4b O 35/19 – Motorfahrzeug

Düsseldorfer Entscheidungen Nr. 3075

Landgericht Düsseldorf

Urteil vom 22. Oktober 2020, Az. 4b O 35/19

  1. I.
    Die Beklagten werden verurteilt,
  2. 1.
    es bei Meidung eines vom Gericht für jeden Fall der Zuwiderhandlung festzusetzenden Ordnungsgeldes bis zu 250.000 Euro, ersatzweise Ordnungshaft, oder einer Ordnungshaft bis zu sechs Monaten, im Wiederholungsfall Ordnungshaft bis zu zwei Jahren, diese zu vollziehen an ihren gesetzlichen Vertretern, zu unterlassen,
  3. Motorfahrzeuge mit folgenden Merkmalen
  4. in der Bundesrepublik Deutschland anzubieten, in Verkehr zu bringen oder zu gebrauchen oder zu den genannten Zwecken zu besitzen:
  5. umfassend einen Verbrennungsmotor und
  6. eine erste elektronische Steuereinheit zum Steuern des Motors in Abhängigkeit von der Einstellung einer manuellen Drosselsteuerung, und
  7. eine zweite elektronische Steuereinheit zum Steuern des Getriebes in Abhängigkeit von einer eingestellten Position eines manuell betätigten, elektronischen Gangauswählers,
  8. wobei das Fahrzeug ausgestattet ist mit einer Geschwindigkeitsregelfunktion, die eingerichtet ist, um die Drosselöffnung und das Bremsen des Fahrzeugs zu steuern,
  9. Mitteln zum Bereitstellen von Information über die gegenwärtige Position des Fahrzeugs mit Hilfe von GPS,
  10. Mitteln zum Bereitstellen einer Topologieinformation,
  11. wobei die Information über die Topologie Information über Gradienten oder Höhenwerte für die Straße aufweist;
  12. wobei eine der Steuereinheiten vorgesehen ist, um mit zugeführten Parametern und damit zumindest in Kenntnis einer eingestellten Sollgeschwindigkeit des Fahrzeugs, der umgebenden Topologie und der Drosselöffnungsposition
  13. die Drosselöffnung in solchen Fällen zu vermindern, in denen das Fahrzeug in Bezug auf die eingestellte Sollgeschwindigkeit eine Geschwindigkeit unterhalb der Sollgeschwindigkeit besitzt, und in denen eine zukünftige Schwerkraft, nachfolgend das Fahrzeug beschleunigen wird, und
  14. die kinetische Energie des Fahrzeugs in solchen Fällen zu nutzen, in denen das Fahrzeug eine Geschwindigkeit oberhalb der Sollgeschwindigkeit besitzt und eine zukünftige Schwerkraft das Fahrzeug verlangsamen wird;
  15. 2.
    der Klägerin darüber Auskunft zu erteilen, in welchem Umfang sie (die Beklagten) die zu Ziffer 1. bezeichneten Handlungen seit dem 1. Januar 2016 begangen haben, und zwar unter Angabe
  16. a) der Namen und Anschriften der Hersteller, Lieferanten und anderer Vorbesitzer,
    b) der Namen und Anschriften der gewerblichen Abnehmer sowie der Verkaufsstellen, für die die Erzeugnisse bestimmt waren,
    c) der Menge der ausgelieferten, erhaltenen oder bestellten Erzeugnisse sowie der Preise, die für die betreffenden Erzeugnisse bezahlt wurden;
  17. wobei zum Nachweis der Angaben entsprechende Kaufbelege (nämlich Rechnungen, hilfsweise Lieferscheine) in Kopie vorzulegen sind, wobei geheimhaltungsbedürftige Details außerhalb der auskunftspflichtigen Daten geschwärzt werden dürfen;
  18. 3.
    der Klägerin in einem geordneten Verzeichnis darüber Rechnung zu legen, in welchem Umfang sie (die Beklagten) die unter Ziffer 1. aufgeführten Handlungen seit dem 5. März 2009 begangen haben, und zwar unter Angabe
  19. a) der einzelnen Lieferungen, aufgeschlüsselt nach Liefermengen, Lieferzeiten, Lieferpreisen, sowie der Typenbezeichnungen und der Namen und Anschriften der Abnehmer,
    b) der einzelnen Angebote, aufgeschlüsselt nach Angebotsmengen, Angebotszeiten, Angebotspreisen, sowie Typenbezeichnungen und der Namen und Anschriften der Angebotsempfänger,
    c) der betriebenen Werbung, aufgeschlüsselt nach Werbeträgern, deren Auflagenhöhe, Verbreitungszeitraum und Verbreitungsgebiet,
    d) der nach den einzelnen Kostenfaktoren aufgeschlüsselten Gestehungs- und Vertriebskosten und des erzielten Gewinns,
  20. wobei
    – den Beklagten vorbehalten bleibt, die Namen und Anschriften ihrer nicht gewerblichen Abnehmer und Angebotsempfänger statt der Klägerin einem von dieser zu bezeichnenden, ihr gegenüber zur Verschwiegenheit verpflichteten, vereidigten Wirtschaftsprüfer mit Sitz in der Bundesrepublik Deutschland mitzuteilen, sofern die Beklagten dessen Kosten tragen und ihn ermächtigen und verpflichten, der Klägerin auf konkrete Anfrage mitzuteilen, ob ein bestimmter Abnehmer bzw. bestimmter Angebotsempfänger in der Rechnung enthalten ist;
    – die Aufstellung mit den Daten der Rechnungslegung in einer mittels EDV auswertbaren, elektronischen Form zu übermitteln ist;
  21. 4.
    die seit dem 1. Januar 2016 in ihren Besitz oder Eigentum gelangten und dort noch befindlichen, unter Ziffer 1. bezeichneten Gegenstände auf ihre Kosten zu vernichten, indem die Funktion „A“ (A) beseitigt wird;
  22. 5.
    die unter Ziffer I.1. bezeichneten, seit dem 1. Januar 2016 in Verkehr gebrachten, im Besitz Dritter, die nicht (private) Endabnehmer sind, befindlichen Erzeugnisse aus den Vertriebswegen zurückzurufen, indem diejenigen Dritten, denen durch die Beklagten oder mit deren Zustimmung Besitz an den Erzeugnissen eingeräumt wurde, unter Hinweis darauf, dass die Patentstreitkammer des Landgerichts Düsseldorf (mit Angabe des Datums und des Aktenzeichens des Urteils) auf eine Verletzung des deutschen Teils des europäischen Patents EP 1 439 XXX B1 erkannt hat, ernsthaft aufgefordert werden, die Erzeugnisse an die Beklagten zurückzugeben, wobei den Dritten für den Fall der Rückgabe der Erzeugnisse eine Erstattung etwaiger Entgelte sowie Übernahme notwendiger Verpackungs- und Transportkosten sowie der mit der Rückgabe verbundenen Zoll- und Lagerkosten zugesagt wird, und die Beklagten die zurückgegebenen Erzeugnisse wieder an sich nehmen.
  23. II.
    Es wird festgestellt, dass die Beklagten als Gesamtschuldner verpflichtet sind, der Klägerin allen Schaden zu ersetzen, der dieser in Bezug auf die in Ziffer I.1. bezeichneten, seit dem 5. März 2009 begangenen Handlungen entstanden ist und noch entstehen wird, wobei sich die Schadensersatzpflicht für die vor dem 1. Januar 2016 begangenen Handlungen auf die Herausgabe dessen beschränkt, was die Beklagten durch die Benutzung des deutschen Teils des europäischen Patents EP 1 439 XXX auf Kosten der Klägerin erlangt haben.
  24. III.
    Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
  25. IV.
    Die Kosten des Rechtsstreits haben die Beklagten zu tragen.
  26. V.
    Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 1.000.000,00 Euro, wobei für die Vollstreckung der einzelnen titulierten Ansprüche folgende Teilsicherheiten festgesetzt werden:
    Ziff. I. 1., 4., 5 des Tenors.: 750.000 Euro
    Ziff. I. 2., 3. des Tenors: 150.000 Euro
    Ziff. IV. des Tenors: 110% des jeweils zu vollstreckenden
    Betrages.
  27. Tatbestand
  28. Die Klägerin nimmt die Beklagten wegen Verletzung des deutschen Teils des europäischen Patents EP 1439XXX B 1 (nachfolgend Klagepatent) auf Unterlassung, Auskunft und Rechnungslegung, Rückruf und Vernichtung sowie Feststellung der Schadensersatzverpflichtung und der Verpflichtung zum Ersatz des Restschadens in Anspruch.
  29. Die Klägerin ist eingetragene Inhaberin des Klagepatents (Anlage HE-C 1, deutsche Übersetzung Anlage HE-C 3), das am 30. Oktober 2002 unter Inanspruchnahme einer Priorität vom 31. Oktober 2001 angemeldet wurde. Der Hinweis auf die Erteilung des Klagepatents wurde am 29. November 2006 veröffentlicht. Das Klagepatent steht in Kraft. Gegen das Klagepatent ist Nichtigkeitsklage erhoben worden, über die noch nicht entschieden ist.
  30. Das in englischer Verfahrenssprache erteilte Klagepatent betrifft eine Geschwindigkeitsregelung für Fahrzeuge. Der von der Klägerin geltend gemachte Patentanspruch 1 lautet in deutscher Übersetzung:
  31. Motorfahrzeug, umfassend einen Verbrennungsmotor und eine erste elektronische Steuereinheit zum Steuern des Motors in Abhängigkeit von der Einstellung einer manuellen Drosselsteuerung und eine zweite elektronische Steuereinheit zum Steuern des Getriebes in Abhängigkeit von einer eingestellten Position eines manuell betätigten, elektronischen Gangauswählers, dadurch gekennzeichnet, dass das Fahrzeug ausgestattet ist mit einer Geschwindigkeitsregelfunktion, die angeordnet ist, um die Drosselöffnung und das Bremsen des Fahrzeugs zu steuern; Mitteln zum Bereitstellen von Informationen über die gegenwärtige Position des Fahrzeugs mit Hilfe von GPS; Mitteln zum Bereitstellen einer Topologieinformation, wobei die Information über die Topologie Information über Gradienten oder Höhenwerte für die Straße aufweist; wobei eine der Steuereinheiten vorgesehen ist, um mit zugeführten Parametern und damit zumindest in Kenntnis einer eingestellten Sollgeschwindigkeit des Fahrzeugs, der umgebenden Topologie und der Drosselöffnungsposition die Drosselöffnung in solchen Fällen zu vermindern, in denen das Fahrzeug in Bezug auf die eingestellte Sollgeschwindigkeit eine Geschwindigkeit unterhalb der Sollgeschwindigkeit besitzt, und in denen eine zukünftige Schwerkraft nachfolgend das Fahrzeug beschleunigen wird, und die kinetische Energie des Fahrzeugs in solchen Fällen zu nutzen, in denen das Fahrzeug eine Geschwindigkeit oberhalb der Sollgeschwindigkeit besitzt und eine zukünftige Schwerkraft nachfolgend das Fahrzeug verlangsamen wird.
  32. Hinsichtlich der „insbesondere“ geltend gemachten Unteransprüche 2 bis 5 und 7 bis 13 wird auf die Klagepatentschrift verwiesen.
  33. Figur 1 der Klagepatentschrift zeigt eine schematische Darstellung eines Ausführungsbeispiels einer Antriebseinheit gemäß der Erfindung:
  34. Figur 3 zeigt eine Übersicht über die Eingaben in die zweite Steuereinheit:
  35. Die Beklagte zu 1. ist Teil der schwedischen A. Sie importiert LKW und Busse und vertreibt diese in der Bundesrepublik Deutschland, unter anderem auf der deutschsprachigen Webseite www.A.com/de/de/home.html. Darüber hinaus stellte die Beklagte zu 1. LKW auf der in Hannover veranstalteten Messe „B“ im Zeitraum vom 20. bis 27. September 2018 aus.
  36. Die Beklagte zu 2. ist die deutsche Vertriebsgesellschaft der Beklagten zu 1. Sie betreibt in der Bundesrepublik ein Netz von Vertriebs- und Werkstatt-Standorten. Dort bietet sie u.a. LKW zum Verkauf und zur Vermietung an.
  37. Die Beklagten bieten in der Bundesrepublik Deutschland an und bringen in Verkehr LKW, die mit dem sogenannten „C“ ausgestattet sind und die „A D-“ bzw. „(E) D“-Funktionalität (nachfolgend „A“) besitzen, insbesondere die aktuellen Baureihen L, P, G, R und S sowie LKW mit den Getrieben des Typs XX, XX, XX, XX, XX und XX („angegriffene Ausführungsform“). Die angegriffenen LKW zeichnen sich dadurch aus, dass sie über ein automatisiertes Schaltsystem oder eine Steuerung für ein solches Schaltsystem verfügen. Hinsichtlich der Ausgestaltung der von den Beklagten eingesetzten Getriebe wird auf die vorgelegten Zeichnungen betreffend die Getriebe XX, XX, XX und XX gemäß Anlagen HE-C 5 bis HE-C 8 verwiesen. Aus diesen geht der Aufbau eines Getriebes beispielhaft wie folgt hervor:
  38. Die Klägerin ist der Ansicht, Angebot und Inverkehrbringen der angegriffenen Ausführungsform stellten eine unmittelbare Verletzung des Anspruchs 1 des Klagepatents dar. Die LKW der Beklagten verfügten über einen Verbrennungsmotor sowie zwei elektronische Steuereinheiten – eine zum Steuern des Motors und eine zum Steuern des Getriebes. Weiterhin verfügten die LKW über einen „Tempomat mit A“, der – wie alle herkömmlichen Tempomate – Einfluss auf die Drosselöffnung nehmen könne. Zudem verfügten die LKW über GPS, elektronische Kartendaten und es werde bei der Geschwindigkeitsregelung berücksichtigt, ob es bergauf oder bergab gehe.
  39. Aus den als Anlage HE-C 20 (deutsche Übersetzung HE-C 20.1) und HE-C 21 (deutsche Übersetzung HE-C 21.1) vorgelegten Wartungsanleitungen folge, dass die Steuereinheit, die G ausführe, Kenntnis der eingestellten Sollgeschwindigkeit des Fahrzeugs habe. Zudem sei Kenntnis von der umgebenden Topologie vorhanden. Weiterhin habe der Koordinator H ausweislich der als Anlagen HE-C 14 und HE-C 15 vorgelegten Wartungsanleitungen als Teil der Steuereinheit der angegriffenen Ausführungsform Kenntnis von der Drosselöffnungsposition. Zudem orientiere sich die Geschwindigkeitsregelung an einer Referenzgeschwindigkeit vRef, wofür Drehmomentanforderungen erforderlich seien, mithin eine Verringerung oder Vergrößerung der Drosselöffnungsposition. Ein solcher Regelungsprozess setze die Kenntnis der Drosselöffnungsposition voraus.
  40. Die von der Klägerin in den Jahren 2013, 2014 und 2017 durchgeführten Untersuchungen an den LKW des Modelltyps XX, XX und XX, insbesondere im Hinblick darauf, wie Kraftstoffeinsparungen in LKW mit C-System erzielt werden (Anlage HE-C 24, deutsche Übersetzung HE-C 24.1), hätten ergeben, dass das A-System in den Fahrprozess eingreife, indem es trotz geringerer Fahrgeschwindigkeit im Vergleich zur Sollgeschwindigkeit das vom Motor abgegebene Moment reduziere; in einem Fall sogar auf null setze, da eine Bergabfahrt bevorstehe und somit von einer zukünftigen Beschleunigung durch die Schwerkraft auszugehen sei. In einem Fall, in dem die Fahrzeuggeschwindigkeit die eingestellte Sollgeschwindigkeit überstieg und eine Berganfahrt angestanden habe, sei es zu einer Beschleunigung gekommen.
  41. Des Weiteren ergebe sich die Verletzung des Klagepatents auch aus dem Vortrag der Beklagten im schwedischen Verfahren. Dort hätten die Beklagten die Funktionsweise der angegriffenen Steuereinheit unter anderem anhand des als Anlage HE-C 29 vorgelegten Blockdiagramms erläutert. Daraus ließe sich folgern, dass die Fahrzeuggeschwindigkeit in den Situationen, in denen diese niedriger bzw. höher als die Sollgeschwindigkeit sei, in Richtung einer Referenzgeschwindigkeit geregelt werde. Die angegriffene Ausführungsform habe daher Kenntnis von der Sollgeschwindigkeit und der Drosselöffnungsposition. Zudem ergebe sich aus dem Vortrag der Beklagten, dass die Geschwindigkeit des Fahrzeugs auf die Referenzgeschwindigkeit geregelt werde.
  42. Die Klägerin beantragt,
  43. I.
    die Beklagten zu verurteilen,
  44. 1. es bei Meidung eines vom Gericht für jeden Fall der Zuwiderhandlung festzusetzenden Ordnungsgeldes bis zu 250.000 Euro, ersatzweise Ordnungshaft, oder einer Ordnungshaft bis zu sechs Monaten, im Wiederholungsfall Ordnungshaft bis zu zwei Jahren, diese zu vollziehen an ihren gesetzlichen Vertretern, zu unterlassen,
  45. Motorfahrzeuge mit folgenden Merkmalen
  46. in der Bundesrepublik Deutschland anzubieten, in Verkehr zu bringen oder zu gebrauchen oder zu den genannten Zwecken zu besitzen:
  47. umfassend einen Verbrennungsmotor und
  48. eine erste elektronische Steuereinheit zum Steuern des Motors in Abhängigkeit von der Einstellung einer manuellen Drosselsteuerung, und
  49. eine zweite elektronische Steuereinheit zum Steuern des Getriebes in Abhängigkeit von einer eingestellten Position eines manuell betätigten, elektronischen Gangauswählers,
  50. wobei das Fahrzeug ausgestattet ist mit einer Geschwindigkeitsregelfunktion, die eingerichtet ist, um die Drosselöffnung und das Bremsen des Fahrzeugs zu steuern,
  51. Mitteln zum Bereitstellen von Information über die gegenwärtige Position des Fahrzeugs mit Hilfe von GPS,
  52. Mitteln zum Bereitstellen einer Topologieinformation,
  53. wobei die Information über die Topologie Information über Gradienten oder Höhenwerte für die Straße aufweist;
  54. wobei eine der Steuereinheiten vorgesehen ist, um mit zugeführten Parametern und damit zumindest in Kenntnis einer eingestellten Sollgeschwindigkeit des Fahrzeugs, der umgebenden Topologie und der Drosselöffnungsposition
  55. die Drosselöffnung in solchen Fällen zu vermindern, in denen das Fahrzeug in Bezug auf die eingestellte Sollgeschwindigkeit eine Geschwindigkeit unterhalb der Sollgeschwindigkeit besitzt, und in denen eine zukünftige Schwerkraft, nachfolgend das Fahrzeug beschleunigen wird, und
  56. die kinetische Energie des Fahrzeugs in solchen Fällen zu nutzen, in denen das Fahrzeug eine Geschwindigkeit oberhalb der Sollgeschwindigkeit besitzt und eine zukünftige Schwerkraft das Fahrzeug verlangsamen wird;
  57. 2. der Klägerin darüber Auskunft zu erteilen, in welchem Umfang sie (die Beklagten) die zu Ziffer I.1. bezeichneten Handlungen seit dem 5. März 2009 begangen haben, und zwar unter Angabe
  58. a) der Namen und Anschriften der Hersteller, Lieferanten und anderer Vorbesitzer,
    c) der Namen und Anschriften der gewerblichen Abnehmer sowie der Verkaufsstellen, für die die Erzeugnisse bestimmt waren,
    c) der Menge der ausgelieferten, erhaltenen oder bestellten Erzeugnisse sowie der Preise, die für die betreffenden Erzeugnisse bezahlt wurden;
  59. wobei zum Nachweis der Angaben entsprechende Kaufbelege (nämlich Rechnungen, hilfsweise Lieferscheine) in Kopie vorzulegen sind, wobei geheimhaltungsbedürftige Details außerhalb der auskunftspflichtigen Daten geschwärzt werden dürfen;
  60. 3. der Klägerin in einem geordneten Verzeichnis darüber Rechnung zu legen, in welchem Umfang sie (die Beklagten) die unter Ziffer I.1. aufgeführten Handlungen seit dem 5. März 2009 begangen haben, und zwar unter Angabe
  61. a) der einzelnen Lieferungen, aufgeschlüsselt nach Liefermengen, Lieferzeiten, Lieferpreisen, sowie der Typenbezeichnungen und der Namen und Anschriften der Abnehmer,
    b) der einzelnen Angebote, aufgeschlüsselt nach Angebotsmengen, Angebotszeiten, Angebotspreisen, sowie Typenbezeichnungen und der Namen und Anschriften der Angebotsempfänger,
    c) der betriebenen Werbung, aufgeschlüsselt nach Werbeträgern, deren Auflagenhöhe, Verbreitungszeitraum und Verbreitungsgebiet,
    d) der nach den einzelnen Kostenfaktoren aufgeschlüsselten Gestehungs- und Vertriebskosten und des erzielten Gewinns,
  62. wobei
    – den Beklagten vorbehalten bleibt, die Namen und Anschriften ihrer nicht gewerblichen Abnehmer und Angebotsempfänger statt der Klägerin einem von dieser zu bezeichnenden, ihr gegenüber zur Verschwiegenheit verpflichteten, vereidigten Wirtschaftsprüfer mit Sitz in der Bundesrepublik Deutschland mitzuteilen, sofern die Beklagten dessen Kosten tragen und ihn ermächtigen und verpflichten, der Klägerin auf konkrete Anfrage mitzuteilen, ob ein bestimmter Abnehmer bzw. bestimmter Angebotsempfänger in der Rechnung enthalten ist;
    – die Aufstellung mit den Daten der Rechnungslegung in einer mittels EDV auswertbaren, elektronischen Form zu übermitteln ist;
  63. 4. die in ihren Besitz oder Eigentum befindlichen, unter Ziffer I.1. bezeichneten Gegenstände an einen von der Klägerin zu benennenden Gerichtsvollzieher zum Zwecke der Vernichtung auf ihre – der Beklagten – Kosten herauszugeben.
  64. 5. die unter Ziffer I.1. bezeichneten, im Besitz Dritter, die nicht (private) Endabnehmer sind, befindlichen Erzeugnisse aus den Vertriebswegen zurückzurufen, indem diejenigen Dritten, denen durch die Beklagten oder mit deren Zustimmung Besitz an den Erzeugnissen eingeräumt wurde, unter Hinweis darauf, dass die Patentstreitkammer des Landgerichts Düsseldorf (mit Angabe des Datums und des Aktenzeichens des Urteils) auf eine Verletzung des deutschen Teils des europäischen Patents EP 1 439 XXX B1 erkannt hat, ernsthaft aufgefordert werden, die Erzeugnisse an die Beklagten zurückzugeben, wobei den Dritten für den Fall der Rückgabe der Erzeugnisse eine Erstattung etwaiger Entgelte sowie Übernahme notwendiger Verpackungs- und Transportkosten sowie der mit der Rückgabe verbundenen Zoll- und Lagerkosten zugesagt wird, und die Beklagten die zurückgegebenen Erzeugnisse wieder an sich nehmen.
  65. II.
    festzustellen, dass die Beklagten als Gesamtschuldner verpflichtet sind, der Klägerin allen Schaden zu ersetzen, der dieser in Bezug auf die in Ziffer I.1. bezeichneten, seit dem 5. März 2009 begangenen Handlungen entstanden ist und noch entstehen wird, wobei sich die Schadensersatzpflicht für die vor dem 1. Januar 2016 begangenen Handlungen auf die Herausgabe dessen beschränkt, was die Beklagten durch die Benutzung des deutschen Teils des europäischen Patents EP 1 439 XXX auf Kosten der Klägerin erlangt haben.
  66. Die Beklagte beantragt,
  67. die Klage abzuweisen,
  68. hilfsweise den Rechtsstreit bis zur rechtskräftigen Entscheidung über die gegen das Klagepatent erhobene Nichtigkeitsklage auszusetzen.
  69. Die Beklagten sind der Ansicht, eine Verletzung des Klagepatents durch die angegriffene Ausführungsform liege nicht vor. Die Klägerin mache es sich zu einfach, wenn sie auf Beobachtungen der angegriffenen Ausführungsform bei Testfahrten und einzelne ausgewählte Zeitabschnitte hinweise. Mit einer solchen rein phänomenologischen Betrachtung sei ein Nachweis hinsichtlich der Funktionsweise der Steuerung der angegriffenen Ausführungsform nicht geführt.
  70. Bei der angegriffenen Ausführungsform gebe es keinerlei Steuerungsalgorithmus, der auch nur annähernd demjenigen entspreche, wie er durch das Klagepatent vorausgesetzt werde. Bei der in Rede stehenden Geschwindigkeitsregelung „A“ habe man sich von den Steuerungsprinzipien einer herkömmlichen Geschwindigkeitsregelung gelöst und einen grundlegend anderen Ansatz gewählt. Anders als bei herkömmlichen Geschwindigkeitsregelungen finde kein Vergleich der aktuellen Geschwindigkeit mit der eingestellten Sollgeschwindigkeit statt, wenn Entscheidungen bezüglich der Geschwindigkeitssteuerung getroffen werden. Die Entscheidungen erfolgten hingegen aufgrund und mit Blick auf den zukünftigen, anhand des Streckenverlaufs prognostizierten Geschwindigkeitsverlauf. Insbesondere fordere die angegriffene Ausführungsform keine Verringerung der Kraftstoffeinspritzung auf Grundlage eines Vergleichs der aktuellen Fahrzeuggeschwindigkeit mit der eingestellten Sollgeschwindigkeit. Es sei schlechterdings kein Auslösekriterium, ob die aktuelle Fahrzeuggeschwindigkeit niedriger als die Sollgeschwindigkeit sei oder nicht, wenn die Entscheidung über eine Reduzierung der Kraftstoffeinspritzung getroffen werde. Schließlich werde bei der angegriffenen Ausführungsform für die Entscheidung betreffend die Kraftstoffeinspritzung ein simuliertes zukünftiges Geschwindigkeitsprofil bewertet; bei dem zugrundeliegenden Algorithmus spiele die aktuelle Drosselöffnungsposition keine Rolle.
  71. Zudem werde sich das Klagepatent als nicht rechtsbeständig erweisen.
  72. Wegen des weiteren Sach- und Streitstandes wird auf die zwischen den Parteien gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen verwiesen.
  73. Entscheidungsgründe
  74. Die zulässige Klage ist überwiegend begründet.
  75. A.
    Die Klägerin hat gegen die Beklagten Ansprüche auf Unterlassung, Auskunft und Rechnungslegung, Vernichtung und Rückruf sowie Schadensersatz dem Grunde nach aus Art. 64 Abs. 1 EPÜ i.V.m. §§ 139 Abs. 1 und 2, 140a Abs. 1 und 3, 140b Abs. 1 und 3 PatG, §§ 242, 259 BGB und Ersatz des Restschadens gemäß § 141 S. 2 PatG i.V.m. § 852 BGB. Der Vernichtungsanspruch gem. Art. 64 Abs. 1 EPÜ i. V. m. § 140a Abs. 1 Satz 1 PatG ist jedoch insoweit unbegründet, als er sich auf die Vernichtung des Motorfahrzeugs – und nicht allein auf die Beseitigung der angegriffenen A-Funktionalität – erstreckt. Des Weiteren fehlt es dem Auskunftsanspruch gem. Art. 64 Abs. 1 EPÜ i. V. m. § 140b Abs. 1 PatG sowie den Ansprüchen auf Rückruf und Vernichtung an ihrer Durchsetzbarkeit, soweit sie sich auf einen Zeitraum vor dem 1. Januar 2016 beziehen.
  76. I.
    Die dem Klagepatent zugrundeliegende Erfindung bezieht sich auf ein Motorfahrzeug mit einem Verbrennungsmotor und einer elektronischen Steuereinheit zum Steuern des Motors in Abhängigkeit von der Einstellung einer manuellen Drossel, einer elektronischen Steuereinheit zum Steuern des Getriebes in Abhängigkeit von einer eingestellten Position eines Gangauswählers.
  77. Nach der Beschreibung des Klagepatents gibt es in Fahrzeugen dieser Art Steuereinheiten mit einer gespeicherten Gangauswahlstrategie, insbesondere einer zeitbasierten Schaltfrequenz, zum Beispiel als Funktion einer Straßenneigung (Abs. [0002], Textstellen ohne Bezugsangabe stammen aus der Übersetzung der Klagepatentschrift, Anlage HE-C 3).
  78. Eine bekannte Technologie, so das Klagepatent weiter, ist in der US-A-5 832 XX beschrieben. Danach ist für Fahrzeuge mit einem herkömmlichen Automatikgetriebe, bei welchem das Getriebe sequenziell mit einem Drehmomentwandler schaltet, eine Gangauswahlstrategie vorgesehen, die auf einem Algorithmus basiert, der einen Messpunkt in der das Fahrzeug umgebenden Topologie berücksichtigt. Die gegenwärtige Position des Fahrzeugs ist ein Referenzpunkt. Durch Bestimmen mittels verschiedener Verfahren, wo das Fahrzeug nach einem bestimmten Zeitintervall sein wird, ist es möglich, die Motoreinstellung und die Schaltpunkte für das Automatikgetriebe zu modifizieren. So kann die Drehzahl des Getriebes hoch- bzw. runtergeschaltet werden, elektronische Karten zusammen mit einem Positioniersystem genutzt oder eine zukünftige Position des Fahrzeugs extrapoliert werden. Als nachteilig hieran beschreibt das Klagepatent, dass dabei nicht berücksichtigt werde, wie die Straße in ihrer Höhe zwischen zwei Messpunkten variiert und daher Extrempunkte zwischen zwei Messpunkten in bestimmten Fällen nicht einfließen. Dies führt nach der Beschreibung des Klagepatents im Ergebnis zu einer Unbestimmtheit im System, die zu einer unzufrieden stellenden Geschwindigkeitsregelfunktion, einer ungleichmäßigen Beschleunigung und unnötig großer Abgasemissionen führt.
  79. Aus der EP 1 053 XXX ist eine Fahrzeuggeschwindigkeitssteuervorrichtung und ein Verfahren zum Hinterherfahren eines vorhergehenden Fahrzeugs bekannt unter Aufrechterhaltung eines angemessenen Fahrzeugzwischenabstandes. Vorgesehen ist ein Zwischenfahrzeugsensor, der durch eine Radareinheit als Zwischenfahrzeugabstandserfasser gebildet ist. Zudem besitzt das Fahrzeug einen Straßenoberflächengradienten, der die gegenwärtige abfallende Steigung, auf welcher das Fahrzeug läuft, erfasst. Über die beschriebene Vorrichtung soll die Geschwindigkeit des Fahrzeugs unter Berücksichtigung des Zwischenfahrzeugabstandes von dem Fahrzeug zu einem vorhergehenden Fahrzeug und der gegenwärtigen Straßenneigung gesteuert werden.
  80. Die Druckschrift US-A-6 029 XXX zeigt eine Steuervorrichtung eines herkömmlichen Automatikgetriebes vom Nichtstufentyp für ein Fahrzeug. Die Vorrichtung ermöglicht, das Gangverhältnis automatisch entsprechend dem Zustand der Straßenoberfläche derart zu steuern, dass eine effektive Motorbremse, die für die gegenwärtige Straßenneigung geeignet ist, automatisch beim Bergabfahren angewendet werden kann, und eine effektive Antriebskraft, die für die Straßengradiente geeignet ist, automatisch zum Bergauffahren erhalten werden kann. Die Vorrichtung ist mit einem Straßenneigungsabschätzteil zum Abschätzen der Neigung der Straße, auf welcher das Fahrzeug fährt, und einem Teil zum Bestimmen, ob die Abschätzung über einem vorbestimmten Schwellenwert ist oder nicht, ausgestattet. Die Steuerung des Gangverhältnisses wird in Abhängigkeit davon ausgeführt, ob die Gradientenabschätzung oberhalb dieses Schwellwerts ist oder nicht (Abs. [0005]).
  81. Die US 5 894 XXX zeigt schließlich eine Geschwindigkeitsregelung durch Steuern der Drosselöffnung oder einen Bremsvorgang bis eine ausgewählte oder vorgegebene Sollgeschwindigkeit erreicht ist. An diesem Stand der Technik beschreibt das Klagepatent als nachteilig, dass ein Fahrzeug, das sich bergab bewegt und dadurch die Sollgeschwindigkeit überschreitet, durch die Geschwindigkeitsregelung auf die Sollgeschwindigkeit abgebremst wird, ungeachtet der Straßenneigung nach dem Ende der Bergabstrecke. Gibt es nach der Bergabstrecke eine Neigung bergauf, wird sich das Fahrzeug gegebenenfalls unterhalb der Sollgeschwindigkeit bewegen. Die Geschwindigkeitsregelung wird dies durch Erhöhen der Drosselöffnung und Herunterschalten ausgleichen. Ein ähnliches Problem stellt sich bei einer niedrigen Geschwindigkeit bei der Bergaufstrecke (Abs. [0006]).
  82. Im Stand der Technik sind Geschwindigkeitsregler bekannt, die die Sollgeschwindigkeit des Fahrzeugs in Abhängigkeit von dem umgebenden Verkehr, den Wetterbedingungen, Wildtieren und anderen dynamischen oder zufälligen Parametern verändern (Abs. [0007]).
  83. Vor diesem Hintergrund bezeichnet es das Klagepatent als Aufgabe (technisches Problem), ein Motorfahrzeug bereitzustellen, welches die oben genannten Probleme beseitigt, indem ein System und ein Verfahren bereitgestellt werden, die mit Hilfe einer Geschwindigkeitsregelfunktion die Drosselöffnung und das Bremsen steuern, mit den Merkmalen des Anspruchs 1:
  84. 1. Motorfahrzeug, umfassend einen Verbrennungsmotor und
    2. eine erste elektronische Steuereinheit zum Steuern des Motors in Abhängigkeit von der Einstellung einer manuellen Drosselsteuerung, und
    3. eine zweite elektronische Steuereinheit zum Steuern des Getriebes in Abhängigkeit von einer eingestellten Position eines manuell betätigten, elektronischen Gangauswählers,
    4. wobei das Fahrzeug ausgestattet ist mit einer Geschwindigkeitsregelfunktion, die eingerichtet ist, um die Drosselöffnung und das Bremsen des Fahrzeugs zu steuern;
    5. Mittel zum Bereitstellen von Information über die gegenwärtige Position des Fahrzeugs mit Hilfe von GPS;
    6. Mittel zum Bereitstellen einer Topologieinformation,
    7. wobei die Information über die Topologie Information über Gradienten oder Höhenwerte für die Straße aufweist;
    8. wobei eine der Steuereinheiten vorgesehen ist, um mit zugeführten Parametern und damit zumindest in Kenntnis einer eingestellten Sollgeschwindigkeit des Fahrzeugs, der umgebenden Topologie und der Drosselöffnungsposition
    9. die Drosselöffnung in solchen Fällen zu vermindern, in denen das Fahrzeug in Bezug auf die eingestellte Sollgeschwindigkeit eine Geschwindigkeit unterhalb der Sollgeschwindigkeit besitzt, und in denen eine zukünftige Schwerkraft nachfolgend das Fahrzeug beschleunigen wird, und
    10. die kinetische Energie des Fahrzeugs in solchen Fällen zu nutzen, in denen das Fahrzeug eine Geschwindigkeit oberhalb der Sollgeschwindigkeit besitzt und eine zukünftige Schwerkraft das Fahrzeug verlangsamen wird.
  85. II.
    Die Merkmale 8 bis 10 enthalten bestimmte Anforderungen an die Steuerung des Motorfahrzeugs. In den Merkmalen 9 und 10 wird für zwei verschiedene Fahrsituationen beschrieben, was die Steuereinheit leisten muss. Die Steuereinheit soll die Drosselöffnung vermindern, also das Drehmoment verringern, wenn das Fahrzeug eine Geschwindigkeit unterhalb einer vorab eingestellten Sollgeschwindigkeit hat, aber zukünftig beschleunigen wird (Merkmal 9), und es soll die kinetische Energie des Fahrzeugs nutzen, auch wenn die Geschwindigkeit bereits oberhalb der voreingestellten Sollgeschwindigkeit liegt, das Fahrzeug zukünftig aber langsamer werden wird (Merkmal 10).
  86. Mit den in den Merkmalen 8 bis 10 aufgestellten Anforderungen an die Steuerung des Motorfahrzeugs setzt der Klagepatentanspruch keinen bestimmten Algorithmus voraus, der zu dem beschriebenen Fahrzeugverhalten führen muss. Die Merkmale 9 und 10 beschreiben lediglich Fahrsituationen (Ist-Geschwindigkeit und Sollgeschwindigkeit und zukünftige Beschleunigung bzw. Ist-Geschwindigkeit über Sollgeschwindigkeit und zukünftige Verlangsamung), in denen die Steuereinheit in der Lage sein muss, das Drehmoment weiter zu verringern (Merkmal 9) bzw. die kinetische Energie weiter zu nutzen (Merkmal 10). Es ist aber weder erforderlich, dass die Steuereinheit immer dann, wenn eine Fahrsituation gemäß Merkmal 9 oder Merkmal 10 besteht, das patentgemäße Verhalten zeigt, noch ist es erforderlich, dass die Steuereinheit nur in solchen Fahrsituationen das geforderte Verhalten zeigt. Demnach genügt es, wenn das Motorfahrzeug aufgrund seiner Steuerung überhaupt in der Lage ist, bei einem zukünftigen Gefälle die Drosselöffnung zu verringern, selbst wenn die Geschwindigkeit bereits unter der Sollgeschwindigkeit liegt, und bei einer zukünftigen Steigung die kinetische Energie zu nutzen, selbst wenn die Geschwindigkeit bereits oberhalb der Sollgeschwindigkeit liegt. Der Klagepatentanspruch verlangt nur, dass bei dieser Steuerung die Parameter Sollgeschwindigkeit des Fahrzeugs, die umgebende Topologie und die Drosselöffnungsposition Berücksichtigung finden (Merkmal 8).
  87. 1.
    Der Klagepatentanspruch setzt mit den Merkmalen 8 bis 10 keinen bestimmten Algorithmus voraus, der zu dem in den Merkmalen 9 und 10 beschriebenen Fahrzeugverhalten führen muss. Insbesondere ist die technische Lehre nicht darauf beschränkt, dass die Steuerung die Ist- mit der Sollgeschwindigkeit vergleicht sowie eine zukünftige Beschleunigung berechnet und in Abhängigkeit davon die Drosselöffnung verringert, wenn die tatsächliche Geschwindigkeit unterhalb der Sollgeschwindigkeit liegt (Merkmal 9), und umgekehrt (Merkmal 10). Eine solche Auslegung lässt sich weder dem Wortlaut des Klagepatentanspruchs noch der Beschreibung des Klagepatents entnehmen.
  88. a)
    Die Merkmale 9 und 10 beschreiben lediglich Fahrsituationen (nach dem Duktus des Anspruchs „Fälle“), an die ein bestimmtes Fahrzeugverhalten anknüpfen soll. Liegt die Ist-Geschwindigkeit unterhalb der Sollgeschwindigkeit und wird das Fahrzeug zukünftig beschleunigen, soll die Drosselöffnung vermindert werden (Merkmal 9). Statt also – was zu erwarten wäre – auf die Sollgeschwindigkeit zu beschleunigen, wird das Drehmoment und infolgedessen die Geschwindigkeit verringert. Liegt die Ist-Geschwindigkeit über der Sollgeschwindigkeit und ist zukünftig eine Verlangsamung des Fahrzeugs zu erwarten, soll die kinetische Energie genutzt werden (Merkmal 10). Statt also auf die Sollgeschwindigkeit zu verlangsamen, lässt der Anspruch sogar eine weitere Beschleunigung des Fahrzeugs zu.
  89. Außer in Merkmal 8 gibt der Klagepatentanspruch keinen Hinweis darauf, wie die Steuereinheit in den beschriebenen Fahrzeugsituationen zu dem Ergebnis kommt, die Drosselöffnung nunmehr zu vermindern oder die kinetische Energie zu nutzen. Auch Merkmal 8 deutet nur an, welche Parameter – Sollgeschwindigkeit, Umgebungstopologie und Drosselöffnungsposition – bei der patentgemäß geforderten Steuerung Berücksichtigung finden. Ein bestimmter Algorithmus zur Steuerung des Fahrzeugverhaltens in den im Anspruch genannten Fällen wird im Klagepatentanspruch jedoch nicht genannt. Vor allem lässt sich der Erwähnung von Ist- und Sollgeschwindigkeit in den Merkmalen 9 und 10 nicht entnehmen, dass die Steuereinheit zwingend einen Vergleich dieser Geschwindigkeiten vornehmen muss, um die beiden Fälle unterscheiden zu können, und ggf. dann noch die zuknüftige Beschleunigung berechnen muss. Welche Parameter in die Steuerung einfließen, ergibt sich allein aus Merkmal 8. Die Merkmale 9 und 10 beschreiben dann nur noch, wie sich das Fahrzeug in bestimmten Fällen verhalten soll. Der Weg von den zu berücksichtigenden Parametern zu dem letztlich gezeigten Fahrzeugverhalten – Drosselöffnung vermindern oder kinetische Energie nutzen – ist hingegen dem Fachmann überlassen.
  90. b)
    Auch die Beschreibung des Klagepatents nennt keinen bestimmten Algorithmus, nach dem die Steuereinheit arbeiten muss, damit es zu dem in den Merkmalen 9 und 10 beschriebenen Fahrzeugverhalten kommt. Entgegen der Auffassung der Beklagten will die technische Lehre nicht allein die Geschwindigkeitssteuerung im Hinblick auf ein zukünftiges Gefälle bzw. eine zukünftige Steigung weiterbilden, ohne aber den aus dem Stand der Technik bekannten Vergleich von Ist- und Sollgeschwindigkeit aufzugeben. Der Patentschrift lässt sich schon nicht entnehmen, dass die aus dem Stand der Technik bekannte Geschwindigkeitsregelung eines Tempomaten auf einem Vergleich von Ist- und Sollgeschwindigkeit beruht. Der Stand der Technik wird in dieser Hinsicht auch nur „phänomenologisch“ beschrieben, ohne einen bestimmten Algorithmus vorauszusetzen oder gar zu offenbaren (vgl. Abs. [0006]). Ungeachtet dessen ist auch nicht ersichtlich, dass das Klagepatent für die geschützte technische Lehre konkret einen solchen Algorithmus beibehalten wollte. Dies lässt sich auch sonst nicht der Beschreibung des Klagepatents entnehmen (vgl. die von den Beklagten in Bezug genommenen Abs. [0016] und [0020]).
  91. Stattdessen geht die Beschreibung des Klagepatents in ihren bevorzugten Ausführungsformen davon aus, dass die zweite Steuereinheit Computersimulationen auf der Basis verschiedener Parameter durchführt (Abs. [0009] und [0021]), um eine geschätzte, zukünftig erforderliche Beschleunigung oder Verlangsamung zu berechnen. Abgesehen davon, dass die Lehre des Klagepatents ohnehin nicht auf ein bestimmtes Ausführungsbeispiel und damit auf eine Berechnung einer zukünftigen Beschleunigung beschränkt ist, ist zudem von einem Vergleich von Ist- und Sollgeschwindigkeit in diesem Zusammenhang keine Rede. Das Klagepatent äußert sich schlicht nicht dazu, auf welchem Weg die Steuerung ausgehend von den in Merkmal 8 genannten Parametern zu der Fahrzeugsteuerung in den in den Merkmalen 9 und 10 genannten Fahrzeugsituationen gelangt.
  92. Das Klagepatent verkörpert insoweit eine Lehre zum technischen Handeln, die dem Fachmann vorgibt, wie er das Fahrverhalten des Motorfahrzeugs ausgehend vom beschriebenen Stand der Technik durch eine erfindungsgemäße Steuereinheit an dynamische Parameter wie die Sollgeschwindigkeit oder die Topologie (Gefälle, Neigung) anpassen kann. Wie die Steuereinheit die zugeführten Parameter indes in einem Algorithmus bewertet, überlässt das Klagepatent dem Fachmann. Das Klagepatent spricht insoweit nur allgemein von Computersimulationen oder Abschätzungen (Extrapolationen) (Abs. [0009] und [0010]).
  93. c)
    Der Zweck einer Steuerung gemäß den Merkmalen 8 bis 10 besteht darin, die aus dem Stand der Technik bekannten Geschwindigkeitssteuerungen fortzubilden und die mit diesen Steuerungen verbundenen Nachteile zu überwinden. Dies soll zu einem niedrigeren Kraftstoffverbrauch, aber auch zu geringeren Geräusch- und Abgasemissionen führen sowie eine gleichmäßigere Beschleunigung und ein komfortableres Fahren nach sich ziehen (Abs. [0007]).
  94. So schildert das Klagepatent in Absatz [0002] als Stand der Technik, dass nach der US-A-5 832 XX nur ein einziger Messpunkt in Bezug auf die Fahrzeugposition als Referenzpunkt berücksichtigt wird, um zu sehen, ob das gegenwärtige Motordrehmoment ausreichend sein wird, wobei aber Steigungen und Gefälle zwischen den Messpunkten unbeachtet blieben. In Absatz [0004] wird mit der EP 1 053 XXX ein Zwischenfahrzeugsensor beschrieben, der mittels Radarmessung den (gegenwärtigen) Zwischenfahrzeugabstand zum vorausfahrenden Fahrzeug erfasst. In erster Linie hebt sich die Lehre des Klagepatents jedoch mit den Merkmalen 9 und 10 von den aus der US 5 894 XXX beschriebenen Geschwindigkeitsregelungen (Abs. [0006]) ab. Dieser Stand der Technik hat eine herkömmliche Geschwindigkeitsregelung zum Gegenstand, wonach ein bergab fahrendes Fahrzeug, das die Sollgeschwindigkeit überschreitet, entsprechend abgebremst wird. Daran bemängelt das Klagepatent, dass sich das auf die Sollgeschwindigkeit abgebremste Fahrzeug, wenn sich nach dem Gefälle eine Steigung anschließt, mit einer Geschwindigkeit unterhalb der Sollgeschwindigkeit fortbewegen wird. Um dies wieder auszugleichen, muss heruntergeschaltet und die Drossel weiter geöffnet werden (Abs. [0006]). Umgekehrt kann es sein, dass sich ein Fahrzeug mit einer Geschwindigkeit unterhalb der Sollgeschwindigkeit bergauf bewegt und daher die Drossel weit geöffnet ist. Dies führt, wenn der Gipfel erreicht ist, ggf. zu einer großen Beschleunigung über die Sollgeschwindigkeit hinaus, so dass das Fahrzeug wieder abgebremst werden muss (Abs. [0006]). Dieses mit einem hohen Kraftstoffverbrauch einhergehende Fahrzeugverhalten von Beschleunigen und Bremsen bzw. Bremsen und Beschleunigen wird nach der Lehre des Klagepatents dadurch vermieden, dass die Drosselöffnung trotz Unterschreiten der Soll-Geschwindigkeit noch weiter verringert wird, wenn absehbar ist, dass das Fahrzeug bald darauf durch die Schwerkraft – etwa bei einem Gefälle – ohnehin wieder beschleunigen wird (Merkmal 9). Ebenso soll trotz Überschreiten der Sollgeschwindigkeit nicht abgebremst werden, sondern die kinetische Energie genutzt werden, wenn das Fahrzeug kurze Zeit darauf durch die Schwerkraft – etwa bei einer Steigung – ohnehin verlangsamt wird (Merkmal 10).
  95. Für diese Funktion ist ein bestimmter Algorithmus nicht erforderlich, solange das Fahrzeug nur in den in den Merkmalen 9 und 10 beschriebenen Fahrsituationen das geforderte Verhalten zeigt.
  96. d)
    Bei alledem ist nicht erforderlich, dass die Steuerung immer dann und nur dann, wenn die in Merkmal 9 oder 10 beschriebenen Fahrsituationen vorliegen, die
    Drosselöffnung verringert (Merkmal 9) bzw. die kinetische Energie nutzt und die Drosselöffnung jedenfalls nicht weiter schließt (Merkmal 10).
  97. So ist unmittelbar einsichtig, dass bei einer zukünftigen Beschleunigung wie im Fall von Merkmal 9 die Drosselöffnung weiter verringert wird, wenn die Ist-Geschwindigkeit die Sollgeschwindigkeit ohnehin schon übersteigt. Ebenso wird die Steuerung die kinetische Energie bei einer anstehenden Steigung im Fall von Merkmal 10 auch dann nutzen und die Drosselöffnung ggf. sogar weiter vergrößern, wenn die Ist-Geschwindigkeit die Sollgeschwindigkeit ohnehin schon unterschreitet. Insofern wird sich die Steuerung nicht anders verhalten als ein herkömmlicher Tempomat, wie er aus dem Stand der Technik bekannt ist (vgl. Abs. [0006]). An dieser Stelle zeigt sich auch, dass der Vergleich der Ist- mit der Sollgeschwindigkeit, wie er von den Beklagten für die Lehre des Klagepatents gefordert wird, überhaupt keinen Erkenntnisgewinn für die Steuerung bietet: Denn entscheidend ist im Fall von Merkmal 9 nicht das Unterschreiten der Sollgeschwindigkeit, sondern die zukünftige, allein durch die Schwerkraft zu bewerkstelligende Beschleunigung. Gleiches gilt für den Fall von Merkmal 10, wenn die Sollgeschwindigkeit überschritten wird.
  98. Das Klagepatent schließt also eine herkömmliche Geschwindigkeitsregelung nicht aus, sondern setzt ggf. sogar auf dieser auf. Insofern sind aber Fälle denkbar, in denen eine Fahrsituation wie in Merkmal 9 oder 10 beschrieben nicht vorliegt, das Fahrzeug aber in gleicher Weise gesteuert wird. Ebenso sind Fälle denkbar, in denen eine Fahrsituation wie in den Merkmalen 9 oder 10 vorliegt, das Fahrzeug aber abweichend von der Lehre des Klagepatents gesteuert wird. Das Klagepatent erhebt nach alledem nicht den Anspruch, einen konkreten Algorithmus für die Steuerung der Drosselöffnung zu etablieren. Es gibt auch sonst keine konkreten Bedingungen vor, bei deren Vorliegen die Steuereinheit genau das im Klagepatentanspruch verlangte Verhalten zeigen muss. Die patentgemäße Lehre verlangt nur, dass die Steuereinheit des Motorfahrzeugs in der Lage ist, in einzelnen, nicht notwendig allen Fahrsituationen, die den in Merkmal 9 und 10 beschriebenen Fällen entsprechen, die Drosselöffnung gemäß den Vorgaben des Patentanspruchs zu steuern. Es wird eine technische Lehre bereitgestellt, wie sich die Geschwindigkeitsregelung eines Motorfahrzeugs abweichend vom herkömmlichen Tempomaten verhalten können soll, der immer nur versucht, die Ist-Geschwindigkeit auf die Sollgeschwindigkeit zu regeln.
  99. 2.
    Abgesehen davon, dass die Drosselöffnung in den in den Merkmalen 9 und 10 beschriebenen Fällen in einer bestimmten Art und Weise gesteuert werden soll, stellt der Klagepatentanspruch mit dem Merkmal 8 an die Steuereinheit lediglich die Anforderung, dass die in den Merkmalen 9 und 10 beschriebene Steuerung mit zugeführten Parametern und damit zumindest in Kenntnis einer eingestellten Sollgeschwindigkeit, der umgebenden Topologie und der Drosselöffnungsposition erfolgt.
  100. Erfindungsgemäß kann die elektronische Steuereinheit des Fahrzeugs die erste oder zweite Steuereinheit nach den Merkmalen 2 und 3 oder eine andere physische Stelle sein, die zur Kommunikation mit der zweiten Steuereinheit angeordnet ist (Abs. [0009], [0021]). Aus der Wendung „um mit zugeführten Parametern“ wird deutlich, dass die Steuereinheit jedenfalls geeignet sein muss, in den in Merkmal 9 und 10 beschriebenen Fällen die Drosselöffnungsposition zu verändern, wobei diese Veränderungen in Abhängigkeit von den zugeführten Parametern erfolgt.
  101. Die Parameter, welche im Einzelnen bei der Steuerung Berücksichtigung finden sollen, werden im Merkmal 8 – angeschlossen mit der Wendung „und damit in Kenntnis von“ – konkret genannt. Auch wenn der Wortlaut lediglich den Begriff „Kenntnis“ verwendet, wird der Fachmann aus dem weiteren Wortlaut des Merkmals („um mit zugeführten Parametern und damit …“) und der Systematik des Anspruchs davon ausgehen, dass die Steuereinheit die genannten Parameter nicht nur irgendwie kennen muss, sondern sie bei der Steuerung der Drosselöffnung in irgendeiner Weise auch berücksichtigen muss. Insofern meint Steuerung der Drosselöffnung den Vorgang vom Eingang des ersten Parameters bis zur Veränderung der Drosselöffnung. Die Parameter, die dabei zu berücksichtigen sind, sind die eingestellte Sollgeschwindigkeit des Fahrzeugs, die umgebende Topologie und die Drosselöffnungsposition.
  102. Die eingestellte Sollgeschwindigkeit ist die Geschwindigkeit, die der Geschwindigkeitsregelfunktion (Merkmal 4) vorgegeben ist und – vorbehaltlich der in den Merkmalen 8 bis 10 genannten abweichenden Steuerung – das Regelungsziel darstellt. Die Sollgeschwindigkeit kann im Rahmen der Merkmale 8 bis 10 Bedeutung für die Entscheidung der Steuerung gewinnen, ob trotz Unterschreiten (oder Überschreiten) der Sollgeschwindigkeit die Drosselöffnung weiter verringert (oder vergrößert) wird und so die Geschwindigkeit noch weiter verringert (oder vergrößert) wird. Die umgebende Topologie kann ausweislich der Merkmale 6 und 7 Informationen über Gradienten oder Höhenwerte für die Straße enthalten. Diese Informationen können im Rahmen von Merkmal 9 und 10 für die Beurteilung, ob das Fahrzeug zukünftig durch die Schwerkraft beschleunigt oder verlangsamt wird, Bedeutung gewinnen.
  103. Der Begriff der Drosselöffnungsposition ist im Klagepatent definiert. Die Drossel(öffnungs)position „meint (…) sowohl eine einstellbare Geschwindigkeitsregelung als auch ein Gaspedal“ (Abs. [0002]). Damit wird der Begriff von einem konkreten Wert für die Öffnungsweite der Drosselklappe gelöst und umfasst auch solche Werte, die unmittelbar mit der Drosselöffnungsposition zusammenhängen. Dies wird zunächst am Begriff des Gaspedals deutlich. Der Wert für den Winkel der Gaspedalstellung ist tatsächlich nicht identisch mit der Öffnungsweite der Drosselklappe. Allerdings stehen beide Werte in einem unmittelbaren Zusammenhang. Je tiefer das Gaspedal gedrückt ist, desto weiter ist die Drosselklappe geöffnet, da mit dem Drücken des Gaspedals Drehmoment gefordert wird, das mit dem Öffnen der Drosselklappe geliefert wird. Aber nicht nur die Position des Gaspedals steht für eine bestimmte Drosselöffnungsposition. Befindet sich das Fahrzeug in einem Zustand der Geschwindigkeitsregelung mittels Tempomat, ist das Gaspedal grundsätzlich nicht gedrückt. Gleichwohl wird die Drosselöffnungsposition gesteuert und zwar über die Geschwindigkeitsregelfunktion. In Abhängigkeit etwa von einem Vergleich der Ist- mit der Sollgeschwindigkeit fordert sie mehr oder weniger Drehmoment, was zu einer Vergrößerung oder Verringerung der Drosselöffnungsposition führt. Wenn der Begriff der Drossel(öffnungs)position also auch die Geschwindigkeitsregelung umfassen soll, ist damit die Anforderung der Geschwindigkeitsregelfunktion an die Drosselsteuerung für eine bestimmte Drosselposition gemeint.
  104. Nach alledem kann nicht davon ausgegangen werden, dass das in den Merkmalen 9 und 10 beschriebene Fahrzeugverhalten auch zufällig erreicht werden kann, etwa wenn mit der aus dem Stand der Technik bekannten adaptiven Steuerung lediglich ein bestimmter Abstand zu einem vorausfahrenden Fahrzeug gehalten werden soll. Denn durch das Merkmal 9 wird gerade mit der erforderlichen Topologieinformation sichergestellt, dass eine zukünftige schwerkraftbedingte Beschleunigung oder Verlangsamung des Fahrzeugs Berücksichtigung findet. Insofern besteht zwischen den eingehenden Parametern und dem nach Merkmal 9 und 10 geforderten Fahrverhalten ein unmittelbarer Zusammenhang, auch wenn der zugrundeliegende Algorithmus offen bleibt. Für den Abstand eines vorausfahrenden Fahrzeugs gilt das gerade nicht.
  105. 3.
    Das Klagepatent verlangt schließlich nicht – wie die Beklagten einwenden –, dass die Steuereinheit die Drosselposition lediglich graduell verändert, beispielsweise die Drosselöffnung schrittweise automatisch öffnet oder schließt. Zwar spricht das Klagepatent in Merkmal 9 davon, die Drosselöffnungsposition in bestimmten Fällen „zu vermindern“. Die Drosselposition im Sinne des Klagepatents ist jedoch sowohl eine einstellbare Geschwindigkeitsregelung als auch ein Gaspedal [0002]. Insoweit stellt die Klagepatentschrift gleichsam ihr eigenes Lexikon dar. Letztendlich ist nur der sich aus der Patentschrift ergebende Begriffsinhalt maßgebend (BGH, GRUR 1999, 909 – Spannschraube).
  106. Mithin schließt das Klagepatent nicht aus, dass die Steuereinheit die Geschwindigkeit des Fahrzeugs verringert oder erhöht, indem Drehmoment weggenommen oder erhöht wird. Dies kann auch durch das vollständige Öffnen oder das vollständige Schließen der Drosselöffnung erreicht werden. Gerade Merkmal 10 stellt keine konkreten Anforderungen an die Veränderung der Drosselöffnung, sondern verlangt nur, die kinetische Energie zu nutzen. Sicherlich muss die Steuereinheit dabei in Kenntnis der Drosselöffnungsposition steuern; die Drosselöffnung kann nur dann sinnvoll in die eine oder andere Richtung verändert werden, wenn bekannt ist, welche Position sie momentan hat.
  107. III.
    Angebot und Vertrieb der angegriffenen Ausführungsform stellen eine unmittelbare wortsinngemäße Verletzung des Anspruchs 1 des Klagepatents dar. Die angegriffene Ausführungsform verwirklicht sämtliche Merkmale des Klagepatentanspruchs.
  108. 1.
    Bei der angegriffenen Ausführungsform handelt es sich unstreitig um ein Motorfahrzeug. Dieses verfügt über einen Verbrennungsmotor gemäß Merkmal 1. Nach den Anlagen HE-C 9 (deutsche Übersetzung HE-C 9.1) und HE-C 10 (deutsche Übersetzung HE-C 10.1) handelt es sich bei dem LKW XX um Ölmotorgetriebe.
  109. Die angegriffene Ausführungsform umfasst weiter eine elektronische Steuereinheit zum Steuern des Motors gemäß Merkmal 2. Dies ergibt sich beispielhaft aus Abbildung C 3 der als Anlage HE-C 11 vorgelegten Wartungsanleitung des LKW XX.
  110. Über die Komponente I (I) kommunizieren verschiedene Komponenten von Steuereinheiten miteinander, unter anderem mit dem funktionalen Block des J (J). Dabei steuert J gemäß der als Anlagen HE-C 12 und HE-C 13 Wartungsanleitungen u.a. das Kraftstoffsystem des LKW.
  111. Die Steuerung erfolgt zudem in Abhängigkeit der Einstellung einer manuellen Drosselsteuerung, die bei der angegriffenen Ausführungsform durch Betätigen des Gas- bzw. Beschleunigungspedals stattfindet. Die Position des Gaspedals wird von einem Sensor erfasst. Dieser Beschleunigungspedalsensor ist den als Anlagen HE-C 14 und HE-C 15 vorgelegten Anlagen zu entnehmen. Unstreitig werden durch diesen zu der erfassten Position korrespondierende Signale an die Steuereinheit zum Steuern des Motors übermittelt.
  112. Die angegriffene Ausführungsform verfügt über ein Getriebemanagementsystem (GSM) und somit über eine zweite Steuereinheit zum Steuern des Getriebes gemäß Merkmal 3. Gemäß den als Anlage HE-C 16 und HE-C 17 vorgelegten Wartungsanleitungen steuert GSM u.a. das Getriebe. Ein manueller Gangauswähler, der sog. C-Hebel erlaubt gemäß der als Anlagen HE-C 18 und HE-C 19 vorgelegten Wartungsanleitungen unter anderem ob manuell oder automatisch geschaltet werden soll.
    Ferner ist die angegriffene Ausführungsform mit einem Tempomat mit A und daher mit einer Geschwindigkeitsregelfunktion gemäß Merkmal 4 ausgestattet. Dieser Tempomat nimmt Einfluss auf die Geschwindigkeit des LKW, indem er die Drosselöffnung verändert (das Fahrzeug beschleunigt) oder bremst, wie dies den als Anlage HE-C 20 (deutsche Übersetzung HE-C 20.1) und HE-C 21 (deutsche Übersetzung HE-C 21.1) vorgelegten Wartungsanleitungen zu entnehmen ist.
  113. Die angegriffene Ausführungsform verfügt weiterhin unstreitig über GPS, Informationen über die Topologie sowie Informationen darüber, ob die befahrene Straße bergauf oder bergab geht; entsprechend umfasst die angegriffene Ausführungsform Mittel zum Bereitstellen von Informationen über die gegenwärtige Position des Fahrzeugs mithilfe von GPS (Merkmal 5) und Mittel zum Bereitstellen einer Topologieinformation (Merkmal 6), wobei die Information über die Topologie Information über Gradienten oder Höhenwerte für die Straße aufweist (Merkmal 7).
  114. 2.
    Die angegriffene Ausführungsform verwirklicht auch die Merkmale 9 und 10 des Klagepatentanspruchs 1.
  115. a)
    Die angegriffene Ausführungsform kann in einem Zustand, in dem die aktuelle Geschwindigkeit die Sollgeschwindigkeit unterschreitet und das Fahrzeug zukünftig durch die Schwerkraft beschleunigt wird, sich also einer Neigung bergab nähert, gemäß Merkmal 9 die Drosselöffnung reduzieren. Dies ergibt sich aus dem von der Klägerin als Anlage HE-C 24 (deutsche Übersetzung HE-C 24.1) vorgelegten Testbericht von K über das Fahrverhalten der angegriffenen Ausführungsform, aus dem eine Fahrsituation und verschiedene Motorparameter nachfolgend graphisch wiedergegeben sind (Abbildung 3.33 von Beispiel 3 der Anlage HE-C 24b).
  116. Die senkrechte gestrichelte Linie zeigt einen Zeitpunkt, zu dem die Ist-Geschwindigkeit die Sollgeschwindigkeit unterschreitet (vgl. erster Graph von oben). Das Fahrzeug befindet sich kurz vor der Kuppe an einem Punkt, an dem es sich einem Gefälle nähert und somit zukünftig durch die Schwerkraft beschleunigt wird (vgl. zweiter Graph von oben). Zu diesem Zeitpunkt wird Kraftstoffzufuhr (vgl. dritter Graph von oben), also die Drosselöffnung und damit das Drehmoment (vgl. vierter Graph von oben) verringert.
  117. b)
    Die angegriffenen Ausführungsform kann ebenso in einem Zustand, in dem die aktuelle Geschwindigkeit die Sollgeschwindigkeit überschreitet und sich das Fahrzeug einer Neigung bergauf nähert, gemäß Merkmal 10 die Drosselöffnung öffnen, also beschleunigen und so kinetische Energie aufnehmen, wobei es an der anstehenden Steigung durch die Schwerkraft verlangsamt werden wird. Auch dies ergibt sich aus dem von der Klägerin vorgelegten Testbericht zum Fahrverhalten der angegriffenen Ausführungsform, aus dem eine Fahrsituation und Motorparameter nachfolgend graphisch wiedergegeben werden (Abbildung 3.28 von Beispiel 2 der Anlage HE-C 24).
  118. In diesem Fall gibt die gestrichelte Linie einen Zeitpunkt an, in dem die Ist-Geschwindigkeit des Fahrzeugs über der Sollgeschwindigkeit liegt (vgl. erster Graph von oben). Das Fahrzeug befindet sich am Beginn einer Steigung (vgl. zweiter Graph von oben), so dass es sich aufgrund der Schwerkraft verlangsamen wird. Das Fahrzeug befindet sich also in einer Fahrsituation gemäß Merkmal 10. Es schaltet in diesem Zeitpunkt in den 14. Gang (dritter Graph von oben), öffnet die Kraftstoffzufuhr (vierter Graph von oben) und damit die Drosselöffnung, um das Drehmoment zu erhöhen (fünfter Graph von oben) und die bereits vorhandene kinetische Energie für die anstehende Steigung zu nutzen. Dabei zeigt die Abbildung, dass die Geschwindigkeit trotz des erhöhten Drehmoments zum Ende der Steigung hin abnimmt.
  119. Dasselbe Fahrverhalten zeigt auch die nachstehende Grafik (Abb. 3.5 von Beispiel 1 der Anlage HE-C 24), die einen früheren Test der angegriffenen Ausführungsform wiedergibt.
  120. 3.
    Die vorstehend beschriebene Steuerung der Drosselöffnung gemäß den Merkmalen 9 und 10 bewerkstelligt die angegriffene Ausführungsform im Rahmen der A-Funktionalität mit einer Steuereinheit im Sinne von Merkmal 8. Dabei werden insbesondere die Sollgeschwindigkeit, die umgebende Topologie und die Drosselöffnungsposition berücksichtigt.
  121. a)
    Dass die Sollgeschwindigkeit des Fahrzeugs einer der Parameter ist, der der Steuereinheit zugeführt wird, ergibt sich aus den bereits in Bezug genommenen Anlagen HE-C 20 und HE-C 21, wonach der Tempomat auf ein Minimum von 60 km/h eingestellt sein muss, damit A – und damit die Geschwindigkeitsregelfunktion der angegriffenen Ausführungsform – aktivierbar ist. Da die Steuereinheit zum Steuern des Getriebes die D Funktion ausführt, wird sie in Kenntnis der Sollgeschwindigkeit des Fahrzeugs tätig.
  122. Aus dem von der Klägerin als Anlage HE-C 24 (deutsche Übersetzung HE-C 24.1) vorgelegten Testbericht von Herrn K ergibt sich auf Seite 55 betreffend die D-Funktionalität, dass die VehicleSpeed, die Fahrzeuggeschwindigkeit, ein ausgelesener Parameter ist.
    Da die Klägerin die Fahrzeuggeschwindigkeit aus I als Parameter auslesen kann, ist dieser auch ein solcher, der der Steuereinheit gemäß Merkmal 8 zugeführt wird. Dies ergibt sich zudem auch aus dem von der Klägerin als Anlage HE-C 29 vorgelegten Blockdiagramm (Abbildung 14):
  123. Das Blockdiagramm wurde von den Beklagten in einem von den Parteien in Schweden geführten Patentverletzungsstreit vorgelegt. Der Darstellung ist zu entnehmen, dass die Geschwindigkeit des Fahrzeugs in Richtung einer von der Sollgeschwindigkeit abweichenden Referenzgeschwindigkeit geregelt wird und die Steuereinheit dementsprechend Drehmoment anfordert. Es wird unmittelbar deutlich, dass die Sollgeschwindigkeit in die Geschwindigkeitsregelung mittels A unmittelbar Eingang findet.
  124. Die Beklagte wendet ohne Erfolg ein, dass diese Untersuchungen der Klägerin nur eine rein phänomenologische Betrachtung zuließen und daher ein Nachweis hinsichtlich der Funktionsweise der Steuerung nicht erbracht sei. Denn weder interessiert die konkrete Funktionsweise der Steuerung noch der zugrundeliegende Algorithmus. Entscheidend ist, dass die Sollgeschwindigkeit der Steuereinheit als Parameter zugeführt wird.
  125. Daher kommt es auch auf die von den Beklagten als Nachweis vorgelegten Feststellungen des von ihnen beauftragten Gutachters Prof. L vom 22. Juli 2020 (Anlage B (C) 4) nicht an, wonach die angegriffene Ausführungsform nicht verlange, dass die tatsächliche (aktuelle) Fahrzeuggeschwindigkeit unter der Sollgeschwindigkeit liegt; vielmehr würden Geschwindigkeitsschwellwerte berechnet, die dazu dienen, simulierte Geschwindigkeitsprofile zu vergleichen.
  126. Die Beklagte stellt auch nicht in Abrede, dass die Sollgeschwindigkeit der Steuereinheit zugeführt wird. Aufgrund welchen Algorithmus die Steuereinheit die Drosselöffnung in den Fällen von Merkmal 9 und 10 steuert, ist nach hier vertretener Auffassung nicht von Bedeutung. Die Ausführungen des Gutachters in seinem Gutachten vom 22. Juli 2020 zur Frage C-4 stehen dem daher nicht entgegen.
  127. b)
    Unstreitig berücksichtigt die Steuereinheit bei der Regelung der Drosselöffnung im Rahmen der Funktionalität A auch die umgebende Topologie. Aus der vorangehenden Darstellung (Anlage HE-C 29) wird unmittelbar deutlich, dass GPS-Daten in die Steuerung einfließen und die Neigung des vorausliegenden Straßenabschnitts auf Basis dieser Daten und vorhandener Kartendaten ermittelt wird.
  128. c)
    Schließlich fließt in die Steuerung der Drosselöffnung auch die Kenntnis der Steuereinheit von der Drosselöffnungsposition ein. Aus dem vorstehenden Blockdiagramm (HE-C 29) wird deutlich, dass die Steuerung in Abhängigkeit von der Topologie ein zukünftiges Geschwindigkeitsprofil simuliert und daraufhin in Abhängigkeit von der Sollgeschwindigkeit und von Geschwindigkeitsschwellenwerten aus dem zukünftigen Geschwindigkeitsprofil eine Referenzgeschwindigkeit ermittelt. Da die Fahrzeuggeschwindigkeit auf diese Referenzgeschwindigkeit geregelt werden soll, wird eine entsprechende Drehmomentanforderung in Abhängigkeit von der derzeitigen Ist-Geschwindigkeit ausgegeben. Bereits dies entspricht der Kenntnis der Drosselöffnung im Sinne der Definition des Klagepatents, wonach die Drossel(öffnungs)position auch die Anforderung der Geschwindigkeitsregelfunktion an die Drosselsteuerung für eine bestimmte Drosselposition meint.
  129. Selbst wenn man diesem Verständnis nicht folgt, hat die Klägerin unbestritten vorgetragen, dass das Regeln der Geschwindigkeit auf die Referenzgeschwindigkeit zwingend eine Verringerung oder Vergrößerung der Drosselöffnung erfordert und ein solcher Regelungsprozess Kenntnis der Drosselöffnungsposition bedeutet. Dass dies anders ist, wenn die Drosselöffnung vollständig geschlossen bzw. geöffnet werden soll, behaupten auch die Beklagten nicht. Insofern ist zu berücksichtigen, dass der Steuerungsprozess nicht nur die eigentliche Funktion A umfasst, sondern nach zutreffender Auslegung vom Eingang der ersten Parameter in die Steuerung bis hin zur tatsächlichen Verringerung oder Vergrößerung der Drosselöffnung.
  130. Dass die Steuereinheit der angegriffenen Ausführungsform vorsieht, Motordrehzahl und Drosselöffnung jeweils maximal zu reduzieren und keine schrittweise Reduzierung der Drosselöffnung vorsieht, führt aus der Verletzung nicht heraus. Denn das Klagepatent verlangt nach hier vertretener Auffassung gerade nicht, dass die Geschwindigkeit des Fahrzeugs durch das schrittweise Reduzieren der Drosselöffnung verringert wird.
  131. 4.
    Die Steuerung der Drosselöffnung bei der angegriffenen Ausführungsform, wie sie vorstehend dargestellt wurde, führt nicht nur zufällig zu einem Fahrzeugverhalten, das den Fahrsituationen in Merkmal 9 und 10 entspricht. Soweit die Beklagten im nicht nachgelassenen Schriftsatz vom 8. Oktober 2020 die Ansicht vertreten, ein Fahrzeug mit einer adaptiven Geschwindigkeitsregelung, die sich am Abstand eines vorausfahrenden Fahrzeugs orientiert, könne in bestimmten Fahrsituationen ebenfalls ein Verhalten zeigen, wie es die Merkmale 9 und 10 verlangen, so dass von dem von der Klägerin vorgelegten Testbericht (vgl. Anlage HE-C 24) nicht auf die Verwirklichung der Merkmale 9 und 10 durch die angegriffene Ausführungsform geschlossen werden könne, greift dies nicht durch.
  132. Nach dem unbestrittenen Vortrag der Beklagten in der mündlichen Verhandlung macht die angegriffene Ausführungsform im Rahmen der Funktion A sekündlich zwei Simulationen, nämlich wie sich die Geschwindigkeit entwickeln wird, wenn das Drehmoment maximal reduziert wird, und wie sie sich entwickeln wird, wenn das Drehmoment maximal erhöht wird. A lässt ein Simulationsergebnis nur zu, wenn es verschiedene Bedingungen erfüllt, im Fall der maximalen Reduzierung des Drehmoments lauten diese beispielsweise, dass die Geschwindigkeit nie kleiner als eine Minimalgeschwindigkeit vmin werden darf. Allerdings muss die Geschwindigkeit bei einer Steigung mindestens um 0,5 km/h gegenüber der Sollgeschwindigkeit fallen und beim nachfolgenden Gefälle mindestens 2 km/h gegenüber der Sollgeschwindigkeit steigen. Dabei sind die Geschwindigkeitsgrenzwerte wie die Minimalgeschwindigkeit vmin von der ursprünglichen Sollgeschwindigkeit abhängig. Nachfolgend sind beispielhaft verschiedene Simulationen von Geschwindigkeitsprofilen für ein bestimmtes Höhenprofil wiedergegeben, wobei lediglich die grüne Kurve die vorgenannten Bedingungen einhält.
  133. Erfüllt eine Simulation sämtliche Bedingungen, wird die Referenzgeschwindigkeit vRef auf die Minimalgeschwindigkeit vmin reduziert und stellt das neue Regelungsziel dar. Da die Ist-Geschwindigkeit die „neue Sollgeschwindigkeit“ überschreitet, wird das Drehmoment weggenommen, mithin die Drosselöffnung geschlossen. Dasselbe Procedere mit vergleichbaren Bedingungen erfolgt für Simulationen mit maximalem Drehmoment.
  134. Aus den vorstehenden Ausführungen wird ersichtlich, dass – wie die Beklagten auch in der mündlichen Verhandlung erklärt haben – die A-Funktion regelmäßig dann eingreift, wenn sich die angegriffene Ausführungsform vor einer Kuppe bzw. vor einer Taldurchfahrt befindet, also an einer Steigung mit nachfolgendem Gefälle oder auf abfallender Strecke mit nachfolgender Steigung befindet. Auch wenn die angegriffene Ausführungsform selbst keinen Vergleich zwischen der Sollgeschwindigkeit und der Ist-Geschwindigkeit vornimmt und ein Unterschreiten der Sollgeschwindigkeit als Bedingung für die Verringerung der Drosselöffnung nicht verwendet (im Fall von Merkmal 9; für Merkmal 10 kommt es auf ein Überschreiten der Sollgeschwindigkeit an), ist das Fahrzeugverhalten doch nicht nur zufällig. Die A-Funktion greift typischerweise vor Kuppen und Taldurchfahrten, also in Fahrsituationen, in denen die Ist-Geschwindigkeit typischerweise unter (Kuppe) bzw. über der Sollgeschwindigkeit (Taldurchfahrt) liegt. Sie ist darauf angelegt, eine zukünftige, schwerkraftbedingte Beschleunigung (Kuppe) oder Verlangsamung (Taldurchfahrt) in die Simulation einzubeziehen, und steuert das Drehmoment so, dass die Drosselöffnung geschlossen (Kuppe) oder weiter geöffnet wird (Taldurchfahrt). Soweit die Beklagten nunmehr auf die Referenzgeschwindigkeit abstellen wollen, die von A auf die Minimalgeschwindigkeit gesetzt wird und die „neue Sollgeschwindigkeit“ darstellt, die von der Ist-Geschwindigkeit überschritten wird, stellt dies eine künstliche Betrachtung dar, die außer Acht lässt, dass A die vorherigen Simulationen der Geschwindigkeitsprofile ebenso in Bezug auf die ursprüngliche Sollgeschwindigkeit durchgeführt hat wie die Bestimmung der Geschwindigkeitsschwellwerte. Immerhin kehrt die Geschwindigkeitsregelung später sogar zu dieser Sollgeschwindigkeit wieder zurück (vgl. obiges Schaubild).
  135. Dass es auch Fälle gibt, in denen ausgehend von einer die Sollgeschwindigkeit übersteigenden (bzw. unterschreitenden) Ist-Geschwindigkeit aufgrund einer zukünftigen schwerkraftbedingten Beschleunigung (bzw. Verlangsamung) das Drehmoment weggenommen (bzw. maximiert) wird, ist – wie im Rahmen der Auslegung gezeigt – unbeachtlich und entspricht ohnehin dem typischen Verhalten einer herkömmlichen Geschwindigkeitsregelung. Mit einem zufälligen Fahrzeugverhalten gemäß Merkmal 9 und 10 wie bei der adaptiven Geschwindigkeitsregelung hat all dies nichts zu tun. Denn die Geschwindigkeitsregelung der angegriffenen Ausführungsform ist gerade nicht von einem Abstand zu einem vorausfahrenden Fahrzeug und damit vom Fahrverhalten eines anderen Fahrzeugs abhängig, sondern von Simulationen von Geschwindigkeitsprofilen, die gerade auch die Topologie mit Steigungen und Neigungen und damit die in den Merkmalen 9 und 10 beschriebenen Fahrsituationen berücksichtigen.
  136. IV.
    Die festgestellte Patentverletzung rechtfertigt die zuerkannten Rechtsfolgen wie folgt:
  137. 1.
    Die Beklagten sind der Klägerin zur Unterlassung verpflichtet, Art. 64 EPÜ i.V.m. § 139 Abs. 1 PatG, da sie zur Benutzung der patentgemäßen Lehre nicht berechtigt sind.
  138. Der Unterlassungsanspruch bleibt von der von den Beklagten erhobenen Einrede der Verjährung unberührt. Gem. § 141 Satz 1 PatG i. V. m. § 199 Abs. 1, 5 beginnt die hier maßgebliche regelmäßige Verjährungsfrist von drei Jahren (§ 195 BGB) mit dem Ende des Jahres, in welchem die Zuwiderhandlung stattgefunden und der Anspruchssteller von dieser Kenntnis bzw. grob fahrlässig keine Kenntnis erlangt hat. Jede weitere Zuwiderhandlung löst jedoch einen neuen Unterlassungsanspruch aus und setzt eine neue Verjährungsfrist in Gang (Grabinski/ Zülch, in: Benkard, PatG, Kommentar, 11. Auflage, 2015, § 141, Rn. 5). Die Beklagten haben hier nicht vorgetragen, dass in unverjährter Zeit keine Zuwiderhandlungen mehr stattgefunden haben
  139. 2.
    Die Klägerin hat gegen die Beklagten dem Grunde nach einen Anspruch auf Zahlung von Schadensersatz aus Art. 64 Abs. 1 EPÜ, § 139 Abs. 1 und 2 PatG. Dieser ist für vor dem 1. Januar 2016 begangene Benutzungshandlungen gemäß § 141 S. 2 PatG i.V.m. § 852 S. 1 BGB auf die Herausgabe dessen, was die Beklagten durch diese Handlungen erlangt haben, nach den Vorschriften über die Herausgabe einer ungerechtfertigten Bereicherung beschränkt.
  140. a)
    Das für die Zulässigkeit des Feststellungsantrags gemäß § 256 Abs. 1 ZPO erforderliche Feststellungsinteresse ergibt sich daraus, dass die Klägerin derzeit nicht in der Lage ist, den konkreten Schaden zu beziffern und ohne eine rechtskräftige Feststellung der Schadensersatzpflicht die Verjährung von Schadensersatzansprüchen droht.
  141. b)
    Die Beklagten sind zum Schadensersatz verpflichtet, weil sie die Patentverletzung schuldhaft begingen. Als Fachunternehmen hätten sie die Patentverletzung bei Anwendung der im Geschäftsverkehr erforderlichen Sorgfalt zumindest erkennen können, § 276 BGB. Es ist auch nicht unwahrscheinlich, dass der Klägerin durch die Patentverletzung ein Schaden entstanden ist, zumal bereits patentverletzende Erzeugnisse in den Verkehr gebracht wurden.
  142. c)
    Für vor dem 1. Januar 2016 und damit in verjährter Zeit begangene Benutzungshandlungen ist der Schadensersatzanspruch der Klägerin beschränkt. Der Schadensersatzanspruch bleibt nach § 141 S. 2 PatG i.V.m. § 852 BGB nur insoweit durchsetzbar, als die Beklagten durch die Verletzung auf Kosten der Klägerin etwas erlangt haben. Zu dessen Herausgabe nach den Vorschriften über die Herausgabe einer ungerechtfertigten Bereicherung bleiben die Beklagten als Ersatzpflichtige auch nach Eintritt der Verjährung des Anspruchs auf Ersatz des aus der Verletzung entstandenen Schadens verpflichtet (vgl. zuletzt BGH, GRUR 2019, 496 Rn. 14 – Spannungsversorgungsvorrichtung). Der Restschadensersatzanspruch ist in dem zeitlichen Umfang, in dem er hier von der Klägerin geltend gemacht wird, aufgrund der durch Einreichung der Klage eingetretenen Hemmung noch nicht verjährt.
  143. 3.
    Die Beklagten sind gem. Art. 64 Abs. 1 EPÜ i. V. m. § 140b Abs. 1, 3 PatG zur Erteilung der mit dem Antrag zu Ziffer I. 2. begehrten Auskünfte ab dem 01. Januar 2016 sowie zur Belegvorlage in dem begehrten Umfang verpflichtet.
  144. Der Anspruch ist hingegen wegen Verjährung nicht mehr durchsetzbar, soweit er sich auf Benutzungshandlungen vor dem 1. Januar 2016 erstreckt, § XXX Abs. 1 BGB.
  145. Maßgeblich ist auch hier die regelmäßige Verjährungsfrist von drei Jahren, § 141 Satz 1 PatG i. V. m. § 195 BGB, die mit Anspruchsentstehung und Kenntnis bzw. grob fahrlässiger Unkenntnis von den den Anspruch begründenden Umständen sowie von der Person des Schuldners beginnt.
  146. Die Klägerin erhielt erstmalig durch Untersuchung der angegriffenen Ausführungsform im Jahre 2013 Kenntnis von dieser. Vor diesem Hintergrund tritt eine Verjährung frühestens – ohne Berücksichtigung etwaiger Hemmungstatbestände – für vor dem 01. Januar 2017 begangene Handlungen ein. Da die Klägerin jedoch im Jahre 2019 das hiesige Klageverfahren einleitete, was gem. §§ 209, 204 Abs. 1 Nr. 1 BGB zur Verjährungsunterbrechung führt, ist eine Verjährung lediglich im Hinblick auf bis zum 31. Dezember 2015 begangene Handlungen eingetreten.
  147. 4.
    Die mit dem Klageantrag zu Ziffer I. 3. begehrte Rechnungslegung steht der Klägerin gem. Art. 64 Abs. 1 EPÜ i. V. m. §§ 242, 259 BGB zu, damit sie in die Lage versetzt wird, den ihr zustehenden Schadensersatzanspruch zu beziffern. Die Klägerin ist auf die tenorierten Angaben angewiesen, über die sie ohne eigenes Verschulden nicht verfügt. Die Beklagten werden durch die von ihnen verlangte Auskunft auch nicht erkennbar unzumutbar belastet.
  148. Im Hinblick auf den Verjährungseinwand ist unschädlich, dass der Klägerin für einen Zeitraum vor dem 01. Januar 2016 lediglich ein sog. Restschadensersatzanspruch nach den Vorschriften über die ungerechtfertigte Bereicherung zusteht. Auch dieser löst einen hilfsweisen Auskunftsanspruch aus. Dieser unterliegt zwar grundsätzlich einer eigenen Verjährung, als akzessorischer Anspruch verjährt er jedoch nicht vor dem Hauptanspruch (BGH, NJW 2017, 2755, Rn. 8). Die hier noch nicht eingetreten ist.
  149. Der Restschadensersatzanspruch erfasst insbesondere auch den Gewinn des Verletzers, den dieser aufgrund der Patentverletzung erlangt hat, so dass insbesondere auch Angaben zu etwaigen Gestehungskosten zu machen sind (BGH, GRUR 2019, 496 – Spannungsversorgungsvorrichtung).
  150. 5.
    Die Klägerin hat gegen die Beklagten einen Anspruch auf Vernichtung der patentverletzenden Erzeugnisse gemäß Art. 64 Abs. 1 EPÜ i.V.m. § 140a Abs. 1 PatG, wobei eine Vernichtung des gesamten Motorfahrzeuges unter Verhältnismäßigkeitsgesichtspunkten ausscheidet. Vielmehr kann die Klägerin allein die Vernichtung der softwarebasierten A-Funktionalität verlangen. Der Anspruch ist in zeitlicher Hinsicht des Weiteren auf einen Zeitraum ab dem 1. Januar 2016 beschränkt, im Übrigen fehlt es aufgrund der Einrede der Verjährung an der Durchsetzbarkeit.
  151. Die Vernichtung der angegriffenen Getriebesteuereinheit stellt sich als unverhältnismäßig im Sinne von § 140a Abs. 4 PatG dar.
  152. Nach § 140a Abs. 4 PatG sind Vernichtungs- und Rückrufansprüche ausgeschlossen, wenn die Inanspruchnahme im Einzelfall unverhältnismäßig ist. Die Anordnung der Vernichtung sowie die Anordnung des Rückrufs und des endgültigen Entfernens aus den Vertriebswegen hat über die Folgenbeseitigung hinaus eine Art Sanktionscharakter und ist wegen des damit verbundenen Eingriffs in das durch Artikel 14 GG geschützte Eigentum in besonderem Maße dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz unterworfen. Die Frage der Unverhältnismäßigkeit ist deshalb unter umfassender Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls zu beantworten So sind unter Berücksichtigung des generalpräventiven Zwecks der Vorschrift das Vernichtungsinteresse des Schutzrechtsinhabers und das Erhaltungsinteresse des Verletzers abzuwägen. In die Abwägung einzubeziehen ist ferner die Schuldlosigkeit oder der Grad des Verschuldens des Verletzers. Insbesondere bei schuldlosem Handeln des Verletzers werden bei der Abwägung, ob und durch welche Maßnahmen dem Gebot der Beseitigung des rechtsverletzenden Zustands auf andere Weise genügt ist, aus verfassungsrechtlichen Gründen entsprechend geringere Anforderungen zu stellen sein. Im Rahmen der Abwägung ist außerdem die Schwere des Eingriffs, der Umfang des bei der Vernichtung für den Verletzer entstehenden Schadens im Vergleich zu dem durch die Verletzung eingetretenen wirtschaftlichen Schaden des Rechtsinhabers einzubeziehen. Neben diesen Gesichtspunkten kann auch die Frage von Bedeutung sein, ob im Einzelfall ein milderes Mittel zur Beseitigung der Störung zur Verfügung steht (vgl. zum Markenrecht BGH, GRUR 2019, 518, Rn. 21 – Curapor, Kühnen, Hdb. Patentverletzung, 12. Auflage 2020, Kap. D Rn. 709 ff., Rinken in BeckOK Patentrecht, 17. Edition 2020, § 140a Rn. 30.1).
  153. Zu berücksichtigen ist bei der Frage der Verhältnismäßigkeit, welche Alternativen es gibt, um einen rechtswidrigen Zustand zu beseitigen und wie wirtschaftlich schwerwiegend der rechtswidrige Zustand für den Schutzrechtsinhaber ist. An der Verhältnismäßigkeit kann es fehlen, wenn das fragliche Bauteil bereits in eine größere Einheit (z.B. ein Kfz) verbaut ist und dessen Demontage erhebliche wirtschaftliche Folgen mit sich bringen würde oder der Verletzer bereits über eine patentfreie Ausweichtechnik verfügt, die er seinem Abnehmer im Austausch anbieten kann (Kühnen aaO. Kap. D Rn. 713). Kann der rechtswidrige Zustand auch auf andere Weise als durch vollständige Vernichtung des Erzeugnisses beseitigt werden (z. B. durch technische Abänderung), so hat dieses mildere Mittel regelmäßig Vorrang (Grabinski/Zülch, in: Benkard, PatG, Kommentar, 11. Auflage, 2015, § 140a, Rn. 8a f.; Kühnen, Handbuch der Patentverletzung, 12. Auflage, 2020, Kap. D., Rn. 672). Soweit mildere Maßnahmen möglich sind und die volle Vernichtung unverhältnismäßig ist, kann die Durchführung der milderen Maßnahme – sofern als Minus vom Hauptantrag umfasst – dann vom Verletzer verlangt werden (Grabinski/ Zülch, ebd., § 140a, Rn. 8d).
  154. Zwischen den Parteien ist unstreitig, dass die angegriffene A -Funktionalität des Getriebes softwarebasiert implementiert ist. Daraus ergibt sich, dass diese auch softwarebasiert beseitigt werden kann. Eine derartige Beseitigung stellt sich als milderes Mittel gegenüber der Vernichtung des gesamten Motorfahrzeugs als klagepatentverletzende Vorrichtung dar. Das gilt vorliegend bereits deshalb, weil das Motorfahrzeug als solches einen viel komplexeren Gegenstand aus einer Vielzahl von Bauteilen und Funktionen darstellt, von denen die Steuereinheit mit der A-Funktion nur eine untergeordnete Rolle spielt. Da die Erfindung gerade in der Funktionsweise der Steuereinheit liegt, die letztlich mittels A ein bestimmtes Fahrverhalten des Motorfahrzeugs steuert, kann die Patentverletzung unschwer durch die Beseitigung der A-Funktionalität beseitigt werden, ohne zugleich den gesamten, noch anderweitig verwendbaren und einen bedeutenden wirtschaftlichen Wert verkörpernden LKW zu vernichten. Der Vernichtung in Form der Beseitigung der A-Funktionalität wohnt auch nicht die Gefahr inne, dass die Abnehmer als Dritte den angegriffenen LKW in klagepatentverletzender Weise benutzen (zu diesem Gesichtspunkt: OLG Düsseldorf, InstGE 7, 139 – Thermocycler) – wie dies etwa bei einem bloßen Abschalten der Funktionalität durch den LKW-Fahrer der Fall wäre.
  155. 6.
    Die Klägerin kann die Beklagte aus Art. 64 EPÜ i.V.m. § 140a Abs. 3 PatG schließlich auf Rückruf der patentverletzenden Erzeugnisse in Anspruch nehmen, wobei auch insoweit die Einrede der Verjährung Berücksichtigung findet, als es an einer Durchsetzbarkeit des Anspruchs für einen Zeitraum vor dem 01. Januar 2016 fehlt. Auf die Ausführungen zur Verjährung unter den vorhergehenden Ziffern wird Bezug genommen.
  156. Der Rückrufanspruch stellt sich hingegen nicht als unverhältnismäßig im Sinne von § 140a Abs. 4 PatG dar. Im Hinblick auf den grundsätzlichen Prüfungsmaßstab wird zunächst auf die vorherigen Ausführungen unter Ziff. 5. Bezug genommen.
  157. Die Ausführungen der Beklagten zu einer technischen Alternativsoftware, die die Geschwindigkeitsregelung auf andere Art und Weise als unter Verwirklichung der Merkmale des Klagepatents umsetzt, sind jedoch unsubstantiiert. Insoweit ist zwischen der Beseitigung der A-Funktionalität (wie unter Ziff. 5. erläutert) und der alternativen Bereitstellung einer softwarebasierten Geschwindigkeitsregelung, die nicht klagepatentverletzend ist, zu differenzieren. Dies berücksichtigend kann ausgehend vom Sach- und Streitstand im Zeitpunkt des Schlusses der mündlichen Verhandlung nicht davon ausgegangen werden, dass die Beklagten ihren Kunden ohne weiteres eine solche zur effektiven Umsetzung ihrer Rückrufverpflichtung anbieten können. Daher kann den Beklagten statt einer Erstattung des Kaufpreises nicht das Angebot einer Rücknahme des Verletzungsprodukts gegen patentfreie Ersatzlieferungen zugestanden werden (vgl. Kühnen, ebd., Kap. D., Rn. 728).
  158. B.
    Für eine Aussetzung der Verhandlung besteht keine Veranlassung.
  159. Nach ständiger Rechtsprechung der Kammer (Mitt. 1988, 91 – Nickel-Chrom-Legierung; BlPMZ 1995, 121 – Hepatitis-C-Virus), die auch vom Oberlandesgericht Düsseldorf (GRUR 1979, 188 – Flachdachabläufe; Mitt. 1997, 257, 258 – Steinknacker) und vom Bundesgerichtshof (GRUR 1987, 284 – Transportfahrzeug; GRUR 2014, 1237, 1238 – Zugriffsrechte) gebilligt wird, stellen ein Einspruch gegen das Klagepatent oder die Erhebung einer Nichtigkeitsklage als solche noch keinen Grund dar, den Verletzungsrechtsstreit auszusetzen, weil dies faktisch darauf hinauslaufen würde, dem Angriff auf das Klagepatent eine den Patentschutz hemmende Wirkung beizumessen, die dem Gesetz fremd ist. Die Interessen der Parteien sind vielmehr gegeneinander abzuwägen, wobei grundsätzlich dem Interesse des Patentinhabers an der Durchsetzung seines zeitlich beschränkten Patents Vorrang gebührt. Eine Aussetzung wegen eines gegen das Klagepatent anhängigen Einspruchs- oder Nichtigkeitsverfahrens kommt daher nur dann in Betracht, wenn ein Widerruf oder eine Vernichtung des Klageschutzrechtes nicht nur möglich, sondern mit (hinreichender) Wahrscheinlichkeit zu erwarten ist (vgl. BGH GRUR 2014, 1237, 1238 – Zugriffsrechte). Eine solche Wahrscheinlichkeit kann regelmäßig dann nicht angenommen werden, wenn der am nächsten kommende Stand der Technik bereits im Erteilungsverfahren berücksichtigt worden ist oder wenn neuer Stand der Technik lediglich belegen soll, dass das Klagepatent nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit beruht, sich jedoch auch für eine Bejahung der Erfindungshöhe, die von der wertenden Beurteilung der hierfür zuständigen Instanzen abhängt, zumindest noch vernünftige Argumente finden lassen. Unter Berücksichtigung dieser Grundsätze besteht keine Veranlassung zur Aussetzung des vorliegenden Verletzungsrechtsstreits.
  160. I.
    Die Lehre des Anspruchs 1 des Klagepatents wird weder durch die US 5 995 XXX (Anlage K 6 zur Nichtigkeitsklage vom 21. Dezember 2018) noch durch die EP 0 795 XXX B 1 (Anlage K 7 zur Nichtigkeitsklage vom 21. Dezember 2018, deutsche Übersetzung K 8) oder durch die EP 1 013 XXX A 1 (Anlage K 19) neuheitsschädlich vorweggenommen.
  161. Gemäß Art. 54 Abs. 1 EPÜ gilt eine Erfindung als neu, wenn sie nicht zum Stand der Technik gehört. Den Stand der Technik bildet gemäß Art. 54 Abs. 2 EPÜ alles, was vor dem Anmeldetag der europäischen Patentanmeldung der Öffentlichkeit durch schriftliche oder mündliche Beschreibung, durch Benutzung oder in sonstiger Weise zugänglich gemacht worden ist. Gemäß Art. 89 EPÜ gilt hingegen im Sinne von Art. 54 Abs. 2 EPÜ der Prioritätstag der Anmeldung als Anmeldetag. Allerdings umfasst das Prioritätsrecht nur die Merkmale der europäischen Patentanmeldung, die in der Anmeldung oder den Anmeldungen enthalten sind, deren Priorität in Anspruch genommen worden ist, Art. 88 Abs. 3 EPÜ.
  162. 1.
    Die Entgegenhaltung K 6 offenbart eine Steuerung eines Fahrzeugsystems, insbesondere für landwirtschaftliche Fahrzeuge. Diese Steuerung soll zumindest zum Teil auf die zu erwartenden Eigenschaften des Fahrtwegs reagieren können, indem beispielsweise die Fahrtgeschwindigkeit angepasst wird. Die Entgegenhaltung offenbart zumindest nicht die Merkmale 9 und 10 des Klagepatentanspruchs, insbesondere nicht die in beiden Merkmalen angegebene doppelte Abweichung von der eingestellten Sollgeschwindigkeit. Gegenstand der in Anlage K 6 beschriebenen Erfindung ist es, eine möglichst konstante Fahrtgeschwindigkeit zu erreichen, die mit der eingestellten Sollgeschwindigkeit korreliert und u.a. durch die Ladung, die Zugkraft der Maschine und den jeweiligen Fahrwiderstand beeinflusst wird (vgl. ab Spalte 11 Zeile 67):
  163. „Anticipated slope can be calculated for all or only a portion of the hill depending upon the particular control application. The equation of a curve or line representing altitudes along the course of travel can also be determined by using standard curve-fit algorithms. Changes to the altitude will affect the load on the vehicle’s engine, and the running resistance that the vehicle will encounter.”
  164. Die offenbarte Steuereinheit soll dabei die eingestellte Sollgeschwindigkeit möglichst beibehalten, was sich insbesondere auch der von den Beklagten zitierten Textpassage entnehmen lässt (Spalte 19, Zeile 22 bis 25):
  165. „Throttle valve can, for example, decrease engine speed in anticipation of a down-hill slope so that vehicle speed remains closer to the target speed after the slope starts.”
  166. Offenbart wird damit zumindest nicht das Vermindern der Drosselöffnung in Fällen, in denen in Bezug auf die eingestellte Sollgeschwindigkeit eine Geschwindigkeit unterhalb der Sollgeschwindigkeit vorliegt, und in denen eine zukünftige Schwerkraft nachfolgend das Fahrzeug beschleunigen wird nach Merkmal 9.
  167. Soweit in Spalte 19, Zeile 28 erläutert wird, dass die Geschwindigkeit auch unter die Soll-Geschwindigkeit verringert werden kann, bevor das Gefälle erreicht wird:
  168. „Also, slowing the vehicle below the target speed before reaching the down-hill slope can be used to decrease the braking required later and to conserve fuel.“,
  169. lässt dieser Satz offen, ob dies aus einer Situation heraus geschehen kann, in der sich das Fahrzeug bereits unterhalb der Sollgeschwindigkeit befand. Auch kann der Abschnitt dahingehend verstanden werden, dass die Ist-Geschwindigkeit der Soll-Geschwindigkeit entspricht oder diese übersteigt und vor dem Erreichen des Gefälles verringert wird. Auch in diesem Fall wird die Ist-Geschwindigkeit nach dem Beginn des Gefälles näher an der Soll-Geschwindigkeit gehalten und ein Warten auf die Geschwindigkeitsabweichung verringert.
  170. Für das Merkmal 10, wonach die kinetischer Energie des Fahrzeugs in solchen Fällen genutzt werden soll, in denen das Fahrzeug eine Geschwindigkeit oberhalb der Sollgeschwindigkeit besitzt und eine zukünftige Schwerkraft das Fahrzeug verlangsamen wird, ergibt sich aus dieser Entgegenhaltung noch weniger.
  171. 2.
    Die Entgegenhaltung K 7 offenbart ebenfalls nicht die Merkmale 9 und 10 des Klagepatentanspruchs. Offenbart wird ein Steuerungssystem für ein Getriebe, das die Lenkbarkeit mit verschiedenen kombinierten Straßendaten verbessert. So wird auf Seiten 2 und 3 der Anlage K 6 beschrieben, dass je nach ermittelten Straßenverhältnissen das erfindungsgemäße Steuersystem Schaltmuster definiert, bspw. zum Einstellen eines höheren Übersetzungsverhältnisses. Ziel ist es auch hier, die Fahrtgeschwindigkeit mit der eingestellten Sollgeschwindigkeit zu korrelieren (Seite 39 unten der Anlage K 8):
  172. „Wenn eine Dauerfahrt mit einer vorgegebenen oder kleineren Drosselöffnung unter Beibehaltung der aktuellen Übersetzungsstufe ausgeführt wird, wird im Schritt 245 entschieden, ob die Soll-Fahrzeuggeschwindigkeit auf die von Schritt 243 abgesenkt werden kann und ob die Fahrzeuggeschwindigkeit durch Fahren bei vollständig geschlossener Drosselöffnung auf den vorgenannten Sollwert abgesenkt werden kann.“
  173. Nicht offenbart wird, dass die Drosselöffnung ausgehend von einer unter der Sollgeschwindigkeit liegenden Geschwindigkeit weiter verringert wird bzw. die kinetische Energie bei anstehendem Anstieg selbst dann genutzt werden sollen, wenn die Geschwindigkeit bereits oberhalb der Soll-Geschwindigkeit liegt.
  174. 3.
    Schließlich offenbart auch die Entgegenhaltung K 19 die Merkmale 9 und 10 nicht unmittelbar und eindeutig. Diese betrifft ein Verfahren und eine Vorrichtung zur Regelung der Fahrweise eines Kraftfahrzeugs. Absatz [0025] beschreibt, dass
  175. „durch die Signale von der Information wird,
  176. a) abhängig vom künftigen Gefälle-/Steigungsverlauf, die Fahrzeuggeschwindigkeit verändert. Vorteil dieser Strategie ist, dass der perfekte Fahrer nahezu nachgebildet wird. So kann bei Beginn eines Gefälles VSoll + Δv zugelassen und im weiteren Gefälleverlauf VSoll eingeregelt werden. Diese Strategie ist vorteilhaft, wenn nacheinander verschiedene Bremseinrichtungen des Fahrzeugs zugeschaltet werden müssen oder im Verlauf des Gefälles abgeschaltet werden können. Zum Ende des Gefälles kann dann wieder VSoll + Δv zugelassen werden, um Schwung aus dem Gefälle für die Weiterfahrt in der Ebene oder für eine kommende Steigung zu holen,
    b) in kürzeren Gefällestrecken Geschwindigkeitserhöhung VSoll + Δv und/oder eine Abstandsverkürzung dSoll – Δd zugelassen,
    c) vor Beginn einer Steigungsstrecke eine Geschwindigkeitserhöhung VSoll + Δv und/oder eine Abstandsverringerung dSoll – Δd zugelassen.“
  177. Dadurch wird Merkmal 10 – entgegen der Ansicht der Beklagten – indes nicht eindeutig offenbart. Es fehlt an einem Hinweis, dass selbst bei schon unterschrittener Sollgeschwindigkeit die Geschwindigkeit weiter verringert wird und umgekehrt. Stattdessen ist diesem Absatz [0025] zu entnehmen, dass nach einem anfänglichen Überschreiten der Sollgeschwindigkeit im weiteren Gefälleverlauf wieder die auf die Soll-Geschwindigkeit eingeregelt wird. Erst zum Ende des Gefälles wird diese wieder überschritten um Schwung aus dem Gefälle für die Weiterfahrt zu holen.
  178. Absatz [0026] enthält keine Angabe dahingehend, dass aus einer Geschwindigkeit heraus die Fahrzeuggeschwindigkeit weiter verringert werden soll. Es fehlt daher auch an einer Offenbarung von Merkmal 9.
  179. II.
    Die Kammer geht nicht davon aus, dass das Bundespatentgericht das Klagepatent hinsichtlich Anspruch 1 widerrufen wird, weil die erfindungsgemäße Lehre durch die Entgegenhaltung K 5 in Kombination mit der K 6 und der K 7 oder durch die K 19 in Kombination mit der K 17 bzw. der K 19 in Kombination mit der K 17 im Stand der Technik nahegelegt ist. Jedenfalls lassen sich noch vernünftige Argumente zur Bejahung der Erfindungshöhe finden.
  180. 1.
    Die Entgegenhaltung befasst sich mit dem „M“ und diskutiert ein manuelles Verfahren zur Verbesserung des Kraftstoffverbrauchs vor. Eine Vorrichtung mit den Merkmalen des Klagepatentanspruchs 1 wird hierin nicht offenbart, insbesondere keine Steuereinrichtung mit den Merkmalen 8, 9 und 10. Es kann auch nicht davon ausgegangen werden, dass ein Fachmann aufgrund der K 5, die eine Sollgeschwindigkeit nicht offenbart, ohne Weiteres Anlass gehabt hätte, das dort beschriebene Verfahren – auch mithilfe der K 6 oder der K 7 – zu automatisieren und sodann mittels einer Vorrichtung umzusetzen.
  181. 2.
    Auch kann nicht davon ausgegangen werden, dass der Fachmann die erfindungsgemäße Vorrichtung aus der Kombination der K 19 mit der K 20 (Entgegenhaltung DE 3831XXX A 1) herleitet, den die K 20 stellt hinsichtlich der Geschwindigkeitsregelung auf den Fahrer des Fahrzeugs ab. Eine Sollgeschwindigkeit wird nicht offenbart. Diese ist aber zwingende Voraussetzungen für den Regelungsgehalt der Merkmale 9 und 10. Nicht offenbart ist weiterhin eine Steuereinheit. Welchen Anlass der Fachmann gehabt hätte, beide Schriften zu kombinieren um zur erfindungsgemäßen Lehre zu gelangen, ist nicht ersichtlich.
  182. 3.
    Schließlich kann auch nicht davon ausgegangen werden, dass der Fachmann die K 19 mit der K 17 (US 5.868.XXX A) kombinieren wird. Es fehlt in der K 17 bereits an der Offenbarung einer elektronischen Steuereinheit im Sinne von Merkmal 3. Der Entgegenhaltung ist nicht zu entnehmen, dass bei der Regelung der Fahrzeuggeschwindigkeit GPS- und Kartendaten oder die umgebende Topologie Berücksichtigung finden sollen. Vielmehr lehrt die K 17 eine Anpassung der Drosselöffnung entsprechend der aktuell gegebenen oder fehlenden Fahrzeugbeschleunigung und damit an einen Ist-Zustand des Fahrzeugs.
  183. C.
    Eine Wiedereröffnung der mündlichen Verhandlung gem. § 156 Abs. 1 ZPO ist nicht veranlasst. Eine Beurteilung der Verhältnismäßigkeit/Unverhältnismäßigkeit des Rückrufs- und Vernichtungsanspruchs ist – wie ausgeführt – aufgrund des Vorbringens bis zum Schluss der mündlichen Verhandlung möglich, ohne dass es auf den Vortrag der Klägerin aus dem ihr nachgelassenen Schriftsatz vom 21.09.2020 und dem nicht nachgelassenen Schriftsatz vom 15. Oktober 2020 bzw. dem Vortrag der Beklagten in dem nicht nachgelassenen Schriftsatz vom 08.10.2020 ankommt. Das gilt insbesondere auch insoweit als die Beklagten mit ihrem letzten Schriftsatz nicht hinreichend dartun, welcher Aufwand mit der Softwarelösung verbunden ist und wie ein so beschränkter Rückruf – als Alternative zu einem uneingeschränkten Rückruf der angegriffenen LKW – tatsächlich bewerkstelligt werden kann. Insoweit bleibt der Vortrag weiterhin unsubstantiiert.
  184. D.
    Die Kostenentscheidung beruht auf § 92 Abs. 2 Nr. 1, 100 Abs. 1 ZPO.
  185. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 709 S. 1 und S. 2 ZPO.

Schreibe einen Kommentar