Düsseldorfer Entscheidungen Nr. 3114
Landgericht Düsseldorf
Urteil vom 17. Juni 2021, Az. 4c O 89/18
- I. Die Beklagten werden verurteilt,
1. es bei Meidung eines für jeden Fall der Zuwiderhandlung vom Gericht festzusetzenden Ordnungsgeldes bis zu EUR 250.000 – ersatzweise Ordnungshaft – oder einer Ordnungshaft bis zu sechs Monaten, im Fall wiederholter Zuwiderhandlung bis zu insgesamt zwei Jahren, wobei die Ordnungshaft an dem gesetzlichen Vertreter der Beklagten zu 1), Herrn Daniel Kuhn, sowie dem gesetzlichen Vertreter der Beklagten zu 2), Herrn Liang Jin, zu vollziehen ist, zu unterlassen,
- medizinische Vorrichtungen zum Bewirken der Hämostase eines Blutge-fäßes zur Verwendung durch ein Endoskop
- in der Bundesrepublik Deutschland anzubieten, in Verkehr zur bringen oder zu gebrauchen oder zu den genannten Zwecken entweder einzufüh-ren oder zu besitzen,
- wobei die medizinische Vorrichtung aufweist: eine Klemme, wobei die Klemme mindestens zwei Klemmenschenkel aufweist; einen Steuerdraht, wobei der Steuerdraht mit der Klemme gekoppelt ist; eine nachgiebige Verbindung, welche den Steuerdraht mit der Klemme koppelt; eine axial steife Hülle, die den Steuerdraht umhüllt, wobei die Hülle im Stande ist, eine erste Kraft zu übertragen, die einer zweiten Kraft des Steuerdrahts entgegenwirkt; einen Handgriff, der mit der axial steifen Hülle gekoppelt ist; und ein mit dem Steuerdraht gekoppeltes Bedienteil, wobei der Steu-erdraht durch das Bedienteil in Eingriff nehmbar ist, um die mindestens zwei Klemmenschenkel zu öffnen, die mindestens zwei Klemmenschen-kel zu schließen, und den Steuerdraht von der Klemme abzukoppeln; wobei der Steuerdraht reversibel betätigbar ist, um sowohl die mindes-tens zwei Klemmenschenkel zu öffnen als auch um die mindestens zwei Klemmenschenkel zu schließen; wobei die nachgiebige Verbindung dazu vorgesehen ist, durch eine erste vorgegebene Zugkraft, welche vom Steuerdraht ausgeübt wird, zerbrochen zu werden, wobei, wenn die nachgiebige Verbindung zerbrochen wird, der Steuerdraht von der Klemme abgekoppelt wird;
- 2. der Klägerin in einer vollständigen und geordneten Aufstellung – soweit entsprechende Dateien bei der Beklagten vorhanden sind auch in elekt-ronischer Form – darüber Auskunft zu erteilen, in welchem Umfang sie die zu Ziff. I.1. bezeichneten Handlungen seit dem 6. Juni 2018 began-gen haben, und zwar unter Angabe
- a) der Namen und Anschriften der Hersteller, Lieferanten und anderer Vorbesitzer,
b) der Namen und Anschriften der gewerblichen Abnehmer und Ver-kaufsstellen, für welche die Erzeugnisse bestimmt waren,
c) der Menge der hergestellten, ausgelieferten, erhaltenen oder bestell-ten Erzeugnisse sowie über die Preise, die für die betreffenden Er-zeugnisse bezahlt wurden,
wobei zum Nachweis der Angaben die entsprechenden Kaufbelege (nämlich Rechnungen, hilfsweise Lieferscheine) in Kopie vorzulegen sind, und - wobei geheimhaltungsbedürftige Details außerhalb der auskunftspflichti-gen Daten geschwärzt werden dürfen;
- 3. der Klägerin durch ein vollständiges und geordnetes Verzeichnis – soweit entsprechende Dateien bei der Beklagten vorhanden sind auch in elekt-ronischer Form – darüber Rechnung zu legen, in welchem Umfang sie (die Beklagten) die zu Ziff. I.1. bezeichneten Handlungen seit dem 6. Juli 2018 begangen haben, und zwar unter Angabe
- a) der einzelnen Lieferungen, aufgeschlüsselt nach Liefermengen, -zeiten, -preisen und Typenbezeichnungen sowie den Namen und Anschriften der Abnehmer,
b) der einzelnen Angebote, aufgeschlüsselt nach Angebotsmengen, -zeiten, -preisen sowie den Namen und Anschriften der Angebots-empfänger,
c) der betriebenen Werbung, aufgeschlüsselt nach Werbeträgern, deren Auflagenhöhe, Verbreitungszeitraum und Verbreitungsgebiet, im Fal-le von Internet-Werbung der Domain, den Zugriffszahlen und der Schaltungszeiträume, und bei direkter Werbung, wie Rundbriefen, den Namen und Anschriften der Empfänger,
d) der nach den einzelnen Kostenfaktoren aufgeschlüsselten Geste-hungskosten und des erzielten Gewinns,
wobei den Beklagten vorbehalten bleibt, die Namen und Anschriften ihrer nicht gewerblichen Abnehmer sowie der Angebotsempfänger statt der Klägerin einem von dieser zu bezeichnenden, ihr gegenüber zur Ver-schwiegenheit verpflichteten, vereidigten Wirtschaftsprüfer mit Sitz in der Bundesrepublik Deutschland mitzuteilen, sofern die Beklagten dessen Kosten tragen und ihn berechtigen und verpflichten, der Klägerin auf konkrete Anfrage mitzuteilen, ob ein bestimmter nicht gewerblicher Ab-nehmer oder Angebotsempfänger in der Rechnung enthalten ist. - II. Es wird festgestellt, dass die Beklagten verpflichtet sind, der Klägerin allen Schaden zu ersetzen, der ihr durch die zu Ziff. I.1. bezeichneten Handlun-gen seit dem 6. Juli 2018 entstanden ist und noch entstehen wird.
- III. Die Beklagten werden verurteilt, die oben unter Ziff. I.1. fallenden, nach dem 6. Juni 2018 in den Besitz gewerblicher Dritter gelangten medizinischen Vor-richtungen aus den Vertriebswegen zurückzurufen, indem diejenigen Dritten, denen durch die Beklagten oder mit deren Zustimmung Besitz an den unter Ziff. I.1. fallenden medizinischen Vorrichtungen eingeräumt wurde, ernsthaft aufgefordert werden, die medizinischen Vorrichtungen an sie zurückzugeben und für den Fall der Rückgabe der medizinischen Vorrichtungen eine Rück-zahlung des gegebenenfalls bereits gezahlten Kaufpreises und die Über-nahme der Kosten der Rückgabe zugesagt wird.
- IV. Die Beklagten werden verurteilt, die in der Bundesrepublik Deutschland in ih-rem unmittelbaren oder mittelbaren Besitz und/oder Eigentum befindlichen, oben unter Ziff. I.1. fallenden medizinischen Vorrichtungen auf eigene Kos-ten zu vernichten oder nach ihrer Wahl an einen von der Klägerin zu benen-nenden Gerichtsvollzieher zum Zwecke der Vernichtung auf ihre – der Be-klagten – Kosten herauszugeben.
- V. Die Kosten des Rechtsstreits werden den Beklagten auferlegt.
- VI. Das Urteil ist im Hinblick auf die Ziffern I.1., III. und IV. gegen Sicherheits-leistung in Höhe von EUR 700.000,-, im Hinblick auf die Ziffern I.2. und I.3. gegen Sicherheitsleistung in Höhe von EUR 100.000,- und im Hinblick auf die Kosten gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 120% des jeweils zu voll-streckenden Betrages vorläufig vollstreckbar.
- VII. Der Streitwert wird auf EUR 1.000.000,- festgesetzt.
- Tatbestand
- Die Klägerin macht – als eingetragene und allein verfügungsberechtigte Inhaberin – Ansprüche auf Unterlassung, Auskunft und Rechnungslegung, Rückruf und Vernich-tung sowie Feststellung der Schadensersatzpflicht dem Grunde nach wegen Verlet-zung des deutschen Teils des europäischen Patents EP 1 328 XXX B1 (DE 602.49.XXX.6, vorgelegt als Anlage KAP I 1a, in deutscher Übersetzung vorge-legt als Anlage KAP I 1b; im Folgenden: Klagepatent) geltend, das unter Inanspruch-nahme einer US-amerikanischen Priorität vom 5. Oktober 2001 (US 971488) am 20. September 2002 angemeldet und als Anmeldung am 23. Juli 2003 offengelegt wurde. Der Hinweis auf die Erteilung des Klagepatents wurde am 6. Juni 2018 bekanntge-macht.
- Das Klagepatent steht in der Bundesrepublik Deutschland in Kraft. Es wurde von der Beklagten zu 1) mittels Einspruchs vom 6. März 2019 (Anlagenkonvolut B 2) angegrif-fen, über den noch nicht entschieden ist. Das Europäische Patentamt hat Termin zur mündlichen Verhandlung über den Einspruch der Beklagten zu 1) und ihrer dem Ein-spruch gegen das Klagepatent zwischenzeitlich beigetretenen Muttergesellschaft auf den 7. Dezember 2021 bestimmt und den Parteien mit der Ladung vom 21. Januar 2021 seine vorläufige Einschätzung übermittelt. Wegen deren Inhalt wird auf die Anla-gen KAP I 33/33a Bezug genommen.
- Das Klagepatent betrifft eine Vorrichtung und ein Verfahren für endoskopische hä-mostatische Klemmen. Der Anspruch 1 des – in englischer Sprache angemeldeten und erteilten – Klagepatents lautet:
- „1. A medical device for causing the hemostasis of a blood vessel for use through an endoscope, said medical device comprising:
a clip (2101), the clip having at least two clip legs (1801);
a control wire (1006; 1803; 2104), the control wire (1006; 1803; 2104) being coupled to the clip;
a frangible link (1005; 1804; 2105) coupling the control wire (1006; 1803; 2104) to the clip;
an axially rigid sheath (1806; 2103) enclosing the control wire, the sheath able to communicate a first force opposing a second force of the control wire;
a handle coupled to the axially rigid sheath; and an actuator coupled to the con-trol wire, the control wire engageable by the actuator to open the at least two clip legs, to close the at least two clip legs, and to uncouple the control wire from the clip;
characterized in that
the control wire (1006; 1803; 2104) is reversibly operable both to open the at least two clip legs and to close the at least two clip legs;
the frangible link (1005; 1804; 2105) is adapted to be broken by a first predeter-mined tensile force applied by the control wire (1006; 1803; 2104), wherein when the frangible link (1005 1804; 2105) is broken, the control wire (1006 1803; 2104) uncouples from the clip.” - Übersetzt lautet der Anspruch 1:
- „1. Medizinische Vorrichtung zum Bewirken der Hämostase eines Blutgefäßes zur Verwendung durch ein Endoskop, wobei die medizinische Vorrichtung auf-weist:
eine Klemme (2101), wobei die Klemme mindestens zwei Klemmenschenkel (1801) aufweist;
einen Steuerdraht (1006; 1803; 2104), wobei der Steuerdraht (1006; 1803; 2104) mit der Klemme gekoppelt ist;
eine nachgiebige Verbindung (1005; 1804; 2105), welche den Steuerdraht (1006; 1803; 2104) mit der Klemme koppelt;
eine axial steife Hülle (1806; 2103), die den Steuerdraht umhüllt, wobei die Hülle imstande ist, eine erste Kraft zu übertragen, die einer zweiten Kraft des Steuer-drahts entgegenwirkt;
einen Handgriff, der mit der axial steifen Hülle gekoppelt ist; und
ein mit dem Steuerdraht gekoppeltes Bedienteil, wobei der Steuerdraht durch das Bedienten in Eingriff nehmbar ist, um die mindestens zwei Klemmenschen-kel zu öffnen, die mindestens zwei Klemmenschenkel zu schließen, und den Steuerdraht von der Klemme abzukoppeln;
dadurch gekennzeichnet, dass
der Steuerdraht (1006; 1803; 2104) reversibel betätigbar ist, um sowohl die min-destens zwei Klemmenschenkel zu öffnen als auch um die mindestens zwei Klemmenschenkel zu schließen;
die nachgiebige Verbindung (1005; 1804; 2105) dazu vorgesehen ist, durch eine erste vorgegebene Zugkraft, welche vom Steuerdraht (1006; 1803; 2104) aus-geübt wird, zerbrochen zu werden, wobei, wenn die nachgiebige Verbindung (1005; 1804; 2105) zerbrochen wird, der Steuerdraht (1006; 1803; 2104) von der Klemme abgekoppelt wird.“ - Die nachstehend verkleinert wiedergegebene Figur 21 ist der Klagepatentschrift ent-nommen und erläutert deren technische Lehre anhand eines bevorzugten Ausfüh-rungsbeispiels:
- Figur 21 zeigt eine vergrößerte Teilansicht des distalen Endes einer nach der Lehre des Klagepatents ausgestalteten Vorrichtung. Nachfolgend wiedergegeben ist die Fi-gur 21 mit seitens der Klägerin versehenen Einfärbungen und Erläuterungen (vgl. An-lage KAP I 4):
- Die Klägerin gehört zur US-amerikanischen Boston Scientific Gruppe, die schwer-punktmäßig auf dem Gebiet der Entwicklung, der Herstellung und des Vertriebs von Medizinprodukten tätig ist, insbesondere auch im Bereich der Endoskopie.
- Nach eigener Darstellung auf ihrer Internetseite handelt es sich bei der Beklagten zu 1) um die deutsche Vertriebsgesellschaft der A-Gruppe, die im Jahr 2000 als An-bieter von Stents und endoskopischem Zubehör in China gegründet wurde und deren Produkte in C entwickelt und produziert werden. Bei der Beklagten zu 2) handelt es sich um die EU-Repräsentantin der A-Gruppe.
- Die Klägerin hat im Wege eines Testkaufs mehrere Gewebeklemmen des Modells B erworben. Ausweislich des Aufdrucks auf der Verpackung wurden die Klemmen von der A (C) Co. Ltd. hergestellt, wobei als Inhaberin der CE-Kennzeichnung die Beklag-te zu 2) angegeben ist (vgl. Anlage KAP I 5/1). Im Impressum des deutschen Inter-netauftritts der A-Gruppe wird die Beklagte zu 1) zudem als Verantwortliche benannt (vgl. Anlage KAP I 6). Über die Internetseite ist auch die als Anlage KAP I 7 zur Akte gereichte Produktbroschüre zu den unter der Produktebezeichnung D angebotenen Klemmen abrufbar (im Folgenden: angegriffene Ausführungsformen), wobei sich dort auf Seite 3 die gleiche Referenzbezeichnung findet, wie sie auch auf der Verpackung der seitens der Klägerin erworbenen Klemmen B zu finden ist („E“). Auf der letzten Seite der Broschüre findet sich zudem sowohl ein Hinweis auf die Herstellerin A C wie auch auf die Beklagte zu 1).
- Der Aufbau der angegriffenen Ausführungsformen ist anhand der nachfolgend wieder-gegebenen, seitens der Klägerin erstellten und als Anlage KAP I 9 zur Akte gereichten Explosionszeichnung ersichtlich:
- Die Klägerin meint, die angegriffenen Ausführungsformen machten von der techni-schen Lehre des Klagepatents wortsinngemäß Gebrauch.
- Der Fachmann könne dem Klagepatent weder einen Hinweis darauf entnehmen, dass die Klemme eine bauliche Einheit darstellen, noch dass eine Vorspannung anliegen müsse. Auch in den angegriffenen Ausführungsformen seien zwei Klemmarme vor-handen, die über einen Pin (Proximal Pin) als bauliche Einheit miteinander verbunden seien. Im Übrigen sei ein zusätzlicher Distal Pin vorhanden, der sicherstelle, dass die Klemmarme nicht ohne Krafteinwirkung zusammengedrückt werden könnten, was einer Vorspannung entspreche.
Soweit der Anspruch 1 eine axial steife Hülle fordere, könne diese auch teilweise fle-xibel ausgestaltet sein, solange sie jedenfalls der Druck-/Zugkraft des Steuerdrahts standhalte, was auch bei einer Hülle aus gewickeltem Draht der Fall sei. Eine ent-sprechende Flexibilität sei auch vor dem Hintergrund des Einsatzgebietes im mensch-lichen Körper geboten.
Das Klagepatent setze ferner nicht zwingend ein vollständiges Zerbrechen der J-Haken voraus, sondern es sei – auch unter Berücksichtigung technisch-funktionaler Gesichtspunkte – ausreichend, wenn die Haken nur anbrechen würden und dies (mit-)ursächlich für das Lösen vom Steuerdraht sei. Der Fachmann sei zudem bemüht, ein vollständiges Zerbrechen zu verhindern, da anderenfalls Teile im Körper des Patien-ten verblieben, die dort nicht gewollt seien. Die Untersuchungen der Klägerin, insbe-sondere der als Anlage KAP I 29/29a zur Akte gereichte Testbericht des Unterneh-mens Exponent, hätten gezeigt, dass regelmäßig mindestens einer der beiden J-Haken zer- und/oder anbrechen würde, wobei es ausreichend sei, dass die Haken mit einer gewissen Regelmäßigkeit zerstört würden. Soweit sich die Beklagten auf eigene Untersuchungen stützten, sei der Prüfaufbau nicht nachvollziehbar und entspreche auch nicht den Bedingungen im realen Einsatz. - Ferner ist die Klägerin der Auffassung, das Klagepatent werde sich in der Entschei-dung über den Einspruch der Beklagten zu 1) und ihrer Muttergesellschaft als rechts-beständig erweisen.
- Die Klägerin beantragt,
- wie erkannt.
- Die Beklagten beantragen,
- die Klage abzuweisen;
- hilfsweise
das Verfahren bis zur rechtskräftigen Entscheidung über die gegen das Klagepa-tent erhobenen Einsprüche auszusetzen. - Die Beklagten meinen, die angegriffenen Ausführungsformen verwirklichten die tech-nische Lehre des Klagepatents nicht.
- Soweit das Klagepatent eine Klemme (im Englischen „Clip“) voraussetze, seien unter einer Klemme nur solche Vorrichtungen zu verstehen, die (feder-)vorgespannt seien. Die erforderliche Vorspannung könne sich dabei aus der Formgebung der Klemme oder durch den Einsatz eines oder mehrerer Federelemente ergeben, wobei der Fachmann auf Grund seines Fachwissens und der Ausführungsbeispiele im Klagepa-tent die Vorspannung als wesentlich für die Funktionalität erkenne. Die angegriffenen Ausführungsformen würden demgegenüber keine Klemme/Clip im Sinne des Klagepa-tents aufweisen, da sie nur über zwei voneinander unabhängige Klemmarme verfüg-ten, die zudem nicht federvorgespannt seien. Jeder der Klemmarme würde über eine eigene Kulissenführung verfügen, die für die Bewegung der Arme sorge.
Darüber hinaus müsse eine erfindungsgemäße Klemme über ein Bauteil verfügen, welches durch seine Ausgestaltung und/oder materielle Zusammensetzung spezifisch dazu ausgestaltet sei, bei einer vorgegebenen Zugkraft zu zerbrechen. Vor dem Hin-tergrund der konkreten Vorgaben im Klagepatent sei es nicht ausreichend, wenn die Trennung der Klemme vom Rest der Vorrichtung nur durch eine Verformung von Bau-teilen oder einen Anbruch erfolge, vielmehr müssten der oder die J-Haken in mindes-tens zwei Teile zerlegt werden. Soweit der Sachverständige in seinem Gutachten auf die Figuren des Klagepatents Bezug nehme, habe er verkannt, dass nicht alle gezeig-ten bzw. beschriebenen Ausführungsbeispiele erfindungsgemäß seien, da die Be-schreibung in Absatz [0046] einige Beispiele explizit als nicht erfindungsgemäß be-zeichne. Alle erfindungsgemäßen Ausführungsbeispiele würden demgegenüber ein Zerbrechen im eigentlichen Sinne, insbesondere an einer Sollbruchstelle, zeigen. Bei den angegriffenen Ausführungsformen fehle es an einem Bauteil, welches bestim-mungsgemäß zerbreche, da sich die J-Haken konstruktionsbedingt nur verbiegen würden. Die Klägerin habe ein vermeintliches Zerbrechen der J-Haken zunächst nur an einem einzigen Beispiel zu belegen versucht, wobei es bereits an substantiiertem Vortrag fehle, ob es sich bei der untersuchten Klemme um eine in der Bundesrepublik Deutschland erhältliche Klemme handele. Auch die weiteren Untersuchungen der Klä-gerin in Anlage KAP I 29 seien untauglich, da die Klägerin die Klemmen bearbeitet habe, bevor sie sie zur mikroskopischen Untersuchung durch ein externes Unterneh-men geschickt habe. Demgegenüber hätten Untersuchungen der Beklagten ergeben (Anlage B 5), dass bei keiner einzigen der 60 getesteten Klemmen die J-Haken zer-brochen seien und nur ganz ausnahmsweise einer der beiden Haken abgerissen sei, wohingegen der andere sich nur verbogen habe.
Schließlich müsse eine erfindungsgemäße Klemme über eine axial steife Hülle verfü-gen, mithin über eine Hülle, die sich weder zusammendrücken noch auseinanderzie-hen lasse, was bei den angegriffenen Ausführungsformen nicht der Fall sei, da die den Steuerdraht umgebende Hülle nur aus gewickeltem Draht bestehe, der nicht axial steif im Sinne des Klagepatents sei. - Die Beklagten meinen ferner, die Klägerin könne Auskunft und Rechnungslegung in elektronischer Form nicht verlangen, wenn sich der Aufwand der Beklagten dadurch erhöhe.
- Die Beklagten sind der Auffassung, das Klagepatent werde sich in der Entscheidung über den beim Europäischen Patentamt anhängigen Einspruch als nicht rechtsbe-ständig erweisen. Insbesondere sei die von ihm beanspruchte technische Lehre nicht neu, habe für den Fachmann aber jedenfalls nahegelegen.
- Das Gericht hat mittels Beweisbeschluss vom 16. Januar 2020 (Bl. 195ff. d.A.) Be-weis erhoben durch Einholung eines schriftlichen Gutachtens durch den Sachverstän-digen Prof. Dr.-Ing. F sowie durch auf Antrag der Beklagten erfolgten Anhörung des Sachverständigen in der mündlichen Verhandlung vom 27. April 2021. Wegen des Inhalts des Gutachtens sowie den Ausführungen des Sachverständigen in seiner An-hörung wird Bezug genommen auf das Gutachten vom 7. August 2020 (Bl. 278ff. d.A.) sowie auf das Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 27. April 2021 (Bl. 543ff. d.A.). Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird dar-über hinaus auf die zwischen den Parteien gewechselten Schriftsätze sowie auf die zu den Akten gereichten Unterlagen ergänzend Bezug genommen.
- Entscheidungsgründe
- Die zulässige Klage hat auch in der Sache Erfolg.
- I.
Die Klage ist begründet, da die angegriffenen Ausführungsformen von der Lehre des Klagepatents Gebrauch machen und der Klägerin daher die geltend gemachten An-sprüche auf Unterlassung, Auskunft und Rechnungslegung, Rückruf und Vernichtung sowie Feststellung der Schadenersatzpflicht dem Grunde nach gemäß den §§ 139ff. PatG zustehen. -
1.
Das Klagepatent betrifft Kompressionsclips bzw. -klemmen und insbesondere Kom-pressionsklemmen, die dazu dienen, Hämostase von Blutgefäßen entlang des Magen-Darm-Trakts zu bewirken, und die durch ein Endoskop hindurch zu einer Zielstelle abgegeben werden. - Wie das Klagepatent einleitend ausführt (Absätze [0002]f.), stellen Magen-Darm-Blutungen (Gastrointestinal-Blutungen) eine erhebliche Gefahr für Patienten dar, wo-bei die Behandlung einer solchen Blutung äußerst zeitkritisch ist. Insoweit sind solch innere Blutungen auch das gefährlichste Anwendungsgebiet, mit der sich ein Gastro-enterologe beschäftigen muss. Der Arzt kann eine solche Blutung chirurgisch oder endoskopisch diagnostizieren und behandeln, wobei die Chirurgie höhere Kosten ver-ursacht und eine höhere Morbiditäts- und Sterblichkeitsrate zur Folge hat. Daher sei-en endoskopische Behandlungen – soweit möglich – der Vorzug zu gewähren.
- Aus dem Stand der Technik waren zum Prioritätszeitpunkt, wie das Klagepatent wei-ter einleitend in dem Absatz [0004] darstellt, dem Endoskopiker zwei gängige Behand-lungsmöglichkeiten sowie einige seltener angewandte Therapien bekannt.
- Bei der Thermotherapie wird ein Katheter mit einer steifen Heizelementspitze durch den Arbeitskanal eines Endoskops geführt, nachdem die Blutung visualisiert und diag-nostiziert worden ist. Nach Austritt der steifen Katheterspitze aus dem Endoskop wird das Endoskop so manipuliert, dass die Spitze gegen die Blutungsstelle drückt. Dann wird Wärme ausgeübt, entweder über ein Widerstandselement in der Spitze oder durch Einwirkung von HF-Energie über das Gewebe, wodurch das Gewebe ausge-trocknet und kauterisiert wird. Die Kombination aus der Spitze, die das Gewe-be/Gefäß zusammendrückt, und der Einwirkung von Wärme schweißt theoretisch das Gefäß zu (Absatz [0005]). Obwohl Thermobehandlung zur Blutstillung recht erfolg-reich ist, muss oft mehr als ein Versuch unternommen werden und häufig treten Nachblutungen auf. Von Nachteil ist ferner, dass beide Arten der Thermotherapie ei-nen spezialisierten Energieerzeuger erfordern und die Ausrüstung teuer sein kann (Absatz [0006]).
- Bei der zweiten gängigen Therapie – der Injektionstherapie – wird nach Visualisierung und Diagnose der Blutung ein Katheter mit einer distal ausfahrbaren Injektionsnadel durch den Arbeitskanal des Endoskops geführt. Sobald die Katheterspitze das Endo-skop verlassen hat, wird das Endoskop zur Blutungsstelle manipuliert, die Nadel wird ferngesteuert ausgefahren und in die Blutungsstelle eingeführt. Anschließend wird ein vasokonstriktives (gefäßverengendes) oder sklerosierendes (Gewebeverhärtung be-wirkendes) Medikament über die Nadel injiziert. Oft sind zahlreiche Injektionen in und um die Blutungsstelle nötig, bis es zur Blutstillung kommt (Absatz [0007]). Eine Kom-bination der Thermo- und Injektionstherapie ist möglich und wird in einigen Regionen der Welt, wie den USA, eingesetzt, vgl. Absatz [0008].
- Wie das Klagepatent in Absatz [0009] weiter ausführt, liegt die primäre Erfolgsrate der endoskopischen Behandlung bei etwa 90 %, wobei die Nachblutungsrate für endosko-pisch behandelte aktive Blutungen und ein sichtbares Gefäß 10 bis 30 % beträgt. Trotz Einführung neuer Behandlungen und Vorrichtungen seien diese Quoten seit Jahrzehnten nicht deutlich besser geworden. In der Chirurgie beträgt der Kurz- und Langzeiterfolg für permanente Hämostase praktisch 100 %. Chirurgisch liegt die Er-folgsrate höher, da die Blutungsstelle mechanisch zusammengedrückt wird, was eine bessere Hämostase bewirkt. Mit Hilfe solcher Vorrichtungen wie Klemmen, Clips, Klammern, Nahtmaterialien (d. h. Vorrichtungen, die ausreichende konstriktive Kräfte auf Blutgefäße ausüben können, um den Blutfluss zu begrenzen oder zu unterbre-chen) wird das blutende Gefäß ligiert, oder das Gewebe um die Blutungsstelle wird zusammengedrückt, was alle umliegenden Gefäße unterbindet (Absatz [0010]).
- Dem Fachmann war zum Prioritätszeitpunkt – wie das Klagepatent in Absatz [0011] ausführt – auch bereits eine Vorrichtung bekannt, die die Vorteile der Chirurgie mit einer weniger invasiven endoskopischen Prozedur vereint, nämlich der G. Mit dieser Vorrichtung wird das blutende Gefäß zusammengerückt, um die Blutung zu stillen. Problematisch ist bei dieser Vorrichtung, dass sie nach Beginn des Backenverschlus-ses nicht wieder geöffnet werden kann und der Arzt somit gezwungen ist, den Clip abzuschießen. Da die betroffenen Gefäße häufig schwer zu erkennen sind, müssen oft mehrere Clips gesetzt werden, um das Gefäß erfolgreich zusammenzudrücken und eine Blutstillung zu erreichen. Darüber hinaus ist der G eine teils wiederverwend-bare Vorrichtung, wodurch die Leistung der Vorrichtung mit dem Gebrauch leidet.
- Das Klagepatent nimmt darüber hinaus noch Bezug auf die EP 0 738 XXX A1, die ein endoskopisches Operationsinstrument mit einer rohrförmigen Hülle offenbart, das in den Kanal eines Endoskops eingesetzt werden kann, das drehbare Manipulationsmit-tel aufweist, die auf einem Manipulationsabschnitt zum Drehen dienen, und das zu-dem über einen Manipulationsdraht, der durch die Hülle eingeführt wird, verfügt.
- Vor dem Hintergrund dieses Standes der Technik formuliert es das Klagepatent in Absatz [0013] als (technische) Aufgabe, eine medizinische Vorrichtung zum Bewirken der Hämostase von entlang des Magen-Darm-Trakts liegenden Blutgefäßen bereitzu-stellen, die eine Erfolgsrate entsprechend der chirurgischen Therapie hat sowie leich-ter als der G vorzubereiten und zu setzen ist, so dass Operationen vermieden sowie die Mortalität und Morbidität beseitigt werden kann.
- Zur Lösung dieser Aufgabe schlägt das Klagepatent in seinem Anspruch 1 eine Vor-richtung mit folgenden Merkmalen vor
- 1. Medizinische Vorrichtung zum Bewirken der Hämostase eines Blutgefäßes zur Verwendung durch ein Endoskop.
2. Eine Klemme, die mindestens zwei Klemmenschenkel aufweist.
3. Ein Steuerdraht
(a) der mit der Klemme gekoppelt ist;
(b) der reversibel betätigbar ist, um sowohl die mindestens zwei Klemmen-schenkel zu öffnen als auch um die mindestens zwei Klemmenschenkel zu schließen.
4. Eine nachgiebige Verbindung
(a) welche den Steuerdraht mit der Klemme koppelt;
(b) die dazu vorgesehen ist, durch eine erste vorgegebene Zugkraft, welche vom Steuerdraht ausgeübt wird, zerbrochen zu werden;
(c) wobei, wenn die nachgiebige Verbindung zerbrochen wird, der Steuer-draht von der Klemme abgekoppelt wird.
5. Eine axial steife Hülle,
(a) die den Steuerdraht umhüllt;
(b) die imstande ist, eine erste Kraft zu übertragen, die einer zweiten Kraft des Steuerdrahts entgegenwirkt.
6. Ein Bedienteil
(a) das mit dem Steuerdraht gekoppelt ist;
(b) wobei der Steuerdraht durch das Bedienteil in Eingriff nehmbar ist, um die mindestens zwei Klemmenschenkel zu öffnen und die mindestens zwei Klemmenschenkel zu schließen, und den Steuerdraht von der Klemme abzukoppeln.
7. Ein Handgriff, der mit der axial steifen Hülle gekoppelt ist. -
2.
Zwischen den Parteien steht – zu Recht – die Verwirklichung der Merkmale bzw. Merkmalsgruppen 1, 3, 6 und 7 nicht im Streit. Auch die übrigen streitigen Merkmale 2, 4 und 5 sind indes durch die angegriffenen Ausführungsformen verwirklicht. - a)
Die seitens der Beklagten vertriebenen und von der Klägerin angegriffenen Klemmen verwirklichen das Merkmal 2 unmittelbar wortsinngemäß, gemäß dem die bean-spruchte medizinische Vorrichtung eine Klemme mit mindestens zwei Klemmschen-keln aufweist. - i)
Nach der klagepatentgemäßen Lehre setzt sich die beanspruchte medizinische Vor-richtung zum Bewirken der Hämostase eines Blutgefäßes aus einer Klemme, einem Steuerdraht, einer nachgiebigen Verbindung, einer axial steifen Hülle, einem Bedien-teil und einem Handgriff zusammen, wobei die einzelnen Bestandteile von den Merk-malen bzw. Merkmalsgruppen 2 bis 7 näher beschrieben werden. - Gemäß Merkmal 2 umfasst die erfindungsgemäße Vorrichtung eine Klemme, die min-destens zwei Klemmschenkel aufweist. Außer der Vorgabe, dass die Klemme über mindestens zwei Klemmschenkel verfügt, kann der Fachmann weder dem Anspruch noch der Klagepatentschrift weitere Angaben zur Ausgestaltung der Klemme entneh-men. Daraus folgt, dass es das Klagepatent in das Belieben des Fachmanns stellt, wie er die Klemme ausgestaltet, solange jedenfalls mindestens zwei Klemmschenkel vorhanden sind.
- Entgegen der Ansicht der Beklagten kann der Fachmann dem Klagepatent insbeson-dere nicht entnehmen, dass die Klemme als eine bauliche Einheit ausgestaltet sein muss, d.h. die beiden Klemmschenkel stets abhängig voneinander geöffnet und ge-schlossen werden können. Gleiches gilt für das Verständnis der Beklagten, dass eine Klemme im Sinne von Merkmal 2 nur dann vorliege, wenn die beiden Klemmschenkel (feder-)vorgespannt seien, mithin diese beiden Schenkel durch eine Feder oder ein ähnliches Vorspannmittel entweder in eine geöffnete und/oder in eine geschlossene Position gebracht werden können.
- Entsprechendes kann der Fachmann zunächst nicht dem vom Anspruchswortlaut verwendeten Begriff der „Klemme“, im maßgeblichen englischen Wortlaut „clip“, ent-nehmen. Denn aus dem Begriff der Klemme/Clip schließt der Fachmann nur, dass die Vorrichtung zum Klemmen geeignet sein muss, indes nicht, wie bzw. auf welche Art die Klemmfunktion gewährleistet wird, ob durch eine Vorspannung in eine Richtung oder auf eine andere Weise. Entsprechend lässt sich auch anhand der von den Par-teien vorgelegten Auszüge aus Wörterbüchern nicht feststellen, dass der Fachmann einem Clip eine bestimmte Funktionsweise und/oder Ausgestaltung zuordnet, er ins-besondere Clip mit Federklemme übersetzt.
- Zu einer mit dem Verständnis der Beklagten übereinstimmenden Auslegung gelangt der Fachmann auch nicht unter Berücksichtigung der Anspruchssystematik und unter Zugrundelegung einer technisch-funktionalen Betrachtungsweise. Denn die Erfindung zielt auf eine Klemme, die – anders als die vorbekannten Klemmen im Stand der Technik – jedenfalls teilweise reversibel betätigbar ist, d.h. deren Sitz an der Blutung ggf. durch den Arzt korrigiert werden kann, so dass bessere Ergebnisse bei weniger Materialeinsatz erzielt werden können. Insoweit erkennt der Fachmann auch mit Blick auf die Merkmale 3(b), 4(c) und 6(b), dass die beiden Klemmschenkel nicht nur ge-schlossen, sondern auch – jedenfalls bis zu einem gewissen Grad – wieder geöffnet und erst am Ende des Setzvorgangs gesichert werden sollen, wenn keine Korrektur mehr erforderlich ist und das Endoskop wieder entfernt wird. Der Fachmann erkennt aber auch, dass es das Klagepatent offenlässt, auf welchem Weg die Schenkel wie-derholt geöffnet und geschlossen werden sollen, da es insoweit nur darauf ankommt, dass die Reversibilität gewahrt bleibt.
- Dem einschränkenden Verständnis der Beklagten hat sich auch das OLG Düsseldorf in seinem Urteil vom 27. April 2021 (Az. I-15 U 4/20; Vorinstanz: LG Düsseldorf, Az. 4c O 94/18) nicht angeschlossen, in welchem es mit Blick auf die gleichen angegriffe-nen Ausführungsformen über die Verletzung des parallelen europäischen Patentes 3 023 XXX B1, dessen technische Lehre eng mit dem hiesigen Klagepatent verwandt ist, entschieden hat. Das OLG hat auf den Seiten 21ff. seines Urteils umfassend be-gründet, dass der Fachmann weder dem Wortlaut noch der Beschreibung und/oder den Ausführungsbeispielen einen hinreichenden Hinweis dahingehend entnehmen kann, dass eine Klemme im Sinne der Lehre des Klagepatents zwingend über eine Vorspannung verfügen muss. Zur Vermeidung von Wiederholungen wird auf die Ur-teilsbegründung des OLG, der sich die Kammer vollumfänglich anschließt, Bezug ge-nommen.
- Schließlich wird das von der Kammer und dem OLG Düsseldorf gefundene Ausle-gungsergebnis auch durch die Aussagen des gerichtlichen Sachverständigen Prof. F in seinem Gutachten gestützt. So führt der gerichtliche Sachverständige auf Seite 7 unter lit C. (Bl. 284f. d.A.) aus, dass der Fachmann unter einer Klemme/Clip verbun-dene Teile verstehe, die kraftschlüssig gekoppelt seien. Unerheblich sei dabei, wie viele Einzelkomponenten zur Funktion der Klemme erforderlich seien, um den Kraft-schluss zu realisieren, und wie dieser realisiert werde. So kenne der Fachmann unter anderem auch Klemmzwingen, bei denen keine Vorspannung vorliege.
- Dem steht auch nicht das seitens der Beklagten als Anlage B 7 vorgelegte Privatgut-achten von Prof. H entgegen, der mit Blick auf das Klagepatent ausführt, dass der Fachmann unter einer Klemme im Sinne des Klagepatents eine federvorgespannte Klemme verstehe. Zum einen handelt es sich – anders als bei dem Gutachten des Prof. F – um entsprechend zu würdigenden Parteivortrag. Zum anderen begründet der Privatsachverständige sein enges Verständnis damit, dass der Fachmann unter einer Klemme/Clip eine bestimmte Form eines Spannmittels verstehe, nämlich ein unter Vorspannung stehendes Spannmittel. Dabei verkennt Prof. H, dass das Klage-patent den vermeintlichen (Ober-)Begriff Spannmittel nicht verwendet. Vielmehr hat – wie auch das OLG Düsseldorf in seinem Berufungsurteil im parallelen Rechtsstreit bestätigt hat – die Auslegung der einzelnen Begriffe/Merkmale zunächst aus der Pa-tentschrift heraus zu erfolgen, wobei dem allgemeinen fachmännischen Verständnis des Fachmanns von einem bestimmten Begriff grundsätzlich das vom Klagepatent intendierte Begriffsverständnis vorgeht. Selbst wenn der Fachmann unter einem Clip regelmäßig eine unter Vorspannung stehende Klemme verstehen sollte, so ergibt sich ein solch eingeschränktes Verständnis – wie auch das OLG Düsseldorf festgestellt hat – jedenfalls nicht aus dem Klagepatent.
- ii)
Demnach ist eine Verwirklichung des Merkmals 2 durch die angegriffenen Ausfüh-rungsformen vorliegend schlüssig vorgetragen. - Die Parteien nehmen übereinstimmend auf die seitens der Klägerin vorgelegte Explo-sionszeichnung (Anlage KAP I 9) Bezug, so dass für den Aufbau der angegriffenen Vorrichtungen auf deren Inhalt Bezug genommen werden kann.
- Die beiden Klemmarme (Clip Arm[s]) werden durch zwei Pins miteinander verbunden, wobei der Proximal Pin dazu dient, von den J-Haken umgriffen zu werden. Demge-genüber sorgt der Distal Pin dafür, dass sich die beiden Arme über ihre Kulissenfüh-rung aufeinander zubewegen, wenn der Steuerdraht gezogen wird. Unabhängig da-von, dass das Klagepatent – wie zuvor ausgeführt – nicht voraussetzt, dass die Klemme als einheitlicher Bauteil ausgestaltet ist, d.h. die beiden Klemmschenkel sich stets zeitgleich bewegen, so führt die Verbindung über den Distal Pin und den Proxi-mal Pin jedenfalls dazu, dass vorliegend ein einheitliches Bauteil bestehend aus meh-reren Elementen vorliegt. Da das Klagepatent auch keine Vorspannung und insbe-sondere keine Vorspannung mittels einer Feder voraussetzt, ist für die Verletzung unschädlich, dass die beiden Klemmschenkel in den angegriffenen Ausführungsfor-men nicht (feder-)vorgespannt sind.
- b)
Die angegriffenen Ausführungsformen verwirklichen auch die Merkmalsgruppe 4 un-mittelbar wortsinngemäß. Danach setzt eine klagepatentgemäße Vorrichtung eine nachgiebige Verbindung voraus, welche den Steuerdraht mit der Klemme koppelt, die dazu vorgesehen ist, durch eine erste vorgegebene Zugkraft, welche vom Steuerdraht ausgeübt wird, zerbrochen zu werden und wobei, wenn die nachgiebige Verbindung zerbrochen wird, der Steuerdraht von der Klemme abgekoppelt wird. - i)
Das Klagepatent setzt somit nach der Merkmalsgruppe 4 eine Verbindung von Steu-erdraht und Klemme voraus, die bestimmte Anforderungen erfüllen muss. So muss diese Verbindung – wie der Fachmann dem Wort gekoppelt in Merkmal 4(a) entneh-men kann – zunächst geeignet sein, den Steuerdraht und die Klemme derart mitei-nander zu verbinden, dass der die Vorrichtung verwendende Arzt über das Bedienteil und den Steuerdraht die Klemme bzw. die Klemmschenkel derart beeinflussen kann, dass sich die Schenkel je nach Bedarf öffnen und schließen, ggf. auch mehrfach hin-tereinander. Sobald die Klemme ihre endgültige Position eingenommen hat, kann der Arzt eine vorbestimmte Zugkraft auf den Steuerdraht aufbringen, um dessen Lösung von der Klemme zu bewirken und die Vorrichtung (ohne Klemme) wieder aus dem Patienten entfernen zu können. Insoweit geben die Merkmale 4(b) und 4(c) dem Fachmann konkrete Anweisungen zur räumlich-körperlichen Ausgestaltung der Vor-richtung. Diese soll über eine nachgiebige Verbindung (in der englischen Verfahrens-sprache „frangible link“) verfügen, die dafür ausgelegt ist, zer- bzw. jedenfalls ange-brochen zu werden („adapted to be broken“). - Dies bedeutet, dass das Klagepatent nicht jedwede Lösungsmöglichkeit der Klemme vom Steuerdraht zulässt, sondern explizit vorgibt, dass die Verbindung mittels Bre-chen (Zer- oder Anbrechen; „broken“) der nachgiebigen Verbindung bei Erreichen ei-ner vorbestimmten (Zug-)Kraft erfolgen soll. Denn der Fachmann erkennt, dass der Anspruch keine Vorgaben dazu macht, in welchem Umfang die nachgiebige Verbin-dung gebrochen/zerstört werden muss, ob sie mithin an einer Stelle in zwei Teile zer-bricht, in mehr als zwei Teile zerfällt oder ggf. auch nur an mindestens einer Stelle anbricht. Indes als nicht ausreichend erkennt der Fachmann es, wenn die Verbindung lediglich derart ihre ursprüngliche Form verliert, dass die Lösung der Klemme vom Steuerdraht gelingt, etwa weil sich die Verbindung durch die Zugkraft verbiegt (auf-biegt) oder nur anderweitig plastisch verformt, sie aber jedenfalls nicht an- oder zer-bricht.
- Entsprechendes folgt bereits aus dem Wortlaut des Merkmals, das lediglich ein Bre-chen und nicht zwingend ein Zerbrechen fordert. Zwar kommt dem englischen Wort-stamm „break“ nach dem allgemeinen philologischen Verständnis auch die Bedeutung des Auf- oder Zerbrechens zu, so dass sich der Terminus „adapted to be broken“ – wie die Beklagten meinen – grundsätzlich auch mit geeignet zum Zerbrechen überset-zen lässt. Indes lässt sich der Begriff „to break“, wie den einschlägigen Wörterbüchern entnommen werden kann, auch mit brechen, lösen oder trennen übersetzen. Der Be-griff des Brechens bildet dabei den Oberbegriff und umfasst daher sowohl das Zer-brechen in zwei oder mehr Teile wie auch das Anbrechen. Anhaltspunkte dafür, dass das Klagepatent von diesem allgemeinen Begriffsverständnis abweichen will und unter „adapted to be broken“ nur den Fall des Zerbrechens fassen will, vermochte die Kammer nicht festzustellen.
- Das vorgenannte Verständnis teilt auch der gerichtliche Sachverständige Prof. F, wie seinen Ausführungen im Gutachten und im Anhörungstermin entnommen werden kann. Zwar obliegt die Bestimmung des Schutzbereichs als Rechtsfrage originär dem Verletzungsgericht, so dass die Auslegung des Klagepatents nicht einem (gerichtli-chen) Sachverständigen überlassen werden kann (vgl. BGH GRUR 2008, 779, 782f. – Mehrgangnabe). Die primäre Aufgabe des Sachverständigen ist – im Patentverlet-zungsverfahren nicht anders als sonst im Zivilprozess – die Vermittlung von Fachwis-sen zur richterlichen Beurteilung von Tatsachen. Der Sachverständige wird deshalb im Patentverletzungsprozess hinzugezogen, um dem Gericht, diejenigen fachlichen Kenntnisse zu verschaffen, die es benötigt, um die geschützte technische Lehre zu verstehen und den diese Lehre – als Grundlage der Verletzungsprüfung und der Schutzbereichsbestimmung – definierenden Patentanspruch unter Ausschöpfung sei-nes Sinngehalts selbst auslegen zu können. Das Gericht ist deswegen gehindert, die Schlüsse, die ein Sachverständiger aus seinem Fachwissen auf den Inhalt der techni-schen Lehre des Klagepatents zieht, ohne Weiteres zu übernehmen (vgl. BGH GRUR 2008, 779, 782f. – Mehrgangnabe). Dies gilt insbesondere auch deswegen, weil der Sachverständige vielfach geneigt sein wird, sich eher an den aus seiner fachlichen Sicht typischerweise aussagekräftigeren Ausführungsbeispielen der Erfindung als an den abstrakteren Formulierungen des Patentanspruchs zu orientieren. Sachverständi-ge Äußerungen sind vom Tatrichter deshalb stets eigenverantwortlich daraufhin zu untersuchen, ob und inwieweit sie Angaben enthalten, die Aufklärung im Hinblick auf entscheidungserhebliche und allein von dem erkennenden Gericht zu beantwortende Fragen zu bieten vermögen (BGH GRUR 2001, 770, 772 – Kabeldurchführung II).
- Ausgehend von diesen Grundsätzen stützen die Ausführungen des gerichtlichen Sachverständigen zu den fachmännischen Kenntnissen zum Prioritätszeitpunkt das Verständnis der Kammer von dem Begriff des Brechens. Der gerichtliche Sachver-ständige hat zunächst nachvollziehbar dargelegt, dass der einschlägige Fachmann, hier ein auf dem Gebiet der Konstruktion von Endoskopen und medizinischem Zube-hör langjährig tätiger Ingenieur, unter einem Zerbrechen versteht, dass ein Gegen-stand in mehrere, mindestens zwei einzelne Bestandteile zerfällt (S. 8f. des Protokolls vom 27. April 2021, Bl. 550f. d.A.). Von einem Anbrechen geht der Fachmann dem-gegenüber aus, wenn es zu einer spröden (An-)Rissbildung im Material nebst plasti-scher Verformung kommt (S. 5 des Protokolls vom 27. April 2021, Bl. 547 d.A.). Der gerichtliche Sachverständige hat weiter ausgeführt, dass der Fachmann die Vorgabe „adapted to be broken“ dergestalt versteht, dass es ausreichend ist, wenn sich die nachgiebige Verbindung im Zuge der Betätigung des Steuerdrahtes plastisch verformt und es (zumindest) zu einer spröden Anrissbildung kommt. Zwar hat er in seinem schriftlichen Gutachten (Seite 3f. Ziff. 3. und Seite 8f.; Bl. 280 und 288f. d.A.) mit Blick auf das Merkmal 4(b) zunächst nur auf die Funktion der nachgiebigen Verbin-dung als Sollversagensstelle abgestellt, so dass es für das Versagen der Verbindung nach der Lehre des Klagepatents nicht darauf ankommen sollte, ob dies durch Zer-brechen oder durch rein plastische Verformung geschieht (Seite 8f. im Gutachten; Bl. 285f. d.A.). Der gerichtliche Sachverständige zog aber in seiner Vernehmung auf den Vorhalt des Gerichts, dass die letzten beiden Alternativen der Ausgestaltung nach der Figur 18, die beide nur eine rein plastische Verformung der nachgiebigen Verbindung zeigten, explizit als nicht unter die Lehre des Klagepatents fallend offenbart seien, diese beiden Varianten nicht mehr zur Begründung seiner zunächst weiten Auslegung heran. Vielmehr stellte er den Zweck der nachgiebigen Verbindung, die Loslösung der Klemme vom Steuerdraht, in den Vordergrund des fachmännischen Verständnisses und gab an, dass es auf die Funktion der Baugruppen ankomme und dem Fachmann gewahr sei, dass es prinzipiell mehrere Wege gebe, eine Verbindung zu lösen, etwa durch Bruch aber auch bspw. durch eine nachgiebige Klebeverbindung (Bl. 4 des Pro-tokolls vom 27. April 2021, Bl. 546 d.A.). Auf weitere Nachfrage gab der Sachverstän-dige dann an, dass das Klagepatent zwar nicht jede bestimmte Art der Loslösung zu-ließe, ein Lösen durch eine plastische Deformation jedoch schon, jedenfalls dann, wenn sie mit einer spröden Anrissbildung einhergeht (Bl. 5 des Protokolls vom 27. April 2021, Bl. 547 d.A.). Schließlich ergänzte der gerichtliche Sachverständige zum fachmännischen Verständnis noch, dass es für die Frage, ob sich ein Material bei Be-lastung nur elastisch verformt oder es auch zur einer spröden Rissbildung neigt, nicht zuletzt auch auf die gewählte Oberflächenqualität ankomme (S. 10 des Protokolls vom 27. April 2021, Bl. 552 d.A.).
- Das vorstehende Verständnis des Merkmals 4(b), nach dem die nachgiebige Verbin-dung nicht zwingend zerbrochen werden muss, steht auch nicht im Widerspruch zu der Beschreibung und den bevorzugten Ausführungsbeispielen im Klagepatent.
- Die vom Klagepatent offenbarten Ausführungsbeispiele mögen zwar – worauf die Be-klagten hingewiesen haben – sämtlich bzw. größtenteils nachgiebige Verbindungen zeigen, die bei Aufbringen einer vorbestimmten Zugkraft auf den Steuerdraht in min-destens zwei Bestandteile zerbrechen, indes sind Ausführungsbeispiele als lediglich bevorzugte Ausführungsformen nach den allgemein anerkannten Auslegungsregeln schon dem Grunde nach nicht geeignet, die Lehre des jeweiligen Patents zu be-schränken (vgl. BGH GRUR 2004, 1023, 1024 – bodenseitige Vereinzelungseinrich-tung; GRUR 2008, 779, 783 – Mehrgangnabe; OLG Düsseldorf, Urt. v. 6. Juni 2019, Az. 15 U 83/14).
- Unstreitig zeigen die in den Figuren 10A und 21 gezeigten Ausführungsbeispiele solch nachgiebige Verbindungen, die tatsächlich zerbrechen. Gleiches offenbaren die Figu-ren 18A bis 18, welche nachfolgend wiedergegeben werden:
- Der Fachmann kann diesem Ausführungsbeispiel eine Klemmvorrichtung entnehmen, die u.a. über zwei Klemmschenken (1801), einen Steuerdraht (1803) sowie zwei elas-tische Bänder bzw. O-Ringe (1802 und 1804) verfügt, wobei sich das zweite elasti-sche Band (1804) – wie in Absatz [0046] beschrieben – verformt, wenn der Steuer-draht zurückgezogen wird und sich dadurch die Klemmschenkel öffnen bzw. schlie-ßen. Weiter heißt es in Absatz [0046]: „Ist die gewünschte Klemmenlage erreicht, wird das zweite elastische Band 1804, das die nachgiebige Verbindung bildet, dadurch überwunden, dass der Steuerdraht 1803 in seine proximalste Position gezogen wird. Dies bewirkt, dass das zweite elastische Band 1804 bricht“. Somit wird ein Löseme-chanismus offenbart, der mittels eines Brechens funktioniert. Zwar offenbart der Ab-satz [0046] im Anschluss noch zwei weitere alternative Ausgestaltungen, wie das zweite elastische Band zum Lösen der Klemme verwendet werden kann, indem ent-weder über die Ansätze (1807) „gezogen“ oder der Steuerdraht „enthakt“ wird, wobei beide Alternativen – anders als bei den vorstehenden bevorzugten Ausführungsfor-men – ohne ein Brechen auskommen. Indes ist im Absatz [0046] explizit aufgeführt, dass die letzten beiden Varianten nicht erfindungsgemäß sein sollen. Der Fachmann folgert aus diesen Stellen daher, dass das Klagepatent zwar andere Möglichkeiten der Lösung als ein Brechen kennt, diese aber explizit nicht unter die Lehre des Klagepa-tentes fallen und damit nicht beansprucht werden sollen. Der Fachmann findet indes keine Anhaltspunkte dafür, dass das Klagepatent ein Anbrechen nicht ausreichen las-sen will.
- Etwas anderes ergibt sich auch nicht unter Berücksichtigung einer technisch-funktionalen Betrachtung. Es ist weder vorgetragen, noch ersichtlich, wieso es zur Erreichung des Ziels der Erfindung, eine leichter anzuwendende und weniger invasive Klemmvorrichtung bereitzustellen, darauf ankommen sollte, dass die nachgiebige Verbindung in mindestens zwei Teile zerbricht, wenn sie von dem Steuerdraht gelöst werden soll. Dem Klagepatent kommt es in erster Linie auf die Sicherstellung der Re-versibilität der Klemme und die damit verbundenen Vorteile bei ihrem Einsatz im menschlichen Körper an. Der Fachmann erkennt insoweit auch, dass die sichere Los-lösung der Klemme vom Rest der Vorrichtung am Ende des Setzvorgangs zwar eben-falls von Bedeutung ist, allerdings spielt es für den erfolgreichen Einsatz der Klemm-vorrichtung keine Rolle, ob die nachgiebige Verbindung zerbricht oder sich auf Grund einer plastischen Verformung mit Rissbildung löst. Der Fachmann dürfte zudem be-müht sein, möglichst wenige Fremdteile im Körper des Patienten zu belassen, so dass er sich nicht ausschließlich auf ein Zerbrechen der nachgiebigen Verbindung in mindestens zwei Teile beschränken wird.
- Auch der vom Klagepatent in Absatz [0012] in Bezug genommene Stand der Technik, das EP‘XXX, bietet keine Stütze für das von den Beklagten vertretene Verständnis, wonach die Lehre des Klagepatents auf ein Zerbrechen der nachgiebigen Verbindung beschränkt sein soll. Es ist allgemein anerkannt, dass auch der vom Klagepatent selbst zitierte Stand der Technik dem Fachmann Anhaltspunkte für ein bestimmtes fachmännisches Verständnis bieten kann (vgl. Kühnen, Hdb. d. Patentverletzung, 13. Auflage 2021, Kapitel A., Rz. 69). Sofern ein Patent von einer bestimmten vorbekann-ten Konstruktion ausgeht, diese als durchaus vorteilhaft ansieht und für die Erfindung beibehalten will, wird im Zweifel die Annahme berechtigt sein, dass sich das Patent – in diesem Punkt – den Stand der Technik zu eigen macht, weshalb es zulässig und geboten ist, für das Verständnis dieses Merkmals auf den betreffenden Stand der Technik und eine hier etwa gegebene Legaldefinition oder dergleichen zurückzugrei-fen (vgl. Kühnen, a.a.O., Kapitel A., Rz. 72). Da sich ein Patent mit seinen kenn-zeichnenden Merkmalen indes von eben diesem (in seinem Oberbegriff ggf. umrisse-nen) Stand der Technik abzugrenzen versucht, ist den Merkmalen des kennzeichnen-den Teils im Zweifel kein Verständnis beizumessen, demzufolge diese sich in demje-nigen Stand der Technik wiederfinden, von dem sie sich gerade unterscheiden sol-len(BGH, Urt. v. 2 März 2021, Az. X ZR 17/19 – Schnellwechseldorn, zitiert nach ju-ris; GRUR 2019, 491, 493 – Scheinwerferbelüftungssystem). Auch schließt der Fachmann aus dem Umstand, dass ein Patent bestimmte Schriften als fiktiven Stand der Technik abhandelt, dass die Erteilungsbehörde zwischen deren Offenbarungsge-halt und dem erteilten Hauptanspruch einen die Neuheit begründenden Unterschied gesehen hat. Es liegt daher auf der Hand, dass der Schutzbereich eines Patents – jenseits aller technisch-funktionalen Erwägungen – keinesfalls auf etwas erstreckt werden kann, was in dem von der Patentschrift gewürdigten Stand der Technik neu-heitsschädlich offenbart ist. Eine Patentauslegung, die eben solche Ausführungsvari-anten eliminiert, verstößt daher auch nicht gegen den Grundsatz, dass ein Patent nicht danach interpretiert werden darf, mit welchem Inhalt es sich als rechtsbeständig (neu, erfinderisch, nicht unzulässig erweitert) erweisen würde (OLG Düsseldorf, Urt. v. 8. April 2021, Az. I-2 U 41/20, GRUR-RS 2021, 6721). Die Kammer vermochte be-reits schon nicht zu erkennen, dass der Fachmann dem EP‘XXX – wie die Beklagten meinen – eine Vorrichtung entnehmen kann, bei der es zum Brechen einer nachgiebi-gen Verbindung in Form eines Anbrechens mit Rissbildung kommt. Zwar ist in dem EP‘XXX an mehreren Stellen, u.a in Absatz [0046], von der Verwendung einer Kopp-lungsplatte aus rostfreiem Stahl / Edelstahl („stainless steel“) die Rede. Die Kammer vermochte aber nicht festzustellen, dass der Fachmann allein aus der Materialangabe stainless steel davon ausgeht, dass es im Rahmen einer plastischen Verformung ei-ner solchen Kopplungsplatte immer auch zu einer Rissbildung im Material kommt. Solches scheidet bereits vor dem Hintergrund aus, dass es sich bei stainless steel nur um einen Oberbegriff handelt, der Edelstahl unterschiedlichster Eigenschaften um-fasst. Entsprechendes hat auch der gerichtliche Sachverständige im Rahmen seiner Einvernahme bestätigt. Insoweit hat er ausgeführt, dass es die Materialeigenschaften der angegriffenen Ausführungsformen, hier hochlegierter Stahl mit schlechter Oberflä-chenqualität, seien, die zu einem Brechen der Haken führten (S. 11f des Protokolls vom 27. April 2021, Bl. 553f. d.A.). Ferner stellt das Klagepatent an keiner Stelle ei-nen Bezug zwischen dem Material stainless steel und der nachgiebigen Verbindung her. Soweit das Klagepatent in den Absätzen [0029] und [0049] bis [0052] von stain-less steel spricht, so bezieht es sich überwiegend auf den Steuerdraht und an einer Stelle auch auf die Klemme, wobei stainless steel – entsprechend seiner Verwendung als Oberbegriff – nur als eines der möglichen Materialen benannt wird, aus dem die Klemme gefertigt werden kann.
- Schließlich vermögen auch die von den Beklagten in Bezug genommenen Aussagen der Klägerin im Erteilungsverfahren das von diesen vertretene eingeschränkte Ver-ständnis, dass es stets zu einem Zerbrechen in mindestens zwei Teile kommen müs-se, nicht zu begründen. Die Erteilungsakte ist grundsätzlich – wie auch Äußerungen der Patentinhaberin in einem parallelen Rechtsbestandsverfahren – kein zulässiges Auslegungsmaterial im Sinne von § 14 PatG / Art. 69 EPÜ (vgl. BGH GRUR 2002, 511, 513f. – Kunststoffrohrteil). Ausnahmsweise ist die Erteilungsgeschichte auch im Rahmen der Auslegung mit heranzuziehen, wenn unter Anwendung der anerkannten Auslegungsgrundsätze „zweifelhaft bleibt, ob sich Patentanspruch und Beschreibung sinnvoll zueinander in Beziehung setzen lassen“ (vgl. BGH GRUR 2015, 875, 876 – Rotorelemente). Dies bedeutet indes nicht, dass Äußerungen des Anmelders im Ertei-lungsverfahren gänzlich unberücksichtigt zu bleiben haben, denn sie sind für das fachmännische Verständnis des Anspruchs jedenfalls von indizieller Bedeutung (vgl. Kühnen in Hdb. d. Patentverletzung, 13. Auflage 2021, Kapitel A., Rz. 96). Die Kläge-rin hat sich im Laufe des Erteilungsverfahrens – zur Abgrenzung von dem im Klagepa-tent selbst zitierten EP‘XXX – dahingehend geäußert, dass das EP‘XXX eine zer-brechliche Verbindung offenbare, bei der ein Haken begradigt werde, aber nicht bre-che. Im Unterschied dazu sei die vom Klagepatent offenbarte nachgiebige Verbindung („breakable link“) dazu ausgelegt, bei einer vorbestimmten Kraft zu zerbrechen. Dies steht aber nicht im Widerspruch zu dem vorstehenden Auslegungsergebnis, nach dem es dem Klagepatent zumindest auf ein Anbrechen der nachgiebigen Verbindung ankommt, da auch ein solches von der EP‘XXX nicht gezeigt wird.
- Gleiches gilt auch mit Blick auf die von der Beklagten in Bezug genommenen Äuße-rungen der Klägerin im laufenden Einspruchsverfahren. Soweit die Klägerin in ihrer Eingabe an das EPA vom 30. September 2019 (vgl. Anlage KAP I 26/26a) unter Ziff. II. 1 zunächst davon gesprochen hat, dass dem Terminus „(zer-)brechen“ („to break“) die gleiche Bedeutung zukommen solle, wie er in der Fachwelt üblicherweise vor-herrscht, nämlich den Bruch einer Verbindung in zwei oder mehr Teile, stellt sie im Folgenden klar (insb. Ziff. II.2.1 und II.2.1.5 der Anlage KAP I 26/26a), dass das Kla-gepatent zwischen einer nachgiebigen Verbindung („frangible link“) und einer brechba-ren Verbindung („breakable link“) differenziere. Während die nachgiebige Verbindung sowohl verformbar wie auch zerbrechlich sein könne, handele es sich bei der letztge-nannten Verbindung um eine solche, die bricht. Auch hier unterscheidet die Klägerin aber nicht zwischen einem An- und einem Zerbrechen.
- ii)
Unter Berücksichtigung dieses Verständnisses machen die angegriffenen Ausfüh-rungsformen auch Gebrauch von der Merkmalsgruppe 4. - Dahingestellt bleiben kann zunächst, ob und in welchem Umfang die Bedenken der Parteien an den jeweiligen Untersuchungen der angegriffenen Ausführungsformen durch die Gegenseite durchzugreifen vermögen, insbesondere mit Blick auf die Ord-nungsgemäßheit des jeweiligen Versuchsaufbaus. Denn die Kammer vermochte – wie auch der gerichtliche Sachverständige – in beiden Versuchsreihen (vgl. Anlagen B 5 und KAP I 29) festzustellen, dass regelmäßig mindestens einer der beiden J-Haken (an-)bricht, wenn die vorgegebene Zugkraft erreicht wird und dieses Anbrechen auch für die Lösung der Klemme vom Steuerdraht sorgt.
- Bei dem als Anlage KAP I 29 von der Klägerin vorgelegten Testbericht der Firma Ex-ponent, die insgesamt 15 von der Klägerin abgefeuerte Klemmen der Beklagten mik-roskopisch untersucht hat, ist bei einer Vielzahl der Klemmen zu erkennen, dass min-destens einer der beiden J-Haken einen spröden Anriss und Verformungen zeigt. Mit Blick auf die Abbildung 8 aus Seite 12 des Testberichts hat der gerichtliche Sachver-ständige auf Nachfrage der Klägervertreterin überzeugend angegeben, an der mit dem roten Pfeil markierten Stelle einen Riss/Fraktur zu erkennen, da dort die kritische Versagungsstelle sei. Da der Haken aber noch mit dem Rest der Vorrichtung verbun-den sei, handele es sich um eine plastische Verformung mit spröder Anrissbildung (Seite 6 des Protokolls vom 27. August 2021, Bl. 548 d.A.). Entsprechendes ließe sich auch den rastermikroskopischen Aufnahmen des Hakens auf den Seiten 13 und 14 entnehmen (Seite 7 des Protokolls vom 27. August 2021, Bl. 549 d.A.). Auf die Frage der Klägervertreterin, was der Sachverständige auf den Abbildungen 17 und 18 der Seiten 21 und 22 erkennen könne, die eine andere Klemme zeigten, gab der Sachverständige an, dass er auch dort durch einen spröden Anriss und zahlreiche Sekundärrisse aufgebogene J-Haken erkennen könne, wobei der Haken zunächst gerissen sei und sich dann aufgebogen hätte (Seite 7f. des Protokolls vom 27. August 2021, Bl. 549f. d.A.). Dem sind die Beklagten nicht entgegen getreten.
- Dem seitens der Beklagten als Anlage B 5 vorgelegten Testreport, bei dem insgesamt 60 Klemmen untersucht wurden, kann ebenfalls ein regelmäßiges Anbrechen mindes-tens eines der beiden J-Haken entnommen werden. Während der gerichtliche Sach-verständige auf die Frage des Beklagtenvertreters zunächst angab, bei dem auf Seite 5 des Testreports unter der Ziff. 1 gezeigten Testmuster eine Anrissbildung nicht ein-deutig feststellen zu können, da die Qualität der Ablichtungen nicht hinreichend sei (Seite 10 des Protokolls vom 27. August 2021, Bl. 552 d.A.), gab er mit Blick auf das auf Seite 8 unter der Ziff. 22 gezeigte Testmuster an, dort den Abriss (komplette Fraktur/Zerbrechen) des linken Hakens und einen Anriss des rechten Hakens zu er-kennen. Der Anriss des rechten Hakens dürfe nach Ansicht des Sachverständigen auch der Beschädigung des Hakens des Testmusters 1 entsprechen (Seite 10 des Protokolls vom 27. August 2021, Bl. 552 d.A.). Auch diesen Ausführungen sind die Beklagten nicht entgegen getreten.
- c)
Die angegriffenen Ausführungsformen verwirklichen schließlich auch die Merkmals-gruppe 5 unmittelbar wortsinngemäß, wonach in einer klagepatentgemäßen Vorrich-tung eine axial steife Hülle vorhanden sein muss, die den Steuerdraht umhüllt und die imstande ist, eine erste Kraft zu übertragen, die einer zweiten Kraft des Steuerdrahts entgegenwirkt. - i)
Das Klagepatent fordert danach eine den Steuerdraht umgebende Hülle, die über be-stimmte Eigenschaften verfügt. Die Hülle muss gemäß Merkmal 5(b) dazu ausgebildet sein, um eine erste Kraft zu übertragen, die einer zweiten Kraft des Steuerdrahtes entgegenwirkt. Das Erfordernis einer axial steifen Hülle versteht der Fachmann – ent-gegen der Ansicht der Beklagten – nicht dahingehend, dass die Hülle so ausgebildet sein muss, dass ein axiales Auseinanderziehen oder Stauchen der Hülle ausge-schlossen ist. Es genügt vielmehr, wenn die Hülle axial hinreichend steif ist, um durch den Körper des Patienten als Umhüllung des Steuerdrahts geführt zu werden und den bei Betätigung des Steuerdrahtes auftretenden Kräften entgegenzuwirken. - Entsprechendes ist auch bereits vom OLG Düsseldorf in seinem Urteil vom 27. April 2021 (Az. I-15 U 4/20; Vorinstanz: LG Düsseldorf 4c O 94/18) auf den Seiten 30ff. festgestellt worden, wobei sich die Kammer auch insoweit die Ausführungen des OLG zu eigen macht und zur Vermeidung von Wiederholungen auf die Urteilsbegründung des OLG Bezug nimmt.
- ii)
Die angegriffenen Ausführungsformen machen daher auch Gebrauch von der Merk-malsgruppe 5. Die Beklagten verteidigen sich allein mit dem Argument, die Hülle in den angegriffenen Ausführungsformen bestünde aus gewickeltem Draht (lange Spiral-feder) und sei daher nicht so steif, dass eine Verformung ausgeschlossen ist. Darauf kommt es indes nicht an. Entscheidend für die Merkmalsverwirklichung ist vielmehr, dass die Hülle aus Draht – insoweit auch unstreitig – dazu ausgelegt ist, der vorbe-stimmten Widerstandkraft des Steuerdrahtes entgegenzuwirken. - 4.
Aus der Verletzung des Klagepatentes ergeben sich nachstehende Rechtsfolgen: - a)
Da die Beklagten das Klagepatent widerrechtlich benutzt haben, sind sie gemäß Art. 64 EPÜ, § 139 Abs. 1 PatG zur Unterlassung der Benutzungshandlungen verpflich-tet. - b)
Die Beklagten trifft auch ein zumindest fahrlässiges Verschulden. Denn die Beklagten als Fachunternehmen hätten bei Anwendung der von ihnen im Geschäftsverkehr zu fordernden Sorgfalt die Benutzung des Klagepatents erkennen und vermeiden kön-nen, § 276 BGB. Für die Zeit ab Erteilung des Klagepatents schulden die Beklagten daher Ersatz des Schadens, welcher der Klägerin entstanden ist und noch entstehen wird, Art. 64 EPÜ, § 139 Abs. 2 PatG. Da die genaue Schadensersatzhöhe derzeit noch nicht feststehen, die Klägerin nämlich keine Kenntnis über den Umfang der Be-nutzungs- und Verletzungshandlungen durch die Beklagten hat, hat sie ein rechtliches Interesse gemäß § 256 ZPO daran, dass die Schadensersatzpflicht der Beklagten dem Grunde nach festgestellt wird. - c)
Um die Klägerin in die Lage zu versetzen, den ihr zustehenden Schadensersatz zu beziffern, sind die Beklagten verpflichtet im zuerkannten Umfang über ihre Benut-zungshandlungen Auskunft zu erteilen und Rechnung zu legen, § 140b PatG i.V.m. § 242 BGB. Nach der mittlerweile etablierten Rechtsprechung der Düsseldorf Kammern (vgl. LG Düsseldorf, Urteil v. 21. September 2017, Az. 4a O 18/16, Rz. 224, zitiert nach juris; Kühnen, a.a.O., Kapitel D., Rz. 826) kann die Klägerin – nach ihrer Wahl – Auskunft und Rechnungslegung nur dann auch in elektronischer Form, d.h. neben der grundsätzlich schriftlich geschuldeten Form, verlangen, soweit die entsprechenden Belege bei den Beklagten auch bereits elektronisch vorliegen. Die Klägerin hat dem-zufolge keinen Anspruch darauf, dass die Beklagten die bei ihr vorhandenen Doku-mente in eine elektronische Form überführen. -
d)
Die Beklagten sind nach § 140a Abs. 1 und 3 PatG in der zuerkannten Weise auch zur Vernichtung und zum Rückruf der das Klagepatent verletzenden Gegenstände verpflichtet. - 5.
Mit Blick auf die von den Beklagten gegen das Klageschutzrecht eingewandten Ent-gegenhaltungen war eine Aussetzung des Rechtsstreits gemäß § 148 ZPO bis zu einer erstinstanzlichen Entscheidung in dem Einspruchsverfahren nicht geboten. - a)
Nach Auffassung der Kammern (Mitt. 1988, 91 – Nickel-Chrom-Legierung, BlPMZ 1995, 121 – Hepatitis-C-Virus), die durch das Oberlandesgericht Düsseldorf (GRUR 1979, 188 – Flachdachabläufe; Mitt. 1997, 257, 258 – Steinknacker) und den Bundes-gerichtshof (GRUR 1987, 284 – Transportfahrzeug; GRUR 2014, 1237 ff. – Kurznach-richten) bestätigt wurde, stellen ein Einspruch gegen das Klagepatent oder die Erhe-bung der Nichtigkeitsklage als solche noch keinen Grund dar, den Verletzungsrechts-streit auszusetzen, da dies faktisch darauf hinauslaufen würde, dem Angriff auf das Klagepatent eine den Patentschutz hemmende Wirkung beizumessen, die dem Ge-setz fremd ist (§ 58 Abs. 1 PatG). Die Interessen der Parteien sind vielmehr gegenei-nander abzuwägen. - Wenn das Klagepatent mit einem Einspruch oder mit einer Patentnichtigkeitsklage angegriffen ist, verurteilt das Verletzungsgericht, wenn es eine Verletzung des in Kraft stehenden Patents bejaht, grundsätzlich nur dann wegen Patentverletzung, wenn es eine Nichtigerklärung nicht für (hinreichend) wahrscheinlich hält; andernfalls hat es die Verhandlung des Rechtsstreits nach § 148 ZPO auszusetzen, bis jedenfalls erstin-stanzlich über die Nichtigkeitsklage entschieden ist (BGH, GRUR 2014 1238 – Kurz-nachrichten). Denn eine – vorläufig vollstreckbare – Verpflichtung des Beklagten zur Unterlassung, Auskunftserteilung, Rechnungslegung, zum Rückruf sowie zur Vernich-tung patentgemäßer Erzeugnisse ist regelmäßig nicht zu rechtfertigen, wenn mit hin-reichender Wahrscheinlichkeit zu erwarten steht, dass dieser Verurteilung durch die Nichtigerklärung des Klagepatents die Grundlage entzogen werden wird. Der aus dem Rechtsstaatsprinzip (Art. 20 Abs. 3 GG) in Verbindung mit den Grundrechten folgende und damit verfassungsrechtlich verbürgte Justizgewährungsanspruch gebietet es, dem Verletzungsbeklagten wirkungsvollen Rechtsschutz zur Verfügung zu stellen, wenn er sich gegen den Angriff aus dem Klagepatent mit einem Gegenangriff auf den Rechtsbestand dieses Patents zur Wehr setzen will. Dies erfordert nicht nur eine ef-fektive Möglichkeit, diesen Angriff selbst durch eine Klage auf Nichtigerklärung bzw. durch Erhebung eines Einspruchs führen zu können, sondern auch eine angemesse-ne Berücksichtigung des Umstands, dass in diesem Angriff auch ein – und gegebe-nenfalls das einzige – Verteidigungsmittel gegen die Inanspruchnahme aus dem Pa-tent liegen kann. Wegen der gesetzlichen Regelung, die für die Ansprüche nach §§ 139 ff. PatG lediglich ein in Kraft stehendes Patent verlangt und für die Beseitigung dieser Rechtsposition nur die in die ausschließliche Zuständigkeit des Patentgerichts fallende Nichtigkeitsklage zur Verfügung stellt, kann der Angriff gegen das Klagepa-tent anders als in anderen Rechtsordnungen nicht als Einwand im Verletzungsverfah-ren oder durch Erhebung einer Widerklage auf Nichtigerklärung geführt werden. Dies darf indessen nicht dazu führen, dass diesem Angriff jede Auswirkung auf das Verlet-zungsverfahren versagt wird. Die Aussetzung des Verletzungsstreits ist vielmehr grundsätzlich, aber auch nur dann geboten, wenn mit hinreichender Wahrscheinlich-keit zu erwarten ist, dass das Klagepatent dem erhobenen Einspruch/der anhängigen Nichtigkeitsklage nicht standhalten wird (BGH, GRUR 2014 1238 – Kurznachrichten).
- Wurde das Klagepatent bereits in einem Einspruchs- oder Nichtigkeitsverfahren be-stätigt, so hat das Verletzungsgericht grundsätzlich die von der zuständigen Fachin-stanz (DPMA, EPA, BPatG) nach technisch sachkundiger Prüfung getroffene Ent-scheidung über die Aufrechterhaltung des Klagepatents hinzunehmen (so zuletzt zum Vorbescheid: OLG Düsseldorf, Urt. v. 4. März 2021, Az. I-2 U 25/20, GRUR-RS 2021, 4420).
- b)
Ausgehend von diesen Grundsätzen war eine Aussetzung des Rechtsstreits bis zu einer erstinstanzlichen Entscheidung im Einspruchsverfahren nicht angezeigt, insbe-sondere vor dem Hintergrund, dass die Einspruchsabteilung in ihrem Vorbescheid vom 21. Januar 2021 (Anlage KAP I 33/33a) keine Bedenken an der Schutzfähigkeit des Klagepatents in der geltend gemachten Fassung geäußert hat. - i)
Die Kammer vermochte nicht festzustellen, dass der auf die fehlende Neuheit der kla-gepatentgemäßen Lehre gegenüber der prioritätsälteren deutschen Gebrauchsmus-terschrift DE 295 05 XXX.3 U1 (vorgelegt als Anlage D 1 zum Anlagenkonvolut B 2; im Folgenden: D 1) zielende Rechtsbestandsangriff hinreichende Erfolgsaussichten hat. - (1)
Neuheitsschädlichkeit liegt vor, wenn die Entgegenhaltung objektiv den Stand der Technik offenbart; unrichtige Annahmen oder Festlegungen des Anmelders in der Pa-tentschrift selbst sind unerheblich (BGH GRUR 1999, 914, 917 – Kontaktfederblock). Die Beurteilung, ob der Gegenstand eines Patents durch eine Vorveröffentlichung neuheitsschädlich getroffen ist, erfordert die Ermittlung des Gesamtinhalts der Vor-veröffentlichung. Maßgeblich ist, welche technische Information dem Fachmann of-fenbart wird. Der Offenbarungsbegriff ist dabei kein anderer als er auch sonst im Pa-tentrecht zu Grunde gelegt wird (BGH GRUR 2009, 382, 384 – Olanzapin; GRUR 2004, 407, 411 – Fahrzeugleitsystem). Zu ermitteln ist deshalb nicht, in welcher Form der Fachmann etwa mit Hilfe seines Fachwissens eine gegebene allgemeine Lehre ausführen oder wie er diese Lehre gegebenenfalls abwandeln kann, sondern aus-schließlich, was der Fachmann der Vorveröffentlichung als den Inhalt der von ihr ge-gebenen (allgemeinen) Lehre „unmittelbar und eindeutig“ entnimmt (BGH GRUR 2002, 146, 148 – Luftverteiler; GRUR 2004, 133, 135 – Elektronische Funktionsein-heit; GRUR 2008, 597, 598 – Betonstraßenfertiger; GRUR 2011, 999, 1001 – Meman-tin; OLG Düsseldorf, Urteil vom 19. Februar 2016 – I-2 U 55/15 –, Rn. 50, zitiert nach juris). - (2)
Die D 1 offenbart unstreitig alle Merkmale des Anspruchs 1 mit Ausnahme der Merk-male 3(b), 4(b), 4(c) und 6(b). Diese umstrittenen Merkmale werden indes nicht sämt-lich von der D 1 offenbart. - Die Merkmale 3(b) und 6(b) betreffen die Reversibilität der Vorrichtung, d.h. die Mög-lichkeit des mehrfachen Öffnens und Schließens der Klemme.
- Die D 1 offenbart ein chirurgisches Instrument, insbesondere für ein Endoskop, um-fassend ein an einem patientennahen Ende mit chirurgischem Werkzeug zu verbin-dendes, langgestrecktes flexibles Betätigungskabel, welches einen schlauchförmigen Kabelmantel sowie eine in dem Kabelmantel verschiebbar geführte Kabelseele auf-weist, eine an ein patientenfernes Ende des Betätigungskabels anschließende Hand-betätigungseinheit zur manuellen Verschiebung der Kabelseele relativ zum Kabelman-tel, eine das Betätigungskabel umschließende, über das patientennahe Ende des Be-tätigungskabels hinaus relativ zu diesem in mindestens eine vorgeschobene Stellung verschiebbare Ummantelungseinheit, die in einer zurückgezogenen, das chirurgische Werkzeug freigebenden Stellung in Verschieberichtung gegenüber dem Betätigungs-kabel festlegbar ist, und eine zwischen der Ummantelungseinheit und der Handbetäti-gungseinheit wirkende, die Ummantelungseinheit auf ihre vorgeschobene Stellung zu vorspannende Vorspannfeder.
- Nachfolgend wiedergegebene Figur 1 zeigt das chirurgische Instrument zum Legen von Hämostase- oder Markierungsclips, wobei die Handbetätigungseinheit und ein Teil der Ummantelungseinheit in Draufsicht und das patientennahe Ende des Instruments in vergrößertem Schnitt dargestellt sind, während die Figur 3 eine Explosionsdarstel-lung eines zur Verwendung mit dem Instrument der Figuren 1 geeigneten Markie-rungsclips zeigt:
- Entgegen der Auffassung der Beklagten offenbart die D 1 die Merkmale 3(b) und 6(b) nicht hinreichend unmittelbar und eindeutig. Mit Blick auf die Figur 1 führt die D 1 auf Seite 7 aus, dass der Steuerdraht zurückgezogen wird, wenn der Schiebegriff 17 an den Daumenring 11 angenähert wird. Dies führt dazu, dass der in Figur 3 gezeigte Markierungsclip geschlossen wird. So heißt es auf Seite 7 am Ende:
- „Wird der Schiebegriff 17 an den Daumenring angenähert, so zieht sich die Kabelseele 15 in den Kabelmantel 13 zurück, wodurch in noch zu beschreibender Weise ein eingehängter Markierungsclip geschlossen werden kann.“
- Der Fachmann kann der D 1 indes nicht unmittelbar entnehmen, dass der Vorgang auch umgekehrt werden kann. Zwar heißt es im folgenden Satz:
- „Ein in dem Schiebegriff 17 aufgenommenes, nicht dargestelltes Ein-griffselement ist in den Eingriff mit einer Zahnfläche 19 des Führungs-schafts 9 federvorgespannt und kann durch einen Druckknopf 21 aus der Zahnfläche 19 ausgehoben werden, so daß der Schiebegriff 17 ent-gegen der Zahnrichtung verschoben werden kann.“
- Wie der Fachmann dem ersten Satz im dritten Absatz auf Seite 10 noch entnehmen kann, verfügt die Zange des Markierungsclips über „federnd in ihre Öffnungsstellung vorgespannte Zangenarme“, daraus folgt aber nicht zwingend, dass sich die Zangen-arme auch wieder öffnen, wenn der Schiebegriff entgegen der Zahnrichtung verscho-ben wird. Entsprechendes folgt auch nicht, jedenfalls nicht unmittelbar und eindeutig daraus, dass der D 1 auf der Seite 8 noch von einem Schlauch gesprochen wird, der flexibel verschoben werden kann, da es ausschließlich auf die Reversibilität der Klemme ankommt.
- Auch die Einspruchsabteilung geht in ihrer vorläufigen Einschätzung vom 21. Januar 2021 (Anlage KAP I 33/33a) unter Ziff. 20.1 davon aus, dass die D 1 (= E 18) die kla-gepatentgemäße Reversibilität nicht hinreichend offenbart. Die Beklagten haben auch nicht aufzuzeigen vermocht, aus welchem Grund die Auffassung des EPA offensicht-lich unzutreffend sein sollte.
- Daher ist es für die Aussetzungsentscheidung ohne Belang, ob die D 1 auch eine nachgiebige Verbindung im Sinne der Merkmalsgruppe 4 hinreichend offenbart.
- ii)
Eine neuheitsschädliche Vorwegnahme der klagepatentgemäßen Lehre durch die ja-panische Schrift JP 63 267XXX A (vorgelegt als Anlage D 2 zum Anlagenkonvolut B 2, in deutscher Übersetzung vorgelegt als Anlage D 2‘; im Folgenden: D 2) konnte gleichfalls nicht festgestellt werden. - Die D 2 betrifft eine Klammervorrichtung für lebendes Gewebe, wobei sie eine Hülle mit einer Vielzahl von Klammern und einem Betätigungselement zum Vorschieben und Zurückziehen dieser Klammern umfasst. Die einzelnen Klammern sind mit einer Substanz mit niedrigem Schmelzpunkt verbunden. Die Klammern werden durch Erhit-zen mittels eines Heizkörpers an der Spitze der Hülle verformt, so dass sie sich öff-nen. Das Schließen der Klammern erfolgt sodann durch Zurückziehen des Drahtes und einem Erkalten. Sobald die Klammer gesetzt wurde, wird die Substanz zwischen ihr und der Nachfolgenden Klammer erhitzt, so dass sich die gesetzte Klammer von der Vorrichtung löst. Eine solche Vorrichtung ist auch in den nachfolgend wiedergege-benen Figuren 1 bis 5 der D 2 gezeigt:
- Entgegen der Auffassung der Beklagten fehlt es jedenfalls an der hinreichend unmit-telbaren und eindeutigen Offenbarung der Merkmale 4(b) und 4(c), mithin an der Of-fenbarung eines Brechens einer nachgiebigen Verbindung. Denn die über die übrigen Klammern vermittelte Verbindung der vorderen Klammer mit dem Steuerdraht wird nach dem übereinstimmenden Verständnis der Parteien von der Lehre der D 2 aufge-schmolzen, d.h. mittels Erhitzung gelöst. Soweit die Beklagten meinen, der die Vor-richtung nach der D 2 verwendende Arzt würde nicht warten, bis die Verbindung zwi-schen den Klammer komplett aufgeschmolzen ist, sondern vorher bereits nach Schwächung der Verbindung ziehen, so dass diese zerbricht, stellt dies nur eine Ver-mutung dar, die indes keine Stütze in der D 2 findet. Denn dort wird nicht davon ge-sprochen, dass die lösliche Substanz nur angeschmolzen wird, bevor sie zerrissen wird.
- Entsprechendes hat auch die Einspruchsabteilung in ihrer vorläufigen Einschätzung vom 21. Januar 2021 (Anlage KAP I 33) unter Ziff. 20.2 mitgeteilt.
- Unabhängig davon offenbart die D 2 auch die Reversibilität nach den Merkmal 3(b) und 6(b) des streitgegenständlichen Anspruchs 1 des Klagepatents nicht. Zwar kön-nen die Klammer in der D 2 theoretisch mehrfach geöffnet und wieder geschlossen werden, bevor sie endgültig gesetzt werden, dies erfolgt indes nicht – wie von den vorgenannten Merkmalen gefordert – durch den Steuerdraht bzw. durch dessen re-versible Betätigung, sondern dadurch, dass die Klammer mehrfach erhitz und insoweit auch mehrfach geöffnet werden.
- iii)
Eine neuheitsschädliche Vorwegnahme der klagepatentgemäßen Lehre durch die US-amerikanische Schrift US 5,766,XXX A (vorgelegt als Anlage D 3 zum Anlagenkonvo-lut B 2, in deutscher Übersetzung vorgelegt als Anlage B 3; im Folgenden: D 3) konn-te ebenfalls nicht festgestellt werden. - Vorliegend fehlt es an einer hinreichend unmittelbaren und eindeutigen Offenbarung des Brechens einer nachgiebigen Verbindung. Die D 3 zeigt eine Clipeinrichtung für ein lebendes Gewebe in einer Körperhöhle. Eine nach der Lehre der D 3 ausgebildete Vorrichtung ist in den nachfolgend wiedergegebenen Figuren 5 und 6 der D 3 zu se-hen:
- Unabhängig von der Offenbarung der übrigen Merkmale, wird der Haken der von der D 3 offenbarten Clipeinrichtung dadurch vom Rest der Vorrichtung gelöst, dass er sich (auf Zugkraft hin) verformt und dehnt. Dazu heißt es in den Zeilen 58ff. in Spalte 5 der D 3 (Hervorhebungen hinzugefügt):
- „When the arm portions 2A and 2B of the clip 2 reliably grasp the living tissue and the slider 12 is further pulled toward the proximal end side to retract the operating wire 13, the hook portion 3A of the coupling plate 3 of the clip 2 is deformed and stretched as shown in FIGS. 7 and 8. The clip 2 disengages from the coupling plate 3, becomes detached from the clip operating device 6 and is left inside the body cavity, holding the tissue.”
- Übersetzt:
„Wenn das lebende Gewebe durch die Schenkelabschnitte 2A und 2B des Clips 2 eingeklemmt ist und der Schieber 12 zur proximalen Endsei-te gezogen wird, um den Steuerdraht 13 einzuziehen, wird der Haken-abschnitt 3A der Kupplungsplatte 3 des Clips 2 verformt und ge-dehnt, und der Clip 2 trennt sich von der Clipbetätigungsvorrichtung 6 und bleibt in der Körperhöhle, wobei das lebende Gewebe erfasst wird.“ - Der Fachmann kann der D 3 daher kein Brechen eines nachgiebigen Abschnitts ent-nehmen, sondern nur eine Verformung des Hakens, die zwar ein Zerstören der ur-sprünglichen Form, aber kein Brechen darstellt. Einen Hinweis darauf, dass der Ha-ken auch brechen kann, findet der Fachmann in der D 3 an keiner Stelle. Davon scheint im Übrigen auch die Beklagten auszugehen, da sie selbst auf Seite 29 der Klageerwiderung (Rz. 97) ausführen, dass der Fachmann erkenne, dass der Haken „auch mal brechen könne“. Worauf sie diese Annahme stützen, offenbaren sie indes nicht.
- Auch mit Blick auf die D 3 hat die Einspruchsabteilung in ihrer vorläufigen Einschät-zung vom 21. Januar 2021 (Anlage KAP I 33) unter Ziff. 20.7 keine Bedenken an der Neuheit der klagepatentgemäßen Lehre geäußert.
- iv)
Die Kammer vermochte auch nicht festzustellen, dass die Lehre des Klagepatents durch die US-amerikanische Schrift US 5,749,881 A (vorgelegt als Anlage D 4 zum Anlagenkonvolut B 2, in deutscher Übersetzung vorgelegt als Anlage B 4; im Folgen-den: D 4) neuheitsschädlich vorweggenommen wird. - Der D 4 fehlt es an einer unmittelbaren und eindeutigen Offenbarung des Brechens einer nachgiebigen Verbindung, Merkmale 4(b) und 4(c). Die D 4 zeigt eine chirurgi-sche Klemmkombination zum (temporären) Verschließen einer Körperleitung durch Klemmen.
- Wie auch die Beklagten selbst zugestehen (s. Seite 26 der Duplik, Rz. 97), offenbart die D 4 an keiner Stelle ein (Zer-)Brechen der Verbindung zwischen der Klemme und dem Rest der Vorrichtung. Vielmehr ist die Vorrichtung nach der D 4 – worauf die Klägerin zu Recht hinweist – dafür ausgelegt, dass die temporär gesetzten Klemmen am Ende der Operation wieder entfernt werden, um die geklemmte Körperleitung frei-zugeben. Eine Zerstörung des Endes der Klemme wäre insoweit sogar kontraproduk-tiv, da die Klemme dann nur noch unter erschwerten Bedingungen wieder gelöst wer-den könnte. Die Beklagten meinen, dass sich ein mögliches, d.h. kein gezieltes, Bre-chen für den Fachmann bereits aus dem Umstand ergebe, dass die Vorrichtung sehr klein und damit auch fragil sei. Aus welchem Grund die Größe der Klemme ein Indika-tor für die Fragilität sein soll, lassen die Beklagten indes offen.
- v)
Schließlich vermochte die Kammer auch nicht festzustellen, dass der auf die fehlende Erfindungshöhe gestützte Nichtigkeitsangriff hinreichende Erfolgsaussichten hat. - (1)
Die Beantwortung der Frage, ob eine erfinderische Tätigkeit zu bejahen ist, bedarf einer wertenden Entscheidung (BGH, GRUR 1995, 330 – Elektrische Steckverbin-dung) unter Berücksichtigung der Kriterien des Standes der Technik als Ausgangs-punkt für die Beurteilung sowie des Fachwissens des Durchschnittsfachmanns in der Frage des Nichtnaheliegens. Die Beurteilung stützt sich auf tatsächliche Umstände, nämlich die Feststellung der Erfindung, des Standes der Technik sowie des dem maßgeblichen Fachmann eigenen Wissens und Könnens. Eine erfinderische Tätigkeit liegt erst in derjenigen Leistung, die sich über die Norm dessen erhebt, was ein Fachmann mit durchschnittlicher Ausbildung, Kenntnissen und Fähigkeiten bei her-kömmlicher Arbeitsweise erreichen kann. - Eine Maßnahme kann als „naheliegend“ angesehen werden, wenn der Fachmann sie in der Erwartung einer gewissen Verbesserung oder eines Vorteils vorgenommen hät-te. Maßgeblich ist eine angemessene (= realistische) Erfolgserwartung, so dass es nicht auf eine absolute Gewissheit im Hinblick auf das Eintreten vorteilhafter Effekte ankommt, andererseits aber auch nicht genügt, dass auf Seiten des Fachmanns die bloße Hoffnung auf ein gutes Gelingen besteht. Die angemessene Erfolgserwartung erfordert über den bloßen Wunsch nach Verbesserung hinaus eine vernünftige wis-senschaftliche Bewertung der vorliegenden Tatsachen (OLG Düsseldorf, Urteil v. 14.12.2017 – I-2 U 18/17 –, Rn. 44 ff., zitiert nach juris m.w.N.).
(2)
Unter Berücksichtigung dieser Grundsätze vermochte die Kammer nicht zu erkennen, dass die erfindungsgemäße Lehre für den Fachmann ausgehend von dem Artikel „I“ von J et al. (vorgelegt als Anlage B 14; nachfolgend: J) nahegelegen hat. - Unabhängig davon, dass die Beklagten dem Vortrag der Klägerin, die von J offenbarte Klemmvorrichtung entspreche dem vom Klagepatent in Absatz [0011]f. als vorbekannt gewürdigten Olympus-Clip mit der Folge, dass es sich insoweit um bereits gewürdig-ten Stand der Technik handelt, nicht entgegengetreten sind, haben die Beklagten mit Schriftsatz vom 17. November 2020 (dort auf S. 37) selbst ausgeführt, dass es J je-denfalls an der Offenbarung einer nachgiebigen Verbindung fehlt, die geeignet ist, gebrochen zu werden (Merkmalsgruppe 4). J zeige demgegenüber eine lösliche Ver-bindung von Steuerdraht und Klemme, die mittels Haken, Pin und Loch funktioniere.
- Dazu, welchen Anlass der Fachmann überhaupt gehabt haben sollte, die Vorrichtung nach J abzuwandeln und warum er – ein entsprechendes Bedürfnis unterstellt – dann auf eine zerbrechliche Verbindung gekommen wäre, schweigen die Beklagten. Es wä-re aber an ihnen gewesen, einen entsprechenden Anlass vorzutragen und nachvoll-ziehbar aufzuzeigen, aus welchen Schriften bzw. auf Grund welchen Fachwissens der Fachmann eine zerbrechliche Verbindung im Sinne der Lehre des Klagepatents ge-wählt hätte. Der pauschale Verweis auf die D 1 (DE‘XXX) genügt dafür jedenfalls nicht.
- II.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 91 Abs. 1 ZPO. - Der Ausspruch zur vorläufigen Vollstreckbarkeit beruht auf § 709 ZPO.