4c O 62/22 – Feste Darreichungsform

Düsseldorfer Entscheidungen Nr. 3272

Landgericht Düsseldorf

Urteil vom 20. Dezember 2022, Az. 4c O 62/22

  1. I. Der Widerspruch der Verfügungsbeklagten vom 28. Oktober 2022 wird zurückgewiesen. Die einstweilige Verfügung der Kammer vom 26. Oktober 2022 wird bestätigt.
  2. II. Die Vollziehung der einstweiligen Verfügung darf nur gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 5.000.000,- Euro fortgesetzt werden.
  3. III. Die Verfügungsbeklagte trägt auch die weiteren Kosten des Verfahrens.
  4. Tatbestand
  5. Die Verfügungsklägerin verfolgt aus Patentrecht gegen die Verfügungsbeklagte im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes einen Anspruch auf Unterlassung.
  6. Die Verfügungsklägerin ist Inhaberin des Europäischen Patents EP 1 XXX XXX B3 (Anlage AR 7, im Folgenden: Verfügungspatent). Das Verfügungspatent wurde am 16. Juni 2003 angemeldet und nimmt die Priorität der DE XXX XXX vom 17. Juni 2002 sowie diejenige der DE XXX XXX vom 25. Oktober 2002 in Anspruch. Der Hinweis auf die Anmeldung wurde am 23. März 2005 und der Hinweis auf die Erteilung des Verfügungspatents am 15. Oktober 2008 bekannt gemacht. Nachdem das Verfügungspatent ein Beschränkungsverfahren durchlaufen hatte, wurde die hier geltende Fassung am 12. Januar 2022 veröffentlicht. Das Verfügungspatent steht mit Wirkung für die Bundesrepublik Deutschland in Kraft und betrifft eine „gegen Missbrauch gesicherte Darreichungsform“. Eine Entscheidung über die am 14. November 2022 von der Verfügungsbeklagten eingereichten Nichtigkeitsklage (Anlage AG 20) steht bislang aus.
  7. Anspruch 1 des Verfügungspatents lautet:
  8. „Gegen parenteralen Missbrauch gesicherte, feste Darreichungsform, dadurch gekennzeichnet, dass sie neben (1R *,2R*)-3-(3-Dimethylamino-1-ethyl-2-methyl-propyl)-phenol oder einem physiologisch verträglichen Salz davon wenigstens ein viskositätserhöhendes Mittel in solchen Mengen aufweist, dass das in einem mit Hilfe von 10 ml Wasser bei 25°C aus der Darreichungsform gewonnene Extrakt ein wirkstoffhaltiges, noch nadelgängiges Gel bildet, welches beim Einbringen mit einer Injektionsnadel mit einem Durchmesser von 0,9 mm in eine weitere Menge von 37°C warmem Wasser mindestens 1 Minute visuell unterscheidbar bleibt.“
  9. Nachstehende Tabellen sind der Verfügungspatentschrift entnommen:
  10. Sie illustrieren das Beispiel 1, in dem eine Tablette mit der Wirkstoffzusammensetzung gemäß der ersten Tabelle ein Freisetzungsprofil gemäß zweiter Tabelle aufweist (rechte Spalte). Das in der linken Spalte wiedergegebene Freisetzungsprofil dient einem Vergleich.
  11. Die Verfügungsklägerin ist Teil der A-Gruppe, die insbesondere in der Forschung und Entwicklung auf dem Gebiet von pharmazeutischen Erzeugnissen tätig ist. Hierbei betrifft ihre Tätigkeit auch den Bereich der Schmerztherapie und ihre medizinischen Produkte dienen der Behandlung chronischer sowie akuter starker Schmerzen. So vertreibt sie das Arzneimittel XXX mit dem Wirkstoff XXX.
  12. Bei der Verfügungsbeklagten handelt es sich ebenso um ein Pharmaunternehmen, welches unter der Marke B auf dem deutschen Markt anbietet. Anfang August 2022 erhielt sie deutsche Zulassungen für den Wirkstoff XXX, welche sich auf das Arzneimittel XXX als Referenzarzneimittel stützten (vgl. Anlagen AR 4, AR 5). XXX soll in den Dosierungen 25mg, 50mg, 100mg, 150mg, 200mg sowie 250mg erhältlich sein (im Folgenden auch: angegriffene Ausführungsformen). Der Wirkstoff XXX ist in Form des Salzes XXX enthalten. Wegen der weiteren Inhaltsstoffe wird nachfolgende Übersicht, entnommen der Verfügungsschrift und stammend aus der Anlage AR 11 eingeblendet:
  13. Im August 2022 nahm die Verfügungsklägerin unter Verweis auf einige ihrer europäischen Patente Kontakt zur Verfügungsbeklagten auf, um weitere Informationen sowie Gebrauchsmuster der angegriffenen Ausführungsformen zu erhalten. Hierauf reagierte die C GmbH als Muttergesellschaft der Verfügungsbeklagten und verweigerte die Mitteilung von Informationen zu einem etwaigen Markteintritt. Der Besitz einer Marktzulassung würde für sich genommen auch noch keine Patentverletzung begründen (Anlagenkonvolut AR 6). Ein seitens der Verfügungsklägerin angestrengter Einigungsversuch blieb erfolglos.
  14. Am 24. Oktober 2022 informierten die Marketinggesellschaft D mbH (D) und die E GmbH über die beabsichtigte Listung der angegriffenen Ausführungsformen in der Datenbank der E (im Folgenden auch: XXX) zum 1. November 2022 (Anlage AR 1). Die Verfügungsklägerin beantragte daraufhin am 25. Oktober 2022 vor der Kammer den Erlass einer einstweiligen Verfügung gegen die Verfügungsbeklagte, welche die Kammer antragsgemäß mit Beschluss vom 26. Oktober 2022 mit nachfolgendem Tenor erließ:
  15. „1.
    Der Antragsgegnerin wird es bei Meidung eines für jeden Fall der Zuwiderhandlung vom Gericht festzusetzenden Ordnungsgeldes bis zu EUR 250.000,00 – ersatzweise Ordnungshaft – oder einer Ordnungshaft bis zu sechs Monaten, im Falle wiederholter Zuwiderhandlung bis zu insgesamt zwei Jahren, wobei die Ordnungshaft an ihren Geschäftsführern zu vollziehen ist, untersagt,
  16. gegen parenteralen Missbrauch gesicherte, feste Darreichungsformen,
    in der Bundesrepublik Deutschland anzubieten, in Verkehr zu bringen oder zu gebrauchen oder zu den genannten Zwecken einzuführen oder zu besitzen,
  17. dadurch gekennzeichnet, dass sie neben (1R*, 2R*)-3-(3-Dimethylamino-1-ethyl-2-methyl-propyl)-phenol oder einem physiologisch verträglichen Salz davon wenigstens ein viskositätserhöhendes Mittel in solchen Mengen aufweist, dass das in einem mit Hilfe von 10 ml Wasser bei 25C aus der Darreichungsform gewonnene Extrakt ein wirkstoffhaltiges, noch nadelgängiges Gel bildet, welches beim Einbringen mit einer Injektionsnadel mit einem Durchmesser von 0,9 mm in eine weitere Menge von 37C warmem Wasser mindestens 1 Minute visuell unterscheidbar bleibt.“
  18. Hiergegen wendete sich die Verfügungsbeklagte mit Schriftsatz vom 28. Oktober 2022 und legte Widerspruch ein. Zudem verwies sie auf ihre Schutzschrift von Anfang Oktober 2022, welche sie unter dem 10. Oktober 2022 im Schutzschriftenregister hinterlegt hätte (Anlagen AG 10a, 10b) und welche der Kammer bei der Beschlussfassung nicht vorlag. Gleichzeitig beantragte die Verfügungsbeklagte, die Vollziehung der einstweiligen Verfügung einzustellen. Mit Beschlüssen vom 3. November 2022 und 7. November 2022 ging die Kammer dem nach und stellte die Vollziehung zunächst einstweilen bis zur Entscheidung über die einstweilige Einstellung der Vollziehung und sodann bis zu einer Entscheidung über den Widerspruch ein.
  19. Die Verfügungsklägerin ist der Ansicht, dass sowohl ein Verfügungsanspruch als auch ein Verfügungsgrund bestünden. Die angegriffene Ausführungsform verwirkliche die Lehre des Verfügungspatents wortsinngemäß.
  20. Die angegriffene Ausführungsform weise ein viskositätserhöhendes Mittel auf. Dieses stelle Hypromellose/Hydroxypropylmethylcellulose dar, wobei unstreitig ist, dass die angegriffene Ausführungsform Hypromellose beinhaltet. Das Verfügungspatent mache insoweit keine abschließenden Vorgaben, welches viskositätserhöhende Mittel in einer Darreichungsform verwendet werden soll. Eine visuelle Unterscheidbarkeit liege nach dem Verfügungspatent schon vor, wenn es nach dem Injizieren des extrahierten Gels in eine Wassermenge zu einem trüben Erscheinungsbild komme. Die Bildung von Fäden sei hierfür nicht zwingend. Schon das trübe Erscheinungsbild der Flüssigkeit sei ein hinreichendes optisches Warnsignal für einen potentiellen Missbraucher. Diesen Anforderungen genüge die angegriffene Ausführungsform. Hierzu behauptet die Verfügungsklägerin, dass das viskositätserhöhende Mittel Hypromellose in einer entsprechenden Quantität und Qualität vorliege. Eigene Versuchsdurchführungen hätten zu diesem Ergebnis aufgrund der erkennbaren Fadenbildung geführt. Sie habe bei ihren weiteren Tests außerdem die Versuchsgrundlage der Verfügungsbeklagten – zumindest teilweise – herangezogen und die angegriffene Ausführungsform nur unzureichend zerkleinert. Eine Fadenbildung sei dennoch festzustellen gewesen.
  21. Die Verfügungsklägerin meint ferner, dass die Tests der Verfügungsbeklagten für einen Verletzungsnachweis dagegen nicht geeignet seien. Es seien schon nicht die angegriffene Ausführungsform, sondern eigens hergestellte Präparate getestet worden. Das Mörsern der Tablette(n) sei unsachgemäß erfolgt, sodass Teile des Wirkstoffes durch Aufziehen in eine Spritze gar nicht erst in eine zweite Flüssigkeit hätten eingebracht werden können. Soweit von einem Schütteln (shaking) in der Testdokumentation die Rede sei, könne dies nicht nachvollzogen werden. Es habe sich um ein offenes und damit für Schütteln ungeeignetes Gefäß gehalten, zudem sei es zu keiner homogenen Verteilung gekommen. Ein weiteres Zuwarten von 60 Sekunden, bis die Spritze aufgezogen worden sei, sei vom Verfügungspatent nicht vorgesehen. Schließlich sei die angegriffene Ausführungsform zu sehr gerührt worden. Eine Minute lang zu rühren sei jedenfalls eine zu große mechanische Einwirkung. Hinzukomme, dass die zum Nachweis angeführten Lichtbilder für Tabletten mit unterschiedlichen Wirkstoffzusammensetzungen nicht zu den schriftlichen Angaben der Versuchsdokumentation passen würden.
  22. Es liege des Weiteren ein Verfügungsgrund vor. Ohne Gewährung bzw. Weiterbestand der einstweiligen Verfügung trete bei der Verfügungsklägerin ein enormer Preisverfall ein, wohingegen sich die Verfügungsbeklagte bislang nicht am Markt etabliert habe. Die Verfügungsbeklagte verfolge ein aggressives Marktverhalten und sei daher nicht schutzbedürftig. Auch im Übrigen würden die Interessen der Verfügungsbeklagten in einer Abwägung nicht mehr zu gewichten sein als die eigenen der Verfügungsklägerin. Hinzukomme außerdem ein baldiger Ablauf des Verfügungspatents, nämlich im Juni 2023, was der Durchführung eines Hauptsacheverfahrens entgegenstehe.
  23. Ein Verfügungsgrund liege auch deshalb vor, weil der Rechtsbestand des Verfügungspatents hinreichend sichergestellt sei. Die seitens der Verfügungsbeklagten nunmehr auch im Rahmen einer Nichtigkeitsklage geltend gemachten Einwendungen gegen das Verfügungspatent würden nicht überzeugen.
  24. Die Verfügungsklägerin beantragt,
  25. den Widerspruch zurückzuweisen und die einstweilige Verfügung aufrecht zu erhalten.
  26. Die Verfügungsbeklagte beantragt,
  27. die einstweilige Verfügung aufzuheben und den auf ihren Erlass gerichteten Antrag zurückzuweisen.
  28. Sie ist der Ansicht, dass die Voraussetzungen für den Erlass einer einstweiligen Verfügung nicht vorlägen. Die angegriffene Ausführungsform mache keinen Gebrauch von der Lehre nach dem Verfügungspatent. Sie beinhalte kein viskositätserhöhendes Mittel. Derlei Mittel würden vom Verfügungspatent ausdrücklich benannt und Hypromellose zähle nicht dazu. Das ergebe sich auch daraus, dass das Verfügungspatent Hypromellose nicht in Alleinstellung in seinen Beispielen anführe, um Tabletten mit erfindungsgemäßen Eigenschaften zu beschreiben.
  29. Außerdem fehle es der angegriffenen Ausführungsform an der vorgesehenen visuellen Unterscheidbarkeit. Das Verfügungspatent verlange hierfür, dass sich für mindestens eine Minute sichtbare Fäden bilden würden. Hierzu behauptet die Verfügungsbeklagte, dass eigene Tests gezeigt hätten, dass es bei der angegriffenen Ausführungsform lediglich zu einer Eintrübung im Wasser um die Injektionsstelle herum gekommen sei. Es seien allenfalls kleine Flocken sichtbar, aber keine Fäden. Bei einem anschließenden Umrühren würden sich diese rückstandslos auflösen. Die Durchführung der Tests sei ebenso wenig zu beanstanden wie der Umstand, dass es sich um eigens hergestellte Präparate gehandelt habe. Das Verfügungspatent setze nicht voraus, dass eine erfindungsgemäße Darreichungsform zu Pulver gemörsert oder in einem geschlossenen Gefäß geschüttelt werde. Diesen Anforderungen würden die Tests der Verfügungsbeklagten genügen.
  30. Es bestehe ebenso wenig ein Verfügungsgrund. Das Verfügungspatent sei nicht rechtsbeständig. Erfindungen, deren gewerbliche Verwertung gegen die guten Sitten verstoßen, seien nicht schutzfähig. Das sei hier der Fall, weil durch eine erfindungsgemäße Darreichungsform deren Missbrauch gerade nicht gänzlich ausgeschlossen, sondern nur vermindert werden solle. Ferner fehle es dem Verfügungspatent an Erfindungshöhe. Auszugehen sei von der EP 0 XXX XXX A1 (Anlage AG 5; im Folgenden auch: EP‘XXX), welche XXX zur Verwendung bei der Behandlung von starken Schmerzen schützt. Es sei allgemeines Fachwissen, dass Opioide ein starkes Missbrauchspotential aufweisen würden und zur intravenösen Verabreichung missbraucht würden. Es seien daher schon die US 6,XXX XXX B1 (Anlage AG 8; im Folgenden: US‘XXX ) sowie die US 3,XXX XXX A (Anlage AG 9; im Folgenden: US‘XXX ) gewesen, welche bereits Wirkstoffformulierungen unter Hinzugabe von Verdickungsmitteln offenbart hätten. Das Verfügungspatent sei außerdem nicht neu gegenüber der eigenen Druckschrift der Verfügungsklägerin DE 10 XXX XXX A1 (Anlage AG 18; im Folgenden: DE‘XXX ), wenn Hypromellose als viskositätserhöhendes Mittel angesehen werde. Schließlich sei die erfindungsgemäße Lehre mangels konkreten Hinweisen zum Testaufbau nicht ausführbar.
  31. Eine anzustellende Interessenabwägung gehe zulasten der Verfügungsklägerin. Sie könne sich nicht auf einen drohenden Preisverfall berufen. Auch bei einem Hauptsacheverfahren sei sie hinreichend durch Schadensersatzansprüche geschützt. Es seien außerdem auf dem XXX-Markt Parallelimporte zu verzeichnen, welche günstiger als das Originalpräparat verkauft würden und daher schon zu einem Preisverfall geführt hätten, unabhängig von den Produkten der Verfügungsbeklagten. Sie sei es vielmehr, der es nahezu unmöglich sei, ihren Schaden, insbesondere den durch eine Rufschädigung entstandenen, zu beziffern. Sie werde in erheblicher und irreparabler Weise von einem Unterlassungstenor getroffen. Zudem verfüge die Verfügungsklägerin über eine kaum zu überblickende Anzahl an Patenten für XXXhaltige Produkte, mithilfe derer sie wettbewerbswidrig den entsprechenden Wirkstoffmarkt sperren könne. Auch sei es die Verfügungsklägerin, die ohne jeglichen Nachweise gegenüber Marktteilnehmern der Verfügungsbeklagten nunmehr die mangelnde Substituierbarkeit von XXX durch die angegriffene Ausführungsform behaupten würde. Es liege auch deshalb kein typischer Generika-Fall vor, weil die angegriffene Ausführungsform wirkstofflich anders zusammengesetzt sei als das Originalprodukt XXX.
  32. Jedenfalls sei die Vollziehung der einstweiligen Verfügung von einer Sicherheitsleitung abhängig zu machen, weil keine geringeren Voraussetzungen als in einem Hauptsacheverfahren gelten dürften. Nur eine Sicherheitsleistung könne dem erheblichen, der Verfügungsbeklagten im Falle einer rechtswidrig ergangenen einstweiligen Verfügung drohenden Schaden Rechnung tragen.
  33. Wegen des weiteren Vorbringens der Parteien wird auf die zur Akte gereichten Schriftstücke nebst Anlagen Bezug genommen.
  34. Entscheidungsgründe
  35. Der gemäß §§ 936, 924 ZPO zulässige Widerspruch der Verfügungsbeklagten gegen den Kammerbeschluss vom 26. Oktober 2022 ist unbegründet. Die im Beschlusswege erlassene einstweilige Verfügung hat Bestand.
  36. Die Verfügungsklägerin hat sowohl das Vorliegen von Tatsachen hinsichtlich eines Verfügungsanspruchs als auch solche für einen Verfügungsgrund hinreichend glaubhaft gemacht, §§ 935, 940, 936, 916 ZPO.
  37. I.
    Die Verfügungsklägerin hat gegen die Verfügungsbeklagten einen Anspruch auf Unterlassung aus Art. 64 Abs. 1 EPÜ i. V. m. § 139 Abs. 1 PatG.
  38. 1.
    Das Verfügungspatent betrifft, wie es in Abs. [0001] formuliert ist, eine feste Darreichungsform mit verminderten parenteralen Missbrauch enthaltend neben (1R *,2R*)-3-(3-Dimethylamino-1-ethyl-2-methylpropyl)-phenol oder einem physiologisch verträglichen Salz davon wenigstens ein solches viskositätserhöhendes Mittel in solchen Mengen, dass bei einer mit Hilfe von einer notwendigen Mindestmenge an wässriger Flüssigkeit vorgenommenen Extraktion ein vorzugsweise noch nadelgängiges Gel gebildet wird, welches aber selbst beim Einbringen in eine weitere Menge einer wässrigen Flüssigkeit visuell unterscheidbar bleibt. Denn insbesondere bei Opiaten war aus dem Stand der Technik bekannt, dass viele pharmazeutische Wirkstoffe zwar eine ausgezeichnete Wirksamkeit aufweisen, zugleich aber ein hohes Missbrauchspotential vorhanden ist, wodurch Wirkungen wie rauschartige, euphorisierende Zustände, herbeigeführt werden könnten, die nicht dem originären Bestimmungszweck entsprechen (vgl. Abs. [0002]).
  39. Darreichungsformen, die Wirkstoffe mit Missbrauchspotential enthalten, führen üblicherweise selbst bei einer oralen missbräuchlich hohen Menge nicht zu dem vom Missbraucher gewünschten Ergebnis, nämlich einem raschen Kick, da die Wirkstoffe im Blut nur langsam anfluten (vgl. Abs. [0003]). Der Missbraucher zerkleinert die Darreichungsform deshalb und appliziert den Wirkstoff parenteral, nachdem das durch die Zerkleinerung der Darreichungsform erhaltene Pulver mit Hilfe einer vorzugsweise wässrigen Flüssigkeit, vorzugsweise in notwendigen Mindestmengen, extrahiert und die resultierende Lösung etwa durch Zellstoff gefiltert worden ist.
  40. In Abs. [0004] nimmt das Verfügungspatent Bezug auf die US 4,XXX XXX, die bereits den Missbrauch verhindern wollte, indem der Darreichungsform ein quellbares Mittel zugesetzt worden ist. Es verblieb nur eine geringe Menge an wirkstoffhaltiger und parenteral applizierbarer Flüssigkeit. Die in Abs. [0005] angeführte WO XXX XXX sah eine Mehrschichttablette vor, die jeweils den Wirkstoff mit Missbrauchspotential und einen oder mehrere Gelbildner in verschiedenen Schichten aufweist. Sowohl nach der Lehre der US-Schrift als auch nach derjenigen der WO-Schrift wurde ein viskositätserhöhendes Mittel in einer solchen Menge zugesetzt, dass das resultierende Gel nicht mithilfe einer üblichen Injektionsnadel verabreicht werden konnte. Dies sieht das Verfügungspatent als Problem an und stellt sich die Aufgabe (Abs. [0006]), eine Darreichungsform mit zumindest verminderten Missbrauchspotential für Wirkstoffe mit einem solchen Potential zur Verfügung zu stellen, dass ein vorzugsweise noch möglicher parenteraler, insbesondere intravenöser Missbrauch der Wirkstoffe verhindert wird.
  41. Zur Lösung dieser Aufgabe schlägt das Verfügungspatent eine in Anspruch 1 beschriebene Darreichungsform vor, die nachfolgende Merkmale aufweist:
  42. 1. Gegen parenteralen Missbrauch gesicherte, feste Darreichungsform, dadurch gekennzeichnet, dass
  43. 1.1. sie neben (1R*,2R*)-3-(3-Dimethylamino-1-ethyl-2-methyl-propyl)-phenol oder einem physiologisch verträglichen Salz davon
  44. 1.2. wenigstens ein viskositätserhöhendes Mittel in solchen Mengen aufweist,
  45. 1.2.1. dass das in einem mit Hilfe von 10 ml Wasser bei 25°C aus der Darreichungsform gewonnene Extrakt ein wirkstoffhaltiges, noch nadelgängiges Gel bildet,
  46. 1.2.2. welches beim Einbringen mit einer Injektionsnadel mit einem Durchmesser von 0,9 mm in eine weitere Menge von 37°C warmem Wasser mindestens 1 Minute visuell unterscheidbar bleibt.
  47. 2.
    Im Streit stehen zwischen den Parteien ausschließlich die Merkmale 1.2 und 1.2.2, weshalb sich Ausführungen der Kammer zu den weiteren Merkmalen erübrigen.
  48. a.
    In Merkmal 1.2 beansprucht das Verfügungspatent ein viskositätserhöhendes Mittel, das in der gegen parenteralen Missbrauch gesicherten, festen Darreichungsform enthalten sein soll.
  49. Ein viskositätserhöhendes Mittel nach dem Verständnis des Verfügungspatents ist ein solcher Stoff, der bei einer Darreichungsform nach deren Zerkleinerung und Einbringen in Wassermengen zu einer Gelbildung führt. Auch Hypromellose (Hydroxypropylmethylcellulose, „HPMC“) ist ein viskositätserhöhendes Mittel in diesem Sinne.
  50. Der Anspruch 1 selbst nimmt keine nähere Bestimmung des viskositätserhöhenden Mittels vor. Es soll wenigstens eines dieser Mittel vorliegen, schließt darüber hinaus den Einsatz eines weiteren oder die Kombination mehrerer viskositätserhöhender Mittel nicht aus.
  51. Der Fachmann erhält aus Abs. [0015] einen Hinweis auf Mittel, die das Verfügungspatent als viskositätserhöhend ansieht. Dort ist formuliert:
  52. „Vorzugsweise kommen eine oder mehrere viskositätserhöhende Mittel in der erfindungsgemäßen Darreichungsform zum Einsatz, die ausgewählt sind aus der Gruppe bestehend aus mikrokristalliner Cellulose mit 11 Gew.-% Carboxymethylcellulose-Natrium (XXX ® RC 591), Carboxymethylcellulose-Natrium (XXX ®, XXX®, XXX ®, XXX ®), Polyacrylsäure (XXX ® 980 NF, XXX ® 981), Johannisbrotkernmehl (XXX ® LA-200, XXX ® LID/150, XXX ® LN- 1), Pectine, vorzugsweise aus Citrusfrüchten oder Äpfeln (XXX ® HM Medium Rapid Set), Wachsmaisstärke (XXX ®), Natriumalginat (XXX ®) Guarkemmehl (XXX ®, XXX®), lota-Carrageen ( XXX ®), Karaya Gummi, Gellangummi (XXX ®, XXX ®), Galaktomannan (XXX ®), Tarakernmehl (XXX ®), Propylenglykoalginat (XXX ®), NatriumHyaluronat, Tragant, Taragummi (Vidogum SP 200 fermentiertes Polysaccharid-Welan Gum (K1A96), Xanthane wie Xanthan-Gummi (XXX ®).“
  53. Das Verfügungspatent gibt dem Fachmann mit dieser Beschreibungsstelle eine Liste verschiedener viskositätserhöhender Mittel an die Hand. Indem es einleitend „vorzugsweise“ lautet, wird zugleich deutlich, dass ein bevorzugtes Ausführungsbeispiel erläutert wird, welches die Lehre des Verfügungspatents nicht beschränken kann. Deshalb kann diese Liste nicht als abschließend begriffen werden und auch andere als die dort genannten Viskosemittel, wie z.B. Hypromellose, können in einer erfindungsgemäßen Darreichungsform zum Einsatz kommen.
  54. Anderslautende Anhaltspunkte sind dem Verfügungspatent nicht zu entnehmen. In den Abs. [0031] ff. stellt das Verfügungspatent verschiedene Wirkstoffzusammensetzungen dar. Die Verfügungspatentschrift gibt hierbei zu erkennen, dass das Mittel Hypromellose als Bestandteil von Tabletten bekannt ist. So sind im ersten Beispiel insbesondere Hypromellose und Xanthan enthalten, wobei Xanthan ausdrücklich bei den in Abs. [0015] aufgeführten viskositätserhöhenden Mitteln zu finden ist. In Abs. [0032] ist tabellarisch das Freisetzungsverhalten von Tabletten mit Hypromellose und Xanthan solchen gegenübergestellt, die nur Hypromellose enthalten. Zu erkennen sind bei diesem Vergleich sehr ähnliche Freisetzungsmengen jeweils in Abhängigkeit von der Zeit. Entgegen der Ansicht der Verfügungsbeklagten besagt diese Gegenüberstellung aber nicht, dass Hypromellose nicht in Alleinstellung als viskositätserhöhendes Mittel eingesetzt werden kann. Denn der Vergleich der wirkstofflichen Zusammensetzung zielte nicht auf den Nachweis des viskositätserhöhenden Mittels ab, sondern nur auf die Überprüfung des Freisetzungsverhaltens einer Tablette. Dies ergibt sich aus Abs. [0014]:
  55. „Zur Überprüfung, ob ein viskositätserhöhendes Mittel zur Anwendung in der erfindungsgemäßen Darreichungsform geeignet ist, wird dieses zunächst in einer entsprechenden Darreichungsform in solchen Mengen formuliert, dass keine nennenswerte (± 5%) Beeinflussung der Wirkstoff-Freisetzung gegenüber einer Darreichungsform ohne viskositätserhöhendes Mittel. Die entsprechende Darreichungsform wird außerdem zerkleinert, vorzugsweise gemörsert, und mit 10 ml Wasser bei 25°C extrahiert. Bildet sich weiterhin hierbei ein Gel, welches den obenstehend genannten Bedingungen genügt, eignet sich das entsprechende viskositätserhöhende Mittel zur Herstellung einer erfindungsgemäßen Darreichungsform.“
  56. Die erfindungsgemäße Lehre des Verfügungspatents will eine Darreichungsform bereitstellen, die einerseits gegen Missbrauch gesichert ist und andererseits eine stoffliche Wirkung entfaltet, indem der Wirkstoff XXX zum Einsatz kommt. Die pharmazeutische Effektivität soll durch die Beifügung eines viskositätserhöhenden Mittels nicht beeinträchtigt werden. Dieses Erfordernis lässt indes nicht den Rückschluss zu, dass Hypromellose deshalb in Alleinstellung als viskositätserhöhendes Mittel ungeeignet wäre. Denn dahingehende Feststellungen werden in der Tabelle nicht getroffen. Dem Fachmann war Hypromellose als Retardierungsmittel bekannt und das Verfügungspatent lässt ausdrücklich zu, dass die retardierte Freisetzung stofflich mit der Viskositätserhöhung zusammenfallen kann. Abs. [0025] besagt dazu:
  57. „Bevorzugt kann die retardierte Freisetzung des Wirkstoffes auch durch die gezielte Auswahl eines oder mehrerer der vorstehend genannten viskositätserhöhenden Mittel in geeigneten Mengen als Matrixmaterial erreicht werden. Das für die jeweils gewünschte Freisetzung des Wirkstoffes geeignete Mittel und dessen Menge kann der Fachmann durch einfache Vorversuche ermitteln, wobei selbstverständlich darauf zu achten ist, dass es beim Versuch des Missbrauchs der resultierenden Darreichungsform, wie vorstehend beschrieben, zu einer Gelbildung kommt.“
  58. Diese Beschreibungsstelle macht dem Fachmann deutlich, dass Hypromellose gerade in Alleinstellung zur Anwendung kommen kann. Entscheidend hierbei ist es, die richtige mengenmäßige Zusammensetzung zu wählen, um sowohl den Anforderungen an das Freisetzungsprofil als auch denjenigen der Viskositätserhöhung zu entsprechen. Wie darüber hinaus die weiteren Beispiele in Abs. [0034] ff. zeigen, ist auch der Einsatz mehrerer viskositätserhöhender Mittel in unterschiedlichen Kombinationen miteinander nicht ausgeschlossen.
  59. Der abhängige Unteranspruch 2 bekräftigt das aufgezeigte Verständnis, wonach eine Eingrenzung auf bestimmte viskositätserhöhende Mittel gerade nicht erfolgt. Denn darin wird nunmehr eine Gruppe (gleichlautend mit derjenigen in Abs. [0015]) von bestimmten viskositätserhöhenden Mitteln unter Schutz gestellt, welche aufgrund der Abhängigkeit des Unteranspruchs 2 von Anspruch 1 so auch mindestens von diesem erfasst sein muss, aber eben auch weitere Mittel zulässig sind, wie beispielweise das in der Aufzählung nicht enthaltene Hypromellose.
  60. Schließlich wird das vorstehend erörterte Verständnis indiziell durch Äußerungen der Erfinder des Verfügungspatents gestützt. Jedenfalls stehen diese dem zuvor dargestellten Verständnis nicht entgegen.
  61. Bei der US‘XXX handelt es sich um eine Patentanmeldung. Sie nimmt dieselben Prioritäten wie das Verfügungspatent in Anspruch und bezieht sich auf die Anmeldung PCT/EP03/006XXX, auf welcher auch das Verfügungspatent beruht. Ferner sind mit den Herren XXX und XXX die Erfinder identisch. Im Erteilungsverfahren hat Herr XXX zur Abgrenzung von einem Dokument aus dem Stand der Technik („XXX“) Erläuterungen sowie Tests gemacht, um das Vorliegen eines viskositätserhöhenden Mittels nachzuweisen. Auszugsweise lautet seine Erklärung (vgl. Anlage AG 15b):
  62. „Ill. Ergebnisse
  63. 3.1. Laut Test I konnten Extrakte von Tabletten, die eine bestimmte Menge an Hydroxypropylmethylcellulose enthielten, noch durch eine Injektionsnadel (Durchmesser 0,9 mm) hindurchgehen. Bei der Injektion solcher Extrakte in eine weitere Menge Wasser entsteht jedoch ein sichtbarer Faden, der sich sofort auflöst. Ein Fachmann würde daher davon ausgehen, dass bei der Injektion eines Extrakts in Blutgefäße nur selten eine Verstopfung des Gefäßes auftreten würde.
  64. 3.2. Extrakte von Tabletten, die ein viskositätserhöhendes Mittel gemäß der US-Patentanmeldung mit der Seriennummer 11/XXX enthielten, lagen in einer Gelform vor, die noch durch eine Injektionsnadel (Durchmesser 0,9 mm) hindurchging, jedoch einen deutlich sichtbaren Faden bildete, wenn sie in eine weitere Menge Wasser injiziert wurde, der sich nicht auflöste und von der sogar die durch mechanische Einwirkung erhaltenen Fragmente sichtbar erkennbar blieben. Daher bieten diese Tabletten einen nützlichen Effekt gegen jeglichen parenteralen Missbrauch einer Droge, die ein Missbrauchspotential hat.“
  65. Eine ähnliche Erklärung hat der zweite Erfinder Herr XXX abgegeben (vgl. Anlage AG 17). Er hat gleichfalls einen Test mit einer Tablette durchgeführt, die nur Hydroxypropylmethylcellulose enthielt und festgestellt, dass ein zunächst entstandener Faden verschwunden (aufgelöst) und die Substanz in der Wassermenge nicht mehr abgrenzbar war. Mithilfe dieser Erklärungen und der einbezogenen Tests sollte eine Abgrenzung zur WO 99/XXX (Anlage AG 13; auch „XXX“) erfolgen, hinsichtlich derer der Prüfer im US-Erteilungsverfahren Bedenken an der erfinderischen Tätigkeit hatte.
  66. Aus diesen Erklärungen ist, anders als die Verfügungsbeklagte meint, nicht eindeutig abzuleiten, dass die Erfinder bekunden wollten, dass Hypromellose nicht als viskositätserhöhendes Mittel in Betracht kommen könnte. Ihre Aussagen sind vielmehr unmittelbar in Bezug auf die ebenfalls in den Erklärungen wiedergegebenen Tests und die zugrundeliegende wirkstoffliche Zusammensetzung zu sehen. Danach ist nur die in Test I enthaltene Menge an Hypromellose nicht geeignet, die erforderlichen Viskoseeigenschaften bereitzustellen. Dass Hypromellose diese in einer anderen Menge nicht erreichen könnte, ist dem indes nicht zu entnehmen.
  67. b.
    Merkmal 1.2.2 verlangt von dem viskositätserhöhenden Mittel nach Merkmal 1.2, dass es beim Einbringen mit einer Injektionsnadel mit einem Durchmesser von 0,9mm in eine weitere Menge von 37°C warmem Wasser mindestens eine Minute visuell unterscheidbar bleibt.
  68. Im Abs. [0009] definiert das Verfügungspatent, was unter visueller Unterscheidbarkeit im Sinne des Merkmals 1.2.2 zu verstehen ist. Dort heißt es:
  69. „[…] Visuelle Unterscheidbarkeit im Sinne der vorliegenden Erfindung bedeutet, dass das mit Hilfe einer notwendigen Mindestmenge an wässriger Flüssigkeit durch Extraktion aus der Darreichungsform gebildete, Wirkstoff-haltige Gel beim Einbringen mit einer Injektionsnadel mit einem Durchmesser von 0,9 mm, in eine weitere Menge wässriger Flüssigkeit von 37°C im wesentlichen unlöslich und zusammenhängend bleibt und nicht auf einfache Weise so dispergiert werden kann, […].“
  70. Durch den Anspruch wird dieses Erfordernis um eine zeitliche Vorgabe ergänzt, weil die visuelle Unterscheidbarkeit für mindestens eine Minute vorliegen soll. Das Verfügungspatent macht auf diese Weise deutlich, dass durch das viskositätserhöhende Mittel das Extrakt aus der Darreichungsform mit bloßem Auge eindeutig von der weiteren Menge an Wasser unterschieden werden soll. Es darf kein Zweifel an der Identifizierung des Extrakts in der Wassermenge bestehen, was nach dem Verständnis des Verfügungspatents dann nicht der Fall ist, wenn es zu besagter Fadenbildung gekommen ist. Darin wird der Fachmann durch weitere Beschreibungsstellen der Verfügungspatentschrift bestärkt. Erläuternd führt beispielweise Abs. [0010] aus:
  71. „[…] zunächst in Form eines weitgehend zusammenhängenden Fadens erhalten bleibt, der zwar durch mechanische Einwirkung in kleinere Bruchstücke zerteilt, nicht aber so dispergiert oder sogar gelöst werden kann, dass eine parenterale, insbesondere intravenöse, Applikation gefahrlos möglich ist. Eine intravenöse Applikation eines entsprechenden Extraktes würde daher mit großer Wahrscheinlichkeit zur Verstopfung von Gefäßen, verbunden mit schweren Embolien bis hin zum Tod des Missbrauchers führen.“
  72. Unterstützt wird das Verständnis der visuellen Unterscheidbarkeit als optisch eindeutige Abgrenzungsmöglichkeit auch durch die Konsistenz, die das Extrakt aus der Darreichungsform bei der Verarbeitung annehmen soll. Nach Merkmal 1.2.1. ist nämlich ein wirkstoffhaltiges, noch nadelgängiges Gel beansprucht, das aus der Darreichungsform mithilfe von 10ml Wasser gewonnen werden soll.
  73. Dass die visuelle Unterscheidbarkeit maßgeblich mit der Konsistenz des Extrakts einhergeht, wird ferner durch das zeitliche Erfordernis betont, wonach diese mindestens eine Minute lang aufrechterhalten bleiben muss. Dies stellt sicher, dass der Missbraucher hinreichend Gelegenheit hat, die Zusammensetzung der Flüssigkeit nebst all ihrer Bestandteile wahrzunehmen. Das Erreichen der visuellen Unterscheidbarkeit des Extraktes mittels dessen Form und Konsistenz wird außerdem ersichtlich, wenn das Verfügungspatent in den Abs. [0031]ff. mehrere Beispiele mit unterschiedlichen stofflichen Zusammensetzungen erläutert. Zunächst ist auch ihnen zu entnehmen, dass „Bruchstücke der Fäden mit dem bloßen Auge erkennbar bleiben“ sollen. Andere Hinweise als sich bildende Fäden für die visuelle Unterscheidbarkeit lassen sich dort nicht identifizieren. Vielmehr soll schon der reinen eigenen optischen Wahrnehmung nach, ohne Rückgriff auf Analysemittel die Feststellung möglich sein, dass ein sich von der Wassermenge abgrenzbares Gelgebilde vorliegt. Die Bedeutung der Konsistenz des erhaltenen Gels für die visuelle Unterscheidbarkeit folgt hierbei insbesondere aus Abs. [0033], [0035], [0037] sowie [0039], welche am Ende jeweils wie folgt lauten:
  74. „[…] Unter Rühren könnten die Fäden zwar geteilt, aber nicht gelöst werden; wobei die Bruchstücke der Fäden mit dem bloßen Auge erkennbar bleiben.“
  75. Danach soll das Extrakt eine solche Beschaffenheit aufweisen, die sogar dann ihre Form weitgehend beibehält, nachdem mechanisch auf sie eingewirkt worden ist und zwar kein zusammenhängender Faden, aber weiterhin einzelne, erkennbare Bruchstücke dessen vorliegen. Zu einer Vermischung mit bzw. Lösung in der Wassermenge soll es nicht kommen.
  76. Ein Anhalt, dass eine bloße Eintrübung rund um die Injektionsstelle in der Wassermenge als visuelle Unterscheidbarkeit zu verstehen sein könnte, ist dem Verfügungspatent nicht zu entnehmen. Dagegen spricht schon, dass ein so beschriebenes Kriterium kein hinreichendes Warnsignal für einen Missbraucher wäre. Denn hier kann es stark von der eigenen optischen Wahrnehmung des Missbrauchers abhängen, ob eine Eintrübung identifiziert wird. Unterschiedliche Kontraste müssen erkannt werden, während bei einer Fadenbildung farbliche Unterschiede unerheblich sind, da schon die Formgebung auf einen Unterscheid hindeutet. Etwas anderes folgt nicht aus Abs. [0017], aus welchem die Verfügungsklägerin eine Eintrübung als ausreichendes Kriterium herleiten will:
  77. „In einer besonders bevorzugten Ausführungsform der vorliegenden Erfindung kommen solche viskositätserhöhende Mittel zum Einsatz, die neben den vorstehend genannten Bedingungen auch bei der Extraktion aus der Darreichungsform mit der notwendigen Mindestmenge an wässriger Flüssigkeit ein Gel bilden, das Luftblasen einschließt. Die so erhaltenen Gele zeichnen sich durch ein trübes Erscheinungsbild aus, durch das der potentielle Missbraucher zusätzlich optisch gewarnt und von dessen parenteraler Applikation abgehalten wird.“
  78. Der letzte Satz vorgenannter Beschreibungsstelle spricht von einem trüben Erscheinungsbild. Dieses ist aber dem eindeutigen Kontext nach auf die aus der Darreichungsform erhaltenen Gele bezogen und nicht auf das Einbringen des Extrakts in eine weitere Wassermenge.
  79. Technisch-funktionale Erwägungen können vorstehendes Verständnis schließlich insoweit stützen, als nur bei einer Fadenbildung eine eindeutige Wahrnehmung beim Betrachter der Flüssigkeit zu erwarten ist. Auch nur diese kann einen Missbrauch deutlich erschweren, weil die Verabreichung des Wirkstoffes nicht mehr ohne erhebliche (gar tödliche) Folgen möglich ist. Darauf würde ein Missbraucher bei einem Probelauf einer festen Darreichungsform aufmerksam werden.
  80. 3.
    Die Kammer kann, ausgehend von dem dargestellten Verständnis des Verfügungspatents, eine Verletzung der erfindungsgemäßen Lehre durch die angegriffene Ausführungsform feststellen.
  81. a.
    Die angegriffene Ausführungsform gebraucht Merkmal 1.2, weil in der angegriffenen Ausführungsform unstreitig Hypromellose als viskositätserhöhendes Mittel enthalten ist.
  82. b.
    Die angegriffene Ausführungsform macht auch von Merkmal 1.2.2 Gebrauch.
  83. aa.
    Die Verfügungsklägerin hat die Verwirklichung von Merkmal 1.2.2 glaubhaft gemacht.
  84. (1)
    Sie hat mit Schriftsatz vom 21. November 2022 Testergebnisse (QUA-XXX) als Anlage AR 19 zur Akte gereicht, die anhand einer 150mg-Dosierung aufzeigen, dass es bei der Einbringung eines gelartigen Extraktes, erhalten aus einer angegriffenen Ausführungsform, zu einer visuellen Unterscheidbarkeit in einer weiteren Menge an Wasser kommt, weil es in dieser Flüssigkeit zu einer Fadenbildung des Extraktes kommt. Zur Veranschaulichung werden nachfolgend Lichtbilder, stammend aus der Anlage AR 19, zum Versuchsaufbau und zu den Versuchsergebnissen eingeblendet:
  85. Diesem Versuch lag eine grob zerkleinerte angegriffene Ausführungsform zugrunde, die in 10ml Wasser von 25°C gegeben wurde und für 15 Sekunden geschüttelt wurde. Währenddessen war das Behältnis mit einem Schraubverschluss verschlossen. Sodann wurde 60 Sekunden zugewartet, bevor das Gefäß geöffnet und das gewonnene Extrakt – nachdem sich Feststoffe abgesetzt hatten – auf eine Spritze aufgezogen wurde. Durch eine Kanüle mit einem Durchmesser von 0,9mm wurde das Extrakt anschließend in eine weitere Menge Flüssigkeit injiziert, wo es zu einer Faden-/Geldbildung gekommen ist. Dem Testbericht lässt sich nicht entnehmen, dass das Extrakt, wie es das Verfügungspatent für die Nadelgängigkeit verlangt – vgl. Abs. [0011] – durch eine denselben Durchmesser wie die Injektionsnadel aufweisende Öffnung aufgenommen worden wäre. Hierzu hat die Verfügungsklägerin durch eine eidesstattliche Versicherung von Herrn Dr. XXX vom 3. Dezember 2022 aber glaubhaft gemacht, dass dies möglich gewesen wäre. Diese Angabe ist plausibel, weil die Injektionsnadel in die Öffnung der Spritze passend eingesetzt werden muss und die Spritzenöffnung daher nur leicht größer sein kann. Wenn demnach das Extrakt zunächst durch die Spritze aufgenommen wurde, ist dies durch einen der Injektionsnadel sehr ähnlichen Durchmesser erfolgt.
  86. (2)
    Mit Schriftsatz vom 5. Dezember 2022 und erläutert in der mündlichen Verhandlung hat die Verfügungsklägerin eine weitere Testdokumentation (QUA-XXX) zur Akte gereicht (Anlage AR 25). Diese lässt, ebenfalls anhand einer 150mg-Dosierung, erkennen, dass eine zerkleinerte angegriffene Ausführungsform bzw. das aus ihr gewonnene Extrakt in einer weiteren Menge von Flüssigkeit zu einer deutlich sichtbaren Fadenbildung führt und somit eine visuelle Unterscheidbarkeit im Sinne des Verfügungspatents vorliegt. Nachstehende Lichtbilder veranschaulichen die Testdurchführung (entnommen der Anlage AR 25):
  87. Dieser Versuch unterscheidet sich von demjenigen aus der Anlage AR 19 dadurch, dass die Tablette zwischen Backpapier mithilfe eines Löffels grob zerkleinert wurde. Das so zerkleinerte Extrakt wurde in ein Gefäß gegeben und 10ml Wasser mit einer Temperatur von 25°C wurden hinzugefügt. Das offene Gefäß wurde 15 Sekunden lang geschwenkt („merely swivelled“). Außerdem wurde, ausweislich der Testbeschreibung in Ziff. 4.2.3, das Extrakt mit einer 20G Kanüle aufgezogen und aus dieser später wieder abgegeben. Beide Vorgänge erfolgten danach mittels einer Injektionsnadel mit 0,9mm Durchmesser. Die Benutzung einer solchen Kanüle wurde zusätzlich durch die eidesstattliche Versicherung von Herrn Dr. XXX vom 3. Dezember 2022 glaubhaft gemacht.
  88. (3)
    Vorstehende Testversuche der Verfügungsklägerin zeigen, dass es sowohl bei einer zu homogenem Pulver zermahlenen angegriffenen Ausführungsform als auch bei einer nur gröber zerkleinerten Tablette, wie sie Ausgangspunkt in den Versuchen der Verfügungsbeklagten war, zu einer visuellen Unterscheidbarkeit des Extrakts von der Flüssigkeit kommt. Hierbei ist die Kammer der Überzeugung, dass ein Missbraucher eine feste Tablette bei dem Versuch einer missbräuchlichen Verabreichung zu einem Pulver verarbeiten wird, da nur so die größtmögliche Wirkstoffmenge für einen „Kick“ zu gewinnen ist. Dies gilt unabhängig von der späteren beabsichtigten Verabreichungsform (oral, nasal oder parenteral) und einer zu befürchtenden Überdosierung. Insoweit ist der Verweis der Verfügungsbeklagten auf die Fachinformation sowie den Beipackzettel unbehilflich, da Adressat dieser Dokumente der Arzt/Apotheker bzw. Schmerzpatient ist, nicht jedoch der Missbraucher. Einer Verarbeitung zu Pulver steht ebenso wenig das enthaltene Viskosemittel entgegen, von dem der Missbraucher wisse, dass sich dieses erst recht bei einer Pulverisierung und Lösung in Wasser auswirken und eine parenterale Verabreichung unmöglich gemacht würde. Selbst wenn der Missbraucher diese grundlegende Eigenschaft von Hypromellose kennt, wird er trotzdem immer zunächst die Auflösung des Wirkstoffs in einer Flüssigkeit für eine Injektion anstreben und ausprobieren, da er den genauen Anteil von Hypromellose in der Tablette nicht kennt, und ihm die Auflösung schnellstmöglich die gewünschte Wirkung beschert.
  89. Unabhängig von dem Zerkleinerungsgrad der Tablette, kommt der Vermischung der zerkleinerten Darreichungsform mit Flüssigkeit maßgebliche Bedeutung im Versuchsaufbau zu. Das Verfügungspatent erläutert seine Beispiele nämlich durchgehend damit, eine Tablette zu mörsern und mit 10ml Wasser zu schütteln. Insoweit wird in Abs. [0033] ausgeführt:
  90. „Eine der Xanthan-haltigen Tabletten wurde gemörsert und mit 10 ml Wasser geschüttelt. Es bildete sich eine viskose, trübe Suspension. Nach Absetzen der groben, festen Bestandteile der Suspension wurde das gebildete Gel in eine Spritze mit einer Nadel mit 0,9 mm Durchmesser aufgezogen. Das aufgezogene Gel wird in 37C warmes Wasser gespritzt, wobei deutlich Fäden mit dem Durchmesser der Nadel erkennbar blieben, die sich nicht mit dem Wasser mischten.“
  91. Es soll sich eine viskose, trübe Suspension bilden, von der sich grobe, feste Bestandteile zunächst absetzen, bevor das gebildete Gel in eine Spritze aufgezogen wird. Das Verfügungspatent setzt für seine Beispielversuche demnach eine Mischung aus Flüssigkeit und Bestandteilen der Tablette voraus, wobei auch eine Suspension begrifflich eine Flüssigkeit mit darin fein verteilten Partikeln meint. Die zerkleinerte Darreichungsform gut mit einer Flüssigkeit zu vermischen, erschließt sich insbesondere aus dem Blickwinkel des Missbrauchers. Diesem ist daran gelegen, die größtmögliche Wirkstoffmenge zu gewinnen und in der Flüssigkeit zu lösen, was aber nur bei sorgfältiger Vermischung dieser beiden Stoffe gelingen kann. Wie dabei im Einzelnen die Vermischung vorgenommen wird, ob in einem offenen oder geschlossenen Behältnis, und ob dieser Vorgang als Schütteln oder Schwenken bezeichnet ist, spielt keine Rolle, solange im Ergebnis jedenfalls eine größtmögliche Vermischung erzielt wird.
  92. bb.
    Die Verfügungsbeklagte ist diesem Vorbringen nicht erheblich entgegengetreten. Zu keiner Zeit hat sie behauptet, dass die verschiedenen Wirkstoffzusammensetzungen der angegriffenen Ausführungsformen unterschiedliches Auflösungsverhalten aufweisen würden. Es bestand für sie auch hinreichend Gelegenheit in der mündlichen Verhandlung auf die neuen Testergebnisse der Verfügungsklägerin Stellung zu nehmen. Insoweit hat die Kammer der Verfügungsbeklagten die Möglichkeit der Unterbrechung aufgezeigt. Es ist einem einstweiligen Verfügungsverfahren immanent, dass es kurzfristig zu weiterem tatsächlichen Vorbringen kommen kann, auf das die Gegenseite reagieren muss. Das zeigen auch die eigenen Tests der Verfügungsbeklagten, welche mit Schriftsatz vom 30. November 2022 vorgelegt wurden.
    Aufgrund der nunmehr bildlich dokumentierten Tests der Verfügungsklägerin ist die Kritik der Beklagten an der eidesstattlichen Versicherung der Klägerin (Anlage AR13), dass nur schriftlich auf Tests Bezug genommen worden sei, ohne diese aber anzuführen, überholt. Die seitens der Verfügungsbeklagten durchgeführten Tests rechtfertigen auch inhaltlich keine andere Beurteilung.
    (1)
    Es bestehen insofern nach Ansicht der Kammer keine Bedenken an der Testtauglichkeit der untersuchten Objekte überhaupt, weil die Verfügungsbeklagte, unterlegt durch die eidesstattliche Versicherung des Herrn XXX vom 11. November 2022 (Anlage AG 19), der Kritik der Verfügungsklägerin begegnet ist. So hat die Verfügungsbeklagte zu ihren Versuchen auf nachvollziehbare Weise dargetan, woher ihre Testobjekte der angegriffenen Ausführungsform stammten. Es sind Chargenbezeichnungen ersichtlich, welche den regulären Chargennummern des Herstellerunternehmens D entsprechen. Diese Entsprechung betrifft pharmazeutisch-chemische sowie pharmazeutisch-technologische Eigenschaften (vgl. Anlage AG 19). Zuzugeben ist der Verfügungsklägerin zu diesem Aspekt, dass nicht ein Produkt getestet worden ist, dass auf dem deutschen Markt erhältlich war. Indes ist nicht zu erkennen, dass die getestete Zusammensetzung von derjenigen der zu tatsächlich vertriebenen angegriffenen Ausführungsform abweichen würde. Anhaltspunkte hierfür hat die Verfügungsklägerin nicht aufgezeigt. Allein eine andersartige Pressung mit einer Bruchrille vermag zur Überzeugung der Kammer noch keinen relevanten Unterschied begründen, da dies nicht die inhaltliche Zusammensetzung betrifft. Zudem befanden sich die Testobjekte noch innerhalb der Haltbarkeitsdauer, welche drei Jahre beträgt. Schließlich hat die Verfügungsbeklagte anhand von Stabilitätstests nachgewiesen, dass die Testobjekte weiterhin die regulären Eigenschaften wie andere bereits verblisterte Tabletten aufwiesen, obwohl sie in einem Plastikbehälter mit Drehverschluss gelagert waren. Die weiteren Ausführungen der Verfügungsklägerin gegen die Stabilitätstests unter Verweis auf Anlage 1 der Anlage AG 19 verfangen nicht. Denn ausdrücklich benennt sie keine Punkte, wo und inwiefern sich die aufgefundenen Unterschiede in den Stabilitätstests im Rahmen der Verletzungsfrage (zuungunsten der Verfügungsklägerin) auswirken könnten.
  93. (2)
    Dennoch vermögen die von der Verfügungsbeklagten durchgeführten Tests das Vorliegen einer Verletzung der erfindungsgemäßen Lehre nicht auszuräumen – selbst wenn keine spezifischen Anforderungen an die Vorgänge des Zerkleinerns und Schüttelns gestellt werden und das Ergebnis der Testdurchführung (sichtbare Eintrübung rund um die Injektionsstelle, Flockenbildung, keine Fadenbildung) nicht in Zweifel gezogen wird. Denn es verbleibt bei den gut dokumentierten und anhand verschiedener Vorgehensweisen unternommenen Versuchen der Verfügungsklägerin, die durch die erkennbare Fadenbildung der Substanzen eine visuelle Unterscheidbarkeit belegen. Die Verfügungsbeklagte hat diesen Versuchen nichts Substanzielles entgegengesetzt. Sie behauptet zwar, dass diese „auf den ersten Blick fehlerhaft“ seien. Durch konkreten Vortrag wird dieses pauschale Bestreiten indes nicht untermauert.
  94. (a)
    Umso weniger können die ersten Tests der Verfügungsbeklagten (Anlage AG 4) vor dem Hintergrund der weiteren – und durch die Verfügungsbeklagte unwidersprochen gebliebenen – Kritik der Verfügungsklägerin aus dem Schriftsatz vom 21. November 2022 überzeugen. Denn die Kammer vermag die Richtigkeit der dokumentierten Testungen mit Blick auf die unterschiedlichen Dosierungen nicht nachzuvollziehen. Es erscheint zwar nicht ausgeschlossen, dass Tabletten mit und ohne Xanthan (enthalten 250mg bzw. 25mg XXX) äußerlich gleich aussehen (S. 14 bzw. S. 27 Anlage 1 zu AG 4). Unwahrscheinlich ist aber ein identisches Aussehen in zerkleinertem Zustand, wie es die folgenden beiden Bilder in der Anlage 1 zeigen. Einzelne farblich unterscheidbare Pigmente sind an denselben Stellen im Mörserbehältnis zu erkennen. Entsprechendes gilt insbesondere auch für diejenigen Bilder, die das Einziehen eines Überstandes in eine Spritze dokumentieren (S. 17 bzw. S. 31 der Anlage 1 zu AG 4). Es erscheint unwahrscheinlich, selbst bei wissenschaftlichen Standards genügenden Versuchsaufbauten, dass die Spritze in verschiedenen Versuchen in demselben Winkel und an derselben Position in dem Gefäß angeordnet wird. Noch deutlicher treten Widersprüche in der Dokumentation bei der Testung einer Tablette mit 25mg XXX und 30mg Xanthan auf. In zerkleinerter Form ist ein einheitlich weiß gefärbtes Granulat/Pulver zu erkennen und der Hintergrund des Bildes S. 37 der Anlage 1 zeigt ein Behältnis, das ausdrücklich 25mg Tabletten enthalten soll. Weiteren Bildern, die das Hinzufügen von und Schwenken/Schütteln mit Wasser zeigen sollen, ist dagegen ein Behältnis, ausweisend 250mg Tabletten, zu entnehmen. Im Übrigen ist die Farbe der Flüssigkeit rötlich. Wie dies bei einem weißen Pulver geschehen konnte, erschließt sich nicht.
  95. (b)
    Gleichermaßen nicht überzeugend sind die weiteren mit der Anlage AG 23 überreichten Tests, die von Prof. Dr. XXX am 22. November 2022 vorgenommen und am 30. November 2022 zur Akte gereicht wurden. Zur Veranschaulichung werden Lichtbilder zur Testung einer angegriffenen Ausführungsform mit 25mg eingeblendet. Für Zusammensetzungen mit höheren Dosierungen gelten nachstehende Ausführungen aber entsprechend.
  96. Ausgangspunkt des Tests war kein homogenes, feines Pulver, sondern eine grob zerkleinerte Tablette, wo größere Partikel weiterhin erkennbar waren. Bei der Versuchsdurchführung hat des Weiteren eine Vermischung der Tablettenpartikel mit 10ml Wasser stattgefunden, indem ein „Labor-Schüttler“ zur Anwendung gekommen ist. Dazu werden Testgefäße auf eine „Rüttelplatte“ gestellt und auf dieser „geschüttelt“. Wie schon im Zusammenhang mit den klägerischen Tests erläutert, ist das Maß der Zerkleinerung im Versuch der Verfügungsbeklagten nicht zu beanstanden. Allerdings gilt dies nicht auch für den Vorgang des Schüttelns. Es fehlt eine hinreichende Glaubhaftmachung, dass dieser Vorgang in hinreichend intensiver Weise – wie ein Missbraucher ihn vornehmen würde – durchgeführt wurde. Denn das zu dessen Nachweis angeführte Lichtbild lässt nahezu keine Vermischung von Wasser und Tablettenpartikeln erkennen. Vielmehr befinden sich die Tablettenbestandteile annähernd unverändert auf dem Gefäßboden. Dabei ist aber auch bei einer Suspension, in der sich erst nach einer gewissen Zeit feste Bestandteile absetzen, zu erwarten, dass zunächst ein Flüssigkeitsgemisch vorliegt. Hier wäre daher eine trübe Flüssigkeit zu erwarten gewesen, die aber schon mit bloßen Auge nicht zu erkennen ist. Demgegenüber zeigt beispielsweise das Lichtbild in der Anlage AR 25 nach dem Schüttelvorgang entstandene Luftblasen und eine deutlich eingetrübte Flüssigkeit, was zweifellos auf eine Vermischung von Tablettenpartikeln und Wasser hindeutet. Dies macht deutlich, dass bei sorgfältiger Testdurchführung die Verwirklichung der erfindungsgemäßen Lehre durch die angegriffene Ausführungsform nachgewiesen werden kann.
  97. II.
    Zudem hat die Verfügungsklägerin das Vorliegen eines Verfügungsgrundes hinreichend glaubhaft gemacht.
  98. 1.
    Der Rechtsbestand des Verfügungspatentes ist in hinreichender, den Erlass einer einstweiligen Verfügung rechtfertigender Weise gesichert.
  99. a.
    Der Erlass einer einstweiligen Verfügung – insbesondere auf Unterlassung – kommt prinzipiell nur in Betracht, wenn sowohl die Frage der Patentverletzung als auch der Bestand des Verfügungsschutzrechts im Ergebnis so eindeutig zugunsten des Antragstellers zu beantworten sind, dass eine fehlerhafte, in einem etwa nachfolgenden Hauptsacheverfahren zu revidierende Entscheidung nicht ernstlich zu erwarten ist (OLG Düsseldorf, InstGE 9, 140 – Olanzapin; InstGE 12, 114 – Harnkatheterset; GRUR-RR 2011, 81 – Gleitsattel-Scheibenbremse; Mitt 2012, 413 [LS] – Kreissägeblatt; Mitt 2012, 415 – Adapter für Tintenpatrone; Urteil v. 06.12.2012 – I-2 U 46/12; ebenso OLG Karlsruhe, InstGE 11, 143 – VA-LVD-Fernseher).
  100. Danach ist in Patentverletzungsstreitigkeiten das Vorliegen eines Verfügungsgrundes besonders sorgfältig zu prüfen. Gerade hier ergeben sich regelmäßig besondere Schwierigkeiten daraus, die Schutzfähigkeit bzw. Rechtsbeständigkeit des Antragsschutzrechtes innerhalb kurzer Zeit und ohne eine dem Verfahren der Hauptsache entsprechende schriftsätzliche Vorbereitung sachgerecht zu beurteilen. Die eingeschränkten Möglichkeiten treffen besonders den Antragsgegner bzw. Verfügungsbeklagten. Während dem Antragsteller bzw. Verfügungskläger, der sich zwar beschleunigt um eine Durchsetzung seiner Rechte bemühen muss, um die zeitliche Dringlichkeit nicht zu beseitigen, auch unter den Voraussetzungen des § 940 ZPO regelmäßig ausreichend Zeit bleibt, den Rechtsbestand des Schutzrechtes vor dem Einreichen eines Verfügungsantrages sorgfältig zu prüfen, sieht sich der Antragsgegner auch im Falle einer vorherigen mündlichen Verhandlung nach der Zustellung des Verfügungsantrags regelmäßig erheblichem Zeitdruck ausgesetzt, um in der verhältnismäßig kurzen Zeit bis zum Verhandlungstermin seine Verteidigung aufzubauen (LG Düsseldorf, Urteil v. 19.11.2015 – 4c O 62/15 –, juris, Rn. 47). Aus Vorstehendem folgt zwar nicht, dass der Erlass einer Verbotsverfügung nur noch ausnahmsweise in Betracht kommt. Voraussetzung für eine Unterlassungsanordnung ist aber, dass der Rechtsbestand des Verfügungspatentes trotz der Einwendungen des Anspruchsgegners hinreichend gesichert ist, was vor allem dann anzunehmen ist, wenn eine positive Entscheidung der dafür zuständigen, mit technischer Sachkunde ausgestatteten Einspruchs- oder Nichtigkeitsinstanzen vorliegt (vgl. Kühnen, Handbuch der Patentverletzung, 14. Aufl., Kap. G, Rn. 56; InstGE 12, 114, 121 – Harnkatheterset).
  101. Inwieweit auch nach der Entscheidung des EuGH in Sachen Harting./.Phoenix (Az. C-44/21) an dieser Auffassung festzuhalten oder das Vorliegen zumindest erstinstanzlichen Entscheidung einer fachkundigen Stelle obsolet geworden ist, bedarf für den hiesigen Rechtsstreit keiner abschließenden Klärung. Denn in der Rechtsprechung des Düsseldorfer Oberlandesgerichts bedurfte es dieser „Voraussetzung“ in sog. Generika-Fällen auch bislang ausnahmsweise nicht. Im Falle von Generikaherstellern kann deshalb ohne Vorliegen einer positiven erstinstanzlichen Einspruchs- oder Nichtigkeitsentscheidung eine Verbotsverfügung dann ergehen, wenn aus der Sicht des Verletzungsgerichts entweder die besseren Argumente für die Patentfähigkeit sprechen, so dass sich diese positiv bejahen lässt, oder (mit Rücksicht auf die im Rechtsbestandsverfahren geltende Beweislastverteilung) die Frage der Patentfähigkeit mindestens ungeklärt bleibt, so dass das Verletzungsgericht, wenn es anstelle des Patentamtes oder des BPatG in der Sache selbst zu befinden hätte, dessen Rechtsbestand zu bejahen hätte (vgl. OLG Düsseldorf, Urteil v 14.12.2017 – I-2 U 18/17 –, Rn. 21, juris; Kühnen, a.a.O., Kap. G, Rn. 63). Dabei ist zu berücksichtigen, dass dieser Entscheidung immer nur diejenige eigene Einschätzung des Verletzungsgerichts zugrunde liegen kann, die ihm angesichts der betroffenen technischen Materie möglich ist (OLG Düsseldorf, GRUR-RR 2021, 249, Rn. 22 – Cinacalcet II).
  102. Hinzukommt vorliegend zudem der weitere von der obergerichtlichen Rechtsprechung anerkannte Ausnahmegrund, für den das Vorliegen einer den Rechtsbestand bestätigenden Entscheidung nicht verlangt wird (vgl. Kühnen, a.a.O., Kap. G, Rn. 71), dass nämlich ein baldiger Schutzrechtsablauf droht. Das Verfügungspatent wird im Juni 2023 auslaufen, mithin zu einem Zeitpunkt, bis zu dem eine Hauptsacheentscheidung nicht mehr zu erwarten ist.
  103. b.
    Die seitens der Verfügungsbeklagten vorgebrachten Entgegenhaltungen lassen den Widerruf des Verfügungspatents indes nicht wahrscheinlich erscheinen. Indiziell dürfte hierfür auch schon sprechen, dass das Verfügungspatent im Juni 2023 ablaufen wird und bislang nicht – jedenfalls nicht soweit es der Kammer bekannt wäre – erfolgreich (oder überhaupt) einem Nichtigkeitsverfahren unterzogen worden wäre.
  104. aa.
    Das Verfügungspatent beruht gegenüber der DE‘XXX (Anlage AG 18) auf Neuheit.
  105. (1)
    Eine Entgegenhaltung ist dann neuheitsschädlich, wenn sich die gesamte als Erfindung beanspruchte Lehre des Klagepatents aus dieser Schrift, deren Gesamtinhalt zu ermitteln ist, für den Fachmann am Prioritätstag in einer Weise ergibt, dass ihm die dort vorgestellte technische Lösung unmittelbar und eindeutig sämtliche Merkmale der Erfindung offenbart. Dabei beschränkt sich die technische Lehre der Patentschriften nicht auf den Inhalt der Ansprüche, sondern schließt die gesamte technische Information ein, die ein Durchschnittsfachmann Ansprüchen, Beschreibung und Abbildungen entnehmen kann (vgl. BGH GRUR 2009, 382, 384 – Olanzapin). Maßgeblich ist, was der Fachmann mit dem Fachwissen des Prioritätstages der Entgegenhaltung entnimmt (vgl. Schulte/Moufang, Patentgesetz, 11. Auflage 2022, § 3 Rn. 95).
  106. (2)
    Die im Oktober 2010 vorangemeldete und daher gem. Art. 54 Abs. 3 EPÜ bei der Neuheitsprüfung zu berücksichtigende DE‘XXX betrifft eine pharmazeutische Formulierung mit verzögerter Wirkstofffreisetzung, die 3-(3-Dimethylamino-l-ethyl-2-methyl-propyl)phenol oder eines seiner pharmzeutisch akzeptablen Salze in einer Matrix enthält. Wie es in Abs. [0006] formuliert ist, macht es sich die DE‘XXX zur Aufgabe, eine 3-(3-Dimethylamino-l-ethyl-2-methyl-propyl)phenol enthaltende pharmazeutische Formulierung mit verzögerter Wirkstofffreisetzung bereitzustellen. Im Stand der Technik waren nur allgemein Retardformulierungen für eine große Zahl verschiedener Wirkstoffe bekannt (Abs. [0003]). Kritisch war es im Stand der Technik, das Medikament so zu verabreichen, dass eine ausreichende Wirkstoffkonzentration im Blutplasma etwa zur Schmerzbekämpfung vorhanden war. Oftmals war dafür die Verabreichung innerhalb kurzer Abstände erforderlich.
  107. Anders als die erfindungsgemäße Lehre des Verfügungspatents befasst sich diese Druckschrift indes nicht mit viskositätserhöhenden Mitteln, um einen Missbrauch einer pharmazeutischen Formulierung zu verhindern. Ein solcher Ansatz wird überhaupt nicht in den Blick genommen. Vielmehr kommt es auf die Bereitstellung des Wirkstoffes im Körper selbst an, so formuliert z.B. Abs. [0009]:
  108. „[…] dass die erfindungsgemäße Formulierung nicht nur aufgrund der verzögerten Freisetzung eine langandauernde therapeutische Wirksamkeit über einen relativ langen Zeitraum (mindestens 12 Stunden) gewährleistet, sondern zugleich bei der ersten Einnahme des Arzneimittels ein rasches Anfluten des Wirkstoffs im Plasma ermöglicht, was zu einer raschen Schmerzlinderung beim Patienten führt („rapid onset“). Damit kann bei Verabreichung der erfindungsgemäßen Formulierung an einen Schmerzpatienten dessen Schmerz rasch gelindert werden, ohne dass die analgetische Wirkung ebenso rasch wieder nachlassen würde. Die erfindungsgemäße Formulierung vereinigt damit Eigenschaften einer Formulierung mit sofortiger Wirkstofffreisetzung – schnelle Linderung des Schmerzes durch ausreichend hohe Wirkstoffkonzentration kurz nach Gabe des Arzneimittels – mit Eigenschaften einer Formulierung mit verzögerter Freisetzung – langandauemde analgetische Wirkung aufgrund eines ausreichend hohen Wirkstoffspiegels über längere Zeit.“
  109. Jedenfalls Merkmal 1.2 und damit einhergehend auch die Merkmale 1.2.1 und 1.2.2. sind nicht somit unmittelbar und eindeutig offenbart. Etwas anderes folgt nicht aus der seitens der Verfügungsbeklagten in Bezug genommenen Tabelle aus Abs. [0034]:
  110. Denn es fehlt an schriftsätzlichen Erläuterungen, wonach diese pharmazeutische Zusammensetzung die weiteren Eigenschaften der Merkmale 1.2.1 und 1.2.2 aufweist. Allein das Vorhandensein von Hypromellose reicht für die erforderliche unmittelbare und eindeutige Offenbarung nicht aus, weil zum einen Wirkstoffkonzentrationen denkbar sind, die nicht zu den erfindungsgemäßen Eigenschaften führen und darüber hinaus Hypromellose insbesondere (auch) als retardierendes Mittel vorbekannt war und sich die DE‘XXX genau diese Eigenschaften zunutze machen will.
  111. bb.
    Die Lehre des Verfügungspatents ist erfinderisch.
  112. (1)
    Gem. Art. 56 Satz 1 EPÜ gilt eine Erfindung als auf einer erfinderischen Tätigkeit beruhend, wenn sie sich für den Fachmann nicht in naheliegender Weise aus dem Stand der Technik ergibt.
  113. Um die erfinderische Tätigkeit zu beurteilen, ist Klarheit über das technische Ergebnis der anspruchsgemäß definierten Erfindung zu gewinnen sowie die Aufgabe zu ermitteln, die der Erzielung dieses Ergebnisses zugrunde liegt (Schulte, a.a.O., § 4, Rn. 33). Das technische Problem ergibt sich aus dem, was die Erfindung tatsächlich leistet (BGH, GRUR 2010, 602 – Gelenkanordnung). Maßgeblich ist, welche Lehre sich aus der Sicht des angesprochenen Fachmanns aus den Merkmalen des Patentanspruchs im Einzelnen und in ihrer Gesamtheit ergibt (Mes, 5. Aufl. 2020, PatG, § 21, Rn. 25). Der Fachmann geht nämlich bei seinen Überlegungen von dem technischen Problem, das der Erfindung zugrunde lag, aus (vgl. Benkard, EPÜ/Kinkeldey/Karamanli/Söldenwagner, 3. Aufl. 2019, EPÜ, Art. 56, Rn. 40). Anhand der so ermittelten Aufgabenstellung ist zu fragen, ob der Fachmann mit seinem Fachwissen dahingehende Fortbildungen des Standes der Technik vorgenommen hätte. Um dabei aber das Begehen eines von den bisher beschrittenen Wegen abweichenden Lösungswegs nicht nur als möglich, sondern dem Fachmann nahegelegt anzusehen, bedarf es – abgesehen von den Fällen, in denen für den Fachmann auf der Hand liegt, was zu tun ist – in der Regel zusätzlicher, über die Erkennbarkeit des technischen Problems hinausreichender Anstöße, Anregungen, Hinweise oder sonstiger Anlässe dafür, die Lösung des technischen Problems auf dem Weg der Erfindung zu suchen (BGH, GRUR 2009, 746 – Betrieb einer Sicherheitseinrichtung; BGH, GRUR 2010, 407 – einteilige Öse).
  114. (2)
    Diese Voraussetzungen sind hier nicht erfüllt. Die Kammer hält das Beruhen des Verfügungspatents gegenüber der Kombination der EP‘XXX mit der US‘XXX bzw. mit der US‘XXX auf erfinderischer Tätigkeit für wahrscheinlicher als dass die erfindungsgemäße Lehre durch den Stand der Technik nahegelegt gewesen wäre.
  115. Die Verfügungsbeklagte stützt sich auf die EP‘XXX als nächstliegenden Stand der Technik.
  116. EP‘XXX offenbart (1R*,2R*)-3-(3-Dimethylamino-1-ethyl-2-methyl-propyl)-phenol, d.h. XXX, zur Verwendung bei der Behandlung von starken Schmerzen (siehe Beispiel 24, Verbindung 21; S. 2, Z. 26 bis 32). Die der Erfindung zugrundeliegende Aufgabe bestand in der Entwicklung von analgetisch wirksamen Substanzen, die sich zur Behandlung starker Schmerzen eignen, ohne die für Opioide typischen Nebenwirkungen hervorzurufen. Darüber hinaus sollten die zu entwickelnden Substanzen nicht die während der Behandlung mit XXX in manchen Fällen auftretenden Nebenwirkungen, beispielsweise Übelkeit und Erbrechen, besitzen (vgl. S. 2, Rn. 26 ff.).
  117. Der Unterschied zwischen dem Anspruch 1 und der Offenbarung der EP‘XXX liegt in dem Vorhandenseien eines viskositätserhöhenden Mittels in solchen Mengen, dass die Darreichungsform die in dem Merkmal 1.2.2 beschriebenen Eigenschaften aufweist.
  118. (a)
    Die Aufgabe des Verfügungspatents liegt jedenfalls darin, das Missbrauchspotential einer Darreichungsform zu verringern, ohne die eigentliche pharmazeutische Wirksamkeit der Darreichungsform mit dem Wirkstoff XXX negativ zu beeinträchtigen. Der Anspruch stellt konkrete Anforderungen an eine erfindungsgemäße Darreichungsform wie die Bildung eines wirkstoffhaltigen, noch nadelgängigen Gels, das mindestens 1 Minute visuell unterscheidbar bleibt auf, die genau auf die Lösung des technischen Problems, den missbräuchlichen Einsatz zu erschweren, gerichtet sind. Es kann dahingestellt bleiben, ob darüber hinaus auch eine Abschreckungswirkung als (eigenes) Ziel der Erfindung anzusehen ist. Denn schon für eine Aufgabenstellung, die einen abschreckenden Effekt nicht berücksichtigt, vermag die Kammer nicht zu erkennen, welche Motivation der Fachmann aus der EP‘XXX erhält, deren Lehre gemäß der Aufgabenstellung des Verfügungspatents weiterzuentwickeln. Die EP‘XXX setzt sich dezidiert mit chemischen Verbindungen der pharmazeutischen Stoffe auseinander und zeigt hierfür unterschiedliche Gestaltungsmöglichkeiten auf. Sie konzentriert sich auf die stofflichen Eigenschaften einer Darreichungsform, ohne auch in den Blick zu nehmen, dass sie missbräuchlich verwendet werden könnte. Aufgrund dieser Zielrichtung, die deutlich von derjenigen der US‘XXX und US‘XXX abweicht, fehlt es an einem plausiblen Anlass, dass der Fachmann die weiteren Druckschriften US‘XXX und US‘XXX herangezogen und die Lehre der EP‘XXX in Richtung der erfindungsgemäßen Lehre ausgehend von seinem Fachwissen weiterentwickelt hätte. Festzustellen ist für diese Diskussion der Parteien außerdem, dass die Verfügungsbeklagte auf die Kritik der Verfügungsklägerin zur mangelnden Erfindungshöhe nicht mehr vorgetragen hat. Selbst in der später eingereichten Nichtigkeitsklage findet sich kein weitergehendes, erhellendes Vorbringen der Verfügungsbeklagten.
  119. Im Übrigen aber würden auch beide der vorgenannten Druckschriften nicht die Merkmale 1.2.1 und 1.2.2 offenbaren. Dazu im Folgenden:
  120. (b)
    Die Verfügungsbeklagte hat zunächst auf die US‘XXX verwiesen, welche gegen Missbrauch resistente Tabletten betrifft, welche eine Mehrzahl an verschiedenen Schichten aufweisen. Insbesondere sind solche Tabletten erfasst, die zwei oder mehr Schichten mit einem oder mehreren Wirkstoffen (drug) sowie ein oder mehr Geliermittel enthalten, wobei die Wirkstoffe und die Geliermittel in verschiedenen Schichten enthalten sind. Denn dadurch wird die Freisetzung des eigentlichen Wirkstoffs verbessert. Andernfalls könnte es nämlich zu einer unerwünschten verzögerten Wirkstofffreisetzung kommen.
  121. Die Verfügungsbeklagte verweist auf die von der US‘XXX offenbarten Geliermittel, welche eine Tablette resistent gegen Missbrauch machen. Es ist jedoch nicht zu erkennen, dass die Merkmale 1.2.1 und 1.2.2 unmittelbar und eindeutig offenbart werden. Denn es fehlen jegliche Ausführungen dazu, welche Eigenschaften diese Geliermittel aufweisen. Insoweit dürfte es auch nicht unmittelbar auf der Hand liegen, die erfindungsgemäßen Eigenschaften für eine Darreichungsform vorzusehen. Insbesondere das Erfordernis der Nadelgängigkeit sowie die visuelle Unterscheidbakeit dürften nicht lediglich eine Fortbildung des Standes der Technik und damit naheliegend gewesen sein. Zumindest hat die Verfügungsbeklagte dies nicht substantiiert vorgebracht. Hinzukommt, dass die US‘XXX einen bestimmten Aufbau einer Darreichungsform aufgegliedert in mehrere Schichten vorsieht und es sich nicht ohne Weiteres – zumindest nicht ohne technische Erläuterungen der Parteien – ergibt, dass Geliermittel in Tabletten mit einem Kern und einer Hülle unverändert eingesetzt werden könnten, ohne (nicht naheliegende) Änderungen an der Formulierung vorzunehmen.
  122. An vorstehender Würdigung können auch die Hinweise der Verfügungsbeklagten auf anderweitige Fachartikel (Anlagen AG 6 und AG 7) nichts ändern. Diese mögen ein Beleg dafür sein, dass Opiate und Opioide missbräuchlich eingesetzt werden und dazu insbesondere intravenös verabreicht werden. Auch ist nicht auszuschließen, dass ein Missbraucher einen Weg finden wird, sich ein Mittel zu injizieren und dabei bereits vorgesehene Missbrauchserschwernisse umgeht (etwa durch Auflösen eines Mittels durch Erhitzen). Inwieweit aber diese Kenntnisse den Fachmann ausgehend von der EP‘XXX aber konkret geleitet haben könnten, zu einer Darreichungsform im Sinne des Verfügungspatentanspruchs 1 zu gelangen, ist nicht zu erkennen.
  123. (c)
    Dem Grunde nach gelten vorstehende Ausführungen für die US‘XXX entsprechend.
    Es war im Stand der Technik bekannt, dass Methadon oder seine acid salts in einer pudrigen oder wasserlöslichen Tablette eingebracht sein konnten, die sich schon in geringen Saftmengen auflöst. Ein Patient würde eine solche Saftmenge mit der aufgelösten Tablette zu sich nehmen. Da Missbraucher die Tablette in klarem Wasser gelöst und anschließend gefiltert haben, war es für sie möglich, injizierbares Methadon zu gewinnen. Dagegen wollte die US‘XXX eine Zusammenstellung bereitstellen, die in dem einnehmbaren Stoff auch eine Verdickungseigenschaft aufweist und so helfen kann, Missbrauch durch Injektion vorzubeugen. Die Gewinnung einer genügenden Menge des therapeutischen Mittels sollte dadurch erheblich erschwert werden.
  124. Die Verfügungsbeklagte hat sich in ihrem Vorbringen auch hier auf einen Verweis auf mögliche einsetzbare Verdickungsmittel beschränkt, ohne darüber hinaus die erforderlichen erfindungsgemäßen Eigenschaften dieser Mittel ausgehend von der US‘XXX aufzuzeigen. Dabei ist für die US‘XXX noch nicht einmal der Wirkstoff XXX offenbart. Unklar ist deshalb, ob der Fachmann im relevanten Prioritätszeitpunkt schon konkret für XXX die Beifügung eines Verdickungsmittels in naheliegender Weise in Betracht gezogen hätte. Ebenso wenig ist zu erkennen, dass es nach der US‘XXX trotz Einsatzes eines Verdickungsmittels zur Nadelgängigkeit des Mittels kommen kann. Hierzu gelten vorstehende Ausführungen.
  125. cc.
    Ein Widerruf aufgrund sittenwidriger gewerblicher Nutzung des Verfügungspatents hält die Kammer ebenso wenig für wahrscheinlich.
  126. (1)
    Gemäß Art. 53 lit. a EPÜ sind Erfindungen, deren gewerbliche Verwertung gegen die öffentliche Ordnung oder die guten Sitten verstoßen würde, von der Patentierung ausgeschlossen. Verwertung ist dabei jede Form der Benutzung der patentgemäßen Lehre. Gewerblich ist eine solche Verwertung, wenn sie im Rahmen eines Gewerbebetriebes oder sonst zur Erzielung von Umsatz oder Gewinn geschieht, insbesondere der wirtschaftlichen Auswertung der unter Schutz gestellten Lehre dient (Benkard EPÜ/Melullis, 3. Aufl. 2019, EPÜ Art. 53 Rn. 12f.).
  127. Bei der Beurteilung, ob ein Patent gegen lit. a verstößt, ist auf den bestimmungsgemäßen Gebrauch der Erfindung, wie er sich aus der Beschreibung und den Ansprüchen objektiv ergibt, abzustellen (BeckOK PatR/Fitzner, 26. Ed. 15.10.2022, EPÜ Art. 53 Rn. 7). Der mögliche Missbrauch seiner Lehre in Einzelfällen bildet keine hinreichende Rechtfertigung dafür, dem Erfinder den Schutz des Patentrechts insgesamt und damit auch gegenüber solchen Verwendungen zu versagen, die nicht im Widerspruch zur Rechts- und Sittenordnung stehen. Im Hinblick auf die bestehenden legalen Benutzungsmöglichkeiten darf in einem solchen Fall Patentschutz nicht schlechthin verweigert werden. Andernfalls würde der Anmelder um den verdienten Lohn für seine Entwicklung gebracht, weil er Dritte von ihrer Benutzung auch dann nicht ausschließen könnte, wenn diese zulässig ist. Dass der patentgemäße Gegenstand neben anderen auch zu von der Rechtsordnung missbilligten, insbesondere kriminellen Handlungen verwendet werden kann, steht einer Patenterteilung daher allenfalls dann entgegen, wenn daneben schlechterdings keine legale Benutzung denkbar ist (Benkard EPÜ/Melullis, 3. Aufl. 2019, EPÜ Art. 53 Rn. 15).
  128. Grundlage der Bewertung, ob eine Patentverwertung gegen die guten Sitten verstößt, ist das Empfinden aller billig und gerecht Denkenden, wie es seinen Niederschlag in diesen Normen gefunden hat. Für die Anwendung des EPÜ sind entscheidend die Verhältnisse im europäischen Kulturkreis, wobei im Einzelfall eine eher großzügige, im Zweifel das Schutzrecht erhaltende Abwägung vorzunehmen ist, bei der Nutzen der Erfindung und ihre schädlichen Wirkungen, insbesondere die von ihr ausgehenden Gefahren für Mensch und Umwelt, gegenüber gestellt werden (Benkard, a.a.O., Art. 53, Rn. 39, 44).
  129. (2)
    Diese Grundsätze stehen einer gewerblichen Verwertung der erfindungsgemäßen Lehre nicht entgegen. Denn die gegen parenteralen Missbrauch gesicherte, feste Darreichungsform nach der Lehre des Verfügungspatents ist in erster Linie auf die Bereitstellung einer XXX-haltigen Darreichungsform gerichtet, die zur Schmerzlinderung beim Patienten eingesetzt wird. Unter dem Aspekt, einen parenteralen Missbrauch zu verhindern, wird eine erfindungsgemäße Darreichungsform überhaupt nicht gewerblich verwertet.
  130. Das Verfügungspatent konstatiert selbst, dass es zu einem Missbrauch einer erfindungsgemäßen Darreichungsform kommen kann. Einem solchen will die erfindungsgemäße Lehre aber gerade vorbeugen. Es ist nicht ausgeschlossen, dass es bei einem Missbrauch einer erfindungsgemäßen Darreichungsform aufgrund der Art der Verabreichung des Wirkstoffs und/oder aufgrund der gegebenen Menge mithin auch zum Tod eines Missbrauchers kommen kann. Dies ist aber ein dem Missbrauch immanentes Risiko und allein die theoretische Möglichkeit, dass ein Mittel tatsächlich missbräuchlich eingesetzt wird (vgl. Schulte, a.a.O., § 2, Rn. 27), genügt nicht, der zugrunde liegenden Lehre die Schutzfähigkeit insgesamt abzusprechen. Denn – wie sich den von der Verfügungsbeklagten vorgelegten Fachartikeln entnehmen lässt – lassen sich Missbraucher unter Umständen irgendetwas einfallen, um den für sie wichtigen Wirkstoff aus einer Darreichungsform zu erhalten. Einem Patentinhaber ist es nicht zumutbar und im Tatsächlich gar nicht möglich, sämtliche potentiellen Missbrauchswege zu antizipieren und im Vorhinein auszuschließen. Daher stellt die erfindungsgemäße Lehre eine Darreichungsform bereit, die zweierlei Aspekten gerecht werden muss: nämlich einerseits durch die retardierte Wirkstofffreisetzung eine gute Schmerztherapie bieten und anderseits durch die viskosen Eigenschaften eines gewonnenen Extrakts vor einem Missbrauch warnen.
  131. dd.
    Die Lehre des Verfügungspatents ist schließlich auch ausführbar.
  132. (1)
    Eine Erfindung ist ausführbar, wenn ein Fachmann anhand der Patentschrift unter Einsatz seines Fachwissens in der Lage ist, die offenbarte technische Lehre praktisch zu verwirklichen (vgl. Schulte, a.a.O., § 34, Rn. 349). es ist die in den Ansprüchen in ihrer allgemeinsten Form umschriebene technische Lehre, welche dem Fachmann in der Patentschrift so deutlich und so detailliert offenbart sein muss, wie er dies benötigt, um mit Hilfe seiner als vorhanden vorausgesetzten Fachkenntnisse diese technische Lehre der Erfindung zumindest auf einem praktisch gangbaren Weg auszuführen und hierdurch den technischen Erfolg der Erfindung zu erzielen (BGH, GRUR 2015, 472 – Stabilisierung der Wasserqualität).
  133. Die Ausführbarkeit der in einem Patentanspruch umschriebenen technischen Lehre darf nicht mit der Erreichung derjenigen Vorteile gleichgesetzt werden darf, die dieser Lehre in der Beschreibung zugeschrieben werden. Kann ein solcher Vorteil – grundsätzlich oder unter den in der Praxis zu erwartenden Bedingungen – nicht erreicht werden, bedeutet dies jedenfalls nicht notwendigerweise, dass die technische Lehre der Erfindung nicht ausführbar offenbart ist. Dies ist sie vielmehr grundsätzlich bereits dann, wenn der Fachmann mit Hilfe seines Fachwissens in der Lage ist, den in den Sachansprüchen beschriebenen Gegenstand herzustellen und diejenigen Verfahrensschritte auszuführen, die in den Verfahrensansprüchen bezeichnet sind (BGH, GRUR 2015, 472 – Stabilisierung der Wasserqualität). So ist eine ausreichende Offenbarung gegeben, wenn ein Fachmann anhand der Offenbarung das erfindungsgemäße Ziel zuverlässig in praktisch ausreichendem Maße erreichen kann.
  134. Gegenstand der Ausführbarkeit ist auch, dass der Fachmann die Erfindung mit zumutbarem Aufwand umsetzen kann. Ob dies der Fall ist, orientiert sich an dem technischen Gebiet der Erfindung, den Fähigkeiten des Fachmanns sowie anhand dessen, welche Anschauungen für den Gegenstand der Erfindung als allgemein üblich angesehen werden. Zu beachten ist aber, dass eine Patentschrift nicht als eine Gebrauchsanweisung für den Fachmann zu verstehen ist. Vielmehr handelt es sich um eine fachliche Darstellung, die bei Adressaten eine ausreichende Qualifikation, einen durchschnittlichen Wissensstandard sowie eine angemessene Bereitschaft zum Probieren voraussetzen darf (vgl. Schulte, a.a.O., § 34, Rn. 355).
  135. Diese Voraussetzungen sind hier nicht erfüllt.
  136. (2)
    Nachdem dieser Einwand gegen den Rechtsbestand des Verfügungspatents mit Schriftsatz vom 23. November 2022 auch im parallelen Nichtigkeitsverfahren geltend gemacht worden ist, kann er auch im einstweiligen Verfügungsverfahren vor der Kammer berücksichtigt werden. Er vermag indes nicht durchzudringen.
  137. Die Verfügungsbeklagte wendet sich insoweit nur dagegen, dass das Verfügungspatent keine eindeutigen Vorgaben dazu mache, wie der etwa in Abs. [0014] erläuterte Test durchzuführen sei. Kritik an der mengenmäßigen Zusammensetzung einzelner Wirkstoffe in einer erfindungsgemäßen Ausführungsform übt die Verfügungsbeklagte dagegen nicht. Zuzugeben ist der Verfügungsbeklagten, dass in der mündlichen Verhandlung zwischen den Parteien Uneinigkeit darüber bestand, welche Anforderungen an einen Test nach der Lehre des Verfügungspatents zu stellen sind. Dennoch bestehen nach Ansicht der Kammer für einen Fachmann im Hinblick auf die Testdurchführung keine Schwierigkeiten. Wie im Rahmen der Verletzungsdiskussion gezeigt, sind dem Verfügungspatent Anhaltspunkte zu der erforderlichen Zerkleinerung der festen Darreichungsform sowie zu einem Schütteln zu entnehmen. Diese Angaben kann der Fachmann ausgehend von seinem Fachwissen umsetzen. Er ist mit der Untersuchung von pharmazeutischen Zusammensetzungen betraut und führt die Tests sorgfältig durch. Soweit er einen Hinweis auf ein Schütteln liest, weiß er, dass dies der bestmöglichen Verteilung der zerkleinerten Tablette in der Flüssigkeit dienen soll. Daran richtet er die Intensität sowie Dauer des Schüttelns aus.
  138. 2.
    Auch die Dringlichkeit im engeren Sinn ist gegeben. Die Verfügungsklägerin hat alles getan, um ihre Rechte hinsichtlich eines unmittelbar bevorstehenden Vertriebs der angegriffenen Ausführungsform zügig durchzusetzen. Zweifel an der Dringlichkeit können sich sowohl aus dem vorprozessualen Verhalten der Verfügungsklägerin bis zur Beantragung einer einstweiligen Verfügung ergeben, als auch aus ihrem prozessualem Verhalten.
  139. a.
    Der Verfügungsklägerin war von der Kammer bis zum 3. November 20222, 12.00 Uhr eine Frist zur Stellungnahme auf den Antrag zur Einstellung der Zwangsvollstreckung der Verfügungsbeklagten gesetzt worden. Sie hat eine Verlängerung dieser Frist bis zum 7. November 2022, 12.00 Uhr beantragt. Grundsätzlich kann die Beantragung von Fristverlängerungen geeignet sein, die Dringlichkeit für den Erlass einer einstweiligen Verfügung zu beseitigen (OLG Düsseldorf, InstGE 10, 60 – Olanzapin II). Dies trifft vorliegend allerdings nicht zu. Dabei ergibt sich das Fortbestehen der Dringlichkeit noch nicht aus der durch die Kammer gewährten Fristverlängerung schlechthin. Denn hierbei handelt es sich nur um eine verfahrensführende Maßnahme, mit derer der Antrag der Verfügungsklägerin beschieden wurde. Es obliegt aber weiterhin ausschließlich der Verfügungsklägerin, inwieweit sie die ihr eingeräumten zeitlichen Möglichkeiten für ihre Stellungnahmen ausschöpft und dadurch das Eilverfahren vorantreibt (vgl. Kühnen, a.a.O., Kap. G, Rn. 138).
  140. Vorliegend vermag die Kammer festzustellen, dass die Verfügungsklägerin noch ein Verhalten an den Tag gelegt hat, welches die Dringlichkeit der Angelegenheit zeigt. Denn tatsächlich hat die Verfügungsklägerin die ihr eingeräumte verlängerte Frist nicht ausgereizt, sondern eng orientiert an der zunächst gesetzten Frist ihre Eingabe am 3. November 2022 eingereicht. Das Überschreiten dieser Frist um etwa 27 Minuten ist nicht als dringlichkeitsschädlich anzusehen. Angesichts des gestellten (vorsorglichen) Fristverlängerungsantrags sowie der E-Mail
  141. b.
    Auch im Übrigen besteht ein Verfügungsgrund. In der anzustellenden allgemeinen Interessenabwägung überwiegen die Interessen der Verfügungsklägerin, die für den Erlass bzw. hier Fortbestand einer Verbotsverfügung sprechen.
  142. Auf Seiten der Verfügungsbeklagten vermochte die Kammer keine Interessen auszumachen, die gegen die Aufrechterhaltung der einstweiligen Verfügung sprechen könnten. Die Verfügungsbeklagte war durch die Kammer vor Erlass der einstweiligen Verfügung nicht gesondert anzuhören. Es bestand besondere Eilbedürftigkeit wegen der bevorstehenden Listung der angegriffenen Ausführungsform zum 1. November 2022 in der XXX, bei Einräumung rechtlichen Gehörs wäre die Auslistung umso später erfolgt. Schon bei dem vorliegenden Verfahrenslauf hat die Änderung der Statusmeldung auf „NV“ erst zum 15. November 2022 stattgefunden. Das Vorliegen einer Schutzschrift zeigt überdies, dass die Verfügungsbeklagte aufgrund des Schreibens der Verfügungsklägerin vom 18. August 2022 (Anlage AR 6) gewarnt war und den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung hat kommen sehen. Darin wurden bereits diejenigen Streitpunkte aufgegriffen, die auch hier thematisiert wurden. Dem Umstand, dass die Schutzschrift der Kammer tatsächlich bei ihrer Entscheidung über den Verfügungsantrag nicht vorlag, wurde sodann unverzüglich durch die (einstweiligen) Einstellungsbeschlüsse Rechnung getragen.
  143. Zugunsten der Verfügungsbeklagten war in die Abwägung auch nicht ein vermeintliches Patentdickicht der Verfügungsklägerin einzustellen. Die Verfügungsbeklagte stützt sich für diese Behauptung auf eine Vielzahl von Schutzrechten der Verfügungsklägerin, die XXXhaltige Produkte unter Schutz stellen. Es mag sein, dass die Verfügungsklägerin keine eigenen Produkte vermarktet, die diesen Schutzrechten unterfallen; dazu ist ein Patentinhaber aber auch nicht angehalten. Außerdem fehlen valide Belege dafür, dass die Verfügungsklägerin aus dieser Vielzahl an Schutzrechten eine Marktabschottung betreibt. Der Kammer sind jedenfalls keine anderen Verfahren bekannt als das hiesige sowie das parallele einstweilige Verfügungsverfahren (Az. 4c O 63/22). Eine missbräuchliche Vorgehensweise der Verfügungsklägerin ist nicht festzustellen.
  144. Es verbliebe allenfalls bei einer Rufschädigung durch die wechselhaften Verfügbarkeiten am Markt. Dieser Umstand kann aber kein besonderes Interesse begründen, weil sich darin nicht mehr als das typische, einer einstweiligen Verfügungssituation innewohnende Risiko realisiert. Inwieweit der Verfügungsbeklagten als Generikaherstellerin tatsächlich selbst ein nicht wiedergutzumachender und unvollständig bezifferbarer Schaden entstanden sein soll, vermag die Kammer mangels entsprechend fundierten Tatsachenvortrags nicht nachzuvollziehen. Im Übrigen ist der Kammer bekannt, dass die Bezifferung von Schäden, die durch ein zu Unrecht erfolgtes Fernhalten vom Markt eingetreten sind, sehr wohl möglich ist. Die Verfügungsbeklagte hat hierbei auch keine stichhaltigen Argumente vorgebracht, wonach ihr tatsächlich schon in der Entwicklung der angegriffenen Ausführungsform erhebliche Kosten entstanden wären, weil deshalb eigene Forschungstätigkeit erforderlich war, da die angegriffene Ausführungsform XXX Tartrat und kein XXX Hydrochlorid wie das Produkt XXX der Verfügungsklägerin beinhaltet.
  145. Dagegen überwiegen die Interessen der Verfügungsklägerin. Hierbei kann sie sich indes weder auf aggressives Marktverhalten der Verfügungsbeklagten noch auf einen außergewöhnlich irreversiblen Preisverfall berufen. In dem die Verfügungsbeklagte Vertriebsbemühungen für die angegriffene Ausführungsform anstellt, bewegt sie sich im Rahmen des rechtlich und wettbewerblich Zulässigen. Es ist ihr ureigenes wirtschaftliches Interesse, ihre Produkte, solange keine anderslautende gerichtliche Anordnung existiert, zu vermarkten und Großhändler über die Verfügbarkeit zu informieren – selbst auf die Gefahr hin, die angegriffene Ausführungsform bei einer kurzfristig zu erwartenden gerichtlichen Entscheidung rückgängig machen zu müssen. Eine besondere Aggressivität vermag die Kammer in dieser Vorgehensweise nicht zu erblicken, auch dann nicht, wenn dies mittelbare Auswirkungen auf die Verfügungsklägerin hat, indem sie ihre Preise nach unten anpassen muss. Denn auch darin liegt keine Besonderheit gegenüber anderen Markteintritten von Generikaherstellern. Ebenso wenig verfängt der behauptete Preisverfall. Wie die Verfügungsklägerin hierzu selbst vorträgt, beruhen die von der Verfügungsbeklagten in Bezug genommenen Parallelimporte auf ihren eigenen Verkäufen. Damit verursacht die Verfügungsklägerin selbst einen Preisverfall, weil Parallelimporte im Inland wiederum günstiger verkauft werden können als das Originalpräparat, sodass sich der Apotheker im Zweifel für die Abgabe des günstigeren Produktes entscheidet, sofern er durch das Rezept nicht zur Aushändigung eines bestimmten Arzneimittels angehalten ist (aut-idem-Regelung). Überdies kann das Argument des Preisverfalls vorliegend auch deshalb nicht durchgreifen, weil bis zum Schluss der mündlichen Verhandlung, in der über den Widerspruch entschieden werden wird, die angegriffene Ausführungsform für rund einen (bis zwei) Monate auf dem Markt gewesen sein und zu einer Veränderung der Preisstrukturen geführt haben wird.
  146. Zugunsten der Verfügungsklägerin ist aber zu berücksichtigen, dass vorliegend zwei von der Rechtsprechung anerkannte Ausnahmefälle (s.o.) in Kombination vorliegen. Denn neben der Konstellation eines Generikasachverhalts steht der Schutzrechtsablauf des Verfügungspatents Mitte Juni 2023 bevor. Für die Verfügungsklägerin besteht damit effektiv keine andere Möglichkeit, als im Wege des Eilverfahrens Rechtsschutz gegen die angegriffenen Ausführungsformen nachzusuchen. Hier hinter haben die Interessen der Verfügungsbeklagten zurückzutreten.
  147. B.
    Die prozessualen Nebenentscheidungen beruhen auf §§ 91, 929 ZPO.
  148. Die Vollziehung war aber nunmehr von der Leistung einer Sicherheit abhängig zu machen, §§ 938, 925 Abs. 2, 709 ZPO.
  149. Die Vollziehung der einstweiligen Verfügung nach §§ 925, 936 ZPO kann davon abhängig gemacht werden, dass die Verfügungsklägerin zuvor eine Sicherheitsleistung erbringt, die sich aus § 945 ZPO ergebende Schadenersatzansprüche der Antragsgegnerin absichert. Da wegen der eingeschränkten Erkenntnismöglichkeiten im Eilverfahren nicht ausgeschlossen werden kann, dass sich die einstweilige Verfügung im Hauptsacheverfahren als ungerechtfertigt erweist und die Verfügungsklägerin der Verfügungsbeklagten nach § 945 ZPO Schadenersatz leisten muss, kann die Vollziehung einer Unterlassungsverfügung wegen Patentverletzung keinen geringeren Anforderungen unterliegen als die Vollstreckung eines erstinstanzlichen Unterlassungsurteils (vgl. OLG Düsseldorf, GRUR-Prax 2016, 240). Nur dann, wenn der Antragsteller zur Erbringung der Sicherheitsleistung nicht in der Lage oder dies in der Kürze der Zeit nicht zu bewerkstelligen ist, bedarf es der Anordnung einer Sicherheitsleistung nicht (vgl. Kühnen, a.a.O., Kap. G, Rn. 100). In Bezug auf die Höhe der Sicherheitsleistung bietet der auf das Unterlassungsbegehren entfallende Streitwert eine Orientierung.
  150. Hiernach war eine Sicherheitsleistung auszusprechen. Gründe, davon abzusehen, lagen nicht (mehr) vor. Denn während die Kammer beim Erlass der einstweiligen Verfügung insbesondere noch deshalb von der Anordnung einer Sicherheitsleistung abgesehen hat, da eine solche bis zur nächsten Aktualisierung der XXX nicht mehr hätte erbracht werden können, tragen diese Erwägungen jetzt nicht mehr. Denn wie zuvor geschildert, war die angegriffene Ausführungsform über einen gewissen Zeitraum am Markt erhältlich, sodass die Vollziehung aufgrund drohenden Preisverfalls nicht mehr derart dringlich wie ursprünglich ist. Zudem handelt es sich bei der hiesigen Entscheidung um die letzte der ersten Instanz, sodass eine kurzfristige Abänderung nicht mehr zu erwarten ist und der Verfügungsklägerin auch trotz Erbringung einer Sicherheitsleistung hinreichend Gelegenheit zur effektiven Vollziehung des einstweiligen Verfügungstitels gegeben ist.
  151. Streitwert: 5.000.000,- Euro

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