4b O 34/19 – Stufenschaltgetriebe für Motofahrzeuge

Düsseldorfer Entscheidungen Nr. 3074

Landgericht Düsseldorf

Urteil vom 22. Oktober 2020, Az. 4b O 34/19

  1. I. Die Beklagten werden verurteilt,
  2. 1. es bei Meidung eines vom Gericht für jeden Fall der Zuwiderhandlung festzusetzenden Ordnungsgeldes bis zu EUR 250.000, ersatzweise Ordnungshaft, oder einer Ordnungshaft bis zu sechs Monaten, im Wiederholungsfall Ordnungshaft bis zu zwei Jahren, diese zu vollziehen an ihren gesetzlichen Vertretern, zu unterlassen,
  3. ein Stufenschaltgetriebe für Motorfahrzeuge mit einem Drehmoment zu dem Getriebe übertragenden Motor
  4. in Deutschland anzubieten, in Verkehr zu bringen oder zu gebrauchen oder zu den genannten Zwecken zu besitzen,
  5. wobei das Stufenschaltgetriebe besteht aus
  6. einer Eingangswelle, die in dem Gehäuse montiert ist,
  7. mindestens einer Zwischenwelle, die in einem Gehäuse angeordnet ist, die mindestens ein Zahnrad aufweist, das sich im Eingriff mit einem Zahnrad auf der Eingangswelle befindet,
  8. einer Hauptwelle, die in einem Gehäuse mit Zahnrädern angeordnet ist, die sich im Eingriff mit Zahnrädern auf der Zwischenwelle befinden,
  9. wobei mindestens eines der Zahnräder in jedem Paar von sich gegenseitig im Eingriff befindenden Zahnrädern auf der Zwischenwelle und der Hauptwelle drehbar um seine Welle angeordnet ist und mittels Kupplungsorgangen auf seiner Welle arretierbar ist, und
  10. mit Steuerorganen, die mit Kupplungsorganen zusammenwirken und von einer Steuereinheit, abhängig von durch die Steuereinheit geleiteten Signalen gesteuert werden, die verschiedene Motor- und Fahrzeugdaten darstellen,
  11. wobei die Steuerorgane im Falle von Eingangssignalen zu der Steuereinheit, die einen festgelegten Fahrzustand anzeigen, bei dem der Treibstoffverbrauch des Fahrzeugs optimal gering ist, mittels der Steuereinheit so einstellbar sind, dass ein synchronisiertes Zahnrad, das zur gleichen Zeit in Eingriff steht, in eine neutrale Stellung eingestellt wird, und dass
  12. durch die Steuerorgane diese neutrale Stellung deaktivierbar ist, wenn dieser Fahrzustand nicht mehr vorhanden ist,
  13. wobei durch die Steuereinheit eine Freilauffunktion in mindestens einem der folgenden Fahrzustände aktivierbar ist, wenn mit einer vorbestimmten Geschwindigkeit (vset; vcc) gefahren wird:
  14. Das Fahrzeug wird bei einer aktivierten Freilauffunktion als beschleunigend und ohne aktivierte Freilauffunktion als verzögernd angesehen;
  15. das Fahrzeug wird bei einer aktivierten Freilauffunktion als eine konstante Geschwindigkeit beibehaltend und ohne aktivierte Freilauffunktion als verzögernd angesehen und
  16. das Fahrzeug wird bei aktivierter Freilauffunktion als verzögernd und ohne aktivierte Freilauffunktion als verzögernd angesehen;
  17. 2. der Klägerin darüber Auskunft zu erteilen, in welchem Umfang sie (die Beklagten) die zu Ziffer I. 1. bezeichneten Handlungen seit dem 01. Januar 2016 begangen haben, und zwar unter Angabe
  18. a) der Namen und Anschriften der Hersteller, Lieferanten und anderer Vorbesitzer,
  19. b) der Namen und Anschriften der gewerblichen Abnehmer sowie der Verkaufsstellen, für die die Erzeugnisse bestimmt waren,
  20. c) der Menge der ausgelieferten, erhaltenen oder bestellten Erzeugnisse sowie der Preise, die für die betreffenden Erzeugnisse bezahlt wurden,
  21. wobei zum Nachweis der Angaben entsprechende Kaufbelege (nämlich Rechnungen, hilfsweise Lieferscheine) in Kopie vorzulegen sind, wobei geheimhaltungsbedürfte Details außerhalb der auskunftspflichtigen Daten geschwärzt werden dürfen;
  22. 3. der Klägerin in einem geordneten Verzeichnis darüber Rechnung zu legen, in welchem Umfang sie (die Beklagten) die unter Ziffer I. 1. aufgeführten Handlungen seit dem 15. März 2009 begangen haben, und zwar unter Angabe
  23. a) der einzelnen Lieferungen, aufgeschlüsselt nach Liefermengen, Lieferzeiten, Lieferpreisen sowie Typenbezeichnungen und der Namen und Anschriften der Abnehmer,
  24. b) der einzelnen Angebote, aufgeschlüsselt nach Angebotsmengen, Angebotszeiten, Angebotspreisen sowie der Typenbezeichnungen und der Namen und Anschriften der Angebotsempfänger,
  25. c) der betriebenen Werbung, aufgeschlüsselt nach Werbeträgern, deren Auflagenhöhe und Verbreitungszeitraum,
  26. d) der nach den einzelnen Kostenfaktoren aufgeschlüsselten Gestehungskosten und des erzielten Gewinns,
  27. wobei
  28. – den Beklagten vorbehalten bleibt, die Namen und Anschriften ihrer nichtgewerblichen Abnehmer und der Angebotsempfänger statt der Klägerin einem von dieser zu bezeichnenden, ihr gegenüber zur Verschwiegenheit verpflichteten, vereidigten Wirtschaftsprüfer mit Sitz in der Bundesrepublik Deutschland mitzuteilen, sofern die Beklagten dessen Kosten tragen und ihn ermächtigen und verpflichten, der Klägerin auf konkrete Anfrage mitzuteilen, ob ein bestimmter Abnehmer bzw. ein bestimmter Angebotsempfänger in der Rechnung enthalten ist;
  29. – die Aufstellung mit den Daten der Rechnungslegung in einer mittels EDV auswertbaren elektronischen Form zu übermitteln ist;
  30. 4. die seit dem 01. Januar 2016 in ihren Besitz oder Eigentum gelangten und dort noch befindlichen, unter Ziffer I. 1. bezeichneten Gegenstände auf ihre Kosten zu vernichten, in dem die C-Funktionalität beseitigt wird;
  31. 5. die unter Ziffer I. 1. bezeichneten, seit dem 01. Januar 2016 in Verkehr gebrachten, im Besitz Dritter, die nicht (private) Endabnehmer sind, befindlichen Erzeugnisse
  32. aus den Vertriebswegen zurückzurufen, indem diejenigen Dritten, denen durch die Beklagten oder mit deren Zustimmung Besitz an den Erzeugnissen eingeräumt wurde, unter Hinweis darauf, dass die Patentstreitkammer des Landgerichts Düsseldorf (mit Angabe des Datums und des Aktenzeichens des Urteils) auf eine Verletzung des deutschen Teils des europäischen Patents EP 1 446 XXX B1 erkannt hat, ernsthaft aufgefordert werden, die Erzeugnisse an die Beklagten zurückzugeben, wobei den Dritten für den Fall der Rückgabe der Erzeugnisse eine Erstattung etwaiger Entgelte sowie die Übernahme notwendiger Verpackungs- und Transportkosten sowie der mit der Rückgabe verbundenen Zoll- und Lagerkosten verbindlich zugesagt werden, und die Beklagten die zurückgegebenen Erzeugnisse wieder an sich nehmen.
  33. II. Es wird festgestellt, dass die Beklagten verpflichtet sind, der Klägerin allen Schaden zu ersetzen, der dieser in Bezug auf die in Ziffer I. 1. bezeichneten, seit dem 15. März 2009 begangenen Handlungen entstanden ist, und noch entstehen wird, wobei sich die Schadensersatzpflicht für die vor dem 1. Januar 2016 begangenen Handlungen auf die Herausgabe dessen beschränkt, was die Beklagten durch die Benutzung des deutschen Teils des europäischen Patents EP 1 446 XXX auf Kosten der Klägerin erlangt haben.
  34. III. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
  35. IV. Die Beklagten tragen die Kosten des Rechtsstreits.
  36. V. Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von EUR 1.000.000,- vorläufig vollstreckbar, wobei für die teilweise Vollstreckung des Urteils die folgende Teilsicherheiten festgesetzt werden:
  37. Ziffer I. 1., I. 4. und I. 5. des Tenors: EUR 750.000,-
  38. Ziffer I. 2. und I. 3. des Tenors: EUR 150.000,-
  39. Ziffer IV. des Tenors: 110% des jeweils zu vollstreckenden Betrages.
  40. Tatbestand
  41. Die Klägerin macht gegen die Beklagten als im Patentregister eingetragene Inhaberin (vgl. Registerauszug vom 08.02.2019, Anlage HE-B 2) auf die Verletzung des deutschen Teils (602 07 XXX.5) des europäischen Patents 1 446 XXX B1 (im Folgenden: Klagepatent) gestützte Ansprüche auf Unterlassen, Auskunftserteilung und Rechnungslegung, Rückruf und Vernichtung sowie Feststellung einer Schadensersatzpflicht bzw. eines Bereicherungsanspruchs dem Grunde nach geltend.
  42. Das am 07.10.2002 in englischer Verfahrenssprache angemeldete Klagepatent nimmt eine schwedische Priorität (SE 0103XXX-1) vom 31.10.2001 in Anspruch. Die Offenlegung der Anmeldung des Klagepatents datiert vom 18.08.2004, die Veröffentlichung des Hinweises auf die Patenterteilung vom 07.12.2005.
  43. Das Klagepatent hat ein „Getriebe für Kraftfahrzeuge“ zum Gegenstand. Der englische Originalwortlaut des hier maßgeblich interessierenden Klagepatentanspruchs 1 lautet wie folgt:
  44. „An increment shifted transmission (9) for motor vehicles which have an engine transferring torque to the transmission, the transmission comprising an in-going shaft (7) mounted in a housing (8), at least one intermediate shaft (11) arranged in the housing (8), which exhibits at least one gear wheel (16 – 17) in engagement with a gear wheel (12, 15) on the ingoing shaft (7), a main shaft (10) arranged in the housing (8) with gear wheels (15, 21, 22, 23) which engage gear wheels (18, 19, 20) on the intermediate shaft (11), with at least one of the gear wheels in each pair of mutually engaging gear wheels on the intermediate shaft (11) and the main shaft (10) being rotateably arranged about its shaft and being, by means of coupling organs (13, 24, 25), lockable on its shaft, and with manoeuvring organs (40, 41, 42) which interact with the coupling organs (13, 24, 25) and are controlled by control unit (45) depending on signals fed through the control unit (45) representative of various engine and vehicle data, wherein the manoeuvring organs (40, 41, 42) are arranged to, in the case of in-signals to the control unit (45) which indicate a predetermined driving condition at which the fuel consumption of the vehicle is optimally low, be set by means of the control unit (45) so that a synchronized gear which is engaged at the time is set in neutral position, and in that the manoeuvring organs (40, 41, 42) are arranged to deactivate said neutral position when said driving condition is no longer present characterized in that the control unit (45) is arranged to activate a free wheel function at at least one of the following driving conditions when driving with a predetermined speed (vset; vcc):
  45. i) The vehicle is considered to accelerate at an activated free wheel function, and retard without an activated free wheel function;
    ii) The vehicle is considered to maintain constant speed at activated free wheel function and retard without activated free wheel function, and
    iii) The vehicle is considered to retard at an activated free wheel function and retard without activated free wheel function.“
  46. Klagepatentanspruch 1 ist – orientiert an der Übersetzung aus der europäischen Patentschrift in der englischen Fassung (Anlage HE-B 1) – wie folgt gefasst:
  47. „Stufenschaltgetriebe (9) für Kraftfahrzeuge mit einem Drehmoment zu dem Getriebe übertragenden Motor, bestehend aus einer Eingangswelle (7), die in einem Gehäuse (8) montiert ist, mindestens einer Zwischenwelle (11), die in dem Gehäuse (8) angeordnet ist, die mindestens ein Zahnrad (16 – 17) aufweist, das sich im Eingriff mit einem Zahnrad (12, 15) auf der Eingangswelle (7) befindet, einer Hauptwelle (10), die in dem Gehäuse (8) mit Zahnrädern (15, 21, 22, 23) angeordnet ist, die sich im Eingriff mit Zahnrädern (18, 19, 20) auf der Zwischenwelle (11) befinden, wobei mindestens eines der Zahnräder in jedem Paar von sich gegenseitig im Eingriff befindenden Zahnrädern auf der Zwischenwelle (11) und der Hauptwelle drehbar um seine Welle angeordnet ist und mittels Kupplungsorganen (13, 24, 25) auf ihren Wellen arretierbar sind und mit Steuerorganen (40, 41, 42), die mit den Kupplungsorganen (13, 24, 25) zusammenwirken und von einer Steuereinheit (45), abhängig von durch die Steuereinheit (45) geleiteten Signalen gesteuert werden, die verschiedenen Motor- und Fahrzeugdaten darstellen, wobei die Steuerorgane (40, 41, 42) im Falle von Eingangssignalen zu der Steuereinheit (45), die einen festgelegten Fahrzustand anzeigen, bei dem der Treibstoffverbrauch des Fahrzeugs optimal gering ist, mittels der Steuereinheit (45) so einstellbar sind, dass ein synchronisiertes Zahnrad, das zur gleichen Zeit in Eingriff kommt, in eine neutrale Stellung eingestellt wird, und dass durch die Steuerorgane (40, 41, 42) diese neutrale Stellung deaktivierbar ist, wenn dieser Fahrzustand nicht mehr vorhanden ist, dadurch gekennzeichnet, dass durch die Steuereinheit (45) eine Freilauffunktion in mindestens einem der folgenden Fahrzeugzustände aktivierbar ist, wenn mit einer festgelegten Geschwindigkeit (vset; vcc) gefahren wird:
    (i) das Fahrzeug soll bei einer aktivierten Freilauffunktion beschleunigen und ohne aktivierte Freilauffunktion verzögern;
    (ii) das Fahrzeug soll bei aktivierter Freilauffunktion eine konstante Geschwindigkeit beibehalten und ohne aktivierte Freilauffunktion verzögern, und
    (iii) das Fahrzeug soll bei aktivierter Freilauffunktion verzögern und ohne aktivierte Freilauffunktion verzögern.“
  48. Nachfolgend (verkleinert) wiedergegebene Figur 2 der Klagepatentbeschreibung zeigt Kupplung und Getriebe eines Ausführungsbeispiels:
  49. Gegen das Klagepatent ist eine von der A mit Klageschrift vom 15.10.2019 (Anlage B (B) 3) erhobene Nichtigkeitsklage vor dem Bundespatentgericht anhängig. Eine Entscheidung der Nichtigkeitsklage steht noch aus. Das Klagepatent steht in Kraft.
  50. Die Beklagte zu 1), die zur schwedischen A AB gehört, vertreibt im Gebiet der Bundesrepublik Deutschland unter anderem LKW und bietet diese über ihre deutschsprachige Webseite, abrufbar unter der Adresse www.A.com/de, an. Die Beklagte zu 2) verkauft und vermietet LKW im Gebiet der Bundesrepublik Deutschland und bietet Reparaturdienstleistungen für diese an.
  51. Die Beklagten vertreiben unter anderem LKW, die mit einem sog. „B-Paket“ ausgestattet sind, und die sog. „C“-Freilauffunktionalität aufweisen. Letztere wird jedenfalls für die Serien „X“, „X“ und „X“, und hier insbesondere bei den aktuellen folgenden Baureihen:
  52. eingesetzt (im Folgenden: angegriffene Ausführungsform). In der angegriffenen Ausführungsform kommen die folgenden Getriebe zum Einsatz (nachfolgend nach ihrem Typ bezeichnet):
  53. XX
    XX
    XX
    XX
    XX
    XX.
  54. Abbildungen der näher bezeichneten Getriebe sind als Anlagen HE-B 5 bis HE-B 8 Aktenbestandteil.
  55. Die Klägerin legt ihrem Verletzungsvorbringen beispielhaft die beiden von ihr in den Jahren 2014 und 2017 untersuchten LKW (Typ (1): G410 und Typ (2): S500), die mit der „B“ und der C-Funktionalität ausgestattet waren, zugrunde. In den LKW befanden sich jeweils Getriebe mit der Bezeichnung „XX“ bzw. „XX R“, die näheren technischen Spezifikationen der jeweiligen Getriebe gehen aus den als Anlage HE-B 9 (auszugsweise deutsche Übersetzung: Anlage HE-B 9.1) und den als Anlage HE-B 10 (auszugsweise deutsche Übersetzung: Anlage HE-B 10.1) vorgelegten technischen Datenblättern hervor.
  56. Die näher bezeichneten Getriebe sind ausweislich nachfolgend wiedergegebener, von den Beklagten stammender Explosionszeichnung (entnommen Anlage HE-B 12),
  57. ,
  58. derart aufgebaut, dass 16 Gänge (14 Vorwärts- und 2 Rückwärtsgänge) vorhanden sind. Eine automatische Schaltung des Getriebes ist wahlweise möglich. Wellen und Zahnräder sind in dem Getriebe wie folgt angeordnet (Zeichnung ebenfalls Anlage HE-B 12) entnommen, wobei die an die Figuren 1 und 2 des Klagepatents angelehnten Bezugsziffern durch die Klägerin ergänzt worden sind. Die hier mit Bezugszeichen wiedergegebene Abbildung entspricht Anlage HE-B 13 GA, mit ihrer Wiedergabe ist noch keine Aussage zur Merkmalsverwirklichung verbunden:
  59. Das Versetzen des Fahrzeugs in den Leerlauf durch die „C-Funktion“ geschieht derart, dass ein Zahnrad in einen „neutralen“ Zustand versetzt wird. Eine Drehmomentübertragung zwischen Motor und Getriebe findet dann nicht mehr statt.
  60. Die Entscheidung darüber, ob die Freilauffunktion aktiviert wird oder nicht, wird bei der „C-Funktion“ auf der Grundlage einer Simulation der Fahrzeuggeschwindigkeit unter Berücksichtigung des zukünftigen, das heißt vorausliegenden, topographischen Straßenprofils getroffen. Die Informationen zu dem Straßenprofil werden dabei durch einen Abgleich von hinterlegten Landkarteninformationen mit der aktuellen, über GPS ermittelten Fahrzeugposition gewonnen. Für die Entscheidung, ob der Freilauf über die „C-Funktion“ aktiviert wird, werden simulierte, zukünftige Geschwindigkeitsprofile mit bestimmten Geschwindigkeitsgrenzwerten über einen Zeitraum von etwa 1 – 1,5 Minuten verglichen. Falls die simulierten Geschwindigkeitsprofile innerhalb bestimmter Geschwindigkeitsgrenzwerte liegen, ergeht eine Anforderung, den Freilauf zu aktiveren, andernfalls nicht, bzw. wird angefordert, einen eventuell bereits aktivierten Freilauf zu deaktivieren.
  61. Die Klägerin ist der Ansicht, die angegriffene Ausführungsform verletze die Lehre des Klagepatents unmittelbar wortsinngemäß.
  62. Soweit es nach der Lehre des Klagepatents eines Zusammenwirkens von Betätigungs- und Kupplungsorganen derart bedürfe, dass eine Steuerung anhand verschiedener Motor- und Fahrzeugdaten erfolge, stehe dies noch in keinem zwingenden Zusammenhang zu der klagepatentgemäß vorgesehenen Aktivierung der Freilauffunktion, insbesondere zu den hierfür maßgeblichen Eingangssignalen.
  63. Bei den Eingangssignalen zur Aktivierung der Freilauffunktion handele es sich auch weder allein um „Motor- und Fahrzeugdaten“, noch um allein von einer Sensorik generierte Werte, die einen aktuellen Zustand des Fahrzeugs wiedergeben. Vielmehr erfasse das Klagepatent auch für die Zukunft simulierte Daten.
  64. Für die Deaktivierung der Freilauffunktion sei klagepatentgemäß gar kein „steuerungstechnischer Auslöser“ definiert. Vorgesehen sei lediglich eine objektive Eignung der Steuerorgane, die neutrale Stellung zu deaktivieren.
  65. Das Klagepatent verlange auch im Hinblick auf die in dem Anspruchswortlaut genannten möglichen Fahrzustände, an die eine Freilauffunktion anknüpfe, nicht, dass hierbei nur durch die Sensorik aktuell generierte Daten in die Steuerung eingespeist würden. Vielmehr lasse es das Klagepatent zu, dass auch künftige Streckenverläufe oder ähnliches berücksichtigt werden würden.
  66. Für eine Verletzung ausreichend sei zudem, dass der Freilauf in einem der dort benannten Zustände aktivierbar sei.
  67. Die Klägerin ist zudem der Auffassung, das Klagepatent sei rechtsbeständig.
  68. Die Klägerin beantragt,
  69. I. Die Beklagten zu verurteilen,
  70. 1. es bei Meidung eines vom Gericht für jeden Fall der Zuwiderhandlung festzusetzenden Ordnungsgeldes bis zu EUR 250.000, ersatzweise Ordnungshaft, oder einer Ordnungshaft bis zu sechs Monaten, im Wiederholungsfall Ordnungshaft bis zu zwei Jahren, diese zu vollziehen an ihren gesetzlichen Vertretern, zu unterlassen,
  71. ein Stufenschaltgetriebe für Motorfahrzeuge mit einem Drehmoment zu dem Getriebe übertragenden Motor
  72. in Deutschland anzubieten, in Verkehr zu bringen oder zu gebrauchen oder zu den genannten Zwecken zu besitzen,
  73. wobei das Stufenschaltgetriebe besteht aus
  74. einer Eingangswelle, die in dem Gehäuse montiert ist,
  75. mindestens einer Zwischenwelle, die in einem Gehäuse angeordnet ist, die mindestens ein Zahnrad aufweist, das sich im Eingriff mit einem Zahnrad auf der Eingangswelle befindet,
  76. einer Hauptwelle, die in einem Gehäuse mit Zahnrädern angeordnet ist, die sich im Eingriff mit Zahnrädern auf der Zwischenwelle befinden,
  77. wobei mindestens eines der Zahnräder in jedem Paar von sich gegenseitig im Eingriff befindenden Zahnrädern auf der Zwischenwelle und der Hauptwelle drehbar um seine Welle angeordnet ist und mittels Kupplungsorgangen auf seiner Welle arretierbar ist, und
  78. mit Steuerorganen, die mit Kupplungsorganen zusammenwirken und von einer Steuereinheit, abhängig von durch die Steuereinheit geleiteten Signalen gesteuert werden, die verschiedene Motor- und Fahrzeugdaten darstellen,
  79. wobei die Steuerorgane im Falle von Eingangssignalen zu der Steuereinheit, die einen festgelegten Fahrzustand anzeigen, bei dem der Treibstoffverbrauch des Fahrzeugs optimal gering ist, mittels der Steuereinheit so einstellbar sind, dass ein synchronisiertes Zahnrad, das zur gleichen Zeit in Eingriff steht, in eine neutrale Stellung eingestellt wird, und dass
  80. durch die Steuerorgane diese neutrale Stellung deaktivierbar ist, wenn dieser Fahrzustand nicht mehr vorhanden ist,
  81. wobei durch die Steuereinheit eine Freilauffunktion in mindestens einem der folgenden Fahrzustände aktivierbar ist, wenn mit einer vorbestimmten Geschwindigkeit (vset; vcc) gefahren wird:
  82. Das Fahrzeug wird bei einer aktivierten Freilauffunktion als beschleunigend und ohne aktivierte Freilauffunktion als verzögernd angesehen;
  83. das Fahrzeug wird bei einer aktivierten Freilauffunktion als eine konstante Geschwindigkeit beibehaltend und ohne aktivierte Freilauffunktion als verzögernd angesehen und
  84. das Fahrzeug wird bei aktivierter Freilauffunktion als verzögernd und ohne aktivierte Freilauffunktion als verzögernd angesehen;
  85. 2. der Klägerin darüber Auskunft zu erteilen, in welchem Umfang sie (die Beklagten) die zu Ziffer I. 1. bezeichneten Handlungen seit dem 15. März 2009 begangen haben, und zwar unter Angabe
  86. a) der Namen und Anschriften der Hersteller, Lieferanten und anderer Vorbesitzer,
  87. b) der Namen und Anschriften der gewerblichen Abnehmer sowie der Verkaufsstellen, für die die Erzeugnisse bestimmt waren,
  88. c) der Menge der ausgelieferten, erhaltenen oder bestellten Erzeugnisse sowie der Preise, die für die betreffenden Erzeugnisse bezahlt wurden,
  89. wobei zum Nachweis der Angaben entsprechende Kaufbelege (nämlich Rechnungen, hilfsweise Lieferscheine) in Kopie vorzulegen sind, wobei geheimhaltungsbedürfte Details außerhalb der auskunftspflichtigen Daten geschwärzt werden dürfen;
  90. 3. der Klägerin in einem geordneten Verzeichnis darüber Rechnung zu legen, in welchem Umfang sie (die Beklagten) die unter Ziffer I. 1. aufgeführten Handlungen seit dem 15. März 2009 begangen haben, und zwar unter Angabe
  91. a) der einzelnen Lieferungen, aufgeschlüsselt nach Liefermengen, Lieferzeiten, Lieferpreisen sowie Typenbezeichnungen und der Namen und Anschriften der Abnehmer,
  92. b) der einzelnen Angebote, aufgeschlüsselt nach Angebotsmengen, Angebotszeiten, Angebotspreisen sowie der Typenbezeichnungen und der Namen und Anschriften der Angebotsempfänger,
  93. c) der betriebenen Werbung, aufgeschlüsselt nach Werbeträgern, deren Auflagenhöhe und Verbreitungszeitraum,
  94. d) der nach den einzelnen Kostenfaktoren aufgeschlüsselten Gestehungskosten und des erzielten Gewinns,
  95. wobei
  96. – den Beklagten vorbehalten bleibt, die Namen und Anschriften ihrer nichtgewerblichen Abnehmer und der Angebotsempfänger statt der Klägerin einem von dieser zu bezeichnenden, ihr gegenüber zur Verschwiegenheit verpflichteten, vereidigten Wirtschaftsprüfer mit Sitz in der Bundesrepublik Deutschland mitzuteilen, sofern die Beklagten dessen Kosten tragen und ihn ermächtigen und verpflichten, der Klägerin auf konkrete Anfrage mitzuteilen, ob ein bestimmter Abnehmer bzw. ein bestimmter Angebotsempfänger in der Rechnung enthalten ist;
  97. – die Aufstellung mit den Daten der Rechnungslegung in einer mittels EDV auswertbaren elektronischen Form zu übermitteln ist;
  98. 4. die in ihrem Besitz oder Eigentum befindlichen, unter Ziffer I. 1. bezeichneten Gegenstände auf ihre Kosten zu vernichten oder an einen von der Klägerin zu benennenden Gerichtsvollzieher zum Zwecke der Vernichtung auf ihre – der Beklagten – Kosten herauszugeben,
  99. 5. die unter Ziffer I. 1. bezeichneten, im Besitz Dritter, die nicht (private) Endabnehmer sind, befindlichen Erzeugnisse
  100. aus den Vertriebswegen zurückzurufen, indem diejenigen Dritten, denen durch die Beklagten oder mit deren Zustimmung Besitz an den Erzeugnissen eingeräumt wurde, unter Hinweis darauf, dass die Patentstreitkammer des Landgerichts Düsseldorf (mit Angabe des Datums und des Aktenzeichens des Urteils) auf eine Verletzung des deutschen Teils des europäischen Patents EP 1 446 XXX B1 erkannt hat, ernsthaft aufgefordert werden, die Erzeugnisse an die Beklagten zurückzugeben, wobei den Dritten für den Fall der Rückgabe der Erzeugnisse eine Erstattung etwaiger Entgelte sowie die Übernahme notwendiger Verpackungs- und Transportkosten sowie der mit der Rückgabe verbundene Zoll- und Lagerkosten verbindlich zugesagt werden, und die Beklagten die zurückgegebenen Erzeugnisse wieder an sich nehmen;
  101. II. festzustellen, dass die Beklagten verpflichtet sind, der Klägerin allen Schaden zu ersetzen, der dieser in Bezug auf die in Ziffer I. 1. bezeichneten, seit dem 15. März 2009 begangenen Handlungen entstanden ist, und noch entstehen wird, wobei sich die Schadensersatzpflicht für die vor dem 1. Januar 2016 begangenen Handlungen auf die Herausgabe dessen beschränkt, was die Beklagten durch die Benutzung des deutschen Teils des europäischen Patents EP 1 446 XXX auf Kosten der Klägerin erlangt haben;
  102. III. hilfsweise,
  103. der Klägerin nachzulassen, im Unterliegensfall die Zwangsvollstreckung durch Sicherheitsleistung abzuwenden, die auch durch die Bürgschaft einer in der Bundesrepublik Deutschland ansässigen, als Zoll- und Steuerbürge zugelassenen Bank oder Sparkasse erbracht werden kann.
  104. Wegen der in Form von „Insbesondere-Anträgen“ gestellten Klageanträge wird auf die Klageschrift (Bl. 8 – 11 GA) verwiesen.
  105. Die Beklagten beantragen,
  106. die Klage abzuweisen;
  107. Hilfsweise,
    den Rechtsstreit bis zur erstinstanzlichen Entscheidung über die gegen das Klagepatent erhobene Nichtigkeitsklage auszusetzen.
  108. Die Beklagten sind der Auffassung, die angegriffene Ausführungsform mache von der Lehre des Klagepatents keinen Gebrauch.
  109. In diesem Zusammenhang meinen sie Eingangssignale zur Aktivierung der Freilauffunktion seien klagepatentgemäß auf verschiedene Motor- und Fahrzeugdaten beschränkt. Das Klagepatent verstehe darunter tatsächliche Betriebszustände des Motors und des Fahrzeugs aufgrund von entsprechenden Messungen oder Überwachungen von Zuständen von Komponenten. Dabei handele es sich um Echtzeitdaten. Das Klagepatent verlange zudem, dass der Inhalt des Eingangssignals der Steuerung konkret darin bestehe, dass die in dem Anspruchswortlaut alternativ genannten Fahrzustände in dem jeweiligen Moment auch tatsächlich vorliegen würden. Gerade dieser konkrete Inhalt und seine Anzeige seien der steuerungstechnische Auslöser („Trigger“) für die Aktivierung des Freilaufs. Die Aktivierung des Freilaufs erfolge klagepatentgemäß zudem unmittelbar nach Eintritt der Bedingung des jeweiligen Fahrzustandes.
  110. An Eingangssignalen in diesem Sinne fehle es bei der angegriffenen Ausführungsform. Denn die Entscheidung über den Freilauf beruhe bei dieser – insoweit unstreitig – auf einer Bewertung, ob Werte einer zukünftigen Geschwindigkeit, die für eine signifikante Zeitdauer simuliert wurden, innerhalb bestimmter Geschwindigkeitsgrenzwerte liegen. Weder die Simulations- noch die Geschwindigkeitsgrenzwerte seien ein „Fahrzustand“ des Fahrzeugs, weil sie keinen tatsächlichen Betriebszustand des Fahrzeugs wiedergeben würden. Auch würden bei dem angegriffenen Steuerungsmechanismus nicht die in der Klagepatentbeschreibung als Mindestbedingungen genannten Informationen (u.a. Motordrehzahl, Gaspedalposition, Motorbremse an/aus) verwendet.
  111. Aus den dargelegten Gründen verwende die angegriffene Ausführungsform auch keinen festgelegten Fahrzustand, bei welchem der Treibstoffverbrauch des Fahrzeugs optimal gering sei.
  112. Auch für die Deaktivierung des Freilaufs gelte – spiegelbildlich zu der Aktivierung desselben –, dass diese durch ein steuerungstechnisches Ereignis ausgelöst werde, das in dem Wegfall der Voraussetzung des „festgelegten Fahrzustandes“ bestehe, und als solches unmittelbar nach dessen Fortfall eintrete. Damit strebe das Klagepatent an, den Freilauf tatsächlich nur in den Zeiten umzusetzen, in denen der Treibstoffverbrauch „optimal gering“ sei.
  113. Auch würden sich der Rückruf und die Vernichtung der angegriffenen Ausführungsform als unverhältnismäßig erweisen. In diesem Zusammenhang behaupten die Beklagten unter Bezugnahme auf eine Erklärung des Herrn D vom 09.09.2020 (in der mündlichen Verhandlung vom 10.09.2020 überreicht), dass es möglich sei, die in der angegriffenen Ausführungsform befindliche Steuerungssoftware derart zu modifizieren, dass „die von E angegriffenen Steuerungsmerkmale entfernt werden können“.
  114. Die Beklagten erheben weiter die Einrede der Verjährung.
    Die Beklagten sind zudem der Auffassung, das Klagepatent werde sich als nicht rechtsbeständig erweisen, weil die darin verkörperte Lehre durch den vorbekannten Technikstand neuheitsschädlich vorweggenommen sei, und es ihr im Übrigen an einer erfinderischen Tätigkeit fehle.
  115. Entscheidungsgründe
  116. Die zulässige Klage ist überwiegend begründet.
  117. Da die Beklagten das Klagepatent rechtswidrig im Sinne von § 9 Satz 2 Nr. 1 PatG benutzen, stehen der Klägerin die geltend gemachten Ansprüche auf Unterlassen, Auskunftserteilung und Rechnungslegung, Vernichtung und Rückruf sowie Feststellung einer Schadensersatzpflicht dem Grunde nach (Art. 64 Abs. 1 EPÜ, §§ 139 Abs. 1, 2, § 140a Abs. 1, 3, § 140b Abs. 1 PatG, §§ 242, 259 BGB) zu. Der Vernichtungsanspruch gem. Art. 64 Abs. 1 EPÜ i. V. m. § 140a Abs. 1 Satz 1 PatG ist lediglich insoweit unbegründet, als er sich auf die Vernichtung des Stufenschaltgetriebes – und nicht allein auf die Beseitigung der angegriffenen C-Funktionalität – erstreckt. Des Weiteren fehlt es dem Auskunftsanspruch gem. Art. 64 Abs. 1 EPÜ i. V. m. § 140b Abs. 1 PatG sowie den Ansprüchen auf Rückruf und Vernichtung an ihrer Durchsetzbarkeit, soweit sie sich auf einen Zeitraum vor dem 01. Januar 2016 beziehen.
  118. Eine Aussetzung der Verhandlung gem. § 148 Abs. 1 ZPO ist nicht geboten.
  119. I.
    Gegenstand des Klagepatents ist ein Stufenschaltgetriebe für Kraftfahrzeuge (Abs. [0001] der T2-Schrift des Klagepatents; Abschnitte ohne Bezeichnung sind im Folgenden solche der T2-Schrift des Klagepatents). Automatische Schaltgetriebe, wie unter anderem das Stufenschaltgetriebe, sowie halbautomatische Getriebe würden nach dem Stand der Technik, den das Klagepatent beschreibt, bei Nutzfahrzeugen häufig zum Einsatz gelangen (Abs. [0002]). Diese seien grundsätzlich mit herkömmlichen manuellen Getrieben vergleichbar, bei Letzteren würde das Schalten von Gängen jedoch in manueller Weise durch den Fahrer ausgeführt, während sich dies bei automatischen bzw. halbautomatischen Getrieben mittels Betätigungsvorrichtungen vollziehe (Abs. [0002]).
  120. Das Klagepatent beschreibt einleitend weiter, dass automatische Getriebe in Form von Stufenschaltgetrieben vor allem bei schweren Lastfahrzeugen verwendet würden (Abs. [0003]). Denn in Abgrenzung zu automatischen Getrieben mit Planetengetriebestufen und mit einem hydrodynamischen Drehmomentwandler auf der Innenseite, seien Stufenschaltgetriebe bei der Anwendung schwerer Fahrzeuge einfacher und robuster und könnten mit einem wesentlich geringeren Kostenaufwand hergestellt werden (Abs. [0003]). Zudem verfüge es über einen höheren Wirkungsgrad, was eine Möglichkeit für geringeren Kraftstoffverbrauch biete (Abs. [0003]).
  121. Weiter beschreibt das Klagepatent die Funktionsweise vorbekannter automatischer Getriebe mit Planetengetriebestufen derart, dass diese üblicherweise mit einer Einwegkupplung ausgestattet seien, die im Fall eines antreibenden Motors in der automatischen Schaltposition verhindere, dass eine Drehmomentübertragung von dem Motor auf die Antriebsräder erfolge, aber die bei einer Drehmomentübertragung in der anderen Richtung das Getriebe außer Eingriff bringe, und es der Maschine bzw. dem Fahrzeug so ermögliche, frei ohne Motorbremse zu rollen (Abs. [0004]). Dies führe zu einem geringeren Kraftstoffverrauch durch die Nutzung der kinetischen und potenziellen Energie des Fahrzeugs, anders als wenn der Motor bremse (Abs. [0004]). Eine vergleichbare Freilauffunktion, so das Klagepatent, sei bei variablen Getrieben nach dem Stand der Technik nur in der Form herbeizuführen gewesen, dass eine Scheibenkupplung zwischen Motor und Getriebe manuell ausgerückt worden sei (Abs. [0004]). Daraus leitet das Klagepatent einen Bedarf dafür her, eine Freilauffunktion auch für automatisierte Stufenschaltgetriebe mit Planetengetriebestufen zu erreichen, die zu der Freilauffunktion eines herkömmlichen automatischen Getriebes mit Planetengetriebestufen und Freilaufkupplung korrespondiere (Abs. [0005]). Dieser Bedarf basiere hauptsächlich auf der Notwendigkeit, den Kraftstoffverbrauch des Motors so weit als möglich zu begrenzen (Abs. [0005]).
  122. Das Klagepatent nimmt sodann Bezug auf die Druckschrift US 4078631, die eine Anordnung in einem Fahrzeug mit einem Getriebe mit einer mechanischen Freilaufvorrichtung zeige (Abs. [0006]). Diese werde – insoweit bereits schon als Verbesserung zu dem bis dahin bekannten Technikstand –, mit dem Ziel den Kraftstoffverbrauch zu reduzieren, automatisch aktiviert, wenn das Fahrzeug eine voreingestellte Geschwindigkeit erreicht habe, indem der Motor elektronisch abgeschaltet werde (Abs. [0006]). Die Freilauffunktion werde mittels einer separaten mechanischen Entkupplung aktiviert, welche den Motor von dem Getriebe automatisch abkopple, wenn das positive, das heißt das Antriebsdrehmoment vom Motor zu Null werde (Abs. [0006]). Hieran kritisiert das Klagepatent jedoch, dass eine möglicherweise erwünschte Motorbremsung nicht möglich sei, da der Motor von dem Getriebe abgekoppelt sei (Abs. [0006]). Das vorbekannte System lasse zudem keine Änderungen in Bezug auf äußere Fahr- und Antriebsbedingungen zu, wie sie etwa bei der Steigung der Straße, möglichem Gegenwind oder Rückenwind des Fahrzeugs, durch Luft- oder Rollwiderstand bestehen (Abs. [0006]).
  123. Ausgehend von dem dargestellten Stand der Technik und den darin ausgemachten Nachteilen macht es sich das Klagepatent entsprechend der von ihm formulierten Zielsetzung (Abs. [0008]) zur Aufgabe (technisches Problem), ein Stufenschaltgetriebe zu schaffen, bei dem eine Freilauffunktion automatisch aktiviert werden kann. In Erweiterung der subjektiven Aufgabenstellung strebt das Klagepatent darüberhinausgehend an, eine automatische Freilauffunktion einzurichten, die es zugleich zulässt, eine Motorbremsung – sofern erwünscht – durchzuführen, sowie Änderungen in Bezug auf äußere Fahr- bzw. Antriebsbedingungen überhaupt (das heißt in gewissem Umfang) Rechnung zu tragen.
  124. Dies ergibt sich zum einen daraus, dass das Klagepatent insoweit den vorbekannten Technikstand, der eine automatische Aktivierung einer Freilauffunktion bereits kennt, kritisiert (Abs. [0006]), und ist weiter auch deshalb anzunehmen, weil das Klagepatent einen Mechanismus beschreibt, der eine Steuerung der Freilauffunktion auch in Abhängigkeit zu Fahrzuständen zulässt, die durch eine jeweils bestimmte Straßentopographie gekennzeichnet sind (vgl. Merkmalsgruppe 7 und Merkmalsgruppe 9 der nachfolgenden Gliederung; Merkmale P7 und P9 – P10(iii) nach der Gliederung der Klägerin, Anlage HE-B 4 und Merkmalsgruppe 6.2 und 6.4 nach der Gliederung der Beklagten, Anlage B (B) 1‘; nachfolgend wird mit dem ersten Merkmal in Klammern stets dasjenige nach der Gliederung der Klägerin maßgebliche genannt und mit dem zweiten Merkmal in dem Klammerzusatz dasjenige der Beklagten). Auch soweit das Klagepatent am Stand der Technik die fehlende Möglichkeit einer Motorbremsung während des Freilaufs kritisiert, erfährt dies in dem geschützten Anspruch dadurch eine Umsetzung, dass die Freilauffunktion nicht durch ein Abkoppeln des Motors von dem Getriebe erfolgt, sondern durch das Lösen eines Zahnrades (vgl. nachfolgend Merkmal 7.2). Durch anschließendes Arretieren des Zahnrades stellt das Klagepatent die Drehmomentübertragung zwischen Rädern und Motor wieder her (vgl. nachfolgend Merkmal 8 sowie Abs. [0045] a. E.).
  125. Die klagepatentgemäß angestrebte Aufgabe wird durch eine Vorrichtung gemäß dem Klagepatentanspruch 1 gelöst, der wie folgt gegliedert werden kann:
  126. Stufenschaltgetriebe (9) für Kraftfahrzeuge mit einem Drehmoment zu dem Getriebe übertragenden Motor bestehend aus
  127. 1. einer Eingangswelle (7), die in einem Gehäuse (8) montiert ist,
  128. 2. mindestens einer Zwischenwelle (11),
  129. 2.1 die in dem Gehäuse (8) angeordnet ist,
  130. 2.2 die mindestens ein Zahnrad (16-17) aufweist, das sich im Eingriff mit einem Zahnrad (12, 15) auf der Eingangswelle (7) befindet,
  131. 3. einer Hauptwelle (10),
  132. 3.1 die in dem Gehäuse (8) mit Zahnrädern (15, 21, 22, 23) angeordnet ist,
  133. 3.2 die sich im Eingriff mit Zahnrädern (18, 19, 20) auf der Zwischenwelle (11) befinden.
  134. 4. Mindestens eines der Zahnräder in jedem Paar von sich gegenseitig im Eingriff befindenden Zahnrädern
  135. 4.1 ist auf der Zwischenwelle (11) und der Hauptwelle (10) drehbar um seine Welle angeordnet und
  136. 4.2 die Zahnräder sind mittels Kupplungsorganen (13, 24, 25) auf ihren Wellen arretierbar.
  137. 5. Die Kupplungsorgane (13, 24, 25) interagieren mit Steuerorganen (40,41,42).
  138. 6. Die Steuerorgane (40, 41, 42) werden von einer Steuereinheit (45) gesteuert,
  139. 6.1 wobei die Steuerung abhängig von Signalen, die durch die Steuereinheit (45) geleitet werden, und
  140. 6.2 die verschiedene Motor- und Fahrzeugdaten darstellen, erfolgt.
  141. 7. Die Steuerorgane (40, 41, 42) sind angeordnet,
  142. 7.1 um im Fall von Eingangssignalen zu der Steuereinheit (45), die einen festgelegten Fahrzustand anzeigen, bei dem der Treibstoffverbrauch des Fahrzeugs optimal gering ist,
  143. 7.2 mittels der Steuereinheit (45) so eingestellt zu werden, dass ein synchronisiertes Zahnrad, das zur gleichen Zeit in Eingriff kommt, in eine neutrale Stellung eingestellt wird,
  144. 8. Die neutrale Stellung ist durch die Steuerorgane (40, 41, 42) deaktivierbar, wenn dieser Fahrzustand nicht mehr vorhanden ist.
  145. 9. Durch die Steuereinheit (45) ist eine Freilauffunktion in mindestens einem der folgenden Fahrzustände aktivierbar,
  146. 9.1. (i) das Fahrzeug wird bei einer aktivierten Freilauffunktion als beschleunigend und ohne aktivierte Freilauffunktion als verzögernd angesehen;
  147. 9.2 (ii) das Fahrzeug wird bei einer aktivierten Freilauffunktion als eine konstante Geschwindigkeit beibehaltend und ohne aktivierte Freilauffunktion als verzögernd angesehen und
  148. 9.3 (iii) das Fahrzeug wird bei aktivierter Freilauffunktion als verzögernd und ohne aktivierte Freilauffunktion als verzögernd angesehen,
  149. 9.4 wenn mit einer vorbestimmten Geschwindigkeit (vset; vcc) gefahren wird.
  150. II.
    Im Hinblick auf den Streit der Parteien bedürfen das Merkmal 6.2 (Merkmal P6 / Merkmal 6.1), das Merkmal 7.1 (Merkmal P7 / Merkmale 6.2.1, 6.2.1.1 und 6.2.1.2), das Merkmal 8 (Merkmal P8 / Merkmal 6.3) sowie die Merkmalsgruppe 9 (Merkmal P9 und Merkmalsgruppe P10(i) – P10(iii) / Merkmalsgruppe 6.4) einer Auslegung.
  151. 1.
    Merkmalsgruppe 6 (Merkmal P6 / Merkmalsgruppe 6),
  152. „6. Die Steuerorgane (40, 41, 42) werden von einer Steuereinheit (45) gesteuert,
  153. 6.1 wobei die Steuerung abhängig von Signalen, die durch die Steuereinheit (45) geleitet werden, und
  154. 6.2 die verschiedene Motor- und Fahrzeugdaten darstellen, erfolgt.“,
  155. beschreibt allgemein den Mechanismus, mit dem die Steuerorgane gesteuert werden. Dies erfolgt derart, dass eine Steuereinheit Signale verarbeitet, wobei die Signale – was das Merkmal 6.2 (Merkmal P6 / Merkmal 6.1) beschreibt – „verschiedene Motor- und Fahrzeugdaten darstellen“. Dabei handelt es sich nicht zwingend um die Daten, die nach der Merkmalsgruppe 7 (Merkmal P7 / Merkmalsgruppe 6.2) als Eingangssignale zur Aktivierung der Freilauffunktion genutzt werden.
  156. a)
    Das Merkmal steht – wie sich aus einer Betrachtung des nach Art. 69 Abs. 1 Satz 1 EPÜ für die Bestimmung des Schutzumfangs maßgeblichen Anspruchswortlauts in seiner Gesamtheit ergibt – noch in keinem Bezug zu dem die Aktivierung und Deaktivierung der Freilauffunktion betreffenden Steuerungsmechanismus, der Gegenstand der Merkmalsgruppen 7 bis 9 (Merkmal P7 – Merkmalsgruppe P 10/ Merkmalsgruppe 6.2 – Merkmalsgruppe 6.4) ist. Die Steuerorgane finden in Merkmal 5 (Merkmal P6/ Merkmal 5.1) erstmals Erwähnung, ohne dass eine Funktionszuweisung erfolgt, offengelegt wird lediglich, dass eine Interaktion zwischen Kupplungs- und Steuerorganen stattfindet. Eine Konkretisierung des Interaktionsvorgangs folgt – als Teil der Beschreibung der typischen Bestandteile eines beanspruchten Stufenschaltgetriebes – mit Merkmalsgruppe 6 (Merkmal P6 / Merkmalsgruppe 6.).
  157. b)
    Dieses Verständnis wird auch bei Hinzunahme der Klagepatentschrift, deren beschreibender Inhalt und die darin enthaltenen Zeichnungen gem. Art. 69 Abs. 1 Satz 2 EPÜ bei der Auslegung der geschützten Lehre zu berücksichtigendes Auslegungsmaterial darstellen, gestützt.
  158. Der Fachmann erfährt daraus, dass die geschützte Lehre in ihrem Oberbegriff an ein automatisches Stufenschaltgetriebe anknüpft (Abs. [0001], Abs. [0008]). Für ein solches ist grundsätzlich charakterisierend, dass eine Regelung durch eine Steuereinheit erfolgt, die Signale mit Informationen über Motor- und Fahrzeugdaten erhält und verarbeitet. In diesem Sinne lässt sich das streitige Merkmal sinnvoll auch ohne Bezugnahme auf den die Erfindung kennzeichnenden Steuerungsvorgang für eine Freilauffunktion begreifen.
  159. Der Vorgang zur Steuerung der Steuerorgane als allgemein beschreibender Teil eines vorbekannten automatischen Stufenschaltgetriebes spiegelt sich auch im Zusammenhang mit der Darstellung bevorzugter Ausführungsformen wieder. Denn hier (Abs. [0019], [0020]) werden – unter Bezugnahme auf die Kennziffern 40 – 44 nach Figur 2 – die Steuerorgane noch ohne Verbindung zur Aktivierung einer Freilauffunktion beschrieben und wird dargestellt, wie diese – ganz allgemein – in Abhängigkeit von der Steuereinheit zugehenden Signalen, die repräsentativ für verschiedene Motor- und Fahrzeugdaten stehen, gesteuert werden.
  160. c)
    Die in Merkmal 6.2 (Merkmal P6/ Merkmal 6.1) genannten Fahrzeug- und Motordaten sind durch keine weiteren Vorgaben einschränkend bestimmt.
  161. In dem (bereits unter lit. b) genannten) konkreten Ausführungsbeispiel werden als Mindestsatz von Motor- und Fahrzeugdaten die Motordrehzahl, die Fahrzeuggeschwindigkeit sowie die Gaspedalstellung genannt (Abs. [0019]). Ein Verständnis dahingehend, dass dieser Datensatz stets als Mindestinhalt vorliegen muss, kann daraus nicht abgeleitet werden. Denn bevorzugte Ausführungsbeispiele beschränken die geschützte Lehre regelmäßig nicht (BGH, GRUR 2008, 779 (Rn. 34) – Mehrgangnabe). Anhaltspunkte dafür, dass dies vorliegend anders zu beurteilen ist, ergeben sich aus der Klagepatentschrift nicht. Die Freilauffunktion findet in den in Bezug genommenen Abschnitten noch keine Erwähnung, sie wird vielmehr erst in Abschnitt [0021] aufgegriffen.
  162. 2.
    Das Kriterium, dass das Klagepatent für die erfindungswesentlich angestrebte automatische Aktivierung des Freilaufs auswählt, ist ein mit der Freilauffunktion einhergehender geringerer Kraftstoffverbrauch. Dieses Kriterium beschreibt Merkmal 7.1 (Merkmal P7 / Merkmale 6.2.1, 6.2.1.1 und 6.2.1.2) steuerungstechnisch.
  163. a)
    Merkmalsgruppe 7 (Merkmal P7 / Merkmalsgruppe 6.2.) beschreibt einen Steuerungsmechanismus, bei dem eine Freilauffunktion (vgl. auch Abs. [0021]) dadurch umgesetzt wird, dass ein synchronisiertes Zahnrad in eine neutrale Stellung verbracht wird. Eine neutrale Stellung des Zahnrades bedeutet, dass ein Zahnrad von der Welle, an der es über Kupplungsorgane arretiert ist (vgl. Merkmal 4.2 / Merkmal P5 / Merkmal 4.2), gelöst wird (Abs. [0056]). In dem Betrieb des Fahrzeugs im Freilauf findet eine Drehmomentübertragung zwischen Motor und Rädern nicht statt (Abs. [0004]), womit – wie das Klagepatent bereits mit Bezugnahme auf den vorbekannten Technikstand offenbart – eine Verringerung des Kraftstoffverbrauchs einhergehen kann (Abs. [0004], Abs. [0006]).
  164. Ausweislich des zwischen den Parteien streitigen Merkmals 7.1. (Merkmal P7 / Merkmale 6.2.1, 6.2.1.1 und 6.2.1.2), wird die Steuereinheit durch Eingangssignale,
  165. „[…] die einen festgelegten Fahrzustand anzeigen, bei dem der Treibstoffverbrauch des Fahrzeugs optimal gering ist“,
  166. zur Einleitung der Aktivierung der Freilauffunktion veranlasst.
  167. Das Klagepatent selbst definiert den in dem Anspruchswortlaut genannten Passus des „optimal geringen“ Kraftstoffverbrauchs (im englischen Originalwortlaut: „optimally low“) derart, dass der Kraftstoffverbrauch bei Betrieb des Fahrzeugs im Freilauf geringer ist als in einem Fahrzustand, bei welchem Drehmoment zwischen den Rädern und dem Motor übertragen wird. Das Klagepatent spricht insoweit davon, dass der Kraftstoffverbrauch durch die Freilauffunktion in „die positive Richtung beeinflusst wird“ (Abs. [0022] und Abs. [0057]; in der englischen Originalfassung: „(…) the fuel consumption of the vehicle is affected in the positive direction (…).“, Abs. [0020] und Abs. [0055], Anlage HE-B 1).
  168. Dabei nimmt das Klagepatent – wie im Zusammenhang mit der Beschreibung der Fahrsituationen entsprechend der Merkmale 9.1 – 9.3 deutlich wird (zu diesen ausführlich unter Ziff. 4.) – eine Betrachtung des Gesamtkraftstoffverbrauchs mit und ohne Freilauf vor,
  169. „In einer solchen Situation wird die Freilauffunktion aktiviert, wenn der Kraftstoffverbrauch optimal gering ist, das heißt, wenn der gesamte Kraftstoffverbrauch zur Beibehaltung des Motors im Leerlauf geringer ist als in dem Fall, in welchem die Freilauffunktion noch nicht aktiviert ist, und wobei der Motor gebraucht wird, um die Geschwindigkeit des Fahrzeugs auf die gleiche Endgeschwindigkeit zu beschleunigen (was der Fall mit einer aktivierten Freilauffunktion sein würde).“ (Abs. [0030], Hervorhebung diesseits)
  170. in der englischen Originalfassung:
  171. „In such a situation the free wheel function will be activated if the fuel consumption becomes optimally low, i. e. if the total fuel consumption for keeping the engine at idling is lower than the case of not activated free wheel function and using the engine to accelerate the vehicle’s speed to the same final velocity (which would have been the case with an activated free wheel function).“ (Abs. [0028], Anlage HE-B 1, Hervorhebung diesseits).
  172. Dem zitierten Beschreibungsinhalt entnimmt der Fachmann zugleich, dass Bezugspunkt der Kraftstoffbilanz außerhalb des Freilaufs derjenige ist, dass das Fahrzeug außerhalb des Freilaufs eben die Geschwindigkeit erreicht, die es im Freilauf erreichen würde,
  173. „[…] wenn der gesamte Kraftstoffverbrauch zur Beibehaltung des Motors im Leerlauf geringer ist als in dem Fall, in welchem die Freilauffunktion nicht aktiviert ist, und wobei der Motor gebraucht wird, um die Geschwindigkeit des Fahrzeugs auf die gleiche Endgeschwindigkeit zu beschleunigen (was der Fall mit einer aktivierten Freilauffunktion sein würde).“ (Abs. [0030] a. E., Hervorhebung diesseits; ähnlich auch Abs. [0033]),
  174. in der englischen Originalfassung:
  175. „In such a situation the free wheel function will be activated if the fuel consumption becomes optimally low, i. e. if the total fuel consumption for keeping the engine at idling is lower than the case of not activated free wheel function and using the engine to accelerate the vehicle’s speed to the same final velocity (which would have been the case with an activated free wheel function).“ (Abs. [0028], Anlage HE-B 1, Hervorhebung diesseits).
  176. b)
    Der Steuerungsmechanismus im Sinne des Klagepatents setzt voraus, dass eine Fahrsituation, für die der Betrieb des Fahrzeugs im Freilauf gegenüber demjenigen außerhalb des Freilaufs kraftstoffsparender in dem dargestellten Sinn ist, identifiziert werden kann. Dies erfolgt durch die Steuereinheit, die die eingehenden Signale in dieser Hinsicht bewertet und/ oder verarbeitet,
  177. „Die Getriebesteuereinheit 45 ist somit gemäß der Erfindung für eine kontinuierliche Berechnung ausgebildet, ob das Fahrzeug einen geringeren Kraftstoffverbrauch haben würde, wenn die Freilauffunktion eingeschaltet wäre.“ (Abs. [0027]),
  178. „Wenn die Steuereinheit einen Zustand ermittelt, in dem der Kraftstoffverbrauch optimal gering ist, (…).“ (Abs. [0027]; Hervorhebung diesseits).
    Im Anspruchswortlaut findet dieser Bewertungsvorgang darin einen Ausdruck, dass die Eingangssignale einen „festgelegten“ Fahrzustand darstellen.
  179. Ausgehend von dieser Funktion der Bewertung der Eingangssignale ist ein Fahrzustand nach Merkmal 7.1 (Merkmal P7 / Merkmale 6.2.1, 6.2.1.1 und 6.2.1.2) jedenfalls bei Ausgestaltungen im klagepatentgemäßen Sinne festgelegt, bei denen ein durch bestimmte Parameter gekennzeichneter Fahrzustand in einem Speicher der Steuerung hinterlegt ist, mit dem ein geringerer Kraftstoffverbrauch im Freilauf einhergeht. Die Steuerung gleicht in diesem Fall eingehende Daten, die ihrerseits einen Fahrzustand beschreiben (vgl. dazu unter lit. d), Ziff. (1)), mit eben diesen hinterlegten Daten ab, und aktiviert bei Übereinstimmung der Datensätze die Freilauffunktion. Der Fahrzustand ist dann „festgelegt“ im Sinne von „vorbestimmt“, ohne dass der Kraftstoffverbrauch hierbei durch die Steuereinheit erfasst oder berechnet wird.
  180. Bei der gebotenen funktionsorientierten Betrachtung ist der Fahrzustand indes auch dann im Sinne des Klagepatents „festgelegt“, wenn die Steuerung einen Algorithmus aufweist, mittels dessen für eingehende Daten erst ein Zustand ermittelt wird, für den ein Betrieb des Fahrzeugs im Freilauf kraftstoffsparender ist. Auch in diesem Fall ist für die Eingangssignale „bestimmbar“, ob sie für eine Fahrsituation stehen, in der weniger Kraftstoff im Freilauf als im Betrieb mit Drehmomentübertragung verbraucht wird. Der Kraftstoffverbrauch als solcher muss auch in diesem Fall nicht Gegenstand des Bewertungsvorgangs durch die Steuereinheit sein. Dem Algorithmus können vielmehr auch andere Parameter – beispielsweise wie im Zusammenhang mit der Merkmalsgruppe 9 (Merkmal P9 und Merkmalsgruppe P10 / Merkmalsgruppe 6.4) noch zu zeigen sein wird (dazu unter Ziff. 4., lit. c), aa)) ein bestimmtes Fahrzeugverhalten – zugrunde liegen, um so einen Fahrzustand zu ermitteln, auf den zutrifft, dass er im Freilauf einen geringeren Kraftstoffverbrauch aufweist als bei einer Drehmomentübertragung zwischen Rädern und Motor.
  181. c)
    Sofern die Eingangssignale einen festgelegten Fahrzustand nach dem Anspruchswortlaut „anzeigen“ (im englischen Originalwortlaut: „indicate“), beschreibt dies – die Ausführungen unter lit. a) und b) berücksichtigend – das Ergebnis des Bewertungsvorgangs der Eingangssignale durch die Steuereinheit, mithin die die Übereinstimmung der Eingangssignale mit dem festgelegten Fahrzustand im Hinblick auf das Kriterium des geringeren Kraftstoffverbrauchs im Freilauf. In einem solchen Fall „bilden“ die Eingangssignale eine Fahrsituation „ab“ („zeigen an“), in der ein Freilauf weniger Kraftstoff erfordert. Das Klagepatent selbst spricht in diesem Zusammenhang von „korrespondieren“ (Abs. [0022]).
  182. d)
    Die Eingangssignale nach Merkmal 7.1 (Merkmal P7 / Merkmale 6.2.1, 6.2.1.1 und 6.2.1.2), sind weder ihrem Inhalt nach auf Daten beschränkt, die Informationen über den Motor- oder Fahrzeugzustand enthalten, noch sind sie zeitlich derart einschränkend zu fassen, dass sie eine Information über einen Jetztzustand (= Zeitpunkt ihrer Messung) vermitteln müssen.
  183. Klagepatentgemäße Eingangssignale sind – in inhaltlicher Hinsicht – sämtliche Daten, die ihrem Informationsgehalt nach geeignet sind, eine Fahrsituation zu beschreiben, und so eine Bewertung ermöglichen, ob ein Betrieb im Freilauf in eben dieser Situation kraftstoffsparender ist. Dies trifft nicht nur auf Motor- und Fahrzeugdaten zu, sondern gilt gleichermaßen auch für Daten, die Aufschluss über die Straßentopographie oder über Umweltbedingungen geben. Denn solche Daten spiegeln die äußeren Fahrbedingungen wider, die ihrerseits Einfluss auf die Motor- und Fahrzeugdaten nehmen. Diesen Zusammenhang legt das Klagepatent selbst offen, zunächst in Verbindung mit der Kritik an dem vorbekannten Technikstand (Abs. [0007]). Aber auch im Zusammenhang mit der Darstellung der Fahrsituationen in den Abschnitten [0029] – [0035], die teilweise Eingang in die Merkmalsgruppe 9 (Merkmalsgruppe 6.4 / Merkmale P9 – P10(iii)) gefunden haben (dazu unter Ziff. 4.). Das Klagepatent ordnet dort den näher beschriebenen Fahrzuständen Straßenbedingungen, insbesondere die Geländeform der Straße, zu. Beispielhaft sei hier Abschnitt [0029] (Hervorhebung diesseits) in Auszügen wiedergegeben:
  184. „Gemäß einem ersten Beispiel einer Fahrsituation kann es vorausgesetzt werden, dass das Fahrzeug in einer solchen Weise gefahren wird, dass es beschleunigen würde, ohne dass das Gaspedal herunter gedrückt wird, und ohne dass die Zusatzbremse benutzt wird. Dieser korrespondiert zum Beispiel zu einem Fahren auf einer steilen abschüssigen Fahrbahn mit großem Gefälle.“,
  185. in der englischen Originalfassung:
  186. „According to a first example of a driving situation, it can be assumed that the vehicle is driven in such a way that it would accelerate without the gas pedal being depressed, and without the auxiliary brake being utilized. This, for example corresponds to driving in a steep downwards slope.“ (Abs. [0027], Anlage HE-B 1, Hervorhebung diesseits).
  187. Dem Klagepatent ist auch nicht die Vorgabe zu entnehmen, dass als Mindestbedingungen die in Abschnitt [0017] genannten Daten (u.a. Motordrehzahl, Gaspedalposition, Motorbremse) als Eingangssignale Verwendung finden müssen. Denn dass es jedenfalls dieser immer bedarf, um eine Fahrsituation hinreichend abzubilden, ist nicht ersichtlich.
  188. In zeitlicher Hinsicht müssen die Eingangssignale nicht zwingend einen „Ist-Zustand“ in dem Sinne abbilden, dass sie die im Zeitpunkt ihrer Messung bestehende Fahrsituation zeigen. In funktionaler Hinsicht bedürfen die den zu bewertenden Fahrzustand beschreibenden Eingangssignale lediglich einer Anbindung an die tatsächlichen Gegebenheiten derart, dass eine automatisierte Freilauffunktion noch sinnvoll eingesetzt werden kann. Das trifft in besonderer Weise auch auf Daten zu, die eine noch bevorstehende (zukünftige) Fahrsituation beschreiben.
  189. Soweit sich die Beklagten in diesem Zusammenhang auf die in den Abschnitten [0019], [0020] und [0023] beschriebenen bevorzugten Ausführungsformen beziehen, ist zu berücksichtigen, dass diese nicht geeignet sind, die klagepatentgemäße Lehre zu beschränken.
  190. Soweit der von den Beklagten beauftragte Gutachter, Prof. Dr. F, in seinem Gutachten vom 22.07.2020 (Anlage B (B) 4) zu einem von dem dargestellten Verständnis abweichenden Auslegungsergebnis gelangt, sieht sich die Kammer hierdurch auch bei Berücksichtigung der Ausführungen als sachverständige Stellungnahme zu keiner anderen Würdigung veranlasst.
  191. Der Gutachter F nimmt eine Beschränkung der Eingangssignale auf Motor- und Fahrzeugdaten zunächst deshalb an, weil – was zutreffend ist – die Verwendung von topographischen Daten und die Vorhersage zukünftiger Fahrzeugvariablen durch modellbasierte Simulationen durch das Klagepatent nicht genannt werden (Anlage B (B) 4, S. 8, 3. Abs.). Die bloße Abwesenheit von Ausführungen zu spezifischen Daten kann jedoch ebenso dafür streiten, dass von dem allgemeineren Begriff „Eingangssignal“ neben Fahrzeug- und Motordaten eben auch andere, beispielsweise topographische Daten, erfasst sind. Das Verständnis ist dann an dem übrigen Inhalt der Klagepatentschrift auszurichten. Dieser spricht in dem hier vorliegenden Fall aus den ausgeführten Gründen für ein weites Verständnis. Der Gutachter F legt für das Verständnis von dem Begriff „Eingangssignale“ weiter ein allgemeines Fachwissen zugrunde, wonach mit einem Eingangssignal für eine Steuereinheit „eine Information über den Wert einer Variablen, die in einen physikalischen Ersatzwert kodiert ist“, gemeint sei (Abs. Anlage B (B) 4, S. 8, 1. Abs.). Ein Signal kodiere eine Information über den Wert der Variablen zum Zeitpunkt der Messung dieser Information (a.a.O.; Hervorhebung diesseits). Zum einen hat die Kammer jedoch Zweifel, dass es sich bei dem dargelegten Verständnis um einen gebräuchlichen Fachbegriff handelt. In diesem Zusammenhang kann auch nicht unberücksichtigt bleiben, dass der von der Klägerin beauftragte Gutachter, Prof. G, den Begriff des „Eingangssignals“ in seinem Gutachten aus August 2020 im Sinne der ingenieurwissenschaftlichen Systemtheorie derart versteht, dass damit dasjenige in Bezug genommen sei, was in einem mathematischen Bildraum eingehe, wenn dazwischen eine Verarbeitung stattfinde (Anlage HE-B 26, S. 1, unter Pkt. (i), 2. Abs.).
    Zum anderen ist aber auch nicht erkennbar, dass die Klagepatentschrift, die ihr eigenes Lexikon darstellt (BGH, GRUR 1999, 909 (912) – Spannschraube), eben das von dem Gutachter F angenommene Fachverständnis zugrunde legt. Dagegen stehen die hier im Rahmen der Auslegung bei der gebotenen funktionsorientierten Betrachtung angeführten Gesichtspunkte.
  192. e)
    Der Steuerungsmechanismus verlangt weiter nicht, dass die Freilauffunktion stets ausgelöst wird, wenn die näher beschriebenen Eingangssignale vorliegen. Diese stellen sich zwar als notwendige, nicht aber zwingend hinreichende Bedingung für die Aktivierung dar.
  193. Dieses Verständnis gewinnt der Fachmann daraus, dass die Klagepatentschrift selbst Situationen offenlegt, in denen es zur Aktivierung einer Freilauffunktion nicht kommt, obwohl ein Betrieb in der Freilauffunktion kraftstoffsparender wäre. So heißt es in Abschnitt [0027] (Hervorhebung diesseits):
  194. „Wenn die Steuereinheit einen Zustand ermittelt, in dem der Kraftstoffverbrauch optimal gering ist, und wenn zusätzlich der Fahrer keinen Bremsmoment wünscht, kann die Freilauffunktion aktiviert werden.“,
  195. in der englischen Originalfassung:
  196. „If the control unit detects a state where the fuel consumption would be optimally low and if, in addition, the driver does not desire any braking torque (…).“ (Abs. [0025] Anlage HE-B 1; Hervorhebung diesseits).
  197. 3.
    Merkmal 8 (Merkmal P8 / Merkmal 6.3),
  198. „Die Steuerorgane (40, 41, 42) sind weiter eingerichtet, um diese neutrale Stellung zu deaktivieren, wenn dieser Fahrzustand nicht mehr vorhanden ist.“,
  199. beschreibt den – gegenüber Merkmal 7.2 (Merkmal P7 / Merkmal 6.2.2) – umgekehrten Vorgang, bei welchem das zuvor gelöste Zahnrad an der Welle arretiert wird, mithin die Freilauffunktion aufgehoben wird und eine Drehmomentübertragung wieder stattfindet.
  200. Als Kriterium für die Beendigung der Freilauffunktion benennt der Anspruchswortlaut das Entfallen des Fahrzustandes, der nach Merkmal 7.1 (Merkmal P7 / Merkmale 6.2.1, 6.2.1.1 und 6.2.1.2) Anlass zum Auslösen der Freilauffunktion gibt. Bei dem hier in Rede stehenden Merkmal ist die Deaktivierung der Freilauffunktion schon dem Anspruchswortlaut nach nicht von bestimmten „Eingangssignalen“ an die Steuereinheit abhängig, obgleich sich auch die Deaktivierung des Freilaufs als ein steuerungstechnischer Vorgang darstellt („durch die Steuerorgane deaktivierbar“). Vor diesem Hintergrund bedarf es nach der geschützten Lehre zur Deaktivierung des Freilaufs keines Signals mit einem bestimmten Informationsgehalt, insbesondere einem solchen, wonach der Kraftstoffverbrauch im Freilauf nicht mehr geringer als ohne Freilauf ist. Der Anspruchswortlaut erfasst vielmehr jede Änderung eines eine Fahrsituation kennzeichnenden Parameters, weil sich schon bei Änderung eines solchen Parameters diejenige Fahrsituation, für die ein Abgleich mit einem festgelegten Fahrzustand erfolgt ist, nicht mehr vorliegt. Die Änderung eines solchen Parameters kann insbesondere die Aktivierung einer Motorbremse sein, was schon durch die erfindungswesentlich angestrebte Aufgabe, die Aktivierung einer Motorbremse auch während einer Freilauffunktion zu ermöglichen (dazu unter Ziff. II., 1.), vorgegeben wird, aber auch die Gaspedalstellung. Insoweit ist zu berücksichtigen, dass das Klagepatent eine Flexibilität der Freilauffunktion insoweit anstrebt, als es möglich sein soll, trotz Freilaufs ohne vorheriges Betätigen einer Scheibenkupplung auf die Veränderung äußerer Fahr- bzw. Antriebsbedingungen zu reagieren (Abs. [0007]. Für diese Fälle aber tritt die Bedeutung einer Kraftstoffersparnis in den Hintergrund, weshalb diese auch steuerungstechnisch nicht abgebildet werden muss. Insoweit ist zu berücksichtigen, dass der objektiven Aufgabenbeschreibung des Klagepatents nicht zu entnehmen ist, dass es nach einer bestmöglichen Kraftstoffersparnis strebt (dazu auch unter Ziff. II., 1. und 4., lit. a)), was es rechtfertigen würde, eine Deaktivierung der Freilauffunktion davon abhängig zu machen, dass ein Betrieb des Fahrzeugs im Freilauf nicht mehr kraftstoffsparender als außerhalb des Freilaufs ist (dazu auch unter Ziff. 4., lit. a)).

    Ein in dem dargelegten Sinne weites Verständnis ergibt sich für den Fachmann schließlich auch bei Kenntnisnahme der Abschnitte [0040] und [0043]. Abschnitt [0040] nennt zunächst mehrere Bedingungen kumulativ, die erfüllt sein müssen, damit die Freilauffunktion klagepatentgemäß aktiviert wird. Abschnitt [0043] nimmt auf diese Bedingungen Bezug, indem er die in Abschnitt [0040] genannten Bedingungen negiert (z. B. Abs. [0040]: „(i) der Getriebeschalthebel steht in der „A“-Position“ – Abs. [0043]: „(i) der Getriebeschalter steht nicht in der „A“-Position“ oder Abs. [0041]: „(vii) das Gaspedal ist nicht niedergedrückt“ – Abs. [0043]: „(v) das Gaspedal ist niedergedrückt“), und es weiter heißt, dass nur eine dieser Bedingungen erfüllt sein müsse, damit der Freilauf deaktiviert werde.

  201. 4.
    Die Merkmalsgruppe 9,
  202. „9. Die Steuereinheit (45) ist eingerichtet, um eine Freilauffunktion in mindestens einem der folgenden Fahrzustände zu aktivieren,
  203. 9.1. (i) das Fahrzeug wird bei einer aktivierten Freilauffunktion als beschleunigend und ohne aktivierte Freilauffunktion als verzögernd angesehen;
  204. 9.2 (ii) das Fahrzeug wird bei einer aktivierten Freilauffunktion als eine konstante Geschwindigkeit beibehaltend und ohne aktivierte Freilauffunktion als verzögernd angesehen und
  205. 9.3 (iii) das Fahrzeug wird bei aktivierter Freilauffunktion als verzögernd und ohne aktivierte Freilauffunktion als verzögernd angesehen,
  206. 9.4 wenn mit einer vorbestimmten Geschwindigkeit (vset; vcc) gefahren wird.“,
  207. steht in einem inhaltlichen Zusammenhang mit Merkmalsgruppe 7 (Merkmal P7 / Merkmalsgruppe 6.2.). Die Merkmale 9.1 – 9.3 (Merkmale P10(i) – P10(iii)) / Merkmale (i) – (iii)) beschreiben Fahrsituationen, für die der in Merkmalsgruppe 7 (Merkmal P7 / Merkmalsgruppe 6.2.) vorgesehene Steuerungsmechanismus den Freilauf aktivieren können soll, wobei ausreichend ist, wenn eine der Fahrsituationen durch diesen erfasst wird.
  208. a)
    Der Fachmann erkennt auf der Grundlage des hier in Bezug genommenen Anspruchswortlauts, dass das Klagepatent zwar eine Verbesserung gegenüber dem Stand der Technik insoweit anstrebt, als die geschützte Lehre überhaupt die Möglichkeit schafft, auf Änderungen in Bezug auf äußere Fahr- bzw. Antriebsbedingungen einzugehen (vgl. dazu auch die objektive Aufgabenbeschreibung unter Ziff. I. a. E.), hingegen ist es kein Ziel des Klagepatents, eine Anpassungsmöglichkeit der Freilauffunktion schlechterdings, im Hinblick auf jede Änderung der Fahr- und Antriebsbedingungen bereitzustellen. Denn für diesen Fall wäre es technisch nicht nachvollziehbar, dass das Klagepatent die Fahrsituationen in ein Verhältnis der Alternativität zueinander setzt. Das Klagepatent gibt auf diese Weise zu erkennen, dass es eine Kraftstoffersparnis nicht für jede Fahrsituation anstrebt.
  209. b)
    Die Fahrzustände dienen dazu, eine zusätzliche Eigenschaft des geschützten Steuerungsmechanismus zu beschreiben, in dem der Mechanismus nach Merkmal 7.1 (Merkmal P7 / Merkmale 6.2.1, 6.2.1.1 und 6.2.1.2) auf einen der genannten Fahrzustände Anwendung finden können muss.
  210. Nach der Lehre des Klagepatents ist nicht zu verlangen, dass die Fahrzustände nach den Merkmalen 9.1 – 9.3 (Merkmale P10(i) – P10(iii) / Merkmal (i) – (iii)) tatsächlich vorliegen, das heißt die Freilauffunktion während (im Sinne einer zeitlichen Betrachtung) eines Fahrzustandes aktiviert wird, in dem das Fahrzeug außerhalb des Freilaufs bereits verzögert (Merkmal 9.1 – Merkmal 9.3 / Merkmal P10(i) – Merkmal P10(iii)/ Merkmal (i) – (iii)).
  211. Dagegen steht bereits der Anspruchswortlaut, wonach das Fahrzeug als beschleunigend“, „mit konstanter Geschwindigkeit beibehaltend“ bzw. „als verzögernd“ „angesehen“ wird (in der englischen Originalfassung: „is considered to […]“). Auch lässt der Anspruchswortlaut selbst bereits ein prognostisches/ hypothetisches Element erkennen, in dem er an ein Fahrzeugverhalten im Freilauf anknüpft, obwohl die Entscheidung über die Aktivierung des Freilaufs aussteht.
  212. Weiter zeigen die die streitgegenständlichen Merkmalsgruppen beschreibenden Abschnitte der Klagepatentbeschreibung [0031] – [0035], dass das Fahrzeugverhalten im Sinne der Merkmale 9. 1 – 9.3 (Merkmal P10(i) – Merkmal P10(iii)/ Merkmal (i) – (iii)) der theoretischen Beschreibung der Fahrzustände dient. Die Betrachtung der Fahrzeuggeschwindigkeiten erfolgt dabei – wie Merkmal 9.4 (Merkmal P9 / Merkmal 6.4.1) erkennen lässt – stets unter Zugrundelegung einer vorbestimmten Geschwindigkeit, das heißt von dieser ausgehend muss das Fahrzeug das in den Merkmalen genannte Fahrverhalten im und außerhalb des Freilaufs zeigen.
  213. Das so beschriebene Fahrzeugverhalten weist gleichwohl eine Anbindung an die tatsächlichen Verhältnisse insoweit auf, als es regelmäßig in einem Zusammenhang mit straßentopographischen Gegebenheiten steht. Insoweit sei beispielhaft für den Fahrzustand nach Merkmal 9.1 auf den Abschnitt [0030] Bezug genommen, in dem es heißt:
  214. „Diese Situation korrespondiert normalerweise dazu, wenn das Fahrzeug auf einer nach unten gerichteten abfälligen Straße mit mittlerem Gefälle gefahren wird, […].“
  215. Eben diese straßentopographischen Bedingungen bedürfen einer Anbindung an die tatsächlichen Verhältnisse in zeitlicher Hinsicht, und zwar – in Übereinstimmung mit dem Verständnis des Merkmals 7.1 (Merkmal P7 / Merkmale 6.2.1, 6.2.1.1 und 6.2.1.2) (dazu unter Ziff. 2., lit. d)) – insoweit als sie die tatsächlichen Straßenverhältnisse für einen Zeitpunkt wiedergeben, für den die Freilauffunktion noch sinnvoll eingesetzt werden kann.
  216. c)
    Wie bereits erwähnt, greift die Klagepatentbeschreibung die Fahrsituationen der Merkmale 9.1 – 9.3 (Merkmale P10(i) – P10(iii) /Merkmale (i) – (iii)) in den Abschnitten [0031] – [0035] auf,
  217. „Es wird nun die Funktion der Erfindung mit Bezugnahme auf eine Anzahl von typischen Fahrsituationen beschrieben, […]. In den folgenden Beispielen […]. (Abs. [0028],
  218. „Auf diese Weise gibt es in der Getriebesteuereinheit 45 eine Ermittlung, ob die kinetische Energie und Bewegungsenergie des Fahrzeugs verwendet werden kann oder nicht, um einen niedrigen Kraftstoffverbrauch zu erhalten, (…).“ (Abs. [0035]),
  219. in der englischen Originalfassung:
  220. „The function of the invention will now be described with reference to a number of typical driving situations, […]. In the following examples, […]“ (Abs. [0026] Anlage HE-B 1),
  221. „In this way, there is in the transmission control unit 45 a determination of whether or not the kinetic and movement energy oft he vehicle can be utilized in ordert to obtain a low fuel consumption,(…).“ (Abs. [0033], Anlage HE-B 1),
  222. – Merkmal 9.1 (Merkmal P10(i) / Merkmal (i)) lässt sich den Abschnitten [0030], [0031] zuordnen, Merkmal 9.2 (Merkmal P10(ii) / Merkmal (ii)) ist in Abschnitt [0032] aufgegriffen und Merkmal 9.3. (Merkmal P10(iii) / Merkmal (iii)) ist Gegenstand der Ausführungen der Abschnitte [0033] und [0034] –, weshalb diese bei der Bestimmung des Schutzumfangs eine über die bloße Darstellung von Ausführungsbeispielen hinausgehende Bedeutung erlangen.
  223. Unter Hinzunahme der genannten Beschreibungsstellen erkennt der Fachmann, dass auf die mit den Merkmalen 9.1 und 9.2 (Merkmale P10(i) und P10(ii) / Merkmale (i) und (ii)) beschriebenen Fahrsituationen stets zutrifft, dass diese im Freilaufbetrieb einen geringeren Kraftstoffverbrauch im Sinne des Klagepatents aufweisen (vgl. zur allgemeinen Definition unter Ziff. 1., lit. a)),
  224. „Bei der in Frage kommenden Fahrsituation wird die Freilauffunktion somit ausgewählt, da die kinetische Energie des Fahrzeugs […]. Die Alternative ist […] eine leicht vergrößerte Drosselstellung, um die eingestellte gewünschte Geschwindigkeit beizubehalten, was mehr Kraftstoff kostet als den Motor bei einer aktivierten Freilauffunktion im Leerlauf drehen zu lassen.“ (Abs. [0031] a. E. mit Bezug zu dem Fahrzustand nach Merkmal 9.1)
  225. und:
  226. „Bei solcher einer Bedingung wird die Getriebesteuereinheit 45 die Freilauffunktion aktivieren. Die Alternative würde eine bestimmte Drosselöffnung zur Beibehaltung der gewünschten Geschwindigkeit sein, was jedoch mehr Kraftstoff kostet als eine Beibehaltung des Motors im Leerlauf in der Freilaufstellung.“ (Abs. [0032] a. E. mit Bezug zu dem Fahrzustand nach Merkmal 9.2; Hervorhebung diesseits),
  227. in der englischen Originalfassung:
  228. „In the driving situation in question, the free wheel function is thus chosen since the kinetic energy of the vehicle increases up to the maximum speed at which an automatic auxiliary brake function is activated.“ (Abs. [0029] a. E., Anlage HE-B 1; Hervorhebung diesseits),
  229. und:
  230. „In such a condition, the transmission control unit 45 will activate the free wheel function. The alternative would then be a certain amount of throttle in order to maintain the desired speed which, however, costs more fuel than maintaining the engine at idling in the free wheel position.“ (Abs. [0030] a. E, Anlage HE-B 1; Hervorhebung diesseits).
  231. Dabei wird deutlich, dass das Klagepatent bei der Inbezugnahme der Verzögerung des Fahrzeugs ohne Freilauf auch die Wirkung der Motorbremse in die Betrachtung einbezieht,
  232. „Eine weitere mögliche Fahrsituation ist dadurch gekennzeichnet, dass das Fahrzeug verzögern würde, wenn die Freilauffunktion nicht aktiviert wäre (zum Beispiel, wenn das Gaspedal vollständig oben steht […].“ (Abs. [0030] zu Beginn mit Bezug zu dem Fahrzustand nach Merkmal 9.2 (Merkmal P10(ii) / Merkmal (ii)); Hervorhebung diesseits),
  233. in der englischen Originalfassung:
  234. „A further possible driving situation is characterized in that the vehicle would retard if the free wheel function were not activated (i. e. if the gas pedal is all the way up, […].“ (Abs. [0028] zu Beginn, Anlage HE-B 1; Hervorhebung diesseits).
  235. Aus dem Vorherigen folgt weiter, dass der Steuerungsmechanismus nach Merkmal 7.1 (Merkmal P7 / Merkmale 6.2.1, 6.2.1.1 und 6.2.1.2) die eingehenden Signale insbesondere auch anhand des Geschwindigkeitsverhaltens des Fahrzeugs im und außerhalb des Freilaufs als Fahrzustand, der im Freilaufbetrieb kraftstoffsparender ist, identifizieren kann, auch wenn der geschützte Steuerungsmechanismus – worauf unter Ziff. 2., lit. b) bereits hingewiesen worden ist – nicht darauf beschränkt ist, mithin der Fachmann der in Rede stehenden Merkmalsgruppe keine steuerungstechnischen Vorgaben für den den festgelegten Fahrzustand definierenden Datensatz entnimmt.
  236. Mit Blick auf die in Merkmal 9.3 (Merkmal P10(iii) / Merkmal (iii)) aufgegriffene Fahrsituation ist hingegen zu berücksichtigen, dass für diese ein Vergleich der Geschwindigkeiten des Fahrzeugs im Freilauf und ohne Freilauf allein keinen Aufschluss darüber gibt, dass sich ein Betrieb im Freilauf als kraftstoffsparender erweist. Insoweit ergibt sich nämlich im Freilaufbetrieb keine qualitativ andere Fahrzeugbewegung – wie bei den Fahrsituationen nach den Merkmal 9.1 und 9.2 (Merkmale P10(i) und P10(ii) / Merkmale (i) und (ii)) („als beschleunigend“/ „als eine konstante Geschwindigkeit beibehaltend“). Vielmehr wird ein gleichartiges Fahrzeugverhalten im und außerhalb des Freilaufs („als verzögernd“) statuiert, das sich lediglich in seinem Umfang unterscheidet,
  237. „Wenn die Freilauffunktion aktiviert ist, wird das Fahrzeug auch verzögern, aber nicht in dem Maße als wenn der Antriebszug im Eingriff ist, […]. (Abs. [0034]; Hervorhebung diesseits),
  238. in der englischen Originalfassung:
  239. „If the free wheel function is activated the vehicle will also retard, but not as much as when the driving line is engaged, […]. (Abs. [0032, Anlage HE-B 1).
  240. Abschnitt [0034] offenbart deshalb auch, dass für die Fahrsituation nach Merkmal 9.3 erst ermittelt werden muss, ob ein Betrieb im Freilauf einen geringeren Kraftstoffverbrauch verursacht.
  241. d)
    Obgleich der Steuerungsmechanismus nach Merkmal 7.1 (Merkmal P7 / Merkmale 6.2.1, 6.2.1.1 und 6.2.1.2) in einer der in der Merkmalsgruppe 9 (Merkmalsgruppe P10 / Merkmalsgruppe 6.4) genannten Fahrzustände zur Anwendung gelangen können muss, ist daraus keine Beschränkung dahingehend ableitbar, dass die Freilauffunktion klagepatentgemäß stets und immer dann, wenn die Fahrsituation vorliegt, aktiviert wird. Im Sinne der Lehre des Klagepatents ausreichend ist vielmehr, wenn der Steuerungsmechanismus zur Aktivierung des Freilaufs jedenfalls in einem Fall einer Fahrsituation nach den Merkmalen 9.1 – 9.3 (Merkmale P10(i) – P10(iii) / Merkmale (i) – (iii)) erfolgt. Dies gibt aus Sicht des Fachmannes bereits das Verständnis des Merkmals 7.1 (Merkmal P7 / Merkmale 6.2.1, 6.2.1.1 und 6.2.1.2) vor (dazu unter Ziff. 2., lit. e)).
  242. III.
    Die Beklagten stellen nicht in Abrede, dass sie die angegriffene Ausführungsform innerhalb des Gebiets der Bundesrepublik Deutschland anbieten und liefern, mithin Benutzungshandlungen im Sinne von § 9 Satz 2 PatG vorliegen. Darüber hinaus macht die angegriffene Ausführungsform auch von der Lehre des Klagepatents unmittelbar wortsinngemäß Gebrauch.
  243. 1.
    Die Verwirklichung der Merkmale 1 – 6 sowie der Merkmale 7.2 und 9.4 (Merkmale P1 – ein Teil von Merkmal P6 sowie ein Teil von Merkmal P7 und P9 / Merkmale 1 – 6 sowie Merkmale 6.2.2 und 6.4.1) ist zwischen den Parteien zu Recht unstreitig, weshalb weitere Ausführungen unterbleiben.
  244. Auch die Merkmale 6.1 und 6.2 (Merkmal P6 / Merkmalsgruppe 6.1) sind im Hinblick auf ihre Verwirklichung unstreitig. Das Getriebe der angegriffenen Ausführungsform ist mit Ventilblocks (V111 und V112) ausgestattet, die wiederum Magnetventile aufweisen, die als Steuerorgane im Sinne der angegriffenen Ausführungsform verstanden werden können. Die Magnetventile des Ventilblocks V112 wirken über Zylinder und Schaltgabel auf die Kupplungsorgane ein und steuern auf diese Art das Einlegen und den Wechsel einzelner Fahrstufen/ Gänge. Die Magnetventile werden dabei durch eine Steuereinheit gesteuert, die aufgrund von das Fahrzeug betreffenden Daten auf die Magnetventile einwirkt.
  245. Dieses Vorbringen der Klägerin bestreiten die Beklagten nicht. Das Bestreiten der Beklagten ergibt sich vielmehr aus ihrem abweichenden Verständnis der geschützten Lehre, wonach die in den hier in Rede stehenden Merkmalen genannten verschiedenen Motor- und Fahrzeugdaten auch bereits den Steuerungsmechanismus zur Aktivierung der Freilauffunktion beschreiben, sowie daraus, dass sie die angegriffene „C-Funktion“ nicht durch solche Daten aktiviert sehen. Hierzu wird nachfolgend unter Ziff. 2. ausgeführt.
  246. 2.
    Daneben sind auch die zwischen den Parteien streitigen Merkmale 7.1, 8 und die Merkmalsgruppe 9 (Teil von Merkmale P7, Merkmal P8, Merkmal P9 und Merkmalsgruppe P10 / Merkmale 6.2.1, 6.2.1.1, 6.2.1.2 sowie Merkmal 6.3 und Merkmalsgruppe 6.4) erfüllt.
  247. Die Darlegung der Verletzung des Klagepatents durch eine bestimmte, von dem Beklagten benutzte Ausgestaltung obliegt im Patentverletzungsprozess nach den allgemeinen Grundsätzen dem Kläger, der Rechte aus der Verletzung seines Schutzrechts herzuleiten gedenkt. In diesem Zusammenhang genügt zunächst – ohne Gegenvortrag des vermeintlichen Verletzers – die konkrete Behauptung, die angegriffene Ausführungsform mache von jedem Merkmal des Patentanspruchs Gebrauch (OLG Düsseldorf, Urt. v. 20.01.2017, Az.: I-2 U 41/12, GRUR-RS 2017, 102029, Rn.104). Bestreitet der Beklagte daraufhin die Verwirklichung einzelner Merkmale – wofür zunächst – spiegelbildlich zu dem klägerischen Vortrag pauschaler Vortrag genügt – ist der Kläger gehalten, seinen Verletzungsvorwurf weiter auszuführen (OLG Düsseldorf, a.a.O.). Tut er dies, erhöhen sich auch für den Beklagten die Anforderungen an sein Bestreiten. Das bedeutet aber nicht, dass der Beklagte dann, wenn es an substantiiertem Klägervortrag fehlt, das Gericht und den Kläger über den wirklichen Verletzungstatbestand unterrichten muss (OLG Düsseldorf, a.a.O.).
  248. Ausgehend von diesen Grundsätzen gilt hier Folgendes:
  249. a)
    Nach dem Vortrag der Beklagten, den sich die Klägerin zu Eigen macht, lässt sich die Funktionsweise der angegriffenen C-Funktion schematisch wie folgt darstellen (siehe auch Skizze vorgelegt als Anlage HE-B 28 bzw. Anlage B (B) 4, S. 14):
  250. .
  251. Die Beklagten haben darüber hinaus den zur Entscheidung über die Aktivierung der Freilauffunktion durchgeführten Simulationsvorgang unter Vorlage der Folien 1 – 5 in der mündlichen Verhandlung weiter konkretisiert.
  252. Bezugnehmend auf Folie 1,
  253. ,
  254. wird die Fahrzeuggeschwindigkeit bei Betrieb des Fahrzeugs in jeder Sekunde in nachfolgend beschriebener Weise für eine vorausliegende Fahrstrecke von 2 Kilometern simuliert, wobei in die Simulation die Kenntnis des zukünftigen Fahrbahnprofils einfließt. Ein simuliertes Geschwindigkeitsprofil stellt die Geschwindigkeit für den Fall dar, dass der Freilauf sofort (ausgehend von der jeweils aktuellen Fahrzeugposition) aktiviert wird. Dieses simulierte Geschwindigkeitsprofil ist in der obigen Skizze durch die grüne Kurve wiedergegeben. Eine weitere Simulation der Geschwindigkeit zeigt die Geschwindigkeit, die das Fahrzeug einnimmt, wenn der Freilauf sofort aktiviert, jedoch nach acht Sekunden deaktiviert wird und dann die Motorbremse greift. Dieses simulierte Geschwindigkeitsprofil findet sich in der obigen Skizze in der schwarzen Kurve wieder. Die Simulation der Geschwindigkeiten wird durch den „H“ vorgenommen, der die ermittelten Kurven an den „I“ weitergibt.
  255. Ausgehend von Folie 4,
  256. ,
  257. gibt der „J“ das Signal „K“ zur Aktivierung des Freilaufs, wenn sich die grüne Kurve länger als acht Sekunden oberhalb der Grenzwerte „L“ und „M“ befindet und die schwarze Kurve unterhalb des Grenzwerts „N“ bleibt. Mit der Simulation der Geschwindigkeit, die die schwarze Kurve zeigt, wird sichergestellt, dass das Fahrzeug im Leerlauf nicht zu schnell wird, und durch das automatische System ein Fahrzustand geschaffen wird, bei dem der Fahrer eingreifen muss. Mit der Bedingung einer Überschreitung der Grenzwerte „L“ und „O“ für einen Zeitraum von acht Sekunden soll bewusst eine gewisse „Trägheit“ des Systems herbeigeführt werden, um einen zu häufigen Wechsel zwischen dem Zustand des Fahrzeugs im Leerlauf und einem Zustand, in dem Drehmoment übertragen wird, zu vermeiden. Die Grenzwerte „L“ und „M“ verhalten sich dabei derart zueinander, dass „L“ den Grenzwert angibt, der bei dem Betrieb des Fahrzeugs im Leerlauf für einen Zeitraum von 8 Sekunden überschritten werden soll. Bevor das Fahrzeug im Leerlauf diesen Grenzwert überschreitet, soll es hingegen keine Geschwindigkeit unterhalb des Grenzwertes „M“ erreichen, das heißt nicht zu langsam werden. Dieses Verhältnis verdeutlicht ein Vergleich der Folie 4 (oben bereits wiedergegeben) mit Folie 3 (nachfolgend wiedergegeben):
  258. .
  259. Während die grüne Kurve in der Skizze nach Folie 3 in einem bestimmten Zeitraum vor Überschreitung der durch „L“ gesetzten Grenze den Grenzwert „M“ unterschreitet, befindet sich die grüne Kurve in der Skizze nach Folie 4 zu jedem Zeitpunkt der Simulationsstrecke oberhalb der Grenze „M“.
  260. b)
    Ausgehend von der so beschriebenen Funktionsweise der angegriffenen Ausführungsform ist Merkmal 7.1 (Merkmal P7 / Merkmale 6.2.1, 6.2.1.1 und 6.2.1.2) unmittelbar wortsinngemäß verwirklicht.
  261. Dem „H“ gehen Eingangssignale in Form von GPS-Daten zu, so erhält der angegriffene Steuerungsmechanismus ein als „P“ (vgl. Skizze nach Anlage HE-B 28) bezeichnetes Signal. Dieses enthält Informationen über den zukünftigen Streckenverlauf. Weiter enthalten die GPS-Daten Informationen über die Position des Fahrzeugs. Auch die Ist-Geschwindigkeit ist ein Eingangssignal im Sinne des Klagepatents, weil auf ihrer Grundlage die Geschwindigkeitssimulationen durchgeführt werden. Diese Daten haben – wie das Klagepatent dies vorgibt (dazu unter Ziff. II., 2. lit. c)) – einen hinreichenden Bezug zu den tatsächlichen Gegebenheiten, derart, dass eine Freilauffunktion noch sinnvoll aktiviert werden kann.
  262. Der beschriebene Simulationsvorgang bildet für diese Eingangssignale einen Fahrzustand nach Merkmal 9.1 ab, mit dem stets ein optimal geringer Kraftstoffverbrauch im Sinne der Lehre des Klagepatents einhergeht, über den Simulationsvorgang erfolgt so die Festlegung eines Fahrzustandes entsprechend dem Merkmal 7.1 (Merkmal P7 / Merkmale 6.2.1 und 6.2.1.1) für die genannten Eingangssignale.
  263. Orientiert an der unter lit. a) wiedergegebenen Folie 4 bildet die „grün“ markierte Kurve die Fahrzeugbewegung im Freilauf ab. Sie stellt bei Betrachtung der Strecke, für welche die Simulation durchgeführt wird (ca. 2 Km), eine Beschleunigung des Fahrzeugs dar, weil der Grenzwert „L“ überschritten wird. Der Grenzwert „L“ stellt sich bei dieser Betrachtung als Bezugspunkt für die Bewertung der Fahrzeugbewegung als beschleunigend dar, er bildet mithin die vorbestimmte Geschwindigkeit im Sinne von Merkmal 9.4 (Merkmal P9 / Merkmal 6.4.1). Die „schwarz“ markierte Kurve stellt die Fahrzeugbewegung ohne Freilauf dar. Sie zeigt die Fahrzeugbewegung, bei welcher nach acht Sekunden der Freilauf deaktiviert wird und die Motorbremse greift. Die Motorbremse wird – wie Abschnitt [0030] zeigt und wie unter Ziff. II., 4., lit. c), aa)) erörtert – in die klagepatentgemäße Betrachtung der Fahrzeugbewegung nach den Merkmalen 9.1 – 9.3 (Merkmale P10(i) – P10(iii) / Merkmale (i) – (iii)) ausdrücklich einbezogen. Die schwarze Kurve zeigt – im Vergleich zu dem Grenzwert „L“ – eine verzögernde Fahrzeugbewegung. Es steht einer Merkmalsverwirklichung in diesem Zusammenhang nicht entgegen, dass ein Fahrzustand nach Merkmal 9.1 nicht unmittelbar nach Aktivierung des Freilaufs eintreten würde, weil – wie die in Bezug genommene Folie 4 zeigt – zunächst sowohl die grüne als auch die schwarze Kurve unter den Grenzwert „L“ fallen. Bezogen auf den Betrachtungszeitraum von 1 bis 1,5 Minuten wird eine Fahrsituation nach Merkmal 9.1 (Merkmal P10(i) / Merkmal (i)) abgebildet. Das Klagepatent enthält insoweit keine zeitlichen Vorgaben für die Betrachtung der Fahrzustände (dazu unter Ziff. II., 4., lit. b)).
  264. Unschädlich ist, dass bei dem Simulationsvorgang der angegriffenen Ausführungsform auch ein Fahrzustand nach Merkmal 9.1 abgebildet wird, wenn es zu einer Aktivierung des Freilaufs nicht kommt – wie dies etwa Folie 3 (wie unter lit. a) abgebildet) verdeutlicht. Denn die geschützte Lehre schließt nicht aus, weitere Voraussetzungen für die Aktivierung des Freilaufs zu schaffen (dazu unter Ziff. II., 2. lit. e) und Ziff. II., 4. lit. d)), wie beispielsweise, dass die Aktivierung des Freilaufs nicht zu einer Unterschreitung eines bestimmten Geschwindigkeitsgrenzwertes („M“) führen soll. Gleiches gilt, soweit es zu einer Aktivierung der Freilauffunktion erst dann kommt, wenn der Fahrzustand nach Merkmal 9.1 (Merkmal P10(i) / Merkmal (i)) über einen Zeitraum von acht Sekunden besteht.
  265. Umgekehrt führt es auch aus der Merkmalsverwirklichung nicht heraus, dass eine Aktivierung der Freilauffunktion bei der angegriffenen Ausführungsform auch dann denkbar ist, wenn die schwarze Kurve, die (jedenfalls nach 8 Sekunden) eine Fahrzeugbewegung außerhalb des Freilaufs unter Berücksichtigung der Motorbremswirkung zeigt, ebenfalls über dem Geschwindigkeitsgrenzwert „L“ liegt. In diesem Fall ist eine Fahrsituation nach Merkmal 9.1 (Merkmal P10(i) / Merkmal (i)) nicht gegeben. Vielmehr tritt dann eine Fahrsituation ein, wie sie das Klagepatent in Abschnitt [0029] beschreibt, in der das Fahrzeug sowohl im Freilauf als auch bei aktivierter Motorbremse beschleunigt,
  266. „Gemäß einem ersten Beispiel einer Fahrsituation kann es vorausgesetzt werden, dass das Fahrzeug in einer solchen Weise gefahren wird, dass es beschleunigen würde, ohne dass das Gaspedal herunter gedrückt wird, […]. In solch einem Fall wird keine Freilauffunktion benutzt, da dieses dazu führen würde, dass das Fahrzeug noch mehr beschleunigt, […]“,
  267. in der englischen Originalfassung:
  268. „According to a first example of a driving situation, it can be assumed that the vehicle is driven in such a way that it would accelerate without the gas pedal being depressed, […]. In such a case, no free wheel function is utilized since this would lead to the vehicle accelerating even more, […].“ (Abs. [0027, Anlage HE-B 3).
  269. In einer solchen Fahrsituation wird nach Abschnitt [0029] eine Freilauffunktion nicht aktiviert, weil der Betrieb des Fahrzeugs bei einer Drehmomentübertragung von den Rädern zu dem Motor (= Motorbremse) gar keiner Kraftstoffzufuhr bedarf, mithin gegenüber einem Betrieb im Freilauf, bei dem Kraftstoff für den Betrieb des Motors aufgewendet werden muss, kraftstoffsparender ist,
  270. „In dieser Position wird dann die Getriebesteuereinheit 45 so reagieren, dass die Freilauffunktion nicht aktiviert wird, da der Kraftstoffverbrauch nicht optimal niedrig sein würde, wenn die Freilauffunktion aktiviert wäre. Die Kraftstoffzufuhr ist vollständig abgeschaltet, da das Fahrzeug trotz der Motorbremsung beschleunigt.“ (Abs. [0029]),
  271. in der englischen Originalfassung:
  272. „In this position, the transmission control unit 45 will thus see to it that the free wheel function is not activated, since the fuel consumption would not be optimally low if the free wheel function were activated. The fuel feed is completely shut off, since the vehicle accelerates despite the engine braking.“ (Abs. [0027], Anlage HE-B 1).
  273. Insoweit ist in auslegungstechnischer Hinsicht jedoch zu berücksichtigen, dass die Abgrenzung einer Fahrsituation nach Merkmal 9.1 von einer solchen nach Abschnitt [0029] von dem Klagepatent nicht zwingend vorgegeben wird. Denn das Klagepatent strebt keine Kraftstoffersparnis für jede Fahrsituation an (dazu unter Ziff. II., 4., lit. a)).
  274. c)
    Auch eine Verwirklichung des Merkmals 8 (Merkmal P8 / Merkmal 6.3) durch die angegriffene Ausführungsform lässt sich feststellen.
  275. Zwischen den Parteien ist unstreitig, dass die Steuerorgane der angegriffenen Ausführungsform die Freilauffunktion deaktivieren, mithin dafür sorgen, dass das entkoppelte Zahnrad wieder in Eingriff mit einer Welle gebracht wird. Zwischen den Parteien ist weiter unstreitig, dass die Steuerorgane der angegriffenen Ausführungsform grundsätzlich durch eine Steuereinheit geregelt werden (vgl. dazu unter Ziff. 1.). Veränderungen der Fahrsituation, die bei der angegriffenen Ausführungsform zu einer Deaktivierung des Freilaufs führen – dies sind insbesondere die in der als Anlage HE-B 15 vorgelegten Wartungsanleitung der angegriffenen Ausführungsform genannten Schritte (dort. S. 1 unten – S. 2 oben; deutsche Übersetzung: Anlage HE-B 15.1), unter anderem das Herunterdrücken des Gaspedals – werden mithin auch über die Steuereinheit an die Steuerorgane weitergegeben.
  276. d)
    Schließlich ist auch die Merkmalsgruppe 9 (Merkmalsgruppe P10 / Merkmalsgruppe (6.4 (i) – (iii)) verwirklicht. Denn die angegriffene Ausführungsform aktiviert die Freilauffunktion mindestens in dem Fahrzustand nach Merkmal 9.1 (Merkmal P10(i) / Merkmal (i)).
  277. Insoweit wird zunächst auf die Ausführungen unter lit. b) verwiesen. Die Merkmalsverwirklichung ist weiter auch durch die nachfolgende, von den Beklagten stammende Skizze (Beschriftungen „i“), „ii)“, „iii)“ und die zwei senkrechten gestrichelten Linien sind von der Klägerin ergänzt) dargetan,
  278. .
  279. Die Abbildung zeigt einen LKW in einer bergab-Fahrt, der sich im Freilauf befindet – was durch die Beschreibung „Q“ deutlich wird. Die schwarze durchgängige Linie zeigt die tatsächliche Fahrzeuggeschwindigkeit, während die schwarze gestrichelte Linie die Fahrzeuggeschwindigkeit bei deaktivierter Freilauffunktion zeigt. Während die durchgehende Linie, die die Geschwindigkeit im Freilauf darstellt, in dem Abschnitt i) eine Beschleunigung wiedergibt, zeigt die gestrichelte Linie eine Verzögerung des Fahrzeugs an. Die Freilauffunktion wird mithin gerade für eine Fahrsituation entsprechend Merkmal 9.1 (Merkmal P10(i) / Merkmal (i)) aktiviert.
  280. IV.
    Die festgestellte Verletzung rechtfertigt die von der Klägerin mit ihren Anträgen begehrten Rechtsfolgen in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang.
  281. 1.
    Der Unterlassungsanspruch der Klägerin folgt aus Art. 64 Abs. 1 EPÜ i. V. m. § 139 Abs. 1 PatG.
  282. Der Unterlassungsanspruch bleibt von der von den Beklagten erhobenen Einrede der Verjährung unberührt. Gem. § 141 Satz 1 PatG i. V. m. § 199 Abs. 1, 5 beginnt die hier maßgebliche regelmäßige Verjährungsfrist von drei Jahren (§ 195 BGB) mit dem Ende des Jahres, in welchem die Zuwiderhandlung stattgefunden und der Anspruchssteller von dieser Kenntnis bzw. grob fahrlässig keine Kenntnis erlangt hat. Jede weitere Zuwiderhandlung löst jedoch einen neuen Unterlassungsanspruch aus und setzt eine neue Verjährungsfrist in Gang (Grabinski/ Zülch, in: Benkard, PatG, Kommentar, 11. Auflage, 2015, § 141, Rn. 5). Die Beklagten haben hier nicht vorgetragen, dass in unverjährter Zeit keine Zuwiderhandlungen mehr stattgefunden haben.
  283. 2.
    Die Beklagten sind gem. Art. 64 Abs. 1 EPÜ i. V. m. § 140b Abs. 1, 3 PatG zur Erteilung der mit dem Antrag Ziff. I. 2. begehrten Auskünfte ab dem 01. Januar 2016 sowie zur Belegvorlage in dem begehrten Umfang verpflichtet. Anhaltspunkte dafür, dass die Inanspruchnahme der Beklagten unverhältnismäßig im Sinne von § 140b Abs. 4 PatG ist, bestehen nicht.
  284. Der Anspruch ist hingegen wegen Verjährung nicht mehr durchsetzbar, soweit er sich auf Benutzungshandlungen vor dem 01. Januar 2016 erstreckt, § 214 Abs. 1 BGB.
  285. Maßgeblich ist auch hier die regelmäßige Verjährungsfrist von drei Jahren, § 141 Satz 1 PatG i. V. m. § 195 BGB, die mit Anspruchsentstehung und Kenntnis bzw. grob fahrlässiger Unkenntnis von den den Anspruch begründenden Umständen sowie von der Person des Schuldners beginnt.
  286. Die Klägerin erhielt erstmalig durch Untersuchung der angegriffenen Ausführungsform im Jahre 2014 Kenntnis von dieser. Vor diesem Hintergrund tritt eine Verjährung frühestens – ohne Berücksichtigung etwaiger Hemmungstatbestände – für vor dem 01.01.2017 begangene Handlungen ein. Da die Klägerin jedoch im Jahre 2019 das hiesige Klageverfahren einleitete, was gem. §§ 209, 204 Abs. 1 Nr. 1 BGB zur Verjährungsunterbrechung führt, ist eine Verjährung lediglich im Hinblick auf bis zum 31.12.2015 begangene Handlungen eingetreten.
  287. 3.
    Die mit dem Klageantrag Ziff. I. 3. begehrte Rechnungslegung steht der Klägerin gem. Art. 64 Abs. 1 EPÜ i. V. m. §§ 242, 259 BGB zu, damit sie in die Lage versetzt wird, den ihr zustehenden Schadensersatzanspruch (dazu unter Ziff. 6.) zu beziffern. Die Klägerin ist auf die tenorierten Angaben angewiesen, über die sie ohne eigenes Verschulden nicht verfügt. Die Beklagten werden durch die von ihr verlangte Auskunft auch nicht erkennbar unzumutbar belastet.
  288. Im Hinblick auf den Verjährungseinwand ist unschädlich, dass der Klägerin für einen Zeitraum vor dem 01. Januar 2016 lediglich ein sog. Restschadensersatzanspruch nach den Vorschriften über die ungerechtfertigte Bereicherung zusteht. Auch dieser löst einen hilfsweisen Auskunftsanspruch aus. Dieser unterliegt zwar grundsätzlich einer eigenen Verjährung, als akzessorischer Anspruch verjährt er jedoch nicht vor dem Hauptanspruch (BGH, NJW 2017, 2755, Rn. 8). Die hier – wie unter Ziff. 6. noch ausgeführt wird – noch nicht eingetreten ist.
  289. Der Restschadensersatzanspruch erfasst insbesondere auch den Gewinn des Verletzers, den dieser aufgrund der Patentverletzung erlangt hat, so dass insbesondere auch Angaben zu etwaigen Gestehungskosten zu machen sind (BGH, GRUR 2019, 496 – Spannungsversorgungsvorrichtung).
  290. 4.
    Der Vernichtungsanspruch steht der Klägerin gem. Art. 64 Abs. 1 EPÜ i. V. m. § 140a Abs. 1 Satz 1 PatG zu, wobei eine Vernichtung des gesamten Stufenschaltgetriebes unter Verhältnismäßigkeitsgesichtspunkten ausscheidet. Vielmehr kann die Klägerin allein die Vernichtung der softwarebasierten C-Funktionalität verlangen. Der Anspruch ist in zeitlicher Hinsicht des Weiteren auf einen Zeitraum ab dem 01. Januar 2016 beschränkt, im Übrigen fehlt es aufgrund der Einrede der Verjährung an der Durchsetzbarkeit.
  291. Die Vernichtung der angegriffenen Getriebesteuereinheit stellt sich als unverhältnismäßig im Sinne von § 140a Abs. 4 PatG dar.
  292. Die Beurteilung der Unverhältnismäßigkeit des Rückrufanspruchs hat sich anhand einer Abwägung der maßgeblichen Einzelfallumstände zu vollziehen, wobei es zur Obliegenheit der Beklagten steht, die die Unverhältnismäßigkeit begründenden Umstände darzutun und ggf. zu beweisen. Kann der rechtswidrige Zustand auch auf andere Weise als durch vollständige Vernichtung des Erzeugnisses beseitigt werden (z. B. durch technische Abänderung), so hat dieses mildere Mittel regelmäßig Vorrang (Grabinski/ Zülch, in: Benkard, PatG, Kommentar, 11. Auflage, 2015, § 140a, Rn. 8a f.; Kühnen, Handbuch der Patentverletzung, 12. Auflage, 2020, Kap. D., Rn. 672). Soweit mildere Maßnahmen möglich sind und die volle Vernichtung unverhältnismäßig ist, kann die Durchführung der milderen Maßnahme – sofern als Minus vom Hauptantrag umfasst – dann vom Verletzer verlangt werden (Grabinski/ Zülch, ebd., § 140a, Rn. 8d).
  293. So ist es vorliegend.
  294. Zwischen den Parteien ist unstreitig, dass die angegriffene C-Funktionalität des Getriebes softwarebasiert implementiert ist. Daraus ergibt sich, dass diese auch softwarebasiert beseitigt werden kann. Eine derartige Beseitigung stellt sich als milderes Mittel gegenüber der Vernichtung des gesamten Stufenschaltgetriebes als klagepatentverletzende Vorrichtung dar. Das gilt vorliegend in besonderer Weise deshalb, weil das Stufenschaltgetriebe als klagepatentverletzende Vorrichtung regelmäßig bereits in einer größeren Einheit in Form der LKW verbaut ist und ein Ausbau desselben einen nicht nur unerheblichen Aufwand mit sich bringt. Der Vernichtung in Form der Beseitigung der C-Funktionalität wohnt auch nicht die Gefahr inne, dass die Abnehmer als Dritte das Stufenschaltgetriebe in klagepatentverletzender Weise benutzen (zu diesem Gesichtspunkt: OLG Düsseldorf, InstGE 7, 139 – Thermocycler) – wie dies etwa bei einem bloßen Abschalten der Funktionalität durch den LKW-Fahrer der Fall wäre.
  295. 5.
    Der Rückrufanspruch steht der Klägerin gem. Art. 64 Abs. 1 EPÜ i. V. m. § 140a Abs. Abs. 3 Satz 1 PatG zu, wobei auch insoweit die Einrede der Verjährung Berücksichtigung findet, als es an einer Durchsetzbarkeit des Anspruchs für einen Zeitraum vor dem 01. Januar 2016 fehlt. Auf die Ausführung zur Verjährung unter Ziff. 2. wird Bezug genommen.
  296. Der Rückrufanspruch stellt sich hingegen nicht als unverhältnismäßig im Sinne von § 140a Abs. 4 PatG dar. Im Hinblick auf den grundsätzlichen Prüfungsmaßstab wird zunächst auf die vorherigen Ausführungen unter Ziff. 4. Bezug genommen.
  297. Die Ausführungen der Beklagten zu einer technischen Alternativsoftware, die die Freilauffunktion auf andere Art und Weise als unter Verwirklichung der Merkmale des Klagepatents umsetzt, sind jedoch unsubstantiiert. Insoweit ist zwischen der Beseitigung der C-Funktionalität (wie unter Ziff. 4. erläutert) und der alternativen Bereitstellung einer softwarebasierten Freilauffunktion, die nicht klagepatentverletzend ist, zu differenzieren. Dies berücksichtigend kann nicht davon ausgegangen werden, dass die Beklagten ihren Kunden eine solche zur effektiven Umsetzung ihrer Rückrufverpflichtung anbieten können. Daher kann den Beklagten statt einer Erstattung des Kaufpreises nicht das Angebot einer Rücknahme des Verletzungsprodukts gegen patentfreie Ersatzlieferungen zugestanden werden (vgl. Kühnen, ebd., Kap. D., Rn. 728).
  298. 6.
    Ein Anspruch auf Schadensersatz steht der Klägerin dem Grunde nach gem. Art. 64 Abs. 1 EPÜ i. V. m. § 139 Abs. 2 PatG zu, soweit dieser sich auf einen Zeitraum vor dem 01.Januar 2016 bezieht, steht der Klägerin jedoch – wie zuletzt geltend gemacht – lediglich noch ein sog. Restschadensersatzanspruch gem. § 141 Satz 2 PatG i. V. m. § 852 BGB zu. Dieser ist auf Herausgabe einer ungerechtfertigten Bereicherung nach den Vorschriften der §§ 812 ff. BGB beschränkt.
  299. a)
    Die haftungsbegründenden Voraussetzungen des Schadensersatzanspruchs, derer es auch im Rahmen einer Haftung nach § 141 Satz 2 PatG i. V. m. § 852 BGB bedarf – § 852 BGB stellt sich insoweit lediglich als Rechtsfolgenverweisung dar (BGH, GRUR 2015, 780, Rn. 29 – Motorradteile) – liegen vor.
  300. b)
    Die Klägerin hat an der begehrten Feststellung auch das erforderliche rechtliche Interesse im Sinne von § 256 Abs. 1 ZPO. Die Entstehung eines Schadens auf Seiten der Klägerin ist hinreichend wahrscheinlich. Eine Bezifferung dieses Schadens ist ihr nicht möglich, weil sie ohne Verschulden über die Informationen, die sie mit dem Klageantrag Ziff. I. 2. begehrt, in Unkenntnis ist.
  301. c)
    Als Fachunternehmen hätte es den Beklagten oblegen, zu prüfen, ob die angebotenen und gelieferten Produkte von der technischen Lehre des Klagepatents Gebrauch machen. Bei einer entsprechenden Überprüfung wäre dies für sie auch ohne weiteres zu erkennen gewesen. Indem sie eine entsprechende Prüfung unterließ, haben die Beklagten die im Verkehr erforderliche Sorgfalt missachtet, § 276 Abs. 2 BGB.
  302. d)
    Die Klägerin ist an der Durchsetzung des Anspruchs auch nicht aufgrund der von den Beklagten erhobenen Einrede der Verjährung gehindert, § 214 Abs. 1 BGB, nachdem die Klägerin die Feststellung einer Schadensersatzpflicht lediglich noch für einen Zeitraum ab dem 01.01.2016 begehrt, und für einen Zeitraum vom 15.03.2009 bis zum 31.12.2015 einen Restschadensersatzanspruch geltend macht.
  303. Schadensersatzansprüche für einen Zeitraum ab dem 01.01.2016 sind noch nicht verjährt. Auf die Ausführungen unter Ziff. 2. wird Bezug genommen.
  304. Im Hinblick auf den Restschadensersatzanspruch gilt gem. § 141 Satz 2 PatG i. V. m. § 852 Satz 2 BGB unabhängig von der Kenntniserlangung eine Verjährungsfrist von zehn Jahren ab Anspruchsentstehung. Ausgehend davon, dass die am 15.03.2019 zugestellte Klage die Verjährung hemmt, ist eine Verjährung lediglich für – nicht (mehr) streitgegenständliche – vor dem 15.03.2009 begangene Handlungen eingetreten.
  305. V.
    Die Entscheidung über den Rechtsbestand ist zwar vorgreiflich, indes sieht die Kammer im Rahmen der von ihr zu treffenden Ermessensentscheidung keine hinreichenden Gründe, die Verhandlung gem. § 148 ZPO auszusetzen.
  306. 1.
    Nach § 148 ZPO kann das Gericht bei der Vorgreiflichkeit eines anderen Verfahrens einen Rechtsstreit aussetzen. Die Vorgreiflichkeit ist aufgrund der festgestellten, unstreitigen Verletzung des Klagepatents hinsichtlich des anhängigen Nichtigkeitsverfahrens gegeben. Die Erhebung einer Nichtigkeitsklage stellt jedoch ohne weiteres noch keinen Grund dar, den Verletzungsrechtsstreit auszusetzen. Die Patenterteilung ist auch für die (Verletzungs-) Gerichte bindend. Wegen der gesetzlichen Regelung, die für die Ansprüche nach §§ 139 ff. PatG lediglich ein in Kraft stehendes Patent verlangt und für die Beseitigung dieser Rechtsposition nur die in die ausschließliche Zuständigkeit des Patentgerichts fallende Nichtigkeitsklage bzw. den Einspruch vor dem jeweiligen Patentamt zur Verfügung stellt, kann der Angriff gegen das Klagepatent nicht als Einwand im Verletzungsverfahren geführt werden. Jedoch darf dies nicht dazu führen, dass diesem Angriff jede Auswirkung auf das Verletzungsverfahren versagt wird. Die Aussetzung des Verletzungsstreits im Rahmen der nach § 148 ZPO zu treffenden Ermessensentscheidung ist vielmehr grundsätzlich, aber auch nur dann geboten, wenn mit hinreichender Wahrscheinlichkeit zu erwarten ist, dass das Klagepatent der erhobenen Nichtigkeitsklage oder dem erhobenen Einspruch nicht standhalten wird (BGH, GRUR 2014, 1237, 1238 – Kurznachrichten; OLG Düsseldorf, Urteil vom 11.06.2015 – Az. 2 U 64/14, S. 29 f.).
  307. Orientiert an diesem Maßstab lässt es das Vorbringen der Beklagten nicht hinreichend wahrscheinlich erscheinen, dass das Klagepatent unter dem Gesichtspunkt fehlender Neuheit oder fehlender erfinderischer Tätigkeit für nichtig erklärt wird, Art. 138 Abs. 1 lit. a), Art. 54, Art. 56 EPÜ.
  308. 2.
    Die technische Lehre des Klagepatents wird in dem durch die Beklagten vorgelegten Stand der Technik nicht neuheitsschädlich offenbart.
  309. Eine Entgegenhaltung ist dann neuheitsschädlich, wenn sich die gesamte als Erfindung beanspruchte Lehre des Klagepatents aus dieser Schrift, deren Gesamtinhalt zu ermitteln ist, für den Fachmann am Prioritätstag in einer Weise ergibt, dass ihm die dort vorgestellte technische Lösung unmittelbar und eindeutig sämtliche Merkmale der Erfindung offenbart (BGH, GRUR 2009, 382, Rn. 25 – Olanzapin). Dabei beschränkt sich die technische Lehre bei Patentschriften nicht auf den Inhalt der Ansprüche, sondern schließt die gesamte technische Information ein, die ein Durchschnittsfachmann Ansprüchen, Beschreibung und Abbildung entnehmen kann (a. a. O.).
  310. Die Beklagten berufen sich im Hinblick auf eine neuheitsschädliche Vorwegnahme auf das EP 1 289 XXX B1 (im Folgenden: K10; die Druckschrift ist als Anlage K10 zur Anlage B (B) 3 Aktenbestandteil).
  311. Im Hinblick auf diese Entgegenhaltung lässt sich jedoch eine eindeutige und unmittelbare Offenbarung des Merkmals 7.1 (Merkmal P7 / Merkmale 6.2.1, 6.2.1.1 und 6.2.1.2) nicht feststellen.
  312. a)
    Bei der näher benannten Druckschrift handelt es sich gem. Art. 54 Abs. 3 EPÜ um vorbekannten Technikstand. Zwar ist die Veröffentlichung des Hinweises der Erteilung der K10 erst im Jahre 2004, mithin nach dem hier gem. Art. 54 Abs. 2, Art. 89 EPÜ maßgeblichen Zeitpunkt (31.10.2001) erfolgt. Die Patentanmeldung, die sich inhaltlich nicht von der erteilten Patentschrift unterscheidet, ist jedoch bereits am 30.05.2001 angemeldet worden.
  313. b)
    Die K10 offenbart ausweislich des Hauptanspruchs 1 eine Steuervorrichtung eines Motofahrzeugs, das ein näher beschriebenes automatisches Stufenschaltgetriebe besitzt. Die geschützte Steuervorrichtung weist – wie sich aus dem Anspruchswortlaut weiter ergibt – Betätigungsmittel auf, die mit Eingriffsmitteln zusammenwirken, um – wie auch das hiesige Klagepatent – eine Unterbrechung der Drehmomentübertragung zwischen Motor und Rädern (= „Freilauf“) derart herbeizuführen, dass ein Zahnrad von seiner Welle entriegelt wird, so dass es nicht mehr mit einem synchronisierten Zahnrad kämmt (Abs. [0008]). Die Steuereinheit der nach der Entgegenhaltung geschützten Steuervorrichtung leitet die Aktivierung der Freilauffunktion aufgrund von Eingabesignalen, welche ein Nullgas darstellen, ein.
  314. Die Entgegenhaltung enthält in Abschnitt [0015] eigens eine Definition dessen, was als Nullgas zu verstehen ist, die wie folgt lautet:
  315. „(…) when the driver or the cruise control no longer requests either any fuel (zero throttle) (…).“ (Abs. [0015] der englischen Originalversion, Anlage HE-A 1).
  316. Der Regelungsmechanismus verlangt mithin technische Daten, die von einer Messgröße oder einem Zustand abgeleitet sind, und denen sich eine Information darüber entnehmen lässt, dass kein Kraftstoff abgerufen wird. Die Definition benennt zunächst den „klassischen“ Fall, der dafür steht, dass Kraftstoff nicht angefordert wird, nämlich denjenigen, in welchem der Fahrer das Gaspedal nicht betätigt. Als weitere Messgröße in diesem Zusammenhang kommt weiter auch die Stellung der Drosselklappe (geschlossen) in Betracht. Definitionsgemäß erfolgt sodann eine Erweiterung auf solche Fälle, in denen die Kraftstoffanforderung durch eine elektronische Einheit (Geschwindigkeitsregelung) ausbleibt. Damit löst sich das Klagepatent von der typischen Situation, aus der sich ergibt, dass kein Kraftstoffbedarf vorliegt, und unterstreicht so die bereits im Anspruchswortlaut angelegte Abstraktion („Eingabesignale, die ein Nullgas darstellen“; im englischen Originalwortlaut „representing a zero throttle“). Denn auch die Geschwindigkeitsregelung (insbesondere ein Tempomat) fordert nicht unmittelbar Kraftstoff an, sondern leitet aus einem Vergleich von Ist- und Soll-Geschwindigkeit eine bestimmte Drehmomentanforderung, Drosselklappenstellung oder dergleichen ab, was der Motorsteuerung mitgeteilt und dann umgesetzt wird.
  317. c)
    Bei dem so offenbarten Steuerungsmechanismus erlangt ein Fahrzustand, in dem der Kraftstoffverbrauch im Freilaufbetrieb geringer ist als bei einer Übertragung von Drehmoment keine Bedeutung. Insbesondere kann nicht angenommen werden, dass Eingabesignale in Form eines Nullgases stets einen solchen Fahrzustand beschreiben. Denn das Ausbleiben einer Kraftstoffanforderung (= „Nullgas“) geht nicht zwingend mit einer Fahrsituation einher, bei welcher es kraftstoffsparender ist, das Fahrzeug im Freilauf zu betreiben. Etwas anderes ergibt sich auch nicht daraus, dass die Entgegenhaltung in Abschnitt (Abs. [0003]) davon ausgeht, dass mit der Aktivierung der Freilauffunktion (durch ein Nullgas-Eingabesignal) stets eine Kraftstoffersparnis einhergeht,
  318. „The automatic gearbox constructed from planetary gears usually has one-way engaging means between the planetary gear stages, which, when the engine is driving in the automatic transmission position, lock for torque transmission from the engine to the driving wheels but, when torque transmission takes place in the opposite direction, that is to say with zero throttle and the vehicle in motion, disengage an allow the vehicle to roll freely without engine braking, which results in lower consumption by utilizing the motive energy of the vehicle than if the engine remains engaged and brakes.“ (Abs. [0003] Anlage K10 zur Anlage B (B) 3; Hervorhebung diesseits).
  319. Denn die Entgegenhaltung geht orientiert an dem zitierten Passus davon aus, dass das Fahrzeug bei Betrieb außerhalb des Freilaufs durch die Motorbremse abgebremst wird. Das aber ist nicht die Betrachtungsweise des Klagepatents, wonach Bezugspunkt für den Kraftstoffverbrauch außerhalb des Freilaufs derjenige Verbrauch ist, der sich ergibt, wenn das Fahrzeug im Betriebszustand ohne Freilauf auf dieselbe Geschwindigkeit gebracht werden soll, die es bei aktiviertem Freilauf erreicht (dazu unter Ziff. II., 2. lit. a)).
  320. Schließlich ist mit der aus der K10 in Bezug genommenen Offenbarungsstelle auch eine Fahrsituation nach Merkmal 9.1 (Merkmal P10(i) / Merkmal (i)) nicht eindeutig und unmittelbar offenlegt. Das Greifen der Motorbremse bei Nullgas – wie es die Passage beschreibt – führt nämlich wie Abschnitt [0029],
  321. „Das Fahrzeug wird dann trotz einer bestimmten Motorbremswirkung […] und ungeachtet dessen, dass das Gaspedal nicht betätigt wird, beschleunigen.“,
  322. zeigt – nach der Vorstellung des Klagepatents nicht zwingend dazu, dass das Fahrzeug im Betrieb außerhalb des Freilaufs als verzögernd zu erachten ist. Das heißt die Eingangssignale in Form eines Nullgases können auch eine Fahrsituation anzeigen, auf die gerade nicht zutrifft, dass der Kraftstoffverbrauch im Freilauf im Sinne des Klagepatents geringer ist. Dann aber fehlt es an Eingangssignalen, die eine Fahrsituation nach Merkmal 9.1 (Merkmal P10(i) / Merkmal (i)) beschreiben.
  323. 3.
    Der geschützten Lehre fehlt es auch nicht an einer erfinderischen Tätigkeit.
  324. Eine Erfindung gilt nach Art. 56 EPÜ als auf einer erfinderischen Tätigkeit beruhend, wenn sie sich für den Fachmann nicht in naheliegender Weise aus dem Stand der Technik ergibt. Es ist deshalb zu fragen, ob ein über durchschnittliche Kenntnisse und Fähigkeiten verfügender Fachmann, wie er auf dem technischen Gebiet der Erfindung in einschlägig tätigen Unternehmen am Prioritätstag typischerweise mit Entwicklungsaufgaben betraut wurde und dem unterstellt wird, dass ihm der gesamte am Prioritätstag öffentlich zugängliche Stand der Technik bei seiner Entwicklungsarbeit zur Verfügung stand, in der Lage gewesen wäre, den Gegenstand der Erfindung aufzufinden, ohne eine das durchschnittliche Wissen und Können einschließlich etwaiger Routineversuche übersteigende Leistung erbringen zu müssen (OLG Braunschweig, GRUR-RR 2012, 97, 98). Welche Mühe es macht, den Stand der Technik aufzufinden oder heranzuziehen, ist unbeachtlich (OLG Braunschweig, GRUR-RR 2012, 97, 98).
  325. Um das Begehen eines von den bisher beschrittenen Wegen abweichenden Lösungsweges nicht nur als möglich, sondern dem Fachmann nahegelegt anzusehen, bedarf es daher – abgesehen von denjenigen Fällen, in denen für den Fachmann auf der Hand liegt, was zu tun ist – in der Regel zusätzlicher, über die Erkennbarkeit des technischen Problems hinausreichender Anstöße, Anregungen, Hinweise oder sonstiger Anlässe dafür, die Lösung des technischen Problems auf dem Weg der Erfindung zu suchen (BGH, GRUR 2009, 746, 748 – Betrieb einer Sicherheitseinrichtung; BGH, GRUR 2012, 378, 379 – Installiereinrichtung II).
  326. Hiervon ausgehend vermag die Kammer nicht mit einer für eine Aussetzung erforderlichen Wahrscheinlichkeit davon auszugehen, dass die von den Beklagten eingeführten Kombinationen von Druckschriften die Lehre des Klagepatents nahelegen.
  327. Zu den Kombinationen im Einzelnen:
  328. a)
    Die durch das Klagepatent geschützte Lehre ergibt sich nicht mit der für eine Aussetzung erforderlichen Wahrscheinlichkeit in naheliegender Weise aus einer Kombination der US 5,984,828 (im Folgenden K11; die Druckschrift ist als Anlage K11 zur Anlage B (B) 3 Aktenbestandteil) mit dem allgemeinen Fachwissen, wie es sich aus dem Aufsatz „S“ von R(Anlage K8 zur Anlage B (B) 3) ergibt.
  329. Unbeschadet dessen, dass schon ein Anlass für die Kombination der genannten Offenbarungen nicht erkennbar ist, verbleiben bei der Kammer einer Aussetzung entgegenstehende Zweifel, dass der Fachmann in naheliegender Art und Weise zu einem Steuerungsmechanismus wie von Merkmalsgruppe 7 (Merkmal P7 / Merkmalsgruppe 6.2) vorgesehen gelangt, insbesondere, dass Eingangssignale vorliegen, die einen festgelegten Fahrzustand anzeigen, bei dem der Treibstoffverbrauch optimal gering ist (Merkmal 7.1/ Merkmal P7 / Merkmale 6.2.1, 6.2.1.1 und 6.2.1.2).
  330. Die Beklagten verweisen insoweit auf die K11 und hier insbesondere darauf, dass der Freilauf nach der hier in Rede stehenden Entgegenhaltung entweder derart aktiviert werden könne, dass der Fahrer einen Neutralknopf 52 drücken oder er die Kupplung betätigen könne (K11, Sp. 4, Z. 59 – 65). Insoweit kann die Kammer jedoch nicht erkennen, durch welche Bedingung die Freilauffunktion ausgelöst wird. Nach dem Offenbarungsgehalt der Entgegenhaltung wird die Aktivierung des Freilaufs in das Belieben des Fachmannes gestellt,
  331. „In some instance, the driver would like the vehicle to coast.“ (K11, Sp. 4, Z. 59, 60).
  332. Soweit die Beklagten auf den Passus verweisen,
  333. „Alternatively the system controller 32 automatically moves the transmission 14 into neutral when the driver manually operates the clutch 18 to allow the vehicle to coast.“ (K12, Sp. 5, Z. 53 – 55),
  334. gibt dieser für eine eindeutige und unmittelbare Offenbarung des Merkmals 7.1 (Merkmal P7 / Merkmale 6.2.1, 6.2.1.1 und 6.2.1.2) nichts her, weil der konkrete Steuerungsmechanismus nicht offengelegt wird.
  335. Auch der Offenbarungsgehalt in Spalte 5, Zeile 25, der „im Zusammenhang mit dem Freilauf“ beschreibe, dass das Getriebe eine Gangschaltstrategie wählen könne, um einen optimal niedrigen Kraftstoffverbrauch zu erreichen, zeigt Merkmal 7.1. (Merkmal P7 / Merkmale 6.2.1, 6.2.1.1 und 6.2.1.2) des Klagepatents nicht eindeutig und unmittelbar. Insoweit ist zunächst zu berücksichtigen, dass der zitierte Passus in einem Zusammenhang mit dem Deaktivieren der Freilauffunktion steht („After the vehicle has been moved into neutral and the driver later desires to cease coasting, (…)“; K10, Sp. 5, Z. 12, 13), und auch im Übrigen keinen konkreten Steuerungsmechanismus erwähnt.
  336. b)
    Die geschützte Lehre ist auch nicht durch eine Kombination der K11 mit der EP 0 008 XXX A1 (im Folgenden: K12; die Druckschrift ist als Anlage K12 zur Anlage B (B) 3 Aktenbestandteil) nahegelegt.
  337. Auch insoweit fehlt es bereits an Vortrag dazu, was den Fachmann zu einer Kombination der Druckschriften veranlassen könnte. Unbeschadet dessen vermag die Kammer aber auch der K12 jedenfalls eine Offenbarung des Merkmals 7.1 (Merkmal P7 / Merkmale 6.2.1, 6.2.1.1 und 6.2.1.2) nicht eindeutig und unmittelbar zu entnehmen.
  338. Die Beklagten nehmen darauf Bezug, dass die K12 einen Computer bzw. eine Steuereinheit 14 vorsehe, um den Kraftstoffverbrauch zu minimieren (K12, S. 11, Z. 15 – 19). Die Aktivierung der Neutralstellung durch einen festgelegten Fahrzustand ergebe sich aus Seite 13, Spalte 7 – 18, der Offenbarung des sog. „pulse and glide“-Verfahren. Dabei handelt es sich um eine Steuerung gemäß derer zunächst ein Impuls in Form einer kurzzeitigen Fahrt mit Vollgas und im Anschluss daran eine Freilauffunktion aktiviert wird.
  339. In diesem Zusammenhang bleibt jedoch unklar, inwiefern in die Aktivierung des Freilaufs Informationen über einen Fahrzustand einfließen, in welchem der Kraftstoffverbrauch optimal gering ist. Zwar wird von einem Vergleich eines „aktuellen Wertes S“ und eines „späteren Wertes S“ gesprochen (K12, S. 13, Z. 11, 12), unklar ist jedoch, was diese Werte widerspiegeln.
  340. c)
    Auch soweit die Beklagten gegen eine erfinderische Tätigkeit eine Kombination der US 5 335 XXX (im Folgenden: K18; die Druckschrift ist als Anlage K18 zur Anlage B (B) 3 Aktenbestandteil) mit dem allgemeinen Fachwissen, wie durch die K8 belegt, vorbringen, rechtfertigt dies eine Aussetzung der Verhandlung nicht.
  341. Auch insoweit kann eine eindeutige und unmittelbare Offenbarung des Merkmals 7.1 (Merkmal P7 / Merkmale 6.2.1, 6.2.1.1 und 6.2.1.2) nicht angenommen werden, und ist ein Anlass zur Kombination nicht ersichtlich.
  342. Die Beklagten zitieren im Hinblick auf eine Offenbarung des Merkmals 7.1 (Merkmal P7 / Merkmale 6.2.1, 6.2.1.1 und 6.2.1.2) Spalte 6, Zeilen 21 – 28 der K18,
  343. „Klauenkupplungen 60, 62 und 64 sind Dreistellungskupplungen, da sie, wie dargestellt, in der zentrierten, nicht eingerückten Position oder in einer vollständig rechts- oder vollständig links eingerückten Position mittels Stellglied 70 positioniert werden können. Wie allgemein bekannt, ist nur eine der Kupplungen 60, 62 und 62 zu einem bestimmten Zeitpunkt einrastbar, und es sind Mittel zur Verriegelung des Hauptteils (nicht dargestellt) vorgesehen, um die anderen Kupplungen im neutralen Zustand zu verriegeln.“,
  344. woraus sich jedoch keine Anhaltspunkte für den genauen Steuerungsmechanismus zur Aktivierung der Freilauffunktion entnehmen lassen.
  345. VI.
    Die Kostenentscheidung ergeht nach §§ 92 Abs. 2 Nr. 1, 100 Abs. 1 ZPO, die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit hat ihre Grundlage – soweit die Kostenentscheidung betroffen ist – in § 709 Satz 1, 2 ZPO, im Übrigen in § 709 Satz 1 ZPO.
  346. VII.
    Eine Wiedereröffnung der mündlichen Verhandlung gem. § 156 Abs. 1 ZPO ist nicht veranlasst. Eine Beurteilung der Verhältnismäßigkeit/ Unverhältnismäßigkeit des Rückrufs- und Vernichtungsanspruchs ist – wie ausgeführt – aufgrund des Vorbringens bis zum Schluss der mündlichen Verhandlung möglich, ohne dass es auf den Vortrag der Klägerin aus dem ihr nachgelassenen Schriftsatz vom 21.09.2020 bzw. dem Vortrag der Beklagten in dem nicht nachgelassenen Schriftsatz vom 08.10.2020 ankommt. Das gilt insbesondere auch insoweit als die Beklagten auch mit ihrem letzten Schriftsatz nicht hinreichend dartun, welche Softwarelösung ihren Abnehmern als Alternative zum Rückruf des Stufenschaltgetriebes angeboten werden könnte. Insoweit bleibt der Vortrag weiterhin unsubstantiiert. Der weitere nicht nachgelassene Schriftsatz der Klägerin vom 15.10.2020 vermag daher ebensowenig eine Wiedereröffnung der Verhandlung zu rechtfertigen.
  347. VIII.
    Der Streitwert wird gem. § 51 Abs. 1 GKG auf EUR 1.000.000 festgesetzt.

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