4c O 56/22 – Verwaltungssystem für Funkmodem II

Düsseldorfer Entscheidungen Nr. 3270

Landgericht Düsseldorf

Urteil vom 24. November 2022, Az. 4c O 56/22

  1. 1. Die Klage wird abgewiesen.
    2. Die Kosten des Rechtsstreits werden der Klägerin auferlegt.
    3. Das Urteil ist wegen der Kosten gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 120 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages vorläufig vollstreckbar.
    4. Der Streitwert wird auf EUR 250.000,00 festgesetzt.
  2. Tatbestand
  3. Die Klägerin macht – als eingetragene und allein verfügungsberechtigte Inhaberin – Ansprüche auf Unterlassung, Auskunft und Rechnungslegung, Rückruf und Vernichtung sowie Feststellung der Schadensersatzverpflichtung dem Grunde nach wegen Verletzung des deutschen Teils des europäischen Patents EP 2 XXX XXX B1 (Anlage K 1, in deutscher Übersetzung vorgelegt als Anlage K 1a; im Folgenden: Klagepatent) geltend, das am XXX angemeldet und als Anmeldung am XXX offengelegt wurde. Der Hinweis auf die Erteilung des Klagepatents wurde am XXX bekanntgemacht. Das Klagepatent steht in Kraft. Unter dem 10. Dezember 2021 hat die A GmbH, die von der Klägerin in einem parallelen unter dem Az. 4c O 37/21 geführten Verfahren in Anspruch genommen wird, gegen das Klagepatent Nichtigkeitsklage zum Bundespatentgericht (Az. 4 Ni 25/22 (EP)) erhoben, über die noch nicht entschieden ist.
  4. Das Klagepatent betrifft ein System zum Verwalten von mehreren Funkmodems, die in eine drahtlose Kommunikationsvorrichtung integriert sind, und insbesondere ein verteiltes Mehrfachfunksteuersystem zum Planen von mehreren aktiven Funkmodems, um Kommunikationskonflikte zu vermeiden. Der Anspruch 1 des – in englischer Sprache angemeldeten und erteilten – Klagepatents lautet:
  5. „A device comprising:
    means for controlling the general operation of the device with a master control system (640); and means for concurrently managing a plurality of radio modems (610) with a multiradio control system (700), the multiradio control system including:
    distributed control components (702, 704), distributed within at least the master control system and the plurality of radio modems, configured to control operation of the plurality of radio modems based on delay tolerant and delay sensitive information; and multiradio control system interface modules (710), wherein the interface modules are configured to relay the delay sensitive information between the distributed control components through a multiradio control system interface for providing fast connection for communicating delay sensitive information, wherein the delay tolerant information includes information that does not change when a radio modem is actively engaged in communication and the delay sensitive information includes at least modem operational information that changes during the course of a wireless connection.”
  6. Übersetzt lautet der Anspruch:
    „Vorrichtung, die Folgendes umfasst:
    Mittel zum Steuern des allgemeinen Betriebs der Vorrichtung mit einem übergeordneten Steuersystem (640); und Mittel zum gleichzeitigen Verwalten mehrerer Funkmodems (610) mit einem Mehrfachfunksteuersystem (700), wobei das Mehrfachfunksteuersystem Folgendes enthält:
    verteilte Steuerkomponenten (702, 704), die innerhalb wenigstens des übergeordneten Steuersystems und der mehreren Funkmodems verteilt sind und konfiguriert sind, den Betrieb der mehreren Funkmodems basierend auf verzögerungstoleranten und verzögerungsempfindlichen Informationen zu steuern; und Mehrfachfunksteuersystemschnittstellenmodule (710), wobei die Schnittstellenmodule konfiguriert sind, die verzögerungsempfindlichen Informationen zwischen den verteilten Steuerkomponenten über eine Mehrfachfunksteuersystemschnittstelle zum Bereitstellen schneller Verbindung für Kommunikation verzögerungsempfindlicher Informationen weiterzuleiten, wobei die verzögerungstoleranten Informationen Informationen enthalten, die sich nicht ändern, wenn ein Funkmodem aktiv mit Kommunikation beschäftigt ist, und die verzögerungsempfindlichen Informationen wenigstens Modembetriebsinformationen enthalten, die sich während des Verlaufs einer drahtlosen Verbindung ändern.“
  7. Die nachstehend verkleinert wiedergegebenen Figuren sind dem Klagepatent entnommen und erläutern dessen technische Lehre anhand bevorzugter Ausführungsbeispiele:
  8. Figur 1 zeigt beispielhaft eine drahtlose Betriebsumgebung, die drahtlose Kommunikationsmedien mit unterschiedlicher effektiver Reichweite umfasst. Figur 3 offenbart eine drahtlose Kommunikationsvorrichtung nach der Lehre des Klagepatents. In Figur 5 ist ein Betriebsbeispiel gezeigt, wobei Störungen auftreten, wenn mehrere Funkmodems gleichzeitig innerhalb der gleichen drahtlosen Kommunikationsvorrichtung verwendet werden. Die Figuren 7B und 8B zeigen jeweils detaillierte Strukturdiagramme eines Mehrfachfunksteuersystems mit verschiedenen Funkmodems.
  9. Die in den XXX ansässige Beklagte, die unter dem XXX ins XXX Handelsregister eingetragen wurde (vgl. Anlage HL 7) und deren in XXX sitzende Muttergesellschaft B Co. Ltd. von der Klägerin in einem parallelen Verfahren vor der hiesigen Kammer (Az. 4c O 36/21) ebenfalls in Anspruch genommen wird, unterstützt den Deutschland-Vertrieb und Support der Mobiltelefone der Marke B, wobei zum Produktportfolio insbesondere die mit dem 5G-Standard kompatiblen Smartphones mit den Bezeichnungen B XXX und B XXX (nachfolgend auch: angegriffene Ausführungsformen) gehören. So steht sie etwa als Ansprechpartner für Kunden unter https://www.B.com/de/support/contact bereit (vgl. Anlage K 4) und bietet über die Website www.B.com/de angegriffene Ausführungsformen für Endkunden an. Sie ist zudem in den Verkaufsbedingungen der B Co. Ltd. als Vertragspartnerin genannt.
  10. Die Klägerin hat zu Testzwecken ein Gerät des Typs B XXX (IMEI1: XXX; nachfolgend: angegriffene Ausführungsform I) und ein Gerät des Typs B XXX (IMEI1: XXX; nachfolgend: angegriffene Ausführungsform II) erworben und untersucht. Nachfolgende, der Klageschrift entnommene Schaubilder zeigen den von der Klägerin im Rahmen ihrer Untersuchungen ermittelten Aufbau der angegriffenen Ausführungsform I (B XXX) bzw. der angegriffenen Ausführungsform II (B XXX):
  11. Die Klägerin meint, die angegriffenen Ausführungsformen machten von der technischen Lehre des Klagepatents wortsinngemäß Gebrauch. Insbesondere schließe es das Klagepatent in Anspruch 1 durch das Vorsehen mehrerer über das Mehrfachfunksteuersystem zu verteilender Steuerkomponenten nicht aus, dass sich eine der zu verteilenden Steuerkomponenten auch in der Hauptsteuerung der Vorrichtung befinden könne. Insoweit fiele auch das Ausführungsbeispiel der Figuren 7A-7C unter den Anspruch 1, wobei das dort mit der Bezugsziffer 700 dargestellte Mehrfachfunksteuersystem nicht auf die dicke schwarze Linie beschränkt sei, die die MCS-Interface-Bauteile (710) in den jeweiligen Funkmodems (610) miteinander verbinde, sondern auch die Steuerkomponente (704) mit umfasse, die im Hauptsteuersystem (640) angeordnet sei. Zudem gebe das Klagepatent dem Fachmann keine Anhaltspunkte dafür, dass der Austausch der Informationen in den Mehrfachfunksteuersystemschnittstellenmodulen im Gigabit-Bereich erfolgen müsse.
  12. Die Klägerin behauptet, die CxM-Module in den Funkmodems der angegriffenen Ausführungsformen würden danach differenzieren, ob es sich bei den auszutauschenden Informationen um Typ2-Informationen bzw. verzögerungsempfindliche Informationen handele und diese dann über die schnelle WCI-2-Verbindung schicken. Die verzögerungstoleranten Informationen würden demgegenüber über die Modem-Control-Verbindung geschickt.
  13. Die Beklagte führe die im Ausland produzierten Produkte nach Deutschland ein mit der Folge, dass jedenfalls bis zur Übergabe an Dritte inländisches Eigentum/Besitz vorliege.
  14. Die Klägerin sei keinesfalls eine reine Patentverwertungsgesellschaft, da sie zum einen Netzausrüsterin sei und zum anderen auch von der Muttergesellschaft der Beklagten auf Patentverletzung in Anspruch genommen werde. Die Beklagte hätte auch nicht aufgezeigt, dass die Inanspruchnahme eine besondere Härte darstelle.
  15. Ferner ist die Klägerin der Auffassung, das Klagepatent werde sich in der Entscheidung über die Nichtigkeitsklage als rechtsbeständig erweisen.
  16. Nachdem die Klägerin die Klage in der mündlichen Verhandlung teilweise mit Blick auf die erst am 25. September 2015 vorgenommene Eintragung der Beklagten in das Handelsregister zurückgenommen hat, beantragt sie noch,
  17. I. die Beklagte zu verurteilen,
  18. 1. es bei Meidung eines für jeden Fall der Zuwiderhandlung vom Gericht festzusetzenden Ordnungsgeldes bis zu EUR 250.000,00 – ersatzweise Ordnungshaft – oder einer Ordnungshaft bis zu sechs Monaten, im Falle wiederholter Zuwiderhandlungen bis zu insgesamt zwei Jahren, wobei die Ordnungshaft an den jeweiligen gesetzlichen Vertretern der Beklagten zu vollstrecken ist, zu unterlassen,
  19. Vorrichtungen in der Bundesrepublik Deutschland anzubieten, in den Verkehr zu bringen oder zu gebrauchen oder zu den genannten Zwecken einzuführen oder zu besitzen, die Folgendes umfassen:
  20. Mittel zum Steuern des allgemeinen Betriebs der Vorrichtung mit einem übergeordneten Steuersystem; und Mittel zum gleichzeitigen Verwalten mehrerer Funkmodems mit einem Mehrfachfunksteuersystem, wobei das Mehrfachfunksteuersystem Folgendes enthält: verteilte Steuerkomponenten, die innerhalb wenigstens des übergeordneten Steuersystems und der mehreren Funkmodems verteilt sind und konfiguriert sind, den Betrieb der mehreren Funkmodems basierend auf verzögerungstoleranten und verzögerungsempfindlichen Informationen zu steuern; und Mehrfachfunksteuersystemschnittstellenmodule, wobei die Schnittstellenmodule konfiguriert sind, die verzögerungsempfindlichen Informationen zwischen den verteilten Steuerkomponenten über eine Mehrfachfunksteuersystemschnittstelle zum Bereitstellen schneller Verbindung für Kommunikation verzögerungsempfindlicher Informationen weiterzuleiten, wobei die verzögerungstoleranten Informationen Informationen enthalten, die sich nicht ändern, wenn ein Funkmodem aktiv mit Kommunikation beschäftigt ist, und die verzögerungsempfindlichen Informationen wenigstens Modembetriebsinformationen enthalten, die sich während des Verlaufs einer drahtlosen Verbindung ändern;
  21. 2. der Klägerin darüber Auskunft zu erteilen, in welchem Umfang sie (die Beklagte) die zu Ziffer 1. bezeichneten Handlungen seit dem 25. September 2015 begangen hat, und zwar unter Angabe
  22. a) der Namen und Anschriften der Hersteller, Lieferanten und anderen Vorbesitzer,
    b) der Namen und Anschriften der gewerblichen Abnehmer sowie der Verkaufsstellen, für die die Erzeugnisse bestimmt waren,
    c) der Menge der ausgelieferten, erhaltenen oder bestellten Erzeugnisse sowie der Preise, die für die betreffenden Erzeugnisse bezahlt wurden
  23. wobei zum Nachweis der Angaben die entsprechenden Kaufbelege (nämlich Rechnungen, hilfsweise Lieferscheine) in Kopie vorzulegen sind,
  24. wobei geheimhaltungsbedürftige Details außerhalb der auskunftspflichtigen Daten geschwärzt werden dürfen;
  25. 3. der Klägerin darüber Rechnung zu legen, in welchem Umfang sie (die Beklagte) die zu Ziffer 1. bezeichneten Handlungen seit dem 25. September 2015 begangen hat, und zwar unter Angabe
  26. a) der Menge der erhaltenen oder bestellten Erzeugnisse, der Namen und Anschriften der Hersteller, Lieferanten und anderen Vorbesitzer sowie der bezahlten Preise,
    b) der einzelnen Lieferungen aufgeschlüsselt nach Liefermengen, -zeiten und -preisen (und gegebenenfalls Typenbezeichnungen), sowie den Namen und Anschriften der Abnehmer einschließlich der Verkaufsstellen, für welche die Erzeugnisse bestimmt waren,
    c) der einzelnen Angebote, aufgeschlüsselt nach Angebotsmengen, -zeiten und -preisen (und gegebenenfalls Typenbezeichnung) sowie den Namen und Anschriften der gewerblichen Angebotsempfänger,
    d) der betriebenen Werbung, aufgeschlüsselt nach Werbeträgern, deren Auflagenhöhe, Verbreitungszeitraum und Verbreitungsgebiet, im Falle von Internet-Werbung der Domain, der Zugriffszahlen und der Schaltungszeiträume jeder Kampagne,
    e) der nach den einzelnen Kostenfaktoren aufgeschlüsselten Gestehungskosten und des erzielten Gewinns,
  27. wobei
  28. der Beklagten vorbehalten bleibt, die Namen und Anschriften der nicht-gewerblichen Abnehmer und Angebotsempfänger statt der Klägerin einem von der Klägerin zu bezeichnenden, ihr gegenüber zur Verschwiegenheit verpflichteten, in der Bundesrepublik Deutschland ansässigen, vereidigten Wirtschaftsprüfer mitzuteilen, sofern die Beklagte dessen Kosten trägt und ihn ermächtigt und verpflichtet, der Klägerin auf konkrete Anfrage mitzuteilen, ob ein bestimmter Abnehmer oder Angebotsempfänger in der Aufstellung enthalten ist;
  29. und wobei die Rechnungslegungsdaten zusätzlich in einer mittels EDV auswertbaren elektronischen Form zu übermitteln sind;
  30. 4. die in ihrem unmittelbaren oder mittelbaren Besitz und/oder Eigentum befindlichen, vorstehend zu Ziffer I.1. bezeichneten Erzeugnisse auf eigene Kosten zu vernichten oder nach ihrer Wahl an einen von ihr zu benennenden Treuhänder zum Zwecke der Vernichtung auf ihre – der Beklagten – Kosten herauszugeben;
  31. 5. die unter Ziffer I.1. bezeichneten, seit dem 25. September 2015 in Verkehr gebrachten Erzeugnisse gegenüber den gewerblichen Abnehmern unter Hinweis auf den gerichtlich (Urteil des Landgerichts Düsseldorf vom…) festgestellten patentverletzenden Zustand der Sache und mit der verbindlichen Zusage zurückzurufen, etwaige Entgelte zu erstatten sowie notwendige Verpackungs- und Transportkosten sowie mit der Rückgabe verbundene Zoll- und Lagerkosten zu übernehmen und die Erzeugnisse wieder an sich zu nehmen;
  32. II. festzustellen, dass die Beklagte verpflichtet ist, der Klägerin sämtliche Schäden zu ersetzen, die ihr durch die zu Ziffer I.1. bezeichneten und seit dem 25. September 2015 begangenen Handlungen entstanden sind und noch entstehen werden.
  33. Die Beklagte beantragt,
  34. die Klage abzuweisen;

    hilfsweise

    das Verfahren bis zu einer rechtskräftigen Entscheidung über die Nichtigkeitsklage der A GmbH vom 10. Dezember 2021 betreffend den deutschen Teil des Europäischen Patents EP 2 XXX XXX B1 auszusetzen;

  35. höchst hilfsweise
  36. der Beklagten eine Umstellungsfrist von sechs (6) Monaten zu gewähren, ab dem Datum eines etwaigen Urteils der Kammer mit einem Unterlassungstenor. Innerhalb der Frist kann ein etwaiger Unterlassungstenor nicht vollstreckt werden. Für die Dauer der Umstellungsfrist hat die Beklagte an die Klägerin eine angemessene Entschädigung zu zahlen.
  37. Die Beklagte meint, die angegriffenen Ausführungsformen verwirklichten die technische Lehre des Klagepatents nicht.
  38. Nach der Lehre des geltend gemachten Patentanspruchs 1 müssten die Steuerkomponenten nicht nur auf die Funkmodems und das übergeordnete (allgemeine) Steuersystem verteilt sein, vielmehr sei erforderlich, dass sämtliche Steuerkomponenten auch innerhalb des Mehrfachfunksteuersystems angeordnet seien. Entsprechend sei das von der Klägerin unter anderem in Bezug genommene Ausführungsbeispiel der Figur 7B nicht anspruchsgemäß, da dort das mit der Bezugsziffer 700 dargestellte Mehrfachfunksteuersystem nur die in den Funkmodems verteilten Steuerelemente (702), nicht aber das im übergeordneten Steuersystem (640) angeordnete Steuerelement (704) umfasse. Demgegenüber sei das von der Figur 8B gezeigte System anspruchsgemäß.
  39. Unabhängig davon würde das Klagepatent zwischen verzögerungstoleranten und verzögerungsempfindlichen (bzw. verzögerungssensiblen) Informationen unterscheiden und die Vorrichtung je nach Art der Information unterschiedlich steuern. Daraus folge, dass auch eine patentverletzende Vorrichtung diese Unterscheidung vornehmen müsse.
  40. Schließlich müssten die erfindungsgemäßen Mehrfunksteuerschnittstellenmodule nur die verzögerungsempfindlichen Informationen weiterleiten, wohingegen die verzögerungstoleranten Informationen über ein anderes Schnittstellenmodul geleitet werden sollen. Dies ergebe sich auch aus dem Ziel der Erfindung, die verzögerungsempfindlichen Informationen möglichst schnell und frei weiterleiten zu können. Der Fachmann habe zum Prioritätszeitpunkt unter einer schellen Verbindung auch bereits nur solche Verbindungen verstanden, die eine Datenrate im Gigabit/s-Bereich ermöglicht hätten.
  41. Ausgegend von diesem technischen Verständnis machten die angegriffenen Ausführungsformen keinen Gebrauch von der Lehre des Klageanspruchs 1.
  42. Soweit die Klägerin zur Darlegung der behaupteten Verletzung Bezug nehme auf die WCI-2 Verbindung, mittels derer die Funkmodems in den angegriffenen Handys verbunden seien, handele es sich um eine Universal Asynchronous Receiver/Transmitter-Verbindung (UART), über die Typ2-Daten (Transparent Data Messages) ausgetauscht würden. Dabei fände keine Differenzierung nach verzögerungstoleranten und -empfindlichen Informationen statt. Entsprechend würde auch keine zeitliche Priorisierung der Daten vorgenommen. Die mögliche Datenrate betrage zudem nur maximal 3 Megabit/s und sei damit langsam. Weiterhin hätten eigene Untersuchungen der Beklagten (vorgelegt als Anlage HL 3) gezeigt, dass über die WCI-2 Verbindung auch Kontrollinformationen ausgetauscht würden, die sich im Zuge der Verbindungen nicht ändern und damit verzögerungstolerante Informationen darstellten. Die Tests der Klägerin seien dagegen, auch mangels konkreten Vortrags zu den Umständen, nicht nachvollziehbar und damit nicht einlassungsfähig.
  43. Soweit die Klägerin zuletzt im Weg von Vermutungen ins Blaue hinein darauf abgestellt habe, dass im CxM-Modul zwischen verzögerungstoleranten und -empfindlichen Informationen unterschieden werde und nur die verzögerungsempfindlichen Informationen über die WCI-2-Verbindung geschickt würden, sei dieser Vortrag schon nicht einlassungsfähig und stehe zudem im Widerspruch zum vorherigen Vortrag der Klägerin, wonach es einer solchen Unterscheidung nicht bedürfe, da es sich dabei um eine Eigenschaft handele, die der Information anhafte. Unabhängig davon komme es für die Frage, ob eine Information über die WCI-2-Schnittstelle oder über die Modem-Control-Verbindung, welche zudem die schnellere der beiden Verbindung darstelle, geschickt werde, nicht auf die Einordnung als verzögerungsempfindlich/-tolerant, sondern auf die jeweilige Empfängerkomponente an.
  44. Ferner fehle es an einer Verteilung der Steuerkomponenten auch im übergeordneten Steuersystem.
  45. Die Beklagte erhebt mit Blick auf den Unterlassungsanspruch den Einwand der Unverhältnismäßigkeit. Ein Totalverbot stünde völlig außer Verhältnis zum Anteil des Klagepatents an den technisch komplexen angegriffenen Ausführungsformen. Auch sei im Rahmen der vorzunehmenden Interessenabwägung zu berücksichtigen, dass die Klägerin ihre Mobilfunksparte vor einiger Zeit verkauft habe und damit einer Patentverwertungsgesellschaft vergleichbar sei. Ziel der Klägerin sei allein der Abschluss von Lizenzverträgen, was sich auch darin zeige, dass es in der Vergangenheit Lizenzbeziehungen zwischen den Parteien gegeben habe. Die Interessen der Klägerin wären jedenfalls auch bei Gewährung einer Umstellungsfrist hinreichend gewahrt. Mit Blick auf die geltend gemachten Rückruf- und Vernichtungsansprüche gelte entsprechendes.
  46. Ein Vernichtungsanspruch gegen die Beklagte bestünde zudem schon deswegen nicht, weil diese im Ausland ansässig sei und die Klägerin nicht dargelegt habe, dass und wieso die Beklagte im Inland Eigentum oder Besitz an patentverletzenden Vorrichtungen haben sollte.
  47. Die Beklagte ist der Auffassung, das Klagepatent werde sich in der Entscheidung über die beim Bundespatentgericht anhängige Nichtigkeitsklage als nicht rechtsbeständig erweisen. Insbesondere sei die von ihm beanspruchte technische Lehre nicht neu.
  48. Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die zwischen den Parteien gewechselten Schriftsätze sowie auf die zu den Akten gereichten Unterlagen ergänzend Bezug genommen.
  49. Entscheidungsgründe
  50. Die zulässige Klage hat in der Sache keinen Erfolg.
  51. A.
    Die Klage ist unbegründet, da die angegriffenen Ausführungsformen von der Lehre des Klagepatents keinen Gebrauch machen und der Klägerin daher die geltend gemachten Ansprüche auf Unterlassung, Auskunft und Rechnungslegung, Rückruf, Vernichtung sowie Feststellung der Schadenersatzpflicht dem Grunde nach nicht gemäß den §§ 139ff. PatG zustehen.
  52. I.
    Das Klagepatent betrifft ein System zum Verwalten von mehreren Funkmodems, die in eine drahtlose Kommunikationsvorrichtung integriert sind, und im Speziellen ein verteiltes Mehrfachfunksteuersystem zum Planen von mehreren aktiven Funkmodems, um Kommunikationskonflikte zu vermeiden.
  53. Aus dem Stand der Technik seien, wie das Klagepatent einleitend in Absatz [0002] (alle nachfolgend genannten Absätze ohne Herkunftsangabe sind solche des Klagepatents) darstellt, Funkkommunikationseinrichtungen wie beispielsweise Mobiltelefone bekannt, die sich aufgrund von technologischen Verbesserungen sowohl hinsichtlich der Qualität der Kommunikation als auch der Funktionalität der Vorrichtungen auf dem Weltmarkt weiterhin stark vermehrten. Diese drahtlosen Kommunikationsvorrichtungen (WCD – Wireless Communication Device) seien sowohl für persönliche als auch geschäftliche Zwecke allgemein üblich geworden und ermöglichten es Benutzern, Sprache, Text und grafische Daten von einer Mehrzahl von geografischen Standorten aus zu senden und zu empfangen. Die Kommunikationsnetzwerke, die von diesen Vorrichtungen verwendet würden, erstreckten sich über verschiedene Frequenzen und decken verschiedene Übertragungsreichweiten ab, wobei sie jeweils Stärken aufweisen, die für verschiedene Anwendungen wünschenswert seien.
  54. Mobilfunknetzwerke ermöglichten – wie das Klagepatent in Absatz [0003] weiter ausführt – WCD-Kommunikation über große geografische Gebiete. Die Netzwerktechnologien seien üblicherweise in Generationen geteilt worden, beginnend in den späten 1970igern bis in die frühen 1980iger mit den analogen Mobiltelefonen der ersten Generation (1G), die Basissprachkommunikationen bereitstellten, bis hin zu den modernen digitalen Mobiltelefonen. Neu aufkommende Technologien, wie beispielsweise Digitaler Videorundfunk über Satellit für Handvorrichtungen (DVB-H – Digital Video Broadcasting for Handheld Devices), würden digitales Streaming-Video und andere ähnliche Inhalte mittels Direktübertragung für eine WCD verfügbar machen mit der Folge, dass neue Netzwerke erforderlich seien.
  55. Drahtlose Nahbereichsnetzwerke würden Kommunikationslösungen bereitstellen, die einige der Probleme, die in großen Mobilfunknetzwerken zu sehen sind, vermieden. Bluetooth sei ein Beispiel für eine drahtlose Nahbereichstechnologie, die sich auf dem Markt schnell durchgesetzt habe. Eine Bluetooth-fähige WCD sende und empfinge Daten mit einer Rate von 720 kbit/s innerhalb einer Reichweite von 10 Metern und könne mit zusätzlicher Leistungsverstärkung bis zu 100 Meter weit senden. Ein Benutzer initiierte ein Bluetooth-Netzwerk nicht aktiv. Stattdessen bildeten mehrere Vorrichtungen innerhalb der Betriebsreichweite zueinander automatisch eine Netzwerkgruppe, die „Pikonetzwerk“ genannt werde. Neben Bluetooth umfassten andere beliebte drahtlose Nahbereichsnetzwerke WLAN (von welchem lokale „Wi-Fi“-Zugangspunkte, die gemäß dem IEEE 802.11 Standard kommunizieren, ein Beispiel seien), WUSB, UWB, ZigBee (802.15.4, 802.15.4a) und UHF-RFID. All diese drahtlosen Medien weisen Merkmale und Vorteile auf, die sie für verschiedene Anwendungen geeignet machten, vgl. Absatz [0004].
  56. Zudem hätten Hersteller begonnen, verschiedene Ressourcen zum Bereitstellen erweiterter Funktionalität in WCDs zu integrieren (z. B. Komponenten und Software zum Durchführen von drahtlosem Informationsaustausch in unmittelbarer Nähe). Sensoren und/oder Scanner könnten verwendet werden, um visuelle oder elektronische Informationen in eine Vorrichtung einzulesen. Eine Transaktion könne umfassen, dass ein Benutzer seine WCD in der Nähe zu einem Ziel halte, seine WCD auf ein Objekt richte (um z.B. ein Bild aufzunehmen) oder die Vorrichtung über ein gedrucktes maschinelles Lesen, wie beispielsweise Radiofrequenzidentifikation (RFID), Infrarot-(IR-)Kommunikation, optische Zeichenerkennung (OCR – Optical Character Recognition) und verschiedene andere Arten von visueller, elektronischer und magnetischer Abtastung, verwende, um gewünschte Informationen ohne Notwendigkeit manueller Eingabe durch einen Benutzer schnell in die WCD einzugeben, vgl. Absatz [0005].
  57. Daher würden Vorrichtungshersteller in dem Bestreben, leistungsstarke „Do-all“-Vorrichtungen auf den Markt zu bringen, fortfahren, so viele der vorstehend angegebenen beispielhaften Kommunikationskanäle wie möglich in drahtlose Kommunikationsvorrichtungen zu integrieren. Vorrichtungen, die Weitverkehrs-, Nahbereichs- und maschinenlesbare Kommunikationsressourcen umfassten, wiesen häufig mehrere Medien für jede Kategorie auf. Dies ermögliche es einer Kommunikationsvorrichtung, sich flexibel an ihre Umgebung anzupassen, zum Beispiel möglicherweise zur gleichen Zeit sowohl mit einem WLAN-Zugangspunkt als auch mit einem Bluetooth-Zubehör zu kommunizieren, vgl. Absatz [0006]. Wie das Klagepatent in Absatz [0007] ausführt, offenbart die EP 1 XXX XXX A2 die Koexistenz von drahtlosen Vorrichtungen, die auf einer einzigen Schaltung implementiert seien.
  58. Angesichts der großen Auswahl an Kommunikationsoptionen, die in einer Vorrichtung zusammengestellt seien, sei es vorhersehbar, dass ein Benutzer das Potenzial einer WCD voll ausschöpfen möchte, wenn er andere produktivitätsbezogene Vorrichtungen ersetzen möchte. Zum Beispiel könne der Benutzer eine Hochleistungs-WCD verwenden, um andere traditionelle, unhandlichere Telefone, Computer usw. zu ersetzen. In dieser Situation könne eine WCD über zahlreiche verschiedene drahtlose Medien gleichzeitig kommunizieren. So könne ein Benutzer mehrere Bluetooth-Peripherievorrichtungen (z.B. ein Headset und eine Tastatur) verwenden, während er gleichzeitig ein Gespräch über GSM führe und mit einem WLAN-Zugangspunkt zum Zugreifen auf eine Internet-Website interagieren könne. Als Probleme, die dabei auftreten könnten, identifiziert das Klagepatent in Absatz [0008] insbesondere Störungen, die bei dem gleichzeitigen Betrieb mehrerer Funkmodule verursacht werden könnten. Selbst wenn ein Kommunikationsmedium keine identische Betriebsfrequenz wie ein anderes Medium aufweise, könne ein Funkmodem Fremdstörungen für ein anderes Medium verursachen. Es sei ferner auch möglich, dass die kombinierten Effekte von zwei oder mehr gleichzeitig funktionierenden Funkeinrichtungen Intermodulationseffekte für eine andere Bandbreite aufgrund von Oberschwingungseffekten erzeugen könnten. Diese Störungen könnten Fehler verursachen, die zur notwendigen Neuübertragung verlorengegangener Pakete und zur allgemeinen Verschlechterung der Leistungsfähigkeit für ein oder mehrere Kommunikationsmedien führten.
  59. Die Nutzbarkeit einer Kommunikationsvorrichtung, die mit der Fähigkeit zum Kommunizieren über mehrere drahtlose Kommunikationsmedien ausgestattet ist, werde stark beeinträchtigt, wenn diese Kommunikationen nur nacheinander eingesetzt werden könnten. Daher bestehe ein Bedarf an einem System zum Verwalten dieser verschiedenen Kommunikationsmedien, damit sie bei vernachlässigbarer Auswirkung auf die Leistungsfähigkeit gleichzeitig funktionieren könnten. Das System solle zum Identifizieren und Verstehen der Funktionalität jedes drahtlosen Mediums in der Lage sein, und es solle in der Lage sein, auf sich ändernde Bedingungen in der Umgebung schnell zu reagieren und jedes Medium so zu steuern, dass Störungen minimiert würden, vgl. Absatz [0009].
  60. Mit Blick auf die implizite Aufgabenstellung in Absatz [0009] schlägt das Klagepatent in Anspruch 1 eine Vorrichtung mit folgenden Merkmalen vor:
  61. 1. Vorrichtung, die Folgendes umfasst:
    1.1. Mittel zum Steuern des allgemeinen Betriebs der Vorrichtung mit einem übergeordneten Steuersystem (640); und
    1.2. Mittel zum gleichzeitigen Verwalten mehrerer Funkmodems (610) mit einem Mehrfachfunksteuersystem (700),
    wobei das Mehrfachfunksteuersystem Folgendes enthält:
    1.2.1. verteilte Steuerkomponenten (702, 704), die innerhalb wenigstens des übergeordneten Steuersystems und der mehreren Funkmodems verteilt sind und konfiguriert sind, den Betrieb der mehreren Funkmodems basierend auf verzögerungstoleranten und verzögerungsempfindlichen Informationen zu steuern; und
    1.2.2. Mehrfachfunksteuersystemschnittstellenmodule (710), wobei die Schnittstellenmodule konfiguriert sind, die verzögerungsempfindlichen Informationen zwischen den verteilten Steuerkomponenten über eine Mehrfachfunksteuersystemschnittstelle zum Bereitstellen schneller Verbindung für Kommunikation verzögerungsempfindlicher Informationen weiterzuleiten,
    1.2.2.1. wobei die verzögerungstoleranten Informationen Informationen enthalten, die sich nicht ändern, wenn ein Funkmodem aktiv mit Kommunikation beschäftigt ist, und
    1.2.2.2. die verzögerungssensiblen Informationen wenigstens Modembetriebsinformationen enthalten, die sich während des Verlaufs einer drahtlosen Verbindung ändern.
  62. II.
    Die Parteien streiten über die Verwirklichung der Merkmalsgruppe 1.2, welche das erfindungsgemäße Mehrfachfunksteuersystem näher beschreibt. Die angegriffenen Ausführungsformen machen nicht von allen Merkmalen der Merkmalsgruppe 1.2 Gebrauch.
  63. 1.
    Die seitens der Klägerin angegriffenen Mobiltelefone der Beklagten verwirklichen Merkmal 1.2.1, gemäß dem das Mehrfachfunksteuersystem über verteilte Steuerkomponenten verfügt, die innerhalb wenigstens des übergeordneten Steuersystems und der mehreren Funkmodems verteilt und konfiguriert sind, den Betrieb der mehreren Funkmodems basierend auf verzögerungstoleranten und verzögerungsempfindlichen Informationen zu steuern.
  64. 1.1.
    Das Klagepatent stellt sich die Aufgabe, ein System bzw. eine Vorrichtung bereitzustellen, welche die verschiedenen Kommunikationsmedien/-module innerhalb eines drahtlosen Kommunikationsgerätes so verwalten, dass diese gleichzeitig mit vernachlässigbarer Auswirkung auf die Leistung funktionieren können und Störungen minimiert werden.
  65. Anspruch 1 stellt insoweit eine Vorrichtung unter Schutz (Merkmal 1), die über verschiedene Mittel zum Steuern der Vorrichtung bzw. ihrer Module verfügt. So muss die Vorrichtung nach Merkmal 1.1 zunächst über Mittel zum Steuern des allgemeinen Betriebes der Vorrichtung mit einem übergeordneten Steuersystem verfügen.
  66. Der eigentliche Kern der Erfindung ist Gegenstand der Merkmalsgruppe 1.2, wonach eine anspruchsgemäße Vorrichtung zudem Mittel zum gleichzeitigen Verwalten mehrerer Funkmodems mit einem Mehrfachfunksteuersystem aufweisen soll. Die nähere Ausgestaltung des Mehrfachfunksteuersystems wird von den Merkmalen 1.2.1 und 1.2.2 weiter beschrieben. Danach enthält das Mehrfachfunksteuersystem verteilte Steuerkomponenten, die innerhalb wenigstens des übergeordneten Steuersystems und der mehreren Funkmodems verteilt sind und so konfiguriert sind, dass sie den Betrieb der mehreren Funkmodems basierend auf verzögerungstoleranten und verzögerungsempfindlichen Informationen steuern können (Merkmal 1.2.1). Das Mehrfachfunksteuersystem soll zudem über Mehrfachfunksteuersystemschnittstellenmodule verfügen, wobei die Schnittstellenmodule konfiguriert sind, die verzögerungsempfindlichen Informationen zwischen den verteilten Steuerkomponenten über eine Mehrfachfunksteuersystemschnittstelle zum Bereitstellen schneller Verbindung für Kommunikation verzögerungsempfindlicher Informationen weiterzuleiten, vgl. Merkmal 1.2.2. Gemäß Merkmal 1.2.2.1 sollen verzögerungstolerante Informationen solche Informationen enthalten, die sich nicht ändern, wenn ein Funkmodem aktiv mit Kommunikation beschäftigt ist. Demgegenüber sollen verzögerungssensible Informationen wenigstens Modembetriebsinformationen enthalten, die sich während des Verlaufs einer drahtlosen Verbindung ändern, vgl. Merkmal 1.2.2.2.
  67. 1.2.
    Für den Streit der Parteien im vorliegenden Rechtsstreit von maßgeblichem Interesse ist zunächst die erfindungsgemäße Verteilung der Steuerkomponenten des Mehrfachfunksteuersystems gemäß Merkmal 1.2.1.
  68. Danach sollen die entsprechenden Steuerkomponenten sowohl im bzw. innerhalb des übergeordneten Steuersystems der Vorrichtung als auch kumulativ in den mehreren Funkmodems vorhanden sein.
  69. Merkmal 1.2.1 verlangt insoweit, dass in allen diesen Modulen Steuerkomponenten vorhanden sind, die zusammen das Mehrfachfunksteuersystem bilden. Das Klagepatent macht darüber hinaus aber keine weiteren Vorgaben dazu, wie die Steuerkomponenten miteinander zu verbinden sind bzw. dass – wie die Beklagte meint – stets alle Steuerkomponenten (über eine Leitung) miteinander verbunden sein müssen. Entsprechendes folgt nicht aus dem Wortlaut des Merkmals, der nur davon spricht, dass die Steuerkomponenten „innerhalb wenigstens des übergeordneten Steuersystems und der mehreren Funkmodems verteilt“ sein müssen. Der Anspruch setzt somit das Vorhandensein der Steuerkomponenten in bzw. innerhalb der jeweiligen Module (übergeordnetes Steuersystem und Funkmodem) voraus, ohne etwas über deren Verbindung zu sagen.
  70. Der Fachmann findet auch in der allgemeinen Erfindungsbeschreibung keine Anhaltspunkte dafür, dass die verteilten Steuerkomponenten allesamt (physisch) miteinander verbunden sein müssen. So führt das Klagepatent in Absatz [0011] beispielsweise aus Hervorhebung hinzugefügt):
  71. „Die Steuerungsaspekte des Mehrfachfunksteuersystems (MCS – Multiradio Control System) können unter verschiedenen Modulen innerhalb der WCD verteilt sein. Diese verteilten Komponenten können entweder durch eine Kommunikationsschnittstelle, die dem Gesamtsteuersystem der WCD gemeinsam ist (gemeinsame Schnittstelle), miteinander kommunizieren, oder sie können alternativ eine spezialisierte Schnittstelle verwenden, die für Transaktionen in Bezug auf das Mehrfachfunksteuersystem (MCS-Schnittstelle) reserviert ist. Obwohl die gemeinsame Schnittstelle zum Befördern von Informationen zwischen den verteilten Steuerkomponenten verwendet werden kann, kann dieser Kommunikationsmodus aufgrund des normalen Verkehrs im übergeordneten Steuersystem (z. B. Verkehr von mehreren Anwendungen, die ausgeführt werden, Benutzerinteraktionen usw.) unter Kommunikationsverzögerungen leiden. Die MCS-Schnittstelle koppelt die Steuerkomponenten des MCS jedoch direkt und kann die schnelle Übertragung von verzögerungsempfindlichen Betriebsinformationen und Steuerbefehlen ungeachtet des Verkehrs des übergeordneten Steuersystems ermöglichen.“
  72. Das Klagepatent spricht mit Blick auf die verteilten Steuerkomponenten, die das Mehrfachfunksteuersystem (MCS) bilden, davon, dass diese über eine Schnittstelle miteinander kommunizieren können/sollen. Allein aus dem Begriff der Schnittstelle folgt noch nicht, dass die Steuerungskomponenten über eine Leitung oder eine andere physische Verbindung miteinander kommunizieren sollen, da dem Fachmann auch bereits zum Prioritätszeitpunkt allgemein bekannt war, dass es Schnittstellen gibt, die drahtlos miteinander kommunizieren.
  73. In diesem Verständnis bestärkt wird der Fachmann auch unter Berücksichtigung der Ausführungsbeispiele des Klagepatents, vorrangig der Figuren 7B und 8B sowie der zugehörigen Beschreibungsstellen.
  74. Zwischen den Parteien ist unstreitig, dass die nachfolgend erneut wiedergegebene Figur 8B ein Mehrfachfunksteuersystem nach der Lehre des Patentanspruchs 1 zeigt:
  75. Die von dem Ausführungsbeispiel der Figuren 8A-8C gezeigte Kommunikationsvorrichtung verfügt über eine übergeordnete Steuereinrichtung (MCS, 640), die in ihrem Prozessor (300) eine Steuerkomponente (704) aufweist. Entsprechende weitere Steuerungskomponenten (702) sind in den verschiedenen Funkmodems (610) integriert und über das Mehrfachfunksteuersystem (700) miteinander über eine Leitung (dicker schwarzer Strich) verbunden.
  76. Das Ausführungsbeispiel der Figur 8 ist aber nach den allgemein anerkannten Auslegungsregeln nicht geeignet, die Lehre des Anspruchs 1 auf eine physische Verbindung aller Steuerkomponenten des Mehrfachfunksteuersystem zu beschränken. Denn der Fachmann kann insbesondere dem Ausführungsbeispiel der nachfolgend wiedergegebenen Figur 7B entnehmen, dass es einer solchen Verbindung nicht bedarf:
  77. Der Aufbau dieser Kommunikationsvorrichtung entspricht im Wesentlichen dem Aufbau der Vorrichtung nach der Figur 8B mit der Ausnahme, dass hier nur eine physische Verbindung der Steuerkomponenten (702) in den jeweiligen Funkmodems besteht und damit keine unmittelbare physische Verbindung zu der Steuerkomponente (704) im übergeordneten Steuersystem (640). Gleichwohl bilden auch alle diese Komponenten der Figur 7B ein erfindungsgemäßes Mehrfachfunksteuersystem. Entgegen der Ansicht der Beklagten ist auch dieses Ausführungsbeispiel anspruchsgemäß. Denn der Anspruch 1 macht – wie zuvor dargestellt – dem Fachmann neben dem Vorhandensein der Steuerkomponenten keine konkreten räumlich-körperlichen Vorgaben dazu, wie diese zu verbinden sind. Daher schließt es der Anspruch auch nicht aus, wenn nicht immer alle Steuerkomponenten physisch miteinander verbunden sind. Das Klagepatent führt in Absatz [0048] aus (Hervorhebung hinzugefügt):
  78. „FIG. 7A offenbart eine bespielhafte Ausführungsform der vorliegenden Erfindung, wobei ein Mehrfachfunksteuersystem (MCS) 700 in die WCD 100 eingeführt ist. Ähnlich der vorstehend beschriebenen MRC 600 handhabt das MCS 700 drahtlose Kommunikationen in der WCD 100 durch Überwachen auf potenzielle Kommunikationskollisionen und Steuern von Kommunikationsressourcen, wie beispielsweise Funkmodems 610, um diese Probleme zu vermeiden. Es kann jedoch davon ausgegangen werden, dass das MCS 700 einen Vorteil gegenüber einer zentralisierten MRC 600 bereitstellt, indem es diese Steuermerkmale in bereits notwendige Komponenten innerhalb der WCD 100 verteilt. Als Ergebnis kann eine beträchtliche Menge der Operationen zur Kommunikationsverwaltung für die verschiedenen Kommunikationsressourcen, beispielsweise die Funkmodems 610, lokalisiert werden, was die Gesamtmenge von Steuerbefehlsverkehr in der WCD 100 reduziert.“
  79. Der Fachmann findet im Klagepatent an keiner Stelle Anhaltspunkte dafür, dass und wieso gerade die fehlende physische Verbindung zur Steuerkomponente im MCS, die den einzigen Unterschied zum unstreitig erfindungsgemäßen Ausführungsbeispiel der Figuren 8B darstellt, für die Lehre nach Anspruch 1 und dessen Mehrfachfunksteuersystem essentiell sein sollte.
  80. In den Absätzen [0050] bis [0052] wird sodann weiter ausgeführt (Hervorhebungen hinzugefügt):
  81. „[0050] Das MCS 700 verbindet die verteilten Steuerkomponenten 702 in den Modulen 310, 312, 320 und 340 direkt. Eine andere verteilte Steuerkomponente 704 kann sich im übergeordneten Steuersystem 640 der WCD 100 befinden. Es ist wichtig, zu erwähnen, dass die verteilte Steuerkomponente 704, die im Prozessor 300 dargestellt ist, nicht nur auf diese Ausführungsform beschränkt ist, sondern sich in jedem geeigneten Systemmodul innerhalb der WCD 100 befinden kann. Die Hinzufügung des MCS 700 stellt eine dedizierte verkehrsarme Kommunikationsstruktur zum Übertragen von verzögerungsempfindlichen Informationen sowohl zu als auch von den verschiedenen verteilten Steuerkomponenten 702 bereit.
  82. [0051] Die beispielhafte Ausführungsform, die in FIG. 7A offenbart ist, wird in FIG. 7B ausführlicher beschrieben. Das MCS 700 bildet eine direkte Verbindung zwischen den verteilten Steuerkomponenten 702 innerhalb der WCD 100. Die verteilten Steuerkomponenten 702 in den Funkmodems 610 können zum Beispiel aus einer MCS-Schnittstelle 710, einer Funkaktivitätssteuereinheit 720 und einer Synchronisationseinrichtung 730 bestehen. Die Funkaktivitätssteuereinheit 720 verwendet die MCS-Schnittstelle 710 zum Kommunizieren mit den verteilten Steuerkomponenten in anderen Funkmodems 610. Die Synchronisationseinrichtung 730 kann zum Erhalten von Zeitsteuerungsinformationen vom Funkmodem 610 verwendet werden, um Synchronisationsanforderungen von beliebigen der verteilten Steuerkomponenten 702 zu erfüllen. Die Funkaktivitätssteuereinheit 702 kann durch die gemeinsame Schnittstelle 620 auch Informationen vom übergeordneten Steuersystemsystem 640 (z. B. von der verteilten Steuerkomponente 704) erhalten. Folglich kann jede Information, die vom übergeordneten Steuersystem 640 durch die gemeinsame Schnittstelle 620 an die Funkaktivitätssteuereinheit 720 kommuniziert wird, als verzögerungstolerant angesehen werden, weshalb die tatsächliche Ankunftszeit dieser Informationen die Leistungsfähigkeit des Kommunikationssystems nicht wesentlich beeinflusst. Andererseits können alle verzögerungsempfindlichen Informationen durch das MCS 700 befördert werden, so dass es von Überlast des übergeordneten Steuersystems isoliert ist.
  83. [0052] Wie bereits erwähnt, kann es eine verteilte Steuerkomponente 704 innerhalb des übergeordneten Steuersystems 640 geben. Einige Aspekte dieser Komponente können sich im Prozessor 300 befinden, wie beispielsweise eine laufende Softwareroutine, die das Verhalten der Funkaktivitätssteuereinheiten 720 überwacht und koordiniert. Der Prozessor 300 ist so dargestellt, dass er eine Prioritäts-Steuereinheit 740 enthält. […]“
  84. Der Fachmann entnimmt diesen Passagen, dass es sich sowohl bei den Steuerkomponenten in den Funkmodems (702) als auch bei der Steuerkomponente in dem übergeordneten Steuersystem (704) jeweils um verteilte Steuerkomponenten im Sinne der Lehre des Klagepatents handelt und dass alle diese Komponenten auch in dem Ausführungsbeispiel der Figur 7B über eine gemeinsame Schnittstelle miteinander kommunizieren und Informationen austauschen können. Er erkennt daher auch, dass es nicht auf die in der Figur 7B fehlende physische Verbindung zur Steuerkomponente 704 ankommt.
  85. Entsprechendes erkennt der Fachmann auch unter Berücksichtigung einer technisch-funktionalen Betrachtung. Der Clou der Erfindung liegt darin, dass die Hauptsteuerung dadurch entlastet und damit die Effizienz der Gesamtvorrichtung gesteigert wird, dass die Steuerung der Funkmodems von einer eigenen, von der Hauptsteuerung unabhängigen Einrichtung, dem Mehrfachfunksteuersystem, übernommen wird. Wesentlicher Bestandteil des Mehrfachfunksteuersystems sollen die verteilten Steuerkomponenten in den jeweiligen Funkmodems und im übergeordneten Steuersystem sein, wobei diese miteinander kommunizieren müssen. Die Art und Weise bzw. den Weg, wie diese Komponenten untereinander kommunizieren, stellt das Klagepatent jedoch mangels konkreter Vorgaben in das Belieben des Fachmanns. Daher kommt es auch technisch-funktional nicht auf eine physische Verbindung dieser Komponenten an.
  86. 1.3.
    Unter Berücksichtigung dieses Verständnisses von Merkmal 1.2.1 vermochte die Kammer eine Verwirklichung durch die angegriffenen Ausführungsformen festzustellen.
  87. Der Aufbau der angegriffenen Ausführungsformen ist zwischen den Parteien weitestgehend unstreitig und kann den nachfolgend wiedergegebenen, der Klageschrift entnommenen und von beiden Parteien in Bezug genommenen Schaubildern entnommen werden, wobei das erste Schaubild die angegriffene Ausführungsform I (B XXX) und das zweite Schaubild die die angegriffene Ausführungsform II (B XXX) zeigt:
  88. Zu erkennen ist, dass in beiden Mobiltelefonen die Steuerkomponenten in den Funkmodems über eine Leitung (WCI-2) miteinander verbunden sind und dass es in der Hauptsteuerung noch eine weitere Steuerkomponente gibt. Insoweit entspricht der Aufbau der angegriffenen Ausführungsformen der Figur 7B und ist damit patentverletzend.
  89. 2.
    Die angegriffenen Ausführungsformen machen hingegen keinen Gebrauch von der Merkmalsgruppe 1.2.2, welche die Steuerung der Vorrichtung anhand verzögerungsempfindlicher Informationen zum Gegenstand hat.
  90. 1.1.
    Das Klagepatent unterscheidet mit Blick auf die von dem Mehrfachfunksteuersystem auszutauschenden Informationen zwischen verzögerungstoleranten und verzögerungsempfindlichen bzw. verzögerungssensiblen Informationen. Gemäß Merkmal 1.2.2.1 sollen dabei verzögerungstolerante Informationen solche Informationen seien, die sich während des aktiven Betriebs eines Funkmodems typischerweise nicht ändern. Als Beispiele für solche Informationen nennt das Klagepatent in Absatz [0053] beispielsweise Funkmodusinformationen (z.B. GPRS, Bluetooth, WLAN usw.), Prioritätsinformationen, die durch Benutzereinstellungen definiert sein können, oder den spezifischen Dienst, den das Funkmodem bietet (QoS, Echtzeit/Nicht-Echtzeit).
  91. Demgegenüber soll es sich nach Merkmal 1.2.2.2 bei verzögerungsempfindlichen/verzögerungssensiblen Informationen um Informationen handeln, die sich während des Verlaufs einer drahtlosen Verbindung ändern können. Darunter fallen beispielsweise Modembetriebsinformationen sowie Funkmodemsynchronisations- und Aktivitätssteuerinformationen (vgl. Absatz [0053]). Da diese Informationen für die jeweilige drahtlose Verbindung von essentieller Bedeutung sind, müssen diese Informationen bei etwaigen Änderungen – anders als die verzögerungstoleranten Informationen – unverzüglich zwischen den Steuerkomponenten ausgetauscht werden.
  92. Der Austausch dieser zeitkritischen Informationen soll gemäß Merkmal 1.2.2 über Mehrfachfunksteuersystemschnittstellenmodule erfolgen, die so konfiguriert sind, dass die verzögerungsempfindlichen Informationen zwischen den verteilten Steuerkomponenten über eine Mehrfachfunksteuersystemschnittstelle zum Bereitstellen schneller Verbindung für Kommunikation verzögerungsempfindlicher Informationen weitergeleiten werden. Die auf das übergeordnete Steuersystem und die jeweiligen Funkmodule verteilten Steuerkomponenten müssen nach Merkmal 1.2.1 auch so konfiguriert sein, dass sie den Betrieb der Funkmodems basierend auf diesen Informationen steuern können.
  93. Das Klagepatent setzt insoweit voraus, dass die unter Schutz gestellte Vorrichtung bzw. ihr Mehrfachfunksteuersystem zwischen den beiden in Bezug genommenen Arten von Informationen unterscheidet bzw. unterscheiden können muss, damit insbesondere die verzögerungsempfindlichen Informationen schnell weitergeleitet/ausgetauscht werden. Der Clou der Erfindung, womit sie sich vom Stand der Technik abhebt, ist dabei das (vom Hauptprozessor unabhängige) Mehrfachfunksteuersystem, das diese Informationen mit Priorität austauscht und so den eigentlichen Prozessor und seine Hauptsteuerung von dieser Aufgabe befreit. Dies bedeutet nicht, dass über die Mehrfachfunksteuerschnittstellen nicht auch – bei Bedarf – verzögerungstolerante Informationen ausgetauscht werden dürfen, entscheidend ist jedoch, dass über diese Schnittstellen jedenfalls die verzögerungsempfindlichen Informationen ausgetauscht werden und dies schnell, d.h. ohne zeitlichen Versatz, erfolgt. Insoweit ist – entgegen dem Verständnis der Klägerin – die Fähigkeit der Vorrichtung zur Differenzierung nach der Art der Information von essentieller Bedeutung, da anderenfalls die Gefahr besteht, dass verzögerungsempfindliche Informationen nicht bevorzugt ausgetauscht werden können.
  94. Das entsprechende Verständnis ergibt sich für den Fachmann auch unter Berücksichtigung der beiden Ausführungsbeispiele der Figuren 7B und 8B:
  95. Über die Mehrfachfunksteuerung (700) werden in beiden Ausführungsbeispielen nur verzögerungssensible Informationen (delay sentitive information) ausgetauscht und verzögerungstolerante Informationen (delay tolerant information) über eine andere Schnittstelle, die im Common Interface (620) des MCS angeordnet ist. Da diese beiden Ausführungsbeispiele die Lehre des Klagepatents – wie ausgeführt – nicht einzuschränken vermögen, folgt daraus nicht, dass verzögerungstolerante Informationen nicht auch über die Mehrfachfunksteuersystemschnittstelle ausgetauscht werden können. Entsprechendes folgt aus Absatz [0051], wo zu Figur 7B ausgeführt wird (Hervorhebung hinzugefügt):
  96. „[…] Die Funkaktivitätssteuereinheit 702 kann durch die gemeinsame Schnittstelle 620 auch Informationen vom übergeordneten Steuersystemsystem 640 (z. B. von der verteilten Steuerkomponente 704) erhalten. Folglich kann jede Information, die vom übergeordneten Steuersystem 640 durch die gemeinsame Schnittstelle 620 an die Funkaktivitätssteuereinheit 720 kommuniziert wird, als verzögerungstolerant angesehen werden, weshalb die tatsächliche Ankunftszeit dieser Informationen die Leistungsfähigkeit des Kommunikationssystems nicht wesentlich beeinflusst. Andererseits können alle verzögerungsempfindlichen Informationen durch das MCS 700 befördert werden, so dass es von Überlast des übergeordneten Steuersystems isoliert ist.“
  97. Aus den Ausführungsbeispielen ergibt sich allerdings, dass die Vorrichtung zwischen der Art der Information unterscheiden können muss, um jedenfalls die zeitkritischen verzögerungsempfindlichen Informationen stets schnell auszutauschen.
  98. Der Klägerin ist dabei zuzugeben, dass Merkmal 1.2.1 zwar nicht vorgibt, wie die verteilten Steuerkomponenten den Betrieb je nach Art der Informationen steuern bzw. welche Unterschiede es in der Steuerung je nach Art der Information gibt. Nichtsdestotrotz ergibt sich aber aus Merkmal 1.2.1, dass die Vorrichtung zur Differenzierung geeignet und ausgestaltet sein muss. Denn die Frage, was mit einer spezifischen Information angefangen wird, unterscheidet sich von dem grundlegenden Bedürfnis, die Art der Information zunächst zu bestimmen.
  99. Nichts anderes ergibt sich im Übrigen für den Fachmann unter Berücksichtigung einer technisch-funktionalen Betrachtung. Denn für die Lehre des Klagepatents ist es essentiell, dass jedenfalls die verzögerungsempfindlichen Informationen schnell zwischen den Funkmodems ausgetauscht werden, um etwaige Störungen schnell zu beseitigen. Insoweit soll auch die Hauptsteuerung von dieser Aufgabe durch Vorsehen eines eigenen Mehrfachfunksteuersystems entlastet werden. Sofern eine Vorrichtung aber überhaupt nicht zwischen verzögerungsempfindlichen und verzögerungstoleranten Informationen unterscheiden und deren Weiterleitung entsprechend steuern kann, macht auch die Übertragung der Steuerung auf ein eigenes Mehrfachfunksteuersystem keinen Sinn, da in diesem Fall sämtliche Informationen gleich behandelt würden.
  100. 1.2.
    Ausgehend von diesem Verständnis machen die angegriffenen Ausführungsformen keinen Gebrauch von der Merkmalsgruppe 1.2.2, da die Kammer nicht festzustellen vermochte, dass in den angegriffenen Mobiltelefonen zwischen verzögerungstoleranten und verzögerungssensiblen Informationen unterschieden wird und letztgenannte priorisiert weitergeleitet werden.
  101. Zwischen den Parteien ist insoweit unstreitig, dass in den angegriffenen Ausführungsformen über die WCI-2 Schnittstelle Typ 2-Daten/Informationen zwischen den Funkmodems ausgetauscht werden können. Die Klägerin hat ihren Vortrag – auf mehrfache Nachfrage des Gerichts – in der mündlichen Verhandlung zuletzt unter Bezugnahme auf das nachfolgend erneut wiedergegebene Schaubild dahingehend konkretisiert, dass in den CxM-Modulen der Funkmodems der angegriffenen Ausführungsformen danach differenziert würde, ob es sich bei den auszutauschenden Informationen um Typ 2-Informationen und somit um verzögerungsempfindliche Informationen oder um andere, verzögerungstolerante Informationen handele und nur die zeitkritischen Typ 2-Informationen dann über die schnelle WCI-2-Verbindung geschickt würden. Verzögerungstolerante Informationen würden demgegenüber über die (langsamere) Modem-Control-Verbindung geschickt:
  102. Entsprechendes vermochte die Kammer indes nicht festzustellen.
  103. So ist bereits mangels hinreichend substantiierten Vortrags der Klägerin nicht zu erkennen, dass es sich bei den Typ 2-Informationen stets um verzögerungssensible/-empfindliche Informationen handelt. Auf Nachfrage des Gerichts zu den Eigenschaften bzw. dem Ursprung der Typ 2-Informationen hat die Klägerin in der mündlichen Verhandlung klarstellend ausgeführt, dass der Begriff Typ 2-Information bzw. Typ 2-Daten aus einer Bluetooth-Spezifikation stamme. Daraus folgt, dass es sich um Informationen handelt, die für eine Bluetooth-Verbindung bzw. die Steuerung des Bluetooth-Funkmodems von Relevanz sind. Allein aus dieser Zuordnung zu einer bestimmten Verbindungsart folgt aber nicht, jedenfalls aus Sicht der Kammer nicht zwingend, dass es sich dabei stets um solche Informationen/Daten handelt, die für die (Bluetooth-)Verbindung von solch zeitlicher Relevanz sind, dass sie mit Priorität auszutauschen sind.
  104. Soweit die Klägerin in diesem Zusammenhang in der mündlichen Verhandlung nochmals auf die bereits mit der Klageschrift auf den Seiten 33 bis 40 vorgelegten eigenen Versuche verweist, so ergibt sich daraus nichts anderes. Wie aus der nachfolgenden, der Rz. 70 entnommenen Übersicht ersichtlich ist, betreffen die Versuche der Klägerin eine kritische Situation, wie sie bei der gleichzeitigen Nutzung des WLAN-Funkmodems und des LTE-Modems (Band 7) entstehen kann:
  105. Da die von den jeweiligen Funkmodems genutzten Frequenzen äußerst nah beieinanderliegen, kann und wird es bei paralleler Nutzung der Verbindungen zu Interferenzen kommen, die die Leistungsfähigkeit und Qualität der einzelnen Verbindungen spürbar beeinträchtigen können. Wie die Klägerin in der Klage dann weiter ausgeführt hat, veranlasst das WLAN-Funkmodem bzw. dessen Controller nach Erkennung der Konfliktsituation das LTE-Funkmodem dazu sog. SINR-Messungen durchzuführen, deren Ergebnisse das WLAN-Modul dazu verwenden kann, um die durch seine Tätigkeit bei der LTE-Verbindung verursachten Störungen durch Anpassung der Sendeleistung zu minimieren. Entsprechendes soll sich aus der nachfolgenden, der Rz. 73 der Klageschrift entnommenen Abbildung (Hervorhebungen durch Klägerin hinzugefügt) ergeben:
  106. Bereits vor dem Hintergrund, dass es sich bei vorstehend aufgezeigter Konfliktsituation um einen Konflikt zwischen dem WLAN- und dem LTE-Funkmodem handelt, vermochte die Kammer nicht zu erkennen, wieso es sich bei der gelb markierten „0x36“-Information um eine Typ 2-Information (Bluetooth), mithin eine Information betreffend einen anderen Verbindungstyp mit eigenen Schnittstellen, handeln sollte. Die Klägerin hatte diese Übersicht herangezogen, um vermeintlich aufzuzeigen, dass es sich bei Typ 2-Informationen stets um zeitkritische Informationen handelt. Soweit in diesem Zusammenhang und mit Blick auf die SINR-Messungen in der Abbildung noch von „MWS to Bluetooth“ die Rede ist, war für die Kammer nicht nachzuvollziehen, wieso und in welchem Maße die Bluetooth-Schnittstelle bzw. -verbindung im untersuchten Konfliktfall WLAN – LTE überhaupt eine Rolle spielen sollte.
  107. Unabhängig davon vermochte die Kammer ebenfalls nicht festzustellen, dass und wieso gerade in dem CxM-Modul (702) eine Differenzierung zwischen verzögerungsempfindlichen und verzögerungstoleranten (Typ 2-)Informationen stattfindet. Diese pauschale Behauptung hat die Klägerin durch keine weiteren Erläuterungen zu stützten vermocht. So fehlt es bereits an grundlegendem Vortrag der Klägerin dazu, wofür das CxM-Modul überhaupt zuständig ist und welche Daten/Informationen es verarbeitet.
  108. Gegen eine Unterscheidung zwischen verzögerungsempfindlichen und verzögerungstoleranten (Typ 2-)Informationen im bzw. durch das CxM-Modul spricht nicht zuletzt, dass – wie den Schaubildern zum Aufbau der angegriffenen Ausführungsformen entnommen werden kann – nicht das CxM-Modul einen anderen, alternativen und vermeintlichen langsameren Weg (Modem-Control) bedient, sondern ein anderes Bauteil (MODEM Contrl, 702). Daher ist nicht zu erkennen, dass das CxM-Modul – wie von der Klägerin zuletzt behauptet – zwei unterschiedliche Wege/Schnittstellen aufweist, über die es die von ihm vermeintlich nach Kategorie eingeteilten Informationen jeweils versenden kann.
  109. B.
    Die Nebenentscheidungen folgen aus §§ 91 Abs. 1; 709 ZPO.

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