4a O 33/21 – Kindersitz 3

Düsseldorfer Entscheidungen Nr. 3262

Landgericht Düsseldorf

Urteil vom 15. November 2022, Az. 4a O 33/21

  1. I. Die Klage wird abgewiesen.
  2. II. Die Zwischenwiderklage wird abgewiesen.
  3. III. Die Kosten des Rechtstreits trägt die Klägerin.
  4. IV. Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 115 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages.
  5. Tatbestand
  6. Die Klägerin nimmt die Beklagten aus dem Gebrauchsmusters DE 20 2013 XXX XXX U1 (nachfolgend: Klagegebrauchsmuster, vorgelegt in Anlage K 3) wegen behaupteter unmittelbarer wortsinngemäßer Gebrauchsmusterverletzung auf Unterlassung, Auskunft, Rechnungslegung sowie Schadensersatz dem Grunde nach in Anspruch. Die Beklagten zu 1) bis zu 3) nimmt sie zusätzlich auf Rückruf, nur die Beklagte zu 1) zudem auch auf Vernichtung gebrauchsmustergemäßer Vorrichtungen in Anspruch.
  7. Die Klägerin ist die im Register des Deutschen Patent- und Markenamts (nachfolgend: DPMA) eingetragene Inhaberin des Klagegebrauchsmusters mit dem Titel „XXX XXX“. Das Klagegebrauchsmuster wurde aus der Europäischen Patentanmeldung EP 19 XXX XXX.8 / EP 3 XXX XXX A (Anlage TW 4) abgezweigt, hat den Anmeldetag XXX XXX und nimmt die Prioritäten der DE 20 2012 XXX XXX (Anlage TW 28) vom XXX und der DE 20 2012 XXX XXX (Anlage TW 27) vom XXX in Anspruch. Die Eintragung des Klagegebrauchsmusters erfolgte am XXX und wurde am XXX im Patentblatt bekannt gemacht.
  8. Das Klagegebrauchsmuster steht in Kraft. Die A Limited (XXX), eine nicht am hiesigen Verletzungsverfahren beteiligte Gesellschaft aus dem Konzern der Beklagten, stellte unter dem 29.10.2021 einen Löschungsantrag gegen das Klagegebrauchsmuster (Anlagenkonvolut TW 7), über den bislang noch nicht entschieden wurde. Am 20.09.2022 erließ die Gebrauchsmusterabteilung des DPMA einen Zwischenbescheid, für dessen Inhalt auf Anlage TW 32 verwiesen wird.
  9. Die von der Klägerin in eingeschränkter Fassung kombiniert geltend gemachten Schutzansprüche 1, 8, 20, 21, 27 und 33 des Klagegebrauchsmusters sind wie folgt eingetragen:
  10. „1. Kindersitz (10) oder Babyschale zur Anordnung auf einem Kraftfahrzeugsitz, insbesondere Kraftfahrzeugseitensitz, vorzugsweise zur Befestigung mit einem Kraftfahrzeug-Gurtsystem oder mittels Isofix-Klinken, mit einer Sitzschale (20) und einem an dieser anbringbaren oder angebrachten Seitenaufprallschutz, der von einer Ruhestellung in eine Funktionsstellung und umgekehrt bringbar ist, wobei der Seitenaufprallschutz so positioniert oder positionierbar ist, dass er etwaige Seitenkräfte hinter dem Rücken eines im Kindersitz sitzenden Kindes vorbei überträgt und in die Sitzschale einleitet, wobei der Seitenaufprallschutz ein Seitenelement umfasst, das aus der Ruhestellung entnehmbar und an einer entsprechenden Aufnahme für das Seitenelement (30) anbringbar, insbesondere befestigbar, ist, und zwar oberhalb einer Sitzfläche (60) des Kindersitzes (10) und in einem Rückenabschnitt (70) des Kindersitzes.“
  11. „8. Kindersitz nach einem der vorhergehenden Ansprüche, dadurch gekennzeichnet, dass das Seitenelement (30) derart konfiguriert ist, dass es sich beim Gebrauch des Kindersitzes in Funktionsstellung im Wesentlichen horizontal erstreckt.“
  12. „20. Kindersitz nach einem der vorhergehenden Ansprüche, dadurch gekennzeichnet, dass die Funktionsstellung des Seitenaufprallschutzes außerhalb einer vorgegebenen Breite, insbesondere Standardbreite, des Kindersitzes gelegen ist.“
  13. „21. Kindersitz nach einem der vorhergehenden Ansprüche, dadurch gekennzeichnet, dass der Seitenaufprallschutzes in Funktionsstellung den am weitesten seitlich vorstehenden Punkt des Kindersitzes definiert.“
  14. „27. Kindersitz nach einem der vorhergehenden Ansprüche, dadurch gekennzeichnet, dass das Seitenelement in Funktionsstellung rückwärtig einer Rückenanlagefläche des Kindersitzes (10) angeordnet bzw. positioniert ist.“
  15. „33. Kindersitz nach einem der vorhergehenden Ansprüche, dadurch gekennzeichnet, dass das Seitenelement zur Fixierung der Funktionsstellung einen Rast-, Schnapp-, Klapp- oder Ratschenmechanismus aufweist.“
  16. Wegen der nur als Insbesondere-Anträge geltend gemachten abhängigen Unteransprüche 4, 6, 7, 10 – 12, 14, 17 – 19, 25, 30 – 32 und 34 – 36 wird auf die Klagegebrauchsmusterschrift verwiesen.
  17. Zur Veranschaulichung der beanspruchten Lehre wird nachfolgend Figur 1 des Klagegebrauchsmusters eingeblendet:
  18. Figur 1 zeigt nach Abs. [0027], [0029] der Beschreibung des Klagegebrauchsmusters einen erfindungsgemäßen Kindersitz in vorwärts und rückwärts gerichteter Sitzposition in schematischer Darstellung, in der sich das Seitenelement 30 in einer Ruhestellung befindet.
  19. Die Klägerin ist eine deutsche Herstellerin von Kinderwägen, Kindersitzen und Babytragen.
  20. Die Beklagten zu 1) bis zu 3) sind Gesellschaften, die der „B“ angehören, einem Konzern für Baby-Artikel. Sie handeln und vertreiben Baby-Artikel, etwa Kindersitze und Baby-Sitzschalen der Konzern-Marken „C“ und „D“ (vgl. Anlage K 2). Der Beklagte zu 4) ist der Geschäftsführer der Beklagten zu 1).
  21. Die Beklagte zu 1) ist die deutsche Vertriebsgesellschaft der B-Gruppe und betreibt die Internetseite www.XXX.de, auf der sich Links zu Kindersitzen der Marken „C“ und „D“ befinden (vgl. Anlagen K 15, 16).
  22. Die Beklagte zu 2) ist die britische Vertriebsgesellschaft der B-Gruppe und verantwortet den Markenauftritt der Gruppengesellschaften in Europa und Deutschland mit (Anlage K 17). Sie bietet Kindersitze der Marke „C“ bundesweit über ihre Internetseite https://de.C.com/XXX/ an (Anlage K 18). Zudem befindet sich auf einigen in Deutschland vertriebenen C-Kindersitzen, wie etwa Exemplaren des C XXX, ein Aufkleber, der die Beklagte zu 2) als dessen Inverkehrbringerin ausweist.
  23. Die Beklagte zu 3) mit Sitz in den XXX verantwortet den europaweiten Vertrieb von Artikeln der Marke „D“ und bietet Kindersitze der Marke „D“ etwa über ihre Internetseite https://www.D.com/de/XXX an (vgl. Anlagen K 19 und K 20). Die Beklagte zu 3) ist auf einem Aufkleber auf einigen D-Kindersitzen als das Unternehmen, welches diese in Verkehr bringt, angegeben.
  24. Auf den genannten Internetseiten der Beklagten werden Autokindersitze gezeigt, die mit einem aufsteckbaren Seitenaufprallschutzelement ausgestattet sind (nachfolgend: angegriffene Ausführungsformen), wie etwa die Sitze mit der Bezeichnung „C XXX“ oder „D XXX“. Zur Veranschaulichung wird nachfolgend ein Bild des „C XXX“ von S. 19 der Klageschrift (Bl. 21 GA) eingeblendet, bei dem die Klägerin das Seitenelement eingekreist hat:
  25. Dieses Seitenelement kann – wie vorstehend dargestellt – in eine Öffnung eingerastet und dieser wieder entnommen werden. Nachfolgend wird ein Ausschnitt auf S. 41 der Gebrauchsanleitung der ebenfalls angegriffenen Ausführungsform C XXX (Anlage K 8b) eingeblendet:
  26. Zur weiteren Veranschaulichung werden nachfolgend zwei Bilder von S. 25 der Klageschrift (Bl. 27 GA) eingeblendet:
  27. Weitere Sitze der Beklagten werden unter den Bezeichnungen „C XXX“, „C XXX“, „D XXX“ oder „D XXX“ vermarktet und von der Klägerin ebenfalls angegriffen. Für die nähere Ausgestaltung der angegriffenen Ausführungsformen wird auf die Internetauszüge und Handbücher in den Anlagen K 8a – K 14b verwiesen.
  28. Die Klägerin meint, die angegriffenen Ausführungsformen verletzten das Klagegebrauchsmuster unmittelbar wortsinngemäß.
  29. Die verschiedenen Typen der angegriffenen Ausführungsformen wiesen keine konstruktiven Unterschiede auf, die zu einer abweichenden Beurteilung der Verletzung führen könnten. So zeigten die Beklagten etwa nicht auf, dass und inwieweit etwa der Kindersitz „D XXX“ in relevanter Weise von dem Kindersitz „C XXX“ abweiche, anhand dessen die Klägerin die Merkmalsverwirklichung beispielshaft illustriert habe.
  30. Bei der vom Klagegebrauchsmuster beanspruchten Ruhestellung und Funktionsstellung handele es sich jeweils um Positionen des Seitenaufprallschutzes bezüglich der Sitzschale. Da sich der Seitenaufprallschutz nach der Lehre des Klagegebrauchsmusters in Funktionsstellung außerhalb einer vorgegebenen Breite des Kindersitzes befinde, müsse er sich in der Ruheposition innerhalb der vorgegebenen Breite befinden. Wenn sich die Ruhestellung innerhalb der seitlichen Breite des Kindersitzes befinde, leiste sie auch den angestrebten Beitrag zur beanspruchten Lösung des Klagegebrauchsmusters, nämlich eine Verbesserung der Handhabbarkeit des Kindersitzes mit dem Seitenelement in Ruhestellung.
  31. Das Klagegebrauchsmuster verlange nicht, dass die Bereiche der Ruhestellung spezifisch zur Aufnahme des Seitenelements vorgesehen sein müssten. Es genüge die objektive Eignung. Anders als für die Funktionsstellung fehle es im Anspruchswortlaut an näheren Vorgaben zur Positionierung der Ruhestellung. Die in Abs. [0009] der Klagegebrauchsmusterbeschreibung erwähnten Alternativen seien für die beanspruchte Ausführungsvariante ohne Belang.
  32. Bei den angegriffenen Ausführungsformen seien die Seitenaufprallschutzelemente aus einer, innerhalb der Breite des jeweiligen Kindersitzes gelegenen Ruhestellung entnehmbar. Die angegriffenen Kindersitze wiesen zahlreiche Bereiche auf, in denen das Seitenelement ganz oder teilweise innerhalb der Breite des Sitzes in Ruhestellung vorgehalten werden könne. Zur Veranschaulichung werden nachfolgend zwei von der Klägerin bearbeitete Bilder der angegriffenen Ausführungsform C XXX von S. 15 der Replik (Bl. 192 GA) eingeblendet, in denen die Klägerin Ruhestellungen (aus ihrer Sicht) eingekreist hat:
  33. In der mündlichen Verhandlung vom 29.09.2022 hat die Klägerin darüber hinaus darauf verwiesen, dass das Seitenelement auch in einer Plastiktüte gelagert werden könne, die am Kindersitz befestigt und mit diesem zusammen ausgeliefert werde. Auch hierin liege eine klagegebrauchsmustergemäße Ruhestellung.
  34. Mit der Einleitung der Seitenkräfte in die Sitzschale hinter dem Rücken des Kindes grenze sich das Klagegebrauchsmusters von den in Abs. [0003] seiner Beschreibung kritisierten Schriften ab.
  35. Aufgrund der im Wesentlichen formstabilen Materialien (etwa verwindungssteifes Hartplastik), aus denen sowohl das Seitenelement als auch die Sitzschale der angegriffenen Kindersitze beständen, und der Anordnung in einem Rückenabschnitt, rückwärtig einer Rückenanlagefläche des Kindersitzes, sei die (vom Klagegebrauchsmuster verlangte) Einleitung etwaiger Seitenkräfte hinter dem Rücken des Kindes in die Sitzschale bei den angegriffenen Ausführungsformen physikalisch zwingend. Das einsteckbare Seitenelement wirke an der Reduzierung der unmittelbar auf das Kind wirkenden Seitenaufprallkräfte in erheblicher Weise mit. Auch wenn es für die Anspruchsverwirklichung nicht darauf ankomme, hätten von der Klägerin in Auftrag gegebene Seitenaufpralltests bestätigt, dass ein Dummy in einer angegriffenen Ausführungsform mit Seitenelement signifikant geringeren g-Beschleunigungen ausgesetzt sei als der Dummy in demselben Sitz ohne Seitenelement.
  36. Das Seitenelement müsse nach der Lehre des Klagegebrauchsmusters seitlich der Sitzschale in einem hinteren Bereich eines Rückenabschnitts angeordnet werden können, in der es sich, aus seitlicher Perspektive betrachtet, hinter („rückwärtig“) dem Bereich des Kindersitzes befinden müsse, an dem der Rücken des im Kindersitzes sitzenden Kindes unmittelbar anliege. Der Fachmann gehe dabei von dem Kindersitz im Betriebszustand aus, also samt Polsterung und Sitzbezug. Die „Rückenanlagefläche“ sei die Fläche, an der der Rücken eines Kindes anliege.
  37. Entgegen der Ansicht der Beklagten schließe das Klagegebrauchsmuster eine Positionierung des Seitenelements an den äußeren Seitenflächen der Sitzschale nicht aus. Bereits aus der Zweckbestimmung des Seitenelements des Seitenaufprallschutzes ergebe sich, dass auch Seitenflächen der Sitzschale „Rückenabschnitte“ des Kindersitzes bildeten, da sie dem Rückenteil der Sitzschale zuzurechnen seien und nicht dem Sitzteil. Dies ergebe sich auch aus Schutzanspruch 6 und den Figuren 2 und 19 des Klagegebrauchsmusters.
  38. Die mit „XXX“ beschrifteten Seitenaufprallschutzelemente der angegriffenen Ausführungsformen seien in Funktionsstellung wie vom Klagegebrauchsmuster gelehrt angeordnet. Insbesondere bei Verwendung der angegriffenen Ausführungsformen mit (aber auch ohne) Neugeboreneneinsatz sei das Seitenelement der angegriffenen Ausführungsform rückwärtig der durch diesen Einsatz bereitgestellten Rückenanlagefläche positioniert.
  39. Klagegebrauchsmustergemäß müsse das Seitenelement in Bezug auf die Seitenfläche des Kindersitzes breiter als lang sein.
  40. Die Beklagten handelten als Mittäter. Auch die Beklagten zu 2) und zu 3) seien passivlegitimiert. Diese böten angegriffene Ausführungen der Marke C (Beklagte zu 2)) bzw. D (Beklagte zu 3)) im Inland an, was die vorgelegten Internetangebote belegten. Für die dem Angebot nachfolgenden Vertriebshandlungen im Inland bestehe zumindest eine konkrete Erstbegehungsgefahr. Die Beklagten würden Benutzungshandlungen im Tatsächlichen auch nicht bestreiten.
  41. Die Klägerin habe einen Auskunftsanspruch bereits ab Eintragung des Klagegebrauchsmusters und nicht erst ab deren Bekanntmachung.
  42. Die geltend gemachte Anspruchskombination des Klagegebrauchsmusters sei schutzfähig, jedenfalls in der zuletzt geltend gemachten Anspruchsfassung. Diese sei neu und erfinderisch gegenüber dem von den Beklagten entgegengehaltenen Stand der Technik und der behaupteten offenkundigen Vorbenutzung. Ferner sei die nunmehr geltend gemachte Anspruchskombination nicht unzulässig erweitert. Entsprechend sei auch die Verhandlung nicht in Bezug auf das Löschungsverfahren auszusetzen.
  43. Die Zwischenfeststellungswiderklage der Beklagten sei bereits unzulässig. Die Frage der Schutzfähigkeit einer geltend gemachten Anspruchskombination aus einem Gebrauchsmuster sei kein „Rechtsverhältnis“ im Sinne von § 256 ZPO. Darüber hinaus hätten die Beklagten schon kein allgemeines Rechtsschutzbedürfnis. Im Übrigen wäre die Zwischenfeststellungswiderklage ohnehin unbegründet, da das Klagegebrauchsmuster schutzfähig sei.
  44. Die Klägerin hat ursprünglich eine Kombination der Schutzansprüche 1, 8, 20, 27, 33 des Klagegebrauchsmusters geltend gemacht. Nachdem die Gebrauchsmusterabteilung des DPMA diese im Zwischenbescheid (Anlage TW 32) als nicht schutzfähig angesehen hat, hat sich die Klägerin auf eine weiter beschränkte Anspruchsfassung gestützt.
  45. Die Klägerin beantragt nunmehr,
  46. I. die Beklagten zu verurteilen
  47. 1. es bei Meidung eines vom Gericht für jeden einzelnen Fall der Zuwiderhandlung festzusetzenden Ordnungsgeldes bis zu EUR 250.000,00 – ersatzweise Ordnungshaft – oder einer Ordnungshaft bis zu 6 Monaten, im Wiederholungsfall Ordnungshaft bis zu insgesamt 2 Jahren, wobei die Ordnungshaft an ihren jeweiligen gesetzlichen Vertretern zu vollziehen ist, zu unterlassen
  48. Kindersitze zur Anordnung auf einem Kraftfahrzeugsitz, vorzugsweise zur Befestigung mittels Isofix-Klinken,
  49. in der Bundesrepublik Deutschland anzubieten, in den Verkehr zu bringen, zu gebrauchen oder zu den genannten Zwecken einzuführen oder zu besitzen, wenn diese umfassen:
  50. – eine Sitzschale und einen an dieser angebrachten Seitenaufprallschutz, der von einer Ruhestellung in eine Funktionsstellung und umgekehrt bringbar ist,
  51. – wobei die Funktionsstellung des Seitenaufprallschutzes außerhalb einer vorgegebenen Breite des Kindersitzes gelegen ist,
  52. – wobei der Seitenaufprallschutz in Funktionsstellung den am weitesten seitlich vorstehenden Punkt des Kindersitzes definiert,
  53. – wobei der Seitenaufprallschutz so positioniert ist, dass er etwaige Seitenkräfte hinter dem Rücken eines im Kindersitz sitzenden Kindes vorbei überträgt und in die Sitzschale einleitet;
  54. – wobei der Seitenaufprallschutz ein Seitenelement umfasst, das aus der Ruhestellung entnehmbar und an einer entsprechenden Aufnahme für das Seitenelement anbringbar, insbesondere befestigbar, ist,
  55. – und zwar oberhalb einer Sitzfläche des Kindersitzes und in einem Rückenabschnitt des Kindersitzes;
  56. – und in Funktionsstellung rückwärtig einer Rückenanlagefläche des Kindersitzes angeordnet bzw. positioniert ist,
  57. – wobei das Seitenelement zur Fixierung der Funktionsstellung einen Rast- oder Schnappmechanismus aufweist,
    – wobei das Seitenelement derart konfiguriert ist, dass es sich beim Gebrauch des Kindersitzes in Funktionsstellung im Wesentlichen horizontal erstreckt;
  58. (Kombination der Ansprüche 1, 8, 20, 21, 27, 33 von DE 20 2013 XXX XXXU1)
  59. 2. der Klägerin darüber Auskunft zu erteilen, in welchem Umfang sie die in Ziff. I.1 bezeichneten Handlungen seit dem 02. Februar 2021 begangen haben, und zwar unter Angabe
  60. a) der Namen und Anschriften der Hersteller, Lieferanten und anderen Vorbesitzer,
  61. b) der Namen und Anschriften der gewerblichen Abnehmer sowie der Verkaufsstellen, für die die Erzeugnisse bestimmt waren,
  62. c) der Menge der hergestellten, ausgelieferten, erhaltenen oder bestellten Erzeugnisse sowie der Preise, die für die betreffenden Erzeugnisse bezahlt wurden;
  63. wobei
  64. – die Aufstellung der Daten der Auskunftserteilung in einer mittels EDV auswertbaren, elektronischen Form zu übermitteln ist;
  65. – zum Nachweis der Angaben die entsprechenden Kaufbelege (nämlich Rechnungen, hilfsweise Lieferscheine) in Kopie vorzulegen sind, wobei geheimhaltungsbedürftige Details außerhalb der auskunftspflichtigen Daten geschwärzt werden dürfen;
  66. 3. der Klägerin schriftlich in geordneter Form Rechnung zu legen, in welchem Umfang sie die in Ziffer I.1. bezeichneten Handlungen seit dem 11. April 2021 begangen haben, und zwar unter der Angabe
  67. a) der einzelnen Lieferungen (unter Vorlage der Rechnungen, hilfsweise Lieferscheine), aufgeschlüsselt nach
  68. aa) Liefermengen, -zeiten und -preisen,
    bb) allen Identifikationsmerkmalen der jeweiligen Erzeugnisse nämlich Typenbezeichnung, Artikelbezeichnung, laufender Produktnummer, sowie
    cc) den Namen und Anschriften der gewerblichen Abnehmer,
  69. b) der einzelnen Angebote, aufgeschlüsselt nach
  70. aa) Angebotsmengen, -zeiten und -preisen,
    bb) allen Identifikationsmerkmalen der jeweiligen Erzeugnisse nämlich Typenbezeichnung, Artikelbezeichnung, laufender Produktnummer, sowie
    cc) den Namen und Anschriften der gewerblichen Angebotsempfänger,
  71. c) der betriebenen Werbung, aufgeschlüsselt nach Werbeträgern, deren Auflagenhöhe, Verbreitungszeitraum und Verbreitungsgebiet;
  72. d) der nach den einzelnen Kostenfaktoren aufgeschlüsselten Gestehungskosten sowie des erzielten Gewinns
  73. wobei
  74. – die Aufstellung der Daten der Rechnungslegung in einer mittels EDV auswertbaren, elektronischen Form zu übermitteln ist;
  75. – den Beklagten vorbehalten bleibt, die Namen und Anschriften der nicht-gewerblichen Abnehmer und der Angebotsempfänger statt der Klägerin einem von der Klägerin zu bezeichnenden, ihr gegenüber zur Verschwiegenheit verpflichteten, in der Bundesrepublik Deutschland ansässigen, vereidigten Wirtschaftsprüfer mitzuteilen, sofern die Beklagten dessen Kosten tragen und ihn ermächtigen und verpflichten, der Klägerin auf konkrete Anfrage mitzuteilen, ob ein bestimmter Abnehmer oder Angebotsempfänger in der Aufstellung enthalten ist;
  76. 4. nur die Beklagten zu 1) – 3): die unter Ziffer I.1 bezeichneten, seit dem 02. Februar 2021 in Verkehr gebrachten, im Besitz Dritter befindlichen Erzeugnisse aus den Vertriebswegen zurückzurufen, indem diejenigen Dritten, denen durch die jeweilige Beklagte oder mit Zustimmung der jeweiligen Beklagten Besitz an den Erzeugnissen eingeräumt wurde, unter Hinweis auf den durch Urteil des Landgerichts Düsseldorf festgestellten gebrauchsmusterverletzenden Zustand der Erzeugnisse aufgefordert werden, die Erzeugnisse an die jeweilige Beklagte zurückzugeben und den Dritten für den Fall der Rückgabe des Erzeugnisses eine Rückzahlung des ggf. bereits bezahlten Kaufpreises sowie die Übernahme der mit der Rücknahme verbundenen Kosten zugesagt wird.
  77. II. Nur die Beklagte zu 1): die sich in ihrem unmittelbaren oder mittelbaren Besitz befindlichen Erzeugnisse gemäß Ziffer I.1. an einen von der Klägerin zu benennenden Gerichtsvollzieher zum Zwecke der Vernichtung auf Kosten der Beklagten zu 1) herauszugeben.
  78. III. Es wird festgestellt, dass die Beklagten als Gesamtschuldner verpflichtet sind, der Klägerin allen Schaden zu ersetzen, der durch die unter Ziffer I.1. bezeichneten und seit dem 11.04.2021 begangenen Handlungen entstanden ist und künftig noch entstehen wird.
  79. Ferner beantragt die Klägerin Teilsicherheiten für die gesonderte vorläufige Vollstreckung der zuerkannten Ansprüche festzusetzen.
  80. Hinsichtlich der nur als Insbesondere-Anträge geltend gemachten Unteransprüchen 4, 6, 7, 10 – 12, 14, 17 – 19, 25, 30 – 32 und 34 – 36 wird auf die Klageschrift verwiesen.
  81. Die Beklagten beantragen,
  82. die Klage abzuweisen;
  83. Im Wege der Zwischenfeststellungswiderklage beantragen die Beklagten,
  84. festzustellen, dass das deutsche Gebrauchsmuster DE 20 2013 XXX XXXU1 mit dem Schriftsatz vom 27.09.2022 geltend gemachten Anspruchsfassung nämlich gerichtet auf
  85. Kindersitze zur Anordnung auf einem Kraftfahrzeugsitz, vorzugsweise zur Befestigung mittels Isofix-Klinken, die umfassen:
  86. – eine Sitzschale und einen an dieser angebrachten Seitenaufprallschutz, der von einer Ruhestellung in eine Funktionsstellung und umgekehrt bringbar ist,
  87. – wobei die Funktionsstellung des Seitenaufprallschutzes außerhalb einer vorgegebenen Breite des Kindersitzes gelegen ist,
  88. – wobei der Seitenaufprallschutz in Funktionsstellung den am weitesten seitlich vorstehenden Punkt des Kindersitzes definiert,
  89. – wobei der Seitenaufprallschutz so positioniert ist, dass er etwaige Seitenkräfte hinter dem Rücken eines im Kindersitz sitzenden Kindes vorbei überträgt und in die Sitzschale einleitet;
  90. – wobei der Seitenaufprallschutz ein Seitenelement umfasst, das aus der Ruhestellung entnehmbar und an einer entsprechenden Aufnahme für das Seitenelement anbringbar, insbesondere befestigbar, ist,
  91. – und zwar oberhalb einer Sitzfläche des Kindersitzes und in einem Rückenabschnitt des Kindersitzes;
  92. – und in Funktionsstellung rückwärtig einer Rückenanlagefläche des Kindersitzes angeordnet bzw. positioniert ist,
  93. – wobei das Seitenelement zur Fixierung der Funktionsstellung einen Rast- oder Schnappmechanismus aufweist,
  94. – wobei das Seitenelement derart konfiguriert ist, dass es sich beim Gebrauch des Kindersitzes in Funktionsstellung im Wesentlichen horizontal erstreckt;
  95. nicht bestandskräftig, sondern insoweit löschungsreif ist;
  96. hilfsweise:
    das Verfahren bis zu einer rechtskräftigen Entscheidung in dem Löschungsverfahren gegen das Gebrauchsmuster DE 20 2013 XXX XXXU1 auszusetzen.
  97. Die Klägerin beantragt,
  98. die Widerklage abzuweisen.
  99. Die Beklagten meinen, das Klagegebrauchsmuster sei nicht verletzt. Insbesondere fehle es an einer Verwirklichung einer „Ruhestellung“ und der „Entnehmbarkeit“ aus einer solchen.
  100. Anders als die Klägerin behaupte, seien die angegriffenen Sitze nicht identisch, sondern wichen in Bezug auf die Merkmalssubsumtion vom einzigen in der Klageschrift dargestellten Kindersitztyp („C XXX“) in erheblicher Weise ab, so etwa die angegriffene Ausführungsform „D XXX“.
  101. Das aus einer Ruhestellung zu entnehmende Seitenelement müsse nach der Lehre des Klagegebrauchsmusters in diese Ruhestellung eingebracht und dort befindlich sein. Ein bloß willkürlich geartetes Stecken in irgendwelche Lücken des Kindersitzes, die nicht dafür bestimmt seien, werde nicht vom Schutzbereich umfasst. Der Anspruch verlange eine Ruhestellung und beziehe sich dann auf diese („der Ruhestellung“). Der Fachmann verstehe unter dem Begriff der „Ruhestellung“ immer eine konkrete, vorgegebene Positionierung, etwa in Form einer Ausnehmung oder eines für das Seitenelement bestimmten Fachs innerhalb des Kindersitzes. Der Begriff der „Ruhestellung“ werde in Abs. [0009] der Klagegebrauchsmusterbeschreibung, dem das Merkmal entnommen sei, in demselben Verständnis verwendet wie bei den Klappteilen, nämlich, dass das Seitelement in Ruhestellung eine konstruktive Verbindung mit dem Sitz habe. Auch „entnehmbar“ verlange, dass das Seitenelement aus einer vorgegebenen Position der Ruhestellung herausgenommen werde; dort also bis zur Entnahme eingebracht sei. Damit es vom Benutzer entnommen werde könne, müsse das Seitenelement in Ruhestellung zuvor ganz konkret in den Sitz eingebracht sein. Ein weiteres Verständnis stände auch dem Ziel einer einfachen Handhabbarkeit entgegen.
  102. Die angegriffenen Ausführungsformen verletzten das Klagegebrauchsmuster nicht, da bei diesen eine solche Ruhestellung des Seitenaufprallschutzes fehle. Es mangele an einer konstruktiven Verbindung, mittels welcher das Seitenelement in Ruhestellung in den Sitz eingebracht und von dort entnommen werden könnte. Die Klägerin habe das Seitenelement in den Fotos auf S. 15 der Replik lediglich in verschiedene Polsterfalten oder Ritzen der angegriffenen Sitze geklemmt, was aber keine Ruhestellungen seien. Ferner sei das Seitenelement nicht „und umgekehrt bringbar“ im Sinne des Anspruchs, da die Seitenelemente nicht (zurück) in eine (dieselbe) definierte Position gebracht werden könnten. Das eingeklemmte Seitenteil störe bei den angegriffenen Ausführungsformen zudem die Handhabung des Sitzes.
  103. Soweit das Klagegebrauchsmuster verlange, dass der Seitenaufprallschutz so positioniert sei, dass er etwaige Seitenkräfte hinter dem Rücken eines im Kindersitz sitzenden Kindes vorbei übertrage und in die Sitzschale einleite, dürften Seitenkräfte nicht nur anteilig hinter dem Rücken eines im Kindersitz sitzenden Kindes vorbei übertragen und in die Sitzschale eingeleitet werden. In der Verlängerung des Seitenelements müsse sich ein Konstruktionselement, d.h. ein zur Krafteinleitung tauglicher Bestandteil des Kindersitzes (etwa die Sitzschale), befinden und nicht etwa bloße Kissen oder Polster oder gar das Kind selbst. Das Klagegebrauchsmuster weise in Abs. [0008] seiner Beschreibung darauf hin, dass alleine „Konstruktionselemente“ im Rahmen dieser Vorgabe eine Rolle spielten. In Abgrenzung zu den Kindersitzen des Standes der Technik (wie etwa in Abs. [0003] im Klagegebrauchsmuster diskutiert), verlange der Anspruch eine Konstruktion, die eine über die im Stand der Technik hinausgehende Kraftein- und -umleitung sicherstelle.
  104. Die angegriffenen Ausführungsformen würden keine Kräfte in der vom Anspruch vorgegebenen Weise übertragen. Entscheidend sei dabei die Sitzschalenstruktur. Der von der Klägerin vorgelegte Testbericht sei bereits per se unbeachtlich.
  105. Das Klagegebrauchsmuster verstehe unter dem anspruchsgemäßen Rückenabschnitt nur denjenigen Teil des Kindersitzes, welcher vollständig rückwärtig einer Rückenanlagefläche befindlich ist, und mit dem Rücken des Kindes korreliere. Das Seitenelement müsse vollständig hinter der gedachten Linie einer Rückenanlagefläche des Kindersitzes liegen. Vom Schutzbereich ausgeschlossen seien deshalb insbesondere Anordnungen entlang der hinteren Begrenzungsfläche des Rückabschnitts sowie an den Seitenflächen des Kindersitzes, insbesondere, wenn sie sogar ganz oder in Teilen vor der Rückenanlagefläche liegen.
  106. Der Begriff „rückwärtig“ (einer Rückenanlagenfläche) sei von „seitlich“ der Rückenanlagefläche abzugrenzen. Damit gehörten die Seitenwangen nicht zum „Rückenabschnitt des Kindersitzes“. Eine solche Sichtweise widerspräche Abs. [0018] der Beschreibung des Klagegebrauchsmusters. Ein Rückgriff auf Unteranspruch 6 sei nicht möglich, da der Begriff der Seitenwange im Klagegebrauchsmuster nicht im Kontext der Sitzschale verwendet werde.
  107. Die angegriffenen Ausführungsformen fielen nicht in den Schutzbereich des Klagegebrauchsmusters, da diese lediglich eine Anbringung eines Seitenelements an einer Seitenfläche des Kindersitzes ermöglichten.
  108. Zudem würden die Seitenelemente bei den angegriffenen Ausführungsformen vor, jedenfalls aber nicht (vollständig) hinter, einer gedanklichen Linie der Rückenanlagefläche angeordnet. Die Bilder der Klägerin in der Replik seien ungeeignet, da die Rückenanlagefläche nicht sichtbar sei. Die Neugeboreneneinlage sei auf den Bildern nicht ordnungsgemäß montiert, sodass die dort sichtbare Polsterfläche nicht den maßgeblichen Referenzort der Rückenanlagefläche darstelle. Schließlich seien die Neugeboreneneinlage und die weiteren Polster insoweit nicht relevant, da diese keinerlei Kraftumlenk- oder –einleitungsfunktion hätten.
  109. Die Vorgabe, dass das Seitenelement „zur Fixierung der Funktionsstellung einen Rast- oder Schnappmechanismus aufweist“ beziehe sich allein auf die Fixierung des Seitenelements hinsichtlich seiner Länge und/oder seiner Höhenposition. Dieses Merkmal betreffe dagegen nicht die Funktionsstellung selbst. Bei einer anderen Auslegung sei das Klagegebrauchsmuster unzulässig erweitert.
  110. Der Anspruchswortlaut gebe keinen Anhaltspunkt für die klägerische Auffassung, dass das Klagegebrauchsmuster lehre, dass „die hauptsächliche Erstreckungsrichtung des Seitenelements horizontal ist“ Ob sich das Seitenelement darüber hinaus auch in andere Richtungen erstrecke, etwa in eine vertikale Richtung, weil es beispielsweise besonders breit ist, sei hierfür irrelevant.
  111. Hinsichtlich der Beklagten zu 2) und 3) sei der klägerische Vortrag nicht schlüssig dahingehend, dass diese angeblich Kindersitze in oder nach Deutschland verkauften. Soweit die Klägerin sich bezüglich der Beklagten zu 2) und 3) nunmehr nur noch auf eine vermeintliche Erstbegehungsgefahr stütze, sei die Klage bereits teilweise unschlüssig.
  112. Die Klägerin habe keinen Auskunftsanspruch für die Zeit zwischen Eintragung des Klagegebrauchsmusters und dessen Bekanntmachung im Patentblatt.
  113. Die Klage sei zudem auch deshalb abweisungsreif, weil das Klagegebrauchsmuster sowohl in seiner eingetragenen als auch in seiner geltend gemachten Fassung löschungsreif sei. Die Lehre des Klagegebrauchsmusters sei von den Entgegenhaltungen TWMXXX9U (TW‘XXX; Anlage TW 11 und TW 11a), DE 20 2011 XXX XXX U (DE‘XXX; Anlagen TW 12), US 2010/XXX A1 (US‘XXX, Anlagen TW 13, TW 13a), US 2009/XXX A1 (US‘XXX; Anlagen TW 14 / TW 14a), EP 2 XXX XXX A2 (EP‘XXX, Anlagen TW 15 / TW 15a), US 5,XXX XXX (US‘XXX, Anlagen TW 23 / 23a) und WO 2011/XXX A1 (WO‘XXX, Anlagen TW 16 / TW 16a) jeweils neuheitsschädlich vorweggenommen. Weiterhin sei das Klagegebrauchsmuster neuheitsschädlich von dem Produkt der Klägerin „XXX “ offenkundig vorbenutzt worden. Die Lehre des Klagegebrauchsmusters sei auch nicht erfinderisch; eines der Prioritätsdokumente (die DE 20 2012 XXX XXX) sei wegen einer unwirksamen Inanspruchnahme als Stand der Technik anzusehen und lege den Gegenstand des Klagegebrauchsmusters nahe. Weiterhin sei das Klagegebrauchsmuster auch deshalb löschungsreif, da der geltend gemachte Anspruch über die Stammpatentanmeldung EP‘XXX (Anlage TW 4) hinausgehe und daher unzulässig erweitert sei.
  114. Die Zwischenfeststellungsklage sei zulässig, da bei einem Gebrauchsmuster die Frage der Bestandskraft vom Verletzungsgericht entschieden werden müsse und vorgreiflich im Sinne von § 256 Abs. 2 ZPO sei. Die Beklagten hätten wegen anderer angegriffenen Ausführungsformen ein über den hiesigen Prozess hinaus gehendes Feststellungsinteresse. Die Beklagten hätten auch ein allgemeines Rechtsschutzinteresse. Dem stehe die parallele Möglichkeit eines Löschungsantrags nicht entgegen, da das patentrechtliche Trennungsprinzip im Gebrauchsmusterrecht gerade nicht gelte.
  115. Hilfsweise und nachrangig sei das Verfahren jedenfalls wegen der mangelnden Schutzfähigkeit in Bezug auf das Löschungsverfahren auszusetzen.
  116. Für die Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird auf die ausgetauschten Schriftsätze samt Anlagen sowie auf das Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 29.09.2022 verwiesen.
  117. Entscheidungsgründe
  118. Die zulässige Klage ist unbegründet, da die angegriffenen Ausführungsformen die Lehre des Klagegebrauchsmusters nicht verwirklichen. Die auf Zwischenfeststellung gerichtete Widerklage ist unzulässig.
  119. I.
    Das Klagegebrauchsmuster betrifft einen Kindersitz oder eine Babyschale zur Anbringung auf einem Kraftfahrzeugsitz sowie einen Seitenaufprallschutz zur Anbringung an einem solchen Sitz oder einer solchen Babyschale.
  120. 1.
    Das Klagegebrauchsmuster, dem die nachfolgend zitierten Absätze entstammen, definiert „Kindersitz“ als Oberbegriff für Kindersitze und Babyschalen. Gleichermaßen sei der Begriff „Kind“ als Oberbegriff für Kinder und Babys sowie Kleinkinder zu verstehen (Abs. [0001]).
  121. In seiner einleitenden Beschreibung schildert das Klagegebrauchsmuster, dass auf einem Kraftfahrzeugsitz anbringbare Kindersitze seit geraumer Zeit bekannt sind. Diese dienen als Sitzgelegenheit für Babys, Kleinkinder und Kinder und bieten erhöhten Schutz, insbesondere bei einem Unfall. Die Befestigung derartiger Kindersitze erfolgt in aller Regel mit dem Gurtsystem des Autos oder mittels Isofix-Klinken. Eine derartige Befestigung hält den Kindersitz bei einem Unfall auf den Kraftfahrzeugsitz und verhindert, dass dieser nach vorne geschleudert wird (Abs. [0003]).
  122. Als problematisch haben sich diese Sitze jedoch bei einem Seitenaufprall erwiesen, da sowohl Gurt- als auch Isofix-Befestigungen den Kindersitz nur sehr unzureichend gegen eine Seitwärts-Bewegung des Sitzes schützen. Dies ist insbesondere bei einem Seitenaufprall jedoch wesentlich für einen möglichst guten Schutz des in dem Kindersitz befindlichen Kindes. Aus diesem Grund wurde in der Vergangenheit an bestehenden Kindersitzen ein Seitenaufprallschutz angebracht, wie er beispielsweise in der DE 20 2009 XXX XXX U1 (nachfolgend: DE‘XXX; Anlage K 5) beschrieben ist. Das gezeigte energieabsorbierende bzw. -übertragende Element kann aus einer Ruhe- in einen Funktionsstellung geklappt bzw. geschwenkt werden (Abs. [0012] DE‘XXX). Zur Veranschaulichung wird nachfolgend Figur 5 der DE 2009 XXX XXX U1 (Anlage K 5) verkleinert eingeblendet, in der ein energieabsorbierendes Element in Form eines Faltbandes erkennbar ist, das sich seitlich des Kindersitzes erstreckt:
  123. Ein Seitenaufprallschutz ist auch in der vom Klagegebrauchsmuster ebenfalls erwähnten US 2009/XXX A1 (nachfolgend: US‘XXX; vorgelegt mit Übersetzung in Anlagen K 6 und K6a) offenbart. Zur Veranschaulichung wird nachfolgend Figur 3b der US‘XXX eingeblendet, in der das sich an der Seite des Kindersitzes erstreckende energieabsorbierende Element 14 (energy absorbing member) zu erkennen ist:
  124. Das Klagegebrauchsmuster merkt jedoch kritisch an, dass es sich in der Vergangenheit gezeigt hat, dass Vorrichtungen, wie sie in den beiden vorstehend erwähnten Druckschriften beschrieben sind, nicht in der Lage sind, ein in dem Kindersitz befindliches Kind optimal zu schützen, da eine Kraftübertragung bei einem
    Seitenaufprall bei den dort gezeigten Konstruktionen unmittelbar auf das in dem Kindersitz befindliche Kind erfolgt und die dort dargestellten Kindersitze nur unzureichend in der Lage sind, eine Aufprallenergie zu absorbieren und/oder abzuleiten (Abs. [0003]).
  125. Vor diesem Hintergrund bezeichnet es das Klagegebrauchsmuster als seine Aufgabe, einen XXX XXX zur Verfügung zu stellen, der vorgenannte Nachteile vermeidet und einen verbesserten Seitenaufprallschutz zur Verfügung stellt, der die auf ein in dem Kindersitz befindliches Kind wirkenden Kräfte reduziert (Abs. [0004]).
  126. 2.
    Zur Lösung dieser Aufgabe schlägt das Klagegebrauchsmuster einen Kindersitz nach Maßgabe der geltend gemachten Kombination der Schutzansprüche 1, 8, 20, 21, 27, 33 vor. Diese Anspruchskombination kann in Form einer Merkmalsanalyse wie folgt dargestellt werden:
  127. 1 Kindersitz (10) oder Babyschale zur Anordnung auf einem Kraftfahrzeugsitz, insbesondere Kraftfahrzeugseitensitz, vorzugsweise zur Befestigung mit einem Kraftfahrzeug-Gurtsystem oder mittels Isofix-Klinken.
  128. 1.1 Der Kindersitz weist eine Sitzschale (20) auf.
  129. 1.2 Der Kindersitz weist einen an der Sitzschale angebrachten Seitenaufprallschutz auf, der von einer Ruhestellung in eine Funktionsstellung und umgekehrt bringbar ist.
  130. 1.3 Die Funktionsstellung des Seitenaufprallschutzes ist außerhalb einer vorgegebenen Breite, insbesondere Standardbreite, des Kindersitzes gelegen.
  131. 1.4 Der Seitenaufprallschutz definiert in Funktionsstellung den am weitesten seitlich vorstehenden Punkt des Kindersitzes.
  132. 2 Der Seitenaufprallschutz ist so positioniert, dass er etwaige Seitenkräfte hinter dem Rücken eines im Kindersitz sitzenden Kindes vorbei überträgt und in die Sitzschale einleitet.
  133. 3 Der Seitenaufprallschutz umfasst ein Seitenelement.
  134. 3.1 Das Seitenelement ist aus der Ruhestellung entnehmbar und an einer entsprechenden Aufnahme für das Seitenelement (30) anbringbar, insbesondere befestigbar,
  135. 3.2 und zwar oberhalb einer Sitzfläche (60) des Kindersitzes (10) und in einem Rückenabschnitt (70) des Kindersitzes.
  136. 3.3 Das Seitenelement ist in Funktionsstellung rückwärtig einer Rückenanlagefläche des Kindersitzes (10) angeordnet bzw. positioniert.

    4 Das Seitenelement weist zur Fixierung der Funktionsstellung einen Rast-, Schnapp-, Klapp- oder Ratschenmechanismus auf.

  137. 5 Das Seitenelement (30) ist derart konfiguriert, dass es sich beim Gebrauch des Kindersitzes in Funktionsstellung im Wesentlichen horizontal erstreckt.
  138. 3.
    Mit der geltend gemachten Anspruchskombination schützt das Klagegebrauchsmuster einen Kindersitz (worunter auch eine Babyschale fällt) mit einer Sitzschale. Den Kern der Erfindung ist ein Seitenaufprallschutz mit einem Seitenelement. Der Seitenaufprallschutz soll aufgrund seiner Positionierung bei einem Unfall etwaige Seitenkräfte hinter dem Rücken eines im Kindersitz sitzenden Kindes vorbei übertragen und in die Sitzschale einleiten (Merkmal 2).
  139. Das Klagegebrauchsmuster schreibt für den Seitenaufprallschutz bzw. das Seitenelement zwei verschiedene Stellungen vor, nämlich eine Ruhestellung und eine Funktionsstellung, in die der Seitenaufprallschutz gebracht werden kann (Merkmale 1.2 und 3.1). Dabei soll das Seitenelement aus der Ruhestellung entnommen werden können, um es in die Funktionsstellung zu bringen, in der es am Sitz angebracht ist (Merkmal 3.1). Die Merkmale 3.2 und 3.3 definieren den Ort der Anbringung des Seitenelements am Kindersitz näher. Die Funktionsstellung liegt außerhalb einer vorgegebenen Breite des Kindersitzes (Merkmal 1.3), was Merkmal 1.4 dahingehend spezifiziert, dass der Seitenaufprallschutz in Funktionsstellung den am weitesten seitlich vorstehenden Punkt des Kindersitzes definiert. Dabei erstreckt sich das Seitenelement des Seitenaufprallschutzes im Wesentlichen horizontal (Merkmal 5). Schließlicht sieht Merkmal 4 verschiedene mögliche Mechanismen zur Fixierung der Funktionsstellung vor.
  140. 4.
    Vor dem Hintergrund des Streits der Parteien bedürfen verschiedene Merkmale der näheren Erörterung.
  141. Nach § 12a GebrMG wird der Schutzbereich eines Gebrauchsmusters durch den Inhalt seiner Schutzansprüche bestimmt, wobei die Beschreibung und die Zeichnungen zur Auslegung der Schutzansprüche heranzuziehen sind. Die Auslegung eines Gebrauchsmusters ist nach den gleichen Grundsätzen vorzunehmen wie bei einem Patent, da § 12a GebrMG den für das Patentrecht einschlägigen § 14 PatG bzw. Art. 69 EPÜ entspricht (BGH, GRUR 2007, 1059 – Zerfallszeitmessgerät). Entsprechend kann auch Rechtsprechung zur Auslegung eines Patents für das Verständnis des Klagegebrauchsmusters herangezogen werden.
  142. a)
    Das Klagegebrauchsmuster sieht in Merkmal 1.2 vor, dass der Seitenaufprallschutz von einer Ruhestellung in eine Funktionsstellung (und umgekehrt) gebracht werden kann. Dies spezifiziert Merkmal 3.1 dahingehend, dass das Seitenelement aus der Ruhestellung entnehmbar und an einer entsprechenden Aufnahme anbringbar sein soll.
  143. Die Ruhestellung ist nach der Lehre des Klagegebrauchsmusters eine irgendwie geartete Aufnahme am Kindersitz innerhalb dessen vorgegebener Breite, die dafür bestimmt und ausgerichtet ist, das Seitenelement zu lagern, wenn es sich nicht in der Funktionsstellung befindet.
  144. aa)
    Die Ruhestellung muss in Abgrenzung zur Funktionsstellung innerhalb der vorgegebenen Breite des Kindersitzes liegen, da die Funktionsstellung nach Merkmal 1.3 gerade dadurch gekennzeichnet ist, dass das Seitenelement außerhalb der vorgegebenen Breite gelegen ist. Der Anspruch lehrt eine Ruhestellung, damit der Sitz einfacher zu handhaben ist, indem man das Seitenelement aus der Funktionsstellung bringen und dadurch den Kindersitz wieder auf seine vorgegebene Breite beschränken kann. Die Handhabbarkeit wird dadurch verbessert, dass der Kindersitz ohne hervorstehendes Seitenelement und damit einfacher transportiert werden kann.
  145. Weitere konkrete räumlich-körperliche Vorgaben zur (Anordnung der) Ruhestellung lassen sich dem Klagegebrauchsmuster nicht entnehmen. Der Fachmann wird die Ruhestellung am Kindersitz so ausgestalten, dass sie die Lagerung des jeweiligen Seitenelements ermöglicht. Es können auch mehrere mögliche Ruhestellungen existieren, da der Anspruch insofern nur die Mindestvorgabe einer Ruhestellung enthält.

    Wenngleich das Klagegebrauchsmuster dem Fachmann die konkrete Ausgestaltung der Ruhestellung überlässt, bedarf es einer für die Lagerung des Seitenelements außerhalb der Funktionsstellung vorgesehenen Position, die in räumlich-körperlicher Weise angelegt ist. Zur Erhöhung der Handhabbarkeit verlangt das Klagegebrauchsmuster gerade nicht nur ein aus der Funktionsstellung entnehmbares Seitenelement. Vielmehr lehrt der Anspruch eine für das Seitenelement vorgesehene Lagerungsmöglichkeit in Form der Ruhestellung, aus der das Seitenelement entnehmbar ist. Vor diesem Hintergrund erkennt der Fachmann, dass die Ruhestellung dazu dient, dass das Seitenelement auf einfache Weise zusammen mit dem Kindersitz transportiert werden kann. Auch bei Entfernung aus der Funktionsstellung soll das Seitenelement mit dem Kindersitz verbunden bleiben können. Dies verhindert auch, dass das Seitenelement beim Transport des Kindersitzes verloren geht.

  146. Die Ruhestellung muss für die vom Klagegebrauchsmuster anvisierte Funktion eine Art Aufnahme umfassen, die das Seitenelement aufnehmen oder auf eine andere Weise halten kann. Dies verdeutlicht Merkmal 3.1, das eine „Entnehmbarkeit“ des Seitenelements aus der Ruhestellung lehrt. Der Begriff „entnehmbar“ weist auf eine Lagerungsposition hin, aus der das Seitenelement herausgenommen werden kann, was eine am Kindersitz angeordnete Aufnahme bedingt. Dies steht im Einklang mit der vom Anspruch vorgesehenen Möglichkeit, das Seitenelement zwischen beiden Stellungen zu wechseln („und umgekehrt“). Das Seitenelement muss also mehrfach in die Ruhestellung zurückwechseln können, so dass diese Position räumlich-körperlich am Kindersitz definiert sein muss.
  147. bb)
    Dies sieht der Fachmann in Abs. [0009] bestätigt. Hierin werden zunächst nicht beanspruchte Alternativen beschrieben, wie ein Seitenelement, das „zur Benutzung in Funktionsstellung ausklappbar, ausschwenkbar, teleskopartig ausfahr- oder ausschieb- oder ausziehbar“ ist. Alternativ zu solchen im „Wesentlichen mit dem Kindersitz verbundenen Ausführungsform[en]“ erläutert das Klagegebrauchsmuster in Abs. [0009] die beanspruchte Variante, bei der das Seitenelement „aus einer Ruhestellung des Seitenelements entnehmbar und an einer entsprechenden Aufnahme für das Seitenelement an dem Kindersitz“ anbringt ist. Die Ruhestellung des Seitenelements ist vor diesem Hintergrund das Äquivalent eines eingeklappten, eingefahrenen oder eingezogenen Seitenelements. Während bei den nicht-beanspruchten Varianten das Seitenelement auch außerhalb der Funktionsstellung stets mit dem Kindersitz verbunden bleibt, kann es in der beanspruchten Variante zwischenzeitlich getrennt werden – um es dann mittels der Ruhestellung wieder mit dem Kindersitz zu verbinden. Dies setzt aber voraus, dass die Ruhestellung räumlich-körperlich so ausgestaltet ist, dass sie das Seitenelement aufnehmen bzw. lagern kann und zwar ähnlich wie ein eingeklapptes Seitenelement.
  148. Eine Auslegung, nach der eine Ruhestellung schon dann vorliegt, wenn man ein Seitenelement irgendwo im Sitz ablegen kann, wäre nicht mehr mit dem Wortsinn einer Ruhestellung vereinbar. Eine funktionale Betrachtung darf nicht dazu führen, dass ein räumlich-körperliches Merkmal auf seine bloße Funktion reduziert wird, so dass die Auslegung mit den räumlich-körperlichen Vorgaben des Merkmals nicht mehr in Einklang zu bringen ist (BGH, GRUR 2016, 921 Rn. 29 f. – Pemetrexed; Meier-Beck, GRUR 2003, 905, 906). Das Merkmal einer Ruhestellung (aus der das Seitenelement entnommen werden kann) würde aber letztlich bedeutungslos, wenn man es ausreichen ließe, dass das Seitenelement irgendwie innerhalb des Sitzes abgelegt, in irgendeinem Behältnis verwahrt wird, das vor erstmaliger Ingebrauchnahme zum Transport separater Zubehörteile dient, oder zwischen die Polster des Sitzes geklemmt werden kann. Dann könnte von einer Ruhestellung keine Rede mehr sein.
  149. cc)
    Dem steht die Ansicht des Deutschen Patent- und Markenamts (DPMA) im Bescheid vom 20.09.2022 (Anlage TW 32) nicht entscheidend entgegen.
  150. Soweit das DPMA hierin auf S. 7 f. ausführt, durch „die sehr breite Formulierung der Schutzansprüche“ reiche es aus, dass sich die Ablagemöglichkeit (in der Ruhestellung) „irgendwo am Kindersitz innerhalb dessen seitlicher Breite befinden kann“, entspricht diese Verortung der Ruhestellung der Auslegung der Kammer. Auch besteht kein Widerspruch zu dem oben dargelegten Verständnis, wenn nach den Ausführungen des DPMA (S. 8 Anlage TW 32) das Vorhandensein von „objektive[n] Bereiche[n] zum Vorhalten des Seitenelements in Ruhestellung“ genügt.
  151. Soweit es auf S. 8 des Bescheids weiterhin heißt, dass die betreffenden Merkmale nicht verlangten, „dass eine bestimmte Ruheposition festgelegt ist, sondern dass sich diese Ablagemöglichkeit irgendwo am Kindersitz innerhalb dessen seitlicher Breite befinden“ könne, müssen damit auch nach der Auffassung des DPMA an dem Kindersitz Bereiche vorgesehen sein, die objektiv dafür geeignet sind, das Seitenelement in der Ruhestellung zu halten. Jedenfalls lässt sich dem DPMA-Bescheid nicht klar entnehmen, dass jeder Bereich innerhalb der Breite des Kindersitzes, in dem das Seitenelement irgendwie abgelegt werden kann, ohne weiteres als Ruhestellung angesehen werden muss.
  152. Sollte man den DPMA-Bescheid in dieser Richtung verstehen, folgt die Kammer dieser Auffassung nicht. Der Verweis des DPMA auf die sehr breite Formulierung der Schutzansprüche allein vermag nicht ausreichend eine Auslegung zu begründen, in der die Ruhestellung jegliche räumlich-körperliche Bedeutung verliert.
  153. b)
    Die allgemeine funktions-basierte Vorgabe zur Positionierung des Seitenaufprallschutzes in Merkmal 2 wird insbesondere von der Merkmalsgruppe 3 mit räumlich-körperlichen Vorgaben für die Funktionsstellung des Seitenelements konkretisiert. Hiernach soll der Seitenaufprallschutz ein Seitenelement umfassen, welches an einer entsprechenden Aufnahme angebracht am Kindersitz werden kann (Merkmal 3.1). Diese Anbringung soll nach Merkmal 3.2 oberhalb der Sitzfläche und in einem Rückenabschnitt des Kindersitzes erfolgen. Weiterhin soll das Seitenelement nach Merkmal 3.3 rückwärtig einer Rückenanlagefläche des Kindersitzes angeordnet bzw. positioniert sein.
  154. Nach Merkmal 3.3 muss sich das Seitenelement dabei vollständig hinter (ausgehend von der Blickrichtung des Kindes) dem Rücken des Kindes befinden, das heißt, in der Verlängerung des Seitenelements darf sich kein Teil des Kindes befinden. Ziel der Merkmale 2 bis 3.3 ist es, dass das Kind vor Seitenaufprallkräften geschützt wird, indem sich in Verlängerung des Seitenelements – das die Seitenaufprallkräfte aufnehmen soll – kein Teil des Körpers des Kindes befindet, auf das die Kräfte andernfalls einwirken würden. Es wäre weder mit dem Wortlaut von Merkmal 3.3 noch mit der Vorgabe aus Merkmal 2 vereinbar, wenn der Körper des im Sitz befindlichen Kinds nur teilweise Seitenaufprallkräften ausgesetzt würde.

    II.
    Ausgehend von diesem Verständnis verwirklichen die angegriffenen Ausführungsformen nicht sämtliche Merkmale der geltend gemachten Anspruchskombination.

  155. 1.
    Die angegriffenen Ausführungsformen verwirklichen nicht die Merkmale 1.2 und 3.1, da bei ihnen keine Ruhestellung vorhanden ist.
  156. Bei den angegriffenen Ausführungsformen können die Seitenelemente allenfalls an nicht dafür vorgesehenen Stellen innerhalb der Breite der Sitze abgelegt oder zwischen die Polster geklemmt werden. Zur Veranschaulichung werden nachfolgend die von der Klägerin auf S. 15 der Replik (Bl. 192 GA) gezeigten Bilder eingeblendet:
  157. Die darstellten Orte stellen aber keine klagegebrauchsmustergemäßen Ruhestellungen dar. Vielmehr ist das Seitenelement einfach zwischen die Polster und die Seiten- bzw. Rückenwand des Sitzes geklemmt. Eine für das Seitenelement vorgesehene Aufnahme- oder Lagermöglichkeit existiert dagegen bei den angegriffenen Ausführungsformen nicht.
  158. Anders als die Klägerin in der mündlichen Verhandlung vom 29.09.2022 geltend gemacht hat, bietet auch die Plastiktüte, in der sich das Seitenelement bei der Auslieferung der angegriffenen Ausführungsformen befindet, keine Ruhestellung. Eine am Kindersitz temporär befestigte Plastiktüte erfüllt nicht die räumlich-körperlichen Anforderungen des Klagegebrauchsmusters an eine Ruhestellung. Eine solche Plastiktüte ist schon keine Ruhestellung des Kindersitzes, sondern ein zusätzliches Element, das üblicherweise nicht aufbewahrt, sondern entsorgt wird.
  159. 2.
    Darüber hinaus verwirklicht ein Teil der angegriffenen Ausführungsformen Merkmal 3.3 nicht, während die Verwirklichung bei einem anderen Teil der angegriffenen Ausführungsformen von der Klägerin nicht aufgezeigt ist.
  160. a)
    Zwar dürfte dieses Merkmal bei den angegriffenen Ausführungsform „C XXX“, „D XXX“ und „D XXX“ verwirklicht sein, wie das von der Klägerin beschriftete Bild von S. 17 f. der Replik (= Bl. 194 f. GA) zeigt.
  161. b)
    Allerdings haben die Beklagten wirksam bestritten, dass die übrigen Typen der angegriffenen Ausführungsformen insofern gleich aufgebaut sind. Jedenfalls die angegriffene Ausführungsform D XXX, vom der ein Exemplar in der mündlichen Verhandlung vom 29.09.2022 überreicht wurde, verwirklicht Merkmal 3.3 nicht. Das dortige Seitenelement ist in der angebrachten Position nicht „rückwärtig einer Rückenanlagefläche des Kindersitz angeordnet“, sondern davor. Insofern kann die Kammer nicht feststellen, dass der Vortrag der Klägerin, der Kindersitz D XXX entspreche dem oben eingeblendeten D XXX, zutrifft).
  162. Da die Beklagten so relevante Unterschiede zwischen den verschiedenen angegriffenen Ausführungsformen aufgezeigt haben, hätte es der Klägerin oblegen, die Verwirklichung von Merkmal 3.3 auch bei den anderen angegriffenen Ausführungsformen konkret darzulegen. Insofern ist der Vortrag der Klägerin, die Seitenelemente beim „C XXX“ und „C XXX“ seien „ähnlich wie beim C XXX angeordnet“ nicht ausreichend substantiiert. Zum ebenfalls angegriffenen Kindesitz „C XXX“ fehlt in Bezug auf Merkmal 3.3 jeder Vortrag.
  163. III.
    Die auf Feststellung der fehlenden Schutzfähigkeit der geltend gemachten Anspruchskombination gerichtete Zwischenfeststellungswiderklage der Beklagten ist als unzulässig abzuweisen.
  164. 1.
    Die Zwischenfeststellungswiderklage ist nicht vorgreiflich. Die nach § 256 ZPO für die Zulässigkeit einer Zwischenfeststellungswiderklage erforderliche Vorgreiflichkeit fehlt, wenn die Klage zur Hauptsache unabhängig davon abgewiesen wird, ob das zwischen den Parteien streitige Rechtsverhältnis besteht (BGH, NJW-RR 2010, 640). Die Vorgreiflichkeit ist nur gegeben, wenn ohnehin darüber befunden werden muss, ob das streitige Rechtsverhältnis besteht (BGH, NJW 2008, 69 Rn. 17). Demgegenüber fehlt es an der Vorgreiflichkeit, wenn die Klage zur Hauptsache abgewiesen wird, ohne dass über das Bestehen des Rechtsverhältnisses entschieden wird (BGH, NJW-RR 2010, 640 Rn. 19 m.w.N.).
  165. Eine solche Fallgestaltung liegt vor, wenn – wie hier – eine Zwischenfeststellungswiderklage auf Feststellung der fehlenden Schutzfähigkeit des Klagegebrauchsmusters erhoben wird, die Klage aus dem Klagegebrauchsmuster aber mangels Verletzung abgewiesen wird (OLG München, Endurteil vom 07.10.2021 – 6 U 6333/20 – GRUR-RS 2021, 41524 Rn. 121).
  166. 2.
    Damit muss nicht näher erörtert werden, ob eine Zwischenfeststellungswiderklage gerichtet auf die Feststellung der fehlenden Schutzfähigkeit eines Klagegebrauchsmusters ein allgemeines Rechtsschutzbedürfnis besitzen kann, wenn gegen dieses Gebrauchsmuster zugleich ein Löschungsverfahren anhängig ist. Nach § 19 S. 2 GebrMG ist das Verletzungsgericht zur Aussetzung verpflichtet, wenn es das Klagegebrauchsmuster für unwirksam hält. Hiermit dürfte ein Urteil nicht vereinbar sein, in dem das Verletzungsgericht diese Unwirksamkeit feststellt und gleichwohl von einer Aussetzung in Bezug auf das Löschungsverfahren absieht.
  167. Jedenfalls steht bei einer angenommenen Gebrauchsmusterverletzung eine solche Zwischenfeststellungswiderklage der Aussetzung der Verhandlung des Verletzungsrechts in Bezug auf ein paralleles Löschungsverfahren nicht entgegen.
  168. IV.
    Die Kostenentscheidung folgt aus § 91 Abs. 1 ZPO. Die Zwischenfeststellungswiderklage wirkt sich vorliegend nicht auf die Kostenverteilung aus (vgl. OLG München, Endurteil vom 07.10.2021 – 6 U 6333/20 – GRUR-RS 2021, 41524 Rn. 124).
  169. Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit beruht auf § 709 ZPO.
  170. V.
    Der Streitwert wird auf EUR 1.000.000,00 festgesetzt. Die Klägerin ist dem Vortrag der Beklagten nicht ausreichend entgegengetreten, dass der in der Klageschrift angegebene Wert von EUR 500.000,00 untersetzt ist.
  171. Die Zwischenfeststellungswiderklage erhöht den Streitwert nicht. Die Erhebung einer Zwischenfeststellungswiderklage wirkt sich nicht auf den Streitwert aus, wenn zwischen ihrem Gegenstand und dem der Hauptsache eine wirtschaftliche Identität besteht (Zöller/Greger, ZPO, 34. Aufl. 2022, § 256 Rn. 29). Eine solche Identität liegt hier vor, da die Zwischenfeststellungswiderklage auf Feststellung der fehlenden Schutzfähigkeit des Klagegebrauchsmusters in einer Gebrauchsmusterverletzungsklage gerichtet ist (vgl. OLG München, Endurteil vom 07.10.2021 – 6 U 6333/20 –GRUR-RS 2021, 41524 Rn. 124).

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