Düsseldorfer Entscheidungen Nr. 3215
Landgericht Düsseldorf
Urteil vom 12. April 2022, Az. 4c O 62/21
- I. Die einstweilige Verfügung der Kammer vom 3. Januar 2022 (Az. 4c O 62/21) wird bestätigt und die hiergegen gerichteten Widersprüche zurückgewiesen.
- II. Die Verfügungsbeklagten tragen auch die weiteren Kosten des Verfahrens.
- Tatbestand
- Die Verfügungsklägerin gehört zur US-amerikanischen A, die schwerpunktmäßig auf dem Gebiet der Entwicklung, der Herstellung und des Vertriebs von Medizinprodukten tätig ist, insbesondere im Bereich der Endoskopie. Sie macht im Rahmen des einstweiligen Verfügungsverfahrens Ansprüche auf Unterlassung aus dem europäischen Patent EP 3 XXX 061 B1 (Anlage VP 2, in deutscher Übersetzung als Anlage VP 2 Ü zur Akte gereicht; im Folgenden: Verfügungspatent) geltend, als dessen Inhaberin sie im Patentregister eingetragen ist. Das Verfügungspatent wurde unter Inanspruchnahme einer US-amerikanischen Priorität vom 5. Oktober 2001 (US XXX) am 20. September 2002 angemeldet und als Anmeldung am 25. Mai 2016 offengelegt. Der Hinweis auf die Erteilung des Klagepatents wurde am 1. November 2017 veröffentlicht. Das Klagepatent steht auch mit Wirkung für die Bundesrepublik Deutschland in Kraft.
- Das Verfügungspatent war Gegenstand eines vor der Einspruchsabteilung des Europäischen Patentamts geführten Einspruchsverfahrens, welches unter anderem von der B LLC, einem Unternehmen der Unternehmensgruppe der Verfügungsbeklagten zu 1) und 2) (nachfolgend nur: Verfügungsbeklagten) initiiert worden war. Auf die mündliche Verhandlung vom 9. Dezember 2021 hat die Einspruchsabteilung das Verfügungspatent in der vorliegend geltend gemachten Fassung (vgl. Anlage VP 4) eingeschränkt aufrechterhalten, wobei die Entscheidungsgründe bislang noch nicht vorliegen.
- Das Verfügungspatent betrifft eine endoskopische Vorrichtung zur Verursachung von Hämostase. Der Anspruch 1 des – in englischer Sprache angemeldeten und erteilten – Verfügungspatents lautet in seiner aufrechterhaltenen Fassung:
- A medical device (100) for causing the hemostasis of a blood vessel for use through an endoscope, said medical device comprising: a clip (101), the clip (101) having at least two clip legs (102, 103); a control wire (108) able to be coupled to the clip (101), the control wire (108) being reversibly operable both to open the at least two clip legs (102, 103) and to close the at least two clip legs (102, 103), the control wire being uncouplable from the clip; an axially rigid sheath (111) enclosing the control wire (108), the sheath (111) being able to communicate a first force opposing a second force of the control wire (108); a lock sleeve (113), wherein the control wire (108) is able to be pulled in a proximal direction to pull the clip (101) through the lock sleeve (113), thereby closing the at least two clip legs (102, 103); a retainer (110), the retainer being releasably coupled to the lock sleeve (113); a handle coupled to the axially rigid sheath (111); and an actuator coupled to the control wire (108), the control wire (108) engageable by the actuator to open the at least two clip legs (102, 103) to close the at least two clip legs (102, 103), and to uncouple the control wire (108) from the clip (101); wherein the device further comprises a retainer release arrangement (109), the retainer release arrangement (109) able to engage the retainer (110) to uncouple the retainer (110) from the lock sleeve (113).
- In deutscher Übersetzung hat der eingeschränkt aufrechterhaltene Patentanspruch 1 folgenden Wortlaut:
- Medizinische Vorrichtung (100) zum Bewirken der Hämostase eines Blutgefäßes zur Verwendung durch ein Endoskop, wobei die medizinische Vorrichtung aufweist: eine Klemme (101), wobei die Klemme (101) mindestens zwei Klemmenschenkel (102, 103) hat; einen Steuerdraht (108), der mit der Klemme (101) koppelbar ist, wobei der Steuerdraht (108) reversibel betätigbar ist, um sowohl die mindestens zwei Klemmenschenkel (102, 103) zu öffnen als auch um die mindestens zwei Klemmenschenkel (102, 103) zu schließen, wobei der Steuerdraht (108) von der Klemme (101) abkoppelbar ist; eine axial steife Hülle (111), die den Steuerdraht (108) umhüllt, wobei die Hülle (111) imstande ist, eine erste Kraft zu übertragen, die einer zweiten Kraft des Steuerdrahts (108) entgegenwirkt; eine Verrieglungshülse (113), wobei der Steuerdraht (108) in proximaler Richtung gezogen werden kann, um die Klemme (101) durch die Verriegelungshülse (113) zu ziehen, wodurch die mindestens zwei Klemmen-schenkel geschlossen werden; einen Halter (110), wobei der Halter mit der Verriegelungshülse (113) lösbar gekoppelt ist; einen Handgriff, der mit der axial steifen Hülle (111) gekoppelt ist; und ein Betätigungselement, das mit dem Steuerdraht (108) gekoppelt ist, wobei der Steuerdraht (106) durch das Betätigungselement in Eingriff nehmbar ist, um die mindestens zwei Klemmen-schenkel (102, 103) zu öffnen, die mindestens zwei Klemmenschenkel (102, 103) zu schließen und den Steuerdraht (108) von der Klemme (101) abzukoppeln; dadurch gekennzeichnet, dass die Vorrichtung ferner aufweist: eine Halterlösungsanordnung (109), wobei die Halterlösungsanordnung (109) einen Eingriff mit dem Halter (110) herstellen kann, um den Halter (110) von der Verriegelungshülse (113) abzukoppeln.
- Die nachstehend wiedergegebenen Figuren sind dem Verfügungspatent entnommen und erläutern dessen technische Lehre anhand eines bevorzugten Ausführungsbeispiels:
- Figur 1 zeigt eine anspruchsgemäße Klemme (Clip, 101) mit zwei Schenkeln (102 und 103), die im geöffneten Zustand mit dem Halter (110) verbunden ist. Figur 2 zeigt die Klemme mit Verriegelungshülse (113) im geschlossenen Zustand und noch bevor diese vom Rest der Vorrichtung gelöst wird. Nachfolgend wiedergegeben ist die Figur 1 mit seitens der Verfügungsklägerin versehenen Einfärbungen und Erläuterungen (vgl. Anlage VP 6):
- Die Verfügungsbeklagten gehören zur international tätigen C, einem US-amerikanischen Unternehmen mit Sitz in XXX, Indiana, das hauptsächlich medizinische Geräte herstellt (unter der Bezeichnung „XXX“). Die Verfügungsbeklagte zu 1) betreibt das „XXX XXX“ im nordrhein-westfälischen Baesweiler, wo die Lagerhaltung und der Versand von mehreren B-Standorten in Europa zusammengefasst ist (vgl. Anlage VP 10). Die Verfügungsbeklagte zu 2) ist laut Homepage der in Irland ansässigen XXX Europe Ltd., die mangels Zustellung des Verfügungsbeschlusses als Antragsgegnerin zu 3) nicht am hiesigen Widerspruch beteiligt ist, die deutsche Distributionsgesellschaft und entsprechend für den Verkauf in Deutschland zuständig (vgl. Anlage VP 10). Die XXX Europe Ltd. stellt das europäische Hauptquartier der XXX dar. Am Standort in XXX, Irland, werden etwa 10% der XXX Produkte für den weltweiten Markt produziert. Darüber hinaus betreibt die XXX Europe Ltd. auch das „XXX“ und ein mit Produktentwicklung beschäftigtes „XXX“ (vgl. Anlage VP 10).
- Die Verfügungsklägerin hat im Dezember 2021 über ihre Verfahrensbevollmächtigten von den Verfügungsbeklagten in der Bundesrepublik Deutschland angebotene Gewebeklemmen mit der Bezeichnung „XXX“ (vgl. Ablichtung der erworbenen Verpackung mit Umverpackung, vorgelegt als Anlage VP 7; nachfolgend: angegriffene Ausführungsform) erworben (vgl. Rechnung vom 7. Dezember 2021, vorgelegt als Anlage VP 8). Als Anlagenkonvolut VP 13 hat die Verfügungsklägerin zudem eine Reihe von Ablichtungen und selbst erstellte 3D-Modelle der angegriffenen Ausführungsform zur Akte gereicht und diese mit Anmerkungen versehen. Nachfolgende Ablichtungen sind der Anlage VP13 entnommen:
- Nachfolgend wiedergegeben wird die angegriffene Ausführungsform ferner mit von den Verfügungsbeklagten versehenen Bezeichnungen.
- Mit Schreiben vom 13. Dezember 2021 sind unter anderem auch die Verfügungsbeklagten von den niederländischen Rechtsanwälten der Verfügungsklägerin mit Blick auf das Verfügungspatent und sowie das EP 1 XXX 199 abgemahnt worden. Innerhalb der seitens der Verfügungsklägerin gesetzten Frist ging dieser am 28. Dezember 2021 ein Schreiben der C Inc. und der XXX LLC zu, in dem diese auf die laufenden Mediationsbemühungen des B-Konzerns mit dem Konzern der Verfügungsklägerin verwiesen. Wegen der weiteren Einzelheiten dieser beiden Schreiben wird auf die Anlagen VP 15 und VP 16 Bezug genommen.
- Mit Beschluss vom 3. Januar 2022 (Az. 4c O 62/21, vgl. Bl. 62ff. d.A.) untersagte die Kammer den Verfügungsbeklagten und der XXX Europe Ltd. antragsgemäß den Vertrieb der angegriffenen Ausführungsform, gegen welchen die Verfügungsbeklagte zu 2) mit Schriftsatz vom 10. Februar 2022 und die Verfügungsbeklagte zu 1) am 14. Februar 2022 Widerspruch einlegten. Den jeweils parallel gestellten Antrag der Verfügungsbeklagten auf einstweilige Einstellung der Zwangsvollstreckung wies die Kammer mit Beschluss vom 16. Februar 2022 (vgl. Bl. 133ff. d.A.) zurück, wobei wegen des weiteren Inhalts auf den Inhalt des Beschlusses Bezug genommen wird.
- Mit Beschluss vom 22. März 2022 trennte die Kammer das gegen die XXX Europe Ltd. gerichtete einstweilige Verfügungsverfahren ab, welches nunmehr unter dem Aktenzeichen 4c O 16/22 geführt wird.
- Das Verfügungspatent war bereits Gegenstand mehrerer Parallelverfahren, die die Verfügungsklägerin gegen Wettbewerber vor der hiesigen Kammer geführt hat. Mit den Urteilen der Kammer vom 16. Januar 2020 (Az. 4c O 94/18) und 17. Juni 2021 (Az. 4c O 37/20) wurden die dortigen Beklagten jeweils wegen der Verletzung des Verfügungspatents – in der vorliegend eingeschränkt aufrechterhaltenen Fassung – verurteilt, wobei das OLG Düsseldorf die gegen das erstgenannte Urteil eingelegte Berufung mit Urteil vom 29. April 2021 (Az. I-15 U 4/20) zurückgewiesen hat. Wegen der weiteren Einzelheiten der Urteile wird auf das Anlagenkonvolut VP 1 Bezug genommen.
- Die Verfügungsklägerin ist der Auffassung, der Widerspruch der Verfügungsbeklagten sei unbegründet.
- Sie meint, die angegriffene Ausführungsform mache von der technischen Lehre des Verfügungspatents wortsinngemäß Gebrauch. Die von den Verfügungsbeklagten vertretene Auslegung des Verfügungspatents beruhe auf der nach allgemeinen Grundsätzen unzulässigen Beschränkung der Lehre eines Patents auf die Ausgestaltung eines Ausführungsbeispiels. Der Fachmann könne weder dem Anspruchswortlaut noch der Verfügungspatentschrift im Übrigen verbindliche Anhaltspunkte für eine räumlich-körperliche Ausgestaltung der beanstandeten Kopplung entnehmen, sodass deren Ausgestaltung in sein Belieben gestellt sei. Insbesondere kämen hierbei auch bloße kraft- oder reibschlüssige Verbindungen als anspruchsgemäße Kopplung in Betracht, soweit diese eine (lösbare) Kopplung der beiden Bauteile miteinander bewirkten. Gleiches gelte auch für die beanspruchte Halterlösungsanordnung, für die das Verfügungspatent dem Fachmann ebenfalls keine bestimmten räumlich-körperlichen Vorgaben machen würde.
- Der Verfügungsklägerin sei mit Blick auf die zeitliche Dringlichkeit kein Vorwurf zu machen. Sie habe sich zunächst gegen kleinere Wettbewerber zur Wehr gesetzt, insbesondere auch um die Tauglichkeit des Verfügungspatentes zu testen, da dieses Einschränkungen erfahren habe. Gerade da Corona-bedingt die mündliche Verhandlung der Einspruchsverhandlung um nahezu zwei Jahre habe verschoben werden müssen, sei der Ausgang der Einspruchsverhandlung abgewartet worden.
- Die Verfügungsklägerin beantragt,
- zu erkennen wie geschehen.
- Die Verfügungsbeklagten beantragen,
- den Beschluss des Landgerichts Düsseldorf vom 3. Januar 2022, Az. 4c O 62/21, aufzuheben und den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung zurückzuweisen.
- Die Verfügungsbeklagten sind der Auffassung, es bestehe weder ein Verfügungsanspruch noch ein Verfügungsgrund.
- So würde die angegriffene Ausführungsform von der Lehre des Verfügungspatents keinen Gebrauch machen. Diese würde einen Halter voraussetzen, der lösbar mit der Verriegelungshülse gekoppelt sei, wobei sich aus der Vorgabe einer „Kopplung“ ergebe, dass ein formschlüssiger Eingriff des Halters in die Verriegelungshülse vorliegen müsse. Das Verfügungspatent verwende den Begriff des Koppelns an mehreren Stellen und mit Blick auf verschiedene Bauteile, wobei stets ein formschlüssiger Eingriff gemeint sei und nicht eine bloße kraft- oder reibschlüssige Verbindung. Bestätigung in dieser Sichtweise erfahre der Fachmann insbesondere durch das Ausführungsbeispiel der Figuren 1 bis 7, bei dem das Verfügungspatent zwischen einem passgenauen Einsetzen und einer Kopplung unterscheide. Dem Ausführungsbeispiel käme auch deswegen eine erhebliche Bedeutung für das fachmännische Verständnis zu, da das Verfügungspatent über keine allgemeine Beschreibung verfügen würde. Weiter würde das Verfügungspatent eine Halterlösungsanordnung voraussetzen, die den Halter in Eingriff nehmen könne, um ihn von der Verriegelungshülse abzukoppeln. Dabei müsse es sich um eine separate Anordnung innerhalb der beanspruchten Vorrichtung handeln, die insbesondere von der ebenfalls beanspruchten Koppelung des Steuerdrahts mit der Klemme getrennt sein müsse.
- Unter Berücksichtigung dieses Verständnisses mache die angegriffene Ausführungsform keinen Gebrauch von der Lehre des Verfügungspatents, da der Halter („Cath Attach“) lediglich in die Hülse („Housing“) reibschlüssig eingesetzt sei und somit keinen formschlüssigen Eingriff herstelle. Dieser bedeutende Unterschied im Aufbau führe auch dazu, dass bei den angegriffenen Clips das Risiko für den Patienten erheblich gemindert sei, da die Klemmvorrichtung in jedem Fall von der Zuführungsvorrichtung getrennt werden könne. Soweit die Verfügungsklägerin den am Ende des Steuerdrahts angeordneten Haken („Shepherd’s Hook“) als Halterlösungsanordnung identifiziert habe, nehme dieser auch die Funktion der Kopplung des Steuerdrahts mit der Klemme wahr, mit der Folge, dass er nicht als Halterlösungsanordnung im Sinne des Verfügungspatents dienen könne.
- Unabhängig davon fehle es auch an einem Verfügungsgrund. So sei das Verfügungspatent nicht rechtsbeständig, da die Entscheidung der Einspruchsabteilung des Europäischen Patentamtes offensichtlich unrichtig sei. Insbesondere sei das Verfügungspatent durch die vorveröffentlichte Schrift US 3,XXX,576 („XXX“) neuheitsschädlich vorweggenommen, welche von der Einspruchsabteilung nicht bzw. nicht zutreffend gewürdigt und auch nicht mehr in der mündlichen Verhandlung über den Einspruch thematisiert worden sei.
- Auch sei den Verfügungsbeklagten entgegen der verfassungsrechtlichen Vorgaben des BVerfG nicht hinreichend rechtliches Gehör gewährt worden, insbesondere sei das Abmahnschreiben zu pauschal gewesen.
- Schließlich stünde der Dringlichkeit des Antrags auf Erlass einer einstweiligen Verfügung entgegen, dass die Verfügungsklägerin – was auch ihr gerichtliches Vorgehen gegen einen Wettbewerber der Parteien zeige – schon viel früher gegen die Verfügungsbeklagten Hauptsacheklage hätte erheben können. Zwar würde eine erstinstanzlich den Rechtsbestand bestätigende Entscheidung die Dringlichkeit erneut begründen, indes sei der Rechtsbestand des Verfügungspatents bereits von der hiesigen Kammer wie dem Oberlandesgericht Düsseldorf angenommen worden, so dass die Verfügungsklägerin nicht habe zuwarten dürfen. Mit dem Zuwarten der Verfügungsklägerin bis kurz vor Ablauf des Verfügungspatents habe die Verfügungsklägerin nur eine strategisch günstige Ausgangslage für Vergleichsverhandlungen zu schaffen versucht und den Verfügungsbeklagten eine vollumfängliche Verteidigung erschweren wollen. Soweit die Verfügungsklägerin darauf verweise, zunächst gegen kleinere Wettbewerber vorgegangen zu sein, handele es sich bei den den Verfügungsbeklagten bekannten Wettbewerbern um solche ähnlicher Größe wie die Verfügungsbeklagten. Im Übrigen mache die Verfügungsklägerin sachfremde Erwägungen zur Begründung des Zuwartens geltend, welche jedoch ein solches nicht begründen könnten.
- Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die zwischen den Parteien gewechselten Schriftsätze sowie auf die zu den Akten gereichten Unterlagen Bezug genommen.
- Entscheidungsgründe
- Die Widersprüche der Verfügungsbeklagten haben in der Sache keinen Erfolg.
- Die von den Verfügungsbeklagten erhobenen Widersprüche gegen den Beschluss der Kammer vom 3. Januar 2022 sind unbegründet. Nach dem Ergebnis der mündlichen Verhandlung über die Widersprüche steht weiterhin zur Überzeugung der Kammer fest, dass die Verfügungsklägerin sowohl das Bestehen eines Verfügungsanspruchs als auch eines Verfügungsgrundes hinreichend glaubhaft gemacht hat.
- A.
Gemäß §§ 935, 936, 920 Abs. 2, 294 Abs. 2 ZPO hat die Verfügungsklägerin für den Erlass einer einstweiligen Verfügung einen Verfügungsanspruch darzulegen und glaubhaft zu machen. Zur Begründung eines Anspruchs gemäß § 139 PatG muss sie insbesondere darlegen und glaubhaft machen, dass die angegriffene Ausführungsform von der unter Schutz gestellten technischen Lehre des Patents wortsinngemäß oder in äquivalenter Weise Gebrauch macht und eine Benutzungshandlung gemäß §§ 9, 10 PatG gegeben ist. Die Glaubhaftmachung nach § 294 ZPO erfordert dabei einen geringeren Grad der richterlichen Überzeugungsbildung als der Vollbeweis und lässt eine Wahrscheinlichkeitsfeststellung ausreichen (vgl. Greger in Zöller, ZPO, 34. Auflage 2022, § 294, Rn. 1). Diese soll vorliegen, wenn bei der erforderlichen umfassenden Würdigung der Umstände des jeweiligen Falles mehr für das Vorliegen der in Rede stehenden Behauptung spricht als dagegen (BGH, Urt. v. 21. Oktober 2010, Az. V ZB 210/09, MDR 2011, 68, Rz. 7 m.w.N.). - In Patentverletzungsfällen ist jedoch zu berücksichtigen, dass das Verletzungsgericht einen technischen Sachverhalt zu beurteilen hat, der in der Regel eine eingehende schriftsätzliche und mündliche Erörterung durch die Parteien voraussetzt, um das nicht fachkundig besetzte Verletzungsgericht in die Lage zu versetzen, eine ausreichende Grundlage für seine Entscheidung zu gewinnen. Eine derartig umfassende Erörterung des Streitstoffs und des streitgegenständlichen Standes der Technik lässt sich im Verfügungsverfahren aufgrund seines Charakters als „summarisches Verfahren“ nur bedingt leisten. Gleichzeitig hat eine Unterlassungsverfügung meist einschneidende Konsequenzen für die gewerbliche Tätigkeit des Verfügungsbeklagten und führt für die Bestandsdauer der Verfügung zu einer endgültigen Erfüllung des geltend gemachten Anspruchs (vgl. Kühnen, Hdb. der Patentverletzung, 14. Aufl. 2022, Kap. G, Rn. 44). Diese „Sondersituation“ hat nach der gefestigten obergerichtlichen Rechtsprechung zur Konsequenz, dass in Patentverletzungsfällen der Erlass einer Unterlassungsverfügung grundsätzlich nur dann in Betracht kommt, wenn sowohl der Bestand des Verfügungspatents als auch die Frage der Patentverletzung im Ergebnis so eindeutig zugunsten der Antragstellerin zu beantworten ist, dass eine fehlerhafte, in einem etwaigen nachfolgenden Hauptsacheverfahren zu revidierende Entscheidung nicht ernstlich zu erwarten ist (OLG Düsseldorf, InstGE 12, 114 – Harnkatheterset; OLG Düsseldorf, Urt. v. 08.12.2011, Az. I-2 U 80/11, zitiert nach juris – Tintenpatrone; OLG Karlsruhe, InstGE 11, 413 – VA-LCD-Fernseher). Dies bedeutet zwar keinesfalls, dass eine einstweilige Verfügung wegen Patentverletzung generell nicht oder nur in ganz besonders seltenen Ausnahmefällen in Betracht zu ziehen wäre (vgl. OLG Düsseldorf, Urt. v. 29. Mai 2008, Az. 2 W 47/07, GRUR-RR 2008, 329, 330 – Olanzapin). In Bezug auf den Unterlassungsanspruch im einstweiligen Verfügungsverfahren ist jedoch erforderlich, dass das Gericht auf hinreichend sicherer Grundlage zu der Entscheidung in der Lage ist, dass eine Patentverletzung vorliegt (Schulte/Voß, Patentgesetz, 11. Aufl. 2022, § 139, Rn. 438; Fitzner/Lutz/Bodewig/Voß, Patentrechtskommentar, 4. Aufl. 2012, Vor § 139, Rn. 246). Dafür müssen Tatsachen glaubhaft gemacht werden, die eine Beurteilung des Schutzbereichs, des Standes der Technik und der Verletzungsform ermöglichen. Dies setzt voraus, dass die Rechtslage liquide ist und auf Grund der vorgelegten Unterlagen hinreichend sicher beurteilt werden kann (Busse/Kaess, PatG, 7. Auflage 2013, Vor § 143, Rn. 253).
- I.
Die vorstehend wiedergegebenen Voraussetzungen liegen nach dem Ergebnis der mündlichen Verhandlung vor. Die Verfügungsklägerin hat hinreichend glaubhaft gemacht, dass die angegriffene Ausführungsform von der technischen Lehre des Verfügungspatents wortsinngemäß Gebrauch macht und sie von den Verfügungsbeklagten daher Unterlassung gemäß Art. 64 Abs. 1 EPÜ in Verbindung mit § 139 Abs. 1 PatG verlangen kann. - 1.
Das Verfügungspatent betrifft eine blutstillende Klemmvorrichtung, die auch als Gewebeklemmvorrichtung bezeichnet wird. Derartige Klemmvorrichtungen werden insbesondere im Rahmen endoskopischer Verfahren eingesetzt, um aktiv und/oder prophylaktisch eine Blutstillung im Körperinneren vorzunehmen. Übliches Anwendungsgebiet sind Erkrankungen des Magen-Darm-Trakts. - Wie das Verfügungspatent einleitend ausführt (Absätze [0002]f.), stellen Magen-Darm-Blutungen eine erhebliche Gefahr für Patienten dar, wobei die Behandlung einer solchen Blutung äußerst zeitkritisch ist. Insoweit sind solch innere Blutungen auch das gefährlichste Anwendungsgebiet, mit der sich ein Gastroenterologe beschäftigen muss. Der Arzt kann eine solche Blutung chirurgisch oder endoskopisch diagnostizieren und behandeln, wobei die Chirurgie höhere Kosten verursacht und eine höhere Morbiditäts- und Sterblichkeitsrate zur Folge hat. Daher sei endoskopischen Behandlungen – soweit möglich – der Vorzug zu gewähren.
- Aus dem Stand der Technik zum Prioritätszeitpunkt waren, wie das Verfügungspatent weiter einleitend in dem Absatz [0004] darstellt, dem Gastroenterologen zwei gängige Behandlungsmöglichkeiten sowie einige seltener angewandte Therapien bekannt.
- Bei der Thermotherapie wird ein Katheter mit einer steifen Heizelementspitze durch den Arbeitskanal eines Endoskops geführt, nachdem die Blutung visualisiert und diagnostiziert worden ist. Nach Austritt der steifen Katheterspitze aus dem Endoskop wird das Endoskop so geführt, dass die Spitze gegen die Blutungsstelle drückt. Dann wird Wärme ausgeübt, entweder über ein Widerstandselement in der Spitze oder durch Einwirkung von HF-Energie über das Gewebe, wodurch das Gewebe ausgetrocknet und kauterisiert wird. Die Kombination aus der Spitze, die das Gewebe/Gefäß zusammendrückt, und der Einwirkung von Wärme schweißt theoretisch das Gefäß zu (Absatz [0005]). Obwohl eine Thermobehandlung zur Blutstillung recht erfolgreich ist, muss oft mehr als ein Versuch unternommen werden und häufig treten Nachblutungen auf. Von Nachteil ist ferner, dass beide Arten der Thermotherapie einen spezialisierten Energieerzeuger erfordern und die Ausrüstung teuer sein kann (Absatz [0006]).
- Bei der zweiten gängigen Therapie – der Injektionstherapie – wird nach Visualisierung und Diagnose der Blutung ein Katheter mit einer distal ausfahrbaren Injektionsnadel durch den Arbeitskanal des Endoskops geführt. Sobald die Katheterspitze das Endoskop verlassen hat, wird das Endoskop zur Blutungsstelle geführt, die Nadel wird ferngesteuert ausgefahren und in die Blutungsstelle eingeführt. Anschließend wird ein vasokonstriktives (gefäßverengendes) oder sklerosierendes (Gewebeverhärtung bewirkendes) Medikament über die Nadel injiziert. Oft sind zahlreiche Injektionen in und um die Blutungsstelle nötig, bis es zur Blutstillung kommt. Wie bei der Thermotherapie stellt die Rezidivblutung ebenfalls ein Problem dar (Absatz [0007]). Eine Kombination der Thermo- und Injektionstherapie ist möglich und wird in einigen Regionen wie den USA eingesetzt.
- Wie das Verfügungspatent in Absatz [0009] weiter ausführt, liegt die primäre Erfolgsrate der endoskopischen Behandlung bei etwa 90 %, wobei die Nachblutungsrate für endoskopisch behandelte aktive Blutungen 10 bis 30 % beträgt. Trotz Einführung neuer Behandlungen und Vorrichtungen seien diese Quoten seit Jahrzehnten nicht deutlich besser geworden. In der Chirurgie beträgt der Kurz- und Langzeiterfolg für permanente Hämostase praktisch 100 %. Chirurgisch liegt die Erfolgsrate höher, da die Blutungsstelle mechanisch zusammengedrückt wird, was eine bessere Hämostase bewirkt. Mit Hilfe solcher Vorrichtungen wie Klemmen, Clips, Klammern oder Nahtmaterialien (d. h. Vorrichtungen, die ausreichende konstriktive Kräfte auf Blutgefäße ausüben können, um den Blutfluss zu begrenzen oder zu unterbrechen) wird das blutende Gefäß ligiert, oder das Gewebe um die Blutungsstelle wird zusammengedrückt, was alle umliegenden Gefäße unterbindet (Absatz [0010]).
- Dem Fachmann war zum Prioritätszeitpunkt – wie das Verfügungspatent in Absatz [0011] ausführt – auch bereits eine Vorrichtung bekannt, die die Vorteile der Chirurgie mit einer weniger invasiven endoskopischen Prozedur vereint, nämlich der XXX. Mit dieser Vorrichtung wird das blutende Gefäß zusammengedrückt, um die Blutung zu stillen. Problematisch ist bei dieser Vorrichtung, dass sie nach Beginn des Backenverschlusses nicht wieder geöffnet werden kann und der Arzt somit gezwungen ist, den Clip abzuschießen. Da die betroffenen Gefäße häufig schwer zu erkennen sind, müssen oft mehrere Clips gesetzt werden, um das Gefäß erfolgreich zusammenzudrücken und Blutstillung zu erreichen. Der XXX ist eine teils wiederverwendbare Vorrichtung, wodurch die Leistung der Vorrichtung mit dem Gebrauch leidet.
- Das Verfügungspatent nimmt darüber hinaus noch Bezug auf die Schriften US 3 XXX 576 A, US 5 XXX 701 A und JP H05 XXX A (Abätze [0012] – [0014]).
- Die US 3 XXX 576 A (Anlage AG 1, nachfolgend: D) auf der nach den Ausführungen des Verfügungspatentes der Oberbegriff des Anspruchs 1 beruht, offenbart einen Clip, der lösbar mit einer Zuführeinrichtung (Instrumentenkörper) verbunden ist. Der Instrumentenkörper weist eine äußere flexible Röhre, ein in die äußere Röhre eingesetztes rohrförmiges Betätigungsglied und einen in das rohrförmige Betätigungsglied eingesetzten Draht auf. Ein Kupplungsteil ist lösbar durch ein Führungsteil am vorderen Endbereich des Betätigungsglieds angebracht. Am vorderen Ende des Drahtes ist ein Hakenelement zum Verankern des Klemmenelements befestigt. Ein Paar Klemmabschnitte des Klemmenelements wird geöffnet, indem ein Paar Schrägteile des Klemmenelements gewaltsam mit der Innenfläche des Kupplungsteils in Eingriff gebracht werden, und geschlossen, indem zwei einander kreuzende Teile mit der Innenfläche des Kupplungsteils gewaltsam in Eingriff gebracht werden. Das Klemmenelement wird zusammen mit dem Kupplungsteil in der Körperhöhle gelassen, wobei die Klemmabschnitte davon geschlossen sind (Absatz [0012]).
- Die US 5 XXX 701 A offenbart ein Set zur Behandlung von Gefäßmissbildungen mit einer aus Titan hergestellten Klammer. Die Klammer ist im entlasteten Zustand gespreizt und kann durch einen Klemmring, der im angesetzten Zustand entlang der Klammer verlagerbar ist, in die Klemmstellung überführt werden. Die Klammer wird durch eine Sonde, die eine röhrenförmige Hülle und einen darin geführten Setzstab aufweist, in den Körper eingeführt (Absatz [0013]).
- Die JP H05 XXX A offenbart schließlich eine Klemmenvorrichtung mit einem Einführrohr, eine in dem Einführrohr aufgenommene Klemme, einen Klemmenbefestigungsring, der in einem nicht gespannten Zustand hinter der Klemme angebracht ist, eine Faser und eine Einrichtung, die den Klemmenbefestigungsring durch die Wirkung von durch die Faser zugeführter Laserenergie nach vorne verschiebt (Absatz [0014]).
- Vor dem Hintergrund dieses Standes der Technik formuliert es das Verfügungspatent in Absatz [0016] als (technische) Aufgabe, eine medizinische Vorrichtung zum Bewirken der Hämostase von entlang des Magen-Darm-Trakts liegenden Blutgefäßen bereitzustellen, die eine Erfolgsrate entsprechend der chirurgischen Therapie hat sowie leichter als der XXX vorzubereiten und zu setzen ist.
- Zur Lösung dieser Aufgabe schlägt das Verfügungspatent in dem – nunmehr eingeschränkt aufrechterhaltenen – Anspruch 1 eine Vorrichtung mit folgenden Merkmalen vor:
- 1. Medizinische Vorrichtung zum Bewirken der Hämostase eines Blutgefäßes zur Verwendung durch ein Endoskop.
2. Eine Klemme; die Klemme hat mindestens zwei Klemmenschenkel.
3. Ein Steuerdraht
(a) Der Steuerdraht ist mit der Klemme koppelbar.
(b) Der Steuerdraht ist reversibel betätigbar, um sowohl die mindestens zwei Klemmenschenkel zu öffnen als auch um die mindestens zwei Klemmenschenkel zu schließen.
(c) Der Steuerdraht ist von der Klemme abkoppelbar.
4. Eine axial steife Hülle
(a) Die axial steife Hülle umhüllt den Steuerdraht.
(b) Die axial steife Hülle ist imstande, eine erste Kraft zu übertragen, die einer zweiten Kraft des Steuerdrahts entgegenwirkt.
5. Eine Verriegelungshülse, wobei der Steuerdraht in eine proximale Richtung gezogen werden kann, um die Klemme durch die Verriegelungshülse zu ziehen, wodurch die mindestens zwei Klemmenschenkel geschlossen werden.
6. Ein Halter; der Halter ist lösbar mit der Verriegelungshülse gekoppelt.
7. Ein Handgriff; der Handgriff ist mit der axial steifen Hülle gekoppelt.
8. Ein Betätigungselement
(a) Das Betätigungselement ist mit dem Steuerdraht gekoppelt.
(b) Durch das Betätigungselement ist der Steuerdraht in Eingriff nehmbar, um die mindestens zwei Klemmenschenkel zu öffnen und die mindestens zwei Klemmenschenkel zu schließen und den Steuerdraht von der Klemme abzukoppeln.
9. Eine Halterlösungsanordnung (109); die Halterlösungsanordnung kann einen Eingriff mit dem Halter (110) herstellen, um den Halter (110) von der Verriegelungshülse (113) abzukoppeln. - 2.
Zwischen den Parteien steht – zu Recht – allein die Verwirklichung der den Halter bzw. die Halterlösungsanordnung betreffenden Merkmale 6 und 9 in Streit, die indes von der angegriffenen Ausführungsform ebenfalls verwirklicht werden. - 2.1.
Nach der Lehre des Verfügungspatents setzt sich die beanspruchte medizinische Vorrichtung zum Bewirken der Hämostase eines Blutgefäßes aus einer Klemme, einem Steuerdraht, einer axial steifen Hülle, einer Verriegelungshülse, einem Halter, einem Handgriff, einem Betätigungselement und einer Halterlöseanordnung zusammen, wobei die einzelnen Bestandteile der Vorrichtung von den Merkmalen bzw. Merkmalsgruppen 2 bis 9 näher beschrieben werden. - Das Merkmal 6 setzt sich näher mit dem Halter auseinander und sieht vor, dass dieser lösbar mit der Verriegelungshülse gekoppelt (in der für die Auslegung des Verfügungspatents maßgeblichen englischen Verfahrenssprache: „coupled“) sein soll. Entgegen des Verständnisses der Verfügungsbeklagten entnimmt der Fachmann weder dem Begriff der „Kopplung“ bzw. des „gekoppelt sein“ noch dem Verfügungspatent an anderer Stelle, dass es eines formschlüssigen Eingriffs des Halters in die Verriegelungshülse bedarf. Vielmehr stellt es das Verfügungspatent in das Belieben des Fachmanns, wie genau er die Verbindung des Halters zu der Verriegelungshülse räumlich-körperlich ausgestaltet, jedenfalls solange die Verbindung nach dem richtigen Setzen der Klemme gelöst werden kann, damit der Teil der Vorrichtung, der der Zuführung der Klemme dient, wieder aus dem Körper des Patienten herausgezogen werden kann. Dem Verfügungspatent kommt es daher nicht auf einen formschlüssigen Eingriff an; die Verbindung des Halters mit der Verriegelungshülse kann vielmehr auch auf einem anderen Wege erfolgen.
- Ein entsprechendes Verständnis folgt zunächst aus dem Wortlaut des Merkmals 6, welcher von einer lösbaren Kopplung der beiden Bauteile Halter und Verrieglungshülse spricht. Denn nach der allgemeinen philologischen Bedeutung des Begriffs Koppeln bzw. Kopplung versteht der Fachmann darunter eine Verbindung zweier (mechanischer) Bauteile. Danach sind zwei oder mehr Bauteile gekoppelt, wenn sie miteinander verbunden sind, wobei die Kopplung entweder als dauerhafte, d.h. feste, Verbindung ausgestaltet sein kann oder als eine nur temporäre Verbindung, die letztlich wieder aufgelöst werden kann. Daher schließt der Fachmann allein aus dem Begriff der Kopplung nicht auf eine bestimmte Art der Verbindung, insbesondere nicht allein auf eine formschlüssige Verbindung.
- Das Verständnis der Verfügungsbeklagten von der zwingend formschlüssigen Verbindung des Halters ergibt sich auch nicht aus der Systematik des Anspruchs. Zwar verwendet der Anspruch – worauf die Verfügungsbeklagten zu Recht hinweisen – den Begriff des Koppelns noch an anderen Stellen, insbesondere mit Blick auf den Steuerdraht und die Klemme (Merkmal 3.a, 3.c), den Handgriff und die Hülle (Merkmal 7) sowie das Betätigungselement und den Steuerdraht (Merkmal 8.a). Es entspricht der höchstrichterlichen Rechtsprechung, dass der Fachmann gleichen Begriffen im Zusammenhang eines Patentanspruchs im Zweifel auch die gleiche Bedeutung zumisst, solange dem Patent nicht Gegenteiliges entnommen werden kann (vgl. BGH, GRUR 2017, 152ff. – Zungenbett). Das Verfügungspatent bietet dem Fachmann aber keine hinreichenden Anhaltspunkte dafür, dass die vorgenannten Bauteile stets im Sinne eines formschlüssigen Eingriffs gekoppelt sind. Dass das Verfügungspatent, wie die Verfügungsbeklagten meinen, keine konkrete Ausgestaltung einer alternativen Lösung mittels eines Formschlusses beschreibt, ist nicht erheblich, da der Fachmann auch ohne konkreten Anhaltpunkt in einer Patentschrift aufgrund seines Fachverständnisses zu einer alternativen Ausgestaltung gelangen kann.
- Soweit die Verfügungsbeklagten zur Stützung ihres Verständnisses einer formschlüssigen mechanischen Verbindung auf die Absätze [0021], [0027] und [0031] verweisen, kann eine solche zwingende Ausgestaltung den genannten Absätzen nicht entnommen werden. Insofern dienen die in Bezug genommen Stellen zum einen der Beschreibung des in den Figuren 1 bis 7 gezeigten Ausführungsbeispiels, so dass sie bereits aus diesem Grund die Lehre des Verfügungspatents nicht zu beschränken vermögen. Unabhängig davon ist in diesen Absätzen auch nur von einem Einsetzen bzw. Eingreifen (im maßgeblichen englischen Wortlaut „engage“ und „insert“) die Rede. Diesen Begriffen kann der Fachmann nicht zwingend eine formschlüssige Verbindung entnehmen. Nichts anderes folgt aus Absatz [0027], wo das Verfügungspatent davon spricht, dass die Passung zwischen der Verriegelungshülse und der Außenhülse so beschaffen ist, dass sich die Verriegelungshülse (und damit die Klemme) leicht von der Außenhülse lösen lässt. Denn diese Stelle besagt nichts darüber, was das Klagepatent unter einem Koppeln versteht.
- Für das eingeschränkte Verständnis des Begriffs der Kopplung als eine formschlüssige Verbindung kann nicht darauf verwiesen werden, dass das Verfügungspatent den Begriff der Formschlüssigkeit bzw. der formschlüssigen mechanischen Verriegelung („positive mechanical lock“) kennt und verwendet, was allerdings nur mit Blick auf die Verbindung der Hülle mit der Außenhülse und nicht auch mit Blick auf den Halter und die Verriegelungshülse erfolgt (vgl. Absatz [0051] des Verfügungspatents bzw. Unteranspruch 2). Soweit entsprechendes in Absatz [0051] ausgeführt ist, kann dieser für ein entsprechendes Verständnis nicht herangezogen werden, da dieser im Zuge des Einspruchsverfahrens aus der Beschreibung des Verfügungspatentes ebenso gestrichen wurde wie auch die Figur 21 als ein Ausführungsbeispiel der Erfindung (vgl. Anlage VP 4). Zwar wird in Absatz [0051] eine mechanische Verriegelung zwischen der axial steifen Hülle und der äußeren Hülse beschrieben und hierbei auch auf die erste Ausführungsform verwiesen („As the first embodiment, a retainer 2108 is used to create a mechanical lock between the sheath 2103 and outer sleeve 2102.“). Mit der Streichung des Absatzes [0057] wurde indes auch der Bezug zur Figur 1 gestrichen. Im Übrigen besteht zwischen den Parteien zu Recht auch kein Streit darüber, dass die Figur 1 eine mechanische Verbindung zwischen dem Halter 110 und der Verriegelungshülse 113 zeigt. Im Streit steht lediglich die Frage, ob das Verfügungspatent auf die dort gezeigte mechanische Kopplung beschränkt ist.
- Gegen das vorstehend beschriebene Verständnis kann auch nicht angeführt werden, dass in den Figuren 9 bis 13 bzw. konkret Figuren 12/13 eine Presspassung zwischen der axial steifen Hülle und der Außenhülse gezeigt ist, diese Figuren jedoch im Erteilungsverfahren als erfindungsgemäße Ausführungsbeispiele gestrichen wurden. So hat die Anmelderin kurz vor der Erteilung des Verfügungspatentes die Beschreibung dahingehend geändert, dass die in den Figuren 9 bis 13 gezeigten Vorrichtungen keine Ausführungsformen der Erfindung darstellen, wie der am 20. März 2017 von der Anmelderin eingereichten geänderten Beschreibung sowie der zur Erteilung vorgesehenen Ansprüche entnommen werden kann (vgl. Anlage AG 4). Hieraus zieht der Fachmann jedoch nicht den Schluss, dass eine Presspassung als Kopplung vom Verfügungspatent als nicht zur Erfindung gehörend angesehen wird. Die Verfügungsbeklagten selbst haben schriftsätzlich ausgeführt, dass in der zur Erteilung vorgesehenen Anspruchsfassung des Verfügungspatents, im Gegensatz zu den Ansprüchen der ursprünglichen Anmeldung des Verfügungspatents, WO 03/XXX A1, die Merkmale des Halters („retainer“), der Halterlösungsanordnung („retainer release arrangement“) sowie der Außenhülse („outer sleeve“) in den Hauptanspruch 1 aufgenommen worden waren. Die Streichung der Figuren hatte, wie die Verfügungsklägerin nachvollziehbar in der mündlichen Verhandlung erläutert hat, seinen Grund darin, dass die in Merkmal 9 unter Schutz gestellte Halterlösungsanordnung, welche zusammen mit dem Halter ursprünglich Gegenstand des Unteranspruchs 20 war, nicht in den Figuren 12/13 dargestellt ist, so dass es der Figuren als zeichnerische Darstellungen der unter Schutz gestellten Erfindung nicht bedurfte. Anhaltspunkte dafür, dass dadurch auch eine Presspassung („interference fit“), wie sie in den Figuren 12/13 zwischen der axial steifen Hülle und der Außenhülse gezeigt ist, als eine Form der Kopplung nicht mehr vom Gegenstand der Erfindung umfasst sein sollte, können der Streichung nicht entnommen werden, was der Fachmann ohne weiteres erkennt.
- Festgehalten werden kann, dass aufgrund der Änderungen und Streichungen im Verfügungspatent keine Anhaltspunkte bestehen, dass die Lehre der Erfindung auf die Ausführungsbeispiele der Figuren 1 bis 8 beschränkt ist, so dass die Verfügungsbeklagten nicht damit durchzudringen vermögen, dass der Fachmann aufgrund der Herausnahme anderweitiger Gestaltungen sich für sein Verständnis eines Koppelns lediglich auf das in den Figuren 1 bis 8 gezeigten Ausführungsbeispiel beschränkt, insbesondere da in den Figuren 4 und 6 eine Verbindung des Halters und der Verriegelungshülse über Halteöffnungen und komplementäre Haltevorsprünge, die in diese Öffnungen reinreichen, offenbart ist. Eine solche Ausgestaltung mag zwar eine formschlüssige Verbindung im Sinne des Verfügungspatentes sein; sie stellt jedoch, was dem Fachmann ohne weiteres bewusst ist, nur eine Möglichkeit der Kopplung dar. Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus der Düsseldorfer Rechtsprechung, nach der es ausnahmsweise gerechtfertigt sein kann, ein in einem Ausführungsbeispiel gezeigtes Detail nicht nur als Spezialität des Ausführungsbeispiels zu bewerten, wenn es – wie beim vorliegenden Verfügungspatent – keine allgemeine Erfindungsbeschreibung gibt (vgl. Kühnen, a.a.O., Kap. A., Rn. 40). Denn es ist kein Grund dafür ersichtlich, weshalb allein die formschlüssige mechanische Verbindung des Halters mit der Verriegelungshülse dem Ziel der Erfindung u.a. ein leichteres Setzen als im dem Stand der Technik zu ermöglichen, Rechnung tragen sollte.
- Schließlich ergibt sich das eingeschränkte Verständnis der Verfügungsbeklagten auch nicht unter Berücksichtigung technisch-funktionaler Gesichtspunkte. Ziel der Erfindung ist es, eine Gewebeklemme zur Verfügung zu stellen, deren Sitz vom behandelnden Arzt ggf. durch mehrfaches Öffnen und Schließen korrigiert und leichter gesetzt werden kann. Nach dem endgültigen Setzen der Klemme muss der Arzt den zuführenden Teil der Vorrichtung wieder entfernen, ohne dass die Klemme bzw. deren Sitz verändert wird. Insoweit kommt es – wie der Fachmann erkennt – auf ein Zusammenspiel der einzelnen Komponenten an, wobei insbesondere die Verriegelungshülse mit der Klemme im Körper des Patienten verbleibt. Daher muss der Fachmann die Verbindung zum Halter so gestalten, dass diese während des Setzvorgangs stabil ist, nach dem Setzen indes ohne weiteres gelöst werden kann, um die Klemme nicht zu verschieben. Weder vorgetragen noch erkennbar ist, wieso es dafür zwingend einer formschlüssigen Verbindung des Halters mit der Hülse bedarf. Vielmehr dürfte dem Fachmann bewusst sein, dass es auch andere Wege, etwa über eine kraft- oder reibschlüssige Verbindung, gibt, dieses Ziel zu erreichen.
- 2.2
Der Anspruch 1 des Verfügungspatents setzt schließlich gemäß Merkmal 9 noch ein Bauteil bzw. eine Einrichtung voraus, welche(s) dazu ausgebildet ist, im Zusammenspiel mit dem Halter dafür zu sorgen, dass die im Körper verbleibende Klemme nebst Verriegelungshülse von der übrigen Vorrichtung abgekoppelt wird, damit diese aus dem Körper des Patienten herausgezogen werden kann. - Der Fachmann kann weder dem Anspruchswortlaut noch der Verfügungspatentschrift Anhaltspunkte für eine bestimmte räumlich-körperliche Ausgestaltung der Halterlösungsanordnung entnehmen, so dass deren Ausgestaltung in sein Belieben gestellt wird. Insbesondere kann der Fachmann dem Verfügungspatent nicht entnehmen, dass es sich – wie die Verfügungsbeklagten meinen – um eine separate Anordnung innerhalb der beanspruchten Vorrichtung handeln muss.
- Soweit Absatz [0021], der eine Beschreibung des Ausführungsbeispiels nach der Figur 1 enthält, ausführt,
- „[…] Eine Halterentriegelung 109 ist durch Biegungen im Steuerdraht 108 gebildet, wobei die Biegungen proximal vom J-Haken 107 gebildet sind. Der Steuerdraht 108 ist in einer Hülle 111 proximal von der Halterentriegelung 109 eingeschlossen. Der Halter 110 ist mit dem Steuerdraht 108 gekoppelt und stellt einen Eingriff mit einer Verriegelungshülse 113 her. Die Halterentriegelung 109 wirkt so, dass sie den Halter 110 von der Hülse 113 entkoppelt, wenn eine auf den Steuerdraht 108 ausgeübte Zugkraft ausreicht, eine solche Entkopplung zu bewirken. […]“
- so kann der dort konkret beschriebenen Ausgestaltung einer Halterentriegelung (= Halterlösungsanordnung) keine einschränkende Wirkung beigemessen werden, da es sich nur um eine bevorzugte Ausführungsform handelt.
- Entsprechendes gilt auch mit Blick auf den von den Verfügungsbeklagten im weiteren in Bezug genommenen Absatz [0031], der eine J-Haken-förmige Ausgestaltung vorsieht, bei der die Halterlösungsanordnung hinter dem J-Haken angeordnet ist. Denn eine entsprechende Ausgestaltung des Hakens hat bereits keinen Eingang in den vorliegend maßgeblichen Patentanspruch gefunden, so dass der vorgenannte Absatz nicht als Einschränkung des breiter gefassten Anspruchs verstanden werden kann.
- Unterstützung für ihr Verständnis können die Verfügungsbeklagten auch nicht aus dem Umstand ziehen, dass im Rahmen des Einspruchsverfahrens das Ausführungsbeispiel der Figur 21 nebst Beschreibung gestrichen wurde. Nachfolgend wiedergegeben wird die von den Verfügungsbeklagten eingefärbte Figur 21.
- Zwar mag dort unter anderem eine Halterlösungsanordnung 21XX gezeigt sein, die zugleich auch die Kopplung mit der Klemme verwirklicht; indes bedeutet die Streichung dieses einen Ausführungsbeispiels nicht, dass eine Halterlösungsanordnung, die durch denselben Abschnitt des Steuerdrahtes ausgebildet ist, der über das trennbare Verbindungsglied die Kopplung mit der Klemme bewirkt, nicht erfindungsgemäß ist, mithin eine Halterlösungsanordnung nur unabhängig von einem J-Haken gebildet sein darf. Denn ein J-Haken, wie er in der Figur 21 gezeigt ist, ist nicht Gegenstand des Anspruchs 1 in der eingeschränkt aufrechterhaltenen Fassung des Patentanspruchs 1. Es ist nicht ersichtlich, dass Figur 21 aufgrund des Fehlens einer konkret abgrenzbaren Halterlösungsanordnung nicht mehr vom Gegenstand der Erfindung umfasst sein sollte. Vielmehr wurde der Absatz [0051] und damit auch Figur 21, nach den Ausführungen der Verfügungsklägerin in der mündlichen Verhandlung, gestrichen, um etwaige Diskrepanzen mit Blick auf den lock sleeve und die outer sleeve zu vermeiden, gerade da die Außenhülse („outer sleeve“) nicht ursprungsoffenbart war und gestrichen wurde.
- 2.3
Unter Berücksichtigung des oben genannten Verständnisses steht zur Überzeugung der Kammer fest, dass die angegriffene Ausführungsform Gebrauch von allen Merkmalen des Verfügungsanspruchs macht. - Nach dem eigenen Vortrag der Verfügungsbeklagten ist der Halter („Cath Attach“) reibschlüssig in die Hülse („Housing“) eingesetzt, was zu einer – bis zu deren Loslösung – sicheren Verbindung dieser beiden Bauteile führt. Mehr setzt Merkmal 6 nicht voraus. Ebenfalls unerheblich für die Verletzung ist, dass die angegriffene Ausführungsform über keine separate Halterlösungsanordnung verfügt, sondern dieses Bauteil über den am Ende des Steuerdrahts angeordneten Haken („Shepherd’s Hook“) verwirklicht wird.
- B.
Die Verfügungsklägerin hat auch das Bestehen eines Verfügungsgrundes weiterhin glaubhaft gemacht. - I.
Der Rechtsbestand des Verfügungspatents ist unter Berücksichtigung der Entscheidung der Einspruchsabteilung des Europäischen Patentamtes vom 9. Dezember 2021 (vgl. Anlage VP 4), mit der das Verfügungspatent im hier geltend gemachten Umfang aufrechterhalten worden ist, in dem für den Erlass der begehrten Unterlassungsverfügung erforderlichen Umfang gesichert. - 1.
Nach ständiger Rechtsprechung des Oberlandesgerichts Düsseldorf kommt eine einstweilige Verfügung nur in Betracht, wenn sowohl die Frage der Patentverletzung als auch der Bestand des Verfügungsschutzrechts im Ergebnis so eindeutig zugunsten des Verfügungsklägers zu beantworten sind, dass eine fehlerhafte, in einem etwa nachfolgenden Hauptsacheverfahren zu revidierende Entscheidung nicht ernstlich zu erwarten ist (vgl. etwa: OLG Düsseldorf, InstGE 9, 140 – Olanzapin; OLG Düsseldorf, InstGE 12, 114 – Harnkatheterset). Davon kann regelmäßig nur ausgegangen werden, wenn das Verfügungspatent bereits ein erstinstanzliches Einspruchs- oder Nichtigkeitsverfahren überstanden hat (OLG Düsseldorf, InstGE 9, 140, 146 – Olanzapin; OLG Düsseldorf, InstGE 12, 114 – Harnkatheterset). - Aus der regelmäßigen Notwendigkeit einer positiven streitigen Rechtsbestandsentscheidung folgt umgekehrt auch, dass, sobald sie vorliegt, prinzipiell von einem ausreichend gesicherten Bestand des Verfügungspatents auszugehen ist (OLG Düsseldorf, Urt. v. 10. November 2011, Az.: I-2 U 41/11; OLG Düsseldorf, Urt. v. 19. Februar 2016, Az.: I-2 U 54/15). Das Verletzungsgericht hat – ungeachtet seiner Pflicht, auch nach dem erstinstanzlichen Abschluss eines Rechtsbestandsverfahrens selbst ernsthaft die Erfolgsaussichten der dagegen gerichteten Angriffe zu prüfen, um sich in eigener Verantwortung ein Bild von der Schutzfähigkeit der Erfindung zu machen (OLG Düsseldorf, InstGE 8, 122 – Medizinisches Instrument) – grundsätzlich die von der zuständigen Fachinstanz (DPMA, EPA, BPatG) nach technisch sachkundiger Prüfung getroffene Entscheidung über die Aufrechterhaltung des Verfügungspatents hinzunehmen und, sofern im Einzelfall keine besonderen Umstände vorliegen, die gebotenen Schlussfolgerungen zu ziehen, indem es zum Schutz des Patentinhabers die erforderlichen Unterlassungsanordnungen trifft (OLG Düsseldorf, Urt. v. 10. November 2011, Az.: I-2 U 41/11; Urt. v. 19. Februar 2016, Az.: I-2 U 54/15; Urt. v. 31. August 2017, Az.: I-2 U 6/17; Urt. v. 14. Dezember 2017, Az.: I-2 U 17/17).
- Grund, die Rechtsbestandsentscheidung in Zweifel zu ziehen und von einem Unterlassungsgebot abzusehen, besteht nur dann, wenn das Verletzungsgericht die Argumentation der Einspruchs- oder Nichtigkeitsinstanz für nicht vertretbar hält oder wenn der mit dem Rechtsbehelf gegen die Einspruchs- oder Nichtigkeitsentscheidung unternommene Angriff auf das Verfügungspatent auf (z.B. neue) erfolgversprechende Gesichtspunkte gestützt wird, die die bisher mit der Sache befassten Stellen noch nicht berücksichtigt und beschieden haben (OLG Düsseldorf, Urt. v. 4. Juli 2019, Az.: I-2 U 81/18). Demgegenüber ist es für den Regelfall nicht angängig, den Verfügungsantrag trotz erstinstanzlich aufrechterhaltenen Schutzrechts allein deshalb zurückzuweisen, weil das Verletzungsgericht seine eigene (laienhafte) Bewertung des technischen Sachverhaltes an die Stelle der Beurteilung durch die zuständige Einspruchs- oder Nichtigkeitsinstanz setzt (OLG Düsseldorf, Urt. v. 10. November 2011, Az.: I-2 U 41/11; Urt. v. 18. Dezember 2014, Az.: I-2 U 60/14; Urt. v. 14. Dezember 2017, Az.: I-2 U 17/17).
- Zwar kann das Verletzungsgericht in Fällen evidenter Unrichtigkeit ausnahmsweise von der Beurteilung der Einspruchs- oder Nichtigkeitsentscheidung abweichen, indem es – entgegen dem Votum der gesetzlich zuständigen Instanz – einen hinreichenden Rechtsbestand trotz erstinstanzlich erfolgten Patentwiderrufs bejaht oder einen solchen trotz erstinstanzlich erfolgter Aufrechterhaltung des Verfügungspatents verneint. Dies bedingt es jedoch nicht, dass den Parteien eines parallelen Verfügungsverfahrens – jenseits dessen, was der reguläre Verfahrensablauf an Möglichkeiten eröffnet – die Gelegenheit eingeräumt werden muss, zu der noch ausstehenden Begründung der (im Verkündungszeitpunkt lediglich dem Ergebnis nach bekannten) Rechtsbestandsentscheidung Stellung zu nehmen, um einen etwaigen Evidenzfall darlegen zu können (OLG Düsseldorf, Urt. v. 9. Juli 2021; Az.: I-2 U 4/21). Dadurch, dass sich das Verletzungsgericht für die Beurteilung des Rechtsbestandes an dem – in seiner Begründung noch unbekannten – Ausgang des Einspruchs- oder Nichtigkeitsverfahrens orientiert, ist für die Parteien des Verfügungsverfahrens kein unabwendbarer Rechtsnachteil verbunden. Sollte sich im Falle des Widerrufs des Verfügungspatents nach dem Vorliegen der Gründe herausstellen, dass es sich tatsächlich um eine evidente Fehlentscheidung handelt, liegt ein neuer Sachverhalt vor, der die Dringlichkeit begründet und für den im ersten Anlauf gescheiterten Verfügungskläger den Weg zu einem abermaligen Verfügungsantrag eröffnet. Im umgekehrten Fall, dass sich die Aufrechterhaltungsentscheidung nachträglich als evident unrichtig herausstellt, repräsentieren die Begründungserwägungen der Rechtsbestandsentscheidung einen (gegenüber den Verhältnissen bei Erlass oder Bestätigung der einstweiligen Verfügung in Kenntnis des Ergebnisses der Rechtsbestandsverhandlung) „veränderten Umstand“, der dem Verfügungsbeklagten den Weg zu einem Aufhebungsverfahren nach § 927 ZPO ebnet (OLG Düsseldorf, Urt. v. 9. Juli 2021; Az.: I-2 U 4/21).
- 2.
Ausgehend von den vorstehenden Grundsätzen ist vorliegend der Rechtsbestand des Verfügungspatents durch die Entscheidung der Einspruchsabteilung des Europäischen Patentamtes vom 9. Dezember 2021 hinreichend gesichert. Anhaltspunkte dafür, aus welchem Grund diese Entscheidung offensichtlich unrichtig sein sollte, haben die Verfügungsbeklagten weder aufzuzeigen vermocht, noch sind solche Gründe ersichtlich. - Soweit sich die Verfügungsbeklagten zuletzt mit Schriftsatz vom 11. März 2022 auf eine neuheitsschädliche Vorwegnahme der Lehre des Verfügungspatents durch die im Verfügungspatent in Absatz [0012] gewürdigte Druckschrift D (US 3,XXX,576; vorgelegt als Anlage AG 1, in deutscher Übersetzung vorgelegt als Anlage AG 1/2) berufen, vermochte die Kammer eine offensichtlich fehlerhafte Würdigung dieser Entgegenhaltung durch die Einspruchsabteilung nicht festzustellen.
- Wie die Verfügungsbeklagten selbst ausführen, hat sich die Einspruchsabteilung im Rahmen ihrer vorläufigen Auffassung vom 3. Februar 2021 unter Ziffer 26.5 (vgl. Anlage AG 9/1, in deutscher Übersetzung vorgelegt als Anlage AG 9/2) mit D (E5‘) beschäftigt und ausgeführt, dass es dieser Schrift an einer hinreichenden Offenbarung einer Entriegelungsvorrichtung für den Halter fehlt, die in diesen eingreift, um den Halter von der äußeren Hülse zu entkoppeln. Dass hierin eine unzutreffende Würdigung der Druckschrift liegt, ist nicht zu erkennen.
- Die Verfügungsbeklagten möchten bei der von D offenbarten und in den nachfolgenden Figuren 1 und 2 von D gezeigten Vorrichtung, den mit der Bezugsziffer 16 gezeigten Abschnitt („Guide Element“) als Halter und die mit den Bezugsziffern 15 und 17 gezeigten Elemente („Actuating Element“ und „Operating Element“) zusammen als Halterlösungsanordnung im Sinne des Verfügungspatents verstanden wissen.
- Die Kammer kann nicht erkennen, dass es sich bei den von den Bezugsziffern 15 und 17 gezeigten Elementen um eine Halterlösungsanordnung im Sinne des Verfügungspatents handelt, zumal bereits nicht erkennbar ist, dass diese beiden Elemente überhaupt miteinander verbunden sind und so als Lösungsvorrichtung zusammenwirken können. Vielmehr scheinen, was die von Herrn Prof. XXX von der School of XXX an der XXX University in den Vereinigten Staaten (XXX, Pennsylvania) in seinem als Anlage AG 10/1 (in deutscher Übersetzung als Anlage AG 10/2) vorgelegten Figuren des Gutachtens zeigen, die von den Verfügungsbeklagten als Halterlösungsanordnung angesehenen Elemente 15 und 17, keinen Beitrag zu leisten, um den Halter, als welchen die Verfügungsbeklagten das Element 16 ansehen, von der Verriegelungshülse abzukoppeln.
- Die vorstehend wiedergegebene Figur 7 von D, welche mit Bezeichnungen von Herrn Prof. XXX versehen ist, zeigt vielmehr, dass nicht durch einen Eingriff einer Halterlösungseinrichtung (15, 17) mit dem Halter 16 eine Abkopplung des Halters von der Verriegelungshülse erfolgt. Vielmehr bewirkt das Eingreifen der Klemmarme bzw. des Teils p der Klemmarme in die Ausnehmung 23, eine Lösung des Halters 16. Ein Beitrag des Vorrichtungsteils 15 hierbei, ist nicht ersichtlich. Insofern ist nicht zu erkennen, dass die Einspruchsabteilung die Druckschrift D unzutreffend gewürdigt hat, wenn diese in ihrer vorläufigen Einschätzung vom 3. Februar 2021 (Anlage AG 9) in Ziffer 26.5 ausführt:
- „The Opposition Division is of the preliminary, non-binding, opinion that claims 1 and 8 of the MR are new over E5/E5′ because these documents fail to disclose a retainer release arrangement which engages the retainer to uncouple the retainer from the outer sleeve. There are no elements which engage the guide member 16 to uncouple it from the holder 21.“
- „Die Einspruchsabteilung vertritt die vorläufige, nicht bindende Auffassung, dass die Ansprüche 1 und 8 der MR gegenüber E5/E5′ neu sind, weil diese Dokumente keine Entriegelungsvorrichtung für den Halter offenbaren, die in den Halter eingreift, um den Halter von der äußeren Hülse zu entkoppeln. Es gibt keine Elemente, die in das Führungselement 16 eingreifen, um es von dem Halter 21 zu entkoppeln.“
- Mit der Kammer vermag auch die Einspruchsabteilung eine Offenbarung des Merkmales 9, ungeachtet der streitigen Frage, ob das Merkmal 3.b) offenbart wird, nicht zu erkennen. Dabei mag die Einspruchsabteilung davon ausgehen, dass der Halter durch das Vorrichtungsteil 21 gebildet wird. Ungeachtet dessen ist auch insoweit kein Beitrag der Halterlösungsanordnung zu erkennen, um den Halter von der Verriegelungshülse abzukoppeln.
- Daran ändert auch das als Anlage AG 10/1 (in deutscher Übersetzung als Anlage AG 10/2) vorgelegte Gutachten des Herrn Prof. XXX von der School of XXX an der XXX University in den Vereinigten Staaten (XXX, Pennsylvania) nichts, welches sich nicht zu einer Halterlösungsanordnung verhält.
- 3.
Auch die Dringlichkeit im engeren Sinne vermochte die Kammer festzustellen. - 3.1
Eine einstweilige Verfügung darf gemäß §§ 940, 935 ZPO nur dann erlassen wer-den, wenn dies zur Abwendung wesentlicher Nachteile notwendig und damit eine Dringlichkeit für eine Regelung im Eilverfahren gegeben ist. In Patentstreitigkeiten folgt daraus das Erfordernis, dass – neben einem hinreichend gesicherten Rechts-bestand des Verfügungspatents – die für die Eilmaßnahme sprechende zeitliche Dringlichkeit gegeben sein muss, und dass zusätzlich die Abwägung der widerstreitenden Interessen des Rechtsschutzsuchenden und des in Anspruch Genommenen hinsichtlich der einstweiligen Regelung zugunsten des Antragstellers ausfallen muss (OLG Düsseldorf, GRUR-RR 2008, 329 – Olanzapin). Der Verfügungsgrund ist nach allgemeinen zivilprozessualen Regeln grundsätzlich vom Antragsteller darzulegen und glaubhaft zu machen. - Wann die gebotene Dringlichkeit für den Erlass einer einstweiligen Verfügung vor-liegt, lässt sich nicht allgemein, d.h. anhand fester Fristen, sondern nur unter Berücksichtigung der konkreten Verhältnisse des Einzelfalls bestimmen (OLG Hamburg, GRUR-RR 2008, 366 – Simplify your Production; Kühnen, a.a.O., Kap. G., Rn. 143). Dabei ist entscheidend, ob sich der Verletzte bei der Verfolgung seiner Ansprüche wegen einer Patentverletzung in einer solchen Weise nachlässig und zögerlich verhalten hat, dass aus objektiver Sicht der Schluss geboten ist, ihm sei an einer zügigen Durchsetzung seiner Rechte nicht gelegen, weswegen es auch nicht angemessen ist, ihm die Inanspruchnahme vorläufigen Rechtsschutzes zu gestatten (OLG Düsseldorf, GRUR-RR 2013, 236, 239 – Flupirtin-Maleat; Schulte/Voß, a.a.O., § 139, Rn. 447).
- Grundsätzlich beginnt die „Uhr“ für den Antragsteller mit dem Augenblick zu ticken, in dem er Kenntnis von der schutzrechtsverletzenden bzw. einer kerngleichen Handlung erhält (vgl. Kühnen, a.a.O., Kap. G., Rn. 144). Der Antragsteller muss bei der Rechtsverfolgung jedoch keinerlei Prozessrisiko eingehen. Er muss das Gericht deshalb erst anrufen, wenn er – erstens – verlässliche Kenntnis aller derjenigen Tatsachen hat, die eine Rechtsverfolgung im vorläufigen Rechtsschutzverfahren erfolgversprechend machen, und wenn er – zweitens – die betreffenden Tatsachen in einer solchen Weise glaubhaft machen kann, dass sein Obsiegen sicher absehbar ist (OLG Düsseldorf, GRUR-RR 2013, 236, 239 – Flupirtin-Maleat).
- Der Dringlichkeit einer einstweiligen Unterlassungsverfügung in Patentsachen steht zudem nicht entgegen, wenn der Patentinhaber vor Anbringung seines Verfügungsantrags zunächst den erstinstanzlichen Ausgang eines Einspruchs- oder Nichtigkeitsverfahrens betreffend das Verfügungsschutzrecht abwartet. Denn auf die Einspruchsentscheidung als maßgeblichen Zeitpunkt für die Dringlichkeit abzustellen, rechtfertigt sich daraus, dass sich mit der Entscheidung die für die Beurteilung des Verfügungsgrundes maßgebliche Tatsachengrundlage ändert. Das Patent hat sich mit der Entscheidung erstmals in einem kontradiktorischen Verfahren als bestandskräftig erwiesen, was für die Möglichkeit der Durchsetzung der Rechte aus dem Patent im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes von entscheidender Bedeutung ist (vgl. OLG Düsseldorf, Beschl. v. 13. November 2008, Az. 2 U 35/08, BeckRS 2009, 9403). Der Dringlichkeit kann dann auch nicht entgegengehalten werden, dass der Antragsteller ausschließlich im Wege des vorläufigen Rechtsschutzes vorgeht und nicht beizeiten eine parallele Hauptsacheklage erhoben hat (vgl. Kühnen, a.a.O., Kap. G., Rn. 177).
- Der Dringlichkeit steht zudem nicht entgegen, wenn der Patentinhaber die Rechtsbestandentscheidung in zulässiger Weise abwartet, er zuvor aber bereits gegen einen weiteren Wettbewerber gerichtlich aus dem gleichen Patent im Wege des vorläufigen Rechtsschutzes oder sogar eines Hauptsacheverfahrens vorgegangen ist (vgl. Kühnen, a.a.O., Kap. G., Rn. 173). Denn wenn der Patentinhaber berechtigterweise, etwa weil hinreichend nachvollziehbare Bedenken am Rechtsbestand seines Patents bestehen, bis zu einer Entscheidung einer Rechtsbestandsinstanz mit der Antragstellung zuwarten darf, kann ihm nicht zum Nachteil gereichen, dass es mehrere Patentverletzer gibt und er sich trotz der wirtschaftlichen und rechtlichen Risiken zur Durchsetzung seiner Schutzrechts gegen einen der Patentverletzer entschieden hat.
- 3.2.
Ausgehend von diesen Maßstäben bestehen keine Bedenken an der Dringlichkeit des Verfügungsantrags, da das Verfügungspatent von der Einspruchsabteilung des Europäischen Patentamtes mit Entscheidung vom 9. Dezember 2021 (vgl. Anlage VP 4) in der geltend gemachten Fassung eingeschränkt aufrechterhalten wurde und die Verfügungsklägerin den hiesigen Verfügungsantrag bereits am 20. Dezember 2021 anhängig gemacht hat. - Unerheblich ist insoweit, ob und ggf. zu welchem Zeitpunkt die Verfügungsklägerin schon früher ein Hauptsacheverfahren gegen die Verfügungsbeklagten hätte einleiten können und insofern zum jetzigen Zeitpunkt schon im Besitz eines Hauptsachetitels sein könnte, wenn sie alsbald nach Entdeckung der Verletzungshandlung Klage zur Hauptsache erhoben hätte. Denn eine solche Sichtweise würde dazu führen, dass der Antragsteller deshalb, weil er nicht einen Hauptsachetitel hat, etwaige Verletzungshandlungen in Kauf zu nehmen hätte, was nicht tragbar wäre (vgl. Kühnen, a.a.O. Kap. G Rn. 177). Ohne Relevanz ist ferner, dass die Verfügungsklägerin in der Vergangenheit bereits gegen einen Wettbewerber der Verfügungsbeklagten aus dem Verfügungspatent vorgegangen ist. Denn der Antragsteller kann nicht unter Dringlichkeitsgesichtspunkten gezwungen werden, zeitgleich gegen jeden bekannten Verletzer vorzugehen. Damit würde ihm allein wegen der Frage der Dringlichkeit ein erhebliches wirtschaftliches Risiko auferleget werden, was nicht gerechtfertigt wäre. Vielmehr muss es einem Antragsteller überlassen bleiben, zu entscheiden, gegen welchen Verletzer prozessuale Maßnahmen ergriffen werden und insofern auch die Entscheidung, ob er im Wege eines Hauptsacheverfahrens oder – wenn die Voraussetzungen vorliegen – im Eilverfahren vorgeht. Daran ändert auch der Umstand nichts, dass sowohl die hiesige Kammer wie auch das Oberlandesgericht Düsseldorf in den Verfahren gegen den Wettbewerber keine hinreichenden Bedenken am Rechtsbestand des Verfügungspatentes hatten.
- Gleichfalls unerheblich für die Dringlichkeit sind die Interessen der Verfügungsklägerin an der Durchsetzung des Verfügungspatents. Selbst wenn die Verfügungsklägerin – wie von den Verfügungsbeklagten behauptet – überwiegend monetäre Interessen verfolgen sollte, so steht dies einer Rechtsdurchsetzung im vorläufigen Rechtschutz jedenfalls nicht entgegen. Gleiches gilt für den Umstand, dass die Verfügungsbeklagten vor der Einführung einer neuen Produktgeneration stehen. Im Ergebnis ohne Relevanz ist daher letztlich auch der Umstand, dass sich die Parteien zum Zeitpunkt der Antragseinreichung in Mediationsverhandlungen befanden. Denn diese dauerten bereits seit Juni 2021 an, ohne dass sie zum Erfolg geführt hätten.
- 4.
Schließlich vermochte die Kammer auch eine Verletzung des verfassungsrechtlich von Art. 103 Abs. 1 GG geschützten Anspruchs auf Gewährung rechtlichen Gehörs nicht zu erkennen. - 4.1
Das Bundesverfassungsgericht hat in mehreren aktuelleren Entscheidungen (Beschlüsse v. 1. Dezember 2021, BvR 2708/19; 6. Februar 2021, 1 BvR 249/21, BeckRS 2021, 5190; 30. September 2018, Az. 1 BvR 1783/17 und 1 BvR 2421/17, GRUR 2018, 1288ff.) bestätigt, dass wegen des Grundsatzes der prozessualen Waffengleichheit eine stattgebende Entscheidung über einen Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung (sog. Beschlussverfügung) grundsätzlich nur dann in Betracht kommt, wenn der Antragsgegner zuvor die Möglichkeit hatte, auf das mit dem Antrag geltend gemachte Vorbringen zu erwidern. - Für die Erfüllung des Anspruchs auf Gewährung rechtlichen Gehörs ist dabei nicht entscheidend, dass der Antragsgegner durch das zur Entscheidung über den Verfügungsantrag angerufene Gericht angehört wird. Vielmehr kann auch der Antragsteller durch eine vorgerichtlich ausgesprochene Abmahnung mit hinreichender Frist zur Stellungnahme für den Antragsgegner dafür Sorge tragen, dass der Antragsgegner jedenfalls einmal Gelegenheit hatte, ausführlich zu dem Vorwurf der Patentverletzung Stellung zu nehmen und ggf. die Einreichung einer Schutzschrift zur Abwehr des Verfügungsantrags in Erwägung zu ziehen (vgl. Kühnen, a.a.O., Kapitel G., Rz. 199 m.w.N.). Denn in dem Fall einer vorgerichtlichen Abmahnung genügt die Erwiderungsmöglichkeit dem verfassungsrechtlich geschützten Grundsatz der prozessualen Waffengleichheit nach der Auffassung des BVerfG (GRUR 2018, 1288, 1291) nur dann (Hervorhebung hinzugefügt),
- „wenn der Verfügungsantrag in Anschluss an die Abmahnung unverzüglich nach Ablauf einer angemessenen Frist für die begehrte Unterlassungserklärung bei Gericht eingereicht wird, die abgemahnte Äußerung sowie die Begründung für die begehrte Unterlassung mit dem bei Gericht geltend gemachten Unterlassungsbegehren identisch sind und der Ast. ein etwaiges Zurückweisungsschreiben des Ag. zusammen mit seiner Antragsschrift bei Gericht eingereicht hat.“
- Das BVerfG setzt daher – wie auch wesentliche Teile der Literatur (vgl. statt vieler: Kühnen, a.a.O., Kapitel G., Rz. 199) – für den Erlass einer Beschlussverfügung voraus, dass der Verfügungsantrag hinsichtlich des Begehrens und seiner Begründung nicht über die vorgerichtliche Korrespondenz hinausgeht, sondern mit dem Abmahnungsgegenstand kongruent ist. Daraus folgt, dass der Antragsteller den oder die späteren Antragsgegner im Rahmen seiner Abmahnung auf das konkret in Bezug genommene Patent bzw. die Patente und die jeweils als patentverletzend identifizierten Produkte hinzuweisen hat. Diese Angaben sind erforderlich aber auch ausreichend, um es dem Antragsgegner zu ermöglichen, den mit der Abmahnung konkret erhobenen Verletzungswurf zu überprüfen, um ggf. Abwehrmaßnahmen in die Wege leiten zu können. Daraus folgt insbesondere, dass die Abmahnung und der spätere Verfügungsantrag nicht auf unterschiedliche Schutzrechte und/oder verschiedene Produkte gestützt werden dürfen.
- Nicht erforderlich ist hingegen, dass die Abmahnung und der spätere Verfügungsantrag wortgleich sein müssen, mithin der Verfügungsantrag der Abmahnung in Gänze entspricht. Insoweit liegt es auf der Hand, dass der Antragsgegner seine eigenen Produkte und die Schutzrechtslage auf dem betroffenen Markt gut kennt, so dass ihm die Prüfung des mit der Abmahnung erhobenen Verletzungsvorwurfs nach Nennung des jeweiligen Angriffsschutzrechts und der beanstandeten Produkte ohne weiteres möglich ist, während der Antragssteller gegenüber dem Gericht ggf. zu weitergehenden Ausführungen betreffend die Technik des Verfügungspatents und die Funktionsweise der angegriffenen Ausführungsformen gezwungen ist, um seinen Antrag hinreichend zu substantiieren.
- 4.2
Unter Berücksichtigung dieser Maßstäbe genügt die seitens der Verfügungsklägerin bzw. ihrer niederländischen Anwälte unter dem 13. Dezember 2021 auch gegenüber den Verfügungsbeklagten ausgesprochene Abmahnung (Anlage VP 15) den zuvor geschilderten verfassungsrechtlichen Anforderungen. - Zunächst ist unschädlich, dass die Abmahnung nicht von einem zur Vertretung der Verfügungsklägerin gegenüber deutschen Gerichten zugelassenen Rechtsanwalt ausgesprochen wurde, sondern durch deren niederländischen Rechtsvertreter. Denn bei einer Abmahnung handelt es sich um eine vorgerichtliche Erklärung, auf die die Regeln des Zivilprozesses zur Abgabe von Erklärungen bzw. Vornahme prozesserheblicher Handlungen, insbesondere § 78 ZPO, keine Anwendung finden. Insofern hätte es der Verfügungsklägerin persönlich sogar freigestanden, eine wirksame Abmahnung auszusprechen, so dass der Einbeziehung der niederländischen Rechtsvertreter, denen die Koordinierung der parallelen Verfahren in den verschiedenen europäischen Staaten oblag, keine Hinderungsgründe entgegenstanden.
- Auch der Umstand, dass zwischen den Parteien bzw. den jeweiligen Unternehmensgruppen zum Zeitpunkt der Abmahnung Mediationsverhandlungen liefen, vermag keinen hinreichenden Grund darzustellen, wieso die Verfügungsbeklagten nicht in eine rechtliche wie tatsächliche Prüfung des Verletzungsvorwurfs in der ihnen gewährten Frist hätten eintreten können. Insbesondere haben die Verfügungsbeklagten bzw. deren Unternehmensgruppe auch nicht – was bei einer als zu kurz angesehenen Reaktionsfrist zu erwarten gewesen wäre – um Fristverlängerung zur Stellungnahme auf die Abmahnung gebeten. Vielmehr hat die B-Gruppe unter dem 28. Dezember 2021 (Anlage VP 16) auf die Abmahnung reagiert und die Patentverletzung nur pauschal in Abrede gestellt.
- Das Abmahnschreiben erfüllt auch die nach dem BVerfG erforderlichen inhaltlichen Voraussetzungen an eine Abmahnung. Denn es enthält auf den Seite 3f. insbesondere die Nennung des Verfügungspatents sowie die Produktbezeichnung der als patentverletzend beanstandeten Clips. Der Abmahnung war zudem als Anhang 3 („Annex 3“) noch ein Claim Chart des Verfügungspatents nebst Gegenüberstellung der einzelnen Merkmale mit Bildern der angegriffenen Ausführungsform beigefügt. Die Verfügungsklägerin hat im Rahmen ihres Verfügungsantrags auf dieselben Abbildungen und dieselbe Merkmalsgliederung Bezug genommen, so dass zwischen der Abmahnung und dem Verfügungsantrag die erforderliche inhaltliche Kongruenz gewahrt ist. Zudem war zu berücksichtigen, dass die B-Gruppe in Form der B LLC als Einsprechende am Einspruchsverfahren betreffend das Verfügungspatent beteiligt war, so dass auf Seiten der B-Gruppe auch bereits vor Erhalt der Abmahnung hinreichend Gelegenheit zur Auseinandersetzung mit der Lehre des Verfügungspatents bestanden hatte. Daher ist nicht zu erkennen, welche weiteren Informationen die Verfügungsbeklagten benötigt hätten, um den Verletzungsvorwurf überprüfen zu können.
- C.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 91 Abs. 1 ZPO.