Düsseldorfer Entscheidungen Nr. 3230
Landgericht Düsseldorf
Urteil vom 30. Juni 2022, Az. 4a O 10/22
- I. Die Verfügungsbeklagten werden verurteilt, es bei Meidung eines für jeden Fall der Zuwiderhandlung fälligen Ordnungsgeldes bis zu EUR 250.000,00 – ersatzweise Ordnungshaft – oder einer Ordnungshaft bis zu sechs Monaten, im Falle wiederholter Zuwiderhandlung bis zu insgesamt zwei Jahren, wobei die Ordnungshaft der Verfügungsbeklagten zu 1) an ihrem Geschäftsführer Herrn A zu vollziehen ist, zu unterlassen,
ohne Zustimmung der Verfügungsklägerinnen
eine Werkzeugeinrichtung in der Bundesrepublik Deutschland anzubieten, in Verkehr zu bringen oder zu den genannten Zwecken einzuführen oder zu besitzen,
welche zur Verwendung mit einer, insbesondere handgeführten, Werkzeugmaschine geeignet ist, die eine sich um eine Antriebsachse oszillierend bewegende Antriebseinrichtung mit einer Antriebsspindel aufweist,
und welche eine Anschlusseinrichtung aufweist, mit der sie an einer Werkzeugmaschine derart befestigbar ist, dass deren Antriebsachse und eine Werkzeugdrehachse im Wesentlichen zusammenfallen,
wobei diese Anschlusseinrichtung zur Aufnahme einer Antriebskraft wenigstens zwei im Abstand zu dieser Werkzeugdrehachse angeordnete Antriebsflächenbereiche mit je einer Vielzahl von Flächenpunkten aufweist,
wobei Tangentialebenen an diesen Flächenpunkten gegenüber einer Axialebene, welche diese Werkzeugdrehachse einschließt, geneigt sind und,
wobei diese Tangentialebenen gegenüber einer Radialebene, welche sich senkrecht zu der Werkzeugdrehachse erstreckt, geneigt sind;
die Anschlusseinrichtung weist eine Seitenwandung auf, diese Seitenwandung verläuft radial beabstandet von der Werkzeugdrehachse,
diese Seitenwandung erstreckt sich zwischen einer ersten oberen und einer zweiten unteren Begrenzungsebene und,
diese Seitenwandung weist die Antriebsflächenbereiche auf,
durch die Seitenwandung entsteht ein im Wesentlichen hohlkegeliger Abschnitt im Bereich der Anschlusseinrichtung, der einen Querschnitt mit variablem Abstand der Seitenwandung zur Werkzeugdrehachse in einer zu dieser Werkzeugdrehachse orthogonalen Ebene aufweist,
diese Seitenwandung weist im Wesentlichen eine mittlere Wandstärke (t 1) auf, welche grösser oder gleich 0,2 mm, bevorzugt grösser als 0,5 mm und besonders bevorzugt grösser 0,8 mm, weiter vorzugsweise kleiner oder gleich 4 mm, bevorzugt kleiner als 2 mm und besonders bevorzugt kleiner als 1,5 mm, außerdem besonders bevorzugt im Wesentlichen 1 mm oder 1,5 mm ist oder bevorzugt auch ein Maß zwischen 1 mm und 1,5 mm aufweist,
diese Werkzeugeinrichtung weist insbesondere im Bereich der Anschlusseinrichtung im Wesentlichen eine Wandstärke t auf,
diese erste und diese zweite Begrenzungsebene sind um einen Abstand T voneinander beabstandet,
dieser Abstand T größer ist als 2 mal t, besonders bevorzugt größer oder gleich 3 mal t und weiter kleiner als 10 mal t und besonders bevorzugt kleiner oder gleich 5 mal t und weiter bevorzugt entspricht T im Wesentlichen 3,5 mal t +/- 0,75 mal t.
II. Die Verfügungsbeklagten haben die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III. Das Urteil ist für die Verfügungsklägerinnen vorläufig vollstreckbar gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 150.000,00 €. - Tatbestand
- Die Verfügungsklägerinnen nehmen die Verfügungsbeklagten im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes wegen Verletzung des Gebrauchsmusters DE 20 2013 006 XXX U1 (nachfolgend: Verfügungsgebrauchsmuster) auf Unterlassung in Anspruch.
Die Verfügungsklägerinnen sind Hersteller von Elektrowerkzeugen, insbesondere von dreh-oszillierend angetriebenen Werkzeugmaschinen (im Folgenden: Oszillationsmaschinen).
Anfang des Jahres 2016 führten die Verfügungsklägerinnen zusammen die sogenannte „B“-Aufnahme in den Werkzeugmarkt ein. Diese betraf Oszillationsmaschinen mit einer dreidimensional ausgebildeten Werkzeugaufnahme und dazu angepassten Werkzeugen, insbesondere zum Sägen, Schleifen und Schaben, die höhere Standzeiten der Werkzeuge und höhere Antriebsleistungen ermöglichen sollten.
Die Verfügungsklägerinnen sind gemeinschaftliche Inhaberinnen des Verfügungsgebrauchsmusters DE 2013 2006 XXX U1, das am 01.08.2013 angemeldet, am 03.11.2014 eingetragen und am 11.12.2014 bekannt gemacht wurde (vgl. Registerauszug der Anlage WR 5). Das Verfügungsgebrauchsmuster betrifft eine Werkzeugeinrichtung und steht in Kraft.
Der im Streitfall von den Verfügungsklägerinnen geltend gemachte eingeschränkte Anspruch 1 in Verbindung mit den eingetragenen Ansprüchen 6 und 9 und den Merkmalen aus Absätzen [0048] und [0049] der Beschreibung des Verfügungsgebrauchsmusters lautet wie folgt:
„Werkzeugeinrichtung, welche zur Verwendung mit einer, insbesondere handgeführten, Werkzeugmaschine geeignet ist, die eine sich um eine Antriebsachse oszillierend bewegende Antriebseinrichtung mit einer Abtriebsspindel aufweist, und welche eine Anschlusseinrichtung aufweist, mit der sie an einer Werkzeugmaschine derart befestigbar ist, dass deren Antriebsachse und eine Werkzeugdrehachse im Wesentlichen zusammenfallen, wobei diese Anschlusseinrichtung zur Aufnahme einer Antriebskraft wenigstens zwei im Abstand zu dieser Werkzeugdrehachse angeordnete Antriebsflächenbereiche mit je einer Vielzahl von Flächenpunkten aufweist, wobei Tangentialebenen an diesen Flächenpunkten gegenüber einer Axialebene, welche diese Werkzeugdrehachse einschließt, geneigt sind und, wobei diese Tangentialebenen gegenüber einer Radialebene, welche sich senkrecht zu der Werkzeugdrehachse erstreckt, geneigt sind;
dadurch gekennzeichnet, dass die Anschlusseinrichtung eine Seitenwandung aufweist, dass diese Seitenwandung radial beabstandet von der Werkzeugdrehachse verläuft, dass sich diese Seitenwandung zwischen einer ersten oberen und einer zweiten unteren Begrenzungsebene erstreckt und dass diese Seitenwandung die Antriebsflächenbereiche aufweist,
wobei durch die Seitenwandung ein im Wesentlichen hohlkegeliger Abschnitt im Bereich der Anschlusseinrichtung entsteht, der einen Querschnitt mit variablem Abstand der Seitenwandung zur Werkzeugdrehachse in einer zu dieser Werkzeugdrehachse orthogonalen Ebene aufweist und die Seitenwandung im Wesentlichen eine mittlere Wandstärke (t 1) aufweist, welche größer oder gleich 0,2 mm, bevorzugt größer als 0,5 mm und besonders bevorzugt größer 0,8 mm, weiter vorzugsweise kleiner oder gleich 4 mm, bevorzugt kleiner als 2 mm und besonders bevorzugt kleiner als 1,5 mm, außerdem besonders bevorzugt im Wesentlichen 1 mm oder 1,5 mm ist oder bevorzugt auch ein Maß zwischen 1 mm und 1,5 mm aufweist,
wobei diese Werkzeugeinrichtung insbesondere im Bereich der Anschlusseinrichtung im Wesentlichen eine Wandstärke t aufweist, diese erste und diese zweite Begrenzungsebene um einen Abstand T voneinander beabstandet sind, dieser Abstand T größer ist als 2 mal t, besonders bevorzugt größer oder gleich 3 mal t und weiter kleiner als 10 mal t und besonders bevorzugt kleiner oder gleich 5 mal t und weiter bevorzugt entspricht T im Wesentlichen 3,5 mal t +/- 0,75 mal t.“ - Nachfolgend werden in verkleinerter Darstellung eine Seitenansicht (Fig. 1a) und eine Draufsicht (Fig. 1b) einer erfindungsgemäßen Werkzeugeinrichtung mit zwei Antriebsflächenbereichen (2) eingeblendet:
Die nachfolgend verkleinert eingeblendete Figur 4 des Verfügungsgebrauchsmusters zeigt eine Schnittdarstellung eines Ausschnitts einer erfindungsgemäßen Werkzeugeinrichtung: - Zudem sind die Verfügungsklägerinnen gemeinschaftliche Inhaberinnen des deutschen Teils des europäischen Patents EP 3 027 XXX B1 (nachfolgend: EP `XXX), das am 25.07.2014 unter Inanspruchnahme der Priorität der Anmeldung des Verfügungsgebrauchsmusters vom 01.08.2013 angemeldet und dessen Eintragung am 11.04.2018 veröffentlicht und bekannt gemacht wurde (vgl. Registerauszug Anlage WR 8).
Am 11.01.2019 legte die Verfügungsbeklagte zu 1) Einspruch gegen das Patent EP `XXX ein (Anlage WR 9), wobei sie unter anderem die Entgegenhaltung D3 = DE 21 20 XXX Al (Anlage WR 27/AG3) einführte. In der mündlichen Verhandlung vom 12.10.2021 (Anlage WR 10) verneinte die erste Instanz des EPA eine Aufrechterhaltung des Patents in der Fassung der Hilfsanträge 1 bis 4 aufgrund Neuheitsschädlichkeit durch die Entgegenhaltung D3 und hielt das Patent in der Fassung des Hilfsantrags 5 neu aufrecht. Wegen der Einzelheiten der Entscheidung wird auf die als Anlage WR 10 eingereichte Information des EPA sowie auf die als Anlage WR 11/AG5 eingereichte Begründung der Entscheidung vom 23.12.2021 Bezug genommen.
Anspruch 1 des Patents EP `XXX in der im Parallelverfahren vor der Kammer geltend gemachten geänderten und von der Einspruchsabteilung des EPA aufrechterhaltenen Fassung lautet wie folgt (Änderungen markiert):
„Werkzeugeinrichtung (1, 1b), welche zur Verwendung mit einer, insbesondere handgeführten, Werkzeugmaschine (22) geeignet ist, die eine sich um eine Antriebsachse, insbesondere oszillierend, bewegende Antriebseinrichtung aufweist,
und welche eine Anschlusseinrichtung (12) aufweist, mit der sie an einer Werkzeugmaschine (22) derart befestigbar ist, dass deren Antriebsachse und eine Werkzeugdrehachse (5) im Wesentlichen zusammenfallen,
wobei diese Anschlusseinrichtung (12) zur Aufnahme einer Antriebskraft wenigstens zwei im Abstand zu dieser Werkzeugdrehachse (5) angeordnete Antriebsflächenbereiche (2, 2a, 2b) mit je einer Vielzahl von Flächenpunkten (3) aufweist,
wobei Tangentialebenen (4) an diesen Flächenpunkten (3) gegenüber einer Axialebene (7), welche diese Werkzeugdrehachse (5) einschließt, geneigt sind,
wobei diese Tangentialebenen (4) gegenüber einer Radialebene (6), welche sich senkrecht zu der Werkzeugdrehachse (5) erstreckt, geneigt sind,
wobei die Anschlusseinrichtung (12) eine Seitenwandung aufweist,
wobei diese Seitenwandung radial beabstandet von der Werkzeugdrehachse (5) verläuft,
wobei sich diese Seitenwandung zwischen einer ersten, oberen Begrenzungsebene (8a) und einer zweiten, unteren Begrenzungsebene (8b) erstreckt und,
wobei diese Seitenwandung die Antriebsflächenbereiche (2, 2a, 2b) aufweist,
wobei durch die Seitenwandung ein im Wesentlichen hohlkegeliger Abschnitt im Bereich der Anschlusseinrichtung entsteht, der einen Querschnitt mit variablem Abstand der Seitenwandung zur Werkzeugdrehachse in einer zu dieser Werkzeugdrehachse orthogonalen Ebene aufweist, und
dass die Anschlusseinrichtung (12) eine gerade Anzahl von Antriebsflächenbereichen (2, 2a, 2b) aufweist, vorzugsweise 4 oder mehr, bevorzugt 8 oder mehr und besonders bevorzugt 16 oder mehr, und weiter vorzugsweise 64 oder weniger. bevorzugt 48 oder weniger und besonders bevorzugt 32 oder weniger,_ganz besonders bevorzugt 24,
wobei diese Antriebsflächenbereiche (2, 2a, 2b) insbesondere im Wesentlichen sternartig. vorzugsweise in Form eines sternförmigen Polygons, vorzugsweise mit Abrundungen an den Übergangsbereichen zwischen den einzelnen Antriebsflächenbereichen, ausgebildet sind, wobei
diese Seitenwandung im Wesentlichen eine mittlere Wandstärke (t1) aufweist, welche vorzugsweise größer oder gleich 0,2 mm, bevorzugt größer als 0,5 mm und besonders bevorzugt größer 0,8 mm, weiter vorzugsweise kleiner oder gleich 4 mm, bevorzugt kleiner als 2 mm und besonders bevorzugt kleiner als 1,5 mm, außerdem besonders bevorzugt im Wesentlichen 1 mm oder 1,5 mm oder bevorzugt zwischen 1 mm und 1.5 mm beträgt,
weiter dadurch gekennzeichnet,
dass diese Werkzeugeinrichtung (1, 1b), insbesondere im Bereich der Anschlusseinrichtung (12), im Wesentlichen eine Wandstärke t aufweist,
dass diese erste Begrenzungsebene (8a) und diese zweite Begrenzungsebene (8b) um einen Abstand T voneinander beabstandet sind; und
dass dieser Abstand T vorzugsweise größer ist als 1 mal t, bevorzugt größer als 2 mal t und besonders bevorzugt größer oder gleich 3 mal t, und weiter vorzugsweise kleiner als 20 mal t, bevorzugt kleiner als 10 mal t und besonders bevorzugt kleiner oder gleich 5 mal t, und weiter bevorzugt entspricht T im Wesentlichen 3,5 mal t +/- 0,75 mal t.“ - Die Verfügungsbeklagte zu 1) ist eine in der Schweiz ansässige Herstellerin von Werkzeugen für Elektromaschinen, die ihre Werkzeuge vorwiegend unter der Marke bzw. Bezeichnung „D“, anbietet. Der Verfügungsbeklagte zu 2) ist der Geschäftsführer und – nach eigenen Angaben – auch Inhaber der Verfügungsbeklagten zu 1).
Unter anderem vertrieben die Verfügungsbeklagten Werkzeuge mit sogenannter „E-Aufnahme“, die auf alle Varianten der „B“-Maschinen passen sollten, wie folgt:
wobei die „E-Aufnahme“ schematisch wie folgt gestaltet war:
Am 05.02.2018 adressierten die Verfügungsklägerinnen die aus der Anlage WR 32 ersichtliche Berechtigungsanfrage wegen der Benutzung der obigen 6-eckigen Werkzeugeinrichtung unter anderem an die Verfügungsbeklagte zu 1), in der sie ausführten, dass die Werkzeugaufnahme alle Merkmale des Verfügungsgebrauchsmusters und des bereits angemeldeten Patents EP `XXX verwirkliche. In diesem Schreiben wurde darüber hinaus eine Abnehmerin der Verfügungsbeklagten zu 1) aus dem Verfügungsgebrauchsmuster auf Unterlassung der Benutzung der obigen 6-eckigen Werkzeugeinrichtung in Anspruch genommen.
Die Verfügungsklägerinnen führten aufgrund des Vertriebs der vorgenannten Werkzeuge vor der Kammer gestützt auf das Patent EP `XXX ein paralleles einstweiliges Verfügungsverfahren (Az. 4a O 96/21) gegen die Verfügungsbeklagten. Die Kammer verurteilte die Verfügungsbeklagten mit dem aus der Anlage WR 1 ersichtlichen Urteil vom 08.02.2022 unter anderem zur Unterlassung.
Die Parteien führten zudem vor dem Bundespatentgericht in F wegen Verletzung des schweizerischen Teils des Patents EP `XXX in der eingeschränkten Fassung ein Hauptsacheverfahren. Das Schweizer Bundespatentgericht verurteilte die Verfügungsbeklagte zu 1) mit Teilurteil vom 30.08.2021 antragsgemäß (zum Urteil s. Anlage WR 30). Die Verfügungsbeklagte zu 1) legte gegen das Urteil Beschwerde zum Schweizerischen Bundesgericht ein, die von diesem mit Urteil vom 11.02.2022 zurückgewiesen wurde (noch ohne Gründe, Anlage WR 31).
Am 19.01.2022 erlangten die Verfügungsklägerinnen davon Kenntnis, dass die Verfügungsbeklagten auf einem geschäftlich genutzten G-Account der Verfügungsbeklagten zu 1) unter XXX am 17.01.2022 die nachfolgend eingeblendete weitere Ausführungsform der sog. „E-Aufnahme“ zeigten (nachfolgend: angegriffene Ausführungsform) - und dazu wie folgt ausführten:
„Dürfen wir vorstellen – Unsere neue E-Aufnahme in voller Pracht. Aufgrund von Patentrechten mussten wir unsere E-Aufnahme von Grund auf neu überdenken. In den letzten Monaten haben wir an unserer neuen Version der E-Aufnahme gearbeitet und können Euch nun heute unser neustes Mitglied in der Biberfamilie vorstellen. Die nun 7-eckige Q-Aufnahme ist dabei voll mit den H Aufnahmen kompatibel. Wir beginnen heute mit dem Versand der ersten 3 Typen an unsere Händler. Ab Ende Februar werden dann wieder alle Sägeblätter verfügbar sein.“ (vgl. Internetauszug der Anlage WR2).
Ausweislich einer Abbildung, die auch auf der Webseite der Verfügungsbeklagten zu 1) unter der XXX (vgl. Anlage WR 16) abgerufen werden konnte, ist die angegriffene Ausführungsform schematisch wie folgt gestaltet - Die vorgenannte E-Aufnahme wird auch auf der Webseite der Verfügungsbeklagten zu 1) unter XXX (vgl. Anlage WR 17) vorgestellt. Wegen einer Gesamtübersicht der verschiedenen Werkzeuge mit – insoweit identischen – E-Aufnahmen wird auf den als Anlage WR 18 vorgelegten Auszug von der Webseite der Antragsgegnerin zu 1) Bezug genommen.
Auf der Webseite der Antragsgegnerin zu 1) ist eine Liste in Deutschland ansässiger Händler abrufbar, über die ihre Produkte bezogen werden können, wie es aus dem Internetauszug der Anlage WR 21 hervorgeht.
Die Verfügungsklägerinnen mahnten die Verfügungsbeklagten mit anwaltlichem Schreiben vom 31.01.2022 (Anlage WR3 /AG 1) wegen mutmaßlicher Verletzung des Verfügungsgebrauchsmusters ab und forderten sie erfolglos zur Abgabe einer strafbewehrten Unterlassungs- und Verpflichtungserklärung bis zum 14.02.2022 auf. - Die Verfügungsklägerinnen sind der Auffassung, der für den Erlass der einstweiligen Verfügung erforderliche Verfügungsgrund sei gegeben. Insbesondere sei der Rechtsbestand des Verfügungsgebrauchsmusters hinreichend gesichert.
Insoweit belege der kontradiktorisch geprüfte Rechtsbestand des parallelen Patents EP `XXX den gesicherten Rechtsbestand des Verfügungsgebrauchsmusters im hier geltend gemachten Umfang. Denn ein Gebrauchsmuster könne insbesondere dann wie ein geprüftes Schutzrecht behandelt werden, wenn ein paralleles europäisches Patent erteilt sei, dessen Schutzbereich breiter als derjenige des in Rede stehenden Gebrauchsmusters sei (unter Verweis auf OLG Düsseldorf, Urteil vom 6. Mai 2021, Az. 2 U 48/20, GRUR-RS 2021, 10556, Rn. 64 m.w.N.). Dem stehe nicht entgegen, dass das EP`XXX in der gemäß dem Hilfsantrag 5 geänderten Fassung auf eine „gerade Anzahl von Antriebsflächenbereichen“ abstelle und diese Einschränkung für die beschränkte Geltendmachung des Verfügungsgebrauchsmusters in dem hiesigen Verfahren nicht übernommen werde. Denn diese mit dem Hilfsantrag 3 neu eingeführte Einschränkung sei im Einspruchsverfahren zu dem EP`XXX von der Einspruchsabteilung zur Begründung der Patentfähigkeit als nicht erforderlich angesehen worden. Aus der Begründung der Entscheidung gehe insoweit hervor, dass die Einspruchsabteilung die „gerade Anzahl von Antriebsflächenbereichen“ nicht für geeignet gehalten habe, die Neuheit des Anspruchs gegenüber der Druckschrift D3 zu begründen, da dieses Merkmal in der D3 offenbart werde, sondern dasjenige Merkmal zu den Abstandsgrößen, das mit dem Hilfsantrag 5 neu eingeführt worden sei. Die Einspruchsabteilung hätte also auch einen Anspruch 1, der nur das mit dem Hilfsantrag 5 neu eingeführte Merkmal zu den Abstandsgrößen zusätzlich zum erteilten Anspruch 1 aufgewiesen hätte, als neu angesehen. Folgerichtig würden die Merkmale der Hilfsansprüche 3 und 4, insbesondere das Merkmal der „geraden Anzahl von Antriebsflächenbereichen“, auch in Bezug auf das hier geltend gemachte Verfügungsgebrauchsmuster nicht benötigt, um dessen Neuheit gegenüber der Druckschrift D3 zu begründen. Einziger Grund, warum die mit den Hilfsanträgen 3 neu und 4 neu eingeführten zusätzlichen Merkmale, insbesondere das Merkmal der „geraden Anzahl von Antriebsflächenbereichen“, noch im schließlich durchgedrungenen Hilfsantrag vorhanden gewesen seien, seien die Verfahrensregeln des EPA für das Einspruchsverfahren, nach welchen es unzulässig gewesen sei, diese Merkmale aus dem Anspruchswortlaut nach Hilfsantrag 5 neu zu entfernen, obwohl diese zur Begründung der Neuheit gegenüber der D3 nichts beigetragen hätten. Aus der kontradiktorischen Rechtsbestandsentscheidung der Einspruchsabteilung des EPA zum parallelen Patent ergebe sich ferner, dass das Verfügungsgebrauchsmuster im hier geltend gemachten Umfang auch auf einem erfinderischen Schritt beruhe. Der Rechtsbestand des Verfügungsgebrauchsmusters in dem hier geltend gemachten Umfang sei schließlich auch deshalb als gesichert anzusehen, da ebenfalls das Schweizer Bundespatentgericht sowie in der Berufungsinstanz das Schweizer Bundesgericht das parallele Patent EP `XXX in einer Fassung als rechtsbeständig angesehen habe.
Die Kammer könne den Rechtsbestand des Verfügungsgebrauchsmusters zudem selbst überprüfen, wobei sie sich auf die Erkenntnisse und die Entscheidung der Einspruchsabteilung betreffend das Patent EP ´XXX stützen könne. Das Verfügungsgebrauchsmuster sei insbesondere neu gegenüber der Entgegenhaltung D3 (DE‘ XXX = DE 21 20 XXXA1, Anlage WR 27/AG3). Insbesondere offenbare die D3 nicht die Merkmalsgruppe 6. Weder offenbare sie Antriebsflächenbereiche noch Begrenzungsebenen und deren Abstand noch ein Verhältnis dieses Abstandes zu der Wandstärke einer Seitenwandung. In den Figuren 5 und 6 der D3, die allein einen Mitnehmer mit einen im Querschnitt sechskantförmigen Ansatz zeige, sei schon keine Seitenwand zu erkennen. Insoweit seien die Zeichnungen nur schematisch und könnten daher keine technisch relevanten Abmessungen offenbaren. Auch würden weder in der Beschreibung noch in den Patentansprüchen der Anmeldung der D3 die vorgenannten Größen erwähnt. Die Figuren 4 und 7 zeigten indes eine völlig andere Ausführungsform als die Figuren 5 und 6 und seien daher irrelevant.
Auch das Merkmal 1.3 des Anspruchs 1 des Verfügungsgebrauchsmusters „wobei diese Anschlusseinrichtung zur Aufnahme einer Antriebskraft wenigstens zwei im Abstand zu dieser Werkzeugdrehachse angeordnete Antriebsflächenbereiche mit je einer Vielzahl von Flächenpunkten aufweist“, werde in der D3 nicht offenbart. Die Seitenflächen des Mitnehmers (50) würden bei der Aufnahme des Mitnehmers in das sogenannte Tragstück 24 (Fig. 1 der D3) nicht kontaktiert, sondern die Befestigung des Mitnehmers erfolge durch einen Reibschluss, wie in Bezug auf die Figur 4 der D3, die allerdings ein anderes Ausführungsbeispiel zeige, erläutert sei. Die D3 offenbare nicht, die Außenflächen des sechskantförmigen Ansatzes als Antriebsflächenbereiche zu verwenden. Dies wäre auch ohne Änderung dieses Ansatzes nicht möglich, da der Ansatz aus dünnem Blech bestehe, der die Kräfte nicht aufnehmen könne. Entgegen der Auffassung der Einspruchsabteilung könne der Fachmann den Figuren 5 und 6 der D3 auch nicht die vermeintliche Eignung des Ansatzes, zur Aufnahme von Antriebskräften verwendet zu werden, entnehmen. Schließlich zeige die D3 in den Figuren 5 und 6 ebenfalls keine Abrundungen zwischen den Übergangsbereichen.
Auch die übrigen von den Verfügungsbeklagten vorgebrachten Entgegenhaltungen würden weder die Neuheit noch das Beruhen des Verfügungsgebrauchsmusters auf einem erfinderischen Schritt in Zweifel ziehen.
Die Verfügungsklägerinnen beantragen, nachdem sie ihren Antrag in der mündlichen Verhandlung hinsichtlich des letzten Merkmals weiter konkretisiert haben, - wie erkannt.
- Die Verfügungsbeklagten beantragen,
- den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung zurückzuweisen;
- hilfsweise,
- den Erlass einer einstweiligen Verfügung bis zum 31.08.2023 zeitlich zu befristen.
- Die Verfügungsbeklagten sind der Auffassung, es fehle an einem Verfügungsgrund, da der Rechtsbestand des Verfügungsgebrauchsmusters nicht hinreichend gesichert sei.
Das Verfügungsgebrauchsmuster sei als Grundlage für den Erlass einer einstweiligen Verfügung höchstens in der Fassung tauglich und als gesichert rechtsbeständig anzusehen, in der auch das Patent EP `XXX gemäß der erstinstanzlichen Rechtsbestandsentscheidung beschränkt aufrechterhalten worden sei. Die angegriffene Ausführungsform verletze indes nicht den beschränkt aufrecht erhaltenen Teil des Patents EP `XXX und damit auch nicht den potentiell schutzfähigen Teil des Verfügungsgebrauchsmusters, da diese eine ungerade Anzahl von Antriebsflächenbereichen in der Werkzeugaufnahme der Verfügungsklägerin aufweise und damit nicht eine gerade Anzahl, wie es ausdrücklich im Anspruchswortlaut des eingeschränkten Patents aufgeführt sei.
Soweit das Verfügungsgebrauchsmuster in einer Fassung geltend gemacht werde, die von der aufrechterhaltenen Fassung des Patents EP `XXX abweiche, müsse sich die Kammer vollständig mit dem technischen Sachverhalt auseinandersetzen. Bei dieser Auseinandersetzung werde sich zeigen, dass die Entscheidung der Einspruchsabteilung inhaltlich falsch sei. Das Verfügungsgebrauchsmuster in der Version des als gesichert angesehenen Rechtsbestands im Umfang des erstinstanzlich beschränkt aufrecht erhaltenen europäischen Patents EP `XXX sei insgesamt nicht neu gegenüber der Offenbarung in der D3 (Anlage WR 27/AG3). Die D3 offenbare in Figur 5 einen „Mitnehmer 50“, der alle Merkmale des Anspruchs 1 offenbare. Anspruch 1 des Verfügungsgebrauchsmusters beanspruche insbesondere nicht, dass an den Antriebsflächen aktiv eine Antriebskraft empfangen werde, sondern beanspruche in Form einer Zweckangabe nur, dass die Antriebsflächenbereiche zur Aufnahme einer Antriebskraft geeignet sein müssten. Die Merkmale, dass die Werkzeugeinrichtung im Bereich der Anschlusseinrichtung (12) eine Wandstärke t aufweise, dass diese erste Begrenzungsebene (8a) und diese zweite Begrenzungsebene (8b) um einen Abstand T voneinander beabstandet seien und dass dieser Abstand T größer ist als 2 mal t, und weiter kleiner als 10 mal t sei, gingen aus Figur 7 der D3 hervor, da dort der Abstand T ungefähr 5 mal t betrage und genau in dem beanspruchten Intervall liege. Alle technisch relevanten Ausführungen der Anschlusseinrichtung der Figur 7 der D3 ließen sich nur innerhalb des beanspruchten Wertebereichs realisieren. Der Fachmann entnehme einer Figur einer Patentschrift insoweit die Struktur einer Vorrichtung, die mit bestimmten Abmaßen dargestellt sei. Diese Abmaße offenbarten zwar keine konkreten realen Werte. Allerdings müsse der Fachmann für diese Abmaße irgendwelche Werte zwangsweise einsetzen, da die technische Offenbarung sonst keinerlei Sinn ergäbe. Die Berücksichtigung realistischer Werte für die Offenbarung einer Patentschrift gehöre zur vollständigen Ermittlung des Sinngehaltes dieser Offenbarung dazu. Insoweit sei auch dasjenige offenbart, was im Patentanspruch und in der Beschreibung nicht ausdrücklich erwähnt sei, aus der Sicht des Fachmanns jedoch für die Ausführung der unter Schutz gestellten Lehre selbstverständlich sei und deshalb keiner besonderen Offenbarung bedürfe, sondern „mitgelesen“ werde. Zudem sei das Verfügungsgebrauchsmuster nicht neu gegenüber den weiteren Entgegenhaltungen D1, D2, D4 bis D6. Dort würden alle Merkmale des Verfügungsgebrauchsmusters neuheitsschädlich offenbart. Ferner fehle es an einem erfinderischen Schritt ausgehend von der D3 in Kombination mit der D10 sowie ausgehend von den Entgegenhaltungen D7 und D8 jeweils in Kombination mit der D9.
Die Produkte der Verfügungsklägerinnen und die angegriffene Ausführungsform grenzten sich auf dem Markt zudem deutlich voneinander ab, so dass eine dringlich abzuwendende Rufschädigung nicht zu befürchten sei. - Das Gericht hat den Parteien und den Verfahrensbevollmächtigten von Amts wegen gestattet, sich während der mündlichen Verhandlung an einem anderen Ort aufzuhalten und dort Verfahrenshandlungen über den von der Justiz des Landes NRW zur Verfügung gestellten Virtuellen Meetingraum (VMR) vorzunehmen. Davon haben die Verfahrensbevollmächtigten Gebrauch gemacht.
Für die Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird auf die wechselseitigen Schriftsätze samt Anlagen sowie auf das Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 19.05.2022 Bezug genommen. - Entscheidungsgründe
- Der zulässige Antrag auf Erlass der einstweiligen Verfügung ist begründet.
Den Verfügungsklägerinnen steht gegen die Verfügungsbeklagten ein im Wege der einstweiligen Verfügung durchsetzbarer Unterlassungsanspruch gemäß §§ 24 Abs. 1, 11 Abs. 1 GebrMG zu. Die Verfügungsbeklagten machen mit dem Angebot der angegriffenen Ausführungsform von der Lehre des Verfügungsgebrauchsmusteranspruchs unmittelbar wortsinngemäß Gebrauch. Neben dem deshalb gegebenen Verfügungsanspruch (dazu unter I.) besteht auch ein Verfügungsgrund, §§ 935, 940 ZPO (dazu unter II.). -
I.
Die Verfügungsklägerinnen haben einen Verfügungsanspruch glaubhaft gemacht. Die angegriffene Ausführungsform macht von Anspruch 1 des Verfügungsgebrauchsmusters in der hier geltend gemachten Fassung unmittelbar und wortsinngemäß Gebrauch. Die Verfügungsklägerinnen haben daher gegen die Verfügungsbeklagten den geltend gemachten Unterlassungsanspruch. - 1.
Das Verfügungsgebrauchsmuster, dem die nachfolgend ohne Quellenangabe zitierten Absätze entstammen, betrifft eine Werkzeugeinrichtung, welche dafür geeignet ist, mit einer insbesondere handgeführten Werkzeugmaschine verwendet zu werden, die eine sich um eine Antriebsachse bewegende Antriebseinrichtung aufweist (Abs. [0001]).
Das Verfügungsgebrauchsmuster erläutert die Erfindung in seiner einleitenden Beschreibung vorwiegend am Beispiel einer Werkzeugeinrichtung, die dafür vorgesehen ist, mit einer insbesondere handgeführten Werkzeugmaschine verwendet zu werden, die eine sich um eine Antriebsachse oszillierend bewegende Antriebseinrichtung aufweist (Abs. [0002]). Eine Werkzeugmaschine ist eine Vorrichtung, die ein oder mehrere Antriebsmotoren und gegebenenfalls eine oder mehrere Getriebeeinrichtungen aufweist. Die Antriebseinrichtung einer Werkzeugmaschine ist das Bauteil bzw. sind die Bauteile, mit denen das Drehmoment auf das Werkzeug aufgebracht wird, also üblicherweise eine An-/Abtriebswelle, eine An-/Abtriebsspindel oder dergleichen (Abs. [0004]). Eine handgeführte Werkzeugmaschine weist eine Trageeinrichtung, insbesondere Griffe und dergleichen auf, mit denen die Werkzeugmaschine mit dem daran befestigten Werkzeug von einer Bedienungskraft getragen und geführt werden kann. Typischerweise sind handgeführte Werkzeugmaschinen mit einem elektrischen Antriebsmotor versehen, es sind aber auch andere Bauarten, wie z. B. hydraulisch oder pneumatisch oder mit Muskelkraft betriebene Werkzeugmaschinen bekannt (Abs. [0005]).
Das Verfügungsgebrauchsmuster führt aus, dass im Stand der Technik eine Vielzahl von Werkzeugen bekannt ist, die dafür vorgesehen sind, mit einer Werkzeugmaschine verwendet zu werden, die eine umlaufende Antriebseinrichtung aufweist. Derartige Werkzeugeinrichtungen sind z. B. Bohrer, Schleif- und Trennscheiben, Kreissägen, etc. Diese Werkzeuge sind an der Abtriebseinrichtung befestigt, die sich – je nach Einsatz, Werkzeug und Maschine – mit einer Drehzahl zwischen nahe 0 bis zu einigen 1000 Umdrehungen/min., in Extremfällen aber auch deutlich höher, dreht. Das Werkzeug wird beim Betrieb mit mehr oder weniger hohem Anpressdruck in Kontakt mit einem Werkstück gebracht, an dem es dann den entsprechenden Bearbeitungsvorgang ausführt. Die dabei im Abstand zur Drehachse auftretenden Bearbeitungskräfte, also beispielsweise Schnitt- oder Schleifkräfte, führen zu einem Drehmoment um die Antriebsachse, welches durch das von der Werkzeugmaschine auf die Werkzeugeinrichtung übertragende Antriebsmoment ausgeglichen wird. Die Übertragung dieses Antriebsmoments auf das Werkzeug erfolgt über die Anschlusseinrichtung des Werkzeugs, mit der dieses an der Antriebseinrichtung befestigt ist. Bei einem Werkzeug, welches bei der Bearbeitung im Wesentlichen immer in gleicher Richtung rotiert, treten somit die während des Werkzeugeinsatzes auf die Anschlusseinrichtung wirkenden Kräfte im Wesentlichen in gleicher Richtung auf, sind aber in der Höhe unterschiedlich (Abs. [0006]).
Im Stand der Technik sind ferner Werkzeugmaschinen mit oszillierender Antriebseinrichtung bekannt, wobei das Verfügungsgebrauchsmuster als oszillierenden Antrieb der Werkzeugeinrichtung einen drehoszillierenden Antrieb versteht und nicht einen huboszillierender Antrieb, wie dieser insbesondere von Hubsägeeinrichtungen bekannt ist. Unter einer Hubsägeeinrichtung ist insbesondere eine Stichsäge-, Säbelsäge- oder Fuchsschwanzsägeeinrichtung oder dergleichen zu verstehen. Unter einer Werkzeugmaschine mit oszillierender Antriebseinrichtung wird nach dem Verfügungsgebrauchsmuster eine Werkzeugmaschine mit einer Bewegung der Antriebseinrichtung verstanden, bei der die Antriebseinrichtung sich ausgehend von einer Mittellage in einer ersten Drehrichtung bewegt, zum Stillstand abgebremst wird und sich dann in umgekehrter Drehrichtung wieder bis zum Stillstand bewegt (Abs. [0007]). Der Winkelabstand von der Mittellage zur jeweiligen Endlage kann typischerweise bis zu 5 betragen, üblich sind allerdings bei ausgeführten Maschinen meist geringere Winkel von 1 bis 2,5, was einer Gesamtwinkelbewegung (1. – 2. Endlage) von 2 bis 5 entspricht. Diese Oszillationsbewegung wird typischerweise zwischen 5.000 und 50.000 mal pro Minute ausgeführt, es sind allerdings geringere und auch höhere Oszillationsfrequenzen (ausgedrückt als Schwingungen/min.) möglich (Abs. [0008]). Die Umkehr der Drehrichtung bewirkt, dass auch die Bearbeitungskräfte des Werkzeugs, die immer entgegen der Bewegungsrichtung bzw. hier entgegen der Drehrichtung wirken, ebenfalls ihre Richtung ändern. Aus den ihre Richtung wechselnden Bearbeitungskräften ergibt sich entsprechend dem Hebelarm, d.h. dem Abstand des Bearbeitungspunktes des Werkzeugs zur Drehachse, ein Drehmoment, das mit der Oszillation die Richtung umkehrt. Dem aus den Bearbeitungskräften herrührenden Drehmoment überlagert sich ein weiteres Moment, das sowohl während der Bearbeitung aber auch im Leerlauf wirksam ist, nämlich das aus dem Massenträgheitsmoment des Werkzeugs herrührende Drehmoment zum Abbremsen des Werkzeugs nach seiner höchsten Geschwindigkeit (z. B. dem jeweiligen Amplitudenmaximum der Sinuskurve bei einer sinusförmigen Drehgeschwindigkeitsänderung der Antriebseinrichtung) und der nach der Drehrichtungsumkehr erfolgenden erneuten Beschleunigung des Werkzeugs in die Gegenrichtung (Abs. [0009]). Die Drehmomente, die durch die Bearbeitungskräfte und durch die kinematischen Gegebenheiten des Oszillationsantriebs entstehen, werden im Wesentlichen von der Werkzeugmaschine aufgebracht und über die Antriebseinrichtung in die Werkzeugeinrichtung eingeleitet (Abs. [0010]).
Das Verfügungsgebrauchsmuster nennt als Stand der Technik vorbekannte Werkzeugeinrichtungen, wie sie beispielsweise in den deutschen Patentanmeldungen DE 10 2011 XXX XXX A1 und in der deutschen Gebrauchsmusteranmeldung DE 296 05 XXX U1 dargestellt sind. Dort sind die Werkzeuge im Verbindungsbereich zur Antriebseinrichtung der Werkzeugmaschine im Wesentlichen eben gestaltet, d.h. sie erstrecken sich in diesem Bereich in einer Ebene, die senkrecht zur Werkzeugdrehachse angeordnet ist (Abs. [0023]).
Das Verfügungsgebrauchsmuster beschreibt die Biege-Wechsel-Beanspruchung, der der Bereich des Werkzeugs, in dem das Drehmoment eingeleitet wird, durch die oszillierende Bewegung unterliegt, bei metallischen Werkstoffen, aus denen die beschriebenen Werkzeuge üblicherweise gefertigt werden, als besonders problematisch. Metalle weisen ein Kristallgefüge auf. Kommt es in einem Bereich eines metallischen Bauteils zu örtlichen Überlastungen, d.h. dass die im Bauteil wirkenden Spannungen an dieser Stelle höher sind als die vom Bauteil ertragbaren Spannungen, so entstehen zwischen den einzelnen Körnern des Metallgefüges Mikrorisse. Diese beeinträchtigen die Festigkeit des Bauteils in doppelter Hinsicht. Zum einen können in dem Bereich, in dem Mikrorisse entstanden sind, keine Spannungen im Bauteil übertragen werden. Dies bedeutet, dass durch die Rissbildung die Belastungen innerhalb dieses Bereiches erhöht werden, da sich die wirksame Fläche zur Kraftübertragung vermindert (Abs. [0025]). Zum anderen entsteht ein Phänomen, das im Maschinenbau üblicherweise als „Kerbwirkung“ bezeichnet wird. Die Bezeichnung rührt daher, da im Bereich einer Kerbe, insbesondere wenn die Kerbe scharfkantig ist, eine örtliche Spannungskonzentration entsteht, die im Bereich des die Kerbe umgebenden Werkstoffes zu Schubspannungen führt, die höher sind, als die Schubspannungen in den Bereichen des Bauteils, die nicht durch eine solche Geometrie beeinflusst werden (Abs. [0026]). Diese erhöhten Belastungen führen dazu, dass die Rissbildung fortschreitet und schließlich zu einem Versagen des Bauteils führt (Abs. [0027]), wobei dieser Vorgang als „Schadensakkumulation“ bezeichnet wird (Abs. [0028]). Ferner erläutert das Verfügungsgebrauchsmuster, dass die untere Dauerfestigkeitsgrenze des Wähler-Versuchs bei oszillierend angetriebenen Werkzeugen bereits nach 2 Stunden Betriebszeit überschritten wird (Abs. [0029] bis [0031]).
Das Verfügungsgebrauchsmuster führt weiter aus, dass ein Teil der bei Oszillationsmaschinen üblicherweise verwendbaren Werkzeugeinrichtungen einen Arbeitsbereich hat, der in Umfangsrichtung angeordnet ist, wie beispielsweise Säge- und Schneidwerkzeuge, und der sich im Wesentlichen in einer Ebene senkrecht zur Drehachse des Werkzeugs erstreckt (Abs. [0035]). Bei derartigen Werkzeugen ist es im Stand der Technik üblich, dass der Anschlussbereich ebenfalls eben ausgeführt ist. Das Antriebsmoment wird dann als Kraft in einer Richtung senkrecht zur Werkzeugebene, z. B. durch Stifte, einen Antriebsstern oder dergleichen eingeleitet. Als nachteilig kritisiert das Verfügungsgebrauchsmuster, dass, da das Werkzeug in der Werkzeugebene besonders steif ist, die Krafteinleitung nur über einen relativ kleinen Bereich erfolgt und es in diesem Bereich daher zu höheren örtlichen Belastungen kommen kann, die zu einer Reduzierung der Betriebsfestigkeit des Werkzeugs führen (Abs. [0036]).
Das Verfügungsgebrauchsmuster stellt sich ausgehend vom Stand der Technik daher die Aufgabe, die Werkzeugeinrichtung so zu gestalten, dass das über die Antriebseinrichtung eingeleitete Drehmoment zuverlässig aufgenommen wird (Abs. [0011]). Explizit formuliert das Verfügungsgebrauchsmuster darüber hinaus keine Aufgabe mehr. Im Zusammenhang mit den Erläuterungen bestimmter Aspekte der Erfindung ergibt sich für den Fachmann indes, dass ebenfalls höhere örtliche Belastungen am Werkzeug vermindert werden sollen (Abs. [0037], [0038]). - 2.
Zur Lösung dieser Aufgabe schlägt das Verfügungsgebrauchsmuster eine Werkzeugeinrichtung vor, deren Merkmale sich in der hier eingeschränkt geltend gemachten Fassung wie folgt gliedern lassen: - 1. Werkzeugeinrichtung, welche zur Verwendung mit einer, insbesondere handgeführten, Werkzeugmaschine geeignet ist, die eine sich um eine Antriebsachse oszillierend bewegende Antriebseinrichtung aufweist.
2. Die Werkzeugeinrichtung weist eine Anschlusseinrichtung auf, mit der sie an einer Werkzeugmaschine derart befestigbar ist, dass deren Antriebsachse und eine Werkzeugdrehachse im Wesentlichen zusammenfallen.
3. Die Anschlusseinrichtung weist zur Aufnahme einer Antriebskraft wenigstens zwei im Abstand zu dieser Werkzeugdrehachse angeordnete Antriebsflächenbereiche mit je einer Vielzahl von Flächenpunkten auf.
4. Die Tangentialebenen sind an diesen Flächenpunkten gegenüber einer Axialebene, welche diese Werkzeugdrehachse einschließt, geneigt.
5. Die Tangentialebenen sind gegenüber einer Radialebene, welche sich senkrecht zu der Werkzeugdrehachse erstreckt, geneigt.
6. Die Anschlusseinrichtung weist eine Seitenwandung auf.
7. Die Seitenwandung verläuft radial beabstandet von der Werkzeugdrehachse.
8. Die Seitenwandung erstreckt sich zwischen einer ersten, oberen Begrenzungsebene und einer zweiten, unteren Begrenzungsebene.
9. Die Seitenwandung weist die Antriebsflächenbereiche auf.
10. Durch die Seitenwandung entsteht ein im Wesentlichen hohlkegeliger Abschnitt im Bereich der Anschlusseinrichtung, der einen Querschnitt mit variablem Abstand der Seitenwandung zur Werkzeugdrehachse in einer zu dieser Werkzeugdrehachse orthogonalen Ebene aufweist.
11. Die Seitenwandung weist im Wesentlichen eine mittlere Wandstärke (t1) auf, welche größer oder gleich 0,2 mm, bevorzugt größer als 0,5 mm und besonders bevorzugt größer 0,8 mm, weiter vorzugsweise kleiner oder gleich 4 mm, bevorzugt kleiner als 2 mm und besonders bevorzugt kleiner als 1,5 mm, außerdem besonders bevorzugt im Wesentlichen 1 mm oder 1,5 mm oder bevorzugt zwischen 1 mm und 1,5 mm beträgt.
12. Die Werkzeugeinrichtung weist insbesondere im Bereich der Anschlusseinrichtung im Wesentlichen eine Wandstärke t auf.
13. Die erste Begrenzungsebene und die zweite Begrenzungsebene sind um einen Abstand T voneinander beabstandet.
14. Der Abstand T ist größer als 2 mal t, besonders bevorzugt größer oder gleich 3 mal t und weiter kleiner als 10 mal t und besonders bevorzugt kleiner oder gleich 5 mal t und weiter bevorzugt entspricht T im Wesentlichen 3,5 mal t +/- 0,75 mal t.3.
Die angegriffene Ausführungsforme verwirklicht – was zwischen den Parteien zu Recht unstreitig ist und deshalb keiner eingehenden Erörterung bedarf – alle Merkmale des Verfügungsgebrauchsmusteranspruchs 1 in der hier geltend gemachten Fassung. Die Verfügungsbeklagten stellen insoweit nicht in Abrede, dass die angegriffene Ausführungsform von der technischen Lehre des Verfügungsgebrauchsmusters unmittelbar und wortsinngemäß Gebrauch macht.
Mit Blick auf die Einwände hinsichtlich des Rechtsbestandes erscheinen einige kurze Ausführungen zur Auslegung der Merkmale 12 bis 14 gerechtfertigt.
Nach § 12a GebrMG wird der Schutzbereich eines Gebrauchsmusters durch den Inhalt der Schutzansprüche bestimmt, wobei die Beschreibung und die Zeichnungen zur Auslegung der Schutzansprüche heranzuziehen sind. Die Auslegung ist nach den gleichen Grundsätzen vorzunehmen wie bei einem Patent (BGH, GRUR 2007, 1059 – Zerfallszeitmessgerät); so entspricht § 12a GebrMG inhaltlich den für Patente einschlägigen Regelungen in § 14 S. 1 PatG bzw. Art. 69 Abs. 1 S. 1 EPÜ. Das heißt auch bei der Auslegung eines Gebrauchsmusters sind die Worte des betreffenden Schutzanspruchs daraufhin zu würdigen, was ihnen unter Heranziehung von Beschreibung und Zeichnung und des allgemeinen Fachwissens bei sinnvoller Auslegung als offenbart und beansprucht zu entnehmen ist (Scharen, in: Benkard, PatG, 11. Auflage 2015, § 12a GebrMG Rn. 3).
Die Merkmale 12 bis 14 definieren die Wandstärke t im Bereich der Anschlusseinrichtung und setzen sie in das Verhältnis zum Abstand T zwischen der ersten und der zweiten Begrenzungsebene.
Die Bestimmung dieser Größen ist in der nachfolgenden Figur 4 des Verfügungsgebrauchsmusters, die einen Teil einer Werkzeugeinrichtung (1) in Schnittdarstellung zeigt, näher dargestellt: - In Abs. [0126] der Beschreibung erläutert das Verfügungsgebrauchsmuster die Abstände näher. Die Werkzeugeinrichtung weist danach eine (fiktive, geometrische) Werkzeugdrehachse (5) auf. Um diese ist die Werkzeugeinrichtung (1) dreh-oszillierend antreibbar. Der Antriebsflächenbereich (2) ist zur Werkzeugdrehachse (5) beabstandet angeordnet und erstreckt sich in Richtung der Werkzeugdrehachse (5) zwischen einer unteren (8b) und einer oberen (8a) Begrenzungsebene. Diese obere (8a) und diese untere (8b) Begrenzungsebene sind um den Abstand T voneinander beabstandet. Dabei ist der Abstand T von der Dicke t der Wandung, welche auch die Antriebsflächenbereiche (2) aufweist, abhängig. Durch diese Abhängigkeit soll nach dem Verfügungsgebrauchsmuster eine besonders günstige Abhängigkeit zwischen der Steifigkeit der Antriebsflächenbereiche und deren Baugröße erreicht werden. Insoweit führt das Verfügungsgebrauchsmuster in Abs. [0045] seiner Beschreibung aus, dass es sich als vorteilhaft herausgestellt hat, den Abstand T und die Wandstärke t in eine Beziehung zu setzen, da dadurch insbesondere günstige Steifigkeitsverhältnisse im Anschlussbereich der Werkzeugeinrichtung erreichbar sind und damit eine günstige Drehmomenteinleitung von der Werkzeugmaschine in die Werkzeugeinrichtung erreichbar ist.
- 4.
Die Verfügungsbeklagte zu 1) hat die angegriffene Ausführungsform auf dem Gebiet der Bundesrepublik Deutschland zudem im Sinne des § 11 Abs. 1 GebrMG angeboten.
Der in § 11 Abs. 1 GebrMG verwendete Begriff des „Anbietens” ist – wie derjenige in § 9 Abs. 1 PatG – in wirtschaftlichem Sinne zu verstehen und fällt nicht mit dem juristischen Begriff eines Vertragsangebots zusammen. Er umfasst jede im Inland begangene Handlung, die nach ihrem objektiven Erklärungswert darauf gerichtet ist, das beworbene Erzeugnis der Nachfrage wahrnehmbar zum Erwerb der Verfügungsgewalt bereitzustellen (zu § 9 PatG vgl. OLG Düsseldorf, GRUR-RS 2015, 18679, Rn. 57 – Verbindungsstück, m.w.N.; BGH, GRUR 2006, 927 – Kunststoffbügel; BGH, GRUR 1970, 358 – Heißläuferdetektor). Umfasst sind daher auch vorbereitende Handlungen, die das Zustandekommen eines späteren Geschäfts über einen unter dem Schutz des Patents stehenden Gegenstand ermöglichen oder befördern sollen, das – wie es etwa bei Abschluss eines Kauf-, Miet- oder Pachtvertrags der Fall ist – die Benutzung dieses Gegenstands einschließt (BGH, GRUR 2003, 1031, 1032 – Kupplung für optische Geräte; BGH, GRUR 2006, 927, 928 – Kunststoffbügel; OLG Düsseldorf, GRUR-RR 2007, 259 – Thermocycler). Dies kann in dessen Ausbieten geschehen, dass Interessenten Gebote auf Überlassung abgeben können. Ein Mittel hierzu ist auch die bloße Bewerbung eines Produkts im Internet. Bereits diese Maßnahme ist bestimmt und geeignet, Interesse an dem beworbenen Gegenstand zu wecken und diesen betreffende Geschäftsabschlüsse zu ermöglichen. Auch dieses Verhalten muss deshalb dem Patentinhaber vorbehalten sein, wenn das Werbemittel zur Förderung des Absatzes eines Erzeugnisses dient, das – wie es in § 9 PatG und § 11 GebrMG heißt – Gegenstand des Patents ist, also von der hiermit unter Schutz gestellten technischen Lehre Gebrauch macht (vgl. OLG Düsseldorf, GRUR-RR 2007, 259 – Thermocycler).
Indem die Verfügungsbeklagte zu 1) die angegriffene Ausführungsform im Inland über ihre G-Präsenz unter Abbildung derselben, wie aus dem Internetauszug der Anlage WR2 ersichtlich, vorgestellt und auf die bevorstehende Verfügbarkeit über ihre Händler hingewiesen hat, hat sie eine Werbung veröffentlicht, die bestimmt und geeignet ist, Interesse an den beworbenen Gegenständen zu wecken und diese betreffende Geschäftsabschlüsse zu ermöglichen.
Es ist weder erforderlich, dass das angebotene Erzeugnis bereits fertig gestellt ist oder sich im räumlichen Geltungsbereich des verletzten Schutzrechtes – hier Deutschland – befindet, dass tatsächlich eine Herstellungs- und/oder Lieferbereitschaft des Anbietenden besteht oder dass das Angebot Erfolg hat, es also zu einem Inverkehrbringen führt (OLG Düsseldorf, GRUR-RS 2015, 18679 Rn. 57, m.w.N.). Genausowenig kommt es darauf an, ob der Anbietende mit seiner Offerte eigene Geschäftsabschlüsse forcieren will oder ob das Angebot einem Dritten – hier insbesondere den Händlern der Verfügungsbeklagten zu 1), über die die beworbene Ware bezogen werden kann – zugutekommen soll, für dessen Produkt mit dem Angebot eine zu befriedigende Nachfrage geschaffen wird (OLG Düsseldorf, GRUR-RS 2015, 18679, Rn. 57 – Verbindungsstück, m.w.N.). Denn auch mit einem drittbegünstigenden Angebot wird eine Nachfrage für das Verletzungsprodukt generiert, die in das Monopolrecht des Patentinhabers eingreift.
Die Internetwerbung der Verfügungsbeklagten zu 1) betraf zudem einen Gegenstand, der von der technischen Lehre des Verfügungsgebrauchsmusters Gebrauch macht. Dass patentverletzende Erzeugnisse angeboten und beworben werden, ergibt sich aus dem objektiven Erklärungswert der Werbung, der aus der Sicht der angesprochenen Kreise unter Berücksichtigung aller tatsächlichen Umstände des Einzelfalls ermittelt wird (vgl. BGH, GRUR 2005, 665 – Radschützer). Insoweit entspricht das mittels der Werbung angebotene Erzeugnis bei objektiver Betrachtung dem Gegenstand des Verfügungsgebrauchsmusters. Denn anhand der auf der Gpräsenz der Verfügungsbeklagten zu 1) abrufbaren Informationen und Abbildung der angegriffenen Ausführungsform lässt sich die Gestalt und Beschaffenheit hinreichend verlässlich beurteilen. Insoweit wird die „E-Aufnahme“ der Verfügungsbeklagten zu 1) unter anderem anhand einer deutlichen Abbildung wie folgt präsentiert, der die Beschaffenheit detailliert zu entnehmen ist: - Der Aufbau der angegriffenen Ausführungsform lässt sich auch aus der nachfolgend eingeblendeten Abbildung hinreichend erkennen, welche auf der Webseite der Verfügungsbeklagten zu 1) unter der XXX (vgl. Anlage WR 16) abgerufen werden konnte:
- Die eingeblendete E-Aufnahme wird auch auf der Webseite der Verfügungsbeklagten zu 1) unter XXX (vgl. Anlagen WR 17 und WR 18) im Kontext mit verschiedenen Werkzeugen beworben und damit im vorgenannten Sinne angeboten.
Dass beworbene angegriffene Ausführungsform von der technischen Lehre des Verfügungsgebrauchsmusters unmittelbar und wortsinngemäß Gebrauch macht, ist – wie bereits ausgeführt – zwischen den Parteien im Übrigen unstreitig.
Auf der Webseite der Verfügungsbeklagten zu 1) ist schließlich auch eine Liste in Deutschland ansässiger Händler abrufbar, über die ihre Produkte im Inland bezogen werden können, wie aus dem Internetauszug der Anlage WR 21 ersichtlich, so dass nach dem objektiven Erklärungsinhalt der Angaben auf der Webseite die angegriffene Ausführungsform auch der inländischen Nachfrage zur Verfügung gestellt wird. - 5.
Der Verfügungsbeklagte zu 2) haftet als (alleiniger) Geschäftsführer der Verfügungsbeklagten zu 1).
Für die von einer Handelsgesellschaft begangene Patentverletzung hat deren gesetzlicher Vertreter grundsätzlich persönlich einzustehen, weil er kraft seiner Stellung im Unternehmen für die Beachtung absoluter Rechte Dritter Sorge zu tragen und das Handeln der Gesellschaft im Geschäftsverkehr zu bestimmen hat. Aufgrund seiner satzungsgemäßen Funktion ist er in der Regel Täter und nicht bloß Gehilfe. Er haftet dem Verletzten daher grundsätzlich bei jedweder Schutzrechtsverletzung deliktisch auf Unterlassung, Auskunftserteilung und Schadensersatz (OLG Düsseldorf, Urt. v. 11.6.2015 – 2 U 64/14, GRUR-RS 2015, 18679 Rn. 64, m.w.N.).
Selbst wenn man davon ausginge, eine Haftung des gesetzlichen Vertreters erfordere eine positive Beteiligung an der Verletzungshandlung der Gesellschaft oder einer auf Grund einer nach allgemeinen Grundsätzen des Deliktsrechts begründeten Garantenstellung, aufgrund derer er die Verletzungshandlung habe verhindern müssen (vgl. BGH, GRUR 2014, 883 – Geschäftsführerhaftung; BGH, GRUR 2015, 672 Rn. 80 – Videospiel-Konsolen II), so sind diese Voraussetzungen im Streitfall erfüllt. Denn eine Garantenpflicht kommt jedenfalls dann in Betracht, wenn der Betroffene ein Schutzgut der Einflusssphäre der Gesellschaft anvertraut hat oder wenn aus sonstigen Gründen eine konkrete Gefahrenlage für das Schutzgut besteht und der Geschäftsführer für die Steuerung derjenigen Unternehmenstätigkeit verantwortlich ist, aus der sich die Gefahrenlage ergibt. Die Haftung des Geschäftsführers folgt in diesen Fällen nicht aus seiner Geschäftsführerstellung als solcher, sondern aus der – von der Rechtsform des Unternehmens unabhängigen – tatsächlichen und rechtlichen Möglichkeit und Zumutbarkeit der Beherrschung einer Gefahrenlage für absolut geschützte Rechte Dritter (BGH, GRUR 2016, 257, 264 Rn. 113 – Glasfasern II). Diese Voraussetzungen sind im Hinblick auf den Schutz von Patenten jedenfalls dann typischerweise erfüllt, wenn ein Unternehmen technische Erzeugnisse herstellt oder in den inländischen Markt einführt, da für praktisch jeden Bereich der Technik eine Vielzahl von Patenten mit unterschiedlichsten Gegenständen in Kraft steht (BGH, GRUR 2016, 257, 264 Rn. 114 f. – Glasfasern II). Die Verpflichtung, die Schutzrechtslage zu überprüfen, beruht nicht allein auf der allgemeinen Pflicht zum Schutz fremder Rechtsgüter. Sie ist vielmehr Ausdruck der gesteigerten Gefährdungslage, der technische Schutzrechte typischerweise ausgesetzt sind (BGH, GRUR 2016, 257, 264 Rn. 115 f. – Glasfasern II). Kraft seiner Verantwortung für die Organisation und Leitung des Geschäftsbetriebs und der damit verbundenen Gefahr, dass dieser so eingerichtet wird, dass die Produktion oder Vertriebstätigkeit des Unternehmens die fortlaufende Verletzung technischer Schutzrechte Dritter zur Folge hat, ist der gesetzliche Vertreter einer Gesellschaft deshalb grundsätzlich gehalten, die gebotenen Überprüfungen zu veranlassen oder den Geschäftsbetrieb so zu organisieren, dass die Erfüllung dieser Pflicht durch dafür verantwortliche Mitarbeiter gewährleistet ist (BGH, GRUR 2016, 257, 264 Rn. 117 – Glasfasern II). Für die Annahme, dass die schuldhafte Verletzung eines Patents durch eine Gesellschaft, die ein Produkt herstellt oder in den inländischen Markt einführt, auf einem schuldhaften Fehlverhalten ihres gesetzlichen Vertreters beruht, bedarf es daher im Regelfall keines näheren Klägervortrags und keiner näheren tatrichterlichen Feststellungen zu den dafür maßgeblichen Handlungen des gesetzlichen Vertreters (BGH, GRUR 2016, 257, 264 Rn. 118 – Glasfasern II).
Der Verfügungsbeklagte zu 2) ist mangels gegenteiligen Vortrags als alleiniger Geschäftsführer der Verfügungsbeklagten zu 1) für die Organisation und Leitung des Geschäftsbetriebs betreffend die Herstellung und den Vertrieb der angegriffenen Ausführungsform verantwortlich. Dass er die gebotenen Überprüfungen der Schutzrechtslage veranlasst hätte, ist nicht ersichtlich. Insofern beruht die schuldhafte Verletzung des Verfügungsgebrauchsmusters auch auf dem schuldhaften Fehlverhalten des Verfügungsbeklagten zu 2). - 6.
Es besteht zudem Wiederholungsgefahr, die durch die Verletzungshandlung indiziert wird. Diese kann nach ständiger Rechtsprechung des BGH nur durch eine strafbewehrte Unterwerfungserklärung – das heißt durch eine uneingeschränkte, bedingungslose und unwiderrufliche Unterwerfungserklärung unter Übernahme einer angemessenen Vertragsstrafe für jeden Fall der Zuwiderhandlung – ausgeräumt werden (st. Rspr.; BGH, GRUR 1996, 290 – Wegfall der Wiederholungsgefahr, m.w.N.). Eine solche haben die Verfügungsbeklagten nicht abgegeben.
Liegt mindestens ein Angebot vor, so begründet dies zudem eine ausreichende Begehungsgefahr für die weiteren Benutzungsformen des Inverkehrbringens, Gebrauchens, Einführens und Besitzens (OLG Düsseldorf, GRUR-RR 2007, 259 (262) = InstGE 7, 139 – Thermocycler). - 7.
Da die Verfügungsbeklagten durch das Angebot der angegriffenen Ausführungsformen das Verfügungsgebrauchsmuster verletzen, § 11 Abs. 1 GebrMG, sind sie den Verfügungsklägerinnen gemäß § 24 Abs. 1 GebrMG zur Unterlassung verpflichtet. - II.
Die Verfügungsklägerinnen können die ihr zustehenden Ansprüche auch im Wege der einstweiligen Verfügung geltend machen. Das Vorliegen des nach den §§ 935, 940 ZPO notwendigen Verfügungsgrundes haben die Verfügungsklägerinnen glaubhaft gemacht.
Das Bestehen eines Verfügungsgrundes verlangt nicht nur eine Dringlichkeit in einem rein zeitlichen Sinne, sondern darüber hinaus eine materielle Rechtfertigung des vorläufigen Unterlassungsgebotes. Diese erfordert eine Interessenabwägung zwischen den dem Schutzrechtsinhaber ohne das gerichtliche Eingreifen drohenden Nachteilen und den Interessen des als Verletzer in Anspruch genommenen Verfügungsbeklagten. Hierbei ist zu berücksichtigen, dass die Interessen des Schutzrechtsinhabers nur dann überwiegen können, wenn der Rechtsbestand ein Maß an Sicherheit hat, der auch eine Verurteilung in einem Hauptsacheverfahren rechtfertigen würde. Die aktuelle EuGH-Rechtsprechung (GRUR 2022, 811) ist für den vorliegenden Fall nicht unmittelbar relevant, weil es sich um ein Verfügungsgebrauchsmuster handelt, gegen das bislang kein Löschungsverfahren seitens der Verfügungsbeklagten angestrengt wurde. Insofern hat die Kammer die Schutzfähigkeit in eigener Kompetenz zu prüfen, wobei jegliche Zweifel zu Lasten des Schutzrechtsinhabers gehen, der sich auf ein ungeprüftes Schutzrecht stützt.
Das Vorliegen dieser Voraussetzungen haben die Verfügungsklägerinnen indes glaubhaft gemacht. Das Verfügungsgebrauchsmuster ist schutzfähig (dazu unter 1.). Die Dringlichkeit im zeitlichen Sinne ist ebenfalls gegeben (dazu unter 2.). Die überwiegenden Interessen der Verfügungsklägerinnen rechtfertigen somit den Erlass der einstweiligen Verfügung (dazu unter 3.). -
1.
Der Rechtsbestand des Verfügungsgebrauchsmusters ist hinreichend gesichert. Denn die Kammer ist von der Schutzfähigkeit des Verfügungsgebrauchsmusters in der hier geltend gemachten Anspruchsfassung überzeugt. - a.
Im Streitfall muss die Schutzfähigkeit positiv zur Überzeugung des Verletzungsgerichts feststehen, wenn es aus dem Verfügungsgebrauchsmuster verurteilen will.
Ein Gebrauchsmuster kann zwar im Gebrauchsmusterverletzungsverfahren – jedenfalls für die Frage der Aussetzung – wie ein geprüftes Schutzrecht behandelt werden, wenn bereits ein paralleles Patent erteilt wurde, dessen Schutzbereich breiter als derjenige des Gebrauchsmusters ist (OLG Düsseldorf, Urt. v. 06.05.2021 – I-2 U 48/20, GRUR-RS 2021, 10556 Rn. 64; vgl. OLG Düsseldorf, Beschluss vom 11.06.2018, Az.: I-15 W 30/18, GRUR-RS 2019, 45774; OLG Karlsruhe, GRUR 2014, 352, 354 – Stanzwerkzeug; Kühnen, Handbuch der Patentverletzung, 14. Aufl., Kap. E, Rn. 967). Insoweit steht es der Begründung der Vermutung des Rechtsbestands aufgrund einer (kontradiktorischen) Entscheidung der Löschungsabteilung im anhängigen Gebrauchsmusterlöschungsverfahren gleich, wenn eine positive (Rechtsbestands-)Entscheidung zu einem parallelen Patent getroffen worden ist. Dies gilt jedenfalls dann, wenn bei dieser Entscheidung die im Gebrauchsmusterverletzungs- und/oder Löschungsverfahren streitgegenständlichen Entgegenhaltungen allesamt berücksichtigt und diese von dem parallelen Patent als Stand der Technik gewürdigt worden sind (OLG Düsseldorf, Beschluss vom 11.06.2018 – I-15 W 13/18). Soweit gegen das Gebrauchsmuster ein Löschungsverfahren anhängig ist, ist eine Aussetzung in einem solchen Fall nur dann geboten, wenn mit hinreichender Wahrscheinlichkeit zu erwarten ist, dass das Verfügungsgebrauchsmuster dem Löschungsverfahren nicht standhalten wird (OLG Düsseldorf, Urt. v. 6.5.2021 – I-2 U 48/20, GRUR-RS 2021, 10556 Rn. 64; Anschluss an BGH, GRUR 2014, 1237, 1238 – Kurznachrichten).
Im Streitfall geht es allerdings nicht um die Frage der Aussetzung, sondern um die Frage der Darlegung des Rechtsbestandes eines Verfügungsgebrauchsmusters, gegen das gerade (noch) kein Rechtsbestandsangriff geführt wird.
Darüber hinaus wurde im Streitfall mit dem Patent EP `XXX zwar bereits ein paralleles Patent erteilt und im Rechtsbestandsverfahren beschränkt aufrechterhalten. Allerdings ist der Schutzbereich des beschränkt aufrecht erhaltenen parallelen Patents im Streitfall gerade nicht breiter als der des Verfügungsgebrauchsmusters, sondern enger. Denn in der von der Einspruchsabteilung des EPA aufrecht erhaltenen Fassung des parallelen Patents EP `XXX sind folgende Merkmale enthalten, die nicht Gegenstand des hier geltend gemachten Verfügungsgebrauchsmusteranspruchs sind:
„wobei die Anschlusseinrichtung (12) eine gerade Anzahl von Antriebsflächenbereichen (2, 2a, 2b) aufweist, vorzugsweise 4 oder mehr, bevorzugt 8 oder mehr und besonders bevorzugt 16 oder mehr, und weiter vorzugsweise 64 oder weniger, bevorzugt 48 oder weniqer und besonders bevorzugt 32 oder weniger, ganz besonders bevorzugt 24,
wobei diese Antriebsflächenbereiche (2, 2a, 2b) insbesondere im Wesentlichen sternartig, vorzugsweise in Form eines sternförmigen Polygons mit Abrundungen an den Übergangsbereichen zwischen den einzelnen Antriebsflächenbereichen ausgebildet sind.“
Diese Merkmale, die den Ansprüchen 23 und 24 des Verfügungsgebrauchsmusters entsprechen, wurden im Rahmen des neuen Hilfsantrags 3 dem Patentanspruch 1 des parallelen Patents hinzugefügt (zu den Hilfsanträgen 3 neu bis 5 neu vgl. Anlage WR 29).
Zwar wurde diese Einschränkung im Einspruchsverfahren zu dem EP`XXX von der Einspruchsabteilung nicht ausdrücklich zur Begründung der Neuheit gegenüber der Entgegenhaltung D3 (Anlage WR 27/AG3) herangezogen, da die vorgenannten Merkmale durch die D3 als vorweggenommen aufgefasst wurden. Insoweit wird in Ziffer 6.2 auf den Seiten 12 und 13 der Einspruchsentscheidung (Anlage WR 11) aufgeführt, dass die vorgenannten Merkmale in der D3 bereits offenbart wurden. Nach der Entscheidung war es das folgende, mit dem Hilfsantrag 5 neu weiter hinzugefügte Merkmal, das dem parallelen Patent gegenüber der D3 zu Neuheit verhalf:
„dass diese Werkzeugeinrichtung (1, 1b) im Bereich der Anschlusseinrichtung (12) im Wesentlichen eine Wandstärke t aufweist, dass diese erste Begrenzungsebene (8a) und diese zweite Begrenzungsebene (8b) um einen Abstand T voneinander beabstandet sind; und dass dieser Abstand T größer ist als 1 mal t, bevorzugt größer als 2 mal t und besonders bevorzugt größer oder gleich 3 mal t, und weiter kleiner als 20 mal t, bevorzugt kleiner als 10 mal t und besonders bevorzugt kleiner oder gleich 5 mal t, und weiter bevorzugt entspricht T im Wesentlichen 3,5 mal t +/-0,75 mal t.“,
wie es aus den Seiten 14 und 15 der Einspruchsentscheidung (Anlage WR 11) hervorgeht.
Die Argumentation der Verfügungsklägerinnen, das EPA habe die Neuheit nicht an den fehlenden Merkmalen festgemacht, verfängt aus Sicht der Kammer indes nicht, weil diese Begründung beliebig auch auf andere Merkmale zutreffen würde. Insoweit haben die Verfügungsklägerinnen ihre damalige Einschränkung des Anspruchs des EP ´XXX in Ansehung der Entgegenhaltung D1 bis D9 vorgenommen, so dass im Ergebnis nur der so eingeschränkte Anspruch vom EPA auf seinen Rechtsbestand zu überprüfen war. Es fehlt damit an einer dezidierten Prüfung der Rechtsbeständigkeit eines parallelen Patents in einer Anspruchsfassung, die derjenigen des hiesigen Verfügungsgebrauchsmusters entspricht, und damit an einer entsprechenden Indizwirkung zugunsten des Verfügungsgebrauchsmusters.
Im Ergebnis bedarf die Beantwortung dieser Frage vorliegend jedoch keiner abschließenden Entscheidung. Denn die Kammer ist von der Schutzfähigkeit des Verfügungsgebrauchsmusters in der hier geltend gemachten Anspruchsfassung auch unter Zugrundelegung des strengen Prüfungsmaßstabs überzeugt, wie es sich aus den nachfolgenden Ausführungen ergibt. - b.
Das Verfügungsgebrauchsmuster ist zur Überzeugung der Kammer schutzfähig im Sinne von § 1 Abs. 1 GebrMG. - aa.
Gemäß §§ 13 Abs. 1, 15 Abs. 1 Nr. 1 GebrMG wird der Gebrauchsmusterschutz durch die Eintragung (§ 11 GebrMG) nicht begründet, soweit gegen den als Inhaber Eingetragenen für jedermann ein Anspruch auf Löschung besteht. Ein solcher Löschungsanspruch besteht nach § 15 Abs. 1 Nr. 1 GebrMG dann, wenn der Gegenstand des Gebrauchsmusters nach den §§ 1 bis 3 GebrMG nicht schutzfähig ist. Nach den §§ 1 bis 3 GebrMG sind solche Erfindungen einem Gebrauchsmusterschutz zugänglich, die neu sind und auf einem erfinderischen Schritt beruhen.
Bei der Frage der Schutzfähigkeit des Verfügungsgebrauchsmusters müssen nur diejenigen Einwände geprüft werden, die der mögliche Verletzter konkret geltend macht. Da infolge der Eintragung eines Gebrauchsmusters eine Registerposition mit Rechtsschein entsteht, die zur Geltendmachung des Schutzes ohne Rücksicht auf die Schutzfähigkeit berechtigt, ist die Schutzfähigkeit zunächst, das heißt bis zur Erhebung der Einrede, grundsätzlich zu vermuten. Es bedarf insofern nicht der Substantiierung der anspruchsbegründenden Tatsache „Schutzfähigkeit“, so dass der vermeintliche Verletzer jedenfalls die Darlegungslast für das Fehlen der Schutzfähigkeit trägt (Grabinski/ Zülch, in: Benkard, PatG, Kommentar 11. Auflage, 2015, § 24 GebrMG Rn. 18; Meier-Beck, GRUR 1988, 861, 864). Eine Prüfung der Schutzfähigkeit von Amts wegen ist nicht vorzunehmen und wäre auch mit den Grundsätzen des Zivilprozesses nicht vereinbar.
Zwar können diese Grundsätze im einstweiligen Verfügungsverfahren grundsätzlich eine Einschränkung erfahren, weil der Antragsgegner regelmäßig nicht in der Lage ist, kurzfristig der Schutzfähigkeit eines Schutzrechts entgegenstehenden Stand der Technik aufzufinden. Im Streitfall gilt jedoch die Besonderheit, dass die Verfügungsbeklagte zu 1) bereits Partei des Einspruchsverfahrens gegen das parallele Patent EP `XXX gewesen ist und sie in diesem Zuge bereits umfassend zum Stand der Technik, der gleichermaßen im vorliegenden Verfahren im Hinblick auf das Verfügungsgebrauchsmuster relevant ist, recherchieren und vortragen konnte. Die Verfügungsbeklagten befinden sich daher aufgrund des einstweiligen Verfügungsverfahrens nicht in einer nachteiligen Position bezüglich ihrer Verteidigungsmöglichkeiten. Somit tragen die Gründe, eine entsprechende Einschränkung vorzunehmen, im Streitfall gerade nicht, so dass es dabei verbleibt, dass die Verfügungsbeklagten die Darlegungslast für das Fehlen der Schutzfähigkeit tragen.
bb.
Auch unter Berücksichtigung der von der Verfügungsbeklagten vorgebrachten Entgegenhaltungen ist das Verfügungsgebrauchsmuster in der hier geltend gemachten Anspruchsfassung neu und beruht auf einem erfinderischen Schritt. - (1)
Das Verfügungsgebrauchsmuster in der hier geltend gemachten Anspruchsfassung ist auch unter Berücksichtigung der von den Verfügungsbeklagten vorgebrachten Entgegenhaltungen neu. - (a)
Die D1 (GB 138,XXX A; veröffentlicht 12.02.1920; Anlagen D1 und D1 Übersetzung) nimmt das Verfügungsgebrauchsmuster in der hier geltend gemachten Anspruchsfassung nicht neuheitsschädlich vorweg.
Die D1 betrifft ein verbessertes Werkzeug zum Schneiden von Kesselstegen und anderen Rohren. Das Schneidwerkzeug wird über einen kegelförmigen sechskantigen oder anders geformten Dorn (nach dem EPA über eine „hexagonale Welle“, vgl. Anlage WR11, Bl. 9, Bezugsziffer 13) über eine Drehbewegung angetrieben, wie es beispielhaft aus der nachfolgend eingeblendeten Figur 3 der D1 hervorgeht:
Der konische Sechs-Kant-Dorn weist aufgrund seiner massiven Ausgestaltung bereits keine Seitenwandung auf, durch die ein im Wesentlichen hohlkegeliger Abschnitt im Bereich der Anschlusseinrichtung im Sinne von Merkmal 10 entsteht.
Darüber hinaus sind auch die Merkmale 11 bis 14 in der D1 nicht offenbart. Weder verhält sich die D1 zu einer Wandstärke der Seitenwandung einer Anschlusseinrichtung oder der Werkzeugeinrichtung noch sind eine erste und eine zweite Begrenzungsebene ersichtlich noch wird der Abstand dieser Begrenzungsebenen ins Verhältnis zu einer Wandstärke gesetzt. - (b)
Auch die D2 (US 3,232,XXX A; veröffentlicht 01.02.1966; Anlagen D2 und D2 Übersetzung) nimmt das Verfügungsgebrauchsmuster in der hier geltend gemachten Anspruchsfassung nicht neuheitsschädlich vorweg.
Die D2 betrifft einen Werkzeugschwenkadapter zum Herstellen einer Schwenkverbindung mit einem angetriebenen Werkzeug zum Übertragen des Drehmoments von dem Werkzeug auf ein mit einem Gewinde versehenes Befestigungsmittel, beispielsweise auf eine Mutter. Der Adapter umfasst ein Gehäuse mit einem kugelartigen Kopf, der Seitenflächen für ein komplementäres Eingreifen mit einer Antriebsbuchse aufweist (vgl. D2 Übersetzung, S. 3 4. Absatz). Indem so ein nicht drehbarer Eingriff zwischen dem Werkzeugantriebselement und dem Adapter bereitgestellt wird, wird bei Drehung des drehenden Antriebselements des Werkzeugs eine Drehung des Adapters und so eine Übertragung des Drehmoments veranlasst (vgl. D2 Übersetzung, S. 4 2. Absatz). Das Ende des Gehäuses des Adapters ist mit einer konventionellen Hülse (24) mit einer Vielzahl identischer flacher Seiten versehen, die für das Herstellen einer Antriebsverbindung mit einem Standardgewindebefestigungsmittel, beispielsweise einem Schraubenkopf oder einer Mutter, ausgelegt ist (vgl. D2 Übersetzung, S. 3 3. Absatz). Selbst wenn es sich bei dem kugelartigen Kopf der D2 um eine Anschlusseinrichtung und bei den Seitenflächen desselben um Antriebsflächenbereiche zur Aufnahme einer Antriebskraft im Sinne des Verfügungsgebrauchsmusters handeln sollte, offenbart die D2 bereits keine Seitenwandung, durch die gemäß Merkmal 10 ein im Wesentlichen hohlkegeliger Abschnitt im Bereich der Anschlusseinrichtung entsteht, der einen Querschnitt mit variablem Abstand der Seitenwandung zur Werkzeugdrehachse in einer zu dieser orthogonalen Ebene aufweist. Denn wie beispielsweise aus der nachfolgend eingeblendeten Figur 2 der D2 hervorgeht,
ist der Adapter im Wesentlichen und insbesondere der Kugelkopf massiv ausgestaltet. Ein hohlkegeliger Abschnitt entsteht gerade nicht.
Darüber hinaus sind auch die Merkmale 11 bis 14 in der D2 nicht offenbart. Weder verhält sich die Entgegenhaltung zu einer Wandstärke einer Seitenwandung der Anschlusseinrichtung oder der Werkzeugeinrichtung noch sind eine erste und eine zweite Begrenzungsebene ersichtlich noch wird der Abstand dieser Begrenzungsebenen ins Verhältnis zu einer Wandstärke gesetzt. - (c)
Auch sind weder die D3 (DE 21 20 XXX A; veröffentlicht am 20.01.1972; Anlage WR 27/AG3) noch die D3‘ (US-Patent 3,66 7,XXX; Anlage D3‘ und Anlage D3‘ Übersetzung) geeignet, die Neuheit gegenüber der hier geltend gemachten Fassung des Verfügungsgebrauchsmusters in Zweifel zu ziehen. Der Gegenstand des Verfügungsgebrauchsmusters in der hier geltend gemachten Anspruchsfassung wird nicht von der D3 oder der D3‘ neuheitsschädlich vorweggenommen.
Die D3 bezieht sich auf das Fertigbearbeiten von Werkstücken und betrifft insbesondere mit einem Schleifmaterial versehene Schleifblätter. Die Erfindung sieht ein Schleifblatt in Gestalt einer Vorrichtung bzw. eines Werkzeugs vor, das mit einem Mitnehmer versehen ist, damit es mit einem eine Drehbewegung erzeugenden kraftbetriebenen Werkzeug verbunden werden kann.
Nachfolgend wird zur Erläuterung die Schleifeinrichtung nach dem Ausführungsbeispiel der Figur 1 der D3 eingeblendet, die ein Schleifblatt (10) mit einer mittigen Öffnung zeigt, die den konischen Ansatz (18) des Mitnehmers (16) aufnimmt. Der obere Teil des Ansatzes (18) ist mit einem Innengewinde (20, 22) versehen, in das eine Schraubverbindung (30) des Tragstücks (24) eingreift, das den gleichen Durchmesser aufweist wie das Schleifblatt (10). Das Tragstück (24) ist mit einer gummierten Auflage belegt, auf der das flexible Schleifblatt während des Bearbeitungsvorgangs aufliegt. Die Kraftübertragung vom Tragstück auf das Schleifblatt erfolgt durch Reibung. Das Tragstück (24) weist einen zylindrischen Zapfen (28) auf, der an einer Werkzeugmaschine befestigbar ist. - Der in der Figur 1 verwendete Mitnehmer geht aus der nachfolgend eingeblendeten Figur 2 hervor:
- Das Schleifblatt weist danach eine kreisrunde Öffnung (36) auf und wird mit der mit Schleifkörnern belegten Seite (14) auf die zur Antriebsmaschine hin gerichteten Fläche auf den Flansch (38) des Mitnehmers aufgelegt. Die Zungen des Mitnehmers werden durch das Schleifblatt durchgeführt und umgebogen. Der Mitnehmer weist einen konischen Ansatz (18) auf, der als Gewinde ausgestaltet ist und auf den Gewindezapfen (32) des Tragstücks (24) aufgeschraubt wird.
Bei der D3‘ handelt es sich um die zur D3 parallele US-Patentschrift mit gleicher Prioritätsanmeldung. Die Beschreibung und die Zeichnungen der D3 und der D3‘ sind im Wesentlichen identisch. Einziger Unterschied ist, dass in der D3‘ der Hinweis auf die schematische Darstellung in den Zeichnungen in der Figuren-Kurzbeschreibung fehlt. Vielmehr findet sich in Spalte 5, Zeilen 1-9 der D3‘ bzw. auf S. 11 im zweiten Absatz vor der Überschrift „Patentansprüche“ gemäß der Anlage D3‘ Übersetzung folgender Hinweis:
„Es versteht sich jedoch, dass diese Ausführungsformen die Erfindung, die viele andere Formen annehmen kann, die sich erheblich von den konkreten, offenbarten veranschaulichenden Ausführungsformen unterscheiden, lediglich beispielhaft erläutern. Demnach sind konkrete strukturelle und funktionelle Einzelheiten nicht als einschränkend, sondern lediglich als eine Grundlage für die Ansprüche auszulegen, die den Schutzumfang der Erfindung definieren.“
Die nachfolgend eingeblendete Figur 5, auf die sich die Verfügungsbeklagten im Wesentlichen berufen, zeigt perspektivisch eine weitere Ausführungsform eines erfindungsgemäßen Mitnehmers (50) und einen Teil eines Schleifblatts (56) vor der Befestigung des Mitnehmers (50) an dem Schleifblatt (56):
Der gezeigte Mitnehmer (50) weist eine sechseckige Anschlusseinrichtung („Ansatz“ 52) auf und wird an dem Schleifblatt (56) dadurch befestigt, dass die Anschlusseinrichtung (52) in die Öffnung (58) hineingepresst wird, um durch einen Reibungsschluss eine mechanische Verbindung zwischen dem Mitnehmer und dem Schleifblatt herzustellen (vgl. S. 9 der Beschreibung der D3). Wenn das Schleifblatt an einem Tragstück befestigt werden soll, wird es in der gleichen Weise angebracht, wie es bezüglich des Schleifblatts nach den Figuren 1 bis 4 der D3 beschrieben wird (vgl. S. 9 der Beschreibung der D3), d.h. auch hier wird das Innengewinde der Anschlusseinrichtung (52) auf den Gewindezapfen des mit der Werkzeugmaschine verbundenen Tragstücks (24) aufgeschraubt (vgl. S. 5 zweiter Absatz der Beschreibung der D3), so dass Antriebsachse und Werkzeugdrehachse im Wesentlichen zusammenfallen.
Es kann indes im Ergebnis dahinstehen, ob das Merkmal 3 des Verfügungsgebrauchsmusters „Die Anschlusseinrichtung weist zur Aufnahme einer Antriebskraft wenigstens zwei im Abstand zu dieser Werkzeugdrehachse angeordnete Antriebsflächenbereiche mit je einer Vielzahl von Flächenpunkten auf“ neuheitsschädlich offenbart wird, insbesondere, ob die Befestigung des Mitnehmers durch Pressen in die Öffnung (58) des Schleifblattes (56) geeignet ist, Antriebskräfte auf die Seitenwandungen aufzunehmen, da jedenfalls das Merkmal 14 „Der Abstand T ist größer als 2 mal t, besonders bevorzugt größer oder gleich 3 mal t und weiter kleiner als 10 mal t und besonders bevorzugt kleiner oder gleich 5 mal t und weiter bevorzugt entspricht T im Wesentlichen 3,5 mal t +/- 0,75 mal t“ in der D3 nicht neuheitsschädlich offenbart wird.
Soweit die Verfügungsbeklagten anführen, Figur 7 der D3 offenbare für das Ausführungsbeispiel der Figur 5 das Merkmal 14 des Verfügungsgebrauchsmusters, so kann dem – unterstellt, Figur 7 zeige eine weitere Ansicht des Mitnehmers nach Figur 5, was bereits zweifelhaft ist – nicht beigetreten werden. Figur 7 der D3, die im Folgenden eingeblendet wird, zeigt einen Querschnitt durch eine Ausführungsform einer ein Schleifblatt (62) und einen Mitnehmer (60) umfassenden Baugruppe:
Die Verfügungsbeklagten argumentieren, für den Fachmann sei unmittelbar und eindeutig erkennbar, dass dort der Abstand T ungefähr 5 mal t betrage und genau in dem beanspruchten Intervall (größer als 2 x t und kleiner als 10 x t) liege, wie sie es anhand der nachfolgenden Abbildung veranschaulichen: - Es ist bereits zweifelhaft, ob aus der Zeichnung für den Fachmann erkennbar ist, dass der Abstand zwischen den Begrenzungsebenen T größer als 2 mal die Wandstärke t ist. Selbst wenn man davon ausginge, fehlt es an einer eindeutigen und unmittelbaren Offenbarung eines Abstandes T von kleiner als 10 mal die Wandstärke t. Da es sich bei den Figuren der D3 nicht um technische Zeichnungen, sondern nur um schematische Darstellungen handelt, können ihnen nicht eindeutig und unmittelbar bestimmte Abstände bzw. Abmessungen entnommen werden, sondern sie offenbaren regelmäßig nur das Prinzip der beanspruchten Vorrichtung (BGH, GRUR 2012, 1242 Rn. 9 – Steckverbindung, m.w.N.; vgl. auch Benkard EPÜ/Melullis, 3. Aufl. 2019, EPÜ Art. 54 Rn. 62; vgl. a. EPA ABl. EPA 1985, 310 – Venturi/CHARBONNAGES; ABl. EPA 1990, 188 – Ionisationskammer/SCANDITRONIX; EPA 16.11.1993 – T 857/91 – Heat-transfer tubes with grooved inner surface; 17.1.2003 – T 4/00 – Refusal of request for correction of the minutes of oral proceedings is not within the competence of the formalities officer).
Da der von den Verfügungsbeklagten identifizierte Abstand der Begrenzungsebenen und das Verhältnis dieses Abstandes zu der Wandstärke einer Seitenwandung (T = 5 x t) nur mithilfe von Hilfslinien abmessbar bzw. erkennbar werden, werden diese für den Fachmann nicht hinreichend deutlich. Zwar kann zur Offenbarung eines Merkmals als zur Erfindung gehörend die Darstellung in einer Zeichnung genügen, auf die sich die Beschreibung oder die Patentansprüche der Anmeldeunterlagen beziehen. Maßgeblich ist, ob die merkmalsgemäße Ausgestaltung nach der Gesamtoffenbarung aus fachmännischer Sicht als mögliche Ausführungsform der zum Patent bzw. Gebrauchsmuster angemeldeten Erfindung erscheint (BGH, Urt. v. 18.2.2010 – Xa ZR 52/08, BeckRS 2010, 9779 – Formteil). Allerdings wird an keiner Stelle der Beschreibung der D3 der Abstand zwischen den Begrenzungsebenen ins Verhältnis zur Wandstärke der Seitenwandung gesetzt oder auch nur Ausführungen zur Wandstärke gemacht. Der Fachmann wird mangels entsprechender Anhaltspunkte daher nicht davon ausgehen, Figur 7 zeige einen Abstand T, der kleiner ist als 10mal die Wandstärke t.
Soweit die Verfügungsbeklagten ausführen, auch die Figur 4 offenbare die verfügungsgebrauchsmustergemäßen Abstandsverhältnisse und sei gerade keine schematische Zeichnung, kann dem nicht gefolgt werden. Gegen eine nur schematische Zeichnung spreche ihrer Auffassung nach, dass in der ursprünglichen und prioritätsbegründenden US-Patentschrift E1 dieselben Figuren wie in D3 offenbart seien und dort – so wie bei den weiteren Patenten dieser Patentfamilie – gerade nicht als schematische Zeichnungen bezeichnet würden, wie es bei der D3 auf Seite 3, zweiter Absatz der Fall sei. Der relevante Passus, dass es sich bei den Figuren um „schematische Zeichnungen und Ausführungsbeispiele“ handelt, ist indes nur deklaratorischer Natur und ein Nicht-Vorhandensein dieses Passus bei der D3‘ lässt bereits nicht darauf schließen, dass es sich bei den gezeigten Figuren nicht um rein schematische Darstellungen handelt. Zudem findet sich in der D3‘ an anderer Stelle vor den Patentansprüchen ein Hinweis, dass die Ausführungsbeispiele die Erfindung lediglich „beispielhaft erläutern“.
Soweit sie weiterhin auf den letzten Absatz auf Seite 2 bis Seite 3 der Beschreibung der D3 verweisen, so verfängt auch dies nicht. Dort wird zwar unter anderem ausgeführt, dass der „senkrechte Abstand zwischen der oberen Stirnfläche des Ansatzes und der Oberseite des Schleifblatts in der Umgebung des Ansatzes auf einem vorbestimmten Wert gehalten wird, damit diese beiden Flächen in feste Anlage ab den zugehörigen Flächen der zentralen Öffnung oder Aussparung gehalten werden“. Entsprechend wird auch im Kontext mit den Figuren 1 und 4 auf Seite 8 der D3 ausgeführt, dass der senkrechte Abstand zwischen der oberen Stirnfläche (44) des Ansatzes (18) und der Oberseite (47) der Tragschicht (12), der in Figur 4 bei (48) durch einen Doppelpfeil bezeichnet ist, entsprechend den Erfordernissen eines bestimmten Tragstücks (24) so gewählt ist, dass er etwas kleiner ist als die Tiefe der Aussparung (33) des Aufnahmeteils (31):
Allerdings werden auch an diesen Stellen der Beschreibung gerade keine Angaben zu einer Wandstärke oder einem Verhältnis zwischen Wandstärke und dem Abstand (der Bezugsziffer 48) gemäß dem Merkmal 14 gemacht.
Aus den vorgenannten Stellen der Beschreibung folgt auch nicht, dass die Größenverhältnisse in der Figur 4 maßstabsgetreu wiedergegeben sein müssten, damit die Erfindung der D3 anhand der in Figur 4 gezeigten konkreten Ausführungsform verständlich und nachvollziehbar ist. Denn die vorgenannten Beschreibungsstellen sprechen nur von einem senkrechten Abstand, der auf einem vorbestimmten Wert gehalten wird, bzw. dass dieser so gewählt ist, dass er etwas kleiner ist als die Tiefe der Aussparung des Aufnahmeteils. Diese Maßgaben sind für den Fachmann auch ohne konkrete Abmessungen, die den Zeichnungen entnommen werden müssten, hinreichend verständlich.
Zudem spricht der Umstand, dass an anderer Stelle in der Beschreibung eines Ausführungsbeispiels Maßangaben genannt werden (so auf Seite 5 letzter Absatz bis Seite 6 zu Figur 2 zu dem allgemein in der Industrie verwendeten Durchmesser der Öffnung des Schleifblattes von 22 mm), nicht dafür, dass die Zeichnungen der Patentschrift nicht nur – entgegen des ausdrücklichen Hinweises jedenfalls in der D3 hierauf – schematisch, sondern maßstabsgetreu seien, insbesondere nicht, dass gerade die Wandstärke, die nirgends in der D3 erwähnt wird, maßstabsgetreu abgebildet wäre.
Gegen eine Maßstabsgenauigkeit der Zeichnungen der D3 spricht zudem, dass das Verhältnis zwischen der Wandstärke des Mitnehmers und der Dicke der Tragschicht in den Ausführungsbeispielen der Figuren 4 und 11 völlig unterschiedlich dargestellt ist, da in Figur 11 die (identische) Tragschicht (Bezugszeichen 78) – anders als in Figur 4 (Bezugszeichen 12) – wesentlich dicker dargestellt ist als die Wand des Mitnehmers, wie aus den nachfolgend abgebildeten Zeichnungen ersichtlich: - Soweit die Verfügungsbeklagten weiter anführen, für den Fachmann sei der Wertebereich des Merkmals 14 aus der Figur 7 ohne Weiteres erkennbar, da alle technisch relevanten Ausführungen der Anschlusseinrichtung der Figur 7 sich nur innerhalb des beanspruchten Wertebereichs realisieren ließen, so verfängt auch dies nicht. Bei der Frage des Offenbarungsgehalts einer Entgegenhaltung ist nicht zu ermitteln, in welcher Form der Fachmann eine gegebene allgemeine Lehre ausführen oder wie er diese Lehre gegebenenfalls abwandeln kann, sondern ausschließlich, was der Schrift aus fachmännischer Sicht unmittelbar und eindeutig zu entnehmen ist (BGH, GRUR 2014, 758 – Proteintrennung; BGH, GRUR 2009, 382 – Olanzapin). Zu dem danach Offenbarten gehört zwar nicht nur dasjenige, was im Wortlaut der Veröffentlichung ausdrücklich erwähnt wird. Nicht anders als bei der Ermittlung des Wortsinns eines Patentanspruchs ist vielmehr der Sinngehalt der Veröffentlichung maßgeblich, also diejenige technische Information, die der fachkundige Leser der jeweiligen Quelle vor dem Hintergrund seines Fachwissens entnimmt (BGH, a.a.O. – Proteintrennung; BGH, a.a.O. – Olanzapin). Hierzu gehören auch Abwandlungen und Ergänzungen, die nach dem Gesamtzusammenhang der Schrift für den Fachmann derart naheliegen, dass sie sich ihm bei aufmerksamer, weniger auf die Worte als ihren erkennbaren Sinn achtenden Lektüre ohne Weiteres erschließen, so dass er sie gleichsam mitliest, auch wenn er sich dessen nicht bewusst ist (BGH, a.a.O. – Proteintrennung; BGH, GRUR 1995, 330 – Elektrische Steckverbindung; OLG Düsseldorf, Urteil vom 11.01.2018 – I-15 U 66/17 = GRUR-RS 2018, 1291). Auch dies zugrunde gelegt, wird dem Fachmann in Ansehung der lediglich schematischen Zeichnung und ohne entsprechende Anhaltspunkte in der Beschreibung nicht eindeutig und unmittelbar offenbart, dass der in Figur 7 von den Verfügungsbeklagten eingezeichnete Abstand T gerade kleiner als 10 mal die Wandstärke t ist und nicht beispielsweise genau 10 mal die Wandstärke t.
- (d)
Die Entgegenhaltung D4 (DE 91 14 XXX U1; veröffentlicht am 19.03.1992; Anlage D4) nimmt den hier geltend gemachten Verfügungsgebrauchsmusteranspruch ebenfalls nicht neuheitsschädlich vorweg.
Die D4 bezieht sich auf eine Lagerung für Werkzeugkreisel einer Kreiselegge mit einem zylindrischen Lagergehäuse (1) zur Aufnahme der Lager (2, 3), einer Welle (4) und jeweils einem an der Welle angeordneten Werkzeugträger (5) und einem (Antriebs-)Zahnrad (6), wobei die Lager mittels einer auf die Welle aufschraubbaren Mutter (7) unabhängig von der Befestigung des Werkzeugträgers und des Zahnrads vorspannbar sind. Die Welle weist zudem einen sechskantförmig profilierten Konus (8) auf, auf welchen das Zahnrad (6), das eine konisch sechskantförmige Ausnehmung aufweist, mittels einer Mutter (10) auf der Welle aufgespannt wird, wie es die nachfolgend eingeblendete Figur 1 der D4 veranschaulicht:
Hier gilt das zur D2 Ausgeführte entsprechend. Es fehlt jedenfalls an der Offenbarung der Merkmale 10 bis 14. Insoweit entsteht auch hier, wie aus der eingeblendeten Figur 1 der D4 ersichtlich, durch eine nicht näher identifizierbare Seitenwandung des sechskantförmig profilierten Konus (8) – wenn man diesen als Anschlusseinrichtung identifiziert – kein im Wesentlichen hohlkegeliger Abschnitt. Denn mangels anderweitiger Anhaltspunkte in der Beschreibung oder den Zeichnungen ist der konusförmige Abschnitt (8) der Welle (4) massiv ausgebildet. Zudem fehlt es an der Offenbarung einer Wandstärke einer Seitenwandung sowie an dem Verhältnis dieser Wandstärke zu einem Abstand zwischen zwei Begrenzungsebenen gemäß den Merkmalen 12 bis 14. - (e)
Auch die D5 (EP 0 596 XXX A1; veröffentlicht am 11.05.1994; Anlage D5) steht der Überzeugung der Kammer von der Rechtsbeständigkeit des Verfügungsgebrauchsmusters in der hier geltend gemachten Anspruchsfassung nicht entgegen.
Die D5 betrifft ein scheibenförmiges Werkzeug für Winkelschleifer. Dieses weist eine zentrale Durchgangsbohrung auf, die der Befestigung an dem Winkelschleifer dient, wobei sich der Trägerkörper im Bereich der zentralen Durchgangsbohrung kegelförmig, symmetrisch in Richtung Zentrum verjüngt, so dass Angriffsflächen (8c, 8d) entstehen, an denen ein der Befestigung des scheibenförmigen Werkzeuges (8) dienendes Befestigungselement (11) einer Aufnahmevorrichtung (7) angreift, wie nachfolgend anhand der Figur 2 der D5 illustriert:
Die Angriffsflächen (8c, 8d) des Werkzeuges bilden im Bereich der Durchgangsbohrung nach den offenbarten Ausführungsbeispielen ein Zahnprofil, durch das das einwirkende Drehmoment aufgenommen wird. Soweit man diese Angriffsflächen als Antriebsflächenbereiche zur Aufnahme einer Antriebskraft im Sinne des Verfügungsgebrauchsmusters auffasst, fehlt es wiederum an einer Offenbarung jedenfalls der Merkmale 10 bis 14. Insbesondere ist auch hier kein hohlkegeliger Abschnitt im Bereich der Anschlusseinrichtung, den die Verfügungsbeklagten in dem scheibenförmigen Werkzeug (8) erblicken, ersichtlich, der durch die Seitenwandung der Anschlusseinrichtung entsteht. Auf die Ausführungen zu den Entgegenhaltungen D2 und D4 wird insoweit Bezug genommen.
Soweit die Verfügungsbeklagten auf Figur 12b des Verfügungsgebrauchsmusters, die nachfolgend eingeblendet wird, verweisen
und argumentieren, diese Struktur der Antriebsflächenbereiche der Anschlusseinrichtung stelle als Ausführungsform einen Hohlkegel im Sinne des Verfügungsgebrauchsmusters dar und die „Zahn“-Struktur der D5 sei mit dieser vergleichbar, so verfängt dies deshalb nicht, weil die Figur 12 des Verfügungsgebrauchsmusters bereits keine entsprechende „Zahn“-Struktur zeigt. Insoweit handelt es sich bei der Figur 12b um eine Draufsicht einer Werkzeugeinrichtung, wobei die nachfolgend eingeblendete Figur 12a die zugehörige Schnittdarstellung zeigt (vgl. Abs. [0109]):
Durch die Seitenwandung, die die Antriebsflächenbereiche (2) aufweist, entsteht ein im Wesentlichen hohlkegeliger Abschnitt im Bereich der Anschlusseinrichtung, der in dem gezeigten Ausführungsbeispiel durch den Deckenflächenabschnitt (10) nach oben hin begrenzt wird. Eine „Zahn“-Struktur ist nicht ersichtlich. Ein entsprechender hohlkegeliger Abschnitt wird durch die „Zahn“-Struktur, die in der D5 offenbart wird, gerade nicht gebildet. - (f)
Auch die D6 (WO 2006/125 XXX A1; veröffentlicht 20.11.2006, Anlage D6) nimmt die Merkmale des hier geltend gemachten Verfügungsgebrauchsmusteranspruchs nicht neuheitsschädlich vorweg.
Die D6 betrifft unter anderem eine Vorrichtung zum Bohren, insbesondere Schlag- oder Drehschlagbohren, eines Loches in Boden- oder Gesteinsmaterial und die Herstellung einer Verankerung in dem Loch, wobei eine an einem Bohrgestänge gelagerte Bohrkrone ein Bohrloch ausbildet (vgl. D6, S. 1, Zeilen 10 bis 14). In einem an die Bohrkrone anschließenden Teil ist eine Mehrzahl von insbesondere keilförmigen, entgegen der Bohrrichtung orientierten Spreizelementen vorgesehen, die nach Fertigstellung des durch die Bohrkrone ausgebildeten Bohrlochs in die Wand des Bohrlochs ausbringbar sind, um eine sichere Verankerung zu erzielen (vgl. D6, S. 6, Zeilen 4 bis 15). D.h. das Bohrgestänge verbleibt nach der Bohrung als Anker im Bohrloch und wird mit Spreizelementen verankert (vgl. D6, S. 5, 2, Abs.).
Die nachfolgend abgebildete Figur 6, auf die sich die Verfügungsbeklagten im Wesentlichen stützen, zeigt einen Schnitt durch eine Ausführungsform einer erfindungsgemäßen Vorrichtung, wobei das Bohrgestänge (3) im Bereich der Spreizelemente in voneinander trennbare Teilbereiche (3‘) und (3‘‘) unterteilt ist, wobei eine Verbindung (23) zwischen den Teilbereichen des Bohrgestänges beispielsweise mit einer konischen Sechskantführung erzielt werden kann (vgl. D6, S. 15, Zeilen 27 bis 32):
Es ist bereits zweifelhaft, ob das Bohrgestänge eine Werkzeugeinrichtung darstellt oder ob die Werkzeugeinrichtung in dem Bohrkopf (2) zu erblicken ist, der eine zylindrisch angeordnete Anschlusseinrichtung für das Bohrgestänge aufweist, das ebenfalls zylindrisch gestaltet ist und in die zylindrische Anschlusseinrichtung des Bohrkopfes (2) eingreift. Soweit die Verfügungsbeklagten die Merkmale des streitgegenständlichen Anspruchs des Verfügungsgebrauchsmusters in dem ersten Teilbereich (3‘) verwirklicht sehen, kann dem jedenfalls nicht beigetreten werden. Denn es fehlt wiederum jedenfalls an der Offenbarung der Merkmale 11 bis 14. Weder offenbart die D6 die Wandstärke der Seitenwandung des ersten Teilbereichs (3‘) noch sind eine erste und eine zweite Begrenzungsebene ersichtlich noch wird der Abstand dieser Begrenzungsebenen ins Verhältnis zu der bereits nicht offenbarten Wandstärke gesetzt. - (2)
Das Verfügungsgebrauchsmuster beruht zudem auf einem erfinderischen Schritt. Es ist nicht ersichtlich, dass sich der Gegenstand des Verfügungsgebrauchsmusters in der hier geltend gemachten Fassung aus Sicht des Fachmanns in naheliegender Weise aus dem von den Verfügungsbeklagten angeführten Stand der Technik ergibt.
Wie die Patentierungsvoraussetzung der erfinderischen Tätigkeit im Patentrecht ist auch das Kriterium des erfinderischen Schritts im Gebrauchsmusterrecht nach § 1 GebrMG kein quantitatives, sondern ein qualitatives; die Beurteilung des erfinderischen Schritts ist wie die der erfinderischen Tätigkeit das Ergebnis einer Wertung. Für die Beurteilung des erfinderischen Schritts kann bei Berücksichtigung der Unterschiede, die sich daraus ergeben, dass der Stand der Technik im Gebrauchsmusterrecht hinsichtlich mündlicher Beschreibungen und hinsichtlich von Benutzungen außerhalb des Geltungsbereichs des Gebrauchsmustergesetzes in § 3 GebrMG abweichend definiert ist, auf die im Patentrecht entwickelten Grundsätze zurückgegriffen werden (BGH, GRUR 2006, 842 – Demonstrationsschrank).
Eine Erfindung gilt danach als auf einer erfinderischen Tätigkeit beruhend, wenn sie sich für den Fachmann nicht in naheliegender Weise aus dem Stand der Technik ergibt. Es ist deshalb zu fragen, ob ein über durchschnittliche Kenntnisse und Fähigkeiten verfügender Fachmann, wie er auf dem technischen Gebiet der Erfindung in einschlägig tätigen Unternehmen am Prioritätstag typischerweise mit Entwicklungsaufgaben betraut wurde und dem unterstellt wird, dass ihm der gesamte am Prioritätstag öffentlich zugängliche Stand der Technik bei seiner Entwicklungsarbeit zur Verfügung stand, in der Lage gewesen wäre, den Gegenstand der Erfindung aufzufinden, ohne eine das durchschnittliche Wissen und Können einschließlich etwaiger Routineversuche übersteigende Leistung erbringen zu müssen (OLG Braunschweig, GRUR-RR 2012, 97, 98). Welche Mühe es macht, den Stand der Technik aufzufinden oder heranzuziehen, ist unbeachtlich (OLG Braunschweig, GRUR-RR 2012, 97, 98).
Um das Begehen eines von den bisher beschrittenen Wegen abweichenden Lösungsweg nicht nur als möglich, sondern dem Fachmann nahegelegt anzusehen, bedarf es – abgesehen von denjenigen Fällen, in denen für den Fachmann auf der Hand liegt, was zu tun ist – in der Regel zusätzlicher, über die Erkennbarkeit des technischen Problems hinausreichender Anstöße, Anregungen, Hinweise oder sonstiger Anlässe dafür, die Lösung des technischen Problems auf dem Weg der Erfindung zu suchen (BGH, GRUR 2009, 746, 748 – Betrieb einer Sicherheitseinrichtung; BGH, GRUR 2012, 378, 379 – Installiereinrichtung II). - (a)
Der Gegenstand des Verfügungsgebrauchsmusters in der hier geltend gemachten Fassung, insbesondere Merkmal 14, ergibt sich für den Fachmann nicht in naheliegender Weise aus der D3 in Kombination mit dem allgemeinen Fachwissen.
Aus der D3 sind bereits keine Anstöße, Anregungen, Hinweise oder sonstige Anlässe dafür erkennbar, die Lösung des technischen Problems auf dem Weg der Erfindung zu suchen. Nach Abs. [0045] des Verfügungsgebrauchsmusters sollen durch das In-Verhältnis-Setzen des Abstands T und der Wandstärke t gemäß Merkmal 14 insbesondere günstige Steifigkeitsverhältnisse im Anschlussbereich der Werkzeugeinrichtung und damit eine günstige Drehmomenteinleitung von der Werkzeugmaschine in die Werkzeugeinrichtung sowie eine große Lebensdauer der Werkzeugeinrichtung erreicht werden. Die D3 beschäftigt sich mit diesem Problem bereits nicht. Auch wenn der Fachmann das Problem anderweitig erkennt, besteht für ihn kein Anlass, sich darum zu bemühen, zur Lösung dieses Problems eine bessere oder andere Lösung zu finden, als sie die D3 unmittelbar vorgibt.
Dass der Fachmann aufgrund seines allgemeinen Fachwissens im Rahmen seines üblichen Handelns bzw. mittels routinemäßiger Erprobung zwangsläufig zu den Abstandverhältnissen gemäß Merkmal 14 gelangt wäre, ist ebenfalls nicht ersichtlich. Selbst falls er erkennt, dass der Ansatz des in der Figur 5 der D3 offenbarten Mitnehmers ausreichend stabil sein müsste, um Antriebskräfte aufzunehmen, ist nicht ohne Weiteres ersichtlich, dass er ohne erfinderisch tätig zu werden zwangsläufig die vom Verfügungsgebrauchsmuster in Merkmal 14 zum Ausdruck kommende Lösung des Ins-Verhältnis-Setzens zwischen Wandstärke und Höhe des Mitnehmers und nicht eine andere ausreichend stabile Lösung, wie zum Beispiel die Ausbildung eines massive(re)n Mitnehmers, wie es ihm aus dem Stand der Technik geläufig ist, wählen würde. Insoweit ist es auch nicht Aufgabe des Verfügungsgebrauchsmusters, Material einzusparen. Erst Recht ist nicht erkennbar, warum der Fachmann aufgrund seines allgemeinen Fachwissens und durch Routineversuche zwangsläufig zu dem konkreten Wertebereich gemäß Merkmal 14 gelangen sollte und nicht beispielsweise zu einem Wert von T = 1 mal oder 10 mal t. Vielmehr geht das Auffinden des beanspruchten Bereichs über das routinemäßige Handeln des Fachmanns hinaus. Denn er muss sich dem beanspruchten Bereich durch erfinderische Versuche bzw. erfinderisches Ausprobieren immer weiter nähern und damit erfinderisch tätig werden. - (b)
Ferner wird der Fachmann auch nicht durch eine Kombination der D3 mit der D10 zum Gegenstand des Verfügungsgebrauchsmusters in der hier geltend gemachten Fassung geleitet. Es ist bereits nicht dargetan, warum der Fachmann ausgehend von der D3 auf die D10 zurückgreifen sollte. Zudem offenbart auch die D10 insbesondere nicht Merkmal 14 des Verfügungsgebrauchsmusters.
Die D10 offenbart ein Arbeitsbauteil, insbesondere zum Ankuppeln an das Wellende einer Antriebswelle, das durch Oszillation angetrieben werden kann. Dazu enthält das Arbeitsbauteil zum Kuppeln an vielfältige Wellenden einen Rumpfbereich und einen Spannbereich, gebildet aus dem Kuppelbereich (4) und einem Trägerbereich (1), der ein Montageloch mit einer Längsache Y aufweist und zum Montieren des Arbeitsbauteils am Wellende geeignet ist (vgl. Abs. [0005] der D10), wie es beispielhaft aus der nachfolgend eingeblendeten Figur 1 der D10 hervorgeht:
Zwar wird in der D10 die Höhe des Kuppelbereichs offenbart. So wird in Abs. [0046] der D10 ausgeführt, dass jeder Vorsprung des Kuppelbereichs in der Richtung der Längsachse Y nicht zu dünn sein dürfe, da dies sonst die Festigkeit selbst und das Ausmaß des Ankuppelns mit der Kuppeldicke der Wellenden verschiedener Werkzeuge beeinträchtige. Der Vorsprung dürfe jedoch auch nicht zu dick sein, da sonst die Kosten erhöht würden und der Vorsprung nicht gestanzt werden könne. Nach Abs. [0046] könne daher die Dicke h1 des Kuppelbereichs, wie sie nachfolgend anhand Figur 12 der D10 dargestellt ist,
vorzugsweise folgendes erfüllen: 1 mm ≤ h1 ≤ 3 mm, da sie so gleichzeitig die Anforderungen der Festigkeit und der Kuppeldicke erfüllen könne. Die Dicke des Trägerbereichs könne zudem h2 betragen, wobei vorzugsweise die Gesamtdicke des Spannbereichs des durch den Trägerbereich (1) und den Kuppelbereich (4) ausgebildeten Sägeblatts folgendes erfüllen könne: 1,5 mm ≤ h1 + h2 ≤ 6 mm. Es wird indes an keiner Stelle der D10 ein Verhältnis von der Höhe des Kuppelbereichs (h1) zur Wandstärke zwischen 2 und 10 gemäß Merkmal 14 des Verfügungsgebrauchsmusters offenbart. Insbesondere ist nicht ersichtlich, warum der Fachmann der D10 die dort offenbarte Höhe des Kuppelbereichs für die Höhe des Mitnehmers der D3 übernehmen sollte. - (c)
Der Gegenstand des Verfügungsgebrauchsmusteranspruchs in der hier geltend gemachten Fassung wird auch nicht ausgehend von der D7 (US 5,287,XXX A; veröffentlicht am 22.02.1994; Anlage D7 und Anlage D7 Übersetzung) in Kombination mit der D9 (DE 31 19 XXX A1, veröffentlicht am 09.12.1982; Anlage D9) nahegelegt.
Die D7 offenbart unter anderem eine Werkzeugelement-Unterbaugruppe, wie z.B. eine Schleifscheiben-Unterbaugruppe, zur Montage an der Antriebsspindel einer Schleifmaschine bzw. eines anderweitigen Elektrowerkzeuges. Die Untergruppe enthält eine Schleifscheibe, eine Bundmutter und optional einen Gegenflansch. Sowohl die mittige Bohrung in der Schleifscheibe als auch der Nabenteil der Bundmutter, sind sechseckig geformt, um eine formschlüssige Antriebsverbindung zwischen ihnen herzustellen (vgl. Anlage D7 Übersetzung, S. 2). Die Bundmutter ist dazu ausgelegt, auf die Außengewindespindel der Schleifmaschine montiert zu werden (vgl. Anlage D7 Übersetzung, S. 4). Die nachfolgend eingeblendeten Figuren 3 und 4 der D7 zeigen die Schleifscheibe (18) mit einer sechseckig geformten mittigen Bohrung (28) (Figur 3) und die Bundmutter (29) der Werkzeugelement-Unterbaugruppe mit einem entsprechenden sechseckig geformten Nabenteil (30), der dazu ausgelegt ist, in die Bohrung (28) in der Schleifscheibe (18) eingepresst zu werden (Figur 4):
Wird die Bundmutter auf die Außengewindespindel der Schleifmaschine geschraubt, wird aufgrund der sechseckig geformten Schnittstelle zwischen dem Nabenteil (30) der Bundmutter und der Schleifscheibe eine formschlüssige Antriebskupplung zwischen der Spindel und der Schleifscheibe erzeugt und das Drehmoment der Spindel auf die Schleifscheibe übertragen (vgl. Anlage D7 Übersetzung, S. 8).
Selbst wenn man die Außenseiten des Nabenteils (30) der Bundmutter – wie die Verfügungsbeklagten – als Antriebsflächenbereiche ansähe, so fehlt es nicht nur an der Offenbarung der Merkmale 4 und 5, da die Tangentialebenen an den Flächenpunkten der Antriebsflächenbereiche weder gegenüber einer Axialebene, die die Werkzeugdrehachse einschließt, noch gegenüber einer Radialebene, die sich senkrecht zu der Werkzeugdrehachse erstreckt, geneigt sind, sondern auch an einer Offenbarung der Merkmale 11 bis 14. Soweit die Stirnfläche des Nabenteils (30) der Bundmutter die Seitenwandung im Sinne des Verfügungsgebrauchsmusters darstellen soll, ist weder deren mittlere Wandstärke (Merkmal 11) offenbart noch die Wandstärke im Bereich der Anschlusseinrichtung (Merkmal 12) noch wird Letztere ins Verhältnis zu dem Abstand von einer ersten und einer zweiten Begrenzungsebene gesetzt (Merkmale 13 und 14).
Dass die Merkmale 11 bis 14 durch die D9 nahegelegt würden, behaupten die Verfügungsbeklagten bereits nicht. Es ist auch nicht ersichtlich, dass die D9 dem Fachmann die Merkmale 4 und 5 nahelegt. Durch die Neigung der Flächenbereiche soll das technische Problem, die örtliche Belastung der Antriebsflächen zu verringern und die Krafteinleitung zu verbessern, gelöst werden (vgl. Abs. [0036] und [0037] des Verfügungsgebrauchsmusters). Die D9 betrifft einen Schraubendreher und eine Innenmehrkantschraube für die Chirurgie, mit einem in den Kopf der Innenmehrkantschraube einzuführenden Endabschnitt des Schraubendrehers. Zwar weist der kugelartige Endabschnitt des Schraubendrehers in den Ausführungsbeispielen abgeschrägte Kanten auf. Es ist indes nicht ersichtlich, an welcher Stelle der D9 diese dem Fachmann Anlass dafür geben sollte, die Außenseiten des Nabenteils (30) der D7 ebenfalls schräg auszugestalten. Insbesondere beschäftigt sich die D9 nicht mit dem Problem, die örtliche Belastung der Antriebsflächen zu verringern und die Krafteinleitung zu verbessern. Vielmehr soll die Ausgestaltung des kugelartigen Endabschnitts des Schraubendrehers einen Eingriff des Schraubendrehers in verschiedenen Winkellagen ermöglichen (vgl. z.B. D9, S. 11 vorletzter Satz). - (d)
Der Gegenstand des Verfügungsgebrauchsmusters in der geltend gemachten Anspruchsfassung wird schließlich auch nicht durch die D8 (DE 31 19 XXX A1; veröffentlicht am 17.11.2011; Anlage D8) in Kombination mit der D9 nahegelegt.
Die D8 offenbart einen Befestigungsflansch (1) in einer Werkzeugmaschine zur Aufnahme eines Werkzeugs, wobei Formschlusselemente (Noppen 5) zur Verbindung mit dem Werkzeug dienen und eine als Ausnehmung (2) ausgeführte, nicht-runde Formschlussgeometrie des Flansches (Begrenzungsrand 3) zur Verbindung mit der Antriebswelle der Werkzeugmaschine dient, wie es aus der nachfolgend abgebildeten Figur 3 der D8 hervorgeht:
Die Merkmale 4 und 5 werden auch hier nicht offenbart, da die Flächenbereiche des Begrenzungsrandes (3) parallel zur Antriebsachse verlaufen und daher keine Neigung derselben zu einer Axial- und Radialebene gemäß Merkmal 4 und 5 besteht. Zudem werden auch hier die Merkmale 11 bis 14 nicht offenbart. Es bestehen zudem keine Anhaltspunkte dafür, dass dem Fachmann die Merkmale 4 und 5 in Ansehung der D9 nahegelegt würden. Insoweit kann auf die obigen Ausführungen zu (e) verwiesen werden. - 2.
Die Dringlichkeit im zeitlichen Sinne ist ebenfalls gegeben. Den Verfügungsklägerinnen kann kein zögerliches Verhalten bei der Durchsetzung ihrer Ansprüche vorgeworfen werden. Sie haben erst am 19.01.2022 von dem Angebot der angegriffenen Ausführungsform Kenntnis erlangt. Daraufhin haben sie die Verfügungsbeklagten mit Schreiben vom 31.01.2022. (Anlage WR 3/AG 1) abgemahnt und zur Abgabe einer strafbewehrten Unterlassungserklärung bis zum 14.02.2022 aufgefordert. Nach Fristablauf haben sie zeitnah am 17.02.2022 den Antrag auf Erlass der einstweiligen Verfügung gestellt und damit gezeigt, dass ihnen die Sache dringlich ist. - 3.
Einer Abwägung der den Verfügungsklägerinnen drohenden Nachteile mit den Interessen der Verfügungsbeklagten erübrigt sich. Denn das überwiegende Interesse der Verfügungsklägerinnen wird bereits durch die festgestellte Gebrauchsmusterverletzung bei gesichertem Rechtsbestand und gegebener Dringlichkeit indiziert.
Dagegen spricht nicht, dass die angegriffene Ausführungsform anders gestaltet ist als die Werkzeugaufnahmen der Verfügungsklägerinnen. Denn es kommt vorliegend nicht auf eine Verwechslungsgefahr bzw. eine Marktverwirrung oder eine potentielle Rufschädigung der Verfügungsklägerinnen bzw. ihrer Produkte an, sondern maßgeblich auf die Verletzung ihres Schutzrechtes, an deren Unterbindung die Verfügungsklägerinnen ein hohes Interesse haben. -
III.
Soweit die Verfügungsbeklagten hilfsweise beantragen, den Erlass einer einstweiligen Verfügung bis zum 31.08.2023 zeitlich zu befristen, war auch diesem Antrag nicht zu entsprechen.
Soweit sie mit ihrem – insoweit nicht näher begründeten – Antrag eine Befristung bis zum Ablauf des Gebrauchsmusterschutzes begehren, besteht für den Antrag bereits kein Rechtsschutzbedürfnis, da der Unterlassungsanspruch ohnehin nur bis zum Ablauf des Schutzrechtes besteht. Es ist in der Rechtsprechung für eine auf eine Schutzrechtsverletzung gestützte Unterlassungsklage seit langem anerkannt, dass der Klageantrag und eine diesem stattgebende Entscheidung immanent auf den nach dem Gesetz höchstens in Betracht kommenden Schutzzeitraum beschränkt sind (Kammer, Urt. v. 10.3.2011 – 4a O 288/08, BeckRS 2012, 5022; BGH, GRUR 1958, 179, 180 – Resin; GRUR 1990, 997, 1001 – Ethofumesat; GRUR 2010, 996, 997 – Bordako). Ein ohne zeitliche Beschränkung gestellter Klageantrag und ein entsprechendes Urteil sind grundsätzlich dahin auszulegen, dass sie bis zum Ablauf der Höchstschutzfrist Geltung behalten sollen (BGH, GRUR 2010, 996, 997 – Bordako). Da der Unterlassungsanspruch in die Zukunft gerichtet ist, verliert er mit dem Erlöschen des Gebrauchsmusters insoweit seine Grundlage (Benkard PatG/Grabinski/Zülch, 11. Aufl. 2015, GebrMG § 24 Rn. 4). Die Schutzdauer eines eingetragenen Gebrauchsmusters beginnt mit dem Anmeldetag und endet zehn Jahre nach Ablauf des Monats, in den der Anmeldetag fällt (§ 23 Abs. 1 GebrMG), im Streitfall mithin automatisch mit Ablauf der Schutzdauer am 31.08.2023, so dass für eine ausdrückliche Tenorierung kein Bedürfnis besteht. - IV.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 Abs. 1 S. 1 ZPO.
Die Anordnung der Sicherheitsleistung beruht auf §§ 936, 921 S. 2 ZPO. Sie ist sinnvoll und geboten, weil damit gewährleistet wird, dass der Unterlassungsanspruch nicht unter geringeren Bedingungen vollstreckbar ist, als er es bei einem entsprechenden erstinstanzlichen Hauptsacheurteil wäre (vgl. OLG Düsseldorf, Urteil vom 19.02.2016 – I-2 U 55/15). Von einer Sicherheitsleistung kann im Allgemeinen nur abgesehen werden, wenn der Antragsteller entweder zu ihr nicht in der Lage ist oder weil eine Sicherheitsleistung in der Kürze der Zeit nicht beizubringen ist, wofür hier nichts dargetan oder ersichtlich ist. Da keine Anhaltspunkte für einen darüber hinausgehenden Schaden der Verfügungsbeklagten durch Vollziehung der einstweiligen Verfügung vorgetragen oder sonst ersichtlich sind, hat die Kammer die Sicherheitsleistung in Höhe des Streitwerts festgesetzt. - V.
Der Streitwert wird auf 150.000,00 € festgesetzt.