 13 und FBD 13a). Die Mitteilung nach Regel 71 Abs. 3 AusführungsO zum EPÜ erging am 18. August 2022. Die Verfügungsklägerin reichte unter dem 19. August 2022 die in die Amtssprachen übersetzten Patentansprüche ein und entrichtete die Erteilungsgebühr. Das Verfügungspatent wurde schließlich am 12. Oktober 2022 erteilt und der Hinweis auf dessen Erteilung am selben Tage im Amtsblatt des EPA bekannt gemacht (vgl. Anlage FBD 1). Gegen das Verfügungspatent sind von diversen Wettbewerbern – hiesige Verfügungsbeklagte eingeschlossen (Anlage WKS 12) – Einsprüche beim europäischen Patentamt anhängig, über die bislang noch nicht entschieden wurde. Das Verfügungspatent steht in Kraft.
    Das Verfügungspatent betrifft einen S1P-Rezeptormodulator zur Verwendung bei der Behandlung von remittierender multipler Sklerose (MS). Der einzige Anspruch 1 des Verfügungspatents lautet in der englischen Originalfassung wie folgt:
    „…“
    und in der eingetragenen deutschen Übersetzung:
    „S1P-Rezeptormodulator zur Verwendung bei der Behandlung von schubförmig-remittierender Multipler Sklerose in einer Tagesdosis von 0,5 mg p.o., wobei der S1P-Rezeptormodulator 2-Amino-2-[2-(4-octylphenyl)ethyl]propan-1,3-diol in freier Form oder in Form eines pharmazeutisch unbedenklichen Salzes ist.“
  9. Die Verfügungsbeklagte ist eine Tochtergesellschaft des internationalen G-Konzerns mit Sitz in H und vertreibt Generika auf dem deutschen Markt. Sie erhielt am 1. September 2021 eine arzneimittelrechtliche Marktzulassung für die angegriffene Ausführungsform in einer Dosierung von 0,5 mg, wobei sich die Zulassung dabei auf die Verwendung des „D“-Generikums bei Erwachsenen und von Kindern und Jugendlichen (ab einem Alter von zehn Jahren und über 40 kg Körpergewicht) mit schubförmig-remittierender Multipler Sklerose bezieht (vgl. Anlagen FBD 4 und Anlagenkonvolut FBD 5). Angesichts der Markzulassung erläuterte die Verfügungsklägerin gegenüber der Verfügungsbeklagten am X. X 20X ihre Auffassung der Schutzrechtslage (Anlagenkonvolut FBD 7/7a). Die Verfügungsbeklagte erwiderte hierauf am 19. Januar 2022, dass sie vor Ablauf der Marktexklusivität für „D“ die angegriffene Ausführungsform nicht auf den Markt bringen werde. Die Verfügungsklägerin wies mit Schreiben vom 11. Februar 2022 auf die Entscheidung der Beschwerdekammer vom 8. Februar 2022 hin. Seit dem 1. April 2022 wird die angegriffene Ausführungsform in der Lauer-Taxe gelistet (Anlage FBD 6). Die Verfügungsbeklagte vertreibt das Produkt auf dem deutschen Markt.
  10. Die Verfügungsklägerin ist der Ansicht, ein Verfügungsanspruch sei gegeben, da die angegriffene Ausführungsform von der durch das Verfügungspatent geschützten Lehre wortsinngemäß Gebrauch mache. Ihr stünden daher die geltend gemachten Ansprüche auf Unterlassung und auf Herausgabe zur Sicherung des Vernichtungsanspruchs zu. Insbesondere biete die Verfügungsbeklagte die angegriffene Ausführungsform durch deren Listung in der Lauer-Taxe auch noch nach Erteilung des Verfügungspatents an und setze deren Vertrieb fort, so dass Wiederholungsgefahr bestehe.
    Ferner liege auch ein Verfügungsgrund vor, da der Erlass der einstweiligen Verfügung aufgrund der Erteilung des Verfügungspatents dringlich sei.
    Der Rechtsbestand des Verfügungspatents sei hinreichend gesichert. Im hiesigen Fall stehe das Erteilungsverfahren einer kontradiktorischen Rechtsbestandsentscheidung gleich, da das Verfügungspatent erst nach umfassender Prüfung durch das EPA in einem Verfahren über zwei Instanzen erteilt worden sei, an dem mehrere generische Unternehmer mit einer Vielzahl von Einwendungen gegen die Patentfähigkeit beteiligt gewesen seien. Die abschließende Entscheidung der Technischen Beschwerdekammer vom 8. Februar 2022 – der höchsten Instanz im Erteilungsverfahren und zugleich der Stelle, die letztinstanzlich über einen Einspruch zu befinden hätte – zeige, dass am hinreichend gesicherten Rechtsbestand des Verfügungspatents keine vernünftigen Zweifel bestünden. Der Vortrag der Verfügungsbeklagten zum Rechtsbestand könne die Indizwirkung der Erteilungsentscheidung zudem nicht erschüttern.
    Schließlich müsse auch die Interessenabwägung angesichts der irreparablen, drohenden Schäden aufgrund des Preisverfalls und des Abschlusses von Open-House-Verträgen zugunsten der Verfügungsklägerin ausfallen, zumal die Verfügungsbeklagte keine eigenen wirtschaftlichen Risiken mangels entfallender Forschungs- und Entwicklungskosten eingegangen sei. Sie habe zwar durch den Abschluss von Open-House- und Rabattverträgen mit den gesetzlichen Krankenversicherungen einen durch die 4G-Regel hervorgerufenen massiven Umsatzverlust zunächst teilweise abmildern können. Die Wahrung ihrer Marktanteile sei ihr aber nur möglich, weil sie im Rahmen dieser Verträge massive Abschläge auf den Listenpreis von durchschnittlich über 80% in Kauf genommen habe, die sich in erheblichem Umfang auf die Umsätze mit „D“ niederschlagen würden. Ihr Schaden vergrößere sich mit jedem weiteren Tag, an dem die angegriffene Ausführungsform in Verkehr bleibe. Sie erwarte insoweit auf Basis der aktuellen Zahlen für das laufende Jahr 2022 (Monate Oktober, November und Dezember) neben dem bereits vor der Erteilung des Verfügungspatents eingetretenen Umsatzrückgang von rund 67,3 Millionen Euro weitere Umsatzeinbußen von 41 Millionen Euro. Zudem drohe ihr ohne die sofortige Untersagung des Vertriebs ein zusätzlicher Preisverfall aufgrund der kürzlich erfolgten Einleitung eines Festbetragsverfahrens vor dem Gemeinsamen Bundesausschuss. Insoweit drohe die Bildung einer Festbetragsgruppe für F-Arzneimittel und damit ein fester Abgabepreis, der aller Voraussicht nach deutlich unter ihrem derzeitigen Listenpreis läge. Zudem stehe aufgrund einer wachsenden Verunsicherung bei den gesetzlichen Krankenversicherungen angesichts der fortgesetzten generischen Marktpräsenz zu befürchten, dass in Zukunft überhaupt keine Rabatt- oder Open-House-Verträge zu F mehr abgeschlossen und bestehende Verträge mit ihr einseitig aufgekündigt würden.
  11. Die Verfügungsklägerin hat ursprünglich zusätzlich einen Antrag auf Auskunftserteilung gestellt, diesen aber in der mündlichen Verhandlung zurückgenommen.
    Die Verfügungsklägerin beantragt nunmehr,
    – wie erkannt-.
  12. Die Verfügungsbeklagte beantragt,
    den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung zurückzuweisen,
    hilfsweise,
    die Vollziehung einer einstweiligen Verfügung nur gegen Leistung einer Sicherheit in Höhe von EUR 5.000.000,00 zuzulassen.
  13. Die Verfügungsbeklagte ist der Auffassung, es fehle mangels Verletzung durch die angegriffene Ausführungsform bereits am Verfügungsanspruch.
    Ferner mangele es auch an einem Verfügungsgrund. Der Rechtsbestand sei nicht hinreichend gesichert. Das EPA habe wesentlichen Sachverhalt übersehen und wesentliche Einwände nicht berücksichtigt. Das Verfügungspatent sei nicht ausreichend offenbart, nicht neu, beruhe nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit und sei zudem auch unzulässig erweitert. Deswegen werde es im Einspruchsverfahren nicht aufrechterhalten werden. Ferner hätten andere ausländische Gerichte bereits dessen fehlenden Rechtsbestand festgestellt.
    Auch die übrige Interessenabwägung entscheide sich zuungunsten der Verfügungsklägerin. Die Verfügungsklägerin sei nie an einem zeitnahen Patentschutz interessiert gewesen, weil sie bewusst habe Zeit verstreichen lassen. Das Verhalten der Verfügungsklägerin hinsichtlich ihrer Anmeldestrategie habe dazu gedient, den Markt zu verunsichern, so dass es ihr zumutbar sei, den Ausgang des Einspruchsverfahrens abzuwarten. Der angebliche Schaden der Verfügungsklägerin lasse sich schätzen und es würde kein nicht zu prognostizierender Preisverfall verhindert werden. Diese sei bereits eingetreten und die Verfügungsklägerin habe durch den Abschluss von Open-House- und Rabattverträgen die Einbußen an ihren Marktanteilen auf ein Minimum reduziert. Im Zeitpunkt der Veröffentlichung der Patenterteilung sei der Listenpreis nicht mehr zu realisieren gewesen. Das begonnene Festbetragsverfahren begründe ebenfalls keine irreversiblen Schäden. Ferner müsste das Interesse der Allgemeinheit daran, Medikamente – die Menschen mit J helfen – zu erschwinglichen Preisen am Markt zu erhalten, überwiegen. Schließlich sei auch das Interesse der Verfügungsbeklagten zu beachten, die schließlich seit über 8 Monaten aktiv am Markt sei und bei einem Verkaufsverbot sich einem Rufschaden und Vertrauensverlust ausgesetzt sehe. Daneben entstünde auch für sie ein hoher wirtschaftlicher Schaden.
  14. Die sieben Parallelverfahren 4a O 80/22 bis 4a O 86/22 gegen andere Verfügungsbeklagte, welche das gleiche Verfügungspatent zum Gegenstand haben, haben der Kammer vorgelegen, sind beigezogen worden und waren Gegenstand der mündlichen Verhandlung. Die Verfügungsbeklagte hat sich den dortigen Vortrag der Verfügungsbeklagten zum Verfügungsgrund und zur Interessenabwägung zu Eigen gemacht.
    Das Gericht hat den Parteien und den Verfahrensbevollmächtigten von Amts wegen gestattet, sich während der mündlichen Verhandlung an einem anderen Ort aufzuhalten und dort Verfahrenshandlungen über den von der Justiz des Landes NRW zur Verfügung gestellten Virtuellen Meetingraum (VMR) vorzunehmen. Davon haben die Verfahrensbeteiligten Gebrauch gemacht.
    Für die weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird ergänzend auf die Schriftsätze der Parteien nebst Anlagen sowie auf das Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 5. Januar 2023 Bezug genommen.
  15. Entscheidungsgründe
  16. Der zulässige Antrag auf Erlass der einstweiligen Verfügung ist begründet.
    Die Verfügungsklägerin hat einen Verfügungsanspruch und einen Verfügungsgrund glaubhaft gemacht, §§ 935 ff. ZPO i.V.m. Art. 64 EPÜ, §§ 139 Abs. 1, 140a Abs. 1, 4 PatG.
  17. A.
    Die Verfügungsklägerin hat einen Verfügungsanspruch gegen die Verfügungsbeklagte, da die angegriffene Ausführungsform das Verfügungspatent verletzt und die Verfügungsbeklagte diese anbietet und vertreibt.
  18. I.
    Das Verfügungspatent (nachfolgend entstammen Absätze ohne Quellenangabe dem Verfügungspatent) betrifft einen Sphingosin-1-phosphat(„S1P“)-Rezeptormodulator zur Verwendung bei der Behandlung von schubförmig remittierender multipler Sklerose.
    S1P ist ein natürliches Serumlipid. In seiner einleitenden Beschreibung schildert das Verfügungspatent, dass es gegenwärtig acht bekannte S1P-Rezeptoren, S1P1 bis S1P8, gibt, (Abs. [0002]). S1P-Rezeptormodulatoren sind Verbindungen, die an einem oder mehreren Sphingosin-1-phosphatrezeptoren, zum Beispiel S1P1 bis S1P8, als Agonisten wirken (Abs. [0003]). Neben ihren S1P-bindenden Eigenschaften beschleunigen sie auch das Lymphozyten-Homing. Sie können zum Beispiel eine Lymphopenie als Resultat einer Umverteilung von Lymphozyten aus dem Blutkreislauf in sekundäres Lymphgewebe hervorrufen, ohne eine allgemeine Immunsuppression auszulösen (Abs. [0005]). Aus dem Stand der Technik ist bekannt, dass S1P-Rezeptoragonisten oder -Modulatoren immunsuppressive Eigenschaften oder antiangiogene Eigenschaften bei der Behandlung von Tumoren haben (Abs. [0009]).
    Multiple Sklerose (MS) ist eine immunvermittelte Erkrankung des Zentralnervensystems mit chronischer entzündlicher Demyelinisierung, die zu einer progressiven Verschlechterung der motorischen und sensorischen Funktionen und permanenter Behinderung führt. Das Verfügungspatent kritisiert, dass die Therapie der multiplen Sklerose nur teilweise effektiv ist und in den meisten Fällen trotz entzündungshemmender und immunsuppressiver Behandlung nur eine kurze Verzögerung des Fortschreitens der Erkrankung bietet (Abs. [0010]).
    Dem Verfügungspatent liegt daher die Aufgabe (das technische Problem) zugrunde, effektive Mittel für die Inhibierung oder Behandlung von demyelinisierenden Erkrankungen, zum Beispiel multipler Sklerose oder Guillain-Barré-Syndrom, einschließlich Verringerung, Milderung, Stabilisierung oder Linderung der Symptome, die den Organismus betreffen, bereitzustellen (Abs. [0010]).
    Zur Lösung dieses technischen Problems schlägt das Verfügungspatent in seinem einzigen Anspruch daher S1P-Rezeptmodulatoren für die Behandlung von Multipler Sklerose mit folgenden Merkmalen vor:
  19. 1. S1P-Rezeptormodulator
    1.1 zur Verwendung bei der Behandlung von schubförmig-remittierender Multipler Sklerose
    1.2 in einer Tagesdosis von 0,5 mg p.o..
  20. 2. Der S1P-Rezeptmodulator ist 2-Amino-2-[2-(4-octylphenyl) ethyl]propan-1,3-diol in freier Form oder in Form eines pharmazeutisch unbedenklichen Salzes.
  21. II.
    Die angegriffene Ausführungsform macht von allen Merkmalen des Verfügungspatentanspruchs Gebrauch.
  22. 1.
    Die angegriffene Ausführungsform verwirklicht insbesondere Merkmal 1.2, wonach der S1P-Rezeptormodulator bei der Behandlung von schubförmig-remittierender Multipler Sklerose „in einer Tagesdosis von 0,5 mg p.o.“ verwendet wird.
    Entgegen der Auffassung der Verfügungsbeklagten bezieht sich die beanspruchte Dosierung von 0,5 mg gemäß Merkmal 1.2 nicht auf das (Gesamt-)Gewicht des Wirkstoffs 2-Amino-2-[2-(4-octylphenyl) ethyl]propan-1,3-diol bzw. F inklusive der Salzkomponente, sondern lediglich auf das Gewicht des Wirkstoffes.
    Dies ergibt sich bereits aus der Systematik des Anspruchswortlauts, wonach sich die Dosierung auf den „S1P-Rezeptormodulator“ bezieht. Erst danach wird der Anspruch dahingehend spezifiziert, dass der S1P-Rezeptmodulator 2-Amino-2-[2-(4-octylphenyl) ethyl]propan-1,3-diol (F) ist, entweder „in freier Form oder in Form eines pharmazeutisch unbedenklichen Salzes“. Die Salzkomponente ist bereits ausweislich des Anspruchswortlauts „pharmazeutisch unbedenklich“ und daher zum Erreichen der technischen Wirkung bei der Behandlung von schubförmig-remittierender Multipler Sklerose zu vernachlässigen.
    Auch funktional betrachtet erkennt der Fachmann, dass gerade die im Vergleich zum Stand der Technik geringere Dosierung des Wirkstoffes F von 0,5 mg täglich zur Verwendung bei der Behandlung von schubförmig-remittierender Multipler Sklerose (Merkmal 1.1) Kern der Erfindung ist, es mithin auf die Dosierung des Wirkstoffes ankommt, unabhängig davon, in welcher Form er verabreicht wird. Dem Fachmann ist – insoweit von der Verfügungsklägerin unwidersprochen vorgetragen – bereits aufgrund seines Fachwissens geläufig, dass F in seiner freien Form ein anderes Gewicht aufweisen kann als F in Form eines pharmazeutisch unbedenklichen Salzes, weil bei Letzterem das Gewicht des Wirkstoffes durch ein Salz-Ion erhöht ist. Insoweit ergibt sich für den Fachmann auch aus Abs. [0007] der Beschreibung, dass als pharmazeutisch unbedenkliche Salze der anspruchsgemäßen Verbindung verschiedene Salze in Betracht kommen können, die unterschiedliche Gewichte aufweisen, wie bspw. Hydrochlorid, Sulfat, Salze mit organischen Säuren oder Salze mit Metallen wie Natrium, Kalium und Aluminium. Um die anspruchsgemäße Dosierung sicherzustellen, ist es aus Sicht des Fachmanns daher zwingend, dass die Gewichtsangabe von 0,5 mg gemäß Merkmal 1.2 sich nur auf die feststehende Komponente in Gestalt des S1P-Rezeptormodulators (F) bezieht und nicht auf die insoweit im Anspruchswortlaut nicht näher spezifizierte Salzkomponente. Andernfalls wäre die Dosierung des Wirkstoffs F bei Verabreichung in freier Form eine andere als in einer der anspruchsgemäßen Salzverbindungen.
    Gegen dieses Verständnis spricht auch nicht Absatz [0016], wonach im Tierversuch beispielsweise F in der Hydrochloridsalzform in einer Dosis von 0,3 mg/kg p.o. verabreicht wurde. Es handelt sich um ein Ausführungsbeispiel, in dem sich die 0,3 mg/kg Angabe ebenfalls nur auf den erfindungsgemäßen Wirkstoff bezieht.
  23. 2.
    Die angegriffene Ausführungsform verwirklicht vor diesem Hintergrund Merkmal 1.2. Dem steht nicht entgegen, dass die Kapseln der angegriffenen Ausführungsform nach dem Vortrag der Verfügungsbeklagten 0,56 mg der F-Salz-Form „F-Hydrochlorid“ enthalten. Denn maßgeblich ist – wie ausgeführt – dass jede Hartkapsel 0,5 mg des Wirkstoffes F enthält. Dies ist ausweislich der Fach- und Gebrauchsinformationen der angegriffenen Ausführungsform, vorgelegt als Anlage FBD 5, der Fall und wird von der Verfügungsbeklagten auch nicht substantiiert in Abrede gestellt.
  24. III.
    Insofern ergeben sich folgende tenorierte Rechtsfolgen.
  25. 1.
    Die Verfügungsbeklagte hat die angegriffene Ausführungsform auch nach Erteilung des Verfügungspatents im Inland angeboten und vertrieben. Dies stellt die Verfügungsbeklagte auch nicht in Abrede. Insoweit stellt bereits die – hier vorliegende – Listung eines patentgemäßen Arzneimittels in der Lauer-Taxe während der Laufzeit des betreffenden Patents ein Anbieten im Sinne von § 9 PatG dar (OLG Düsseldorf, Beschl. v. 21.9.2017 – I-2 W 4/17, BeckRS 2017, 142776 Rn. 11 – Medikamentenrückruf, m.w.N.).
    Durch das Angebot und den fortgeführten Vertrieb der angegriffenen Ausführungsform macht die Verfügungsbeklagte von der Lehre des Verfügungspatents entgegen § 9 S. 2 Nr. 1 PatG Gebrauch. Der Verfügungsklägerin stehen daher die geltend gemachten Ansprüche auf Unterlassung aus Art. 64 EPÜ i.V.m. § 139 Abs. 1 PatG zu. Insbesondere hat die Verfügungsbeklagte die durch die Verletzungshandlung indizierte Wiederholungsgefahr nicht durch die Abgabe einer strafbewehrten Unterlassungs- und Verpflichtungserklärung ausgeräumt.
    Der Unterlassungsanspruch ist auch nicht nach § 139 Abs. 1 S. 3 PatG ausgeschlossen.
    Sofern die Verfügungsbeklagte die Berücksichtigung von Drittinteressen anspricht und vorträgt, dass die Rückführung auf das klägerische Medikament „D“ keinen Automatismus darstelle und in das Patientenwohl eingreife, liegt hierin nicht annähernd ausreichender Vortrag, um Patienteninteressen darzutun, die so schwerwiegend beeinträchtigt sind, dass ausnahmsweise ein Unterlassungsausspruch als unverhältnismäßig erscheinen könnte.
    Der – nicht glaubhaft gemachte – Vortrag, dass die MS-Patientengruppe bei der medikamentösen Therapie sehr empfindsam sei und insbesondere Neurologen wegen mangelnder Erfahrung bei der Substitution auf Generika bei MS zurückhaltend seien, spricht in zweifacher Hinsicht gegen das Vorliegen von ausnahmsweise vorrangingen Drittinteressen, die eine Unverhältnismäßigkeit begründen könnten.
    Zum einen erscheint nach diesem Vortrag bereits zweifelhaft, ob nach der streitgegenständlichen, kurzen Zeitspanne eine entsprechend große Patientenanzahl überhaupt erfolgreich mit der angegriffenen Ausführungsform substituiert werden konnte. Zum anderen ist bei dem Unverhältnismäßigkeitseinwand eine umfassende Gesamtabwägung vorzunehmen, in der auch der Verletzer, der sich auf die angebliche Unverhältnismäßigkeit beruft, sein Verhalten an Treu und Glauben messen lassen muss. Insofern ist es ihm verwehrt, sich hinter Drittinteressen zu „verstecken“, sofern er die Nachfrage bedürftiger Dritter selbst herbeigeführt hat (vgl. LG Düsseldorf, GRUR 2022, 1665). Die Verfügungsbeklagte war bei der Aufnahme von Benutzungshandlungen in Kenntnis davon, dass die Erteilung des Verfügungspatents nur noch eine Frage der Zeit war. Sie hat sich dennoch entschieden, auf den Markt zu kommen und ist das Risiko eingegangen, dass ein rechtmäßiger Vertrieb der angegriffenen Ausführungsform nur einige Monate möglich ist. Insofern hat sie die Ursache für eine gegebenenfalls nur kurzzeitige Substituierungsmöglichkeit mit der angegriffenen Ausführungsform gesetzt und hat die Nachfrage selbst herbeigeführt. Dies geschah in dem Wissen, dass sie möglicherweise alsbald das Angebot der angegriffenen Ausführungsform wieder einstellen muss.
  26. 2.
    Die tenorierte Herausgabe zur Verwahrung dient der Absicherung des der Verfügungsklägerin gegen die Verfügungsbeklagte zustehenden Vernichtungsanspruchs aus Art. 64 EPÜ i. V. m. § 140a Abs. 1 PatG, welcher der Verfügungsklägerin ebenfalls zusteht.
  27. B.
    Den für den Erlass einer einstweiligen Verfügung erforderlichen Verfügungsgrund hat die Verfügungsklägerin ebenfalls glaubhaft gemacht.
  28. Gemäß §§ 935, 940 ZPO setzt der Erlass einer einstweiligen Verfügung voraus, dass die Verwirklichung des Rechts einer Partei vereitelt oder wesentlich erschwert wird oder sie zur Abwendung wesentlicher Nachteile für das Recht erforderlich erscheint. Entscheidend für das Vorliegen eines solchen Verfügungsgrundes ist, ob es dem Antragsteller nicht zugemutet werden kann, ein Hauptsacheverfahren durchzuführen und in diesem auf den Erlass eines Vollstreckungstitels zu warten (OLG Düsseldorf, GRUR-RR 2017, 477 Rn. 13 – Vakuumgestütztes Behandlungssystem; OLG Mannheim, InstGE 11, 143 – VA-LCD-Fernseher). Dies setzt neben der Dringlichkeit der Sache grundsätzlich eine Abwägung zwischen den schutzwürdigen Belangen des Antragstellers und den schutzwürdigen Interessen des Antragsgegners voraus (OLG Düsseldorf, InstGE 9, 140 Rn 24 – Olanzapin; OLG Düsseldorf, GRUR-RR 2017, 477 Rn. 1 – Vakuumgestütztes Behandlungssystem; LG Düsseldorf, Urteil vom 21.09.2022 – 4b O 23/22; Schulte/Voß, PatG 11. Aufl.: § 139 Rn. 439; Cepl/Voß, ZPO 2. Aufl., § 940 Rn. 64; Benkard/Grabinski/Zülch, PatG 11. Aufl.: § 139 Rn 153a).
    Bei der hiernach im Rahmen der Prüfung des Verfügungsgrunds erforderlichen Gesamtabwägung sind alle Gesichtspunkte des Einzelfalls zu berücksichtigen, wobei besonderes Augenmerk auf den Rechtsbestand des Verfügungsschutzrechts und auf die drohenden Schäden auf Seiten des Patentinhabers zu richten ist. Aber auch das Ausmaß der Schäden auf Seiten des Verletzers für den Fall, dass die einstweilige Verfügung wieder aufgehoben werden muss, ist zu berücksichtigen. Der Umstand, dass eine einstweilige Verfügung insbesondere dann wieder aufzuheben ist, wenn sich das Verfügungsschutzrecht als nicht rechtsbeständig erweist, verdeutlicht dabei die Relevanz des gesicherten Rechtsbestands. Der Antragsgegner hat ein legitimes Interesse daran, dass er nicht Handlungen auf Grundlage eines Schutzrechts unterlassen muss, das sich später als nicht rechtsbeständig erweist. Dies gilt umso mehr, je größer der drohende Schaden aufgrund der erzwungenen Unterlassung ist. Ist dagegen der Rechtsbestand des Verfügungsschutzrechts ausreichend gesichert, so überwiegt das Interesse des Patentinhabers an der Unterlassung der Patentverletzung, sofern keine außergewöhnlichen Einzelfallumstände ausnahmsweise die Interessenabwägung zugunsten des Verletzers ausgehen lassen.
  29. I.
    Der Rechtsbestand des Verfügungspatents für den Erlass einer einstweiligen Verfügung ist vorliegend in ausreichendem Maße gesichert.
  30. 1.
    Von einem hinreichend gesicherten Rechtsbestand kann insbesondere dann ausgegangen werden, wenn das Verfügungspatent in einem Einspruchs- oder Nichtigkeitsverfahren erstinstanzlich aufrecht erhalten wurde (vgl. OLG Düsseldorf, InstGE 9, 140 Rn. 28 – Olanzapin; OLG Düsseldorf, InstGE 10, 114 Rn 18 – Harnkatheterset) oder ein Vorbescheid des EPA oder BPatG ergangen ist, der eine solche Aufrechterhaltung hinreichend sicher in Aussicht stellt (OLG Düsseldorf, GRUR-RR 2021, 249 – Cinacalcet II). Allerdings hat die Rechtsprechung bereits vor der Entscheidung Phoenix Contact/Harting des EuGH (GRUR 2022, 811) einen für den Erlass einer einstweiligen Verfügung hinreichend gesicherten Rechtsbestand auch ohne erstinstanzliche Entscheidung im Rechtsbestandsverfahren bei besonderen Sachverhaltskonstellationen angenommen – so etwa wenn sich die im Einspruchs- oder Nichtigkeitsverfahren vorgebrachten Einwendungen bei summarischer Prüfung als haltlos erweisen (OLG Düsseldorf InstGE 12, 114 Rn 18 – Harnkatheterset), das Erteilungsverfahren aufgrund Einwendungen Dritter wie ein kontradiktorisches Verfahren geführt wurde oder sich der gesicherte Rechtsbestand etwa dadurch ersehen lässt, dass namhafte Konkurrenten Lizenzen an dem Verfügungsschutzrecht genommen haben oder diese keine Rechtsbestandsverfahren initiiert haben, obwohl dies bei Zweifeln am Rechtsbestand zu erwarten wäre (vgl. OLG Düsseldorf, InstGE 12, 114, 121 – Harnkatheterset; OLG Düsseldorf, Urteil vom 11.01.2018 – I-15 U 66/17 = GRUR-RS 2018, 1291 Rn. 45; Kühnen, Hdb. der Patentverletzung, 15. Aufl. 2023, Kap. G Rn. 60 ff.). Darüber hinaus kann nach einer Gesamtabwägung eine einstweilige Unterlassungsverfügung auch dann ergehen, wenn der Rechtsbestand des Verfügungspatents nicht auf einer der vorgenannten Arten gesichert ist, wenn außergewöhnliche Umstände vorliegen. Solche Umstände können sich ergeben, wenn die Marktsituation oder die aus der Schutzrechtsverletzung drohenden Nachteile ein Zuwarten des Patentinhabers oder ein Hauptsacheverfahren unzumutbar machen. Ein solcher Fall kommt insbesondere bei Verletzungshandlungen von Generikaunternehmen in Betracht (OLG Düsseldorf, GRUR-RR 2021, 249, 252 Rn. 22 – Cinacalcet II). Liegen solche Umstände vor, kann eine einstweilige Verfügung erlassen werden, wenn aus Sicht des Verletzungsgerichts die besseren Argumente für die Patentfähigkeit sprechen oder – mit Rücksicht auf die im Rechtsbestandsverfahren geltende Beweisverteilung – die Frage der Patentfähigkeit mindestens ungeklärt bleibt, so dass das Verletzungsgericht, wenn es in der Sache selbst zu befinden hätte, den Rechtsbestand zu bejahen hätte (OLG Düsseldorf, Urteil vom 11.01.2018 – I-15 U 66/17 = GRUR-RS 2018, 1291 Rn. 57; OLG Düsseldorf, GRUR-RR 2021, 249, 252 Rn. 22 – Cinacalcet II). Letztlich sind jeweils die maßgeblichen Umstände des Einzelfalls in den Blick zu nehmen und stets in eine Gesamtabwägung einzubeziehen.
    Den vorgenannten Maßstäben steht das Urteil des EuGH „Phoenix/Harting“ (Urt. v. 28.4.2022 – C-44/21, GRUR 2022, 811) nicht entgegen. Der Entscheidung ist insbesondere nicht zu entnehmen, dass die Tatsache allein, dass ein Patent erteilt worden ist, zwingend dazu führen würde, dass ein Vorgehen aus diesem im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes unabhängig von den Umständen des Einzelfalls zulässig wäre. Soweit der EuGH in Rn. 41 der vorzitierten Entscheidung darauf hingewiesen hat, dass für angemeldete europäische Patente ab dem Zeitpunkt der Veröffentlichung ihrer Erteilung eine Vermutung der Gültigkeit gilt und sie ab diesem Zeitpunkt somit in vollem Umfang den unter anderem durch die RL 2004/48 gewährleisteten Schutz genießen, folgt daraus gerade nicht, dass diese Vermutung im Einzelfall nicht erschüttert werden könnte, wenn das nationale Gericht begründete Zweifel am Rechtsbestand des erteilten Patents hat.
    Zudem betrifft die Entscheidung eine nationale Rechtsprechung, wonach das betreffende Patent nur dann vorläufigen Rechtsschutz genießen kann, wenn es ein erstinstanzliches Rechtsbestandsverfahren überstanden hat (EuGH, a.a.O., Rn. 33). Eine solche Rechtsprechung steht nach Auffassung des EuGH der in Art. 9 Abs. 1 lit. a RL 2004/48 vorgesehenen Möglichkeit, durch die im nationalen Recht vorgesehenen einstweiligen Maßnahmen die Verletzung eines Rechts des geistigen Eigentums unverzüglich zu beenden, entgegen. Dem nationalen Richter wäre es in diesem Falle verwehrt, im Einklang mit dieser Bestimmung eine einstweilige Maßnahme anzuordnen, um die Verletzung des in Rede stehenden, von ihm als rechtsbeständig und verletzt erachteten Patents unverzüglich zu beenden (EuGH, a.a.O., Rn. 34, 40).
    Die vorstehend dargelegte Rechtsprechung der Düsseldorfer Gerichte weicht indes von der Rechtsprechung, die Gegenstand der vorzitierten EuGH-Entscheidung gewesen ist, insoweit ab, als dass die Durchführung eines erstinstanzlichen Rechtsbestandsverfahrens gerade nicht als zwingend vorausgesetzt wird. Vielmehr können Sachverhalte – wie die aufgezeigten Sonderfälle – vorliegen, die den Erlass einer einstweiligen Unterlassungsverfügung gestützt auf ein Patent, das ein erstinstanzliches Rechtsbestandsverfahren noch nicht überstanden hat, rechtfertigen.
  31. 2.
    Dies zugrunde gelegt, braucht die Verfügungsklägerin eine Entscheidung im Einspruchsverfahren nicht abzuwarten, sondern die Kammer hat sich selbst eine Auffassung über den Rechtsbestand zu bilden.
  32. a.
    Zunächst stellt indes der Umstand, dass die Erteilungsentscheidung erst im Beschwerdeverfahren gefallen ist und trotz des grundsätzlichen „ex parte“-Verfahrens Dritte gemäß Art. 115 S. 2 EPÜ Einwendungen gegen die Patentierbarkeit der Erfindung einreichen konnten, für sich isoliert betrachtet keinen besonderen Sachverhalt dar, der für eine erhöhte Verlässlichkeit des Erteilungsaktes und damit für einen hinreichend sicheren Rechtsbestand streitet.
    Denn der Grund, warum die Rechtsprechung die Erteilungsentscheidung in einem Verfahren, in dem sich Wettbewerber mit eigenen Einwendungen beteiligt haben, sachlich einer Entscheidung in einem kontradiktorischen Verfahren gleichstellt, liegt darin, dass eben diese Einwendungen bereits bei der Erteilung umfassend Berücksichtigung fanden, also materiell geprüft worden sind.
    Zwar hatten mehrere in ihren Angriffsmöglichkeiten ernstzunehmende Wettbewerber der Verfügungsklägerin eigene Einwendungen im Erteilungsverfahren eingereicht. Jedoch wurden nicht alle Entgegenhaltungen von der Prüfungsabteilung oder der Technischen Beschwerdekammer im Beschwerdeverfahren geprüft und in dem Maße berücksichtigt, dass das Erteilungsverfahren im hiesigen Einzelfall sachlich einem kontradiktorischen Einspruchsverfahren gleichstehen würde.
    Das grundsätzliche Erfordernis eines streitig durchgeführten Verfahrens um den Rechtsbestand ist kein Selbstzweck. Mit Rücksicht darauf, dass Rechtsbestandsangriffe typischerweise von Wettbewerbern des Schutzrechtsinhabers auf dem betreffenden Markt unternommen werden, die den einschlägigen Stand der Technik aufgrund ihrer eigenen Geschäfts- und Anmeldetätigkeit überblicken und darüber hinaus hinreichende Recherchemöglichkeiten besitzen und nutzen, stellt das Erfordernis einer kontradiktorischen Entscheidung sicher, dass das dem Patentinhaber günstige Einspruchs- oder Nichtigkeitserkenntnis auf gesicherter Basis steht, weil es allen in Betracht kommenden Einspruchs- bzw. Nichtigkeitsgründen Rechnung trägt und vor dem Hintergrund des gesamten einschlägigen Standes der Technik ergangen ist. Es soll also das bei einem bloß einseitigen (z. B. Erteilungs-)Verfahren bestehende Recherche- und Prüfungsdefizit ausgeglichen werden, welches sich darin äußern kann, dass bestimmte relevante Entgegenhaltungen im Verfahren versehentlich keine Berücksichtigung finden oder bestimmte Einwendungen nicht oder nicht unter sämtlichen in Betracht kommenden Blickwinkeln beurteilt werden. Die Beteiligung Dritter an der Aufbereitung und Würdigung des Entscheidungssachverhaltes erhöht insofern die Verlässlichkeit der getroffenen Entscheidung (OLG Düsseldorf, Urt. v. 19.2.2016 – I-2 U 54/15, BeckRS 2016, 6344 Rn. 17).
    Soweit im hiesigen Verfahren Einwände vorgebracht werden, die im Erteilungsverfahren überhaupt nicht Gegenstand von Dritteinwendungen gewesen sind, spricht der Umstand indiziell dafür, dass sie jedenfalls keine „gefährlicheren“ Rechtsbestandsangriffe als die bereits im Erteilungsverfahren Eingeführten darstellen. Dies mag jedenfalls im vorliegenden Fall angenommen werden können, weil die Verfügungsbeklagte der Verfügungsklägerin im anderen Zusammenhang vorwirft, dass das Erteilungsverfahren „verschleppt“ worden sei und anderenfalls bereits eine erstinstanzliche Entscheidung im Einspruchsverfahren vorläge. Angesichts der Planung, zügig ein Einspruchsverfahren anzuschließen, kann daher davon ausgegangen werden, dass bereits eine vertiefte Kenntnis und Behandlung des Standes der Technik auf hoch relevante und erfolgsversprechende Entgegenhaltungen stattgefunden hat.
    Gleiches mag indiziell für nicht berücksichtigte Dritteinwendungen gelten, die erst nach der Entscheidung durch die Technische Beschwerdekammer und der Zurückverweisung des Falls an die Prüfungsabteilung eingereicht wurden, ohne dass eine nachvollziehbare Begründung für die Verzögerung ersichtlich wäre.
    Indes gibt es auch Entgegenhaltungen in hiesigem Verfahren, die – sei es von der Verfügungsbeklagten selbst oder den Verfügungsbeklagten aus den Parallelverfahren 4a O 80/22 bis 4a O 86/22, deren Vorbringen sich die Verfügungsbeklagte zu eigen gemacht hat – von Dritten zur Begründung der vermeintlich fehlenden Rechtsbeständigkeit des Verfügungspatents noch im Beschwerdeverfahren vorgelegt, aber nicht berücksichtigt wurden. In Bezug auf diese Einwendungen streitet die Verlässlichkeit des Erteilungsaktes nicht, da hier anders als in den vorgenannten Konstellationen (kein Einbringen; Einbringen nach Entscheidung der Beschwerdekammer) nicht bereits das Prozessverhalten der Dritten gegen ihre Relevanz spricht, sondern sie schlicht materiell nicht geprüft wurden.
    Denn die Beschwerdekammer hat aus formellen Gründen diejenigen Entgegenhaltungen nicht berücksichtigt, die erst nach der Einreichung der Beschwerdebegründung am 18. November 2019 zu den Akten gereicht wurden, zu denen beispielsweise auch die Präsentation der Verfügungsklägerin aus dem Jahre 2005 (= D 47 = K in der Entscheidung der Beschwerdekammer vom 8. Februar 2022; Anlage FBD 15) gehört. Insoweit hat die Beschwerdekammer in ihrer Entscheidung vom 8. Februar 2022 auf Seite 7 unter Ziff. 3.4 (Anlage FBD 13/13a) wie folgt ausgeführt:
    „…“
    übersetzt:
    „….“
  33. Entgegen der Auffassung der Verfügungsklägerin geht aus der Begründung der Beschwerdekammer gerade nicht hervor, dass die Kammer sich mit den Eingaben inhaltlich auseinandergesetzt hat. Auch soweit im Hinblick auf die gegebenenfalls heranzuziehende Verspätungsvorschrift des Art. 114 Abs. 2 EPÜ vertreten wird, dass der entsprechende Spruchkörper im Rahmen seiner Ermessensentscheidung vor dem Hintergrund des Amtsermittlungsgrundsatzes nach Art. 114 Abs. 1 EPÜ verspätet vorgebrachte Tatsachen oder Beweismittel jedenfalls prima facie auf die Relevanz für die Patentfähigkeit des Verfügungspatentgegenstands überprüfen muss, bevor er diese als verspätet zurückweist (vgl. BeckOK PatR/Böhm, 26. Ed. 15.7.2022, Rn. 29 m.w.N.) und – nach der von der Verfügungsklägerin zitierten Rechtsprechung der Beschwerdekammern – Dokumente, die prima facie eine „hohe Relevanz“ haben, berücksichtigen soll bzw. muss, lässt sich aus der knappen Begründung der Technischen Beschwerdekammer eher schließen, dass eine solche Prüfung nicht erfolgte.
    Von dieser besonderen Fallkonstellation zu unterscheiden ist grundsätzlich die weitere Frage, ob der Umstand, dass sich eine Rechtsmittelinstanz im Erteilungsverfahren mit konkreten Einspruchsgründen bereits inhaltlich eingehend bei der Überprüfung der Entscheidung der Prüfungsabteilung auseinandergesetzt hat, eine Gleichbehandlung des Verfügungspatents – indes nur hinsichtlich dieser konkreten Gründe – mit einem Patent rechtfertigt, das eine kontradiktorisches Einspruchsverfahren durchlaufen hat. Dahinter steht der Gedanke, dass das Patent von einer übergeordneten Instanz stammt, deren Erkenntnisse zum bereits von Amts wegen zu ermittelnden, für die Beurteilung der Patentfähigkeit relevanten Prüfungskanon (wie z.B. die unzulässige Erweiterung bei einer geänderten Anspruchsfassung) besonderes Vertrauen genießen (vgl. Kühnen, Hdb. der Patentverletzung, 15. Aufl. 2022, Kapitel G, Rn. 68). Diese Frage ist nach Ansicht der Kammer abhängig vom jeweiligen Einzelfall zu entscheiden.
  34. b.
    Vorliegend liegt jedoch ein Fall außergewöhnlicher Umstände vor, weil die Marktsituation und die aus der Schutzrechtsverletzung drohenden Nachteile ein Zuwarten der Verfügungsklägerin oder ein Hauptsacheverfahren unzumutbar machen. Bei der Verfügungsbeklagten handelt es sich um ein Generikaunternehmen, dessen Verletzungshandlungen den Preisverfall – der zunächst mangels erteiltem Verfügungspatent hinzunehmen war – weiter perpetuieren können, wobei dies auch durch ein bereits eingeleitetes Festbetragsverfahren unterstützt wird. Die drohenden Schäden auf Seiten der Verfügungsklägerin – dazu unter B. II. 2. – rechtfertigen daher ihr Vorgehen im Eilrechtsschutz dann, wenn aus Sicht der Kammer die besseren Argumente für die Patentfähigkeit sprechen oder – mit Rücksicht auf die im Rechtsbestandsverfahren geltende Beweisverteilung – die Frage der Patentfähigkeit mindestens ungeklärt bleibt, so dass das die Kammer, wenn sie in der Sache selbst zu befinden hätte, den Rechtsbestand zu bejahen hätte.
    Im hiesigen Fall hat sich eine Rechtsmittelinstanz im Erteilungsverfahren mit konkreten Einspruchsgründen bereits inhaltlich eingehend bei der Überprüfung mit der Entscheidung der Prüfungsabteilung auseinandergesetzt. In die fachkundige und ausführlichen Auseinandersetzung der Beschwerdekammer erscheint ein gesteigertes Vertrauen gerechtfertigt, da sie bereits eine qualifizierte gerichtsähnliche Instanz darstellt, die auf dem technischen Fachgebiet der Pharmazie über eine langjährige Erfahrung und gegenüber der Kammer überlegene Sachkunde hinsichtlich der technischen Informationen bzw. des allgemeinen Fachwissens besitzt, deren sich der Fachmann bedient, um die therapeutische Wirksamkeit der Erfindung zu beurteilen. Die Kammer ist angesichts § 294 Abs. 2 ZPO auch gehindert, sich eine solche Sachkunde extern zu beschaffen. Das OLG Düsseldorf hat hinsichtlich eines qualifizierten Vorbescheids es als nicht angängig betrachtet, als Verletzungsgericht an den unabhängigen Feststellungen einer technisch sachkundigen Einspruchsabteilung zu zweifeln und von ihnen abzuweichen, sofern die Verfügungsbeklagte nicht diejenigen Grundlagen als objektiv unzutreffend widerlegt, auf denen die Schlussfolgerungen der Einspruchsabteilung fußen (GRUR-RR 2021, 249 – Cinacalcet II). Die Kammer ist der Auffassung, dass ein vergleichbarer Maßstab auch in hiesigem Fall anzuwenden ist, um davon auszugehen zu können, dass die Erteilungsentscheidung der Beschwerdekammer in diesem Punkt nicht mehr für die Verfügungsklägerin streitet. Im Falle einer solchen Widerlegung dürften dann bessere Argumente gegen den Rechtsbestand des Verfügungspatents sprechen.
    Wie bereits ausgeführt, kann bei der Beurteilung des Rechtsbestandes in hiesigem Einzelfall indiziell Berücksichtigung finden, dass ein Stand der Technik, der nicht bereits im Rahmen der Dritteinwendungen eingebracht wurde, tendenziell weniger erfolgversprechend sein könnte als ein solcher, der im Erteilungsverfahren lediglich nicht (mehr) geprüft wurde.
  35. c.
    Die Kammer hat die Überzeugung gewonnen, dass im Ergebnis gleichermaßen viel für wie gegen den Rechtsbestand streitet, so dass die Frage des Vorliegens eines Einspruchsgrundes letztlich ungeklärt bleibt und mit Rücksicht auf die Darlegungslast im Einspruchsverfahren die Kammer von einem rechtsbeständigen Verfügungspatent ausgeht (vgl. OLG Düsseldorf, GRUR-RS 2021, 4420 – Cinacalcet II). Das Verfügungspatent ist erteilt und die Verfügungsbeklagten vermochten nicht glaubhaft zu machen, dass die Grundlagen objektiv unzutreffend sind, auf denen die Schlussfolgerung der Beschwerdekammer fußt, wonach das Verfügungspatent zu erteilen gewesen ist.
  36. aa.
    Die Lehre des Verfügungspatents ist dem Patentschutz grundsätzlich zugänglich. Es handelt sich nicht lediglich um eine Dosierungsempfehlung, bei welcher dies nicht der Fall wäre (BGH, GRUR 2007, 404 – Carvedilol II).
    Eine bloße Dosisempfehlung gibt an, in welchen Mengen das den Wirkstoff enthaltende Medikament zu welchen Zeiten Patienten verabreicht werden soll. Die Verabreichung einer für die Behandlung einer bestimmten Krankheit vorgesehenen Medizin als solche ist ein therapeutisches Verfahren zur Behandlung des menschlichen Körpers. Es ist nicht Element der Herrichtung eines Stoffs zur Verwendung bei der Behandlung einer Krankheit, sondern folgt dieser. Die Bestimmung des geeigneten individuellen Therapieplans für einen Patienten einschließlich der Verschreibung und Dosierung von Medikamenten ist prägender Teil der Tätigkeit des behandelnden Arztes und damit ein nach Art. 53 lit. c EPÜ dem Patentschutz entzogenes Verfahren (BGH, GRUR 2007, 404 – Carvedilol II).
    So liegt der Fall hier jedoch nicht. Das Verfügungspatent beschränkt sich nicht darauf, Therapeuten oder Ärzten Vorgaben für die konkrete Anwendung von F auf einen Patienten, wie insbesondere Einzeldosierung und Häufigkeit der Verabreichung, zu machen. Es lehrt vielmehr – entsprechend seinem Patentanspruch 1 – die Herrichtung eines Stoffes zur Behandlung einer bestimmten Krankheit, nämlich eines S1P-Rezeptormodulator zur Verwendung bei der Behandlung einer bestimmten Form von Multipler Sklerose in einer Tagesdosis von 0,5 mg p.o., wobei der S1P-Rezeptmodulator 3 in freier Form oder in Form eines pharmazeutisch unbedenklichen Salzes vorliegt.
  37. bb.
    Der Erfindungsgegenstand des Verfügungspatents wird in der Patentschrift hinreichend ausführbar offenbart.
  38. (1)
    Nach Art. 83 EPÜ bzw. Art. 138 Abs. 1 lit b EPÜ muss eine Erfindung so deutlich und vollständig offenbart werden, dass ein Fachmann sie ausführen kann.
    Erforderlich, aber auch ausreichend ist es, die Ausführbarkeit der Erfindung durch den Fachmann anhand des Informationsgehalts der Anmeldung i.V.m. dem allgemeinen Fachwissen unter Berücksichtigung eines dargestellten Ausführungswegs und der gegebenen Ausführungsbeispiele glaubhaft zu machen (Benkard EPÜ/Schäfers/Wieser/Kinkeldey, 3. Aufl. 2019, EPÜ, Art. 83 Rn. 90; T 16/87 vom 24.7.1990, ABl. EPA 1992, 212 Egr. 4). Es genügt, wenn die Anmeldung ein plausibles technisches Konzept umfasst und keine begründeten Zweifel an der praktischen Umsetzung dieses Konzepts bestehen (EPA Entscheidung v. 3.2.2017 – T 0950/13, BeckRS 2017, 138817 Rn. 40, 46, m.w.N.).
    Eine therapeutische Anwendung ist hinreichend offenbart, wenn der vorgenannte Informationsgehalt es aus Sicht des Fachmanns technisch plausibel macht, dass die beanspruchten Wirkstoffe für die beanspruchte therapeutische Verwendung verwendet werden können (vgl. EPA Entscheidung v. 13.9.2007 – T 1599/06, BeckRS 2007 30693375, m.w.N.). Zwar ist es hierfür nicht zwingend notwendig, Resultate von klinischen Studien oder Tierversuchen in der Patentanmeldung zu offenbaren. Die bloße Behauptung, eine bestimmte Verbindung sei zur Behandlung einer bestimmten Krankheit geeignet, genügt indes als ausreichende Offenbarung des therapeutischen Nutzens nicht. Vielmehr ist es erforderlich, dass die Patentanmeldung zumindest einige relevante Informationen, bspw. experimentelle Tests, enthält, die einen Effekt auf einen Stoffwechselmechanismus zeigen, der an der betreffenden Krankheit beteiligt ist, wobei dieser Stoffwechselablauf entweder aus dem Stand der Technik bekannt oder in der europäischen Patentanmeldung beschrieben sein kann. Auch eine in vitro Studie kann zum Aufzeigen dieser klinischen Wirkung genügen, soweit für den Fachmann die beobachtete Wirkung eindeutig und unmittelbar auf die therapeutische Anwendung zurückzuführen ist oder soweit eine klare und anerkannte Wirkweise zwischen den gezeigten physiologischen Aktivitäten und der Erkrankung vorliegt (EPA Entscheidung v. 27.10.2004 – T 0609/2002, BeckRS 2004 30613066, m.w.N.). Nachpublizierte Studien oder Publikationen können Informationen zur ausreichenden Offenbarung am Anmeldetag zwar nicht ersetzen; sie können aber herangezogen werden, um die – insoweit bereits ausreichenden – Informationen zu untermauern (vgl. EPA Entscheidung v. 27.10.2004 – T 609/2002; BeckRS 2004 30613066 EG 9; BeckRS 2007, 30584291 EG 28–29; EPA Entscheidung v. 14.6.2007 – T 0433/2005, BeckRS 2007 30584291).
    Nachdem das Patent erteilt worden ist, kann gegen eine Anmeldung der Einwand mangelnder Offenbarung nur dann erhoben werden, wenn ernsthafte, durch nachprüfbare Fakten erhärtete Zweifel bestehen (EPA, Entscheidung vom 03.10.1990 – T 19/90 – Krebsmaus/HARVARD II, GRUR Int 1990, 978; EPA, Entscheidung vom 14.10.2004 – T 890/02 – Chimäres Gen/BAYER, GRUR Int 2005, 1030).
  39. (2)
    An diesen Grundsätzen gemessen, ist vorliegend von einer hinreichenden Offenbarung auszugehen. In ihrer Entscheidung vom 8. Februar 2022 (Anlage FBD 13/13a) hat sich die Technische Beschwerdekammer des EPA mit der Frage der hinreichenden Offenbarung ausführlich auseinandergesetzt und ist zu dem Ergebnis gekommen, dass die Angaben in der Anmeldung ausreichen, um die Eignung des beanspruchten Dosierungsschemas von F für die beanspruchte therapeutische Anwendung zu belegen (Rn. 5.6 ff.). Dieses Ergebnis lässt sich insoweit auf das Verfügungspatent übertragen, da die entsprechenden Beschreibungsteile der Anmeldung im erteilten Verfügungspatent freilich übernommen wurden.
    Nach Einschätzung der Technischen Beschwerdekammer (Anlagen FBD 13,13a, Rn. 5 ff.) kann sich die Verfügungsklägerin – die Beschwerdeführerin im Verfahren vor der Technischen Beschwerdekammer – auf die in der Anmeldung offengelegte Tierstudie, sowie die in der Anmeldung angekündigte klinische Studie am Menschen mit einer oralen Tagesdosis von 0,5 mg F stützen, um eine hinreichende Plausibilität der beanspruchten medizinischen Verwendung darzulegen. Die Technische Beschwerdekammer hat sich insbesondere mit der Frage auseinandergesetzt, ob die zwischen der Tierstudie (Absatz [0016]) und der Anwendung beim Menschen, insbesondere hinsichtlich der unterschiedlichen Dosierung, zutage tretenden Unterschiede dieser hinreichenden Plausibilität entgegenstehen. Dies hat die Beschwerdekammer mit ausführlicher Begründung verneint. Sie hat dabei nachvollziehbar ausgeführt, dass das verwendete EAE-Modell ein verbreitetes und bekanntes Tiermodell für Multiple Sklerose im Stand der Technik sei und auf Gijbels, et.al. (Az: 4a O 80/22: Anlagenkonvolut 35/D05 = D44) verwiesen. Die verschiedenen Phasen der EAE-Entwicklung seien mit denen der menschlichen MS vergleichbar (Anlagen FBD 13, 13a, Rn. 5.16). Auch habe die Verfügungsklägerin anhand der pharmakokinetischen Ergebnisse plausibel machen können, dass eine orale Tagesdosis von etwa 0,042 mg/kg F-Hydrochlorid beim Menschen zu der gleichen Gesamtexposition des Körpers gegenüber dem Arzneimittel führt wie eine siebenmal höhere orale Wochendosis von 0,3 mg/kg F-Hydrochlorid – letztere entsprach der im Tiermodell eingesetzten Dosis. Die Tagesdosis sei XX% niedriger als die niedrigste Tagesdosis in den bisherigen EAE-Studien bei Ratten. Die vergleichbare Dosis beim Menschen sei um XX% niedriger. Angesichts der proportionalen Verringerung sei es plausibel gewesen, dass die beanspruchte Dosis 0,5 mg beim Menschen die J-assoziierte Angiogenese blockieren und Schübe in gleichem Maße hemmen würde wie höhere Dosen (Anlagen 13, 13a, Punkt 5.19 ff.). Da eine anfängliche Plausibilität gegeben sei, konnten auch nachträglich veröffentlichte Beweise – wie die Daten aus Cohen, et. al. aus dem Jahr 2010 (D11, Anlagen FBD 10, 10a), die signifikant verringerte Schubdaten von F auch bei einer täglichen Dosis von 0,5 mg zeigten – berücksichtigt werden (Anlagen 13, 13a, Rn. 5.28).
    Die Angriffe der Verfügungsbeklagten gegen die Entscheidung der Technischen Beschwerdekammer widerlegen die dortigen Grundlagen nicht als objektiv unzutreffend. So vermag die Kammer keinen Fehler darin zu erkennen, dass für die Frage der Plausibilität nicht von Belang ist, dass in den im Verfügungspatent genannten Tierversuchen (Absatz [0015] f.) F in Form von Hydrochlorid zum Einsatz kommt. Da für die ausreichende Offenbarung einige relevante Informationen ausreichend sind, erscheint das Aufzeigen der Plausibilität einer Ausführungsform ebenfalls als genug.
    Ferner sieht die Kammer in den Ausführungen von Sriram et al. (4a O 79/22, Anlage WKS 6) keinen Beweis darin, dass sich das EAE-Modell als vollständig ungeeignet für die Prüfung von Therapien erweist. Entgegen der Ansicht behauptet weder die Verfügungsklägerin noch die Beschwerdekammer, dass es sich um ein genaues Modell handelt und Forschungsergebnisse 1:1 auf J-Patienten übertragbar seien. Der Schluss seitens Sriram et. al., dass EAE kein geeignetes Mittel zur Untersuchung von Therapien ist, ist nicht mit dem Ergebnis gleichzusetzen, dass das EAE-Modell ungeeignet ist, eine therapeutische Wirkung auf Schubphasen zu zeigen. Das Tiermodell im Verfügungspatent zeigt eine Eignung der beanspruchten Dosierung und keine (vollständige) Untersuchung. Abgesehen davon hat die Beschwerdekammer ihre Ausführungen in Kenntnis der Veröffentlichung von Gijbels et.al (D44) gemacht, die gleichfalls Kritik äußert und eine vorsichtigen Umgang mit Extrapolationen aus Erkenntnissen bei EAE auf MS anmahnt (vgl. Az: 4a O 80/22: Anlagenkonvolut 35/D05 = D44).
    Sofern die Verfügungsbeklagten die Umrechnung der bei den Tierversuchen verwendeten wöchentlichen Dosis von 0,3 mg auf eine tägliche Dosierung von 0,5 mg beim Menschen kritisieren, weil dem Fachmann nicht bekannt sei, ob Ratten die gleichen blutpharmakologischen Reaktionen auf F zeigen wie Menschen, zeigt dies ebenfalls nicht auf, dass die diesbezügliche Schlussfolgerung der Beschwerdekammer auf objektiv unrichtigen Grundlagen fußt. So erschließt sich nicht, wieso die Unterschreitung einer vermeintlichen und nicht bekannten Untergrenze von Linearität die Plausibilität dafür beseitigen soll, dass eine Linearität bestehen kann. Die Verfügungsbeklagte zeigt auch nicht auf, dass die Annahme, es komme nur auf die Bioverfügbarkeit (AUC) an, objektiv unzutreffend ist. Dass das im Erteilungsverfahren berücksichtigte Parteisachverständigengutachten die Erwartungen des Fachmanns formuliert, erscheint für die Darlegung der Plausibilität in diesem Punkt ausreichend.
    Ferner hat die Verfügungsklägerin glaubhaft gemacht, dass die technische Wirkung von proportional verringerten Dosen bei EAE-Ratten und J-Patienten artäquivalent sind. So hat sie mit der Veröffentlichung von Chiba et al. (Anlagen FBD 21, 21a = D14) – welche der Beschwerdekammer bekannt war – dargelegt, dass der Fachmann Kenntnis von dem Zusammenhang zwischen Dosierungen bei Ratten und menschlichen Patienten hatte. Dass in Chiba et. al. Studien mit F (XXX) mit einer niedrigsten Dosis von 1,0 mg/Tag bei Nierentransplantationspatienten und nicht bei J-Patienten zeigt, schadet nicht, da hiermit nur das Fachwissen belegt wird, dass es Beobachtungen zur therapeutischen Wirksamkeit von F gab, woraus der Fachmann einen Korrelationsfaktor erkennen konnte. Bei der Dosis von 1,25 mg handelt es sich danach zwar nicht um die niedrigste, bekannte Mindestdosis von F bei menschlichen Patienten. Aber dieser Stand der Technik widerlegt nicht, dass die Dosis von 1,25 mg die niedrigste Mindestdosis darstellt, deren Vorteilhaftigkeit im Sinne von Wirksamkeit für menschliche Patienten bei J anerkannt war. Auch die weiteren in Chiba genannten Tierversuche sprechen nicht gegen die Korrelation der Dosierungen bei Ratten und Menschen und der insoweit korrekten Umrechnung.
    Dass die Beschwerdekammer angesichts der in Thomson (D23, Az. 4a O 79/22; Anlage WKS 7; Anlage AG 24, Az. 4a O 80/22) offenbarten niedrigeren Tagesdosis von 0,25 mg bei Menschen (Tabelle 3) keine Plausibilität für eine Dosierung von 0,5 mg habe annehmen dürfen, weil ihre Annahme der Artäquivalenz darauf fußte, dass kein niedrigeren Dosen von 1,25 mg/Tag bzw. weniger als 0,1 mg/kg/Tag bei der Behandlung von J-Patienten bzw. EAE-Ratten von Vorteil seien, ist nicht zwingend. Denn aus Thomson ergibt sich nicht, dass niedrigere Dosen beim Menschen in gleicher Art und Weise Schübe reduzieren wie die bekannte Dosis 1,25 mg/Tag Dosis.
    Sofern die Verfügungsbeklagten bemängeln, dass der Fachmann die Umrechnungen der Dosierungen so nicht vornehmen würde, setzt sie ihre Ansicht lediglich an die Stelle der Ansicht der Beschwerdekammer. Die Entscheidung ist in diesem Punkt ausführlich begründet. Soweit ersichtlich, liegt auch kein gegenteiliges Parteigutachten, welches im Einspruchsverfahren eingeführt werden soll, zu dieser Frage vor. Daher sieht die Kammer die zugrunde gelegte Rechnung des Fachmanns nicht als objektiv unzutreffend an. Ferner kommt hinzu, dass die vom Verfügungspatent beanspruchte Eignung der Dosierung von 0,5 mg F täglich zur Behandlung von J durch nachveröffentlichte Publikationen, wie etwa die Studie von Cohen et al. aus Februar 2010 (Anlagen FBD 10, 10a = D11), unstreitig nachgewiesen wurde, was die Entscheidung der Technischen Beschwerdekammer weiter untermauert.
    Sofern die Verfügungsbeklagte Widersprüche zwischen den in der Anmeldung beschriebenen Versuchen und den nachveröffentlichten Daten der Verfügungsklägerin in ihrem Bericht vom 12. Mai 2009 (Az. 4a O 80/22, Anlagenkonvolut AG 35/D2) sieht, wird die zuvor genannte Studie von Cohen et. al. damit nicht widerlegt. Abschließend ist zu berücksichtigen, dass aus der gesamten Anmeldung des Verfügungspatents letztlich nur ein Hauptanspruch erteilt wurde, der das Dosierungsschema zum Gegenstand hat. In diesem Zusammenhang hat sich die Beschwerdekammer ausführlich mit dem Punkt der ausführbaren Offenbarung auseinandergesetzt, so dass die Entscheidung ein gesteigertes Vertrauen in diesen Punkt besonders rechtfertigt.
    Zu einem anderen Schluss gelangt die Kammer auch nicht angesichts des Fachrichtervotums des Schweizer Bundespatentgerichts vom 15. August 2022 (Az. 4a O 80/22, Anlage AG 20), da hier letztlich nur eine andere rechtliche Wertung im Hinblick auf den Aussagegehalt der in Absatz [0015] ff. gezeigten Tierversuche und auf die Anforderungen, die an das Vorliegen der Plausibilität gestellt werden, vorgenommen wird. Dass die Beschwerdekammer auf objektiv unzutreffenden Grundlagen ihre Entscheidung getroffen hat, ergibt sich hieraus nicht.
  40. cc.
    Das Verfügungspatent ist neu. Die Verfügungsbeklagten vermochten nicht glaubhaft zu machen, dass die Grundlagen, auf denen die Schlussfolgerung der Technischen Beschwerdekammer zur Neuheit des Verfügungspatents fußt, objektiv unzutreffend wären.
    Eine Erfindung gilt gemäß Art. 54 Abs. 1 EPÜ als neu, wenn sie nicht zum Stand der Technik gehört. Nach Art. 54 Abs. 2 EPÜ gehört zum Stand der Technik auch dasjenige, was der Öffentlichkeit durch Benutzung oder auf sonstige Weise zugänglich geworden ist.
    Es genügt jeder Gebrauch der technischen Lehre, der sie in ihrer Gesamtheit der Öffentlichkeit objektiv zugänglich macht. Dabei ist nicht erforderlich, dass der konkrete Benutzer die Lehre bei dieser Gelegenheit auch erkannt oder gar verstanden hat, sofern nur die zu ihrer Verwirklichung erforderliche Kenntnis auf diesem Wege an die Öffentlichkeit gelangen kann. Es reicht daher aus, wenn eine Weitergabe der ihm vermittelten Erkenntnisse an einen Fachmann zu erwarten ist und diese den Empfänger in die Lage versetzt, die benutzte Lehre auszuführen. Wird eine offenkundige Vorbenutzung geltend gemacht, müssen der genaue Gegenstand der Benutzung und die Umstände, unter denen die Benutzung erfolgte, zum Beispiel der Ort der Benutzung, substantiiert dargelegt und erforderlichenfalls bewiesen werden (OLG Düsseldorf, GRUR-RR 2021, 249 Rn. 44 – Cinacalcet II, m.w.N.).
    Die Patentierbarkeit von Stoffen oder Stoffgemischen zur spezifischen Anwendung in Verfahren zur chirurgischen oder therapeutischen Behandlung des menschlichen oder tierischen Körpers und in Diagnostizierverfahren, die am menschlichen oder tierischen Körper vorgenommen werden, richtet sich nach dem zweckgebundenen Stoffschutz gemäß Art. 53 Abs. 4, Abs. 5 EPÜ i.V.m. Art. 53 lit. c EPÜ. Bekannte Stoffe oder Stoffgemische gelten danach nur dann als neu, wenn die beanspruchte konkrete Anwendung in einem der vorgenannten Verfahren nicht zum Stand der Technik gehört. Im Anwendungsbereich der Vorschrift gilt damit eine bekannte, bisher nicht zu diagnostischen oder therapeutischen Zwecken benutzte Verbindung in Bezug auf diese erstmals offenbarte spezielle Anwendbarkeit (Benutzbarkeit) als neu (Benkard, EPÜ/Melullis, 3. Aufl. 2019, EPÜ Art. 54 Rn. 308, EPA 16.4.1984 – T 43/82; EPA ABl. EPA 1986, 295 – Thenoylperoxid). Patentschutz für einen Stoff zur Behandlung einer Krankheit kommt auch dann in Betracht, wenn sich die Anwendung, auf die sich der begehrte Schutz bezieht, von im Stand der Technik bekannten Anwendungen nur durch eine Dosierungsanleitung unterscheidet (BGH, GRUR 2014, 461 Rn. 15 – Kollagenese I).
    Die Neuheit einer (zweiten) medizinischen Indikation setzt zudem voraus, dass die Verwendung des Arzneimittels in der Art seiner Anwendung oder für sein medizinisches Einsatzgebiet noch nicht als wirksam oder zumindest erfolgversprechend vorbeschrieben oder vorbenutzt ist (BGH, GRUR 2011, 999 Rn. 31 – Entdeckung zur Wirkung ohne neue Lehre zum technischen Handeln). Nach der Rechtsprechung der Beschwerdekammern des EPA steht ein Dokument der Neuheit eines Anspruchs auf eine zweite medizinische Verwendung insoweit nur dann entgegen, wenn es nicht nur die zweite medizinische Verwendung offenbart, sondern auch, dass diese eine therapeutische Wirkung oder eine pharmakologische Wirkung erzielt, die der beanspruchten therapeutischen Anwendung unmittelbar und eindeutig zugrunde liegt (vgl. EPA Entscheidung v. 28.10.1998 – T 158/1996, BeckRS 1998 30529649; so auch Entscheidung der Beschwerdekammer des EPA vom 08.02.2022, Anlage FBD 13/13a unter Ziff. 6.4.3). Die Information bzw. Ankündigung allein, dass das Medikament eine klinische Erprobungsphase für eine bestimmte therapeutische Anwendung durchläuft und damit dessen Wirksamkeit erst erprobt wird, impliziert eine solche therapeutische oder pharmakologische Wirkung nicht zwangsläufig (vgl. EPA, a.a.O.; vgl. auch EPA 23.5.2002 – T 1031/00; Benkard, EPÜ/Melullis, a.a.O., Art. 54 Rn. 324).
  41. (1)
    Die Pressemitteilung vom 6. April 2006 (D10, Anlage FBD 14) nimmt den Gegenstand des Verfügungspatentanspruchs nicht neuheitsschädlich vorweg. Denn sie offenbart dem Fachmann nicht unmittelbar und eindeutig die klinische Wirksamkeit der therapeutischen Behandlung von J unter Verwendung des vom Verfügungspatent beanspruchten Dosierungsschemas.
    Die Beurteilung, ob der Gegenstand eines Patents durch eine Vorveröffentlichung neuheitsschädlich getroffen ist, erfordert die Ermittlung des Gesamtinhalts der Vorveröffentlichung. Maßgeblich ist, welche technische Information dem Fachmann offenbart wird. Der Offenbarungsbegriff ist dabei kein anderer, als er auch sonst im Patentrecht zu Grunde gelegt wird. Zu ermitteln ist deshalb nicht, in welcher Form der Fachmann etwa mit Hilfe seines Fachwissens eine gegebene allgemeine Lehre ausführen kann oder wie er diese Lehre gegebenenfalls abwandeln kann, sondern ausschließlich, was der Schrift aus fachmännischer Sicht unmittelbar und eindeutig zu entnehmen ist (BGH, GRUR 2014, 758 Rn. 38 – Proteintrennung; BGH, GRUR 2009, 382, Rn. 25 – Olanzapin).
    Mit der Pressemitteilung der B International AG vom 6. April 2006 wurden die Ergebnisse einer Phase-II-Studie mit J-Patienten vorgestellt, im Zuge derer zwei Patienten-Gruppen tägliche Dosen von 1,25 mg bzw. 5 mg XXX (F) in einem Zeitraum von 18 Monaten verabreicht wurden, und berichtet, dass sich für beide Dosierungen ein klinischer Effekt gezeigt hatte (vgl. Überschrift der Anlage FBD 14: „Phase II data for XXX shows sustained efficacy and good tolerability […]). Nach 12 Monaten wurden alle Patienten, die eine Dosis von 5 mg täglich erhalten hatten, auf die 1,25 mg Dosis pro Tag umgestellt (Anlage FBD 14, S. 2, 1. Absatz).
    Ferner wurde die Durchführung einer Phase-III-Studie angekündigt, die außer einem Arm mit einer Tagesdosis von 1,25 mg F und einem Placebo-Arm auch einen exploratorischen Arm mit einer Dosis von 0,5 mg F enthalten sollte. Ausweislich der Pressemitteilung wurde mit der Aufnahme von Patienten für diese Studie bereits in mehreren Europäischen Ländern begonnen (Anlage FBD 14 Abs. 4: „This study has begun enrolling patients in several European countries“).
    Die D10 offenbart damit zwar den S1P-Rezeptormodulator XXX und damit 2-Amino-2-[2-(4-octylphenyl) ethyl]propan-1,3-diol in freier Form oder in Form eines pharmazeutisch unbedenklichen Salzes in einer Tagesdosis von 0,5 mg p.o.. Indes offenbart die D10 nicht unmittelbar und eindeutig die Wirksamkeit der therapeutischen Behandlung von J unter Verwendung des beanspruchten Dosierungsschemas.
    Die D10 (allein) gibt dem Fachmann keinerlei Informationen an die Hand, die auf die klinische Wirksamkeit der weiter – um mehr als die Hälfte – reduzierten Dosierung von 0,5 mg anstatt 1,25 mg hindeuteten. Zwar ergibt sich aus der Pressemitteilung für den Fachmann, dass sich die niedrigere Dosierung in Höhe von 1,25 mg F im Gegensatz zu der Dosierung von 5 mg hinsichtlich der aufgetretenen Nebenwirkungen als vorteilhafter herausgestellt hat, so dass Anlass dazu bestand, aufgrund dieser Erkenntnis die Exploration einer noch niedrigeren Dosierung anzustoßen. Aussagen über den erwarteten Ausgang der Studie betreffend die neue Dosierung fehlen indes. Zudem wird in Absatz 5 der D10 ausgedrückt, dass „die Hoffnung bestehe“, dass sich die durch die Phase-II-Studie gezeigten Vorteile auch in der bereits eingeleiteten Phase-III-Studie bestätigen lassen werden. Daraus geht zum einen nicht hervor, dass sich die Aussage auch auf die Wirksamkeit der Dosierung von 0,5 mg täglich erstrecken soll, die gerade nicht Bestandteil der Phase-II-Studie gewesen ist. Zum anderen waren damit Ergebnisse zu der lediglich initiierten und damit noch in der Zukunft liegenden Studie gerade nicht Gegenstand der Pressemitteilung. Es ist vor diesem Hintergrund für den Fachmann nicht unmittelbar und eindeutig ersichtlich, dass die Wirksamkeit einer Dosierung von 1,25 mg täglich bei der Behandlung von J gleichfalls die klinische Wirksamkeit einer Dosierung von 0,5 mg impliziert.
    Insofern schließt sich die Kammer daher der Auffassung der Technischen Beschwerdekammer an, die ausweislich der Entscheidung vom 8. Februar 2022 (Anlage FBD 13/13a unter Ziff. 6)) zu dem Schluss gekommen ist, dass die Entgegenhaltung D10 aus den vorgenannten Gründen nicht alle Merkmale des Verfügungspatents vorwegnimmt.
    Entgegen der Ansicht der Verfügungsbeklagten wird das Merkmal 1.1 betreffend die therapeutische Wirkung nicht durch die D10 unmittelbar und eindeutig offenbart und es stellt sich die Frage des Weglehrens erst bei der Prüfung der erfinderischen Tätigkeit.
  42. (2)
    Auch die Präsentation der Verfügungsklägerin aus dem Jahre 2005 (Dokument K, vorgelegt als Anlage FBD 15), die von der Technischen Beschwerdekammer als verspätet zurückgewiesen wurde, nimmt den Gegenstand des Verfügungspatents nicht neuheitsschädlich vorweg. Denn diese offenbart ebenfalls keine klinische Wirksamkeit einer Dosis von 0,5 mg F zur Verwendung bei der Behandlung von J gemäß Merkmal 1.1 des Verfügungspatents.
    Die Präsentation der XXX (Stand 21. Juni 2005) betrifft (ebenfalls) die in der späteren Pressemitteilung der D10 behandelte Phase-II-Studie mit J-Patienten, denen tägliche Dosen von 1,25 mg bzw. 5 mg XXX (F) verabreicht wurden, und stellt die ersten Ergebnisse der Studie nach einem Zeitraum von sechs Monaten vor. Inhaltlich geht sie insoweit nicht über die Offenbarung der D10 hinaus.
    Insbesondere wird auch in der K die Phase-III-Studie mit einem Arm mit 0,5 mg F unter dem Punkt „Nächste Schritte“ („Next steps“, vgl. Folie 25 der Anlage FBD 15) lediglich angekündigt, wie nachfolgend eingeblendet:
  43. Insoweit ist der Folie 26 nur zu entnehmen, dass ein Treffen mit der FDA im Zusammenhang mit den Ergebnissen der Phase-II-Studie stattgefunden hat („XXX“), in welchem offenbar jedenfalls angesprochen wurde, neben der über sechs Monate lang getesteten Dosierung von 1,25 mg F auch eine 0,5 mg-Dosierung oder sogar eine niedrigere Dosierung zum Gegenstand der Phase-III-Studie zu machen („XXX). Der Umstand, dass bereits eine Zustimmung der FDA für die niedrigere Dosierung bestand, ändert nichts daran, dass keine Ergebnisse zu der noch in der Zukunft liegenden Studie und damit keine Aussagen zu der klinischen Wirksamkeit Gegenstand der Präsentation sind. Der Beschluss, einen zusätzlichen Arm in Phase III aufzunehmen, beinhaltet keinen Automatismus, dass eine therapeutische Wirksamkeit der 0,5 mg Dosis festgestellt wird.
    Die im Erteilungsverfahrensverfahren als verspätet zurückgewiesene Schrift liegt entgegen der Ansicht der Verfügungsbeklagten damit nicht näher am Erfindungsgegenstand als die D10. Für eine eindeutige und unmittelbare Offenbarung genügt gerade keine Erfolgserwartung, dass die Dosierung zu einer wirksamen Behandlung ausreicht.
  44. (3)
    Auch die Entgegenhaltung „Kappos et al“ (Dokument D14, Anlage FBD 22 Seite II/143 f.), ein Aufsatz von L. Kappos, P. Calabresi, R. Hohlfeld, P. O’Connor, C. Polman und S. Aradhye unter dem Titel „Design of a randomised, placebo-controlled study of oral F (XXX) in relapsing-remitting multiple sclerosis“, die ebenfalls nicht Gegenstand des Verfahrens vor der Technischen Beschwerdekammer war, vermag den Gegenstand des Verfügungspatents nicht neuheitsschädlich vorwegzunehmen.
    Auch die D14 offenbart dem Fachmann nicht eindeutig und unmittelbar eine klinische Wirksamkeit der vom Verfügungspatent beanspruchten Dosierung von 0,5 mg F und damit nicht Merkmal 1.1 des Verfügungspatents.
    Der Aufsatz geht nicht über die Offenbarung der beiden bereits behandelten Entgegenhaltungen D10 und K hinaus. In dem Aufsatz werden die Ergebnisse der sechs-monatigen Phase-II-Studie mit F genannt, ohne auf eine bestimmte Dosierung einzugehen. Sodann wird angekündigt, dass eine Phase-III-Studie initiiert worden sei, um die Effizienz und Sicherheit von F bei Patienten mit J zu evaluieren („XXX“). Unter „Methoden“ der angekündigten Studie wird – neben anderen Kriterien der Studie – eine tägliche Einmaldosis 1,25 mg F sowie 0,5 mg F oder die Einnahme eines Placebos für bis zu 24 Monate angekündigt. Ferner wird ausgeführt, dass das „Recruitment“ im Januar 2006 starten soll und Ergebnisse für das Jahr 2009 erwartet werden, mithin noch nicht vorliegen.
    Aus Sicht des Fachmanns wird die Phase-III-Studie damit erst angekündigt. Eine klinische Wirksamkeit der verschiedenen Dosierungen ist damit nicht offenbart, sondern soll erst getestet werden. Dies wird bestätigt durch die am Ende des Artikels (Anlage FBD 22, S. II/144) zu findende Schlussfolgerung („Conclusion“) „XXX“.
  45. (4)
    Schließlich wird das Verfügungspatent durch das „Abstact“ zu dem Aufsatz „Kovarik et al.“ (Az. 4a O 80/22, Anlagenkonvolut AG 35/D16; Anlage FBD 26) nicht neuheitsschädlich vorweggenommen.
    Das „Abstract“ behandelt das „Verhältnis zwischen Exposition und Wirksamkeit von XXX in einer 6-monatigen Phase-2-Studie bei Patienten mit schubförmiger MS“ („ MS“).
    Im Fazit des „Abstracts“ heißt es:
    „XXX.“
    In deutscher Übersetzung:
    „XXX“
    Mithin offenbart die Studie lediglich eine Modellierung mit L-Dosen von 1,25 und 5,0 mg, die vielversprechende Erfolge erzielte, sodass die Autoren der Studie weitere Studien mit potentiell niedrigeren Dosen des Wirkstoffs empfehlen.
    Damit offenbart die Entgegenhaltung keines der Merkmale des Verfügungspatents. Weder ist eine Tagesdosis von 0,5 mg p.o. des S1P-Rezeptormodulators noch dessen Wirksamkeit zur Behandlung von schubförmig-remittierender multipler Sklerose gezeigt.
  46. (5)
    Soweit die Neuheit des Verfügungspatents teilweise von ausländischen Gerichten verneint wurde, überzeugt dies die Kammer nicht. Insoweit gehen das Tribunal Judiciaire de Paris in seiner Entscheidung vom 3. Juni 2022 (Anlagen AG 15/15a in 4a O 80/22 und 81/22, dort Seite 19) sowie das Stockholmer Landgerichts („Stockholm District Court – Patent and Market Court“) in seiner aus der Anlage AG 47a in 4a O 80/22 und 81/22 ersichtlichen Entscheidung davon aus, dass sich für den Fachmann bereits aus der Ankündigung der Phase-III-Studie mit der vom Verfügungspatent beanspruchten Dosierung von 0,5 mg F täglich ergebe, dass die therapeutische Wirkung nicht mehr nur hypothetisch sei und dass die in Phase II erzielten Ergebnisse eine begründete Hoffnung auf Erfolg darstellten (Anlage AG 13a in 4a O 80/22 und 81/22, dort Seite 19), bzw. dass aus Sicht des Fachmanns die Beschreibung einer Vereinbarung mit der FDA in der B-Präsentation (Dokument K), die 0,5 mg-Dosis in die Phase-III-Studie aufzunehmen, die therapeutische Wirkung belege (vgl. Entscheidung des Stockholmer Landgerichts, Anlage AG 47a in 4a O 80/22 und 81/22). Wie bereits ausgeführt reicht die Information bzw. Ankündigung allein, dass die Dosierung eine klinische Erprobungsphase für eine bestimmte therapeutische Anwendung durchläuft und damit dessen Wirksamkeit erst erprobt wird, für die unmittelbare und eindeutige Offenbarung einer therapeutischen oder pharmakologischen Wirkung nicht zwangsläufig aus. Aus der B-Präsentation (Dokument K) und dem dort erwähnten Treffen mit der FDA ergibt sich aus Sicht der Kammer – wie ausgeführt – nichts Anderweitiges.
  47. dd.
    Es kann weiter nicht festgestellt werden, dass die Grundlagen, auf denen die Schlussfolgerung der Technischen Beschwerdekammer zur erfinderischen Tätigkeit des Verfügungspatents fußt, objektiv unzutreffend wären.
    Eine Erfindung gilt nach Art. 56 EPÜ als auf einer erfinderischen Tätigkeit beruhend, wenn sie sich für den Fachmann nicht in naheliegender Weise aus dem Stand der Technik ergibt. Es ist deshalb zu fragen, ob ein über durchschnittliche Kenntnisse und Fähigkeiten verfügender Fachmann, wie er auf dem technischen Gebiet der Erfindung in einschlägig tätigen Unternehmen am Prioritätstag typischerweise mit Entwicklungsaufgaben betraut wurde und dem unterstellt wird, dass ihm der gesamte am Prioritätstag öffentlich zugängliche Stand der Technik bei seiner Entwicklungsarbeit zur Verfügung stand, in der Lage gewesen wäre, den Gegenstand der Erfindung aufzufinden, ohne eine das durchschnittliche Wissen und Können einschließlich etwaiger Routineversuche übersteigende Leistung erbringen zu müssen (OLG Braunschweig, GRUR-RR 2012, 97, 98). Welche Mühe es macht, den Stand der Technik aufzufinden oder heranzuziehen, ist unbeachtlich (OLG Braunschweig, GRUR-RR 2012, 97, 98).
    Um das Begehen eines von den bisher beschrittenen Wegen abweichenden Lösungsweg nicht nur als möglich, sondern dem Fachmann nahegelegt anzusehen, bedarf es daher – abgesehen von denjenigen Fällen, in denen für den Fachmann auf der Hand liegt, was zu tun ist – in der Regel zusätzlicher, über die Erkennbarkeit des technischen Problems hinausreichender Anstöße, Anregungen, Hinweise oder sonstiger Anlässe dafür, die Lösung des technischen Problems auf dem Weg der Erfindung zu suchen (BGH, GRUR 2009, 746, 748 – Betrieb einer Sicherheitseinrichtung; BGH, GRUR 2012, 378, 379 – Installiereinrichtung II).
    Bei der Prüfung, ob eine spezifische Anwendung eines Medikaments auf erfinderischer Tätigkeit beruht, sind auch Handlungsweisen zu berücksichtigen, die dem Fachmann deshalb nahegelegt waren, weil sie am Prioritätstag zum ärztlichen Standard-Repertoire gehörten (BGH GRUR 2014, 464 – Kollagenese II).
    Ob das Beschreiten eines Lösungswegs für den Fachmann naheliegt, kann auch von der damit verbundenen Erfolgserwartung abhängen. Die Anforderungen an eine angemessene Erfolgserwartung lassen sich nicht allgemeingültig formulieren, sondern sind jeweils im Einzelfall unter Berücksichtigung des in Rede stehenden Fachgebiets, der Größe des Anreizes für den Fachmann, des erforderlichen Aufwands für das Beschreiten und Verfolgen eines bestimmten Ansatzes und der gegebenenfalls in Betracht kommenden Alternativen sowie ihrer jeweiligen Vor- und Nachteile zu bestimmen (BGH, GRUR 2019, 1032 – Fulvestrant; BGH, GRUR 2016, 1027 – Zöliakiediagnoseverfahren; GRUR 2012, 803 – Calcipotriol-Monohydrat; GRUR 2010, 123 – Escitalopram).
    Soweit ein Patent eine bestimmte Zusammensetzung eines Wirkstoffes zum Gegenstand hat, gilt Folgendes: Liegt am Prioritätstag eine Ankündigung eines Pharmaunternehmens vor, zu einem bestimmten Wirkstoff oder einer Dosierung einen klinischen Versuch durchzuführen, so deutet dies darauf hin, dass ein konkreter Plan zur Einführung eines kommerziell verwertbaren Produkts besteht, das u.a. einen brauchbaren Wirkungsgrad aufweist. Eine solche Ankündigung würde der Fachmann nicht als bloße Spekulation abtun, sondern sie vielmehr als einen vielversprechenden Ansatz betrachten (vgl. EPA, Entscheidung vom 13.03.2017 – T 0725/11 – Combination Antiviral Therapy/GILEAD).
    Nach diesen Maßstäben vermag die Kammer auch im Hinblick auf die Erfindungshöhe nicht zu erkennen, dass die Beschwerdekammer von objektiv unzutreffenden Grundlagen ausgegangen ist, bei deren Richtigstellung sie zu der Schlussfolgerung hätte kommen müssen, dass keine erfinderische Tätigkeit vorliegt. Sofern die Verfügungsbeklagte diverse Argumente gegen die Erfindungshöhe anbringt und auch neue Entgegenhaltungen, die im Erteilungsverfahren noch nicht behandelt wurden, anführt, setzt sie letztlich ihre Ansicht an die Stelle der Beschwerdekammer. Diese Argumente führen hingegen nicht dazu, dass die technisch nicht fachkundig besetzte Kammer die mangelnde Patentfähigkeit feststellen könnte. Denn aus ihrer Sicht streiten immer noch genügend vernünftige Argumente für die Erfindungshöhe, so dass die höchstens ungeklärte Patentfähigkeit dazu führt, dass die Kammer den Rechtsbestand bejahen würde, hätte sie darüber selbst zu befinden.
  48. (1)
    Nach der Spruchpraxis des Europäischen Patentamtes ist für die Beurteilung der erfinderischen Tätigkeit von demjenigen am Prioritätstag vorbekannten Kenntnisstand auszugehen, der der technischen Lehre und dem technischen Fortschritt, den das Verfügungspatent bereitstellt, am nächsten kommt (vgl. OLG Düsseldorf, GRUR-RR 2021, 249 Rn. 54). Dies ist nach den Ausführungen der Technischen Beschwerdekammer die D10 (vgl. Anlage FBD 13/13a Ziff. 7.1), wobei die nachfolgenden Ausführungen entsprechend für den Fall herangezogen werden können, dass abweichend davon die K (= D 47) oder Kappos et. al (D14) als nächstliegender Stand der Technik herangezogen würde.
    Wie im Kontext mit der Neuheit gegenüber der D10 ausgeführt, besteht der Unterschied in der Offenbarung der D10 und dem Verfügungspatentanspruch lediglich darin, dass die D10 dem Fachmann nicht unmittelbar und eindeutig eine klinische Wirkung bzw. den therapeutischen Effekt des beanspruchten Dosierungsschemas von 0,5 mg F täglich zur Behandlung von J offenbart.
    Für den Fachmann stellt sich daher ausgehend von den Ergebnissen der Phase-II-Studie und der angekündigten Phase-III-Studie das zu lösende technische Problem, ein weiteres Mittel zur wirksamen Behandlung von J bereitzustellen (vgl. Anlage FBD 13/13a, Ziff.7.5). Unter einer wirksamen Behandlung wird der Fachmann die Reduzierung/Unterbindung von Schüben verstehen.
  49. (a)
    Auf der Grundlage der offenbarten Studienergebnisse der D10 ergab sich für den Fachmann grundsätzlich eine hinreichende Erfolgsaussicht, als Lösung des technischen Problems eine Dosierung von 0,5 mg F zu erwägen und klinisch zu erproben.
    Der Umstand, dass der Wirkstoff F ausweislich der D10 in der Dosierung von 1,25 mg und 5 mg am Menschen erfolgreich klinisch getestet worden war, begründete in Verbindung mit der Ankündigung eines weiteren Studienarms mit geringerer Dosierung – isoliert betrachtet – einen starken Anreiz für den Fachmann, in weiteren klinischen Untersuchungen herauszufinden, welche geringere Dosierung noch die in der D10 berichtete Wirksamkeit und Verträglichkeit aufwies, und damit ein günstiges Verhältnis zwischen der verabreichten Menge an F und seiner Wirkung als S1P-Rezeptmodulator unter Berücksichtigung von unerwünschten Nebenwirkungen aufzufinden. Explizit wurde der Fachmann ausgehend von der D10 auf eine reduzierte Dosierung mit 0,5 mg F gestoßen.
    Insoweit weckte der Umstand, dass in der D10 angekündigt wurde, eine orale Dosis von 0,5 mg F an Patienten mit J in der klinischen Phase-III-Studie als weiteren Arm aufzunehmen, aus Sicht des Fachmanns grundsätzlich eine begründete Erwartung auf Erfolg bei der Behandlung von J. Denn klinische Studien basieren regelmäßig auf Daten, die durch vorklinische in-vitro Tests und Tierversuchen gewonnen wurden, und müssen unter Berücksichtigung ethischer Gesichtspunkte amtlich zugelassen werden. Der Fachmann wird daher erwarten, dass jeder Versuchsarm einer Studie am Menschen zur Behandlung der Erkrankung effektiv ist, soweit der Fachmann durch Berücksichtigung der Dokumente im Stand der Technik nicht zu der begründeten Erwartung gelangt, dass der Versuchsarm scheitern wird, bzw. sofern der Stand der Technik von dieser Lösung nicht weglehrt (vgl. EPA, Entsch. v. 13.9.2017 – T 239/16, BeckRS 2017, 146633 Rn. 90; vgl. EPA, Entsch. v. 4.10.2016 – T 2506/12, BeckRS 2016, 121266 Rn. 84; vgl. EPA, Entsch. v. 22.4.2021 – T 0096/20, GRUR-RS 2021, 16767 Rn. 29; vgl. EPA, Entsch. v. 13.4.2021 – T 1123/16, GRUR-RS 2021, 54217 Rn. 58 und i.E. auch Technische Beschwerdekammer Anlage FBD 13/13a unter Ziff. 7.9).
    Weder die aus der D10 weiter gewonnen Informationen, die bereits Gegenstand der Prüfung der Technischen Beschwerdekammer gewesen ist, noch die vorveröffentlichten Dokumente K und D14 lehren von einer klinischen Wirksamkeit einer Dosis von 0,5 mg F bei der Behandlung von J explizit weg.
    Aus der D10 selbst ergeben sich keine Anhaltspunkte, dass die Verwendung einer Dosierung von 0,5 mg zur effektiven Behandlung von J nicht erfolgsversprechend wäre oder nur dazu aufgenommen wurde, die Wirksamkeit der Dosis 1,25 mg F zu belegen. Dem Fachmann war aufgrund der Offenbarung der D10 zum Prioritätsdatum bekannt, dass sowohl eine einmal tägliche Dosis von 1,25 mg als auch eine 5 mg F bei J-Patienten wirksam war (D10, S. 1 f., vgl. auch Folien 17-19 der K). Denn bei dieser Dosis konnte während der in der D10 vorgestellten 18-monatigen Phase-II-Studie die Rückfallquote verringert werden, wobei die Dosis von 1,25 mg als die niedrigste wirksame Dosis angegeben wurde. Ferner ergab sich aus der D10, dass die Verabreichung der höheren 5 mg-Dosis mit mehr Nebenwirkungen in Verbindung gebracht wurde als die geringere Dosis von 1,25 mg (vgl. u.a. auch Folien 20-23 der K).
    Für den Fachmann sprach daher jedenfalls ausgehend von der D10 nichts dagegen, eine noch geringere Dosierung von 0,5 mg, wie sie als weiterer Versuchsarm angekündigt wurde, für eine ebenso effektive Behandlung von J in Betracht zu ziehen.
    Auch aus der Präsentation der K und aus dem Aufsatz der D14 ergaben sich für den Fachmann keinerlei Anhaltspunkte, von einer begründeten Erwartung der Wirksamkeit einer 0,5 mg-Dosis abzurücken. Insbesondere gab es ausweislich der Folie 26 der K bei einem Treffen mit der FDA im Zusammenhang mit den Ergebnissen der Phase-II-Studie, in welchem zugestimmt wurde, neben der über sechs Monate lang getesteten Dosierung von 1,25 mg F auch eine 0,5 mg-Dosierung oder sogar eine niedrigere Dosierung zum Gegenstand der Phase-III-Studie zu machen, von Seiten der FDA jedenfalls keine Einwände.
  50. (b)
    Zu prüfen ist allerdings, ob der weitere Stand der Technik den Fachmann von einer entsprechenden Erfolgserwartung im Hinblick auf die niedrigere Dosis abbrachte oder eine solche zunichte machte.
    Die Technische Beschwerdekammer hat dies bejaht (vgl. Entscheidung Anlage FBD 13/13a, Ziff. 7.10). Zur Begründung hat sie ausgeführt, dass sich aus dem Dokument D28 „Webb et al.“ (Anlage FBD 16) für den Fachmann ergebe, dass für eine erfolgreiche therapeutische Behandlung von J ein Schwellenwert von mindestens 70 % Lymphozytenreduktion erreicht werden müsse. Aus den Offenbarungen der Dokumente D26 „Park et al.“ (Anlage FBD 17) und D27 „Kahan et al.“ (Anlage FBD 18) in Kombination mit dem Dokument D23 „Thomson“ (Anlage AG 24/24a in 4a O 80/22) schließe der Fachmann, dass eine Dosis von 0,5 mg F diesen Schwellwert der Lymphozytenreduktion in klinischen Versuchen nicht erreiche.
    Zunächst ist darauf hinzuweisen, dass vor dem Hintergrund, dass auch die Technische Beschwerdekammer maßgeblich darauf abgestellt hat, ob ausgehend vom Stand der Technik aus Sicht des Fachmanns ein „Weglehren“ von dem durch das Verfügungspatent beanspruchten Dosierungsschema vorliegt und dies hinsichtlich der geprüften Dokumente bejaht hat, die Kammer hier keine Veranlassung sieht, darauf einzugehen, ob die geprüften Entgegenhaltungen ausreichen, um (auch) ein „technisches Vorurteil“ im Sinne der Rechtsprechung des EPA darzulegen (vgl. hierzu z.B. EPA Entscheidung v. 3.2.2005 – T 1212/01, BeckRS 2005 30686899, beck-online; EPA Entscheidung v. 21.7.2010 – T 1989/08, BeckRS 2010, 146803 Rn. 49).
    Die Kammer sieht im Ergebnis keine durchgreifenden Argumente, die die Grundlagen des Fachvotums der Beschwerdekammer widerlegen und dafür sprechen, dass die Beschwerdekammer aufgrund objektiv unzutreffender Annahmen davon ausging, dass der übrige Stand der Technik den Fachmann von der Erfolgserwartung weglehrte. Vielmehr ist auch die Kammer der Auffassung, dass der Stand der Technik von der im Verfügungspatent beanspruchten Dosierung weglehrte, und der Fachmann trotz Ankündigung der Phase-III-Studie mit der reduzierten Dosierung von 0,5 mg F nicht davon ausging, dass die Dosierung bei der Behandlung von J erfolgreich sein würde. Insofern kommt es auch nicht entscheidend darauf an, ob der Fachmann ergänzend das Verständnis hatte , der zusätzliche Arm sei in die Phase-III-Studie lediglich mitaufgenommen worden, um die Wirksamkeit oder Sicherheit des getesteten Medikaments mit der höheren Dosierung zu belegen.
  51. (aa)
    Die Technische Beschwerdekammer ist der Auffassung, dass der Fachmann aus dem Dokument D28 „Webb et al.“ (Anlage FBD 16, dort auf Seite 118, letzter Absatz) ableitet, dass für eine therapeutische Behandlung von J ein Schwellenwert für die Verringerung der Lymphozyten von mindestens 70 % erforderlich ist. Dass dies – gegenteilig – nicht der Fall wäre, ist nicht ersichtlich.
    Auf S. 118 letzter Absatz der D28 wird insoweit festgestellt:
    „…
    übersetzt:
    „….“
    Dass der Fachmann Widersprüche in der D28 erkennen würde und dieser daher – abweichend von der Auffassung der Technischen Beschwerdekammer – keinen Stellenwert beimessen wird, ist nicht ersichtlich. Dass auf S. 119 1. Absatz der D28 die Korrelation zwischen klinischem Nutzen und Lymphopenie als „unvollkommen“ („imperfect“) bezeichnet wird, steht dem offenbarten Schwellenwert nicht zwingend entgegen, da sich diese Aussage ausweislich der Ausführungen auf Bl. 118 letzter Absatz im Wesentlichen („insbesondere“) auf den Beginn und die Beendigung der Dosisverabreichung zu beziehen scheinen („In spite of these obervations, we did observe disconnection between lymphopoenia and clinical scores. This was particularly seen at the initiation and termination of dosing“, übersetzt: „Trotz dieser Beobachtungen konnten wir eine Entkopplung zwischen Lymphopenie und klinischen Ergebnissen feststellen. Dies war insbesondere zu Beginn und am Ende der Behandlung der Fall.“). Maßgeblich ist zudem nicht, welche – ggf. abweichenden – Informationen der Fachmann den Figuren 5 und 6 der D28 entnehmen kann, die lediglich Daten erster Experimente wiedergeben („initial experiments“, vgl. D28, S. 114). Denn es kommt auf die Schlussfolgerung des Aufsatzes an, die mangels anderweitiger Anhaltspunkte auf den Ergebnissen aller durchgeführten Experimente beruht. Dass diese unrichtig oder widersprüchlich wäre, ist nicht ersichtlich.
    Dass sich die Ausführungen in D28 auf Experimente an Mäusen beziehen, spricht ebenfalls nicht dafür, dass der Fachmann den darin offenbarten Schwellenwert nicht berücksichtigt hätte. Dass EAE-Modelle entgegen dem Vortrag der Verfügungsklägerin (und entgegen den Ausführungen in dem Dokument D23 „Thomson“, vgl. Anlage AG 24/24a in Az. 4a O 80/22) zwingend als anerkanntes Tiermodell zur Erforschung der menschlichen MS im Stand der Technik ausscheiden würden, ist nicht ersichtlich. Auch wenn der zuständige Fachmann aus einem Team eines Klinikers und eines Pharmakologen bestehen sollte, vermag die Kammer nicht auszuschließen, dass er trotz der Existenz von klinischen Studien zum Prioritätszeitpunkt sein Augenmerk zusätzlich auf die Ergebnisse der präklinischen Studien legt. So erscheint es durchaus nachvollziehbar, dass der Fachmann jedenfalls die Tierversuche berücksichtigt, die sich mit genau dem gleichen Krankheitsbild wie dem der Erfindung beschäftigen.
    Die Ausführungen in dem Aufsatz von „Park et al.“ (D26, Anlage FBD 17) stehen dem in der D28 offenbarten Schwellenwert nicht entgegen. Zum Zeitpunkt des Artikels hatte die Dosis von 1,25 mg F in der Phase-II-Studie bereits positive Ergebnisse gezeigt und war dem Fachmann daher geläufig. Zwar scheint sich aus der Figur 7A im Aufsatz von „Park et al.“ (D26, Anlage FBD 17) für diese Dosis von 1,25 mg F eine Lymphozytenreduktion von etwas weniger als 70% zu ergeben. Jedoch wurde diese Dosis – anders als die Dosierungen von 0,25 mg, 0,5 mg, 1,0 mg und 2,5 mg – in dem zugrundeliegenden Versuch nicht untersucht, so dass das gezeigte Schaubild keine sichere Aussage über die Dosis-Wirkung-Beziehung vom 1,25 mg machen konnte. Ferner zeigte sich bereits in der Studie von „Kahan et al.“ (D27, Anlage FBD 18), dass bereits eine Dosis von 1,0 mg F den Schwellenwert von 70 % erreicht (vgl. D27 Figur 1).
    Ferner steht auch der Auszug aus Kapitel 16.4 des Lehrbuchs Multiple Sklerose (Schmidt/Hoffmann (Hrsg.), Urban & Fischer, München 2006, (Anlage AR 15 in Az. 4a O 85/22) dem angenommenen Schwellenwert nicht entgegen. Es ist bereits nicht ersichtlich, dass der Fachmann den Ausführungen nähere Beachtung schenken würde. Denn der Auszug behandelt nicht den bereits im Stand der Technik vorbekannten Wirkstoff F, sondern den Wirkstoff M, der eine andere Wirkweise aufweist als F. Die Verfügungsklägerin hat zudem aufgezeigt, dass die Wirksamkeit von M bei der Behandlung von MS in der Praxis angezweifelt wurde (vgl. Übersichtsarbeit von Farrell et al. aus dem Jahr 2005 in der Fachzeitschrift Expert Opinion on Emerging Drugs, vorgelegt als Anlage FBD 27). Es ist daher nicht ersichtlich, warum der Fachmann einen Anlass dazu gehabt haben sollte, die Ausführungen zum Wirkstoff M auf die Wirkung von F bei der effektiven Behandlung von J zu übertragen.
    Auch sonstige Gründe für den Fachmann, das Dokument D28 nicht als Stand der Technik heranzuziehen, sind nicht ersichtlich. Dass das Dokument D28 nicht in der zusammenfassenden Arbeit von „Thomson“ (Dokument D23) genannt wird, spricht nicht zwingend dafür, dass das Dokument 28 nicht von Relevanz gewesen wäre. Auch soweit die D28 einen relativen Schwellenwert für eine klinische Wirksamkeit nennt und keinen absoluten Wert von Lymphozytenzahlen, erscheint dies aufgrund des Umstands, dass die absolute Zahl von Lymphozyten im Blutkreislauf von Patient zu Patient stark variieren kann, nachvollziehbar.
  52. (bb)
    Die Kammer vermag zudem nicht festzustellen, dass sich die Ansicht der Technischen Beschwerdekammer, aus dem Stand der Technik ergebe sich weiter, dass die angegebene Dosis von 0,5 mg F den Schwellenwert von 70 % nicht erreichen werde (vgl. Entscheidung Anlage FBD 13/13a Ziff. 5.4 (c) unter Verweis auf die Dokumente D27, Abbildung 1, und D26, Abbildung 7A), auf objektiv unzutreffende Grundlagen stützt.
  53. (i)
    Der Aufsatz „Kahan et al.“ (Dokument D27, Anlage FBD 18) untersucht unter anderem den Einfluss verschiedener Dosen von F auf die Lymphozytenreduktion bei stabilen nierentransplantierten Patienten. Der Fachmann entnahm der Figur 1 des Aufsatzes der D27, die nachfolgend – von der Verfügungsklägerin farblich markiert – zur Veranschaulichung eingeblendet wird:
    dass eine Lymphozytenreduktion in Höhe der nach D28 „Webb et al.“ erforderlichen Schwelle von 70% (grün gestrichelte Linie) mit Dosen von 1,0 mg (offene Rauten, grün hervorgehoben), 2,5 mg (Sternchen) und 5,0 mg (geschlossene Dreiecke) erreicht wurde, nicht jedoch mit der vom Verfügungspatent beanspruchten wesentlich geringeren Dosis von 0,5 mg F. Vielmehr ergab sich aus der Figur, dass die Lymphozytenreduktion mit der Erhöhung der Dosierung korreliert.
  54. (ii)
    Aus dem Aufsatz „Park et al.“ (Dokument D26, Anlage FBD 17), dort aus der nachfolgend eingeblendeten Figur 7A, die die Korrelation zwischen verabreichter Dosis F (x-Achse) und der prozentualen Lymphozytenreduktion im Blut (y-Achse) zeigt,
    ergab sich für den Fachmann ebenfalls, dass eine Dosis von 0,5 mg F den Schwellenwert von 70% Lymphozytenreduktion deutlich nicht erreicht und dass tendenziell höhere Dosen zu einer effektiveren prozentualen Reduktion an Lymphozyten führen (vgl. auch D26, S. 683 „XXX produced a dose-dependant increase in mean percent reduction of peripheral lymphocyte counts.“).
    Figur 6 der D26 steht dieser Erkenntnis nicht entgegen. Denn diese behandelt nicht die prozentuale Verringerung der Lymphozyten (relativer Schwellenwert), sondern die Entwicklung der absoluten Lymphozytenkonzentration. Aus dem gleichen Grund kommen den Figuren 5a und 5b nicht die gleiche Aussagekraft zu. Die Lymphozytenanzahl differenziert in der Bevölkerung, sie kann zwischen ca. 1000 und 3000 bei einem erwachsenen Menschen liegen (vgl. Tabelle Spalte Lymphozyten, letzter Wert in Anlage AR 16 in Az. 4a O 85/22). Aufgrund der Schwankungen ist dieser Wert nicht so aussagekräftig wie die relative Verringerung der Lymphozytenanzahl.
  55. (iii)
    Schließlich ergab sich für den Fachmann aus dem Übersichtsartikel über F „Thomson“ (Dokument D23, Anlage AG 24/24a in 4a O 80/22; Anlage WKS 7 in Az. 4a O 79/22), dass die pharmakokinetischen und pharmakodynamischen Ergebnisse nach Verabreichung einer oder mehrerer Dosen von F bei Transplantationspatienten – wie aus der D26 und D27 ersichtlich – auf Patienten mit MS extrapoliert, mithin übertragen, werden können (vgl. so auch Entscheidung der Technischen Beschwerdekammer Anlage FBD 13/13a Ziff. 5.4 (d)). So wird auf Seite 162 in der rechten Spalte im zweiten vollständigen Absatz wie folgt ausgeführt:
    „…“,
    übersetzt:
    „…“.
    Dass der Fachmann dem weiteren Inhalt des Aufsatzes entnommen hätte, dass auch geringere Dosierungen als 1,25 mg eine effektive Behandlung von J gewährleisten, ist nicht ersichtlich. Soweit in der D23 weiter aufgeführt wird, dass Studien an gesunde Probanden und Nierentransplantationspatienten gezeigt hätten, dass auch geringere Dosierungen als die im Stand der Technik als effektiv vorbekannte Dosis von 1,25 mg F zu einer messbaren Verringerung der Anzahl der Lymphozyten geführt hätten, so wurde mit den verschiedenen, oralen Einzel-Dosierungen von 1 mg und 0,25 mg – 3,5 mg bereits keine Verringerung der Lymphozyten von (relativ) 70%, sondern lediglich von 38% bzw. 44% verzeichnet. Sofern die Verfügungsbeklagte meint, aus diesen Zahlen der Veröffentlichung von Thomson bestätige sich der erforderliche Schwellenwert eines Abbaus von 70% der peripheren Lymphozyten für die Wirksamkeit der Dosierung gerade nicht, da keine klare Dosis-Wirkbeziehung festgestellt werden könne, vermag die Kammer nicht zu erkennen, dass diese Aussage der Veröffentlichung Thomson zwingend zu entnehmen ist. Im Gegenteil wird im gleichen Satz ausgeführt, dass höhere Dosen auch zu einem größeren Abbau führten. Zudem handelt es sich um Einzeldosierungen und nicht um eine langfristige, tägliche Verabreichung, die für die Behandlung von J anzuwenden ist. Abgesehen davon hat die Beschwerdekammer in Kenntnis der D23 den Schwellenwert von 70% als entscheidend betrachtet.
  56. (cc)
    Im Ergebnis vermag die Kammer daher trotz der Ankündigung einer Phase-III-Studie mit einer Dosis von 0,5 mg F unter Berücksichtigung des vorgenannten Standes der Technik nicht zu der Überzeugung gelangen, dass entgegen dem vorliegenden Fachvotum hinreichender Anlass für den Fachmann bestand, diese Dosierung als effektive Behandlung für J ernstlich in Betracht zu ziehen. Insbesondere vermag die Kammer nicht festzustellen, dass der Fachmann der Ankündigung der Phase-III-Studie eine größere Bedeutung beigemessen hätte als den Offenbarungen im Stand der Technik, die von der Reduzierung der Dosierung weglehrten.
    Dagegen spricht im Ergebnis auch, dass sich in den vorgenannten Studien aus dem Stand der Technik die Tendenz abzeichnete, dass eine höhere Dosierung von F mit einem höheren bzw. besseren Rückgang der Lymphozytenanzahl verbunden war (auch wenn diese Tendenz in der D23 noch nicht als „klar“ bezeichnet wurde, vgl. D23, S. 163 unten: „…“). Somit bestanden für den Fachmann keine Anhaltspunkte für die Effektivität einer weiteren Reduzierung der Dosis von 1,25 mg.
    Gegen eine Reduzierung der Dosis auf 0,5 mg spricht auch, dass dem Fachmann aus dem Stand der Technik ersichtlich war, dass eine erhöhte Dosis F zu einer Reduzierung der Streuung der bei den Patienten gemessenen Lymphozytenreduktion (sogenannte „inter- und intra-Patientenvariabilität“) führt (vgl. Anlage D26, S. 692 „…“). Sofern die Verfügungsbeklagte anführt, die Streuung zeige allenfalls, dass sich erst ein Gleichgewicht („…“) einstellen müsse und lasse keinen Rückschluss auf die Effektivität der 0,5 mg Dosis zu, sieht die Kammer darin kein Argument, das den Fachmann zwingend veranlasst hätte, die anspruchsgemäße Dosis zu wählen.
  57. (2)
    Auch die Entgegenhaltung Tedesco-Silva et. al (Anlage TW 18, Az. 4a O 84/22) vermag den Fachmann im Ergebnis ebenso wenig wie der bereits behandelte Stand der Technik in seiner Erfolgserwartung zu bestätigen. Untersucht wurde auch hier die Zahl der absoluten Lymphozyten und deren Veränderungen, also der Mechanismus von F, der für die hiesige Erfindung relevant ist. Die Ergebnisse sind in der Figur 2 abgebildet. Auch wenn die Patientenanzahl der Studie höher ist als bei anderen, oben behandelten Studien, erscheint die Aussage anhand der absoluten Lymphozytenanzahl nicht belastbar genug, um den Fachmann trotz der Ergebnisse der EAE-Studie bei Webb et al. die Dosis von 0,5 mg als erfolgversprechend in Betracht ziehen zu lassen. Zudem zeigt die Figur 2 keine einheitliche Nulllinie, so dass der Fachmann ihr keine verlässliche Aussage bei den verschiedenen Dosierungen zur Vergleichbarkeit der Reduzierung entnehmen kann.
    Angesichts dessen, dass diese Entgegenhaltung im Erteilungsverfahren als Dritteinwendung – so versteht die Kammer den Vortrag der Verfügungsbeklagten – nicht vorgelegt wurde, mag dies ein Indiz dafür sein, dass sie jedenfalls keinen näher liegenden Stand der Technik darstellt als der bereits Eingeführte.
  58. (3)
    Sofern die Verfügungsbeklagte darüber hinaus den Abstract #612, von Kovarik. et al. (Anlage TW 13, Az. 4a O 84/22) ebenfalls als neue Entgegenhaltung anführen möchte, hat die Verfügungsklägerin eingewendet, dass dieser Beitrag der Entgegenhaltung Tedesco-Silva entspreche, bei der es sich um die vollständigere Analyse handele. Hierfür spricht die Personenidentität mit dem Zweitautor und die spätere Veröffentlichung mit höherer Patientenanzahl. Insofern ist auf die obigen Ausführungen zu verweisen. Das Bestreiten mit Nichtwissen der Verfügungsbeklagten ist in diesem Zusammenhang unbehelflich, da der Inhalt eines veröffentlichten Konferenzbeitrages nicht Gegenstand der eigenen Wahrnehmung, sondern von der Partei recherchierbar und damit nachprüfbar ist.
  59. (4)
    Auch ausgehend von der Entgegenhaltung „Kovarik et al.“ (Anlagenkonvolut AG 35/ D16Az. 4a O 80/22; Anlage FBD 26), einem im Jahr 2005 in der Zeitschrift „Multiple Sclerosis“ veröffentlichten Abstract unter dem Titel „XXX exposure/efficacy relationship in a 6-month phase 2 study in patients with relapsing MS“, der von der Technischen Beschwerdekammer im Beschwerdeverfahren nicht ausdrücklich bei der erfinderischen Tätigkeit geprüft worden ist, wird dem Fachmann der Gegenstand des Verfügungspatents nicht nahegelegt.
    Der Offenbarungsgehalt der D16 geht insoweit bereits nicht über die D10 oder K hinaus. Auch die D16 berichtet über die Ergebnisse der B-Studie zum Verhältnis zwischen Exposition und Wirksamkeit von XXX (F) in der internationalen, multizentrischen, doppelblinden 6-monatigen Studie, die an 281 Patienten mit schubförmiger MS durchgeführt wurde. Die D16 offenbart, dass die XXX (nach den Ergebnissen der ersten sechs Monate) in den eingesetzten Dosierungen von 1,25 mg/Tag (n=94) und 5,0 mg/Tag (n=94) im Vergleich zu Placebo (n=93) sowohl die MRI als auch die klinische MS-Aktivität signifikant reduzierte.
    Soweit unter dem Punkt „Conclusion“ ausgeführt wird, dass die pharmakokinetische/dynamische Modellierung ein flaches Expositionsverhältnis zeige, was darauf hindeute, dass bei den beiden getesteten Dosierungen ein nahezu maximales Ansprechen erzielt worden sei und diese Daten dafür sprächen, in künftigen MS-Studien potenziell niedrigere Dosierungen von XXX zu untersuchen (D16, vorletzter Satz: „XXX“), so geht diese Information bzw. Schlussfolgerung aus Sicht des Fachmanns bereits aus der D10 und auch aus der K aufgrund der Ankündigung der Phase-III-Studie mit einem Studienarm mit einer reduzierten Dosis hervor (s.o.).
    Selbst falls der Fachmann ausgehend von der D16 damit grundsätzlich zu der Erfolgserwartung gelangt, auch geringere Dosierungen auf ihre Wirksamkeit bei der Behandlung von J klinisch zu erproben, so besteht zum einen keine Anregung dahingehend, gerade die verfügungspatentgemäße Dosierung von 0,5 mg F (Merkmal 1.2) zu wählen, zum anderen wird diese Erfolgserwartung – wie oben ausgeführt – durch das Weglehren im Stand der Technik erschüttert. Insoweit wird auf die obigen Ausführungen Bezug genommen. Im Übrigen ist auch nicht ersichtlich, warum der Fachmann ausgehend von der D16 gerade die nach den Informationen aus dem Stand der Technik nicht hinreichend wirksame Dosis von 0,5 mg F erproben sollte und nicht beispielsweise die aus der D27 erfolgversprechendere Dosis von 1,0 mg F.
  60. (5)
    Die Kammer kommt auch unter der Berücksichtigung der Entscheidungen ausländischer Gerichte nicht dazu, dass die Erfindungshöhe zwingend zu verneinen wäre. Vielmehr bleibt die Frage der Patentfähigkeit auch unter Berücksichtigung der Entscheidungen jedenfalls ungeklärt.
    Die die erfinderische Tätigkeit verneinenden Entscheidungen ausländischer Gerichte stützen ihre Auffassung nicht auf Argumente, die über die von der Verfügungsbeklagten vorgebrachten Argumente hinausgehen. So kommen sowohl das Handelsgericht Barcelona (Entscheidung vom 10. Oktober 2022, Anlagen AG 36/36a in 4a O 80/22 und 81/22), das Tribunal Judiciaire de Paris (Entscheidungen vom 19. Mai 2022, Anlagen AG 13/13a und AG 19/19a), ein Schweizer Fachrichtervotum des Fachrichters Bremi vom 15. August 2022 (Anlage AG 20 in 4a O 80/22 und 81/22), das Stockholmer Landgericht (Anlage AG 47a in 4a O 80/22 und 81/22) sowie das Finnisches Marktgericht (Entscheidung vom 23. Dezember 2022, Anlage AG 53/53a in 4a O 80/22 und 81/22) zu dem Schluss, dass entgegen der Auffassung der Technischen Beschwerdekammer die Ankündigung einer Phase-III-Studie mit der vom Verfügungspatent beanspruchten Dosierung in der D10 bzw. K aus Sicht des Fachmanns deren klinische Wirksamkeit nahelegt und ein Weglehren von dieser Dosierung aus dem Stand der Technik nicht hinreichend ersichtlich sei. In den Entscheidungen wird überwiegend ein strengerer Maßstab an die Verbreitung bzw. das Gewicht der von der beanspruchten Dosierung weglehrenden Ansichten im Stand der Technik angelegt. Ferner wird der Ankündigung der Phase-III-Studie demgegenüber eine höhere Bedeutung zugemessen (vgl. z.B. Handelsgericht Barcelona, Entscheidung vom 10. Oktober 2022, Anlagen AG 36/36a in 4a O 80/22 und 81/22, dort S. 13, Rn. 36; Tribunal Judiciaire de Paris, Entscheidung vom 19. Mai 2022, Anlagen AG 19/19a; Entscheidungen des Stockholmer Landgerichts, Anlage AG 47a in 4a O 80/22 und 81/22). Soweit die ausländischen Gerichte mit einer mehr (z.B. Fachrichtervotum des Fachrichters X vom 15. August 2022, Anlage AG 20 in 4a O 80/22 und 81/22) oder weniger tiefen Begründung (z.B. Finnisches Marktgericht, Entscheidung vom 23. Dezember 2022, Anlage AG 53/53a in 4a O 80/22 und 81/22) zu dem Schluss kommen, die Dokumente, die nach Ansicht der Verfügungsklägerin den Fachmann von der beanspruchten Dosierung weglehren, würden aus Sicht des Fachmanns nicht eindeutig darauf hinweisen, dass eine Dosierung von 0,5 mg F täglich keine wirksame Behandlung von J gewährleiste, handelt es sich jeweils lediglich um eine von der Technischen Beschwerdekammer abweichende Rechtsauffassung zur Erfindungshöhe des Verfügungspatents. Insoweit ist es selbstverständlich denkbar und auch realistisch, dass der Rechtsbestand eines Patents in verschiedenen Jurisdiktionen letztlich unterschiedlich beurteilt wird. Dies betrifft vordringlich den Streit um die Erfindungshöhe, mit der keine mathematisch exakte, sondern eine wertend abwägende Frage aufgeworfen ist, die im Einzelfall mit ebenso guten Gründen in die eine wie die andere Richtung beantwortet werden kann.
    Vor diesem Hintergrund vermögen die anderweitigen ausländischen Entscheidungen keine durchgreifenden Argumente aufzuzeigen, die die Kammer dazu veranlassen würde, von dem Fachvotum der Technischen Beschwerdekammer abzuweichen.
  61. ee.
    Die Kammer vermag auch keine unzulässige Erweiterung festzustellen.
  62. (1)
    Art. 123 Abs. 2 EPÜ untersagt Änderungen von Anmeldung und Patent, die zur Folge haben, dass deren Gegenstand „über den Inhalt der Anmeldung in der ursprünglich eingereichten Fassung hinausgeht“. Maßgebend ist der Inhalt der Anmeldung, wie er sich am zuerkannten Anmeldetag darstellt (EPA GrBK Entscheidung v. 19.11.1992 – G 0011/1991, BeckRS 1992 30480722 – Glu-Gln). Inhalt der Anmeldung in diesem Sinne ist alles, was der Fachmann unmittelbar und eindeutig der Gesamtheit der Anmeldungsunterlagen (Beschreibung, Patentansprüche und Zeichnungen, unter Ausschluss der Zusammenfassung und der Prioritätsunterlagen) unter Berücksichtigung seines allgemeinen Fachwissens entnehmen kann. Nicht nur jede Berichtigung, sondern vor allem auch jede Änderung der die Offenbarung betreffenden Teile einer europäischen Patentanmeldung oder eines europäischen Patents (der Beschreibung, der Patentansprüche und der Zeichnungen) darf nur im Rahmen dessen erfolgen, was der Fachmann der Gesamtheit dieser Unterlagen in ihrer ursprünglich eingereichten Fassung unter Heranziehung des allgemeinen Fachwissens – objektiv und bezogen auf den Anmeldetag – unmittelbar und eindeutig entnehmen kann (EPA Entscheidung v. 19.11.1992 – G 0003/1989, BeckRS 1992 30479462; EPA GrBK Entscheidung v. 19.11.1992 – G 0011/1991, BeckRS 1992 30480722 – Glu-Gln; EPA, GRUR Int 1985, 44 – Bleilegierungen/SHELL; vgl auch EPA, Entscheidung vom 22.07.2009 – T 0465/07; BGH, GRUR 2010, 910 – Fälschungssicheres Dokument).
    Nimmt ein Patent eine therapeutische Wirkung als technisches Merkmal für sich in Anspruch, so ist für die Beurteilung der Erfordernisse des Artikels 123 Abs. 2 EPÜ zu prüfen, ob die Anmeldung in der eingereichten Fassung eine Offenbarung enthält, aus der sich unmittelbar und eindeutig ableiten lässt, dass die therapeutische Wirkung erzielt wird, wenn die Behandlung wie beansprucht durchgeführt wird. Kündigt eine Patentanmeldung eine klinische Studie an, deren Ziel darin besteht, den klinischen Nutzen einer bestimmten Behandlung zu untersuchen, so können Aussagen über Ziel und Zweck der Studie vom Fachmann nicht als klare und eindeutige Offenbarung verstanden werden, dass die angestrebte Wirkung auch tatsächlich erreicht wird. Eine solche Ankündigung wurde der Fachmann vielmehr dahin verstehen, dass Unsicherheiten darüber bestehen, ob die zu prüfenden Wirkungen erzielbar sind oder nicht und dass diese Unsicherheiten die Studie erforderlich machen. (EPA, Entscheidung vom 01.10.2020 – T 2842/18, Rn 39, 48 – Rituximab).
  63. (2)
    Auch wenn die unzulässige Erweiterung nicht in der Entscheidung der Beschwerdekammer behandelt wurde, ist sie bereits in ihrer Mitteilung vom 8. Oktober 2021 (Anlage FBD 11, Ziffer IV. (a)) auf den Einwand eingegangen und hat die unzulässige Erweiterung verneint. Daraus lässt sich schließen, dass die Beschwerdekammer im Rahmen der Entscheidung diesen Einwand als unproblematisch angesehen und deswegen nicht weiter behandelt hat, nicht jedoch dass er übersehen und/oder nicht geprüft worden ist. Angesichts dessen, dass im Rahmen der Erteilung insbesondere die Prüfung der unzulässigen Erweiterung als eine der von Amts wegen zu berücksichtigenden Kernpunkte darstellt, kann der in zweiter Instanz ergangenen Entscheidung in diesem Punkt ebenfalls ein gesteigertes Vertrauen entgegen gebracht werden.
    Dass die Verneinung der unzulässigen Erweiterung durch die Technische Beschwerdekammer auf objektiv unzutreffenden Grundlagen fußen würde, ist darüber hinaus nicht ersichtlich.
  64. (a)
    So ergibt sich eine unzulässige Erweiterung entgegen der Auffassung der Verfügungsbeklagten nicht daraus, dass in der Anmeldung nur die Verabreichung einer 0,5mg-Dosis in Form eines Hydrochlorid-Salzes, jedoch nicht in freier Form oder in Form anderer pharmazeutisch akzeptabler Salze – wie beim Verfügungspatent der Fall – offenbart wäre. Die Anmeldung des Verfügungspatents (EP 2 959 XXX A1; nachfolgend: A1-Schrift) offenbart in Absatz [0016] eine bevorzugte Verbindung der zuvor beschriebenen Formel I, nämlich 2-Amino-2-tetradecyl-1,3-propandiol. Als besonders bevorzugter S1 P-Rezeptor-Agonist der Formel I ist XXX, d. h. 2-Amino-2-[2-(4-octylphenyl) ethyl]propan-1,3-diol in freier Form oder in einer pharmazeutisch akzeptablen Salzform, z. B. dem Hydrochloridsalz genannt („A preferred compound of formula I is 2-amino-2-tetradecyl-1,3-propanediol. A particularly preferred S1 P receptor agonist of formula I is XXX, i.e. 2-amino-2-[2-(4-octylphenyl) ethyl]propane-1,3-diol in free form or in a pharmaceutically acceptable salt form […], e.g. the hydrochloride salt, […]“). Der Fachmann versteht die Druckschrift an dieser Stelle dahingehend, dass ein Hydrochloridsalz lediglich ein Beispiel für ein pharmazeutisch akzeptables Salz ist, in dem das XXX – neben der Darreichung in freier Form – enthalten sein kann.
    Zum klinischen Nutzen heißt es in der Anmeldung in Absatz [0033] wie folgt:
    „…
    In deutscher Übersetzung:
    „…“
    Im Zusammenhang mit dem oben zitierten Offenbarungsgehalt Absatz [0016] der A1-Schrift wird der Fachmann diese Darstellung der klinischen Studie nicht dahingehend verstehen, dass allein die Verabreichung einer 0,5-mg-Dosis F in Form eines Hydrochloridsalzes offenbart wird. Die vorzitierten Passage spricht von der Untersuchung des klinischen Nutzens eines S1P-Rezeptor-Agonisten, wie z.B. einer Verbindung gemäß der Formel I. Die Passage ist weder vom Wortsinn her noch funktional auf die Verwendung eines Hydrochloridsalzes beschränkt. Aufgrund der Ausführungen in Absatz [0016] wird der Fachmann vielmehr davon ausgehen, dass sich die klinische Studie ohne Einschränkungen auf alle möglichen Darreichungsformen des S1 P-Rezeptor-Agonisten beziehen kann, also auch auf die freie Form oder die Form eines pharmazeutisch akzeptablen Salzes, von dem Hydrochloridsalz lediglich ein Beispiel ist. Im Kontext der Darstellung der klinischen Studie wird auch deutlich, dass sich die Dosierung des Wirkstoffes nicht je nach Darreichungsform ändert. Denn Absatz [0033] der A1-Schrift offenbart eindeutig, dass die 20 Studienteilnehmer den S1P-Rezeptor-Agonisten, also die genannte Verbindung gemäß z.B. Formel I – laut S. 9 also 2-Amino-2-tetradecyl-1,3-propandiol – in einer Tagesdosis von 0,5, 1,25 oder 2,5 mg p.o. erhalten („20 patients […] receive said compound at a daily dosage of 0.5, 1.25 or 2.5 mg p.o.“). Der Fachmann versteht dies als die Verabreichung der genannten Mengen an Wirkstoff und nicht bezogen auf die Darreichungsform – freie Form oder pharmazeutisch akzeptables Salz.
  65. (b)
    Ferner ist auch der therapeutische Nutzen der 0,5-mg-Dosis F zur Behandlung von schubförmig-remittierender Multipler Sklerose am Menschen in der Anmeldung eindeutig und unmittelbar offenbart. Der Fachmann kann – auch unter Anwendung seines allgemeinen Fachwissens – eine eindeutige und unmittelbare Offenbarung des vorbeschriebenen klinischen Nutzens der Anmeldung entnehmen.
    Der Fachmann wird die vorzitierten Passage im Zusammenhang mit Absatz [0030] dahingehend verstehen, dass es sich zwar um eine zukünftige Studie handelt, die indes die Wirksamkeit der therapeutischen Behandlung nicht nur erforsche, sondern diese zeigen solle („preventing or treating […], may be demonstrated […] as well as in clinic [test methods], for example in accordance with the methods hereinafter described “). Insofern bleibt für den Fachmann das Ergebnis nicht offen, sondern es wird ein Weg gezeigt, der die Wirksamkeit der Erfindung belegt. Insofern verbleiben die Patienten so lange in Behandlung, wie die Krankheit nicht fortschreitet. Dies genügt als Offenbarung der Verwendung bei der Behandlung von schubförmiger J und erscheint nicht nur als bloße Ankündigung.
  66. 2.
    Aus den von beiden Parteien angeführten Entscheidungen ausländischer Gerichte zum Rechtsbestand des Verfügungspatents vermag die Kammer für die hiesige Frage des Verfügungsgrundes jedenfalls keine Überzeugung herzuleiten, dass der Rechtsbestand nicht hinreichend gesichert ist. Insofern wird auf die obigen Ausführungen zur den einzelnen Einwänden verwiesen.
    So hat sich das Tribunale de Milano mit Entscheidung vom 25. Oktober 2022 für einen Rechtsbestand des Verfügungspatents ausgesprochen (Anlage FBD 29 und Anlage FBD 29a).
    Gegen einen gesicherten Rechtsbestand haben sich folgende Gerichte ausgesprochen:
    – Handelsgericht Barcelona, Entscheidung vom 10. Oktober 2022, Anlagen AG 36/36a in 4a O 80/22 und 81/22;
    – Gerechtshof den Haag, erstinstanzliche Entscheidung vom 21. Juni 2022, Anlagen AG 17/17a in 4a O 80/22 und 81/22; Berufungsentscheidung vom 18. Oktober 2022, Anlagen AG 37/37a in 4a O 80/22 und 81/22;
    – Tribunal Judiciaire de Paris, Entscheidungen vom 3. Juni 2022, Anlagen AG 15/15a, 19. Mai 2022, Anlagen AG 13/13a, und 19. Mai 2022, Anlagen AG 19/19a in 4a O 80/22 und 81/22;
    – Schweizer Fachrichtervotum des Fachrichters Bremi vom 15. August 2022, Anlage AG 20 in 4a O 80/22 und 81/22;
    – drei Entscheidungen des Stockholmer Landgerichts („Stockholm District Court – Patent and Market Court“), Anlage AG 47a in 4a O 80/22 und 81/22;
    – finnisches Marktgericht, Entscheidung vom 23. Dezember 2022, Anlage AG 53/53a in 4a O 80/22 und 81/22.
    Sofern vertreten wird, dass das Vorliegen einer fundierten Aufrechterhaltungsentscheidung zu einem ausländischen Parallelschutzrecht aus einer namhaften Jurisdiktion, die sich mit den auch im Verfügungsverfahren relevanten Entgegenhaltungen befasst, zur der Einschätzung führen kann, dass es für den hinreichend gesicherten Rechtsbestand einer kontradiktorischen Entscheidung nicht bedarf (vgl. Kühnen, Hdb., 15. Aufl., Kapitel G Rn. 62), so hat die Kammer diese Einschätzung bereits aus dem Vorliegen außergewöhnlicher Umstände gewonnen. Den (abweichenden) Entscheidungen der ausländischen Gerichte kommt daher allenfalls im Rahmen der Prüfung, ob bessere Argumente für oder gegen den Rechtsbestand sprechen, Bedeutung zu (vgl. oben.; vgl. BGH GRUR 2010, 950 – Walzenformgebungsmaschine), wobei die Kammer angesichts der vorstehenden Ausführungen zu dem Ergebnis kommt, dass die Patentfähigkeit allenfalls ungeklärt ist, mit der Folge, dass sie im Falle ihrer eigenen Entscheidung, den Rechtsbestand zu bejahen hätte.
  67. II.
    Die Verfügungsbeklagte hat darüber hinaus keine Einzelfallumstände aufgezeigt bzw. glaubhaft gemacht, welche entweder die hohen Schäden auf Seiten der Verfügungsklägerin in Frage stellen könnten und/oder eine besonderes Interesse der Verfügungsbeklagten begründen, das überwiegend gegen eine Entscheidung im Eilrechtsschutz sprechen würde. Die Gesamtumstände des Einzelfalls lassen daher die Interessenabwägung zugunsten der Verfügungsklägerin ausfallen.
  68. 1.
    Zunächst stehen dem Interesse der Verfügungsklägerin als Inhaberin des Verfügungspatents an einer Entscheidung im Eilverfahren nicht die Ausführungen der Kammer mit Urteil vom 2. September 2022 (Az. 4a O 44/22) entgegen, wonach das Allgemeininteresse an dem grundsätzlichen Vertrieb von Generika und der Ergänzung der Gesundheitsversorgung neben dem Originalpräparat der Verfügungsklägerin sowie an einer dadurch einhergehenden Preisregulierung nicht per se als geringer einzuschätzen ist als das Interesse der Verfügungsklägerin, das Original weiterhin exklusiv am Markt anzubieten. Denn der der Entscheidung zugrundeliegende Sachverhalt war ein anderer. Im vorzitierten Fall stand der von der hiesigen Verfügungsklägerin beanstandete Vertrieb der Generika – anders als hier – noch nicht einem erteilten Patent entgegen. Das Interesse der Verfügungsklägerin als Patentinhaberin, den Vertrieb eines patentverletzenden Generikums untersagen zu lassen, ist aufgrund der gesetzlichen Wertung, eine Monopolstellung als Belohnung für technische Innovationsinvestitionen zu vergeben und deren Durchsetzung durch den Unterlassungsanspruch zu garantieren, bereits höher einzuschätzen als ihr Interesse, ein (noch) nicht unter Patentschutz stehendes Original-Präparat exklusiv am Markt anzubieten.
  69. 2.
    Die Verfügungsklägerin hat glaubhaft gemacht, dass ihr durch das Angebot und den weiteren Vertrieb von „D“-Generika, zu denen die angegriffene Ausführungsform zählt, ein irreversibler Preisverfall und damit Schaden droht.
  70. a.
    Die Verfügungsklägerin hat den Eintritt und das Bevorstehen erheblicher Umsatzeinbußen nach Erteilung des Verfügungspatents glaubhaft gemacht.
  71. aa.
    Die Verfügungsklägerin hat durch Vorlage der eidesstattlichen Versicherung der O für das gesamte MS-Portfolio, inklusive „D“, Frau N, (Anlage FBD 3) glaubhaft gemacht, dass bei einem ungehinderten Vertrieb von „D“-Generika für die Monate Oktober, November und Dezember des Jahres X mit Umsatzeinbußen in Höhe von X Millionen Euro zu rechnen sei. Die Verfügungsklägerin habe derzeit mit Wirkung für X % der GKV-Versicherten in Deutschland Open-House- oder Rabattverträge abgeschlossen, um Einbußen an ihren Marktanteilen nach dem Eintritt ihrer generischen Wettbewerber auf ein Minimum zu reduzieren. Durch den Abschluss der Verträge soll insoweit die „X-Regel“ aus § 12 Abs. 1 des Rahmenvertrages über die Arzneimittelversorgung nach § 129 Abs. 2 SGB V ausgehebelt werden, wonach das patentgeschützte Originalpräparat der Verfügungsklägerin von Apotheken bei Vorhandensein von jedenfalls vier günstigeren Konkurrenzprodukten nur noch abgegeben werden darf, wenn der verschreibende Arzt eine Substitution durch Setzen des „aut-idem“-Kreuzes ausdrücklich ausschließt.
    Frau O hat weiter eidesstattlich versichert, dass insbesondere im Rahmen der geschlossenen Open-House-Verträge damit Abschläge von 80 % auf den Listenpreis für „D“ akzeptiert worden seien. Diese setzten sich aus einem „Basisrabatt“ und einem „Preissicherungsrabatt“ zusammen. Der prozentuale Anteil des Basisrabatts im jeweiligen Open-House-Vertrag sei festgeschrieben, der Preissicherungsrabatt hingegen vollständig variabel und bemesse sich nach den gegenwärtigen Abgabepreisen der drei günstigsten pharmazeutischen Unternehmer auf dem Markt. Befinden sich keine weiteren Wettbewerber auf dem Markt, entfalle der Preissicherungsrabatt.
    Auch wenn die mit den Open-House- oder Rabattverträge einhergehenden Umsatzeinbußen bis zur Erteilung des Verfügungspatents hier nicht maßgeblich sind, – da bis dato der Vertrieb der angegriffenen Ausführungsform rechtmäßig war – führt vor diesem Hintergrund das Vorhandensein generischer Wettbewerber am Markt auch nach Erteilung des Verfügungspatents zu Umsatzeinbußen bei der Verfügungsklägerin. Denn der Preissicherungsrabatt bleibt bestehen.
    Zudem hat Frau O eidesstattlich versichert, dass im Falle einer weiteren Reduzierung der Abgabepreise durch die Generika-Anbieter im Markt, für die eine Tendenz ersichtlich sei, auch die Preissicherungsrabatte der laufenden Open-House-Verträge steigen würden und Rabattforderungen der Krankenkassen im Rahmen der individuellen Rabattverträge zu erwarten seien. Dass auch nach Erteilung des Verfügungspatents eine weitere Reduzierung der Abgabepreise droht, hat die Verfügungsklägerin zudem durch Vorlage von Auszügen aus der Lauer-Taxe mit Stand vom X und X weiter glaubhaft gemacht (Anlage FBD 31). Nicht von der Hand zu weisen ist schließlich, dass ein ungehinderter Weitervertrieb der angegriffenen Ausführungsform Anreiz für den Markteintritt weiterer Generikaunternehmen bietet, der wiederum weitere Preisabsenkungen nach sich ziehen würde.
  72. bb.
    Die Verfügungsbeklagte vermochte nicht, die Glaubhaftmachung der eingetretenen und weiter drohenden Umsatzeinbußen zu erschüttern.
    Selbst unterstellt, der F-Markt sei insgesamt tatsächlich rückläufig, besteht weiterhin die Gefahr eines nicht wiedergutzumachenden Preisverfalls. Dass die Umsatzprognosen der Verfügungsklägerin optimistischer sein mögen als es die Marktlage vorgibt, ist insoweit unschädlich, da dennoch erhebliche Umsatzeinbußen glaubhaft gemacht wurden.
    Zulasten der Verfügungsklägerin ist auch nicht zu berücksichtigen, dass sie den Verkaufspreis von „D“ im April X im Vergleich zu dem Verkaufspreis ihrer generischen Wettbewerber erhöht hatte und die Abgabe ihres Produktes nach der „4G“-Regel damit weniger wahrscheinlich wurde. Denn es kommt hier maßgeblich auf den mit der „4G“-Regel verbundenen Mechanismus an, der der Verfügungsklägerin als Patentinhaberin eine freie Preisgestaltung aufgrund des Vorhandenseins von günstigeren Generikapräparaten erschwert. Dieser Mechanismus besteht auch noch nach Patenterteilung.
    Ferner vermag es die Glaubhaftmachung der zu erwartenden Umsatzrückgänge nicht zu erschüttern, dass die von der Verfügungsklägerin dargelegten Umsatzprognosen für das Jahr 2022 im Laufe des Jahres den tatsächlichen Gegebenheiten mehrmals angepasst wurden. Auch eine gefestigte Tendenz der Ärzte, bei der Verschreibung von „D“ vermehrt das „aut-idem“-Kreuz zu setzen, ist nicht hinreichend dargetan.
    Einem Preisverfall zulasten der Verfügungsklägerin steht ferner nicht die zunächst bis zum 07.04.2023 zeitlich befristete SARS-CoV-2-Arzneimittelversorgungsverordnung entgegen. Nach dieser können nicht verfügbare, vorrangig abzugebende Arzneimittel mit wirkstoffgleichen, lieferbaren Arzneimitteln – unter teilweiser Aushebelung der „4G-Regel“ und unabhängig von bestehenden Rabattverträgen – substituiert werden. Nicht ersichtlich ist indes, dass die hier streitgegenständlichen generischen Konkurrenzprodukte in absehbarer Zeit nicht verfügbar sein werden. Entsprechendes ist auch nicht glaubhaft gemacht worden. Es reicht insbesondere nicht aus, darzulegen, dass eines der Konkurrenzprodukte in weniger Apotheken auf Lager liegt als das Originalpräparat. Überdies bedeutet der Umstand, dass ein Medikament nicht „auf Lager“ ist, nicht zwingend, dass dieses nicht verfügbar wäre, zum Beispiel indem es – wie in Apotheken üblich – zur Abholung für den selben Werktag bestellt werden kann.
  73. b.
    Die Verfügungsklägerin hat durch Vorlage der eidesstattlichen Versicherung der Anlage FBD 3 weiter glaubhaft gemacht, dass – wie es bei Verletzungshandlungen von Generikaunternehmen regelmäßig der Fall ist – die Bildung einer Festbetragsgruppe für F im Wege des bereits begonnenen Festbetragsgruppenbildungsverfahrens vor dem Gemeinsamen Bundesausschuss und damit ein weiterer Preisverfall droht.
    Insoweit hat Frau O in ihrer eidesstattlichen Versicherung (Anlage FBD 3) erläutert, dass zu befürchten sei, dass der Festbetrag, der der maximale Betrag ist, den die gesetzlichen Krankenkassen für das Arzneimittel bezahlen, erheblich unter dem derzeitigen Listenpreis für „D“ liegen werde. Denn dieser werde anhand der Abgabepreise der (auch von den Generika-Anbietenden bis zu 89 % günstigeren) auf dem Markt verfügbaren Standardpackungen bemessen.
    Insoweit soll der Festbetrag für die Arzneimittel in einer Festbetragsgruppe nach § 35 Abs. 5 S. 4 SGB V den höchsten Abgabepreis des unteren Drittels des Intervalls zwischen dem niedrigsten und dem höchsten Preis einer Standardpackung nicht übersteigen. Je mehr Generika-Präparate im Markt sind, deren Abgabepreise unter dem Listenpreis des Originalpräparates der Verfügungsklägerin liegen, desto eher wird daher mit der Festsetzung eines niedrigeren Festbetrags zu rechnen sein. Dass der festzusetzende Festbetrag für F dem (höheren) Abgabepreis von „D®“ nahekommen wird, ist demgegenüber nicht ersichtlich, insbesondere, da nach § 35 Abs. 5 S. 2 Hs. 1 SGB V Festbeträge an möglichst preisgünstigen Versorgungsmöglichkeiten auszurichten sind.
    Dass mit einer Festsetzung eines niedrigeren Festbetrages ein irreversibler Preisverfall verbunden wäre, liegt damit auf der Hand. Denn liegt der Verkaufspreis des Originalpräparates der Verfügungsklägerin höher als der Festbetrag, müssen Patienten die Differenz entweder selbst begleichen oder sie entscheiden sich – naheliegender Weise – für ein therapeutisch gleichwertiges Arzneimittel ohne Aufzahlung. Die Verfügungsklägerin hat daher ein dringendes Interesse daran, den Vertrieb von „D“-Generika zu untersagen, um eine Gruppenbildung und damit die Festsetzung eines Festbetrages zu vermeiden.
    Dies gilt selbst dann, wenn man davon ausginge, dass das bereits eingeleitete Verfahren zur Bildung eines Festbetrages nach § 35 SGB V einen Zeitraum von über einem Jahr beanspruchen kann, so dass der dadurch angestoßene Preisverfall tatsächlich erst später eintreten würde. Denn der Umstand, dass das Generikum nach Erteilung des Verfügungspatents weiter auf dem Markt ist, perpetuiert die Ursache des Preisverfalls.. Die behauptete Zeitverzögerung ändert deswegen nichts daran, dass die Verfügungsklägerin als Originalpräparat-Herstellerin ein legitimes und vitales Interesse daran hat, die voraussichtlich zu einem bedeutsamen Preisverfall führende Kausalkette jedenfalls abzuschwächen (vgl. OLG Düsseldorf, GRUR-RR 2021, 249 Rn. 25 – Cinacalcet II). Die rein theoretische Möglichkeit, dass ein festgesetzter Abgabenpreis grundsätzlich auch wieder angepasst oder aufgehoben werden kann, und im Falle einer Klage in Bezug auf die Festsetzung des Festbetrages die sofortige Vollziehung ausgesetzt werden kann, ändert hieran nichts.
    Schließlich ist auch nicht ersichtlich, dass die hier begehrte Untersagung des Vertriebs der angegriffenen Ausführungsform – parallel zu dem Vorgehen gegen die weiteren angebotenen und vertriebenen „D“-Generika – die Bildung einer für die Verfügungsklägerin nachteiligen Festbetragsgruppe nicht verhindern könnte oder sonst unzweckmäßig wäre. Selbst falls importierte Original-Produkte und auch die im Markt verfügbaren „D“-Produkte mit der Wirkstärke 0,25 mg für die Bildung einer Gruppe von Arzneimitteln im Sinne des § 35 Abs. 1 S. 1 SGB V herangezogen würden, so ist bereits nicht ersichtlich, dass – wenn eine entsprechende Festbetragsgruppe gebildet würde – diese auch im Rahmen der Berechnung des Festbetrags berücksichtigt würden oder sich deren Berücksichtigung maßgeblich zulasten der Verfügungsklägerin auswirken würde.
  74. c.
    Die Verfügungsklägerin hat weiter durch die Vorlage der eidesstattlichen Versicherung der Anlage FBD 3 glaubhaft gemacht, dass einzelne gesetzliche Krankenversicherungen bereits erwägen, bei einer Fortsetzung des Vertriebs von F-Generika auch nach der Erteilung des Verfügungspatents zur Vermeidung eigener Risiken vom Abschluss von Rabatt- oder Open-House-Verträgen für F gänzlich abzusehen, ferner dass die Gefahr besteht, dass bereits abgeschlossene Rabattverträge, die lediglich eine ordentliche Kündigungsfrist von vier bis sechs Wochen vorsehen, gekündigt werden.
  75. d.
    Einem eigenen Schaden der Verfügungsklägerin steht schließlich auch nicht entgegen, dass nicht sie, sondern die C GmbH das Original-Präparat in Deutschland vertreibt. Denn bei der C GmbH handelt es sich um ihre 100 %-ige Tochtergesellschaft. Insoweit partizipiert sie an einem Umsatzverlust der C GmbH. Vor diesem Hintergrund reicht es nicht aus, das Entstehen eines Schadens der Verfügungsklägerin einfach oder mit Nichtwissen zu bestreiten.
  76. 3.
    Schließlich ist die Verfügungsbeklagte als Patentverletzerin im hiesigen Streitfall auch nicht besonders schutzbedürftig.
    Es bleibt dabei, dass sie von dem hohen Forschungs- und Entwicklungsaufwand der Konzerngruppe der Verfügungsklägerin profitieren kann, die das Originalpräparat hinreichend medizinisch erprobt und am Markt etabliert hat. Der Umstand, dass der Markteintritt der angegriffenen Ausführungsform der Verfügungsbeklagten zu einer Zeit erfolge, zu der ein regulatorischer Vermarktungsschutz des Originalpräparates nicht (mehr) vorlag und (noch) kein Patentschutz bestand, und auch dieses sich daher rechtmäßiger Weise bereits am Markt als Generikum etablieren konnte, ändert daran nichts. Insbesondere hatte sie zum Zeitpunkt der Listung ihres Generikums in der Lauer-Taxe bereits Kenntnis von den Umständen des Einzelfalls, namentlich von der für die Verfügungsklägerin entstandenen Schutzlücke nach Ablauf des regulatorischen Vermarktungsschutzes. Sie wusste zudem, dass das Verfügungspatent auf der Grundlage der Entscheidung der Technischen Beschwerdekammer des EPA vom 8. Februar 2022 erteilt werden würde und dass die angegriffene Ausführungsform voraussichtlich in dessen Schutzbereich fallen würde. Auch wenn darin kein wettbewerbswidriges Verhalten zu erblicken ist, so ist sie vor diesem Hintergrund bewusst das Risiko eingegangen, die angegriffene Ausführungsform gegebenenfalls nur für eine kürzere Zeitspanne am Markt anbieten zu können, so dass sich ihre Investitionen gegebenenfalls nicht amortisieren. Dies kann sie daher nicht zu ihren Gunsten anführen.
    Dass der Verfügungsbeklagten durch die einstweilige Verfügung verwehrt wird, die angegriffene Ausführungsform auf dem Arzneimittelmarkt weiter zu etablieren, ist zudem die zwangsläufige Folge der zwar noch nicht mit dem erstmaligen Marktzutritt verbundenen, aber der mit dem Weitervertrieb der angegriffenen Ausführungsform verbundenen Patentverletzung. Dies ist per se nicht geeignet, das aus der Patentverletzung resultierende überwiegende Interesse der Verfügungsklägerin am Erlass der Unterlassungsverfügung zu beseitigen (vgl. OLG Düsseldorf, Urt. v. 26.9.2019 – I-2 U 28/19, GRUR-RS 2019, 33227 Rn. 49, m.w.N.; s. auch Ausführungen oben). Ohne die Unterlassungsanordnung droht der Verfügungsklägerin ein Schaden dadurch, dass die Verfügungsbeklagte mit der angegriffenen Ausführungsform Marktanteile für sich einnimmt und schließlich verfestigt, welche ohne die Wettbewerbssituation grundsätzlich zumindest auch der Verfügungsklägerin zugutekämen. Den Interessen der Verfügungsbeklagten kann zudem in hinreichender Weise wirksam durch die – hier erfolgte – Anordnung einer angemessenen Sicherheitsleistung begegnet werden, von deren Erbringung die Vollziehung der einstweiligen Verfügung abhängig ist (§ 938 ZPO)(vgl. OLG Düsseldorf, a.a.O.).
  77. 4.
    Auch das Allgemeininteresse steht dem Erlass einer einstweiligen Verfügung nicht entgegen.
    Dass die Behandlung der an MS erkrankten Patienten mit F-Präparaten gefährdet wäre, ist bereits weder dargetan noch glaubhaft gemacht. Selbst wenn durch die Unterlassungsverfügung Patienten der Zugang zu einer Behandlung ggf. erschwert würde, handelt es sich dabei zudem um typische Folgen einer einstweiligen Unterlassungsverfügung im Pharmabereich, die das Interesse des Patentinhabers am Erlass der einstweiligen Verfügung von vornherein nicht zurückdrängen können (vgl. OLG Düsseldorf, a.a.O., Rn. 50).Auch der Umstand, dass das Gesundheitssystem in Form der Krankenkassen der betroffenen Patienten die höheren Kosten für eine Therapie mit dem Originalprodukt der Verfügungsklägerin tragen, stellt kein überwiegendes Allgemeininteresse dar, das einen Titel im Wege des Eilrechtsschutzes blockiert. Denn Grundlage dieser Argumentation ist, dass es sich um ein unberechtigtes Vorgehen seitens der Verfügungsklägerin handelt. Dies ist aber angesichts der Erteilung des Verfügungspatents und des – mangels Vorliegens eines Einspruchsgrundes nach obigen Maßstäben– hinreichend gesicherten Rechtsbestands des Verfügungspatents nicht der Fall. Vielmehr ist die Verfügungsklägerin berechtigt, aufgrund ihrer Monopolstellung der Verfügungsbeklagten den weiteren Marktaufenthalt zu verbieten.
  78. 5.
    Ein überwiegendes Interesse der Verfügungsklägerin am Erlass der einstweiligen Verfügung kann schließlich auch nicht mit der Begründung verneint werden, dass diese sich im Erteilungsverfahren rechtsmissbräuchlich verhalten und eine endgültige Entscheidung über die Erteilung des Verfügungspatents in unlauterer Weise hinausgezögert habe.
    Soweit die Verfügungsbeklagte geltend macht, die Verfügungsklägerin verfolge vor dem EPA die Strategie, immer wieder frühere Anmeldungen fallen zu lassen und sodann zur nächsten (Teil-) Anmeldung überzugehen, ist bereits nicht ersichtlich, wie sich dies auf das vorliegende Verfahren auswirken sollte. Das streitgegenständliche Verfügungspatent hat die Verfügungsklägerin unstreitig nicht fallen lassen und es handelt sich um ein regulär erteiltes Patent, aus dem die Verfügungsklägerin entsprechende Rechte herleiten kann. So ist auch nichts dafür dargetan, dass die Verfügungsklägerin nunmehr eine Sachentscheidung des EPA im erstinstanzlichen Einspruchsverfahren verhindern wolle (vgl. für das Einspruchsbeschwerdeverfahren LG München I, GRUR-RS 2020, 18395). Anders als in dem Fall, den das Landgericht München I zu entscheiden hatte, ist hier nicht ersichtlich, wie die Verfügungsklägerin sich den Umstand einer nicht ergehenden, – wohl gemerkt – erstinstanzlichen Rechtsbestandsentscheidung auf Dauer in unlauterer Art und Weise zunutze machen sollte. Ferner greift hier mangels einer entsprechenden nationalen Regelung – die im spanischen Recht augenscheinlich vorliegt – auch nicht der Rechtsgedanke, den das Handelsgerichts Barcelona (vgl. Az. 4a O 79/22, Anlage WKS 9, 9a) herangezogen hat und daraufhin eine Marktverunsicherung feststellen konnte.
    Das Verhalten der Verfügungsklägerin im Erteilungsverfahren des Verfügungspatents ist darüber hinaus nicht derart zu beanstanden, dass es als rechtsmissbräuchlich einzustufen und damit einem berechtigten Interesse der Verfügungsklägerin am Erlass der einstweiligen Verfügung entgegenstehen würde. Soweit die Verfügungsbeklagte auf von der Verfügungsklägerin im Erteilungsverfahren gestellte Fristverlängerungs- und Terminsverlegungsanträge verweist, substantiiert sie nicht näher und macht nicht glaubhaft, dass diese Anträge allein in rechtsmissbräuchlicher Absicht gestellt worden wären und keinerlei sachlichen Hintergrund, wie etwa Verhinderungen oder Arbeitsüberlastung der beteiligten Sachbearbeiter auf Seiten der Verfügungsklägerin, gehabt hätten. Gleiches gilt für den von der Verfügungsbeklagten hervorgehobenen Antrag der Verfügungsklägerin betreffend die Verlegung eines Termins am 20. April 2020, mit dem sie um einen Verfahrenstermin nach den Sommerferien, also ab Oktober 2020 bat. Auch insoweit ist nicht näher dargetan, dass dieser Antrag allein unlautere Gründe hatte und nicht wiederum z.B. durch – während der Sommermonate durchaus übliche – Urlaubsabwesenheiten bedingt war. Es ist daher nicht ersichtlich, dass die Verfügungsklägerin vorsätzlich eine Patenterteilung vereitelt hätte. Zudem handelt es sich letztlich um eine rein hypothetische Überlegung, ob ein früher erteiltes Patent zum aktuellen Zeitpunkt bereits ein Einspruchsverfahren durchlaufen hätte und „sicher“ widerrufen worden wäre.
  79. III.
    Auch die zeitliche Dringlichkeit ist im Übrigen gegeben. Das Verfügungspatent wurde am 12. Oktober 2022 erteilt. Der Antrag auf Erlass der einstweiligen Verfügung ist am selben Tage bei Gericht eingegangen.
  80. C.
    Im Rahmen des durch § 938 Abs. 1 ZPO eröffneten Ermessens wird die Vollziehung der einstweiligen Verfügung – soweit die Unterlassung und Herausgabe betroffen ist – von der Leistung einer Sicherheit seitens der Verfügungsklägerin abhängig gemacht. Da wegen der eingeschränkten Erkenntnismöglichkeiten im Eilverfahren nicht ausgeschlossen werden kann, dass sich die einstweilige Verfügung im Hauptsacheverfahren als ungerechtfertigt erweist und die Verfügungsklägerin der Verfügungsbeklagten nach § 945 ZPO Schadenersatz leisten muss, kann die Vollziehung einer Unterlassungsverfügung wegen Patentverletzung keinen geringeren Anforderungen unterliegen als die Vollstreckung eines erstinstanzlichen Unterlassungsurteils (vgl. Kühnen, a.a.O., Kap. G Rn. 118; OLG Düsseldorf, Urt. v. 26.9.2019 – I-2 U 28/19, GRUR-RS 2019, 33227 Rn. 56). Bei der Höhe der Sicherheitsleistung orientiert sich die Kammer an dem festgesetzten Streitwert in Höhe von 3 Millionen Euro.
    Die Höhe der Sicherheitsleistung hat sich an dem Schaden zu orientieren, der den Schuldnern durch die vorläufige Vollstreckung droht. Die Sicherheitsleistung dient dem Interesse des Schuldners und soll ihm einen Ersatz für diejenigen Nachteile gewähren, die er bei einer etwaigen Zwangsvollstreckung erleidet; er soll davor geschützt werden, dass er zwar die Zwangsvollstreckung dulden muss, aber bei einem objektiv unrechtmäßigen Vollstreckungszugriff eventuelle Ersatzansprüche gegen den vollstreckenden Gläubiger nicht realisieren kann (OLG Düsseldorf, NJOZ 2007, 451). Grundsätzlich wird sich die Sicherheitsleistung am Streitwert orientieren, wobei die Beklagtenseite die Möglichkeit hat, substantiiert darzulegen und glaubhaft zu machen, dass ihr ein höherer Schaden droht, der dann für die Sicherheitsleistung maßgeblich ist (Kühnen, a.a.O., Kap. H Rn. 15). Mangels Vortrags der Verfügungsbeklagten warum sie der Auffassung ist, dass nur eine Sicherheitsleistung in Höhe von EUR 5.000.000,00 ihren Schaden abbildet, verbleibt es bei einer Orientierung am Streitwert, so dass die Sicherheitsleistung für die Verfügungsklägerin in tenorierter Höhe festzusetzen war.
  81. D.
    Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 92 Abs. 1, 269 Abs. 3 S. 2 ZPO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung erfolgt aus Gründen der Klarstellung und vor dem Hintergrund, dass Urteile, durch die eine einstweilige Verfügung erlassen wird, im Grundsatz aus sich heraus ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar sind, ohne dass es eines gesonderten Ausspruchs bedürfte (MüKoZPO/Götz, 6. Aufl. 2020, ZPO § 704 Rn. 15).

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