Düsseldorfer Entscheidungen Nr. 3117
Landgericht Düsseldorf
Urteil vom 17. Juni 2021, Az. 4c O 37/20
- I. Die Beklagte wird verurteilt,
1. es bei Meidung eines für jeden Fall der Zuwiderhandlung vom Gericht festzusetzenden Ordnungsgeldes bis zu EUR 250.000,00 – ersatzweise Ordnungshaft – oder einer Ordnungshaft bis zu sechs Monaten, im Fall wiederholter Zuwiderhandlung bis zu insgesamt zwei Jahren, wobei die Ordnungshaft an dem gesetzlichen Vertretern der Beklagten zu vollziehen ist, zu unterlassen,
- medizinische Vorrichtungen zum Bewirken der Hämostase eines Blutgefäßes zur Verwendung durch ein Endoskop
- in der Bundesrepublik Deutschland anzubieten, in Verkehr zur bringen oder zu gebrauchen oder zu den genannten Zwecken entweder einzuführen oder zu besitzen,
- wobei die medizinische Vorrichtung aufweist: eine Klemme, wobei die Klemme mindestens zwei Klemmenschenkel hat; einen Steuerdraht, der mit der Klemme koppelbar ist, wobei der Steuerdraht reversibel betätigbar ist, um sowohl die mindestens zwei Klemmenschenkel zu öffnen als auch um die mindestens zwei Klemmenschenkel zu schließen, wobei der Steuerdraht von der Klemme abkoppelbar ist; eine axial steife Hülle, die den Steuerdraht umhüllt, wobei die Hülle imstande ist, eine erste Kraft zu übertragen, die einer zweiten Kraft des Steuerdrahts entgegenwirkt; eine Verriegelungshülse, wobei der Steuerdraht in proximaler Richtung gezogen werden kann, um die Klemme durch die Verriegelungshülse zu ziehen, wodurch die mindestens zwei Klemmenschenkel geschlossen werden; einen Halter, wobei der Halter mit der Verriegelungshülse lösbar gekoppelt ist; einen Handgriff, der mit der axial steifen Hülle gekoppelt ist; und ein Betätigungselement, das mit dem Steuerdraht gekoppelt ist, wobei der Steuerdraht durch das Betätigungselement in Eingriff nehmbar ist, um die mindestens zwei Klemmenschenkel zu öffnen, die mindestens zwei Klemmenschenkel zu schließen und den Steuerdraht von der Klemme abzukoppeln, dadurch gekennzeichnet, dass die Vorrichtung ferner aufweist: eine Halterlösungsanordnung, wobei die Halterlösungsanordnung einen Eingriff mit dem Halter herstellen kann, um den Halter von der Verriegelungshülse abzukoppeln;
- 2. der Klägerin in einer chronologisch geordneten und nach Jahren und Typen gegliederten Aufstellung darüber Auskunft zu erteilen, in welchem Umfang sie (die Beklagte) die zu Ziff. I.1. bezeichneten Handlungen seit dem 1. November 2017 begangen hat, und zwar unter Angabe
- a) der Namen und der Anschriften der Hersteller, Lieferanten und anderer Vorbesitzer,
b) der Namen und Anschriften der gewerblichen Abnehmer und Verkaufsstellen (wie z.B. Vertriebscenter), für welche die Erzeugnisse bestimmt waren,
c) der Menge der hergestellten, ausgelieferten, erhaltenen oder bestellten Vorrichtungen sowie über die Preise, die für die betreffenden Erzeugnisse bezahlt wurden, - wobei
- – zum Nachweis der Angaben die entsprechenden Kaufbelege (nämlich Rechnungen, hilfsweise Lieferscheine) in Kopie vorzulegen sind,
– geheimhaltungsbedürftige Details außerhalb der auskunftspflichtigen Daten geschwärzt werden dürfen,
– die Aufstellung mit den Daten der Auskunft zusätzlich in einer mittels EDV auswertbaren, elektronischen Form zu übermitteln ist, soweit die Daten in elektronischer Form bei der Beklagten vorhanden sind; - 3. der Klägerin in einer chronologisch geordneten und nach Jahren und Typen gegliederten Aufstellung darüber Rechnung zu legen, in welchem Umfang sie (die Beklagte) die zu Ziff. I.1. bezeichneten Handlungen seit dem 1. Dezember 2017 begangen hat, und zwar unter der Angabe
- a) der einzelnen Lieferungen, aufgeschlüsselt nach Liefermengen, -zeiten, -preisen und Typenbezeichnungen sowie den Namen und Anschriften der Abnehmer einschließlich der Verkaufsstellen, für die die medizinischen Vorrichtungen bestimmt waren,
b) der einzelnen Angebote, aufgeschlüsselt nach Angebotsmengen, -zeiten, -preisen sowie den Namen und Anschriften der Angebotsempfänger,
c) der betriebenen Werbung, aufgeschlüsselt nach Werbeträgern, deren Auflagenhöhe, Verbreitungszeitraum und Verbreitungsgebiet, im Falle von Internet-Werbung der Domain, den Zugriffszahlen und der Schaltungszeiträume, und bei direkter Werbung, wie Rundbriefen, den Namen und Anschriften der Empfänger,
d) der nach den einzelnen Kostenfaktoren aufgeschlüsselten Gestehungskosten und des erzielten Gewinns, - wobei
- – die Aufstellung mit den Daten der Rechnungslegung zusätzlich in einer mittels EDV auswertbaren, elektronischen Form zu übermitteln ist, soweit die Daten in elektronischer Form bei der Beklagten vorhanden sind,
– es der Beklagten vorbehalten bleibt, die Namen und Anschriften ihrer nicht gewerblichen Abnehmer sowie der Angebotsempfänger statt der Klägerin einem von dieser zu bezeichnenden, ihr gegenüber zur Verschwiegenheit verpflichteten, vereidigten Wirtschaftsprüfer mit Sitz in der Bundesrepublik Deutschland mitzuteilen, sofern die Beklagte dessen Kosten trägt und ihn zugleich ermächtigt und verpflichtet, der Klägerin auf konkrete Anfrage mitzuteilen, ob ein bestimmter Abnehmer oder Angebotsempfänger in der Rechnung enthalten ist. - II. Es wird festgestellt, dass die Beklagte verpflichtet ist, der Klägerin allen Schaden zu ersetzen, der ihr durch die zu Ziff. I.1. bezeichneten Handlungen seit dem 1. Dezember 2017 entstanden ist und noch entstehen wird.
- III. Die Beklagte wird verurteilt, die oben unter Ziff. I.1. fallenden, nach dem 1. November 2017 in Verkehr gebrachten medizinischen Vorrichtungen gegenüber den gewerblichen Abnehmern unter Hinweis darauf, dass die Kammer mit ihrem Urteil eine Verletzung des Klagepatent ausgesprochen hat, schriftlich und ernsthaft mit der verbindlichen Zusage aus den Vertriebswegen zurückzurufen, etwaige Entgelte zu erstatten sowie notwendige Verpackungs- und Transportkosten sowie mit der Rückgabe der Vorrichtungen verbundene Zoll- und Lagerkosten zu übernehmen und die Vorrichtungen wieder an sich zu nehmen.
- IV. Die Beklagte wird verurteilt, die unter Ziff. I.1. bezeichneten, seit dem 1. November 2017 in Verkehr gebrachten medizinischen Vorrichtungen endgültig aus den Vertriebswegen zu entfernen, wobei insbesondere die folgenden Maßnahmen zu ergreifen sind:
a) die Beklagte hat alle möglichen und zumutbaren Maßnahmen zu ergreifen, um die Standorte und die Besitzer über die unter Ziff. I.1. bezeichneten medizinischen Vorrichtungen zu ermitteln,
b) soweit die Beklagte selbst rechtliche oder tatsächliche Verfügungsgewalt über die unter Ziff. I.1. bezeichneten medizinischen Vorrichtungen inne hat, müssen die rechtlich zulässigen und zumutbaren Maßnahmen ergriffen werden, damit diese Vorrichtungen in den unmittelbaren Besitz der Beklagten gelangen und dort verbleiben,
c) soweit die Beklagte weder rechtliche noch tatsächliche Verfügungsgewalt über die unter I.1. bezeichneten medizinischen Vorrichtungen inne hat, muss sie alle rechtlich zulässigen und zumutbaren Maßnahmen ergreifen, um die Personen, die Ansprüche auf Herausgabe oder Vernichtung gegen die Inhaber der Verfügungsgewalt der Vorrichtungen inne haben, zur Geltendmachung dieser Ansprüche zu veranlassen und/oder diese Personen bei der Geltendmachung dieser Ansprüche zu unterstützen. - V. Die Kosten des Rechtsstreits werden der Beklagten auferlegt.
- VI. Das Urteil ist im Hinblick auf die Ziffern I.1., III. und IV. gegen Sicherheitsleistung in Höhe von EUR 400.000,-, im Hinblick auf die Ziffern I.2. und I.3. gegen Sicherheitsleistung in Höhe von EUR 100.000,- und im Hinblick auf die Kosten gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 120% des jeweils zu vollstreckenden Betrages vorläufig vollstreckbar.
- VII. Der Streitwert wird auf EUR 500.000,- festgesetzt.
- Tatbestand
- Die Klägerin macht – als eingetragene und allein verfügungsberechtigte Inhaberin – Ansprüche auf Unterlassung, Auskunft und Rechnungslegung, Rückruf und Entfernung aus den Vertriebswegen sowie Feststellung der Schadensersatzpflicht dem Grunde nach wegen Verletzung des deutschen Teils des europäischen Patents EP 3 023 XXX B1 (im deutschen Register unter dem Az. DE 602 49 XXX.6 geführt, vorgelegt als Anlage KAP 2, in deutscher Übersetzung vorgelegt als Anlage KAP 2a; im Folgenden: Klagepatent) geltend, das unter Inanspruchnahme einer US-amerikanischen Priorität vom 5. Oktober 2001 (US 971488) am 20. September 2002 angemeldet und als Anmeldung am 25. Mai 2016 offengelegt wurde. Der Hinweis auf die Erteilung des Klagepatents wurde am 1. November 2017 veröffentlicht. Das Klagepatent steht in der Bundesrepublik Deutschland in Kraft.
- Die deutsche Tochtergesellschaft der Beklagten, die A GmbH, ist dem gegen das Klagepatent anhängigen Einspruch eines Dritten mit Schriftsatz vom 28. Februar 2019 (Anlagenkonvolut HRM 13) beigetreten, über den noch nicht entschieden ist. Mit Zwischenbescheid vom 3. Januar 2020 (vgl. Anlage HRM 1) hatte die Einspruchsabteilung den am Einspruchsverfahren beteiligten Parteien seine vorläufige Auffassung mitgeteilt, nach der das Klagepatent in der Fassung des eingeschränkten Anspruchs 9 nicht unzulässig erweitert sei und es auch nicht an der Neuheit gegenüber dem Stand der Technik fehle. Nach Verlegung des Verhandlungstermins im Einspruchsverfahren auf Ende 2021 hat das EPA mit Mitteilung vom 3. Februar 2021 den Parteien eine ergänzte vorläufige Meinung übersandt, wegen deren Inhalt auf die Anlage KAP 22 Bezug genommen wird.
- Das Klagepatent betrifft eine endoskopische Vorrichtung zur Verursachung von Hämostase. Der im Hauptantrag nur noch eingeschränkt geltend gemachte Anspruch 9 des – in englischer Sprache angemeldeten und erteilten – Klagepatents lautet in deutscher Übersetzung:
- „1. Medizinische Vorrichtung (100) zum Bewirken der Hämostase eines Blutgefäßes zur Verwendung durch ein Endoskop, wobei die medizinische Vorrichtung aufweist: eine Klemme (101), wobei die Klemme (101) mindestens zwei Klemmenschenkel (102, 103) hat; einen Steuerdraht (108), der mit der Klemme (101) koppelbar ist, wobei der Steuerdraht (108) reversibel betätigbar ist, um sowohl die mindestens zwei Klemmenschenkel (102, 103) zu öffnen als auch um die mindestens zwei Klemmenschenkel (102, 103) zu schließen, wobei der Steuerdraht (108) von der Klemme (101) abkoppelbar ist; eine axial steife Hülle (111), die den Steuerdraht (108) umhüllt, wobei die Hülle (111) imstande ist, eine erste Kraft zu übertragen, die einer zweiten Kraft des Steuerdrahts (108) entgegenwirkt; eine Verriegelungshülse (113), wobei der Steuerdraht (108) in proximaler Richtung gezogen werden kann, um die Klemme (101) durch die Verriegelungshülse (113) zu ziehen, wodurch die mindestens zwei Klemmen-schenkel geschlossen werden; einen Halter (110), wobei der Halter mit der Verriegelungshülse (113) lösbar gekoppelt ist; einen Handgriff, der mit der axial steifen Hülle (111) gekoppelt ist; und ein Betätigungselement, das mit dem Steuerdraht (108) gekoppelt ist, wobei der Steuerdraht (106) durch das Betätigungselement in Eingriff nehmbar ist, um die mindestens zwei Klemmen-schenkel (102, 103) zu öffnen, die mindestens zwei Klemmenschenkel (102, 103) zu schließen und den Steuerdraht (108) von der Klemme (101) abzukoppeln; dadurch gekennzeichnet, dass die Vorrichtung ferner aufweist: eine Halterlösungsanordnung (109), wobei die Halterlösungsanordnung (109) einen Eingriff mit dem Halter (110) herstellen kann, um den Halter (110) von der Verriegelungshülse (113) abzukoppeln.“
- Wegen des Wortlauts des hilfsweise geltend gemachten uneingeschränkten Patentanspruchs 9 wird auf die Klagepatentschrift verwiesen.
- Die nachstehend verkleinert wiedergegebenen Figuren sind der Klagepatentschrift entnommen und erläutern deren technische Lehre anhand eines bevorzugten Ausführungsbeispiels:
- Figur 1 zeigt eine anspruchsgemäße Klemme (Clip, 101) mit zwei Schenkeln (102 und 203), die im geöffneten Zustand mit dem Halter (110) verbunden ist. Figur 2 zeigt die Klemme mit Verriegelungshülse (113) im geschlossenen Zustand, bevor diese vom Rest der Vorrichtung gelöst wird.
- Nachfolgend wiedergegeben ist noch die zuvor bereits dargestellte Figur 1 mit seitens der Klägerin versehenen Einfärbungen und Erläuterungen (vgl. Anlage KAP 7):
- Die Klägerin gehört zur US-amerikanischen Boston Scientific Gruppe, die schwerpunktmäßig auf dem Gebiet der Entwicklung, der Herstellung und des Vertriebs von Medizinprodukten tätig ist, insbesondere auch im Bereich der Endoskopie.
- Bei der Beklagten handelt es sich um die chinesische Muttergesellschaft der zur A-Gruppe gehörenden und in Deutschland ansässigen A GmbH. Die A-Gruppe wurde im Jahr 2000 als Anbieter von Stents und endoskopischem Zubehör in China gegründet und deren Produkte werden in Nanjing entwickelt und produziert.
- Die Klägerin hat im Wege eines Testkaufs mehrere Gewebeklemmen des Modells B erworben. Ausweislich des Aufdrucks auf der Verpackung wurden die Klemmen von der Beklagten hergestellt, wobei als Inhaberin der CE-Kennzeichnung die C GmbH (Europe) angegeben ist (vgl. Anlage KAP 9/1). Im Impressum des deutschen Internetauftritts der A-Gruppe wird die A GmbH als Verantwortliche benannt. Über die Internetseite ist auch die als Anlage KAP 12 zur Akte gereichte Produktbroschüre zu den unter der Produktebezeichnung D angebotenen Klemmen abrufbar (im Folgenden: angegriffene Ausführungsformen), wobei sich dort auf Seite 3 die gleiche Referenzbezeichnung findet, wie sie auch auf der Verpackung der seitens der Klägerin erworbenen Klemmen B zu finden ist („E“). Auf der letzten Seite der Broschüre findet sich zudem sowohl ein Hinweis auf die Herstellerin (Beklagte) wie auch auf die A GmbH. Schließlich lässt sich dem englischsprachigen Internetauftritt der Beklagten unter den FAQ entnehmen (vgl. Screenshot der Anlage KAP 10), dass die Beklagte Lieferungen nach Deutschland unterstützt.
- Der Aufbau der angegriffenen Ausführungsformen ist anhand der nachfolgend wiedergegebenen und seitens der Klägerin als Anlage KAP 13 zur Akte gereichten Explosionszeichnung ersichtlich:
- Die Klägerin hat wegen der Verletzung des Klagepatents durch die angegriffenen Ausführungsformen bereits die A GmbH sowie die C GmbH (Europe) vor der hiesigen Kammer in Anspruch genommen. Die Kammer verurteilte die beiden vorgenannten Gesellschaften antragsgemäß mit Urteil vom 16. Januar 2020 (Az. 4c O 94/18; vgl. Anlage KAP 1). Die gegen dieses Urteil gerichtete Berufung der dortigen Beklagten wurde vom OLG Düsseldorf mit Urteil vom 29. April 2021 (AZ. 1-15 U 4/20, vgl. Anlage HRM 16) zurückgewiesen und zugleich die Revision nicht zugelassen. Wegen des Inhalts der beiden Urteile wird auf die vorgenannten Anlagen Bezug genommen. In einem weiteren, auf das mit dem hiesigen Klagepatent technisch eng verwandte EP 1 328XXX B1 gestützten Verletzungsverfahren gegen die deutsche Tochtergesellschaft der Beklagten, welches unter dem Az. 4c O 89/18 geführt wird, hat die Kammer den Sachverständigen Prof. Dr. H mit Beweisbeschluss vom 16. Januar 2020 mit der Erstellung eines Gutachtens (vorgelegt als Anlage KAP 17) beauftragt und den Sachverständigen am 27. April 2021 auf Antrag der Beklagtenseite angehört. Verkündungstermin in diesem Verfahren hat die Kammer bestimmt auf den 17. Juni 2021.
- Die Klägerin meint, die angegriffenen Ausführungsformen würden von der technischen Lehre des Klagepatents wortsinngemäß Gebrauch machen.
- Der Fachmann könne dem Klagepatent weder einen Hinweis darauf entnehmen, dass die Klemme eine bauliche Einheit darstellen müsse, noch dass eine Vorspannung anliegen müsse. Entsprechendes habe die Kammer im parallelen Verletzungsverfahren gegen die deutsche Tochtergesellschaft der Beklagten bereits festgestellt und zudem habe auch der in dem parallelen Verletzungsverfahren bestellte gerichtliche Sachverständige Prof. Dr. H dieses Verständnis geteilt. In den angegriffenen Ausführungsformen seien zudem zwei Klemmarme vorhanden, die über einen Pin (Proximal Pin) als bauliche Einheit miteinander verbunden seien. Im Übrigen sei ein zusätzlicher Pin (Distal Pin) vorhanden, der sicherstelle, dass die Klemmarme nicht ohne Krafteinwirkung zusammengedrückt werden könnten, was einer Vorspannung entspreche. Schließlich gebe der Anspruch auch nicht vor, wie die Verriegelungshülse ausgestaltet sein müsse, insbesondere könne sie auch aus mehreren Bauteilen bestehen, was auch aus der Verwendung des Begriffs Verriegelungsanordnung in der Beschreibung zum Ausdruck komme. Soweit die Klemme durch die Hülse gezogen werden solle, gebe der Anspruch nicht vor, dass dieser Vorgang einzig kausal für das Schließen der Klemme sein müsse. Aus der Vorgabe „wodurch“ folge nur, dass das Schließen der Klemme mit dem Hindurchziehen einhergehen müsse. Anderenfalls wäre das Wort „um“ verwendet worden, wenn der von der Beklagten angenommene weitergehende Kausalzusammenhang vorliegen müsste. Entscheidend sei letztlich, dass die Hülse ihre Funktion zur Verriegelung erfülle, d.h. dass die Klemme auch nach dem Trennen von der übrigen Vorrichtung geschlossen bleibe.
- Ferner ist die Klägerin der Auffassung, das Klagepatent werde sich in der Entscheidung über den Einspruch als rechtsbeständig erweisen.
- Die Klägerin beantragt,
- wie erkannt.
- Die Beklagten beantragen,
- die Klage abzuweisen.
- hilfsweise
das Verfahren bis zur rechtskräftigen Entscheidung in dem gegen das Klagepatent EP 3 023 XXX B1 beim Europäischen Patentamt geführten Einspruchsverfahren auszusetzen. - Die Beklagte meint, die angegriffenen Ausführungsformen verwirklichten die technische Lehre des Klagepatents nicht.
- Soweit das Klagepatent eine Klemme (im Englischen „Clip“) voraussetzen würde, seien unter einer Klemme nur solche Vorrichtungen zu verstehen, die (feder-)vorgespannt seien. Die erforderliche Vorspannung könne sich dabei aus der Formgebung der Klemme oder durch den Einsatz eines oder mehrerer Federelemente ergeben, wobei der Fachmann auf Grund seines Fachwissens und der Ausführungsbeispiele im Klagepatent die Vorspannung als wesentlich für die Funktionalität erkenne. Insoweit sei zu berücksichtigen, dass nur die Ausführungsbeispiele der Figuren 1 bis 8 und 21 klagepatentgemäß seien. Soweit das OLG Düsseldorf in seinem Urteil vom 29. April 2021 ein weiteres Verständnis vertreten habe, so habe es übersehen, dass die Reversibilität der Klemme eine Vorspannung voraussetzen würde. Daneben würde das Klagepatent eine Verriegelungshülse voraussetzen, mithin ein rohrförmiges Bauteil, welches eine bestimmte Funktion, hier die Verriegelung, erfüllen müsse. Daneben fordere das Klagepatent, dass die Klemme durch die Hülse gezogen werden könne und sich so die Klemmschenkel schließen. Zwischen dem Hindurchziehen und dem Schließen bestünde somit ein ursächlicher Zusammenhang.
- Die angegriffenen Ausführungsformen wiesen demgegenüber keine Klemme/Clip im Sinne des Klagepatents auf, da sie nur über zwei voneinander unabhängige Klemmarme verfügten, die zudem nicht (feder-)vorgespannt seien. Jeder der Klemmarme würde über eine eigene Kulissenführung verfügen, die für die Bewegung der Arme sorge. Auch sei die Klemme nicht als bauliche Einheit ausgestaltet. Unabhängig davon wiesen die angegriffenen Vorrichtungen auch keine Verriegelungshülse im Sinne des geltend gemachten eingeschränkten Anspruchs 9 auf. Zwar sei als Bauteil auch eine Hülse vorhanden, diese habe aber nichts mit dem Schließen der Klemmarme zu tun. An einem Ende der Hülse seien vielmehr Träger mit einem Schlitz vorhanden, die den Distal Pin aufnehmen würden, welcher in Verbindung mit der Kulissenführung der Arme für deren Öffnen und Schließen sorge. Die Arme müssten zudem bereits geschlossen sein, um in die Hülse hereingezogen werden zu können. Es gebe auch keine Halterlöseanordnung, da das von der Klägerin als Hypotube bezeichnete Bauteil nicht vom Steuerdraht mitgenommen werde. Schließlich bestünde die den Steuerdraht umgebende Hülle nur aus gewickeltem Draht, der nicht steif sei.
- Sie meint, die Klägerin könne die Bereitstellung von elektronischen Dokumenten nur mit Blick auf den Rechnungslegungsanspruch und nicht auch mit Blick auf den Auskunftsanspruch verlangen.
- Die Beklagte ist der Auffassung, das Klagepatent werde sich in der Entscheidung über den beim Europäischen Patentamt anhängigen Einspruch als nicht rechtsbeständig erweisen. Insbesondere sei die von ihm beanspruchte technische Lehre nicht neu, zudem beruhe die klagepatentgemäße Lehre auf einer unzulässigen Erweiterung.
- Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird darüber hinaus auf die zwischen den Parteien gewechselten Schriftsätze sowie auf die zu den Akten gereichten Unterlagen ergänzend Bezug genommen.
- Entscheidungsgründe
- Die zulässige Klage hat auch in der Sache Erfolg.
- I.
Die Klage ist begründet, da die angegriffenen Ausführungsformen von der Lehre des Klagepatents Gebrauch machen und der Klägerin daher die geltend gemachten Ansprüche auf Unterlassung, Auskunft und Rechnungslegung, Rückruf und Entfernung aus den Vertriebswegen sowie Feststellung der Schadenersatzpflicht dem Grunde nach gemäß den §§ 139ff. PatG zustehen. - 1.
Das Klagepatent betrifft eine blutstillende Klemmvorrichtung, die auch als Gewebeklemmvorrichtung bezeichnet wird. Derartige Klemmvorrichtungen werden insbesondere im Rahmen endoskopischer Verfahren eingesetzt, um aktiv und/oder prophylaktisch eine Blutstillung im Körperinneren vorzunehmen. Übliches Anwendungsgebiet sind Erkrankungen des Magen-Darm-Trakts. - Wie das Klagepatent einleitend ausführt (Absätze [0002]f.), stellen Magen-Darm-Blutungen eine erhebliche Gefahr für Patienten dar, wobei die Behandlung einer solchen Blutung äußerst zeitkritisch ist. Insoweit sind solch innere Blutungen auch das gefährlichste Anwendungsgebiet, mit der sich ein Gastroenterologe beschäftigen muss. Der Arzt kann eine solche Blutung chirurgisch oder endoskopisch diagnostizieren und behandeln, wobei die Chirurgie höhere Kosten verursacht und eine höhere Morbiditäts- und Sterblichkeitsrate zur Folge hat. Daher sei endoskopische Behandlungen – soweit möglich – der Vorzug zu gewähren.
- Aus dem Stand der Technik zum Prioritätszeitpunkt waren, wie das Klagepatent weiter einleitend in dem Absatz [0004] darstellt, dem Gastroenterologen zwei gängige Behandlungsmöglichkeiten sowie einige seltener angewandte Therapien bekannt.
- Bei der Thermotherapie wird ein Katheter mit einer steifen Heizelementspitze durch den Arbeitskanal eines Endoskops geführt, nachdem die Blutung visualisiert und diagnostiziert worden ist. Nach Austritt der steifen Katheterspitze aus dem Endoskop wird das Endoskop so manipuliert, dass die Spitze gegen die Blutungsstelle drückt. Dann wird Wärme ausgeübt, entweder über ein Widerstandselement in der Spitze oder durch Einwirkung von HF-Energie über das Gewebe, wodurch das Gewebe ausgetrocknet und kauterisiert wird. Die Kombination aus der Spitze, die das Gewebe/Gefäß zusammendrückt, und der Einwirkung von Wärme schweißt theoretisch das Gefäß zu (Absatz [0005]). Obwohl Thermobehandlung zur Blutstillung recht erfolgreich ist, muss oft mehr als ein Versuch unternommen werden und häufig treten Nachblutungen auf. Von Nachteil ist ferner, dass beide Arten der Thermotherapie einen spezialisierten Energieerzeuger erfordern und die Ausrüstung teuer sein kann (Absatz [0006]).
- Bei der zweiten gängigen Therapie – der Injektionstherapie – wird nach Visualisierung und Diagnose der Blutung ein Katheter mit einer distal ausfahrbaren Injektionsnadel durch den Arbeitskanal des Endoskops geführt. Sobald die Katheterspitze das Endoskop verlassen hat, wird das Endoskop zur Blutungsstelle manipuliert, die Nadel wird ferngesteuert ausgefahren und in die Blutungsstelle eingeführt. Anschließend wird ein vasokonstriktives (gefäßverengendes) oder sklerosierendes (Gewebeverhärtung bewirkendes) Medikament über die Nadel injiziert. Oft sind zahlreiche Injektionen in und um die Blutungsstelle nötig, bis es zur Blutstillung kommt. Wie bei der Thermotherapie stellt die Rezidivblutung ebenfalls ein Problem dar (Absatz [0007]). Eine Kombination der Thermo- und Injektionstherapie ist möglich und wird in einigen Regionen der Welt (wie bspw. den USA) eingesetzt.
- Wie das Klagepatent in Absatz [0009] weiter ausführt, liegt die primäre Erfolgsrate der endoskopischen Behandlung bei etwa 90 %, wobei die Nachblutungsrate für endoskopisch behandelte aktive Blutungen 10 bis 30 % beträgt. Trotz Einführung neuer Behandlungen und Vorrichtungen seien diese Quoten seit Jahrzehnten nicht deutlich besser geworden. In der Chirurgie beträgt der Kurz- und Langzeiterfolg für permanente Hämostase praktisch 100 %. Chirurgisch liegt die Erfolgsrate höher, da die Blutungsstelle mechanisch zusammengedrückt wird, was eine bessere Hämostase bewirkt. Mit Hilfe solcher Vorrichtungen wie Klemmen, Klammern und Nahtmaterialien (d.h. Vorrichtungen, die ausreichende konstriktive Kräfte auf Blutgefäße ausüben können, um den Blutfluss zu begrenzen oder zu unterbrechen) wird das blutende Gefäß ligiert oder das Gewebe um die Blutungsstelle wird zusammengedrückt, was alle umliegenden Gefäße unterbindet (Absatz [0010]).
- Dem Fachmann war zum Prioritätszeitpunkt – wie das Klagepatent in Absatz [0011] ausführt – auch bereits eine Vorrichtung bekannt, die die Vorteile der Chirurgie mit einer weniger invasiven endoskopischen Prozedur vereint, nämlich der E. Mit dieser Vorrichtung wird das blutende Gefäß zusammengedrückt, um die Blutung zu stillen. Problematisch ist bei dieser Vorrichtung, dass sie nach Beginn des Backenverschlusses nicht wieder geöffnet werden kann und der Arzt somit gezwungen ist, den Clip abzuschießen. Da die betroffenen Gefäße häufig schwer zu erkennen und zu erreichen sind, müssen oft mehrere Clips gesetzt werden, um das Gefäß erfolgreich zusammenzudrücken und eine Blutstillung zu erreichen. Darüber hinaus ist der E eine teils wiederverwendbare Vorrichtung, wodurch die Leistung der Vorrichtung mit dem Gebrauch leidet.
- Das Klagepatent nimmt darüber hinaus noch Bezug auf die Schriften US 3 958 XXX A, US 5 520 XXX A und JP H05 208XXX A (Abätze [0012] – [0014]).
- Die US 3 958 XXX A, auf der der Oberbegriff des Anspruchs 1 des Klagepatents beruht, offenbart einen Clip, der lösbar mit einer Zuführeinrichtung (Instrumentenkörper) verbunden ist. Der Instrumentenkörper weist eine äußere flexible Röhre, ein in die äußere Röhre eingesetztes rohrförmiges Betätigungsglied und einen in das rohrförmige Betätigungsglied eingesetzten Draht auf. Ein Kupplungsteil ist lösbar durch ein Führungsteil am vorderen Endbereich des Betätigungsglieds angebracht. Am vorderen Ende des Drahtes ist ein Hakenelement zum Verankern des Klemmenelements befestigt. Die Klemmabschnitte des Klemmenelements werden dabei geöffnet, indem ein Paar Schrägteile des Klemmenelements gewaltsam mit der Innenfläche des Kupplungsteils in Eingriff gebracht werden, und sie werden geschlossen, indem zwei einander kreuzende Teile mit der Innenfläche des Kupplungsteils gewaltsam in Eingriff gebracht werden. Das Klemmenelement wird zusammen mit dem Kupplungsteil in der Körperhöhle gelassen, wobei die Klemmabschnitte geschlossen sind (Absatz [0012]).
- Die US 5 520 XXX A offenbart ein Set zur Behandlung von Gefäßmissbildungen mit einer aus Titan hergestellten Klammer. Die Klammer ist im entlasteten Zustand gespreizt und kann durch einen Klemmring, der im angesetzten Zustand entlang der Klammer verlagerbar ist, in die Klemmstellung überführt werden. Die Klammer wird durch eine Sonde, die eine röhrenförmige Hülle und einen darin geführten Setzstab aufweist, in den Körper eingeführt (Absatz [0013]).
- Die JP H05 208XXX A offenbart schließlich eine Klemmenvorrichtung mit einem Einführrohr, eine in dem Einführrohr aufgenommene Klemme, einen Klemmenbefestigungsring, der in einem nicht gespannten Zustand hinter der Klemme angebracht ist, eine Faser und eine Einrichtung, die den Klemmenbefestigungsring durch die Wirkung von durch die Faser zugeführter Laserenergie nach vorne verschiebt (Absatz [0014]).
- Vor dem Hintergrund dieses Standes der Technik formuliert es das Klagepatent in Absatz [0016] als (technische) Aufgabe, eine medizinische Vorrichtung zum Bewirken der Hämostase von entlang des Magen-Darm-Trakts liegenden Blutgefäßen bereitzustellen, die eine Erfolgsrate entsprechend der chirurgischen Therapie hat sowie leichter als der E vorzubereiten und zu setzen ist.
- Zur Lösung dieser Aufgabe schlägt das Klagepatent in dem – eingeschränkt geltend gemachten – Anspruch 9 eine Vorrichtung mit folgenden Merkmalen vor (Einschränkungen hervorgehoben):
- 1. Medizinische Vorrichtung zum Bewirken der Hämostase eines Blutgefäßes zur Verwendung durch ein Endoskop.
2. Eine Klemme; die Klemme hat mindestens zwei Klemmenschenkel.
3. Ein Steuerdraht
(a) Der Steuerdraht ist mit der Klemme koppelbar.
(b) Der Steuerdraht ist reversibel betätigbar, um sowohl die mindestens zwei Klemmenschenkel zu öffnen als auch um die mindestens zwei Klemmenschenkel zu schließen.
(c) Der Steuerdraht ist von der Klemme abkoppelbar.
4. Eine axial steife Hülle
(a) Die axial steife Hülle umhüllt den Steuerdraht.
(b) Die axial steife Hülle ist imstande, eine erste Kraft zu übertragen, die einer zweiten Kraft des Steuerdrahts entgegenwirkt.
5. Eine Verriegelungshülse, wobei der Steuerdraht in eine proximale Richtung gezogen werden kann, um die Klemme durch die Verriegelungshülse zu ziehen, wodurch die mindestens zwei Klemmenschenkel geschlossen werden.
6. Ein Halter; der Halter ist lösbar mit der Verriegelungshülse gekoppelt.
7. Ein Handgriff; der Handgriff ist mit der axial steifen Hülle gekoppelt.
8. Ein Betätigungselement
(a) Das Betätigungselement ist mit dem Steuerdraht gekoppelt.
(b) Durch das Betätigungselement ist der Steuerdraht in Eingriff nehmbar, um die mindestens zwei Klemmenschenkel zu öffnen und die mindestens zwei Klemmenschenkel zu schließen und den Steuerdraht von der Klemme abzukoppeln.
9. Eine Halterlösungsanordnung (109); die Halterlösungsanordnung kann einen Eingriff mit dem Halter (110) herstellen, um den Halter (110) von der Verriegelungshülse (113) abzukoppeln. -
2.
Zwischen den Parteien steht nur die Verwirklichung der Merkmale 2 und 5 in Streit, deren Verwirklichung durch die angegriffenen Ausführungsformen die Kammer indes festzustellen vermochte. - a)
Die seitens der Beklagten hergestellten und von der Klägerin angegriffenen Klemmen verwirklichen das Merkmal 2 unmittelbar wortsinngemäß, gemäß dem die beanspruchte medizinische Vorrichtung eine Klemme mit mindestens zwei Klemmschenkeln aufweist. - 1)
Nach der Lehre des Klagepatents setzt sich die von Anspruch 9 in der geltend gemachten Fassung beanspruchte medizinische Vorrichtung zum Bewirken der Hämostase eines Blutgefäßes aus einer Klemme, einem Steuerdraht, einer axial steifen Hülle, einer Verriegelungshülse, einem Halter, einem Handgriff, einem Betätigungselement und einer Halterlöseanordnung zusammen, wobei die einzelnen Bestandteile von den Merkmalen bzw. Merkmalsgruppen 2 bis 9 näher beschrieben werden. - Gemäß Merkmal 2 umfasst die erfindungsgemäße Vorrichtung eine Klemme, die mindestens zwei Klemmschenkel aufweist. Außer der Vorgabe, dass die Klemme über mindestens zwei Klemmschenkel verfügt, kann der Fachmann weder dem Anspruch noch der Klagepatentschrift weitere Angaben zur Ausgestaltung der Klemme entnehmen. Daraus folgt, dass es das Klagepatent in das Belieben des Fachmanns stellt, wie er die Klemme konstruiert, solange jedenfalls mindestens zwei Klemmschenkel vorhanden sind.
- Entgegen der Ansicht der Beklagten kann der Fachmann dem Klagepatent insbesondere nicht entnehmen, dass die Klemme als eine bauliche Einheit ausgestaltet sein muss, d.h. die beiden Klemmschenkel stets abhängig voneinander geöffnet und geschlossen werden können. Gleiches gilt für das Verständnis der Beklagten, dass eine Klemme im Sinne von Merkmal 2 nur dann vorliege, wenn die beiden Klemmschenkel (feder-)vorgespannt seien, mithin diese beiden Schenkel durch eine Feder oder ein ähnliches Vorspannmittel entweder in eine geöffnete oder in eine geschlossene Position gebracht werden können.
- Entsprechendes kann der Fachmann zunächst nicht dem vom Anspruchswortlaut verwendeten Begriff der „Klemme“, im maßgeblichen englischen Wortlaut „clip“, entnehmen. Denn aus dem Begriff der Klemme/Clip schließt der Fachmann nur, dass die Vorrichtung zum Klemmen geeignet sein muss, indes nicht, wie bzw. auf welche Art die Klemmfunktion gewährleistet wird, ob durch eine Vorspannung in eine Richtung oder auf eine andere Weise. Entsprechend lässt sich auch anhand der von den Parteien vorgelegten Auszüge aus Wörterbüchern nicht feststellen, dass der Fachmann einem Clip eine bestimmte Funktionsweise und/oder Ausgestaltung zuordnet, er insbesondere Clip mit Federklemme übersetzt.
- Zu einer mit dem Verständnis der Beklagten übereinstimmenden Auslegung gelangt der Fachmann auch nicht unter Berücksichtigung der Anspruchssystematik und unter Zugrundelegung einer technisch-funktionalen Betrachtungsweise. Denn die Erfindung zielt auf eine Klemme, die – anders als die vorbekannten Klemmen im Stand der Technik – jedenfalls teilweise reversibel ist, d.h. deren Sitz an der Blutung ggf. durch den Arzt korrigiert werden kann, so dass bessere Ergebnisse bei weniger Materialeinsatz erzielt werden können. Insoweit erkennt der Fachmann auch mit Blick auf die Merkmale 3(b) und 8(b), dass die beiden Klemmschenkel nicht nur geschlossen, sondern auch – jedenfalls bis zu einem gewissen Grad – wieder geöffnet und erst am Ende des Setzvorgangs gesichert werden sollen, wenn keine Korrektur mehr erforderlich ist und das Endoskop wieder entfernt wird. Der Fachmann erkennt aber auch, dass es das Klagepatent offenlässt, auf welchem Weg die Schenkel wiederholt geöffnet und geschlossen werden sollen, da es insoweit nur darauf ankommt, dass die Reversibilität gewahrt bleibt.
- Dem eingeschränkten Verständnis der Beklagten hat sich auch das OLG Düsseldorf in seinem Urteil vom 29. April 2021 (Az. I-15 U 4/20; Vorinstanz: LG Düsseldorf 4c O 94/18) nicht angeschlossen, in welchem es mit Blick auf die gleichen angegriffenen Ausführungsformen über die Verletzung des Klagepatents durch die deutsche Vertriebsgesellschaft der Beklagten entschieden hat. Das OLG hat auf den Seiten 21ff. seines Urteils umfassend dazu ausgeführt, wieso der Fachmann weder dem Wortlaut noch der Beschreibung und/oder den Ausführungsbeispielen einen hinreichenden Hinweis dahingehend entnehmen kann, dass eine Klemme im Sinne der Lehre des Klagepatents zwingend über eine Vorspannung verfügen muss. Zur Vermeidung von Wiederholungen wird auf die Urteilsbegründung des OLG, der sich die Kammer vollumfänglich anschließt, Bezug genommen. Den Ausführungen des OLG hat die Beklagte in der Duplik auch nichts mehr entgegenzusetzen vermocht, da sich ihr Vortrag im Wesentlichen in der Wiederholung ihres vorherigen Vortrags erschöpft. Auch in der mündlichen Verhandlung hat die Beklagte keine neuen Ausführungen mehr gemacht und nur auf ihren schriftsätzlichen Vortrag verwiesen.
- Schließlich wird das von der Kammer und dem OLG Düsseldorf gefundene Auslegungsergebnis auch durch die Aussagen des gerichtlichen Sachverständigen Prof. H in seinem Gutachten im parallelen Verletzungsverfahren gegen die deutschen Tochtergesellschaften der Beklagten gestützt. Zwar obliegt die Bestimmung des Schutzbereichs als Rechtsfrage originär dem Verletzungsgericht, so dass die Auslegung des Klagepatents nicht einem (gerichtlichen) Sachverständigen überlassen werden kann (vgl. BGH GRUR 2008, 779, 782f. – Mehrgangnabe). Die primäre Aufgabe des Sachverständigen ist – im Patentverletzungsverfahren nicht anders als sonst im Zivilprozess – die Vermittlung von Fachwissen zur richterlichen Beurteilung von Tatsachen. Der Sachverständige wird deshalb im Patentverletzungsprozess hinzugezogen, um dem Gericht, diejenigen fachlichen Kenntnisse zu verschaffen, die es benötigt, um die geschützte technische Lehre zu verstehen und den diese Lehre – als Grundlage der Verletzungsprüfung und der Schutzbereichsbestimmung – definierenden Patentanspruch unter Ausschöpfung seines Sinngehalts selbst auslegen zu können. Das Gericht ist deswegen gehindert, die Schlüsse, die ein Sachverständiger aus seinem Fachwissen auf den Inhalt der technischen Lehre des Klagepatents zieht, ohne Weiteres zu übernehmen (vgl. BGH GRUR 2008, 779, 782f. – Mehrgangnabe). Dies gilt insbesondere auch deswegen, weil der Sachverständige vielfach geneigt sein wird, sich eher an den aus seiner fachlichen Sicht typischerweise aussagekräftigeren Ausführungsbeispielen der Erfindung als an den abstrakteren Formulierungen des Patentanspruchs zu orientieren. Sachverständige Äußerungen sind vom Tatrichter deshalb stets eigenverantwortlich daraufhin zu untersuchen, ob und inwieweit sie Angaben enthalten, die Aufklärung im Hinblick auf entscheidungserhebliche und allein von dem erkennenden Gericht zu beantwortende Fragen zu bieten vermögen (BGH GRUR 2001, 770, 772 – Kabeldurchführung II). Ausgehend von diesen Grundsätzen stützen die Ausführungen des gerichtlichen Sachverständigen zu den fachmännischen Kenntnissen zum Prioritätszeitpunkt das Verständnis der Kammer von dem Begriff der Klemme/Clip. So führt der gerichtliche Sachverständige auf Seite 7 unter lit C. seines Gutachtens (KAP 17) aus, dass der Fachmann unter einer „Klemme“/„Clip“ verbundene Teile verstehe, die kraftschlüssig gekoppelt seien. Unerheblich sei dabei, wie viele Einzelkomponenten zur Funktion der Klemme erforderlich seien, um den Kraftschluss zu realisieren. Ebenfalls komme es nicht auf eine Vorspannung an, dass der Fachmann unter anderem auch andere Klemmen wie Klemmzwingen kenne, bei denen keine Vorspannung vorliege.
- Dem steht schließlich auch nicht das seitens der Beklagten als Anlage HRM 17 vorgelegte Privatgutachten von Prof. Dr. F entgegen, der mit Blick auf das EP‘XXX ausführt, dass der Fachmann unter einer Klemme im Sinne des EP‘XXX eine federvorgespannte Klemme verstehe. Zum einen handelt es sich – anders als bei dem Gutachten des Prof. H – um entsprechend zu würdigen Parteivortrag. Zum anderen begründet der Privatsachverständige sein enges Verständnis damit, dass der Fachmann unter einer Klemme/Clip eine bestimmte Form eines Spannmittels verstehe, nämlich ein unter Vorspannung stehendes Spannmittel. Dabei verkennt Prof. F, dass weder das EP‘XXX noch das Klagepatent den vermeintlichen (Ober-)Begriff Spannmittel verwenden. Vielmehr hat – wie auch das OLG Düsseldorf in seinem Berufungsurteil bestätigt hat – die Auslegung der einzelnen Begriffe/Merkmale zunächst aus der Patentschrift heraus zu erfolgen, wobei dem allgemeinen fachmännischen Verständnis des Fachmanns von einem bestimmten Begriff grundsätzlich das vom Klagepatent intendierte Begriffsverständnis vorgeht. Selbst wenn der Fachmann unter einem Clip regelmäßig eine unter Vorspannung stehende Klemme verstehen sollte, so folgt ein solch enges Verständnis – wie auch das OLG Düsseldorf festgestellt hat – vorliegend jedenfalls nicht aus dem Klagepatent.
- 2)
Demnach liegt vorliegend eine Verwirklichung des Merkmals 2 durch die angegriffenen Ausführungsformen vor. - Die Parteien nehmen übereinstimmend auf die seitens der Klägerin vorgelegte Explosionszeichnung (Anlage KAP 13) Bezug, so dass für den Aufbau der angegriffenen Vorrichtungen auf deren Inhalt Bezug genommen werden kann.
- Die beiden Klemmarme (Clip Arm[s]) werden durch zwei Pins miteinander verbunden, wobei der Proximal Pin dazu dient, von den J-Haken umgriffen zu werden. Demgegenüber sorgt der Distal Pin dafür, dass sich die beiden Arme über ihre Kulissenführung aufeinander zubewegen, wenn der Steuerdraht gezogen wird. Unabhängig davon, dass das Klagepatent – wie zuvor ausgeführt – nicht voraussetzt, dass die Klemme als einheitliches Bauteil ausgestaltet ist, d.h. die beiden Klemm-schenkel sich stets zeitgleich bewegen, so führt die Verbindung über den Distal Pin und den Proximal Pin jedenfalls dazu, dass vorliegend ein einheitliches Bauteil bestehend aus mehreren Elementen vorliegt. Da das Klagepatent auch keine Vor-spannung und insbesondere keine Vorspannung mittels einer Feder voraussetzt, ist für die Verletzung unschädlich, dass die beiden Klemmschenkel in den angegriffenen Ausführungsformen nicht (feder-)vorgespannt sind.
- b)
Die angegriffenen Ausführungsformen machen auch unmittelbar wortsinngemäß Gebrauch von Merkmal 5, gemäß dem eine klagepatentgemäße Vorrichtung über eine Verriegelungshülse verfügt, durch die der Steuerdraht in eine proximale Richtung gezogen werden kann, um die Klemme durch die Verriegelungshülse zu ziehen, wodurch die mindestens zwei Klemmenschenkel geschlossen werden. - 1)
Eine erfindungsgemäße Vorrichtung muss danach über ein hülsen-/rohrförmiges Bauteil verfügen, welches dazu ausgestaltet ist, eine Verriegelungsfunktion zu erfüllen, d.h. die Klemme bzw. die Klemmschenkel nach deren endgültigem Schließen derart zu sichern, dass die übrige Vorrichtung wieder aus dem Körper des Patienten entfernt werden kann, ohne dass sich die Klemme ungewollt öffnet. Dies schließt der Fachmann bereits aus dem gewählten Begriff, da die Verriegelungsfunktion unmittelbar aus dem Wort „Verriegelungshülse“ folgt. Darüber hinaus muss die Hülse nach den Vorgaben des Merkmals 5 derart ausgestaltet sein, dass die Klemme – jedenfalls teilweise – durch sie hindurchgezogen werden kann. - Weitere An- bzw. Vorgaben zur räumlich-körperlichen Ausgestaltung der Hülse kann der Fachmann weder dem Wortlaut des Merkmals noch den übrigen Bestandteilen der Klagepatentschrift entnehmen. Insbesondere macht der Anspruch keine Angaben dazu, aus wie vielen Bauteilen die Hülse bestehen soll, d.h. ob sie ein- oder mehrteilig ausgestaltet ist. Dies und die Wahl des Materials stellt das Klagepatent vielmehr in das Belieben des Fachmanns.
- Der Vorgang des Hindurchziehens muss – wie der Fachmann Merkmal 5 zudem entnehmen kann – im Zusammenhang mit dem Schließen der Klemmschenkel stehen. Die Verriegelungshülse muss daher am Schließvorgang der mindestens zwei Klemmenschenkel mitwirken. Der Wortlaut des Anspruchs („wodurch“ bzw. „thereby“) führt dem Fachmann insoweit vor Augen, dass es um einen kausalen Zusammenhang zwischen dem Ziehen der Klemme durch die Verriegelungshülse und dem Schließen der Klemmenschenkel geht. Es genügt deshalb nicht eine (rein) zeitliche Koinzidenz zwischen dem Hereinziehen der Klemme in die Verriegelungshülse und dem Schließen der Schenkel. Mit anderen Worten versteht der Fachmann die Maßgabe nach Merkmal 5 derart, dass das Hindurchziehen auch einen tatsächlichen Beitrag zum Schließen der Schenkel leisten muss, unabhängig davon, ob es noch weitere Bauteile und Mechanismen gibt, die ebenfalls zum Schließen beitragen.
- Das entsprechende Verständnis des Merkmals Verriegelungshülse hat auch das OLG Düsseldorf in seinem Berufungsurteil (dort auf den Seiten 32ff unter Ziff. 4) bestätigt, wobei sich die Kammer auch diese Ausführungen zu eigen macht und zur Vermeidung von Wiederholungen auf die Entscheidungsgründe des OLG Bezug nimmt. Ebenso wie zu Merkmal 2 hat die Beklagte auch mit Blick auf dieses Merkmal den Ausführungen des OLG mit der Duplik nichts Wesentliches mehr entgegenzuhalten vermocht.
- 2)
Unter Berücksichtigung des vorgenannten Verständnisses verfügen die angegriffenen Vorrichtungen über eine Verriegelungshülse im Sinne des Klagepatents. - Entsprechendes ist insbesondere der Explosionszeichnung nach der Anlage KAP 13 zu entnehmen. Das OLG Düsseldorf hat insoweit ausgeführt:
- „Ein Ziehen am Steuerdraht („Control Wire“) bewirkt, dass der proximale Stift („Proximal Pin“), der die Basis der Klemmenschenkel („Clip Arms“) miteinander verbindet, in Richtung proximal gezogen wird. Dies führt dazu, dass die Basis jedes Klemmenschenkels („Clip Arms“) in die Hülse („Capsule“) hineingezogen wird. Zugleich werden Führungskulissen in der Basis der Klemmenschenkel („Clip Arms“) relativ zu dem feststehenden distalen Stift („Distal Pin“) geführt bzw. bewegt. Dies bewirkt das Schließen der Schenkel im Klemmbereich. Da der distale Stift („Distal Pin“) feststehend am distalen Ende der Hülse („Capsule“) befestigt ist, ist er Bestandteil ebendieser. Dass er mit dieser nicht einstückig ausgebildet ist, ist unerheblich. Ebenso, dass die innere Wand der Hülse an dem Schließvorgang nicht beteiligt ist, sondern die Kulissenführung nebst distalem Stift („Distal Pin“) das Schließen bewirken. Des Weiteren ist ohne Relevanz, dass die Hülse („Capsule) im Bereich der Aufnahme der Basis der Klemmenschenkel („Clip Arms“) mit Schlitzen versehen und es (auch) dort nicht zur Anlage der Klemmenschenkel („Clip Arms“) an die innere Oberfläche der Hülse („Capsule“) kommt. Der Anspruch erfordert weder eine solche Anlage, noch dass die Verriegelungshülse vollständig geschlossen sein muss. Schließlich führt es nicht aus dem Schutzbereich des geltend gemachten Anspruchs heraus, dass in dem Zeitpunkt, indem die Basis der Klemmenschenkel („Distal Pin“) in den rundumlaufenden, nicht geschlitzten Teil der Hülse („Capsule“/Ringsteg) gezogen werden, die beiden Schenkel im Klemmbereich bereits vollständig geschlossen sind. Die anspruchsgemäße Verriegelungshülse muss weder in einzelne Abschnitte (Verriegeln oder Schließen) eingeteilt sein, noch muss jeder Abschnitt der Verriegelungshülse an dem Schließvorgang beteiligt sein. Da auch der geschlitzte Teil mit dem feststehenden distalen Stift („Distal Pin“) Teil der Verriegelungshülse ist, kommt es nicht darauf an, ob auch der der Verriegelung dienende rundumlaufende Abschnitt der Verriegelungshülse beim Schließvorgang (noch) mitwirkt.
- Dass die Hülse („Capsule“) einen kausalen Beitrag zum Schließen Klemmenschenkel beim Ziehen derselben durch die Hülse („Capsule“) leisten, tritt ferner dadurch zutage, dass sie nicht weggelassen werden kann. Die Klemme bzw. die Klemmenschenkel („Clip Arms“) schließen sich nur, weil der distalen Stift („Distal Pin“) durch die Hülse („Capsule“) fixiert ist. Die Klemme schließt sich also aufgrund der Relativbewegung zwischen Hülse („Capsule“) und Klemme, welche mithin auch erforderlich zur späteren Verriegelung ist.
- Die Verwirklichung des Merkmals 5 wäre im Übrigen nicht anders zu beurteilen, wenn der distale Stift („Distal Pin“) als eigenes, nicht zur Verriegelungshülse gehörendes Bauteil verstanden werden müsste. Der Anspruch gibt, wie ausgeführt, nicht vor, dass die Verriegelungshülse selbst in (unmittelbaren) Kontakt zu den Klemmenschenkeln zwecks Schließen kommen muss. Es reicht aus, wenn beim Hindurchziehen der Schenkel durch die Verriegelungshülse ein Bauteil, das mit der Verriegelungshülse verbunden ist, einen kausalen Beitrag zum Schließen leistet. Auch dann wäre die Verriegelungshülse nicht hinwegzudenken, sondern erforderlich, damit die Klemmenschenkel der angegriffenen Ausführungsformen schließen (können).“
- Dem war nichts mehr hinzuzfügen.
- 3.
Aus der Verletzung des Klagepatentes ergeben sich nachfolgende Rechtsfolgen: - a)
Da die Beklagte das Klagepatent widerrechtlich benutzt hat, ist sie gemäß Art. 64 EPÜ, § 139 Abs. 1 PatG zur Unterlassung der Benutzungshandlungen verpflichtet. - b)
Die Beklagte trifft auch ein zumindest fahrlässiges Verschulden. Denn die Beklagte als Fachunternehmen hätte bei Anwendung der von ihr im Geschäftsverkehr zu fordernden Sorgfalt die Benutzung des Klagepatents erkennen und vermeiden können, § 276 BGB. Für die Zeit ab Erteilung des Klagepatents schuldet die Beklagte daher Ersatz des Schadens, welcher der Klägerin entstanden ist und noch entstehen wird, Art. 64 EPÜ, § 139 Abs. 2 PatG. Da die genaue Schadensersatzhöhe derzeit noch nicht feststehen, die Klägerin nämlich keine Kenntnis über den Umfang der Benutzungs- und Verletzungshandlungen durch die Beklagte hat, hat sie ein rechtliches Interesse gemäß § 256 ZPO daran, dass die Schadensersatzpflicht der Beklagten dem Grunde nach festgestellt wird. - c)
Um die Klägerin in die Lage zu versetzen, den ihr zustehenden Schadensersatz zu beziffern, ist die Beklagte verpflichtet, im zuerkannten Umfang über ihre Benutzungshandlungen Auskunft zu erteilen und Rechnung zu legen, § 140b PatG i.V.m. § 242 BGB. Nach der mittlerweile etablierten Rechtsprechung der Düsseldorf Kammern (vgl. LG Düsseldorf, Urteil v. 21. September 2017, Az. 4a O 18/16, Rz. 224, zitiert nach juris; Kühnen, Hdb. der Patentverletzung, 13. Auflage 2021, Kapitel D., Rn. 826) kann die Klägerin – nach ihrer Wahl – Auskunft und Rechnungslegung nur dann auch in elektronischer Form, d.h. neben der grundsätzlich schriftlichen geschuldeten Form, verlangen, soweit die entsprechenden Belege bei den Beklagten auch bereits elektronisch vorliegen. Die Klägerin hat demzufolge keinen Anspruch darauf, dass die Beklagte die bei ihr vorhandenen Dokumente in eine elektronische Form überführt. - d)
Die im Ausland ansässige Beklagte ist nach § 140a Abs. 3 PatG in der zuerkannten Weise auch zum Rückruf der das Klagepatent verletzenden Gegenstände sowie zu deren Entfernung aus den Vertriebswegen verpflichtet. - 4.
Mit Blick auf die von der Beklagten gegen die Klageschutzrechte eingewandten Entgegenhaltungen war eine Aussetzung des Rechtsstreits gemäß § 148 ZPO bis zu einer erstinstanzlichen Entscheidung in dem Einspruchsverfahren nicht geboten. - a)
Nach Auffassung der Kammern (Mitt. 1988, 91 – Nickel-Chrom-Legierung, BlPMZ 1995, 121 – Hepatitis-C-Virus), die durch das Oberlandesgericht Düsseldorf (GRUR 1979, 188 – Flachdachabläufe; Mitt. 1997, 257, 258 – Steinknacker) und den Bundesgerichtshof (GRUR 1987, 284 – Transportfahrzeug; GRUR 2014, 1237 ff. – Kurznachrichten) bestätigt wurde, stellen ein Einspruch gegen das Klagepatent oder die Erhebung der Nichtigkeitsklage als solche noch keinen Grund dar, den Verletzungsrechtsstreit auszusetzen, da dies faktisch darauf hinauslaufen würde, dem Angriff auf das Klagepatent eine den Patentschutz hemmende Wirkung beizumessen, die dem Gesetz fremd ist (§ 58 Abs. 1 PatG). Die Interessen der Parteien sind vielmehr gegeneinander abzuwägen. - Wenn das Klagepatent mit einem Einspruch oder mit einer Patentnichtigkeitsklage angegriffen ist, verurteilt das Verletzungsgericht, wenn es eine Verletzung des in Kraft stehenden Patents bejaht, grundsätzlich nur dann wegen Patentverletzung, wenn es eine Nichtigerklärung nicht für (hinreichend) wahrscheinlich hält; andernfalls hat es die Verhandlung des Rechtsstreits nach § 148 ZPO auszusetzen, bis jedenfalls erstinstanzlich über die Nichtigkeitsklage entschieden ist (BGH, GRUR 2014 1238 – Kurznachrichten). Denn eine – vorläufig vollstreckbare – Verpflichtung des Beklagten zur Unterlassung, Auskunftserteilung, Rechnungslegung, zum Rückruf sowie zur Vernichtung patentgemäßer Erzeugnisse ist regelmäßig nicht zu rechtfertigen, wenn mit hinreichender Wahrscheinlichkeit zu erwarten steht, dass dieser Verurteilung durch die Nichtigerklärung des Klagepatents die Grundlage entzogen werden wird. Der aus dem Rechtsstaatsprinzip (Art. 20 Abs. 3 GG) in Verbindung mit den Grundrechten folgende und damit verfassungsrechtlich verbürgte Justizgewährungsanspruch gebietet es, dem Verletzungsbeklagten wirkungsvollen Rechtsschutz zur Verfügung zu stellen, wenn er sich gegen den Angriff aus dem Klagepatent mit einem Gegenangriff auf den Rechtsbestand dieses Patents zur Wehr setzen will. Dies erfordert nicht nur eine effektive Möglichkeit, diesen Angriff selbst durch eine Klage auf Nichtigerklärung bzw. durch Erhebung eines Einspruchs führen zu können, sondern auch eine angemessene Berücksichtigung des Umstands, dass in diesem Angriff auch ein – und gegebenenfalls das einzige – Verteidigungsmittel gegen die Inanspruchnahme aus dem Patent liegen kann. Wegen der gesetzlichen Regelung, die für die Ansprüche nach §§ 139 ff. PatG lediglich ein in Kraft stehendes Patent verlangt und für die Beseitigung dieser Rechtsposition nur die in die ausschließliche Zuständigkeit des Patentgerichts fallende Nichtigkeitsklage zur Verfügung stellt, kann der Angriff gegen das Klagepatent anders als in anderen Rechtsordnungen nicht als Einwand im Verletzungsverfahren oder durch Erhebung einer Widerklage auf Nichtigerklärung geführt werden. Dies darf indessen nicht dazu führen, dass diesem Angriff jede Auswirkung auf das Verletzungsverfahren versagt wird. Die Aussetzung des Verletzungsstreits ist vielmehr grundsätzlich, aber auch nur dann geboten, wenn mit hinreichender Wahrscheinlichkeit zu erwarten ist, dass das Klagepatent dem erhobenen Einspruch/der anhängigen Nichtigkeitsklage nicht standhalten wird (BGH, GRUR 2014 1238 – Kurznachrichten).
- Wurde das Klagepatent bereits in einem Einspruchs- oder Nichtigkeitsverfahren bestätigt, so hat das Verletzungsgericht grundsätzlich die von der zuständigen Fachinstanz (DPMA, EPA, BPatG) nach technisch sachkundiger Prüfung getroffene Entscheidung über die Aufrechterhaltung des Klagepatents hinzunehmen (so zuletzt zum Vorbescheid: OLG Düsseldorf, Urt. v. 4. März 2021, Az. I-2 U 25/20, GRUR-RS 2021, 4420).
- b)
Ausgehend von diesen Grundsätzen war eine Aussetzung des Rechtsstreits bis zu einer erstinstanzlichen Entscheidung im Einspruchsverfahren nicht angezeigt. - 1)
Die Einspruchsabteilung des europäischen Patentamtes hat in mittlerweile zwei Bescheiden, zuletzt am 3. Februar 2021, mitgeteilt, dass es das Klagepatent – in der hier geltend gemachten Fassung – derzeit für neu und damit rechtsbeständig hält. Wenngleich die Bescheide nur vorläufigen und keinen bindenden Charakter haben und die endgültige Entscheidung der Einspruchsabteilung nicht vorwegnehmen, so handelt es sich jedoch um gewichtige Stellungnahmen einer fachkundig besetzten und zur Entscheidung über den Rechtsbestand berufenen Instanz, die vom Verletzungsgericht zu beachten sind. - Daher hat auch das OLG Düsseldorf – ebenso wie die hiesige Kammer – von einer Aussetzung des parallelen Verletzungsverfahrens gegen die deutsche Vertriebsgesellschaft der Beklagten abgesehen, da die dortigen Beklagten – ebenso wie die hiesige Beklagte – nicht aufzuzeigen vermochten, wieso die vorläufig geäußerte Auffassung der Einspruchsabteilung fehlerhaft sein sollte. Die Kammer schließt sich den Ausführungen des OLG Düsseldorf auch insoweit ausdrücklich an.
- 2)
Die Kammer vermochte zudem nicht festzustellen, dass die klagepatentgemäße Lehre von der Schrift JP 62-070010 (vorgelegt als Anlage HRM 15, in deutscher Übersetzung als Anlage HRM 15a, im Nichtigkeitsverfahren als G 3 bezeichnet; im Folgenden: G 3) neuheitsschädlich vorweggenommen ist. - i)
Eine Entgegenhaltung ist dann neuheitsschädlich, wenn sich die gesamte als Er-findung beanspruchte Lehre des Klagepatents aus dieser Schrift, deren Gesamtinhalt zu ermitteln ist, für den Fachmann am Prioritätstag in einer Weise ergibt, dass ihm die dort vorgestellte technische Lösung unmittelbar und eindeutig sämtliche Merkmale der Erfindung offenbart. Dabei beschränkt sich die technische Lehre der Patentschriften nicht auf den Inhalt der Ansprüche, sondern schließt die gesamte technische Information ein, die ein Durchschnittsfachmann Ansprüchen, Beschreibung und Abbildungen entnehmen kann (vgl. BGH GRUR 2009, 382, 384 – Olan-zapin). - Voraussetzung der Zugehörigkeit einer Entgegenhaltung (einer Schrift oder eines anderen Dokuments) zum berücksichtigungsfähigen Stand der Technik ist, dass sie irgendwo auf der Welt in irgendeiner Weise der Öffentlichkeit vor dem Anmelde- bzw. Prioritätstag zugänglich gemacht worden ist (vgl. Moufang in Schulte, Kommentar zum PatG, 10. Auflage 2017, § 3, Rn. 14). Öffentlich zugänglich ist ein Dokument, wenn ein unbegrenzter Personenkreis die Möglichkeit zur Kenntnisnahme hat oder hatte, ohne dass Einschränkungen durch Geheimhaltungspflichten bestanden (vgl. Moufang/Schulte, a.a.O., § 3, Rn 23ff. m.w.N.). Die Darlegungs- und Beweislast für eine solche öffentliche Zugänglichkeit obliegt dem Patentverletzer.
- ii)
Die G 3 offenbart eine medizinische Vorrichtung zum Bewirken von Hämostase eines Blutgefäßes, wie sie nachfolgend wiedergegebener Figur 1 der G3 entnommen werden kann: - Wie auch das OLG Düsseldorf in seinem Berufungsurteil auf den Seiten 41ff. bereits zutreffend ausgeführt hat, ist die G 3 von der Einspruchsabteilung in ihrem letzten Bescheid vom 3. Februar 2021 unter Ziff. 26.14 gewürdigt worden, wobei das EPA dort auf seine Ausführungen zur Entgegenhaltung EP‘XXX (= E 3) verwiesen hat. Danach fehlt es der G 3 (wie auch der E 3) jedenfalls an einer hinreichend unmittelbaren und eindeutigen Offenbarung der Merkmale des Steuerdrahtes und des Halters.
- Die Beklagte hat auch mit der Duplik nicht aufzuzeigen vermocht, wieso die vorläufige Ansicht der Einspruchsabteilung insoweit fehlerhaft sein sollte, was letztlich auch so vom OLG Düsseldorf nicht festgestellt werden konnte.
- 3)
Gleiches gilt schließlich auch mit Blick auf die seitens der Beklagten mit der Duplik nochmals aufgegriffenen Entgegenhaltungen JP‘XXX (= M 1) und DE‘XXX (= E 1), welche von der Einspruchsabteilung bereits in ihrem ersten Bescheid vom 3. Januar 2020 (dort unter Ziff. 14.13 und 14.2) als der Lehre des Klagepatents nicht neuheitsschädlich entgegenstehend gewürdigt wurden. Auch insoweit vermochte die Kammer – wie auch das OLG Düsseldorf – mangels hinreichenden Vortrags nicht zu erkennen, dass die vorläufige Auffassung der Einspruchsabteilung keinen Bestand haben wird. -
II.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 91 Abs. 1 ZPO. - Der Ausspruch zur vorläufigen Vollstreckbarkeit beruht auf § 709 ZPO.