4b O 40/09 – Arterien-Punktionsverschluss

Düsseldorfer Entscheidung Nr.: 1375

Landgericht Düsseldorf
Urteil vom 30. März 2010, Az. 4b O 40/09

I. Die Klägerin wird unter Abweisung der Widerklage im Übrigen verurteilt,

1. es bei Meidung eines für jeden Fall der Zuwiderhandlung vom Gericht festzusetzenden Ordnungsgeldes bis zu 250.000,00 Euro – ersatzweise Ordnungshaft – oder einer Ordnungshaft bis zu sechs Monaten, im Falle wiederholter Zuwiderhandlung bis zu insgesamt zwei Jahren, wobei die Ordnungshaft an den jeweiligen Geschäftsführern zu vollstrecken ist, zu unterlassen,

Arterien-Punktionsverschlüsse zum Verschließen eines eine Punktionsöffnung aufweisenden arteriellen Blutgefäßes im menschlichen oder tierischen Körper mittels Eigenblut, mit einer mit Überdruck beaufschlagbaren Druckkammer, wobei die Druckkammer in ihrem vom Körper abgewandten Bereich eine Haltewand und ein Verschlusselement aufweist, gekennzeichnet dadurch, dass das Verschlusselement mindestens 1 mm dick ist, aus einem Material mit elastischer Rückstellkraft besteht und in einem für den Einstich der Kanüle vorgesehenen Bereich der Haltewand angebracht ist,

im Geltungsbereich des deutschen Anteils des Europäischen Patents EP 0 955 XXX B1 anzubieten, in Verkehr zu bringen oder zu gebrauchen oder zu den genannten Zwecken einzuführen oder zu besitzen;

2. der Beklagten darüber Rechnung zu legen, in welchem Umfang sie die zu 1. bezeichneten Handlungen seit dem 20. März 2003 begangen hat, und zwar unter Angabe

a) der Menge der erhaltenen oder bestellten Erzeugnisse sowie der Namen und Anschriften der Hersteller, Lieferanten und anderer Vorbesitzer sowie der bezahlten Preise,

b) der einzelnen Lieferungen, aufgeschlüsselt nach Liefermengen, -zeiten und –preisen (und ggf. Typenbezeichnungen) sowie den Namen und Anschriften der Abnehmer einschließlich der Verkaufsstellen, für welche die Erzeugnisse bestimmt waren,

c) der einzelnen Angebote, aufgeschlüsselt nach Angebotsmengen, -zeiten und –preisen (und ggf. Typenbezeichnungen) sowie den Namen und Anschriften der Angebotsempfänger,

d) der betriebenen Werbung, aufgeschlüsselt nach Werbeträgern, deren Auflagenhöhe, Verbreitungszeitraum und Verbreitungsgebiet, bei Internetwerbung der Domain, der Schaltungszeiträume und Zugriffszahlen, sowie bei Auftritten und Messen und anderen Ausstellungen der Orte und Zeiten,

e) der nach den einzelnen Kostenfaktoren aufgeschlüsselten Gestehungskosten und des erzielten Gewinns,

wobei

– die Klägerin zum Nachweis der Angaben zu a) und b) die entsprechenden Einkaufs- und Verkaufsbelege (Rechnungen) in Kopie vorzulegen hat, wobei geheimhaltungsbedürftige Details außerhalb der rechnungslegungspflichtigen Daten geschwärzt werden dürfen;

– die Angaben zu e) nur für die Zeit seit dem 23. Mai 2003 zu machen sind;

– Angaben zu den Einkaufspreisen sowie den Verkaufsstellen nur für die Zeit seit dem 1. September 2008 zu machen sind;

– der Klägerin vorbehalten bleibt, die Namen und Anschriften der nichtgewerblichen Abnehmer und Angebotsempfänger statt der Beklagten einem von der Beklagten zu bezeichnenden, ihr gegenüber zur Verschwiegenheit verpflichteten vereidigten Wirtschaftsprüfer mitzuteilen, sofern die Klägerin dessen Kosten trägt und ihn ermächtigt und verpflichtet, der Beklagten auf konkrete Anfrage mitzuteilen, ob ein bestimmter Abnehmer oder Angebotsempfänger in der Aufstellung enthalten ist;

3. die in ihrem unmittelbaren oder mittelbaren Besitz oder Eigentum befindlichen, unter Ziffer 1. bezeichneten Erzeugnisse zu vernichten oder nach ihrer Wahl an einen von ihr zu benennenden Treuhänder zum Zwecke der Vernichtung auf ihre – der Klägerin – Kosten herauszugeben;

4. die vorstehend zu Ziffer 1. bezeichneten, nach dem 1. September 2008 vertriebenen, im Besitz Dritter befindlichen Erzeugnisse aus den Vertriebswegen zurückzurufen, indem diejenigen Dritten, denen durch die Klägerin oder mit deren Zustimmung Besitz an den Erzeugnissen eingeräumt wurde, unter Hinweis darauf, dass die Kammer mit dem hiesigen Urteil auf eine Verletzung des deutschen Anteils des EP 0 955 XXXB1 erkannt hat, ernsthaft aufgefordert werden, die Erzeugnisse an die Klägerin zurückzugeben und Dritten für den Fall der Rückgabe der Erzeugnisse eine Rückzahlung des ggf. bereits gezahlten Kaufpreises sowie die Übernahme der Kosten der Rücknahme zugesagt wird und endgültig zu entfernen, indem die Klägerin diese Erzeugnisse wieder an sich nimmt, oder die Vernichtung derselben beim jeweiligen Besitzer veranlasst.

II. Es wird festgestellt,

1. dass die Klägerin verpflichtet ist, der Beklagten für die zu I.1. bezeichneten, für die Zeit vom 20. März 2003 bis zum 22. Mai 2003 begangenen Handlungen eine angemessene Entschädigung zu zahlen;

2. dass die Klägerin verpflichtet ist, der Beklagten allen Schaden zu ersetzen, der ihr durch die zu Ziffer I.1. bezeichneten, seit dem 23. Mai 2003 begangenen Handlungen entstanden ist und noch entstehen wird.

III. Die Klägerin wird verurteilt, an die Beklagte 2.257,00 Euro nebst Zinsen in Höhe von 5 % über dem Basiszinssatz nach § 247 BGB seit dem 4. Juli 2009 zu zahlen.

IV. Die Kosten des Rechtsstreits trägt die Klägerin.

V. Das Urteil ist für die Beklagte gegen Sicherheitsleistung wegen des Ausspruchs zu I.1. in Höhe von 250.000,00 Euro, wegen des Ausspruches zu I.2. in Höhe von 25.000,00 Euro, wegen der Aussprüche zu I.3. und 4. in Höhe von jeweils 12.500,00 Euro und wegen des Ausspruches zu II. in Höhe von 25.000,00 Euro sowie wegen des Ausspruches zu III. in Höhe von 110 % des zu vollstreckenden Betrages vorläufig vollstreckbar. Die Sicherheiten können jeweils auch durch schriftliche unwiderrufliche, unbedingte, unbefristete und selbstschuldnerische Bürgschaften einer in der Europäischen Union als Zoll- oder Steuerbürgin anerkannten Bank oder Sparkasse erbracht werden.

T a t b e s t a n d

Die Beklagte ist seit dem 20. März 2003 eingetragene Inhaberin des mit Wirkung für die Bundesrepublik Deutschland erteilten Europäischen Patentes 0 955 XXX (Anlage K 3, nachfolgend: Klagepatent). Das Klagepatent wurde am 17. November 1997 unter Inanspruchnahme zweier Prioritäten vom 16. November 1996 und 21. Juni 1997 angemeldet. Die Veröffentlichung der Anmeldung erfolgte am 17. November 1999, diejenige der Patenterteilung am 23. April 2003.

Das Klagepatent betrifft einen dichten Punktionsverschluss. Der für den vorliegenden Rechtsstreit maßgebliche Patentanspruch 1 hat folgenden Wortlaut:

„Arterien-Punktionsverschluss zum Verschließen eines eine Punktionsöffnung aufweisenden arteriellen Blutgefäßes im menschlichen oder tierischen Körper mittels Eigenblut, mit einer mit Überdruck beaufschlagbaren, im Bereich der Punktionsöffnung am Körper befestigbaren Druckkammer (13, 23, 33, 43, 53), wobei die Druckkammer (13, 23, 33, 43, 53) in ihrem vom Körper abgewandten Bereich eine Haltewand (11, 21, 31, 41, 51) und ein Verschlusselement (15, 25, 35) aufweist, gekennzeichnet dadurch, dass das Verschlusselement mindestens 1 mm dick ist, aus einem Material mit elastischer Rückstellkraft besteht, und in einem für den Einstich der Kanüle vorgesehenen Bereich der Haltewand (11, 21, 31, 41, 51) angebracht ist.“

Wegen des Wortlauts der lediglich „insbesondere“ geltend gemachten Ansprüche 2 bis 4, 8, 9, 11, 14, 16 sowie 17 wird auf die Klagepatentschrift verwiesen.

Nachfolgend wiedergegeben sind die Figuren 1 und 5 der Klagepatentschrift, welche nach Angabe der Klagepatentschrift bevorzugte Ausführungsformen des erfindungsgemäßen Gegenstandes zeigen. Figur 1 zeigt eine geschnittene Seitenansicht eines erfindungsgemäßen Punktionsverschlusses mit integriertem Arzneimittelträger. Figur 5 zeigt eine geschnittene Seitenansicht eines Punktionsverschlusses mit in der Haltewand integriertem Verschlusselement.

Die Klägerin vertreibt einen externen Gefäßverschluss mit der Bezeichnung „A“ (angegriffene Ausführungsform), von welchem als Anlage K 9 ein Muster vorgelegt wurde, auf welches Bezug genommen wird. Der angegriffene Punktionsverschluss ist dergestalt ausgebildet, dass über einem kreisförmigen Ausschnitt einer klebefähigen Folie ein linsenförmiges, aus Silikon bestehendes geschlossenes Element so angeordnet ist, dass es am Außenrand des kreisförmigen, nahezu die gesamte Fläche der Folie mit Ausnahme des Ausschnitts und der laschenförmigen Aufweitung der Silikonausläufer, verankert ist. Unterhalb des Bodens des linsenförmigen Elementes und seiner Ausläufer ist eine dünne Schicht aus Polyurethanfolie vorgesehen, die die Fläche und die kreisrunde Ausnehmung der elastischen Schicht überdeckt und mit dem linsenförmigen Element eine Druckkammer bildet.

Die Beklagte wandte sich mit dem als Anlage K 1 vorgelegten Schreiben vom 12. Oktober 2006 wegen der angegriffenen Ausführungsform an die Klägerin und erbat Auskunft über die Berechtigung zum Vertrieb derselben. Es entwickelte sich dann eine mehrmonatige Korrespondenz zwischen den Parteien. Mit Schreiben vom 4. Juni 2007 (Anlage K 6) mahnte die Beklagte die Klägerin wegen Verletzung des Klagepatentes mit Fristsetzung bis zum 20. Juni 2007 ab. Im Anschluss daran korrespondierten die Parteien über den Abschluss eines Lizenzvertrages, welcher nicht geschlossen wurde.

Mit Schriftsatz vom 18. Dezember 2008, eingegangen bei Gericht am 22. Dezember 2008, erhob die Klägerin negative Feststellungsklage gegen die Beklagte und macht geltend, dass die angegriffene Ausführungsform das Klagepatent nicht verletze, da die Haltewand und das Verschlusselement nicht voneinander getrennt ausgebildet seien. Nachdem die Beklagte mit Schriftsatz vom 29. Juni 2009 in dem Rechtsstreit der Parteien 4b O XXX/08 Widerklage wegen Verletzung des Klagepatentes erhoben hat, die Widerklage betreffend das hiesige Klagepatent in der mündlichen Verhandlung abgetrennt und mit dem vorliegenden Verfahren verbunden wurde, haben die Parteien die negative Feststellungsklage übereinstimmend für erledigt erklärt.

Die Beklagte meint, eine unmittelbare wortsinngemäße Verletzung des Klagepatentes liege vor, da das Klagepatent auch eine einteilige Ausgestaltung von Haltewand und Verschlusselement unter Schutz stelle.

Die Beklagte beantragt widerklagend,

zu erkennen, wie geschehen, sowie unter Ziffer I.2.d) zusätzlich,

bei direkter Werbung, wie Rundbriefen, der Namen und Anschriften der Empfänger,

sowie Rückruf und Entfernung ohne zeitliche Einschränkung.

Die Klägerin beantragt,

die Widerklage abzuweisen.

Eine Verletzung des Klagepatentes liege nicht vor. Das Klagepatent sehe eine zweiteilige – voneinander unterscheidbare – Ausgestaltung von Haltewand und Verschlusselement vor. Im Übrigen sei die Geltendmachung des Unterlassungsanspruches durch die Beklagte rechtsmissbräuchlich, da es sich um eine praktisch vermögenslose Briefkastengesellschaft handele.

Wegen des weiteren Sach- und Streitstandes wird auf die zwischen den Parteien gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen verwiesen.

E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e

Die zulässige Widerklage ist überwiegend begründet. Die angegriffene Ausführungsform, der externe Gefäßverschluss für die Hämodialyse mit der Bezeichnung „A“, macht von der Lehre nach dem Klagepatent unmittelbaren Gebrauch, so dass der Beklagten die geltend gemachten Ansprüche im tenorierten Umfang zustehen.

I.
1.
Die Erfindung nach dem Klagepatent betrifft einen Arterien-Punktionsverschluss zum Verschließen eines eine Punktionsöffnung aufweisenden Blutgefäßes im menschlichen oder tierischen Körper mittels Eigenblut, mit einer mit Überdruck beaufschlagbaren, im Bereich der Punktionsöffnung am Körper befestigbaren Druckkammer, wobei die Druckkammer in ihrem vom Körper angewandten Bereich eine Haltewand aufweist.

Zum Stand der Technik führt das Klagepatent in seiner einleitenden Beschreibung die DE-44 29 230, die WO 96/05774 und die WO 97/06735 (nachveröffentlicht) an. Danach sind Punktionsverschlüsse zum Verschließen eines eine Punktionsöffnung aufweisenden Blutgefäßes bekannt, deren Druckkammer solange mit dem aus dem Blutgefäß herausströmenden Blut gefüllt wird, bis sich in der Druckkammer der in dem Blutgefäß befindliche Blutdruck ausgebildet hat, so dass ein Druckgleichgewicht zwischen dem Blutgefäß und der Druckkammer herrscht. Durch dieses Druckgleichgewicht kommt die Blutung zum Stillstand. Der aus der DE-44 29 230 oder der WO 96/05774 bekannte Punktionsverschluss hat eine nahezu nicht dehnbare Haltewand, an deren Unterseite eine leicht dehnbare Druckwand, vorzugsweise aus Latex, angebracht ist.

Zum Hintergrund der Erfindung führt das Klagepatent weiter aus, dass vor Beginn des therapeutischen oder diagnostischen Eingriffs der Punktionsverschluss im Bereich der zu erwartenden Punktierung des Blutgefäßes auf den menschlichen oder tierischen Körper aufgeklebt wird. Anschließend wird die Kanüle der Injektionsspritze, des Katheters oder dergleichen durch die Druckkammer, insbesondere durch die Haltewand und durch die Druckwand hindurch gestoßen, um anschließend durch die Haut und das Gewebe des Patienten bis in das betreffende Blutgefäß zu gelangen, so dass nun die erforderliche Behandlungsmaßnahme durchgeführt werden kann. Um beim Durchstechen der Kanüle die Gefahr des Ausstanzenz von Materialpartikelchen aus der Haltewand auszuschließen, ist vorgeschlagen worden, in der Haltewand und/oder Druckwand vorgefertigte Öffnungen vorzusehen. Letzteres hat sich jedoch als nicht praktikabel erwiesen, da das Blut durch diese vorgefertigten Öffnungen austreten kann und beispielsweise eine der am Punktionsverschluss vorhandenen Klebeschichten schwächt, so dass das Blut unkontrolliert austreten kann. Nach Beendigung der Behandlung wird die Kanüle aus dem Körper des Patienten und dem Punktionsverschluss herausgezogen, wobei der Punktionsverschluss am Körper kleben bleibt. Sodann wird die in der Haltewand befindliche Öffnung durch eine auf der Haltewand angebrachte, mit einem Kleber ausgerüstete Verschlusslasche geschlossen (DE-44 29 230, die WO 96/05774 oder die WO 97/06735). Hierbei kann es vorkommen, so das Klagepatent, dass einzelne Blutstropfen aus der Druckkammer und/oder der Kanüle entweichen, bevor die Verschlusslasche die Öffnung abdichtet. Diese Blutstropfen sind unhygienisch und stellen eine Infektionsgefahr für das behandelnde Personal dar. Außerdem wird durch diese Blutstropfen auch der Kleber derart geschwächt, dass ein druckdichtes Aufkleben der Verschlusslasche auf der Haltewand nicht mehr möglich ist.

Vor diesem Hintergrund hat es sich die Erfindung nach dem Klagepatent zur Aufgabe gemacht, einen Punktionsverschluss zu schaffen, dessen Druckkammer nach dem Entfernen der Kanüle zuverlässig verschlossen werden kann.

Hierzu schlägt das Klagepatent in seinem für den vorliegenden Rechtsstreit maßgeblichen Patentanspruch 1 eine Vorrichtung mit folgenden Merkmalen vor:

1. Arterien-Punktionsverschluss zum Verschließen eines eine Punktionsöffnung aufweisenden arteriellen Blutgefäßes im menschlichen oder tierischen Körper mittels Eigenblut;

2. der Punktionsverschluss hat eine mit Überdruck beaufschlagbare, im Bereich der Punktionsöffnung am Körper befestigbare Druckkammer (13, 23, 33, 43, 53);

3. die Druckkammer weist in ihrem vom Körper abgewandten Bereich eine Haltewand (11, 21, 31, 41, 51) und ein Verschlusselement (15, 25, 35) auf;

4. das Verschlusselement ist mindestens einen Millimeter dick;

5. das Verschlusselement besteht aus einem Material mit elastischer Rückstellkraft;

6. das Verschlusselement ist in einem für den Einstich der Kanäle vorgesehenen Bereich der Haltewand (11, 21 etc.) angebracht.

2.
Der angegriffene Gefäßverschluss macht von den Merkmalen der obigen Merkmalsgliederung wortsinngemäßen Gebrauch, auch wenn bei diesem die Haltewand und das Verschlusselement einteilig ausgestaltet sind.

Merkmal 3. sieht vor, dass die Druckkammer in ihrem vom Körper abgewandten Bereich eine Haltewand und ein Verschlusselement aufweist, womit nicht gesagt wird, dass die Haltewand und das Verschlusselement aus zwei getrennten Vorrichtungsbestandteilen bestehen müssen. Das Merkmal setzt lediglich das Vorhandensein von Haltewand und Verschlusselement voraus, ohne Angaben zur räumlich-körperlichen Ausgestaltung zu machen. Im Gegensatz zur Haltewand wird das Verschlusselement in den weiteren Merkmalen 4 bis 6 näher beschrieben. Danach ist es mindestens einen Millimeter dick und besteht aus einem Material mit elastischer Rückstellkraft und ist in einem für den Einstich der Kanäle vorgesehenen Bereich der Haltewand angebracht. Merkmal 6 enthält damit zum einen eine Lokalisierungsvorgabe für das Verschlusselement. Zum anderen kann es auch als Hinweis verstanden werden, dass das Verschlusselement nicht zwingend auf der Haltewand angebracht sein muss, da von einem Anbringen in einem für den Einstich der Kanäle vorgesehenen Bereich die Rede ist. Mithin kann das Verschlusselement auch Bestandteil der Haltewand, in dieses integriert sein. Haltewand und Verschlusselement müssen daher bereits nach dem Anspruchswortlaut nicht zwingend zwei Lagen bilden.

Dass die einstückige Ausbildung von Verschlusselement und Haltewand im Sinne einer Integration des Verschlusselementes in der Haltewand auch in der Weise geschehen kann, dass die gesamte Haltewand entsprechend der Merkmale 4 und 5 der obigen Merkmalsgliederung ausgebildet ist und das Verschlusselement in der Haltewand „aufgeht“ und beide Teile deshalb nicht mehr als getrennt voneinander wahrnehmbar sind, folgt auch aus der Beschreibung der Erfindung, insbesondere den Abschnitten [0022] und [0027].

In Absatz [0022] beschreibt das Klagepatent ausdrücklich eine Ausführungsform als erfindungsgemäß, in der die gesamte Haltewand aus einem Material mit einer elastischen Rückstellkraft gebildet wird, wobei die Haltewand entweder eine einheitliche Dicke oder aber im Einstichbereich eine entsprechende Verdickung aufweist. Soweit der Abschnitt mit „in einer alternativen Ausführungsform“ eingeleitet wird, bedeutet dies nicht, dass es sich um eine – nicht erfindungsgemäße – Alternative zur technischen Lehre des Klagepatentes handelt. Dies geben die anschließenden Erläuterungen in der Klagepatentschrift zu erkennen. Absatz [0023] nimmt u.a. Bezug auf eine Haltewand aus elastischem Material und gibt weiter an, was zu beachten ist, wenn man diese Ausführungsform wählt. Dies wäre überflüssig, wenn es sich nicht um eine erfindungsgemäße Variante handeln sollte. In Absatz [0044] findet sich der gleiche Wortlaut der Formulierung („in einer alternativen, hier nicht …“). Es kann daher kein Zweifel bestehen, dass das Klagepatent die an dieser Stelle beschriebene Ausführungsform als erfindungsgemäß erachtet. Die Verwendung von „alternativ“ ist demnach nicht so zu verstehen als ob damit etwas außerhalb der technischen Lehre des Klagepatentes beschrieben wird. Weiteres ergibt sich aus Figur 5, dessen Kurzerläuterung in Absatz [0030] sowie der Beschreibung in Absatz [0040]. Die Figur 5 zeigt in der Zeichnung lediglich eine – „dickere“ – Haltewand, nicht jedoch ein separates Verschlusselement. Absatz [0040] bezeichnet das in Figur 5 gezeigte als alternative Ausführungsform, mithin erfindungsgemäß. Bei der Erläuterung der einzelnen Figuren in Absatz [0030] heißt es in Übereinstimmung mit dem Gesagten, Figur 5 zeige eine geschnittene Seitenansicht eines erfindungsgemäßen Punktionsverschlusses mit in der Haltewand integriertem Verschlusselement.

Zwar ist der Klägerin zuzustimmen, dass allein dadurch, dass etwas in der Beschreibung genannt ist, dies nicht dazu führen darf, dass es automatisch vom Schutzbereich des Anspruchs umfasst wird. Die Beschreibung muss vielmehr ihren Niederschlag im Anspruch gefunden haben. Dies ist hingegen vorliegend der Fall. Denn der Anspruch selbst benennt nur die beiden Bestandteile, lässt jedoch die konkrete Ausgestaltung offen und enthält mit Merkmal 6 einen Hinweis zur Integration des Verschlusselementes in die Haltewand. Da der Fachmann stets bemüht ist, ein Verständnis zu Grunde zu legen, das alle als erfindungsgemäß bezeichneten Varianten umfasst, wird er von dem dargelegten Verständnis ausgehen. Denn wenn es eine solche sinnvolle Auslegung gibt, wird er eine solche auch wählen. Begreift man in zulässiger Weise den Anspruch 1 wie dargestellt, fügt sich auch die Figur 5 als erfindungsgemäß ein. Hinzu treten die Absätze [0026] und [0027], welche in die gleiche Richtung weisen. Die einstückige Ausbildung der aus elastischem Material bestehenden Haltewand mit dem Verschlusselement wird ausdrücklich als erfindungsgemäß beschrieben. Ebenso gestützt wird diese Auffassung von dem auf Anspruch 1 rückbezogenen Unteranspruch 3, der gesondert eine Vorrichtung unter Schutz stellt, bei der das Verschlusselement auf der Haltewand angebracht ist, insbesondere aufgeklebt ist. Dies ist die „nicht integrierte“ Variante, bei der zwei Lagen übereinander angeordnet sind, wobei bei dieser eine bestimmte Art der Verbindung besonders hervorgehoben wird. Anspruch 1 geht jedoch über diesen Unteranspruch hinaus.

Auch nach der technischen Funktion von Verschlusselement und Haltewand kommt es auf das Vorhandensein unterschiedlicher Bestandteile nicht an. Denn während die Haltewand dafür Sorge zu tragen hat, dass sich die Druckkammer nicht vom Körper des Patienten weg ausdehnt (vgl. Absatz [0012]), sondern nur zum Patienten hin, damit in der Druckkammer der für die Blutstillung notwendige Druck aufgebaut werden kann, kommt dem Verschlusselement die Aufgabe zu, die Öffnung in der Druckkammer, die durch das Einstechen der Kanüle erzeugt worden ist, nach dem Herausziehen der Kanüle wieder zuverlässig zu verschließen (Absätze [0007], [0009]). Damit das Verschlusselement dies gewährleisten kann, besteht es aus dem in den Merkmalen 4 und 5 beschriebenen Material. Dass diese Funktionen nicht auch von einem in die Haltewand integrierten Verschlusselement wahrgenommen werden kann, mithin einer einteiligen Ausgestaltung, ist nicht zu erkennen und wurde auch von der Klägerin nicht vorgetragen.

Entscheidend ist daher lediglich, dass es ein räumlich-körperliches Bauteil gibt, das auf Grund seiner räumlich-körperliche Ausgestaltung die beiden Funktionen wahrnehmen kann. Es muss einerseits als Haltewand wirken, d.h. eine Ausdehnung vom Körper weg verhindern, und andererseits als Verschlusselement, mithin ein Verschließen der Öffnung nach herausziehen der Nadel gewährleisten.

Dass diese Funktion durch die angegriffene Ausführungsform nicht verwirklicht ist, hat auch die Klägerin nicht vorgetragen, so dass die einteilige Ausgestaltung von Haltewand und Verschlusselement von Merkmal 3 der Merkmalsgliederung und entsprechend Patentanspruch 1 wortsinngemäßen Gebrach macht.

II.
Da die Klägerin das Klagepatent widerrechtlich benutzt hat, ist sie der Beklagten gemäß Art. 64 EPÜ, § 139 Abs. 1 PatG zur Unterlassung der Benutzungshandlungen verpflichtet.

Entgegen der Auffassung der Klägerin unterfällt die Durchsetzung des Unterlassungsanspruchs durch die Beklagte nicht dem Schikaneverbot (§ 226 BGB). Dieser Einwand ist nur in strengen Ausnahmesituationen begründet. Denn das Patent als subjektives vermögenswertes Recht gewährt dem Patentinhaber nach Art. 64 EPÜ i.V.m. § 9 Satz 2 PatG eine gegenüber jedermann wirkende ausschließliche Rechtsposition, wodurch dem Patentinhaber verfassungsrechtliches Eigentum zukommt (Art. 14 Abs. 1, 19 Abs. 3 GG). Der Gesetzgeber hat die Wahrnehmung der Ausschließlichkeitsbefugnis nach § 9 Satz 2 PatG nicht an eine gleichzeitige Benutzung des Patents durch den Patentinhaber geknüpft, so dass die Beklagte als Patentinhaberin auch ohne eigene Nutzung des Klagepatentes zur Geltendmachung eines Unterlassungsanspruchs berechtigt ist. Anhand der von der Klägerin vorgetragenen Umstände ergibt sich nichts anderes. Zwar mag es sich bei der Beklagten um eine Briefkastenfirma mit einem Haftungskapital von 10.000,00 USD handeln, bei der die Gefahr besteht, dass dann, wenn diese den Unterlassungstitel vollstreckt und sich dieser später als unzutreffend herausstellt, die Klägerin etwaige Schadensersatzansprüche nicht realisieren könnte. Diesem Umstand wird jedoch durch die Vollstreckbarkeitserklärung nur gegen Sicherheitsleistung genüge geleistet. Die Klägerin selbst hat als Streitwert für die negative Feststellungsklage 250.000,00 Euro angegeben, so dass sie selbst von einem solchen Schaden ausgeht, wenn eine Herstellung und Vertrieb nicht mehr zulässig sind. Entsprechend wurde die Sicherheitsleistung für die Vollstreckung des Unterlassungsanspruchs auf 250.000,00 Euro festgesetzt. Im Übrigen hat die Klägerin in der Klageschrift selbst vorgetragen, dass die Parteien über den Abschluss eines Lizenzvertrages verhandelt haben, so dass es der Beklagten nicht allein um die Vernichtung von Besitzstand gehen kann, wie von der Klägerin vorgetragen wurde. In diesem Fall wäre die Beklagte wirtschaftlich tätig und würde daher das Patent verwerten, so dass es der Beklagten auch insoweit nicht an einem berechtigten schutzwürdigen Eigeninteresse (§§ 242, 826 BGB) fehlt.

Die Klägerin trifft ein zumindest fahrlässiges Verschulden. Bei Anwendung der von ihr im Geschäftsverkehr zu fordernden Sorgfalt hätte sie die Benutzung des Klagepatents erkennen und vermeiden können. Für die Zeit nach Patenterteilung schuldet die Klägerin daher Ersatz des Schadens, welcher der Beklagten entstanden ist und noch entstehen wird, Artikel 64 EPÜ, § 139 Abs. 2 PatG. Der tenorierte Entschädigungsanspruch nach Offenlegung des Klagepatentes hat seine Grundlage in Art. II § 1 IntPatÜG. Da die genaue Schadensersatzhöhe derzeit noch nicht feststeht, die Beklagte nämlich keine Kenntnis über den Umfang der Benutzungs- und Verletzungshandlungen durch die Klägerin hat, hat sie ein rechtliches Interesse gemäß § 256 ZPO daran, dass die Entschädigungs- und Schadensersatzpflicht der Klägerin dem Grunde nach festgestellt wird. Um die Beklagte in die Lage zu versetzen, den ihr zustehenden Anspruch auf Entschädigung und Schadensersatz zu beziffern, ist die Klägerin verpflichtet, im zuerkannten Umfange über ihre Benutzungshandlungen Rechnung zu legen. Im Rahmen der gemäß § 140 b PatG bestehenden Auskunftspflicht hat die Klägerin außerdem die betreffenden Belege zu überlassen (vgl. OLG Düsseldorf, InstGE 5, 249 – Faltenbalg). In Bezug auf diesen Anspruch war die Klage jedoch insoweit abzuweisen, als dass die Beklagte zusätzlich die Angabe der Anschriften der Empfänger direkter Werbung, wie etwa Rundschreiben, verlangt hat. Im Rahmen des Rechnungslegungsanspruchs hat der Schuldner alle diejenigen Einzelheiten mitzuteilen, die der Schutzrechtsinhaber für die Ermittlung der betreffenden Leistungsansprüche und für eine zumindest stichprobenweise Überprüfung der gemachten Angaben auf ihre Richtigkeit benötigt. Hierfür ist aber die begehrte detaillierte Angabe von Anschriften von Empfängern von Rundschreiben nicht erforderlich. Eine Plausibilitätsprüfung der gemachten Angaben anhand der geschuldeten Angaben zu Anzahl und Menge der Werbung ist der Beklagten aber ohne weiteres ohne zusätzliche Angaben möglich. Hiermit kann auch das wirkliche Werbevolumen festgestellt werden. Insoweit sind im Übrigen auch schützenswerte Interessen der Klägerin anzuerkennen, die ihre Kundenadressen nicht ohne nähere Anhaltspunkte für Patentverletzungen preisgeben müssen.

Der Anspruch der Beklagten auf Vernichtung sowie Rückruf und Entfernung patentverletzender Erzeugnisse folgt aus § 140a Abs. 1 PatG. Der Anspruch auf Rückruf und Entfernung war mit Wirkung zum 01. September 2008 zuzuerkennen, dem Zeitpunkt des Inkrafttretens des Gesetzes zur Umsetzung der Durchsetzungsrichtlinie (vgl. BGH, GRUR 2009, 660 – Resellervertrag: GRUR 2009, 515 –Motorradreiniger).

Da die Klägerin – wie ausgeführt – schuldhaft gehandelt hat, folgt der Anspruch der Beklagten auf Erstattung der Abmahnkosten aus § 139 Abs. 2 PatG. Auch die Aufwendungen für die berechtigte, wenngleich im Ergebnis erfolglose Abmahnung stellen einen zurechenbaren und ersatzfähigen Schadensposten dar. Die Beklagte durfte sich herausgefordert fühlen, eine Abmahnung in patentanwaltlichem Beistand auszusprechen, da die nicht fernliegende Möglichkeit bestand, auf diese Weise einen aufwändigen und kostspieligen Rechtsstreit zu vermeiden. Dass sich diese Hoffnung nicht erfüllt hat, lässt die Erforderlichkeit der Aufwendungen für die Abmahnung unberührt (vgl. Kühnen/Schulte, Patentgesetz, § 139 Rn. 205). Auch der Höhe nach sind die geltend gemachten Kosten gerechtfertigt. Die Beklagte macht für den Patentanwalt eine 1,5 Gebühr auf der Grundlage eines Gegenstandswerts von 250.000,00 € geltend. Dieser Gebührenansatz ist angemessen. Der Zinsanspruch ergibt sich aus §§ 288 Abs. 1, 291 BGB.

III.
Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 92 Abs. 2, 91 a ZPO. Im Rahmen der nach Billigkeitserwägungen zu treffenden Kostenentscheidung nach § 91a ZPO wegen der übereinstimmend für erledigt erklärten negativen Feststellungsklage waren der Klägerin keine Kosten aufzuerlegen, da die negative Feststellungsklage und die Widerklage denselben Gegenstand betrafen und somit durch die Erhebung der negativen Feststellungsklage und deren übereinstimmende Erledigung keine zusätzlichen Kosten entstanden sind.

Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit folgt aus §§ 709, 108 ZPO.

Der Streitwert für Klage und Widerklage beträgt jeweils 250.000,00 EUR, insgesamt 250.000,00 Eur. Eine Zusammenrechnung der Streitwerte von Klage und Widerklage kommt vorliegend nicht in Betracht, da Klage und Widerklage denselben Gegenstand betreffen (§ 45 Abs. 1 Satz 3 GkG).

Davon entfallen auf die Anträge der Widerklage im Einzelnen:

 Unterlassungsantrag (Antrag I.1.): 175.000,- Euro
 Rechnungslegung und Auskunft (Antrag I.2.): 25.000,- Euro
 Vernichtung (Antrag zu I.3.): 12.500,- Euro
 Rückruf und Entfernung (Antrag zu I.4): 12.500,- Euro
 Feststellung der Entschädigung- und Schadenersatzverpflichtung (Antrag II.): 25.000,- Euro