Düsseldorfer Entscheidungen Nr. 3155
Landgericht Düsseldorf
Urteil vom 11. Februar 2021, Az. 4b O 15/20
- I. Die Kosten des Rechtsstreits trägt die Beklagte.
- II. Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages vorläufig vollstreckbar.
- Tatbestand
- Die Parteien streiten über die Kostentragungspflicht, nachdem die Beklagte die Klageforderung mit Schriftsatz vom 11. Dezember 2020 anerkannt hat.
Die Klägerin ist Inhaberin des europäischen Patents EP 1 890 XXX B1 (Anlage K 1; im Folgenden: Klagepatent), betreffend unter anderem Reinigungssysteme bestehend aus einer Vorrichtung zum Trockenschleudern eines Wischkopfes und einem Wischgerät.
Die Beklagte führte Reinigungssysteme aus der Türkei in die Bundesrepublik Deutschland ein, um diese auf der internationalen Verkaufsmesse „A“ in Frankfurt auszustellen und anzubieten.
Auf Grund eines von der Klägerin gestellten Antrags auf Tätigwerden der Zollbehörden wurden die eingeführten Systeme vom Hauptzollamt Frankfurt am Main (Zollamt Frankfurt am Main-Osthafen) angehalten und deren Überlassung ausgesetzt bzw. zurückgehalten (Aktenzeichen der Zollbehörde: B). Darüber informierte die Zollbehörde die Klägerin per Fax vom 8. Februar 2020, woraufhin die Klägerin der Vernichtung der zurückgehaltenen Waren zustimmte.
Trotz Zurückhaltung der Waren durch die Zollbehörde stellte die Beklagte anderweitig eingeführte Exemplare ihres Reinigungssystems an ihrem Stand auf der „A“ aus.
Mit Schreiben vom 12. Februar 2020 sendete die Klägerin eine Abmahnung – wobei Abgabe und Zugang dieses Schreibens zwischen den Parteien streitig sind – in welcher sie die Beklagte mit Fristablauf zum 14. Februar 2020 zur Abgabe einer strafbewehrten Unterlassungserklärung aufforderte.
Die Beklagte kam dem nicht nach und blieb auch hinsichtlich der Beschlagnahme durch das Zollamt untätig.
Die Klägerin hat mit Schriftsatz vom 21. Februar 2020 – bei Gericht eingegangen am selben Tage – Klage gegen die Beklagte wegen Verletzung des Klagepatents erhoben. Die Beklagte hat die gegen sie geltend gemachten Ansprüche aus dieser Klage mit Schriftsatz vom 11. Dezember 2020 – bei Gericht eingegangen am 14. Dezember 2020 – unter Verwahrung gegen die Kostenlast anerkannt.
Die Beklagte behauptet, dass ihr die Abmahnung der Klägerin nicht zugegangen sei. Im Übrigen meint sie, dass sie selbst bei unterstelltem Zugang keine Veranlassung zur Klage gegeben habe. Die Abmahnung sei erst nach Ablauf der Messe erfolgt und die Frist sei mit zwei Tagen zu kurz bemessen gewesen. Weil die Messe zum Zeitpunkt der angeblichen Versendung der Abmahnung bereits beendet gewesen sei, meint sie, dass die Klägerin sich nicht auf eine besondere Dringlichkeit berufen könne. Angemessen wäre insofern eine Frist von mindestens 14 Tagen gewesen. Innerhalb der zwei Tage sei es ihr als außerhalb der EU ansässiges Unternehmen nicht möglich gewesen, die Rechtslage eingehend zu prüfen.
Damit habe sie – die Beklagte – keinen Anlass zur Klage gegeben, weil die Klage allein auf Grund der in der Produktpiraterie-VO festgesetzten 10-Tages-Frist und damit unabhängig von ihrem Verhalten eingereicht worden sei. Hinzu komme, dass die Klägerin gemäß Art. 23 Abs. 4 Produktpiraterie-VO eine Verlängerung der Frist um weitere 10 Tage hätte beantragen können. Zudem hätte es der Klägerin offen gestanden, das sogenannte „vereinfachtes Verfahren“ nach Art. 23 Abs. 1 Produktpiraterie-VO (VO (EU) 608/2013) anzuwenden.
Im Übrigen meint die Beklagte, dass die Klägerin den Streitwert mit 500.000,00 EUR zu hoch bemessen habe. In dem von ihr – der Klägerin – angeführten Verletzungsverfahren mit dem Aktenzeichen 4b O 47/XX sei ein Streitwert von nur 250.000,00 EUR angesetzt worden.
Die Beklagte beantragt,
die Kosten des Rechtsstreits der Klägerin aufzuerlegen.
Die Klägerin beantragt,
der Beklagten die Kosten des Rechtsstreits aufzuerlegen.
Die Klägerin meint, dass eine Abmahnung entbehrlich gewesen sei. Die in Rede stehenden Waren seien auf einen entsprechenden Antrag nach der Produktpiraterie-VO zurückgehalten worden, worüber die Klägerin mit Fax vom 8. Februar 2020 informiert worden sei. Sie habe dann gemäß Art. 23 Abs. 3 der Produktpiraterie-VO – für den Fall, dass die Beklagte der Vernichtung der Waren widerspricht bzw. nicht zustimmt – insgesamt 10 Arbeitstage Zeit gehabt, um ein Verfahren zur Feststellung der Patentverletzung einzuleiten. Auf Grund dieser Frist sei ihr eine vorherige Abmahnung nicht zumutbar gewesen. Ebenso wenig könne sie sich auf die Möglichkeit einer Fristverlängerung verweisen lassen, weil diese nur „in begründeten Einzelfällen“ möglich gewesen sei.
Die von ihr ausgesprochene Abmahnung sei daher überobligatorisch gewesen und könne ihr nicht zum Nachteil gereichen.
Sie behauptet, dass sie die Abmahnung an die Beklagte einerseits per E-Mail und andererseits per Fax geschickt habe. Das Fax habe sie an die im Rahmen der „A“ als Kontaktadresse angegebene Faxnummer geschickt, was auch durch einen entsprechenden Sendebericht bestätigt worden sei. Hinsichtlich der E-Mail sei eine Fehlermeldung nicht eingegangen. Sofern die Beklagte den Zugang bestreite, sei diese dafür darlegungs- und beweispflichtig.
Die von ihr gesetzte Frist von zwei Tagen sei angesichts der Umstände des vorliegenden Falles, zu denen insbesondere die nach Art. 23 Abs. 3 Produktpiraterie-VO laufende Frist gehöre, angemessen gewesen. Zudem weise der Sachverhalt keine rechtliche oder tatsächliche Komplexität auf. Letztlich hätte die Beklagte mit der Abmahnung auf Grund der vorherigen Beschlagnahme rechnen müssen.
Selbst wenn die Frist zu kurz bemessen gewesen wäre, hätte sie den Lauf einer angemessenen Frist in Gang gesetzt. Dabei wäre es Sache der Beklagten gewesen, auf eine zu kurze Frist hinzuweisen. - Entscheidungsgründe
- Nach dem Anerkenntnis der Beklagten war nur noch über die Kosten des Rechtsstreits zu entscheiden.
- 1.
Gemäß § 91 Abs. 1 ZPO hat die Beklagte die Kosten des Rechtsstreits zu tragen, da die Voraussetzungen für ein sofortiges Anerkenntnis im Sinne des § 93 ZPO nicht vorliegen.
Nach § 93 ZPO sind dem Kläger die Prozesskosten nur dann aufzuerlegen, wenn der Beklagte nicht durch sein Verhalten zur Erhebung der Klage Veranlassung gegeben hat und der Anspruch sofort anerkannt wird. Veranlassung zur Klageerhebung hat der Beklagte dann gegeben, wenn sein Verhalten vor Prozessbeginn ohne Rücksicht auf Verschulden und materielle Rechtslage gegenüber dem Kläger so war, dass dieser annehmen musste, er werde ohne Klage nicht zu seinem Recht kommen (vgl. Zöller/Herget, 33. Aufl. 2020, § 93 Rn. 3). An der Veranlassung zur Klage fehlt es in der Regel, wenn der Beklagte nicht ordnungsgemäß abgemahnt worden ist (vgl. Kühnen, Handbuch der Patentverletzung, 12. Aufl. 2020, Kap. C, Rn. 161).
Bei Bestimmung eines frühen ersten Termins ist das Anerkenntnis dann als sofort im Sinne des § 93 ZPO anzusehen, wenn es innerhalb der Klageerwiderungsfrist erfolgt (vgl. Zöller/Herget, a.a.O., Rn. 4). - a)
Ob eine Abmahnung entbehrlich ist, beurteilt sich nicht nach der Prognose, inwieweit sie tatsächlich erfolgsversprechend sein kann, sondern entscheidend ist vielmehr, ob aus der Sicht des Klägers zu der Zeit, zu der er entscheiden muss, ob er im betreffenden Einzelfall abmahnt oder dies unterlässt, eine Verwarnung des Verletzers bei Anlegung eines objektiven Maßstabs für ihn zumutbar ist (vgl. OLG Düsseldorf, Beschluss vom 07.08.2002, Az. 2 W 10/02).
Unzumutbarkeit ist nur dann gegeben, wenn a) die mit einer vorherigen Abmahnung notwendig verbundene Verzögerung unter Berücksichtigung der gerade im konkreten Fall gegebenen außergewöhnlichen Eilbedürftigkeit schlechthin nicht mehr hinnehmbar ist, etwa um besonderen Schaden von dem Kläger abzuwenden, oder b) sich dem Kläger bei objektiver Sicht der Eindruck geradezu aufdrängen musste, der Verletzer baue auf die grundsätzliche Abmahnpflicht und wolle sich diese zunutze machen, um mindestens eine Zeit lang ungestört die Verletzungshandlungen begehen zu können und sich gegebenenfalls nach damit erzieltem wirtschaftlichen Erfolg unter Übernahme vergleichsweise niedriger Abmahnkosten zu unterwerfen (vgl. OLG Düsseldorf, a.a.O.). - b)
Vorliegend war die Abmahnung sowohl auf Grund der besonderen Eilbedürftigkeit (siehe unten, Ziff. aa)), als auch auf Grund des Verhaltens der Beklagten (siehe unten, Ziff. bb)) entbehrlich. - aa)
Es lag eine besondere Eilbedürftigkeit vor, da das Hauptzollamt die patentverletzenden Waren der Beklagten wegen des im Vorfeld gestellten Antrags der Klägerin zurückhielt und damit gemäß Art. 23 Abs. 3 Produktpiraterie-VO eine Frist von 10 Arbeitstagen für die Klägerin lief, innerhalb derer sie ein Verfahren zur Feststellung der Patentverletzung einleiten musste.
Das OLG Dresden – dessen Ausführungen sich die Kammer vorliegend zu Eigen macht – hat in einem vergleichbaren Fall ausgeführt (siehe OLG Dresden, Beschl. v. 2.3.2016 – 14 W 106/16, in GRUR-RR, 2016, 527, Rn. 15):
„Art. 23 Abs. I Produktpiraterie-VO geht davon aus, dass beide Seiten innerhalb von zehn Arbeitstagen über eine Zustimmung zur Vernichtung der Waren entscheiden können und müssen. Verhindert der Schuldner durch seinen Widerspruch die Durchführung dieses vereinfachten Verfahrens, erlegt Art. 23 Abs. III Produktpiraterie-VO dem Gläubiger die Last zu fristgerechtem gerichtlichen Vorgehen auf, um die Rechtsverletzung festzustellen. Damit ist der Konflikt, wie mit der beim Zoll angehaltenen Ware verfahren werden soll, in einer Systematik ineinandergreifender Fristen und Mitteilungen durch die Verordnung geregelt. Eine zusätzliche kostenrelevante Abmahnlast, vor und erst recht nach einem Widerspruch eine außergerichtliche Lösung zur Unterlassung hinsichtlich weiterer, nicht angehaltener schutzrechtsverletzender Waren zu finden, würde die Fristen belasten und die Vorschrift unterlaufen. Sie kann demnach dem Gläubiger aus dessen maßgeblicher ex-ante-Sicht nicht zugemutet werden.“
Das OLG Dresden hielt fest, dass eine kostenrelevante Abmahnlast nicht bestehe, weil dies die Fristen belasten und die Vorschrift unterlaufen würde. Dies gelte auch dann, wenn der Schuldner des Verfahrens zwar (noch) nicht widersprochen habe. Dass es sich bei dem der Entscheidung des OLG Dresden zu Grunde liegenden Verfahren um ein einstweiliges Verfügungsverfahren handelte, macht in dieser Hinsicht keinen Unterschied.
Die Klägerin kann auch nicht darauf verwiesen werden, dass ihr nach Art. 23 Abs. 4 Produktpiraterie-VO die Möglichkeit einer Fristverlängerung um weitere 10 Arbeitstage offen gestanden hätte. Diese steht im Ermessen der Behörde, und so heißt es in der Mitteilung des Zollamts vom 8. Februar 2020, dass eine Fristverlängerung nur „in begründeten Einzelfällen“ in Betracht komme (siehe Anlage K 4).
Auch in dieser Hinsicht wird auf die Entscheidung des OLG Dresden verwiesen, das dazu ausgeführt hat wie folgt (siehe OLG Dresden, aaO, Rn. 12):
„Der Gläubiger kann dabei auch nicht auf eine Fristverlängerung nach Art. 23 Abs. IV Produktpiraterie-VO um im Höchstmaß weitere zehn Arbeitstage verwiesen werden. Diese Frist dient der Entscheidung des Gläubigers, ob eine Schutzrechtsverletzung vorliegt und deshalb ein gerichtliches Verfahren eingeleitet oder die Ware durch die Zollbehörde überlassen werden soll. Sie dient nicht dazu, dass der Schuldner Zeit erhält, auf eine Abmahnung zu reagieren. Den Parteien bleibt eine außergerichtliche Lösung nicht verwehrt. Mit einer ohnehin streng zu handhabenden Verlängerung der Frist aus diesem Grund kann aber nicht ohne Weiteres gerechnet werden.“
Das Gericht hat festgehalten, dass eine Fristverlängerung gerade nicht dazu diene, dem Schuldner Zeit für die Reaktion auf eine Abmahnung einzuräumen.
Auch konnte die Klägerin nicht auf das in Art. 23 Abs. 1 Produktpiraterie-VO normierte, sogenannte „vereinfachte Verfahren“ verwiesen werden, da die Anwendung desselben ebenfalls im Ermessen der Zollbehörde steht. - bb)
Eine Pflicht zur Abmahnung vor Klageerhebung war auch deshalb entbehrlich, weil die Beklagte den Eindruck erweckte, sich die grundsätzliche Abmahnpflicht zunutze zu machen, um mindestens eine Zeit lang ungestört weiterhin Verletzungshandlungen begehen zu können.
Die Beklagte stellte trotz der Beschlagnahme durch den Zoll anderweitig eingeführte Exemplare der patentverletzenden Produkte auf der Messer „A“ aus. Sie tat dies in Kenntnis der Beschlagnahme und damit im Wissen darüber, dass ihre Produkte möglicherweise patentverletzend sind. Insofern musste sich der Klägerin der Eindruck aufdrängen, dass sich die Beklagte jegliche Umstände – und damit auch eine Abmahnpflicht – zu Nutze machen würde, um ihre Verletzungshandlungen fortsetzen zu können. - 2.
Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit beruht auf § 709 S. 1 und 2 ZPO. - 3.
Der Streitwert wird auf 250.000,00 EUR festgesetzt.
Der Streitwert orientiert sich an demjenigen im Verfahren mit dem Aktenzeichen 4b O 47/XX, in dem es ebenfalls um das hier vorliegende Klagepatent ging und ein Streitwert in Höhe von 250.000,00 EUR zu Grunde gelegt wurde.