Düsseldorfer Entscheidungen Nr. 3234
Landgericht Düsseldorf
Urteil vom 9. August 2022, Az. 4c O 1/21I. Die Beklagte zu 1) wird verurteilt,
- 1. es bei Meidung eines für jeden Fall der Zuwiderhandlung vom Gericht festzusetzenden Ordnungsgeldes bis zu 250 000 € – ersatzweise Ordnungshaft – oder einer Ordnungshaft bis zu sechs Monaten, im Falle wiederholter Zuwiderhandlung bis zu insgesamt zwei Jahren, wobei die Ordnungshaft hinsichtlich der Beklagten zu 1) an ihrem Geschäftsführer zu vollziehen ist, zu unterlassen,
- Servicemodule für eine Reihe von Elektrolysezellen, die für die Herstellung von N durch Schmelzflusselektrolyse bestimmt sind, wobei das Servicemodul ein Gestell und einen Turm umfasst, der Chassis zur Befestigung an einem Schlitten geeignet ist, der Turm an dem Gestell befestigt und im Einsatz um eine vertikale Achse A schwenkbar ist, wobei die vertikale Achse A eine im Wesentlichen horizontale Ebene Pt definiert, die als Turmebene bezeichnet wird, wobei der Turm mit einem Werkzeugsatz und einem Vorbau oder einer Kabine ausgestattet ist, wobei der Werkzeugsatz ein an einem Teleskoparm angebrachtes Stechwerkzeug, eine an einem Teleskoparm angebrachte Becherschaufel, zumindest einen an einem Teleskoparm angebrachten ersten Anodengreifer und einen mit einer einziehbaren Leitung versehenen Trichter beinhaltet, wobei der Vorbau bzw. die Kabine Steuerungen zum Bedienen des Moduls und der Werkzeuge und einen Führerstand umfasst, von dem eine Bedienperson die Steuerungen betätigt,
- in der Bundesrepublik Deutschland anzubieten,
- bei denen in Bezug auf eine erste Ebene P1 und eine zweite Ebene P2, die senkrecht zueinander und zur Ebene Pt des Turms sind und sich auf der Achse A schneiden, gilt:
- die Mitte C des Führerstands ist in einem bestimmten Abstand C1 zur Ebene P1 und in einem bestimmten Abstand C2 zur Ebene P2 positioniert,
- die Mitte der Becherschaufel und die Mitte des ersten Anodengreifers sind auf der entgegengesetzten Seite der Ebene P1 in Bezug auf den Führerstand positioniert,
- das Stechwerkzeug und die einziehbare Leitung sind zwischen dem Führerstand und der durch die Becherschaufel und den ersten Anodengreifer ausgebildeten Reihe angeordnet;
- 2. der Klägerin darüber Auskunft zu erteilen, in welchem Umfang sie die zu Ziffer 1. bezeichneten Handlungen seit dem 2. November 2016 begangen hat, und zwar unter Angabe
- a) der Namen und Anschriften der Hersteller, Lieferanten und anderer Vorbesitzer,
b) der Namen und Anschriften der gewerblichen Abnehmer sowie der Verkaufsstellen, für die die Erzeugnisse bestimmt waren,
c) der Menge der hergestellten, ausgelieferten, erhaltenen oder bestellten Erzeugnisse sowie der Preise, die für die betreffenden Erzeugnisse bezahlt wurden; - wobei
- – zum Nachweis der Angaben die entsprechenden Kaufbelege (nämlich Rechnungen, hilfsweise Lieferscheine) in Kopie vorzulegen sind, wobei geheimhaltungsbedürftige Details außerhalb der auskunftspflichtigen Daten geschwärzt werden dürfen;
- 3. der Klägerin darüber Rechnung zu legen, in welchem Umfang sie die zu Ziffer 1. bezeichneten Handlungen seit dem 2. Dezember 2016 begangen hat, und zwar unter Angabe:
- a) der Herstellungsmengen und -zeiten,
b) der einzelnen Lieferungen, aufgeschlüsselt nach Liefermengen, -zeiten, -preisen und Typenbezeichnungen sowie den Namen und Anschriften der Abnehmer,
c) der einzelnen Angebote, aufgeschlüsselt nach Angebotsmengen, -zeiten, -preisen und Typenbezeichnungen sowie den Namen und Anschriften der gewerblichen Angebotsempfänger,
d) der betriebenen Werbung, aufgeschlüsselt nach Werbeträgern, deren Auflagenhöhe, Verbreitungszeitraum und Verbreitungsgebiet,
e) der nach den einzelnen Kostenfaktoren aufgeschlüsselten Gestehungskosten und des erzielten Gewinns, - wobei den Beklagten vorbehalten bleibt, die Namen und Anschriften der nichtgewerblichen Abnehmer und der Angebotsempfänger statt der Klägerin einem von der Klägerin zu bezeichnenden, ihr gegenüber zur Verschwiegenheit verpflichteten, in der Bundesrepublik Deutschland ansässigen, vereidigten Wirtschaftsprüfer mitzuteilen, sofern die Beklagten dessen Kosten tragen und ihn ermächtigen und verpflichten, der Klägerin auf konkrete Anfrage mitzuteilen, ob ein bestimmter Abnehmer oder Angebotsempfänger in der Aufstellung enthalten ist.
- II. Es wird festgestellt, dass die Beklagte zu 1) verpflichtet ist, der Klägerin allen Schaden zu ersetzen, der ihr durch die zu Ziffer I.1. bezeichneten, seit dem 2. Dezember 2016 begangenen Handlungen entstanden ist und noch entstehen wird.
- III. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
- IV. Die außergerichtlichen Kosten der Beklagten zu 2) bis 4) hat die Klägerin zu tragen. Die übrigen Kosten des Rechtsstreits werden der Klägerin zu 75 % und der Beklagten zu 1) zu 25 % auferlegt.
- V. Das Urteil im Hinblick auf die Ziffer I.1. gegen Sicherheitsleistung in Höhe von EUR 1.700.000,00, im Hinblick auf die Ziffern I.2. und I.3. gegen Sicherheitsleistung in Höhe von EUR 250.000,00 und im Hinblick auf die Kosten gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 120% des jeweils zu vollstreckenden Betrages vorläufig vollstreckbar.
- VI. Der Streitwert wird auf EUR 2.500.000,00 festgesetzt.
- Tatbestand
- Die Klägerin mit Sitz in A stellt her und vertreibt weltweit Servicemodule für Nhütten, d.h. Anlagen zur Gewinnung von N aus Noxid mittels des sog. Hall-Heroult-Prozesses.
- Sie macht – als eingetragene und allein verfügungsberechtigte Inhaberin – Ansprüche auf Unterlassung, Auskunft und Rechnungslegung, Rückruf und Vernichtung sowie Feststellung der Schadensersatzverpflichtung dem Grunde nach wegen Verletzung des deutschen Teils des europäischen Patents EP 1 XXX XXX B1 (Anlage PBP 3, in deutscher Übersetzung als Anlage PBP 4 vorgelegt; im Folgenden: Klagepatent) geltend, das unter Inanspruchnahme einer französischen Priorität vom 25. März 2004 (FR XXX) am 22. März 2005 angemeldet und als Anmeldung am 10. Januar 2007 offengelegt wurde. Der Hinweis auf die Erteilung des Klagepatents wurde am 2. November 2016 bekanntgemacht. Das Klagepatent steht in Kraft.
- Die Beklagte zu 1) hatte bereits im Jahr 2019 gegen das Klagepatent Nichtigkeitsklage zum Bundespatentgericht (Az. 3 Ni 20/19 (EP)) erhoben. Nachdem die Kammer den Verletzungsrechtsstreit auf die mündlichen Verhandlung vom 16. Dezember 2021 mit Beschluss vom 18. Januar 2022 (Az. 4c O 1/21) bis zu einer erstinstanzlichen Entscheidung über die Nichtigkeitsklage ausgesetzt hatte, wies das Bundespatentgericht die Nichtigkeitsklage mit Entscheidung vom 18. Mai 2022 ab (vgl. Protokoll der Sitzung des BPatG vom 18. Mai 2022, vorgelegt als Anlage 1 zum Schriftsatz der Klägerin vom 9. Juni 2022).
- Das Klagepatent betrifft ein kompaktes Servicemodul für Anlagen zur elektrolytischen Herstellung von N. Der Anspruch 1 des – in französischer Sprache angemeldeten und erteilten – Klagepatents lautet:
- „1. Module de service (7) d’une série de cellules d’électrolyse (2) destinée à la production d’N par électrolyse ignée comprenant un châssis (8) apte à être fixé à un chariot (6) et une tourelle (9) montée sur le châssis (8) de manière à pouvoir pivoter autour d’un axe vertical A en utilisation, définissant un plan Pt sensiblement horizontal en utilisation, dit plan de la tourelle, et équipée de:
“- un ensemble d’outils incluant notamment un piqueur (11) monté sur un bras télescopique (11a), une pelle à godets (12) montée sur un bras télescopique (12a), au moins une première pince à anodes (13) montée sur un bras télescopique (13a) et une trémie (15) munie d’un conduit escamotable (16);
– un balcon ou une cabine (18) comportant des commandes destinées à manoeuvrer le module et lesdits outils et un poste de conduite (19) duquel un opérateur peut actionner lesdites commandes, et caractérisé en ce que, par rapport à un premier plan P1 et à un deuxième plan P2, perpendiculaires l’un à l’autre et au plan Pt de la tourelle (9) et se croisant sur l’axe A:
– le centre C du poste de conduite (19) est situé à une distance déterminée C1 du plan P1 et à une distance déterminée C2 du plan P2;
– le centre de la pelle à godets (12) et le centre de la première pince à anodes (13) sont situés du côté opposé du plan P1 par rapport au poste de conduite (19);
– le piqueur (11) et le conduit escamotable (16) sont disposés entre le poste de conduite (19) et la rangée formée par la pelle à godets (12) et la première pince à anodes (13).” - Übersetzt lautet der Anspruch 1:
- „1. Servicemodul (7) einer Reihe von Elektrolysezellen (2) zur Herstellung von N durch Schmelzflusselektrolyse, umfassend ein Gestell (8), das geeignet ist, an einem Wagen (6) befestigt zu sein, und einen Turm (9), der so am Gestell (8) angebracht ist, dass er im Einsatz um eine vertikale Achse A, die eine im Einsatz im Wesentlichen horizontale Ebene Pt definiert, die als Turmebene bezeichnet wird, schwenkbar ist und mit Folgendem ausgestattet ist:
– einen Werkzeugsatz, der insbesondere ein an einem Teleskoparm (l la) angebrachtes Stechwerkzeug (11), eine an einem Teleskoparm (12a) angebrachte Becherschaufel (12), zumindest einen an einem Teleskoparm (13a) angebrachten ersten Anodengreifer (13) und einen mit einer einziehbaren Leitung (16) versehenen Trichter (15) beinhaltet;
– einen Vorbau oder eine Kabine (18), der bzw. die Steuerungen zum Bedienen des Moduls und der Werkzeuge und einen Führerstand (19), von dem eine Bedienperson die Steuerungen betätigen kann, umfasst, und dadurch gekennzeichnet ist, dass in Bezug auf eine erste Ebene P1 und eine zweite Ebene P2, die senkrecht zueinander und zur Ebene Pt des Turms (9) sind und sich auf der Achse A schneiden:
– die Mitte C des Führerstands (19) in einem bestimmten Abstand C1 zur Ebene P1 und in einem bestimmten Abstand C2 zur Ebene P2 positioniert ist;
– die Mitte der Becherschaufel (12) und die Mitte des ersten Anodengreifers (13) auf der entgegengesetzten Seite der Ebene P1 in Bezug auf den Führerstand (19) positioniert sind;
– das Stechwerkzeug (11) und die einziehbare Leitung (16) zwischen dem Führerstand (19) und der durch die Becherschaufel (12) und den ersten Anodengreifer (13) ausgebildeten Reihe angeordnet sind.“ - Wegen des Wortlauts der lediglich insbesondere geltend gemachten Patentansprüche 2, 10, 11 und 15 wird auf die Klagepatentschrift verwiesen.
- Die nachstehend verkleinert wiedergegebenen Figuren sind dem Klagepatent entnommen und erläutern dessen technische Lehre anhand bevorzugter Ausführungsbeispiele:
- Figur 1 zeigt einen typischen Elektrolyseraum, im Querschnitt gesehen, für die Herstellung von N mit einer schematisch dargestellten Serviceeinheit. Figur 2 zeigt schematisch die Anordnung der Basiswerkzeuge des Servicemoduls gemäß der Erfindung, gesehen von unten. Die Figuren 4 und 5 stellen schematische Ausführungsbeispiele in Seitenansicht dar. Figur 6 veranschaulicht schließlich die Anodenwechselvorgänge, die mit einem erfindungsgemäßen Modul durchgeführt werden können.
- Die Beklagte zu 1) hat ihren Sitz in B und ist auf dem Gebiet der Entwicklung und Konstruktion von Spezialkränen und speziellen Handhabungsgeräten weltweit tätig, wobei einer ihrer Tätigkeitsfelder die N-Sparte ist. Sie geht zurück auf die D GmbH (XXX) und ist seit 2002 als E GmbH bzw. seit XXX als F GmbH Teil der französischen F-Gruppe. Der Beklagte zu 2) zeichnet sich bei der Beklagten zu 1) für den Geschäftsbereich „XXX“ verantwortlich. Die Beklagten zu 3) und 4) wurden unter dem 17. Januar XXX als Geschäftsführer der Beklagten zu 1) ins Handelsregister eingetragen.
- Gemäß Antrag der Klägerin vom 21. Dezember 2018 und 10. Januar 2019 leitete die Kammer mit Beschluss vom 14. Januar 2019 (Az. 4c O 98/18) ein selbstständiges Beweisverfahren nach dem Düsseldorfer Modell gegen die Beklagte zu 1) wegen der glaubhaft gemachten Verletzung des deutschen Teils des Klagepatents ein. Unter dem 10. Mai 2019 erstattete die Sachverständige Dr. G sodann ihr Gutachten, wobei die Parteien im Anschluss zunächst noch über den Umfang der Herausgabe des Gutachtens an die Klägerin persönlich stritten. Durch Beschluss vom 22. Juni 2020 (Az. I-2 W 10/20) hat das Oberlandesgericht das Gutachten der Sachverständigen Dr. G in einer teilgeschwärzten Fassung freigegeben und die Vertreter der Klägerin insoweit auch von ihrer Verschwiegenheitsverpflichtung entbunden. Wegen des Inhalts des freigegebenen Gutachtens wird auf die Anlage PBP 7 und wegen des Inhalts des Beschlusses des Oberlandesgerichts Q wird auf die Anlage PBP 8 Bezug genommen wird.
- Streitgegenständlich sind folgende, von der Beklagten angebotene Servicemodule bzw. weitere Handlungen: Die Anlage H in I, die Anlage J in K, die Anlage L in M und der Auftritt der Beklagten auf der Messe „N“ in O in Form einer virtuellen Präsentation eines Servicemoduls (zusammen im Folgenden: angegriffene Ausführungsformen).
- Am 11. Oktober 2012 hatte die Anlagenbetreiberin H N (H) über die Generalunternehmerin P ein Ausschreibungsverfahren für eine Anlage in F eingeleitet, welches nach jahrelangen Treffen und Verhandlungen zu Gunsten der Beklagten zu 1) ausging. Unter dem 12. Juli bzw. 29. Juli 2016 unterzeichneten die Anlagenbetreiberin und die Beklagte zu 1) einen Vertrag über die Lieferung des streitgegenständlichen Servicemoduls. Im Zeitraum von Dezember 2016 bis Februar 2017 kam es dann zu einem sog. „variation order request“, mit dem die Anlagenbetreiberin Planungsungenauigkeiten bei der Mitteilung der Hallenmaße mitteilte, die dazu führten, dass die Oberseite des Krans von der Beklagten zu 1) geändert werden musste.
- Unter dem 21. Februar 2017 gab die Beklagte zu 1) ein erneuertes Angebot für ein Servicemodul ab, welches die Anlage J in K betraf.
- Im November 2018 nahm die Beklagte zu 1) an einer Ausschreibung für eine Anlage in M teil, wobei dieses Ausschreibungsverfahren noch nicht abgeschlossen ist.
- Auf der Messe „N“, die XXX in Q stattfand, hatte die Beklagte zu 1) einen eigenen Stand unterhalten, auf dem unter anderem über eine Virtual Reality Konsole eine Präsentation gezeigt wurde.
- Die Klägerin meint, die angegriffenen Ausführungsformen machten von der technischen Lehre des Klagepatents wortsinngemäß und mit Blick auf einige der geltend Unteransprüche jedenfalls äquivalenten Gebrauch.
- Entgegen der Auffassung der Beklagten fordere das Klagepatent nicht, dass die einziehbare Leitung und das Stechwerkzeug in einem V-förmigen Korridor zwischen der Mitte des Führerstandes und der Mitte der beiden anderen Werkzeuge liegen müssen. Vielmehr müssten diese Werkezuge nur in einem Korridor liegen, der unten durch den Führerstand und oben durch die aus dem (ersten) Anodengreifer und der Becherschaufel bestehende Reihe gebildet werde, der also durch die jeweils außen liegende Seite des (ersten) Anodengreifers sowie der Becherschaufel begrenzt werde.
- Die gerichtliche Sachverständige Dr. G habe insoweit sowohl für die Anlage H/F wie auch für die Anlagen J/K und L/M festgestellt, dass die jeweils angebotenen Servicemodule wortsinngemäßen Gebrauch von den Merkmalen des Anspruchs 1 machten. Mit Blick auf die Anlage H/F ergebe sich ein patentverletzendes Angebot im Sinne von § 9 PatG daraus, dass die Beklagte die für die F N PJSC vorgesehene Gesamtanlage und damit auch das streitgegenständliche Servicemodul nach Abschluss des Vertrages mit dem Anlagenbetreiber im Juni 2016 und nach Erteilung des Klagepatents im November 2016 erneut angeboten habe. Insbesondere sei es im Zeitraum von Dezember 2016 bis Februar 2017 zu einem „variation order request“ gekommen, in Folge dessen die Oberseite des Krans – insoweit unstreitig – geändert werden musste. Dies führe dazu, dass die Gesamtanlage nach Patenterteilung (erneut) angeboten worden sei. Eine entsprechende Auffassung habe auch das Oberlandesgericht Q in seinem Beschluss vom 22. Juni 2020 (Anlage PBP 8) geteilt.
- Soweit die gerichtliche Sachverständige Dr. G ein patentverletzendes Angebot auf der Messe N nicht mit der erforderlichen Sicherheit habe festzustellen vermocht, da ihr die dort gezeigte Virtual Reality Konsole nebst Präsentation im Besichtigungstermin nicht zur Verfügung gestanden habe, lägen indes hinreichende Verdachtsmomente für eine Patentverletzung vor, so dass die Beklagten im Wege der ihr obliegenden sekundären Darlegungslast aufzuzeigen haben, dass das dort gezeigte Servicemodel nicht unter das Klagepatent falle.
- Ferner meint sie, die Beklagten schulden ihr auch Schadenersatz für solche Umsätze, die nicht unmittelbar aus dem Angebot der patentverletzenden Service-Module resultierten, sich aber aus direkt zuzuordnenden Folgeaufträgen ergeben würden, insbesondere Serviceaufträgen. Entsprechende Umsätze seien jedenfalls mit der Anlage H/F erzielt worden bzw. würden erzielt, da die Beklagte dort den Zuschlag erhalten habe.
- Soweit neben dem Anbieten auch die übrigen Verletzungshandlungen des § 9 PatG Gegenstand des Klagebegehrens seien, so läge diesbezüglich jedenfalls Erstbegehungsgefahr vor, da bei einem Herstellungsunternehmen wie der Beklagten zu 1) jede Angebotshandlung – im Allgemeinen – auch die Begehungsgefahr für das Inverkehrbringen, Gebrauchen, Besitzen und Einführen schaffe.
- Die Passivlegitimation des Beklagten zu 2) ergebe sich bereits daraus, dass er auf dem im Nichtigkeitsverfahren relevanten Foto mit dem „Sunndal“-Kran aus dem Jahr 2002 zu sehen sei, was dafür spreche, dass dieser Teil des Geschäfts der Beklagten zu 1) auch in seinen Verantwortungsbereich fiele. Zudem habe das bei dem Besichtigungstermin mit der gerichtlichen Sachverständigen Dr. G vor Ort anwesende Mitglied der Geschäftsleitung der Beklagten zu 1), Frau Z, sowohl den Beklagten zu 2) wie auch den Beklagten zu 4) kontaktiert. Schließlich hätten die Beklagten zu 2) bis 4) nicht dargelegt, dass ihnen nur ein abgegrenzter, nicht mit den streitgegenständlichen Anlagen in Berührung stehender Verantwortungsbereich obliegen habe.
- Die Klägerin beantragt,
I. die Beklagten zu verurteilen, - 1. es bei Meidung eines für jeden Fall der Zuwiderhandlung vom Gericht festzusetzenden Ordnungsgeldes bis zu 250 000 € – ersatzweise Ordnungshaft – oder einer Ordnungshaft bis zu sechs Monaten, im Falle wiederholter Zuwiderhandlung bis zu insgesamt zwei Jahren, wobei die Ordnungshaft hinsichtlich der Beklagten zu 1) an ihrem Geschäftsführer zu vollziehen ist, zu unterlassen,
- Servicemodule (7) für eine Reihe von Elektrolysezellen (2), die für die Herstellung von N durch Schmelzflusselektrolyse bestimmt sind, wobei das Servicemodul ein Gestell (8) und einen Turm (9) umfasst, der Chassis zur Befestigung an einem Schlitten (6) geeignet ist, der Turm (9) an dem Gestell (8) befestigt und im Einsatz um eine vertikale Achse A schwenkbar ist, wobei die vertikale Achse A eine im Wesentlichen horizontale Ebene Pt definiert, die als Turmebene bezeichnet wird, wobei der Turm mit einem Werkzeugsatz und einem Vorbau oder einer Kabine (18) ausgestattet ist, wobei der Werkzeugsatz ein an einem Teleskoparm (11a) angebrachtes Stechwerkzeug (11), eine an einem Teleskoparm (12a) angebrachte Becherschaufel (12), zumindest einen an einem Teleskoparm (13a) angebrachten ersten Anodengreifer (13) und einen mit einer einziehbaren Leitung (16) versehenen Trichter (15) beinhaltet, wobei der Vorbau bzw. die Kabine Steuerungen zum Bedienen des Moduls und der Werkzeuge und einen Führerstand umfasst, von dem eine Bedienperson die Steuerungen betätigt,
- in der Bundesrepublik Deutschland anzubieten, in Verkehr zu bringen oder zu gebrauchen oder zu den genannten Zwecken einzuführen oder zu besitzen,
- bei denen in Bezug auf eine erste Ebene P1 und eine zweite Ebene P2, die senkrecht zueinander und zur Ebene Pt des Turms (9) sind und sich auf der Achse A schneiden, gilt:
- die Mitte C des Führerstands (19) ist in einem bestimmten Abstand C1 zur Ebene P1 und in einem bestimmten Abstand C2 zur Ebene P2 positioniert,
- die Mitte der Becherschaufel (12) und die Mitte des ersten Anodengreifers (13) sind auf der entgegengesetzten Seite der Ebene P1 in Bezug auf den Führerstand (19) positioniert,
- das Stechwerkzeug (11) und die einziehbare Leitung (16) sind zwischen dem Führerstand (19) und der durch die Becherschaufel (12) und den ersten Anodengreifer (13) ausgebildeten Reihe angeordnet;
(unmittelbare Verletzung von Anspruch 1 der EP 1 XXX XXX B1) - insbesondere wenn die Mitte der Becherschaufel (12) und die Mitte des ersten Anodengreifers (13) auf entgegengesetzten Seiten der Ebene P2 positioniert sind;
(unmittelbare Verletzung von Anspruch 2 der EP 1XXX XXX B1) - und/oder
- insbesondere wenn das Servicemodul zumindest einen zusätzlichen Anodengreifer (14) umfasst, dessen Mitte auf derselben Seite der Ebenen P1 und P2 wie die Mitte des ersten Anodengreifers (13) positioniert ist;
(unmittelbare Verletzung von Anspruch 10 der EP 1XXX XXX B1) - und/oder
- insbesondere wenn das Servicemodul einen einzigen Anodengreifer (13) umfasst, der in der Lage ist, zwei Anoden, die am selben Schaft befestigt sind, zu ergreifen, wobei die Mitte des Anodengreifers für zwei Anoden in Bezug auf die Mitte der Becherschaufel auf der entgegengesetzten Seite der Ebene P2 positioniert und in Bezug auf den Führerstand auf der entgegengesetzten Seite der Ebene P1 positioniert ist;
(äquivalente Verletzung von Anspruch 10 der EP 1XXX XXX B1) - und/oder
- insbesondere wenn das Servicemodul zumindest einen zusätzlichen Anodengreifer (14) umfasst, dessen Mitte auf derselben Seite der Ebenen P1 und P2 wie die Mitte des ersten Anodengreifers (13) positioniert ist, und wobei die Mitte des zusätzlichen Anodengreifers bzw. der zusätzlichen Anodengreifer (14) in einer Ebene Pa positioniert ist, die parallel zur Ebene P1 ist und durch die Mitte des ersten Anodengreifers (13) verläuft;
(unmittelbare Verletzung von Anspruch 11 der EP 1XXX XXX B1) - und/oder
- insbesondere wenn Servicemodul einen einzigen Anodengreifer umfasst, der in der Lage ist, zwei Anoden, die am selben Schaft befestigt sind, zu ergreifen, wobei die Mitte des Anodengreifers für zwei Anoden in Bezug auf die Mitte der Becherschaufel auf der entgegengesetzten Seite der Ebene P2 positioniert und in Bezug auf den Führerstand auf der entgegengesetzten Seite der Ebene P1 positioniert ist und wobei die Mitte des Anodengreifers in einer Ebene Pa positioniert ist, die parallel zur Ebene P1 ist und durch die Mitten der beiden Anoden verläuft;
(äquivalente Verletzung von Anspruch 11 der EP 1XXX XXX B1) - und/oder
- insbesondere wenn sich das Stechwerkzeug (11) und die einziehbare Leitung (16) zwischen der Ebene P12, die parallel zur Achse A ist und durch die Mitte des Führerstands (19) und die Mitte der Becherschaufel (12) verläuft, und der Ebene P13 oder P14, die parallel zur Achse A ist und durch die Mitte des Führerstands (19) und die Mitte des Anodengreifers (13 oder 14), der am weitesten von der Mitte der Schaufel entfernt ist, befindet;
(unmittelbare Verletzung von Anspruch 15 der EP 1XXX XXX B1) - 2. dem Kläger darüber Auskunft zu erteilen, in welchem Umfang sie (die Beklagten) die zu Ziffer 1 bezeichneten Handlungen seit dem 2. November 2016 begangen haben, und zwar unter Angabe
- a) der Namen und Anschriften der Hersteller, Lieferanten und anderer Vorbesitzer,
b) der Namen und Anschriften der gewerblichen Abnehmer sowie der Verkaufsstellen, für die die Erzeugnisse bestimmt waren,
c) der Menge der hergestellten, ausgelieferten, erhaltenen oder bestellten Erzeugnisse sowie der Preise, die für die betreffenden Erzeugnisse bezahlt wurden; - wobei
- – sich die Verpflichtung zur Auskunftserteilung für die vor dem 1.5.1992 begangene Handlungen auf Handlungen in dem Gebiet der Bundesrepublik Deutschland in den bis zum 02.10.1990 bestehenden Grenzen beschränkt;
– die Verkaufsstellen, Einkaufspreise und Verkaufspreise nur für die Zeit seit dem 30.4.2006 anzugeben sind;
– zum Nachweis der Angaben die entsprechenden Kaufbelege (nämlich Rechnungen, hilfsweise Lieferscheine) in Kopie vorzulegen sind, wobei geheimhaltungsbedürftige Details außerhalb der auskunftspflichtigen Daten geschwärzt werden dürfen; - 3. dem Kläger darüber Rechnung zu legen, in welchem Umfang sie (die Beklagten) die zu Ziffer 1 bezeichneten Handlungen seit dem 2. Dezember 2016 begangen haben, und zwar unter Angabe:
- a) der Herstellungsmengen und -zeiten,
b) der einzelnen Lieferungen, aufgeschlüsselt nach Liefermengen, -zeiten, -preisen und Typenbezeichnungen sowie den Namen und Anschriften der Abnehmer,
c) der einzelnen Angebote, aufgeschlüsselt nach Angebotsmengen, -zeiten, -preisen und Typenbezeichnungen sowie den Namen und Anschriften der gewerblichen Angebotsempfänger,
d) der betriebenen Werbung, aufgeschlüsselt nach Werbeträgern, deren Auflagenhöhe, Verbreitungszeitraum und Verbreitungsgebiet,
e) der nach den einzelnen Kostenfaktoren aufgeschlüsselten Gestehungskosten und des erzielten Gewinns, - wobei den Beklagten vorbehalten bleibt, die Namen und Anschriften der nichtgewerblichen Abnehmer und der Angebotsempfänger statt der Klägerin einem von der Klägerin zu bezeichnenden, ihr gegenüber zur Verschwiegenheit verpflichteten, in der Bundesrepublik Deutschland ansässigen, vereidigten Wirtschaftsprüfer mitzuteilen, sofern die Beklagten dessen Kosten tragen und ihn ermächtigen und verpflichten, der Klägerin auf konkrete Anfrage mitzuteilen, ob ein bestimmter Abnehmer oder Angebotsempfänger in der Aufstellung enthalten ist;
- 4. nur die Beklagte zu 1): die in ihrem unmittelbaren oder mittelbaren Besitz oder in ihrem Eigentum befindlichen, unter 1. bezeichneten Erzeugnisse an einen von der Klägerin zu benennenden Gerichtsvollzieher zum Zwecke der Vernichtung auf ihre – der Beklagten zu 1) – Kosten herauszugeben;
- 5. nur die Beklagte zu 1): die unter 1. bezeichneten, seit dem 02.12.2016 in Verkehr gebrachten Erzeugnisse gegenüber den gewerblichen Abnehmern schriftlich unter Hinweis auf den gerichtlich (Urteil des … vom …) festgestellten patentverletzenden Zustand der Sache und mit der verbindlichen Zusage zurückzurufen, etwaige Entgelte zu erstatten sowie notwendige Verpackungs- und Transportkosten sowie mit der Rückgabe verbundene Zoll- und Lagerkosten zu übernehmen und die Erzeugnisse wieder an sich zu nehmen;
- II. festzustellen, dass die Beklagten als Gesamtschuldner verpflichtet sind, dem Kläger allen Schaden zu ersetzen, der ihm durch die zu I.1. bezeichneten, seit dem 2. Dezember 2016 begangenen Handlungen entstanden ist und noch entstehen wird.
-
Die Beklagten beantragen,
die Klage abzuweisen. - Die Beklagten meinen, die angegriffenen Ausführungsformen verwirklichten die technische Lehre des Klagepatents nicht.
- Anspruch 1 des Klagepatents mache nicht nur konkrete Vorgaben dazu, wo die einzelnen Werkzeuge in Bezug zur Kabine/Führerstand anzuordnen seien, er definiere zudem einen bestimmten Korridor, innerhalb dessen das Stechwerkzeug und die einziehbare Leitung angeordnet seien müssen. Dieser Korridor müsse ausgehend vom Führerstand V-förmig ausgestaltet sein und werde am oberen Ende des V durch die Becherschaufel und den (ersten) inneren Anodengreifer begrenzt. Ein entsprechendes Verständnis habe sowohl die Klägerin als auch das Bundespatentgericht im parallelen Nichtigkeitsverfahren vertreten. Aus dem Zweck des Klagepatents, die Bereitstellung eines kompakten Moduls bei ungehinderter Sicht, folge auch, dass sich die Werkzeuge sowohl in Arbeits- wie auch in ihrer Parkposition innerhalb dieses Korridors befinden müssten. Ausgehend von diesem Verständnis mache keiner der drei angegriffenen Kräne H/F, J/K und L/M Gebrauch von der Lehre des Klagepatents, da jedenfalls die einziehbare Leitung nicht in dem V-förmigen Korridor angeordnet sei.
- Die Klägerin würde den Beklagten ausschließlich patentverletzende Angebotshandlung vorwerfen, da andere Handlungen im Sinne des § 9 PatG nicht innerhalb der Bundesrepublik Deutschland vorgenommen worden seien, insbesondere würden die Anlagen weder in Deutschland hergestellt noch in Verkehr gebracht. Auch habe die Beklagte zu 1) keine entsprechenden Anlagen in Deutschland im Besitz gehabt.
- Mit Blick auf die Anlage H/F seien alle relevanten Handlungen vor Erteilung des Klagepatents erfolgt, weshalb sie patentrechtlich rechtmäßig gewesen seien. So sei das jahrelange Ausschreibungsverfahren im Sommer 2016 vor Patenterteilung mit Erteilung des Auftrags an die Beklagte zu 1) und der entsprechenden Vertragsunterzeichnung abgeschlossen gewesen. Alle Handlungen, die von der Beklagten zu 1) aus Deutschland heraus noch nach Patenterteilung vorgenommen worden seien, hätten lediglich die Vertragsdurchführung betroffen; insbesondere habe es sich bei dem von der Klägerin in Bezug genommenen „variation order requests“ um routinemäßige Maßnahmen der Vertragsdurchführung gehandelt, durch die kleineren Detailungenauigkeiten und Planungsfehlern, die bei Projekten dieser Größenordnung unvermeidlich seien, abgeholfen worden sei.
- Mit Blick auf die Anlage L/M würde sich aus den Angebotsunterlagen bereits nicht die konkrete räumlich-körperliche Ausgestaltung der Werkzeuganordnung ergeben, so dass es an einer klagepatentgemäßen Ausgestaltung fehle. Soweit die Klägerin auf Seite 62 der Klageschrift Bezug nehme, und zwar auf eine von ihr beschriftete Zeichnung, die den Angebotsunterlagen entnommen worden sei, so würde diese 2D-Zeichnung eine Ebene des angebotenen Krans zeigen, die deutlich oberhalb der Werkzeuge liege, so dass ihr insbesondere die genaue Anordnung des Stechwerkzeugs und der einziehbaren Leitung nicht zu entnehmen sei. Da es sich bei den einzelnen Anlagen jeweils um Einzelanfertigungen handele, könne auch nicht von anderen Anlagen auf die konkrete Anordnung der Werkzeuge geschlossen werden. Soweit die Sachverständige in ihrem Gutachten auf eine CAD-Zeichnung Bezug genommen habe, gehörten diese nicht zu dem L-Angebot.
- Mit Blick auf den Auftritt der Beklagten zu 1) auf der Messe N 2018 in Q habe die gerichtliche Sachverständige eine Verletzung des Klagepatents nicht feststellen können, so dass die Behauptungen der Klägerin ins Blaue hinein erfolgt seien.
- Gleiches gelte für die Passivlegitimation der Beklagten zu 2) bis 4), da insoweit jeglicher Vortrag der Klägerin fehle, wieso die Beklagten zu 2) bis 4) für das Verhalten der Beklagten zu 1) einzustehen haben. Zum Zeitpunkt der Ausschreibungen der Anlagen H/F, J/K und L/M bzw. der jeweiligen Angebotshandlungen seien die Beklagten zu 3) und 4) noch nicht Geschäftsführer der Beklagten zu 1) gewesen. Der Beklagte zu 2) sei für den Bereich „T“ bei der Beklagten zu 1) verantwortlich und damit für einen anderen Geschäftsbereich als „N“.
- Die Anträge der Klägerin seien zudem zu weitgehend, da es für die Benutzungshandlungen des Inverkehrbringens, Gebrauchens, Einführens und Besitzens sowohl an der Wiederholungs- wie auch einer Erstbegehungsgefahr fehle. Soweit die Klägerin auf die in Deutschland in X und Y sitzenden Unternehmen S und U abstelle, habe die Beklagte zu 1) diese Unternehmen in der Vergangenheit nicht mit Servicemodulen beliefert und werde dies auch in Zukunft nicht tun, da deren Nöfen in der Regel nicht mittels Kränen, sondern mittels Fahrzeugen gewartet würden, so dass die technischen Lösungen der Beklagten zu 1) für diese Anlagen ungeeignet seien. Sofern die Klägerin zuletzt noch auf die beiden U-Werke in Voerde und Hamburg verwiesen habe, so würden dort zwar Servicekräne eingesetzt, derzeit seien diesbezüglich aber keine Ausschreibungsverfahren für neue Servicemodule vorhanden bzw. geplant. Vor dem Hintergrund der Dauer solcher Verfahren und der derzeitigen Energiekrise sei mit einer entsprechenden Ausschreibung bis zum Ablauf des Klagepatents auch nicht mehr zu rechnen.
- Das Gericht hat im Wege des selbstständiges Beweisverfahrens nach dem Düsseldorfer Modell auf Grundlage seines Beschlusses vom 14. Januar 2019 (Az. 4c O 98/18) Beweis erhoben durch Einholung eins schriftlichen Gutachtens durch die Sachverständige Dr. G. Wegen des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird Bezug genommen auf das Gutachten vom 10. Mai 2019 in seiner freigegebenen Fassung (vgl. PBP 7). Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die zwischen den Parteien gewechselten Schriftsätze sowie auf die zu den Akten gereichten Unterlagen ergänzend Bezug genommen.
- Entscheidungsgründe
- Die zulässige Klage hat in der Sache nur teilweise Erfolg.
- A.
Die Klage ist insoweit begründet, als die angegriffenen Ausführungsformen H/F und J/K von der Lehre des Klagepatents Gebrauch machen und der Klägerin daher Ansprüche auf Unterlassung, Auskunft und Rechnungslegung sowie Feststellung der Schadenersatzpflicht dem Grunde nach gemäß den §§ 139ff. PatG im tenorierten Umfang zustehen. - I.
Das Klagepatent betrifft in erster Linie ein kompaktes Servicemodul für Anlagen zur Herstellung von N durch Schmelzflusselektrolyse nach dem Hall-Héroult-Verfahren - Wie das Klagepatent einleitend in Absatz [0002] (alle nachstehenden Absätze ohne Angaben sind solche des Klagepatents) darstellt, wird N industriell durch Schmelzflusselektrolyse nach dem bekannten Hall-Héroult-Verfahren in Elektrolysezellen hergestellt. Dabei werde eine große Anzahl von Elektrolysezellen in Reihe angeordnet, in Gebäuden, die als Hallen oder Zellräume bezeichnet werden, und die über Anschlussleitungen elektrisch in Reihe geschaltet sind, um die Betriebsfläche zu optimieren. Die Zellen sind im Allgemeinen so angeordnet, dass sie zwei oder mehr parallele Litzen bilden, die durch Endleiter elektrisch miteinander verbunden sind.
- Zu Veranschaulichung dieses vom Klagepatent in Bezug genommenen Elektrolyseverfahrens nehmen die Parteien übereinstimmend Bezug auf nachfolgende, der Klageschrift auf Seite 9 entnommene Darstellung:
Eine Elektrolyseanlage erfordere im Betrieb – wie das Klagepatent in Absatz [0003] ausführt – Eingriffe an den Elektrolysezellen, die insbesondere Folgendes umfassen: Den Austausch von abgenutzten Anoden durch neue, die Entfernung von flüssigem Metall aus Zellen und die Entfernung oder Zugabe von Elektrolyt. Um diese Eingriffe durchzuführen, seien die modernsten Anlagen mit einer oder mehreren Serviceeinheiten ausgestattet, darunter einer mobilen Brücke, die über die Elektrolysezellen und entlang der Zellreihe bewegt werden könne, und ein oder mehrere Servicemodule, die jeweils einen Wagen und ein Servicemodul mit Handhabungs- und Interventionsvorrichtungen (oft als „Werkzeuge“ bezeichnet), wie Schaufeln und Hebewerkzeuge verfügen. Diese Serviceeinheiten würden oft als „Elektrolyse-Servicemodule“ oder „M.S.E.“ („PTA“ = „Pot Tending Assembly“ oder „PTM“ = „Pot Tending Machine“ auf Englisch) bezeichnet. - Um den Raum in den Zellräumen zu optimieren und die Investitionskosten zu senken, seien die Zellen so nah wie möglich aneinander und nahe an einer der Seiten der Zellräume angeordnet und ein möglichst schmaler Verkehrsgang nahe der anderen Seite der Räume vorgesehen. Diese Vorgabe verlange, dass der Abstand zwischen den Wänden des Elektrolyse-Raums und die Grenzen des Arbeitsbereichs jedes der Werkzeuge der Servicemodule so begrenzt wie möglich sei, insbesondere für den Zugang zu den Elektrolysezellen. Dieser Abstand werde als „Werkzeugannäherung“ bezeichnet. Die Position der Zellen im Elektrolyseraum und die daraus resultierende Gesamtfläche des Raumes würden maßgeblich vom Volumen der Servicemodule und den Anfahr- und Bewegungsmöglichkeiten ihrer Werkzeuge abhängen. Die bekannten Servicemodule benötigten jedoch ein großes Volumen, was einen reduzierten Zugang zu den Seiten der Zellräume, insbesondere zu den Seitenwänden, bedinge und deren Bewegung in der Nähe dieser Seiten deutlich einschränke. Angesichts der vielen Werkzeuge, die für die Wartung der Zellen erforderlich seien, sei es schwierig, das Volumen der Module zu reduzieren, indem man die Werkzeuge einfach näher zusammenbringe, ohne die Sichtbarkeit der Vorgänge für den sich im Steuerposten befindlichen Bediener zu beeinträchtigen, vgl. Absatz [0004].
- In Absatz [0005] würdigt das Klagepatent noch die Patentanmeldung AU-A-37968/89 als vorbekannt, die ein kompaktes Servicemodul mit den notwendigen Werkzeugen für den Anodenwechsel offenbare.
- Das Klagepatent formuliert zwar selbst keine konkrete (technische) Aufgabe, beabsichtigt jedoch – wie Absatz [0006] entnommen werden kann – Serviceeinheiten bereitzustellen, die vorgenannte Unannehmlichkeiten vermeiden würden.
- Zur Lösung dieser Aufgabe schlägt das Klagepatent in Anspruch 1 eine Vorrichtung mit folgenden Merkmalen vor:
- 1. Servicemodul (7) für eine Reihe von Elektrolysezellen (2), die für die Herstellung von N durch Schmelzflusselektrolyse bestimmt sind.
2. Das Servicemodul umfasst ein Gestell (8) und einen Turm (9).
3. Das Chassis ist zur Befestigung an einem Schlitten (6) geeignet.
4. Der Turm (9)
4.1. ist an dem Gestell (8) befestigt,
4.2. ist im Einsatz um eine vertikale Achse A schwenkbar,
4.2.1. die vertikale Achse A definiert eine im Wesentlichen horizontale Ebene Pt, die als Turmebene bezeichnet wird,
4.3. ist mit einem Werkzeugsatz und einem Vorbau oder einer Kabine (18) ausgestattet.
4.3.1. Der Werkzeugsatz beinhaltet ein an einem Teleskoparm (l la) angebrachtes Stechwerkzeug (11), eine an einem Teleskoparm (12a) angebrachte Becherschaufel (12), zumindest einen an einem Teleskoparm (13a) angebrachten ersten Anodengreifer (13) und einen mit einer einziehbaren Leitung (16) versehenen Trichter (15).
4.3.2. Der Vorbau bzw. die Kabine umfasst Steuerungen zum Bedienen des Moduls und der Werkzeuge und einen Führerstand, von dem eine Bedienperson die Steuerungen betätigt.
5. In Bezug auf eine erste Ebene P1 und eine zweite Ebene P2, die senkrecht zu einander und zur Ebene Pt des Turms (9) sind und sich auf der Achse A schneiden, gilt:
5.1. Die Mitte C des Führerstands (19) ist in einem bestimmten Abstand C1 zur Ebene P1 und in einem bestimmten Abstand C2 zur Ebene P2 positioniert.
5.2. Die Mitte der Becherschaufel (12) und die Mitte des ersten Anodengreifers (13) sind auf der entgegengesetzten Seite der Ebene P1 in Bezug auf den Führerstand (19) positioniert.
5.3. Das Stechwerkzeug (11) und die einziehbare Leitung (16) sind zwischen dem Führerstand (19) und der durch die Becherschaufel (12) und den ersten Anodengreifer (13) ausgebildeten Reihe angeordnet. -
II.
Die Parteien streiten – zu Recht – allein um die Verwirklichung des Merkmals 5.3, gemäß dem das Stechwerkzeug und die einziehbare Leitung in einem bestimmten Bereich des Moduls angeordnet sein müssen. Von diesem streitigen Merkmal wird in zwei (H/F und J/K) der drei von der Beklagten als verletzend geltend gemachten Anlagen (zusätzlich noch L/M) Gebrauch gemacht. - 1.
Der unabhängige Anspruch 1 des Klagepatents stellt gemäß Merkmal 1. ein Servicemodul für eine Reihe von Elektrolysezellen, die für die Herstellung von N durch Schmelzflusselektrolyse bestimmt sind, unter Schutz. Die konkrete Ausgestaltung dieses Servicemoduls wird von den Merkmalen bzw. Merkmalsgruppen 2. bis 5. näher beschrieben. - Danach soll ein erfindungsgemäßes Servicemodul ein Gestell und einen Turm umfassen (Merkmal 2.), wobei das Gestell (Chassis) zur Befestigung an einem Schlitten geeignet sein muss (Merkmal 3.).
- Der Merkmalsgruppe 4. kann der Fachmann sodann konkrete Vorgaben zur Ausgestaltung des Turms entnehmen. Dieser soll gemäß Merkmal 4.1. an dem Gestell befestigt und gemäß Merkmal 4.2. im Einsatz um eine vertikale Achse A schwenkbar sein, wobei die vertikale Achse A eine im Wesentlichen horizontale Ebene Pt definieren soll, die als Turmebene bezeichnet wird (Merkmal 4.2.1.). Der Turm soll gemäß Merkmal 4.3. zudem mit einem Werkzeugsatz und einem Vorbau oder einer Kabine ausgestattet sein. Dieser Werkzeugsatz soll gemäß Merkmal 4.3.1. ein an einem Teleskoparm angebrachtes Stechwerkzeug, eine an einem Teleskoparm angebrachte Becherschaufel, zumindest einen an einem Teleskoparm angebrachten ersten Anodengreifer und einen mit einer einziehbaren Leitung versehenen Trichter umfassen, wohingegen gemäß Merkmal 4.3.2. der Vorbau bzw. die Kabine Steuerungen zum Bedienen des Moduls und der Werkzeuge und einen Führerstand, von dem eine Bedienperson die Steuerungen betätigt, aufweist.
- Die Merkmalsgruppe 5, die den Kern der Erfindung betrifft, macht sodann weitere Vorgaben zur Positionierung der Werkzeuge am Turm. So soll gemäß Merkmal 5. zunächst eine erste Ebene P1 und eine zweite Ebene P2, die senkrecht zu einander und zur Ebene Pt des Turms sind und sich auf der Achse A schneiden, gebildet werden. In Bezug auf diese beiden Ebenen soll gelten, dass die Mitte C des Führerstands in einem bestimmten Abstand C1 zur Ebene P1 und in einem bestimmten Abstand C2 zur Ebene P2 positioniert ist (Merkmal 5.1.). Gemäß Merkmal 5.2. sollen die Mitte der Becherschaufel und die Mitte des ersten Anodengreifers auf der entgegengesetzten Seite der Ebene P1 in Bezug auf den Führerstand positioniert sein. Schließlich sollen das Stechwerkzeug und die einziehbare Leitung zwischen dem Führerstand und der durch die Becherschaufel und den ersten Anodengreifer ausgebildeten Reihe angeordnet sein (Merkmal 5.3.).
- 2.
Wie der Fachmann dem Merkmal 2. zunächst entnehmen kann, betrifft die Erfindung eine sog. 1-Turm-Lösung, d.h. ein Servicemodul, bei dem sowohl die Kabine als auch die Werkzeuge an einem gemeinsamen Turm befestigt sind. Damit grenzt sich das Klagepatent von der aus dem Stand der Technik ebenfalls vorbekannten 2-Turm-Lösung ab, bei der die Kabine und die Werkzeuge jeweils an einem eigenen Turm befestigt sind. Diese getrennte Lösung bringt zwar den Vorteil mit, dass der in der Kabine sitzende Bediener des Servicemoduls eine gute Sicht auf die Werkzeuge und den Arbeitsbereich an der Anode hat. Durch das Vorsehen von zwei Türmen wird das Modul aber auch entsprechend räumlich ausladend, was dessen Einsatz auf der Seite mit erschwerter Annäherung an die Anoden verkompliziert. Zudem ist die 2-Turm-Lösung technisch komplexer und damit auch kostenintensiver. - Die kompaktere Bauweise einer 1-Turm-Lösung führt dazu, dass das Servicemodul, welches in der Regel an einem Schlitten unter der Decke der Anlagenhalle hängt, näher an die Wände der Halle und die dort befindlichen Elektrolysezellen verfahren werden kann, um den Anodenwechselvorgang durchführen zu können. Dieser setzt sich aus folgenden Arbeitsschritten zusammen, wie sie auch der nachfolgend wiedergegebenen Figur 6 des Klagepatents entnommen werden können:
Zunächst wird mit dem Stechwerkzeug 11 die Kruste auf der Oberseite des Anodenblocks durchstochen (Fig. 6A) und sodann in einem zweiten Schritt die abgebrannte Anode mit dem Anodengreifer 13, 14 entnommen (Fig. 6B). Nach der Entnahme der abgebrannten Anode wird der Tank mit Hilfe der Becherschaufel 12 von Krustenstücken und anderem Material gereinigt (Fig. 6C), bevor die neue Anode mit Hilfe des Anodengreifers an die Stelle der alten Anode montiert wird. Abschließend wird die Oberseite des Anodenblocks mit Hilfe der einziehbaren Leitung 16, die mit einem Trichter verbunden ist, zum Schutz der neuen Anode mit einem Produkt wie Noxid und/oder Mahlbad bedeckt (Fig. 6D). - Wie das Klagepatent in Absatz [0004] weiter ausgeführt hat, können die Werkzeuge zur Reduzierung des Volumens des Servicemoduls nicht einfach beliebig eng zusammenstehend montiert werden, da ab einem gewissen Grad der Kompaktheit die Sicht des Bedieners auf den Arbeitsbereich derartig behindert wird, dass er seine Arbeit nicht mehr mit der erforderlichen Genauigkeit und Sicherheit durchführen kann.
- Der eigentliche Clou der Erfindung stellt daher die genaue Anordnung der Werkzeuge zueinander und in Bezug auf die Kabine bzw. den Führerstand dar, die nach der Lehre des Klagepatents die Kompaktheit des Gesamtmoduls steigert, ohne die Sicht des Bedieners zu erschweren.
- Der Fachmann entnimmt der Merkmalsgruppe 5 daher, dass sich die Kabine bzw. der Führerstand in einem bestimmten Abstand zur einer ersten Ebene P1 und einer zweiten Ebene P2 befinden muss, die senkrecht zueinander stehend durch jeweils die Drehachse A des Turmes verlaufen. Aus der Vorgabe des Merkmals 5.2 folgert der Fachmann, dass die Becherschaufel und der erste Anodengreifer, mithin die beiden im Verhältnis zum Stechwerkzeug und der einziehbaren Leitung größeren Werkzeuge, mit Blick auf den Führerstand auf der anderen Seite des Turms anzuordnen sind. Zwischen dem Führerstand und der durch diese beiden Werkzeuge gebildeten Reihe sind dann das Stechwerkzeug und die einziehbare Leitung anzuordnen.
- Entgegen dem Verständnis der Beklagten kann der Fachmann aber weder dem Merkmal 5.3 noch dem Klagepatent im Übrigen Anhaltspunkte dafür entnehmen, dass sich das Stechwerkzeug und die einziehbare Leitung in einem V-förmigen Korridor befinden müssen, der ausgehend von der Mitte der Kabine bzw. des Führerstandes durch die innere, d.h. zur Mitte des Turmes gerichtete, Seite der Becherschaufel und dem entsprechend ersten inneren Anodengreifer gebildet wird. Vielmehr kann der Fachmann dem Merkmal 5.3. nur diejenige räumlich-körperliche Vorgabe entnehmen, dass die beiden kleineren Werkzeuge Stechwerkzeug und einziehbare Leitung in einem Bereich des Turm anzuordnen sind, der ausgehend von der Kabine bzw. dem Führerstand zwischen diesem und den beiden größeren Werkzeugen Becherschaufel und Anodengreifer liegt.
- Ein entsprechend der Auslegung der Beklagten einschränkendes Verständnis des Merkmals 5.3 folgt dabei zunächst schon nicht aus seinem Wortlaut, der nur davon spricht, dass das Stechwerkzeug und die einziehbare Leitung „zwischen“ dem Führerstand und der durch die Becherschaufel und den ersten Anodengreifer „gebildeten Reihe“ angeordnet sein müssen. Damit legt Merkmal 5.3. im Sinne geometrischer Vorgaben zwei (End-)Bereiche fest, auf der einen Seite den Führerstand und auf der anderen Seite des Turm eine Linie, die aus den beiden großen Werkzeugen gebildet wird. Durch die eindeutige Vorgabe „zwischen“ folgt, dass die beiden kleineren Werkzeuge in demjenigen Raum/Bereich des Turms anzuordnen sind, der innerhalb und damit „zwischen“ diesen beiden Bereichen liegt. Daraus folgt dann auch, dass solche Bereiche des Turms, die nicht zwischen diesen Punkten liegen, nicht zur Befestigung der kleineren Werkzeuge dienen sollen. Demgegenüber spricht das Klagepatent an keiner Stelle von einem (engen) Korridor und erst Recht nicht von einem V-förmigen Korridor.
- Gegen eine Festlegung des Klagepatents auf einen V-förmigen Korridor spricht auch die Systematik der Merkmalsgruppe 5. Während in den Merkmalen 5.1. und 5.2. jeweils explizit die Mitte des Führerstandes bzw. die Mitte der Becherschaufel und des ersten Anodengreifers abgestellt wird, mithin ein bestimmter Punkt der jeweiligen Turmbestandteile benannt wird, werden in Merkmal 5.3. als Bezugspunkte nur der Führerstand insgesamt bzw. die Becherschaufel und der erste Anodengreifer genannt, was dem Fachmann einen Anhaltspunkt dafür bietet, dass es für die Bestimmung des Bereichs für die kleineren Werkzeuge nicht auf einen bestimmten geometrischen Punkt ankommt. Dieser wäre aber jedenfalls erforderlich, um einen V-förmigen Korridor bestimmen zu können.
- Auch die Ausführungsbeispiele des Klagepatents, welche zum Verständnis des Fachmanns zur Lehre des Klagepatents heranzuziehen sind, geben diesem keine Anhaltspunkte dafür, das eingeschränkte Verständnis der Beklagten zu teilen. Nachfolgende Abbildung der Figur 3 wurde der Klageerwiderung entnommen, wobei die Beklagten dort mit gelb einen V-förmigen Korridor eingezeichnet haben:
- Der Beklagten ist zwar zuzugestehen, dass sich in dieser zeichnerischen Darstellung einer bevorzugten Ausführungsform sowohl das Stechwerkzeug (11) wie auch das Ende der einziehbaren Leitung (16) in einem Bereich/Korridor befinden, der unten durch den Führerstand bzw. dessen Mitte (19) und oben durch die Mitte der Becherschaufel (12) und des inneren Anodengreifers (13) gebildet wird und sich daher V-förmig erstreckt. Indes handelt es sich bei Figur 3 zum einen nur um eine schematische Zeichnung ohne exakte Bemaßung und zum anderen sind Ausführungsbeispiele schon dem Grunde nach nicht geeignet, die Lehre des Klagepatent zu beschränken.
- Auch unter Berücksichtigung technisch-funktionaler Gesichtspunkte bietet das Klagepatent dem Fachmann keine Anhaltspunkte für das eingeschränkte Verständnis der Beklagten. Dem Klagepatent kommt es darauf an, ein möglichst kompaktes Servicemodul bereitzustellen, welches sich durch eine kompakte Anordnung der Werkzeuge auszeichnet, indem es dem im Führerstand stehenden bzw. sitzenden Bediener nicht die Sicht auf den Arbeitsbereich an der Elektrolysezelle versperrt. Insoweit ist es für den Fachmann technisch sinnvoll, die beiden größeren Werkezuge möglichst weit weg vom Führerstand zu positionieren, so dass diese die Sicht nicht behindern können. Die beiden kleineren Werkezuge, die die Sicht schon wegen ihrer Ausmaße weit weniger behindern, können dann möglichst mittig platziert werden, um die Kompaktheit des Moduls zu steigern. Es ist weder vorgetragen noch zu erkennen, wieso der Fachmann nur einen V-förmigen Korridor als technisch sinnvoll erachten bzw. welche (weiteren) Vorteile eine Anordnung nur in einem solchem Korridor mit sich bringen sollte.
- Nicht zuletzt spricht auch die übrige Systematik des Klagepatents gegen das von der Beklagten vertretene eingeschränkte Verständnis von Anspruch 1. Der von der Beklagten in Bezug genommene V-Korridor ist Gegenstand des abhängigen Unteranspruchs 15 und kann daher nicht bereits Gegenstand des unabhängigen Anspruchs 1 sein.
- Die Beklagten vermögen sich zur Stützung ihres Verständnisses von Merkmal 5.3. auch nicht mit Erfolg auf die Auslegung des Bundespatentgerichts berufen. Ausführungen einer zur Entscheidung über den Rechtsbestand berufenen Instanz stellen zwar gemäß Art. 69 Abs. 1 EPÜ und § 14 PatG kein zulässiges Auslegungsmaterial dar, indes vermögen solche Ausführungen vom Verletzungsgericht als Indiz für das fachmännische Verständnis des Patentes zu dienen. Der 3. Nichtigkeitssenat des Bundespatentgerichts hat in seinem qualifizierten Hinweis vom 22. Juli 2020 nach § 83 Abs. 1 PatG (Anlage HL 1) unter Ziffer I.5.b) folgendes zum Verständnis von Merkmal 5.3. ausgeführt:
- „Gemäß Merkmal 5.3 sind das Stechwerkzeug und die einziehbare Leitung in dem Korridor angeordnet, der zwischen dem Führerstand und der durch Becherschaufel und ersten Anodengreifer gebildeten Reihe liegt, wobei dieser Korridor seitlich durch diese beiden Werkzeuge begrenzt wird. Denn die Formulierung „zwischen“ in diesem Merkmal impliziert eine Anordnung im Zwischenraum zwischen Führerstand, Becherschaufel und ersten Anodengreifer. Bei einer Anordnung außerhalb dieses Korridors kann demgegenüber nicht mehr von „zwischen“ gesprochen werden. Für diese Auslegung spricht zudem die Anordnung in den Fig. 2 bis 5 des Streitpatents, in denen das Stechwerkzeug (11) und die einziehbare Leitung (16) stets zwischen dem Führerstand (19), der Becherschaufel (12) und dem ersten Anodengreifer (13) angeordnet sind. Auch die Ausführungen im Abs. [0024]/Spiegelstrich 3 des Streitpatents führen zu dieser Auslegung. Dort werden zwar zur Ebene P1 parallele Ebenen Pa, die durch die Mitte der Anodengreifer geht, und Pb, die durch die Mitte der Becherschaufel geht, definiert. Trotzdem spricht das Streitpatent hier nicht von einem Raum für die Anordnung des Stechwerkzeugs (11) und der einziehbaren Leitung (16), der durch die Ebenen Pa und/oder Pb begrenzt werden soll, sondern wiederum nur von einer Anordnung zwischen dem Führerstand (19) und der Reihe, die durch die Becherschaufel (12) und der/den Anodenklernme(n) (13,14) gebildet.“
- Das Bundespatentgericht verwendet zwar – wie auch die Beklagten – den Begriff eines Korridors, wobei das Bundespatentgericht auch hier den Bereich des Turms meint, der zwischen dem Führerstand und der durch Becherschaufel und ersten Anodengreifer gebildeten Reihe liegt. Dahingestellt bleiben kann, ob der Fachmann den von Merkmal 5.3. festgelegten Bereich als Korridor bezeichnet, da jedenfalls auch den Ausführungen des Bundespatentgerichts nicht entnommen werden kann, dass Merkmal 5.3. eine bestimmte Form des Korridors, insbesondere eine V-Form, aufzuweisen hat.
- 3.
Unter Berücksichtigung dieses Verständnisses von Merkmal 5.3. vermochte die Kammer festzustellen, dass zwei der drei vorgenannten Anlagen der Beklagten zu 1) Gebrauch von diesem Merkmal machen. - 3.1.
Die Klägerin hat zur Überzeugung der Kammer dargelegt, dass das von der Beklagten für die Anlage H/F gelieferte Servicemodul auch Gebrauch von Merkmal 5.3 macht, mithin dort das Stechwerkzeug und die einziehbare Leitung zwischen dem Führerstand und der durch die beiden größeren Werkzeuge gebildeten Linie angeordnet sind (s. dazu Ziff.3.1.1.). Ferner hat die Beklagte mit Blick auf dieses Servicemodul auch nach Patenterteilung noch (Angebots-)Handlungen vorgenommen, die eine Patentverletzung begründen (s. dazu Ziff. 3.1.2.). - 3.1.1.
Die Verwirklichung aller Merkmale von Anspruch 1 ergibt sich aus den von den Parteien in Bezug genommenen Ablichtungen. - Nicht zu überzeugen vermochte dabei der Einwand der Beklagten, dass das von der Klägerin auf Seite 34 der Klageschrift in Bezug genommene und nachstehend wiedergegebene Foto des Servicemoduls für H/F eine Verletzung deswegen nicht belegen könne, da es nur Ausschnitte des Servicemoduls zeige und zudem perspektivische Verzerrung beinhalte:
- Den Beklagten ist zwar zuzugeben, dass bei dieser Abbildung des Servicemoduls von unten die Becherschaufel nur halb und das Ende der einziehbaren Leitung sowie der Führerstand/Kabine überhaupt nicht zu sehen sind. Indes erschließen sich diese fehlenden Elemente und ihre Anordnung bzw. Positionierung unmittelbar aus den übrigen zur Akte gereichten, der Klageschrift entnommenen weiteren nachstehenden Ablichtungen:
Insbesondere auf der mittleren der drei letzten Fotografien sind alle Elemente, die für die Lehre des Klagepatentes relevant sind, eindeutig zu entnehmen. - Da es dem Klagepatent – entgegen der Auffassung der Beklagten – auch nur darauf ankommt, dass das Stechwerkzeug und die einziehbare Leitung zwischen dem Führerstand/Kabine und den beiden größeren Werkzeugen angeordnet sind, diese beiden kleineren Werkzeuge also nicht irgendwo am Rand des Turmes angebracht sind, kommt es nicht entscheidend darauf an, ob und in welchen Maße die gewählte Perspektive des Fotografen zu etwaigen Verzerrungen führt, da die Anordnung der Werkzeuge im Verhältnis zur Kabine hinreichend exakt zu erkennen ist. Auf einen V-förmigen Korridor kommt es dabei – wie zuvor ausgeführt – nicht an.
- Entsprechend ist auch die gerichtliche Sachverständige Dr. G in ihrem Gutachten auf den Seiten 19ff. zu der seitens der Kammer nachvollziehbaren Erkenntnis gelangt, dass das Servicemodul für H/F von der Lehre des Anspruchs 1 Gebrauch macht, insbesondere auch Merkmal 5.3 verwirklicht wird (vgl. S. 22f. des Gutachtens).
-
3.1.2.
Die Kammer vermochte auch festzustellen, dass die Beklagte mit Blick auf die Anlage H/F im Zeitraum nach Erteilung des Klagepatents noch patentverletzende (Angebots-)Handlungen vorgenommen hat. - Zwischen den Parteien steht nicht in Streit, dass das Ausschreibungsverfahren für die Anlage H/F, an dem sowohl die Klägerin wie auch die Beklagte zu 1) mit jeweils mehrfach aktualisierten Angeboten teilgenommen hatten, mit Vergabe des Auftrags an die Beklagte zu 1) im Juli 2016, mithin einige Monate vor Erteilung des Klagepatents, zunächst sein Ende fand. Gleichfalls unstreitig ist, dass das Servicemodul von der Beklagten zu 1) nicht in der Bundesrepublik Deutschland hergestellt wurde, sondern von Drittfirmen im (patentfreien) Ausland hergestellt und anschließend in der Anlage in F installiert wurde.
- Indes kam es im Zeitraum von Dezember 2016 bis Februar 2017, mithin nach der verbindlichen Vertragsunterzeichnung zwischen der Anlagenbetreiberin und der Beklagten, noch zu einem sog. „variation order request“, mit dem die Anlagenbetreiberin Ungenauigkeiten bei der ursprünglichen Übermittlung der Hallenmaße meldete, die dazu führten, dass es zu notwendigen Anpassungen an dem Angebot der Beklagten zu 1) kam, da die Oberseite des Krans geändert werden musste, da anderenfalls das gesamte Servicemodul nicht hätte installiert werden können.
- Hierin liegt entgegen der Ansicht der Beklagten eine patentverletzende Angebotshandlung im Sinne von § 9 S. 2 Nr. 1 PatG. Der 2. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Q hat in seinem – im vorangegangen Besichtigungserfahren nach dem Qer Modell ergangenen – Beschluss vom 22. Juni 2020 (vgl. Anlage PBP 8) auf den Seiten 10ff. unter Ziff. B.3.a)cc) bereits zur der Frage Stellung genommen, ob und unter welchen Voraussetzungen vorbereitende und/oder nach Abschluss eines Geschäfts die Übergabe des Vertragsgegenstandes vorbereitende Handlungen ein patentrechtlich relevantes Anbieten darstellen können (Hervorhebungen hinzugefügt):
- „Das Anbieten ist nicht nur eine dem Herstellen, Inverkehrbringen, Gebrauchen, Einführen oder Besitzen vorausgehende Vorbereitungshandlung, sondern eine eigenständige Benutzungsart neben diesen Handlungen, die selbstständig zu beurteilen und für sich allein anspruchsbegründend ist (vgl. BGH, GRUR-2003, 1031 — Kupplung für optische Geräte; GRUR 2006, 927, 928 — Kunststoffbügel; GRUR 2007, 221, 222 — Simvastin; Senat, GRUR 2004, 417, 419 — Cholesterinspiegelsenker; Urt. v. 23.03.2017 — 1-2 U 58/16, GRUR-RS 2017, 109832; Urt. v. 22.3.2019 — 1-2 U 31/16, BeckRS 2019, 608 m. w. Nachw.). Der Begriff des Anbietens ist im Interesse eines nach dem Gesetzeszweck gebotenen effektiven Rechtsschutzes für den Patentinhaber rein wirtschaftlich zu verstehen. Er umfasst jede im Inland begangene Handlung, die nach ihrem objektiven Erklärungswert den Gegenstand der Nachfrage in äußerlich wahrnehmbarer Weise zum Erwerb der Verfügungsgewalt bereitstellt (BGH, GRUR 2006, 927 – Kunststoffbügel; Senat, Urt. ‚v. 13.02.2014-1-2 U 42/13, BeckRS 2014, 05732; . Urt. v. 30.10.2014 – 1-2 U 3/14 = BeckRS 2014, 21755; Urt. v. 06.10.2016 – 1-2 U 19/16, BeckRS 2016, 21218; Urt. v: 06.04.2017 – 1-2 U 51/16, GRUR-RS 2017; 109833; Urt. v. 05.07.2018 – 1-2 U 41/17, BeckRS 2018, 23974; Urt. v. 22.3.2019 – 2 U 31/16, BeckRS 2019, 608 m. w. Nachw.). Es ist daher unerheblich, ob der Anbietende den Gegenstand selbst herstellt oder ob er ihn von dritter Seite bezieht (BGH, GRUR 2006, 927, 928 – Kunststoffbügel). Nach geltendem Recht ist Voraussetzung für ein Anbieten grundsätzlich auch nicht das tatsächliche Bestehen einer Herstellungs-und/oder Lieferbereitschaft (BGH, GRUR 2003, 1031, 1032 – Kupplung für elektrische Geräte; Senat, Urt. v. 06.04.2017 – 1-2 U 51/16, GRUR-RS 2017, 109833; Urt. v. 22.3.2019 – 2 U 31/16, BeckRS 2019, 608 m. w. Nachw.). Ebenso kommt es für eine Patentverletzung nicht darauf an, ob das Angebot Erfolg hat, es also nachfolgend zu einem Inverkehrbringen kommt (Senat, GRUR 2004, 417, 418 – Cholesterinspiegelsenker).
- Zweck des § 9 PatG ist es; dem Patentinhaber einerseits grundsätzlich alle wirtschaftlichen Vorteile sichern, die sich. aus der Benutzung der patentierten Erfindung ergeben können, und ihm andererseits einen effektiven Rechtsschutz zu gewähren. Daher ist nicht erforderlich, dass das Anbieten die Voraussetzungen eines rechtswirksamen und verbindlichen Vertragsangebotes im Sinne von § 145 BGB erfüllt. Ferner kommt es nicht darauf an, ob der Anbietende eigene oder fremde Geschäftsabschlüsse bezweckt und ob er bei einem Angebot zugunsten eines Dritten überhaupt von diesem beauftragt oder bevollmächtigt ist (BGH, GRUR 2006, 927 – Kunststoffbügel). Maßgeblich ist vielmehr nur, ob mit der fraglichen Handlung tatsächlich, eine Nachfrage nach schutzrechtsverletzenden Gegenständen geweckt wird, die zu befriedigen mit dem Angebot in Aussicht gestellt wird (OLG Q, Urt. v. 13.02.2014 1-2 U 42/13, BeckRS 2014, 05732; Urt. v. 11.06.2015 – 1-2’U 64/14, GRUR-RS 2015, 18679 Verbindungsstück; Urt. v. 06.10.2016-1-2 U 19/16, BeckRS 2016, 21218; Urt. v..06.04.2017 – 1-2 U 51/16, GRUR-RS 2017, 109833; Urt. v. 05.07.2018 -1-2 U 41/17, BeckRS 201.8, 23974; Urt. v. 22.3.2019 – 2 U 31/16, BeckRS 2019, 608).
- Davon ausgehend werden von einem „Anbieten“ im Sinne von § 9 PatG insbesondere auch vorbereitende Handlungen umfasst, die das Zustandekommen eines späteren Geschäfts über einen unter dem Schutz des Patents stehenden Gegenstand ermöglichen oder befördern sollen, dass die Benutzung dieses Gegenstands einschließt. Es genügen daher auch Handlungen, die vertragsrechtlich als bloße Aufforderung zur Abgabe von Angeboten angesehen werden (BGH, GRUR 2003, 1031 – Kupplung für optische Geräte; Senat, Urt. v. 30.10.2014 – 1-2 U 3/14, BeckRS 2014, 21755; Urt. v. 22.3.2019 – 2 U 31/16, BeckRS 2019, 608). Es ist Gewährleistung eines wirksamen Rechtschutzes somit nur von Belang, ob mit der fraglichen Handlung für einen schutzrechtsverletzenden Gegenstand tatsächlich eine Nachfrage geschaffen wird, die zu befriedigen mit dem Angebot Aussicht gestellt wird (Senat, Urt. v. 11.06.2015 – 1-2 U 64/14, GRUR-RS 2015, 18679 Verbindungsstück; Urt. v. 06.10.2016 – 1-2 U 19/16, BeckRS 2016, 21218; Urt. v. 06.04.2017 – 1-2 U 51/16, GRUR-RS 2017, 109833; Urt. v. 05.07.2018 — 1-2 U 41/17, BeckRS 2018, 23974; Urt. v. 22.3.2019 — 2 U 31/16, BeckRS 2019, 608).
- Ebenso können von einem „Anbieten“ i.S.v. § 9 PatG aber auch Handlungen umfasst sein, die vor der Überlassung eines unter dem Schutz des Patents stehenden Gegenstands den Bestand eines über diesen Gegenstand bereits abgeschlossenen Geschäfts ermöglichen oder befördern sollen. Das gilt namentlich, wenn die Vertragsparteien nach Vertragsschluss über den Vertragsgegenstand neu verhandeln. Bezieht sich das Geschäft — wie hier — auf eine Gesamtanlage, müssen die nachvertraglichen Verhandlungen der Vertragsparteien dabei nicht notwendig die Ausgestaltung des unter dem Schutz des Patents stehenden Gegenstands betreffen. Es reicht vielmehr — wie bei einen Geschäftsabschluss vorbereitenden Handlungen — aus, dass es um den Erwerb einer Gesamtkombination geht, die den unter dem Schutz des Patents gestellten Gegenstand umfasst. Verhandeln die Vertragsparteien nach Abschluss eines eine noch zu errichtende bzw. zu liefernde Anlage betreffenden Vertrages erneut über den Vertragsgegenstand und haben die in Rede stehenden Änderungen keinen oder keinen für die patentrechtliche Beurteilung relevanten Einfluss auf den patentgemäßen Zustand der Anlage bzw. des relevanten Anlagenbestandteils, bringt der Hersteller oder Verkäufer, der sich auf solche Verhandlungen einlässt, zum Ausdruck, dass er seinem Vertragspartner den unter dem Schutz des Patents stehenden Gegenstand ggf. auch zu anderen Bedingungen bzw. mit einem geänderten Vertragsinhalt zum Erwerb der Verfügungsgewalt bereitstellen will. Er bietet die Anlage bzw. deren Bestandteil dann nochmals an.“
- Ausgehend von diesen Grundsätzen liegt damit ein patentrechtlich relevantes Anbieten im Sinne von § 9 PatG dann vor, wenn der Patentbenutzer Handlungen vornimmt, die vor der Überlassung eines unter dem Schutz des Patents stehenden Gegenstands den Bestand eines über diesen Gegenstand bereits abgeschlossenen Geschäfts ermöglichen oder befördern sollen.
- Im Umkehrschluss bedeutet dies, dass nicht jede Handlung/Erklärung des Verkäufers eines patentverletzenden Gegenstandes, die nach Vertragsschluss in Erfüllung der aus dem Verpflichtungsgeschäft resultierenden Pflichten des Verkäufers erfolgt, automatisch ein (erneutes) patentrechtlich relevantes Anbieten darstellt. Vielmehr sind solche, die bloße Vertragsdurchführung betreffende Handlungen, sofern sie nicht eine andere in § 9 PatG genannte Verletzungshandlung darstellen, grundsätzlich rechtlich unbedenklich, es sei denn, sie stehen mit dem ursprünglichen Angebot und dem daraus folgen Geschäft in einem engen Zusammenhang, so dass das Geschäft ohne die spätere Handlungen überhaupt nicht durchgeführt werden kann („ermöglichen) bzw. das Geschäft wesentlich unterstützen („befördern“).
- Unabhängig davon, dass der Aufbau der streitgegenständlichen Anlage durch Drittfirmen im (patentfreien) Ausland erfolgte und daher auch die notwendigen Änderungen am Kran dort vorgenommen wurden, stellen – wie auch das Oberlandesgericht Q ausgeführt hat – die Verhandlungen der Beklagten zu 1) mit der Anlagenbetreiberin über den „variation order request“, die von der Beklagten zu 1) aus Deutschland heraus geführt wurden, eine patentverletzende Angebotshandlung nach Patenterteilung dar. Die von diesem request betroffenen Änderungen an der Oberseite des Kran standen zwar in keinen unmittelbaren technischen Zusammenhang mit der Lehre des Klagepatents, die die Anordnung der Werkzeuge am Servicemodul betrifft. Daher wurde allein durch die Änderungen am Kran nach Patenterteilung auch nicht das Servicemodul erneut explizit angeboten. Zudem mögen variation order requests nach dem – insoweit von der Klägerin unwidersprochenen gebliebenem – Vortrag der Beklagten bei den von den Parteien betriebenen Geschäften üblich sein und nicht in jedem Fall den Bestand des zuvor abgeschlossenen Vertrages gefährden. Im vorliegenden Fall haben die Verhandlungen über den hier streitgegenständlichen „variation order request“ das ursprüngliche Geschäft indes erst ermöglicht und waren daher entgegen der Ansicht der Beklagten auch nicht der bloßen Vertragsdurchführung in derart geschuldet, dass es zu einigen, das eigentliche Geschäft nur unwesentlich berührenden Anpassungen am Vertragsgegenstand kam. Ohne den variation order request und die Änderungen an dem Kran hätte die Gesamtanlage und damit auch das patentverletzende Servicemodul nicht in der Anlage in F installiert werden können. Denn für ordnungsmäße Funktion des Krans mit seinen Modulen ist es zwingend erforderlich, dass dieser an die exakten Maße der jeweiligen Einsatzorte angepasst wird, er insbesondere nicht zu groß ist, damit dieser auch so verfahren werden kann, dass das Servicemodul alle Zellen erreichen kann. Dies führt dazu, dass ohne die Änderungen das Gesamtgeschäft mindestens gefährdet gewesen wäre und daher die nach Erteilung des Patents durchgeführten Verhandlungen dessen Ermöglichung dienten.
- 3.2.
Auch mit Blick auf die Anlage J/K vermochte die Kammer eine Verletzung des Klagepatents festzustellen. - Da die Beklagte zu 1) die Ausschreibung für J/K nicht für sich entscheiden konnte, gibt es auch kein für diese Anlage von ihr hergestelltes Servicemodul und daher auch keine Fotografien eines solchen Moduls. Die Frage der Verletzung richtet sich daher allein nach den Ausschreibungsunterlagen.
- Wie die gerichtliche Sachverständige Dr. G auf den Seiten 10ff. und insbesondere den Seiten 15f. nachvollziehbar ausgeführt hat, macht auch das von der Beklagten zu 1) der Anlagenbetreiberin in K angebotene Servicemodul Gebrauch von der Lehre des Anspruchs 1. Die nachfolgend wiedergegebenen Zeichnungen sind dem Gutachten auf Seite 15 entnommen und zeigen das angebotene Servicemodul:
- Die Beklagten verteidigen sich mit Blick auf diese Anlage einzig damit, dass auch hier das Stechwerkzeug und das Ende der einziehbaren Leitung nicht in einem V-förmigen Korridor ausgehend von der Mitte des Führerstandes lägen; hierauf kommt es aber nicht an. Es ist klar zu erkennen, dass das Stechwerkzeug und die einziehbare Leitung in einem Bereich des Turmes angeordnet sind, der zwischen dem Führerstand und den beiden größeren Werkzeugen liegt.
- 3.3.
Demgegenüber fehlt es mit Blick auf die Anlage L/M an hinreichenden Anhaltspunkten dafür, dass dieses Servicemodul, welches die Beklagten bislang ebenfalls nur angeboten haben, Gebrauch von Merkmal 5.3. macht. - Die Verwirklichung des streitgegenständlichen Merkmals 5.3. ergibt sich nicht mit der hinreichenden Sicherheit aus der von der Klägerin und der gerichtlichen Sachverständigen gleichermaßen, der Klageschrift entnommenen und nachfolgend wiedergegebenen technischen Zeichnung:
- Diese technische Zeichnung, die der Anlage 3.3 zum Gutachten der gerichtlichen Sachverständigen entstammen, zeigt das von den Beklagten angebotene Servicemodul von oben und daher nur die Aufhängungspunkte für die Teleskoparme, an denen die streitgegenständlichen Werkzeuge befestigt sind bzw. sein sollen. Selbst wenn man zu Gunsten der Klägerin unterstellen wollte, diese Zeichnung enthielte nicht nur einen – wie von den Beklagten behauptet – generischen Kran bzw. ein generisches Servicemodul, sondern bereits das tatsächlich für die Anlage L/M angebotene Modul in seiner konkreten räumlich-körperlichen Ausgestaltung, so lässt sich aus der bloßen Anordnung der Befestigungspunkte ohne weiteres nicht auch auf die konkrete Verordnung der einzelnen Werkzeuge zueinander schließen.
- Soweit die Klägerin zur Darlegung der räumlich-körperlichen Ausgestaltung des angebotenen Moduls – ebenso wie die gerichtliche Sachverständigen auf Seite 28 ihres Gutachtens – ergänzend Bezug nimmt auf nachfolgend abgebildete CAD-Ansicht, so vermag dies den Verletzungsvorwurf nicht zu stützen:
Zwar lassen sich dieser CAD-Zeichnung die eigentlichen Werkzeuge sowie ihre konkrete Anordnung im Verhältnis zur Kabine/Führerstand eindeutig entnehmen, indes haben die Beklagten zur Überzeugung der Kammer dargelegt, dass diese Zeichnung nicht das L/M-Modul zeigt. Die Abbildung wurde vielmehr der Anlage 2.2.9 zum Gutachten der Sachverständigen entnommen, welche sich aber allein mit der Anlage J/K beschäftigt. Insoweit fehlt es bereits an einem hinreichenden Bezug zum Angebot für M. - Soweit die Klägerin in der mündlichen Verhandlung vom 28. Juni 2022 zuletzt noch auf die nachfolgend wiedergegebene Abbildung von Seite 7 der Anlage 3.2 zum Gutachten der Sachverständigen Dr. G Bezug genommen hat, so ergibt sich daraus ebenfalls nicht die Verwirklichung von Merkmal 5.3.:
- Diese, den Angebotsunterlagen der Beklagten für das Modul L/M entnommene Abbildung, zeigt eine Seitenansicht des beanstandeten Servicemoduls, wobei dieser schematischen Zeichnung bereits nicht alle Werkzeuge hinreichend deutlich entnommen werden können. Unabhängig davon ist die gewählte Perspektive der Seitenansicht jedenfalls ungeeignet, die für die Verletzungsfrage entscheidende genaue Anordnung der Werkzeuge zueinander zu bestimmen.
- 3.4.
Die Kammer vermochte ebenfalls nicht festzustellen, dass die Beklagten auf der Messe „N in Q ein patentverletzendes Servicemodul angeboten bzw. ausgestellt haben. Denn die Klägerin hat bereits nicht hinreichend substantiiert dazu vorgetragen, wie die Werkzeuge bei dem vermeintlich auf der Messe angebotenen Servicemodul angeordnet gewesen sein sollen. - Nach den allgemeinen, auch im Patentverletzungsverfahren geltenden Regeln zur Darlegungs- und Beweislast ist die klagende Patentinhaberin mit Blick auf die Patentverletzung voll darlegungs- und beweisbelastet mit der Folge, dass es grundsätzlich ihr obliegt, darzulegen und ggf. zu beweisen, dass eine bestimmte Vorrichtung von allen Merkmalen eines Anspruchs Gebrauch macht (vgl. Grabinski/Zülch in Benkard, Kommentar zum PatG, 11. Auflage 2015, § 139, Rz. 115 m.w.N.). Die belastete Partei muss daher die einzelnen Tatsachen, aus denen sich die zu ihrem Beweis stehenden Tatbestandsmerkmale ergeben, schlüssig darlegen und, soweit sie bestritten werden, beweisen; die Gegenseite braucht ihr die Führung des Beweises in der Regel auch nicht zu erleichtern, insbesondere nicht schon deswegen, weil sie der Wahrheit näher steht (BGH GRUR 76, 579, 581 – Tylosin).
- Im Einzelfall kann es der nicht beweisbelasteten Partei im Rahmen der sekundären Darlegungslast obliegen, zu bestimmten – an sich der Darlegungs- und Beweislast des Gegners unterfallenden – Punkten substantiell vorzutragen (Grabinski/Zülch/Benkard, a.a.O., Rz. 116). So müssen unter Umständen nach Treu und Glauben solche Tatsachen spezifiziert mitgeteilt werden, die der mit der Darlegung und Beweisführung belasteten Partei nicht oder nur unter unverhältnismäßigen Erschwerungen zugänglich sind, während ihre Offenlegung für den Gegner sowohl ohne weiteres möglich als auch zumutbar erscheint (BGH GRUR 2004, 268 – Blasenfreie Gummibahn II).
- Mit Blick auf das Klagepatent oblag es der Klägerin daher zunächst aufzuzeigen, dass die Beklagten ein Servicemodul ausgestellt bzw. angeboten haben, bei dem die Werkezuge in der klagepatengemäßen Art und Weise angeordnet waren.
- Zwischen den Parteien ist unstreitig, dass auf dem Messestand der Beklagten über eine Virtual Reality Konsole Anlagen der Beklagten dreidimensional zu besichtigen waren. Da sich eine entsprechende Konsole zum Zeitpunkt der Besichtigung des Werkes der Beklagten durch die gerichtliche Sachverständige Dr. G nicht vor Ort in B befand, war es der gerichtlichen Sachverständigen nicht möglich, die damalige Messe-Präsentation selbst nachzuvollziehen. Zwar wurde ihr ein Video vorgeführt, dass einen Mitarbeiter der Beklagten zu 1) bei der Benutzung der Konsole zeigt, wobei in einigen Sequenzen auch eine Serviceeinheit zur Verwendung bei der Herstellung mit Turm und Werkzeugen zu sehen ist. Anhand dieses Videos vermochte die gerichtliche Sachverständige Dr. G eine Verwirklichung aller Merkmale des Anspruchs 1 (wie auch der geltend gemachten Unteransprüche) nicht festzustellen, vgl. Ziff. IV.4 auf den Seiten 32ff. des Gutachtens.
- Mit Blick darauf, dass es sich bei den streitgegenständlichen Servicemodulen unstreitig um Einzelanfertigungen handelt, genügt allein die pauschal von der Klägerin behauptete Möglichkeit, dass die auf der Messe gezeigte Serviceeinheit von allen Merkmalen das Anspruchs 1 des Klagepatents Gebrauch machen könnte, nicht, um – wie die Klägerin meint – von den Beklagten im Wege der sekundären Darlegungslast weitere Angaben zur Ausgestaltung des Moduls zu fordern, was einer Ausforschung gleichkäme. Die Klägerin hätte vorher hinreichend substantiiert aufzeigen müssen, dass das auf der Messe gezeigte Servicemodul dem Grunde nach dem Aufbau den anderen streitgegenständlichen Servicemodulen entspricht.
- Den Beklagten kann auch – anders als die Klägerin meint – nicht entgegengehalten werden, dass zum Zeitpunkt der Besichtigung durch die gerichtliche Sachverständige Dr. G keine Virtual Reality Konsole vor Ort in B war, da es keine Verpflichtung des Besichtigungsschuldners gibt, Gerätschaften aus anderen Betriebsstätten zum Ort der Besichtigung zu schaffen. Vielmehr steht es in der Risikosphäre des Besichtigungsgläubigers, welche Gerätschaften und Vorrichtungen in der von ihm im Besichtigungsantrag angebenden Betriebsstätte vorhanden sind.
-
III.
An der Passivlegitimation der Beklagten zu 1) bestehen keine Bedenken. Etwas anderes ergibt sich indes mit Blick auf die ebenfalls verklagten Beklagten zu 2) bis 4), welche von der Klägerin als Geschäftsführer der Beklagten zu 1) in Anspruch genommen werden. - 1.
Nach der allgemein herrschenden Auffassung in Rechtsprechung und Literatur hat der Geschäftsführer einer Gesellschaft für eine durch diese begangene Patentverletzung einzustehen. Der 15. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Q hat in seinem Urteil vom 11. Januar 2018 (Az. I-15 U 66/17) insoweit ausgeführt: - „Nach der Rechtsprechung des X. Zivilsenat des BGH (GRUR 2016, 257 – Glasfasern), der sich der Senat angeschlossen hat (OLG Q BeckRS 2017, 110549), genügt für die Annahme einer persönlichen Haftung eines gesetzlichen Vertreters nicht der Verweis auf Pflichten, die dem gesetzlichen Vertreter, z. B. nach § 43 Abs. 1 GmbHG gegenüber der Gesellschaft obliegen. Erforderlich (aber auch ausreichend) ist vielmehr eine Garantenstellung auf Grund der der gesetzliche Vertreter persönlich zum Schutz Außenstehender vor Gefährdung oder Verletzung ihrer durch § 823 Abs. 1 BGB geschützten Rechte gehalten ist.
- Eine solche kann sich mit Blick auf den Schutz von absoluten Rechten Dritter und insbesondere technischen Schutzrechten aus der Zuständigkeit des Organs für die Organisation und Leitung sowie der daraus erwachsenden persönlichen Einflussnahme auf die Gefahrenabwehr und Gefahrensteuerung und der damit verbundenen persönliche Verantwortung des Organs den betroffenen Außenstehenden gegenüber ergeben. Auch wenn in diesem Fall das bloße Bestehen eines absolut geschützten Rechts nicht ohne Weiteres ausreicht, um eine Garantenpflicht zu begründen, kommt sie aber jedenfalls dann in Betracht, wenn der Betroffene ein Schutzgut der Einflusssphäre der Gesellschaft anvertraut hat oder wenn aus sonstigen Gründen eine konkrete Gefahrenlage für das Schutzgut besteht und der Geschäftsführer oder Mitarbeiter des Unternehmens für die Steuerung derjenigen Unternehmenstätigkeit verantwortlich ist, aus der sich die Gefahrenlage ergibt (BGH GRUR 2016, 257 – Glasfasern; BGH NJW 1990, 976). Die Haftung des Geschäftsführers folgt in diesen Fällen nicht aus seiner Geschäftsführerstellung als solcher, sondern aus der – von der Rechtsform des Unternehmens unabhängigen – tatsächlichen und rechtlichen Möglichkeit und Zumutbarkeit der Beherrschung einer Gefahrenlage für absolut geschützte Rechte Dritter. Davon ist im Hinblick auf den Schutz von Patenten jedenfalls dann typischerweise auszugehen, wenn ein Unternehmen technische Erzeugnisse herstellt oder in den inländischen Markt einführt (BGH GRUR 2016, 257 – Glasfasern).
- Angesichts dessen ist ein Unternehmen verpflichtet, vor Herstellung und Vertrieb technischer Erzeugnisse zu prüfen, ob sie in deren Schutzbereich fallen, und der gesetzliche Vertreter des Unternehmens ist aufgrund seiner Verantwortung für die Organisation und Leitung des Geschäftsbetriebes und wegen der Gefahr, dass die Produktion oder Vertriebstätigkeit des Unternehmens die fortlaufende Verletzung technischer Schutzrechte Dritter zur Folge hat, grundsätzlich gehalten, die gebotenen Überprüfungen zu veranlassen oder den Geschäftsbetrieb in einer Weise zu organisieren, die eine Erfüllung dieser Pflicht durch dafür verantwortliche Mitarbeiter gewährleistet. Er muss insbesondere dafür sorgen, dass grundlegende Entscheidungen über die Geschäftstätigkeit der Gesellschaft nicht ohne seine Zustimmung erfolgen und dass die mit Entwicklung, Herstellung und Vertrieb betrauten Mitarbeiter der Gesellschaft die gebotenen Vorkehrungen treffen, um eine Verletzung fremder Patente zu vermeiden. Der gesetzliche Vertreter haftet daher persönlich, wenn er die ihm möglichen und zumutbaren Maßnahmen unterlässt, die Geschäftstätigkeit des Unternehmens so einzurichten und zu steuern, dass hierdurch keine technischen Schutzrechte Dritter verletzt werden (BGH GRUR 2016, 257 – Glasfasern II m. w. N.; OLG Q BeckRS 2017, 110549; OLG Q BeckRS 2015, 18679).
- Wenn es bereits zu einer schuldhaften Patentverletzung gekommen ist, bedarf es regelmäßig keines näheren Sachvortrages des Verletzten dazu, dass der gesetzliche Vertreter seine Pflichten schuldhaft verletzt hat. Vielmehr trägt dieser eine sekundäre Darlegungslast hinsichtlich der Frage, wie er den ihm obliegenden Pflichten konkret nachgekommen ist. (BGH GRUR 2016, 257 – Glasfasern II; OLG Q BeckRS 2017, 110549).“
- Sind mehrere Geschäftsführer mit unterschiedlichen, sich einander ergänzenden Zuständigkeitsbereichen bestellt, so haftet grundsätzlich nur derjenige Geschäftsführer, in dessen Verantwortungsbereich das patentverletzende Handeln fällt (Kühnen, a.a.O., Kapitel D., Rz. 406 m.w.N.). Da grundsätzlich jeden Geschäftsführer die Gesamtverantwortlichkeit für das geschäftliche Handeln seiner GmbH trifft, ist es an ihm, sein mangelndes Verschulden für die vorgefallene Schutzrechtsverletzung einzuwenden, indem er eine beachtliche, die gegen ihn sprechende Verschuldensvermutung ausräumende Ressortaufteilung darlegt (Kühnen, a.a.O., Kapitel D., Rz. 407 m.w.N.). Eine Haftung des an sich „unzuständigen“ Geschäftsführer kann sich auch daraus ergeben, dass er mit abgemahnt wurde oder er auf andere Weise von der Patentverletzung erfahren hat; indes nur für solchen Patentverletzungen, die im Anschluss an seine Kenntniserlangungen begangen wurden (vgl. OLG Q, Urt. v. 11. Januar 2018, Az. I-15 U 66/17).
- 2.
Ausgegend von diesen Grundsätzen gilt für die in Anspruch genommenen Geschäftsführer der Beklagten zu 1) Folgendes: - 2.1.
Der Beklagte zu 2) haftet nicht, da er sich nach dem unwidersprochen gebliebenen Vortrag der Beklagten für den Produktbereich „T“ verantwortlich zeichnet. Die streitgegenständlichen Anlagen fallen indes in den Produktbereich „N“, der neben dem ebenfalls vorhandenen Produktbereich „Offshore Cranes“, ein eigenständiges Ressort im Geschäftsbetrieb der Beklagten zu 1) darstellt. - Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus dem Umstand, dass Frau Z als einzig anwesendes Mitglied der Geschäftsleitung zum Zeitpunkt der Besichtigung der Betriebsstätte der Beklagten zu 1) durch die gerichtliche Sachverständige Dr. G unter anderem versucht hat, auch den Beklagten zu 2) telefonisch zu kontaktieren. Ausweislich der Angaben der Sachverständigen in ihrem Gutachten konnte Frau Z den Beklagten zu 2) nicht erreichen, so dass jedenfalls nicht festgestellt werden konnte, dass dieser Kenntnis von der (vorgeworfenen) Patentverletzung erlangt hat. Zudem stellt allein der Kontaktversuch kein hinreichendes Indiz dafür dar, dass der Beklagte zu 2) auch für den Produktbereich „N“ verantwortlich ist. Frau Z hat nach den Angaben der Sachverständigen mehrere Geschäftsführer der Beklagten zu 1) angerufen bzw. versucht zu erreichen, um Anweisung zu erhalten, wie sie mit der Besichtigung bzw. der Zustellung der begleitenden einstweiligen Verfügung umzugehen hat. Dieses Vorgehen ist nachvollziehbar und es erscheint jedenfalls nicht ausgeschlossen, dass sie auch den Geschäftsführer eines nicht zuständigen Ressorts kontaktiert, da der zuständige Geschäftsführer nicht zu erreichen war und die zweistündige Reaktionsfrist lief.
- Schließlich ergibt sich eine Verantwortlichkeit des Beklagten zu 2) nicht daraus, dass er auf einem Foto aus dem Jahr 2002 neben dem XXX-Kran zu sehen ist. Denn dieses Foto wurde mehrere Jahre vor Anmeldung des Klagepatents aufgenommen und ist daher kein Beleg dafür, dass er ab dem Zeitpunkt von dessen Anmeldung bzw. dessen Erteilung noch für den Bereich „N“ verantwortlich war.
- 2.2.
Auch für die Beklagten zu 3) und 4) kann eine Verantwortlichkeit nicht festgestellt werden. Diese waren zum Zeitpunkt der beiden streitgegenständlichen Angebotshandlungen/Ausschreibungen H/F und J/K keine Geschäftsführer der Beklagten zu 1), so dass eine allein die persönliche Verurteilung rechtfertigende Haftung der beiden mit Blick auf Ansprüche, die diese beiden Anlagen betreffen, ausscheiden muss. - Nach den zuvor unter Ziffer III.1. dargestellten Grundsätzen bedarf es für die persönlichen Haftung des Geschäftsführers einer Garantenstellung, die nicht zuletzt aus einer tatsächlichen und rechtlichen Möglichkeit folgt, die Gefahrenlage für absolut geschützte Rechte Dritter durch ein Einwirken auf die Handlungen der Gesellschaft zu beherrschen. Im Umkehrschluss folgt daraus aber auch, dass der Geschäftsführer für solche Handlungen nicht persönlich einzustehen hat, die vor seinem Eintritt in die Gesellschaft bzw. seiner Berufung zum Geschäftsführer erfolgten, da ihm insoweit bereits jegliche tatsächliche Möglichkeit fehlt, auf die Entscheidungen und Handlungen der Gesellschaft in maßgeblicher Art und Weise einzuwirken.
- Nach dem unwidersprochen gebliebenen Vortrag der Klägerin sind die Beklagten zu 3) und 4) unter dem 17. Januar 2018 als Geschäftsführer der Beklagten zu 1) ins Handelsregister eingetragen worden. Die beiden als patentverletzend zu wertenden Handlungen datieren indes aus einem Zeitraum vor dem 17. Januar 2018. Die Vorgänge rund um den variation order request betreffend die Anlage H/F fanden im Zeitraum von Dezember 2016 bis Februar 2017 statt und das Angebot betreffend die Anlage J/K datiert vom 21. Februar 2017.
- Soweit die Beklagte zu 1) mit vorliegendem Urteil zur Unterlassung in der tenorierten Form verurteilt wird, obliegt es ihren jeweils zuständigen Geschäftsführern, die zukünftig Abgabe weiterer patentverletzende Angebote zu verhindern, indes rechtfertig dies nicht die persönliche Verurteilung der Beklagten zu 3) und 4) allein auf Grundlage solcher Verstöße, die vor ihrer Berufung zum Geschäftsführer erfolgten.
-
IV.
Aus der Verletzung des Klagepatentes ergeben sich nachfolgende Rechtsfolgen: - 1.
Da die Beklagte zu 1) das Klagepatent widerrechtlich benutzt hat, ist sie gemäß Art. 64 EPÜ, § 139 Abs. 1 PatG zur Unterlassung im tenorierten Umfang verpflichtet. - 1.1.
Entgegen der Ansicht der Klägerin war der Tenor auf die Verletzungshandlung des Anbietens zu beschränken. - In Bezug auf das Anbieten patentverletzender Servicemodule ergibt sich die Gefahr weiterer Rechtsverletzungen vorliegend daraus, dass die Beklagte diese Benutzungsart wie bereits im Einzelnen dargelegt im Rahmen ihrer gewerblichen Tätigkeit schon vorgenommen hat, weshalb nicht auszuschließen ist, dass sich dieses Verhalten auch in Zukunft wiederholen wird (sog. Wiederholungsgefahr).
- Im Hinblick auf die übrigen Benutzungshandlungen im Sinne von § 9 Nr. 1 PatG ist die für eine Verurteilung zur Unterlassung notwendige Begehungsgefahr nicht gegeben.
- Ob Gegenstand eines Unterlassungsanspruchs auch Benutzungsarten sein können, derer sich der Verletzer nicht bedient hat (vgl. Benkard/Grabinski/Zülch, a.a.O., § 139, Rz. 28 und 32), hängt von den Umständen des Einzelfalls, insbesondere von der Ausrichtung des Geschäftsbetriebs des Verletzungsbeklagten, ab. Nach der Rechtsprechung des Oberlandesgerichts Q (Urt. v. 6. April 2017, I-2 U 51/16) ist prinzipiell zwischen Herstellungsbetrieben und reinen Vertriebsunternehmen zu unterscheiden. Ist es zu Herstellungshandlungen gekommen, besteht im Allgemeinen eine Begehungsgefahr auch für nachfolgende Angebots- und Vertriebshandlungen, weil die Herstellung eines Produktes typischerweise ihrem anschließenden Verkauf dient. Ein Hersteller ist daher regelmäßig wegen sämtlicher Benutzungshandlungen des § 9 Nr. 1 PatG zu verurteilen (OLG Q, Urt. v. 6. April 2017, I-2 U 51/16).
- Ist der Beklagte demgegenüber ein reines Handelsunternehmen, so schafft jede Angebotshandlung – im Allgemeinen – eine Begehungsgefahr für das Inverkehrbringen, Gebrauchen, Besitzen und Einführen (vgl. Kühnen, a.a.O., Kapitel D., Rz. 520). Dies gilt selbst dann, wenn der Beklagte ausdrücklich bestreitet, bisher außer dem Anbieten andere Benutzungshandlungen vorgenommen zu haben, oder dies zwischen den Parteien ggf. sogar unstreitig ist (vgl. Kühnen, a.a.O., Kapitel D., Rz. 494). Grund hierfür ist, dass der Geschäftsbetrieb des jeweiligen Unternehmens auch auf diese Benutzungsarten ausgerichtet ist bzw. diese Benutzungsarten vom üblichen Geschäftsbetrieb eines solchen Unternehmens umfasst sind, so dass regelmäßig auch mit diesen zu rechnen ist. Darüber hinaus ist ohne anderweitige Anhaltspunkte nach der Lebenserfahrung regelmäßig die Annahme gerechtfertigt, dass es auch bereits zu anderweitigen Benutzungshandlungen (z.B. Inverkehrbringen) gekommen ist. Welche konkrete Benutzungsart vom Patentinhaber im Einzelfall aufgedeckt wird, hängt häufig vom Zufall ab. In einem solchen Fall bestehen daher regelmäßig keine Bedenken, die Verurteilung auf Unterlassung auf alle in § 9 PatG genannten Benutzungsarten (bei reinen Handelsunternehmen mit Ausnahme der Benutzungsvariante des Herstellens) zu beziehen, auch wenn eine Verletzungshandlung nur für eine dieser Benutzungsarten nachgewiesen wird (OLG Q, Urt. v. 6. April 2017, I-2 U 51/16).
- Eine Benutzung während des Offenlegungszeitraums – und damit erst Recht vor Patentanmeldung – ist rechtmäßig und begründet für sich indes noch keine Gefahr, dass die Benutzung nach Patenterteilung in dann rechtswidriger Art und Weise fortgesetzt wird (vgl. LG Q, InstGE 7, 1 – Sterilisationsverfahren). Dementsprechend sind solche Handlungen der Rechtsvorgängerin der Beklagten zu 1), die im Jahr 2002 in deren Stammsitz in C vorgenommen wurden, für das hiesige Verfahren nicht von Relevanz.
- 1.2.
Gemessen an diesen Grundsätzen besteht mit Blick auf die übrigen von § 9 PatG enumerativ genannten Benutzungshandlungen keine hinreichende Erstbegehungsgefahr. - Bei der Beklagten zu 1) handelt es sich nicht nur um ein reines Handelsunternehmen. Zwar mag sie selbst die angegriffenen Servicemodule nicht hergestellt haben, sondern durch von ihr beauftrage Subunternehmer hat herstellen lassen, dabei sind diese Module aber von ihr entworfen und deren Herstellung jedenfalls überwacht worden. Dementsprechend besteht auf Grundlage der vorstehenden Rechtsprechung zunächst keine Veranlassung die Benutzungshandlung des Herstellens dem Grunde nach auszuklammern, auch wenn keine Herstellungshandlungen in der Bundesrepublik Deutschland während der Laufzeit des Klagepatents erfolgt bzw. geplant sind.
- Die Beklagte zu 1) hat jedoch unstreitig weder vor noch nach Erteilung des Klagepatents aus der Bundesrepublik Deutschland heraus andere Handlungen als das Anbieten vorgenommen. Die Beklagten haben auch zur Überzeugung der Kammer aufzuzeigen vermocht, dass im vorliegenden Fall hinreichende Anhaltspunkte dafür bestehen, dass die Beklagten auch zukünftig (bis zum Ablauf des Klagepatents) patentverletzende Servicemodule weder in der Bundesrepublik Deutschland herstellen lassen und/oder einführen werden, noch eine der übrigen verbotenen Benutzungshandlungen vornehmen werden.
- Eine entsprechende Wahrscheinlichkeit bzw. Gefahr der Begehung dieser Verletzungshandlungen ergibt sich dabei insbesondere nicht aus dem Umstand, dass es sich bei den in Neuss und Essen sitzenden Unternehmen S und U N um Kunden der Beklagten zu 1) handelt. Denn diese Unternehmen wurden in der Vergangenheit unstreitig von der Beklagten zu 1) nicht mit streitgegenständlichen Servicemodulen beliefert. Dies folgt schon daraus, dass deren Nöfen in der Regel nicht mittels Kränen, sondern mittels Fahrzeugen gewartet werden, so dass die patentgemäße Lösung für diese Anlagen ungeeignet ist. Sofern die Klägerin zuletzt noch auf die beiden U-Werke in Voerde und Hamburg verwiesen hat, so werden dort zwar Servicekräne eingesetzt. Nach dem unwidersprochen gebliebenen Vortrag der Beklagten in der mündlichen Verhandlung vom 28. Juni 2022 laufen derzeit aber keine Ausschreibungsverfahren für neue Servicemodule in diesen Werken. Vor dem Hintergrund der mehrjährigen Dauer bzw. Vorlaufphasen solcher Verfahren und der derzeitigen Energiekrise sind mit entsprechenden Ausschreibungen bis zum Ablauf des Klagepatents im März 2025 auch nicht mehr zu rechnen.
- 2.
Die Beklagte zu 1) trifft ein zumindest fahrlässiges Verschulden. Denn die Beklagte zu 1) als Fachunternehmen hätte bei Anwendung der von ihr im Geschäftsverkehr zu fordernden Sorgfalt die Benutzung des Klagepatents erkennen und vermeiden können, § 276 BGB. Für die Zeit ab Erteilung des Klagepatents schuldet die Beklagte zu 1) für alle Verletzungshandlungen daher Ersatz des Schadens, welcher der Klägerin entstanden ist und noch entstehen wird, Art. 64 EPÜ, § 139 Abs. 2 PatG. Da die genaue Schadensersatzhöhe derzeit noch nicht feststeht, die Klägerin nämlich keine Kenntnis über den Umfang der Benutzungs- und Verletzungshandlungen durch die Beklagte zu 1) hat, hat sie ein rechtliches Interesse gemäß § 256 ZPO daran, dass die Schadensersatzverpflichtung der Beklagten zu 1) dem Grunde nach festgestellt wird. -
3.
Um die Klägerin in die Lage zu versetzen, den ihr zustehenden Schadensersatz zu beziffern, ist die Beklagte zu 1) verpflichtet, im zuerkannten Umfang über ihre Benutzungshandlungen Auskunft zu erteilen und Rechnung zu legen, § 140b PatG i.V.m. §§ 242, 259 BGB. Da die Klägerin die begehrten Angaben erst ab dem 2. November bzw. 2. Dezember 2016 verlangen kann, bestand seitens der Kammer keiner Veranlassung auszusprechen, dass sich die Verpflichtung zur Auskunftserteilung für die vor dem 1. Mai 1992 begangene Handlungen auf Handlungen in dem Gebiet der Bundesrepublik Deutschland in den bis zum 2. Oktober 1990 bestehenden Grenzen beschränkt. Gleiches gilt für Angaben zu den Verkaufsstellen, Einkaufspreisen und Verkaufspreisen für die Zeit seit dem 30. April 2006. - Aus den Erwägungen zur Beschränkung des Unterlassungstenors folgt, dass auch insoweit nur eine Verurteilung mit Blick auf die Verletzungshandlung des Anbietens erfolgen kann (OLG Q, Urt. v. 6. April 2017, I-2 U 51/16).
- 4.
Die Beklagte zu 1) ist demgegenüber nach § 140a Abs. 1 und 3 PatG nicht auch zur Vernichtung und zum Rückruf der das Klagepatent verletzenden Gegenstände verpflichtet. - Der Vernichtungsanspruch nach § 140a Abs. 1 PatG setzt unter anderem voraus, dass der Beklagte patentverletzende Gegenstände zum Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung vor Gericht (noch) in seinem inländischen Besitz oder Eigentum hat (vgl. Kühnen, a.a.O., Kapitel D., Rz. 904 m.w.N.). Vorliegend hat die Klägerin weder vorgetragen noch behauptet, dass die Beklagte zu 1) seit der Erteilung des Klagepatents inländischen Besitz oder Eigentum an patentverletzenden Servicemodulen hat bzw. hatte.
- Der Rückrufanspruch des § 140 Abs. 3 PatG setzt zwar – anders als der Vernichtungsanspruch – keinen inländischen Besitz voraus, indes ist erforderlich, dass die vom Rückruf betroffenen Gegenstände in einer patentverletzenden Art und Weise das Unternehmen des Anspruchsschuldners verlassen haben müssen (Kühnen, a.a.O., Kapitel D., Rz 936). Mit Blick auf im patentfreien Ausland befindliche Gegenstände ist daher entscheidend, ob sie unter Verletzung des Klagepatents hergestellt oder geliefert wurden, mithin der Anspruchsschuldner die Gegenstände etwa im Inland hergestellt und dann ins Ausland verbracht hat (vgl. Benkard/Grabinski/Zülch, a.a.O., § 140a, Rz. 14). Nach dem unbestrittenen Vortrag der Beklagten wurde der streitgegenständliche Kran für H/F nicht in Deutschland hergestellt, sondern im patentfreien Ausland vor Ort hergestellt und montiert.
-
B.
Die Nebenentscheidungen folgen aus §§ 92 Abs. 1, 709 ZPO. -
C.
Der Streitwert war endgültig auf EUR 2.500.000,00 festzusetzen. Denn das für den Streitwert maßgebliche klägerische Interesse bemisst sich unter Berücksichtigung der Ansprüche auf Unterlassung, Auskunft sowie Schadensersatzfeststellung, wobei der Wert eines einzigen Moduls/Auftrags nach den eigenen Angaben der Klägerin bereits einen zweistelligen Millionenbereich umfasst.