4a O 55/19 – Kinderroller

Düsseldorfer Entscheidungen Nr. 3051

Landgericht Düsseldorf

Urteil vom 15. September 2020, Az. 4a O 55/19
Die Beklagten werden verurteilt,
1.
es bei Meidung eines für jeden Fall der Zuwiderhandlung vom Gericht festzusetzenden Ordnungsgeldes bis zu 250.000,00 EUR – ersatzweise Ordnungshaft – oder einer Ordnungshaft bis zu 6 Monaten, im Fall wiederholter Zuwiderhandlung bis zu insgesamt 2 Jahren, wobei die Ordnungshaft im Falle der Beklagten zu 1) an deren Geschäftsführerin zu vollstrecken ist,
zu unterlassen
einen Roller, aufweisend eine Deckanordnung, die einen Pedalabschnitt, einen hinteren Abschnitt und einen vorderen Abschnitt aufweist, wobei der hintere und der vordere Abschnitt an zwei entgegengesetzten Enden des Pedalabschnitts angeordnet sind, wobei der hintere Abschnitt mit einem Hinterrad drehbar verbunden ist, wobei der vordere Abschnitt mit einer Radachse drehbar verbunden ist, wobei ein Paar Vorderräder mit zwei entgegengesetzten Enden der Radachse drehbar verbunden sind, wobei der vordere Abschnitt einen ersten Gleitschlitz aufweist, wobei die Radachse eine Eingriffsausnehmung aufweist, wobei ein Eingriffselement in dem ersten Gleitschlitz derart gleitend aufgenommen ist, dass es wahlweise zwischen einer ersten und einer zweiten Position mit der Eingriffsausnehmung in Eingriff steht, und wobei die Radachse in der ersten Position in Bezug auf den vorderen Abschnitt festgelegt ist und eine Lenkstange, die an dem zu dem vorderen Abschnitt benachbarten Ende der Deckanordnung montiert ist,
in der Bundesrepublik Deutschland herzustellen, anzubieten, in Verkehr zu bringen oder zu gebrauchen oder zu den genannten Zwecken einzuführen oder zu besitzen,
2.
dem Kläger darüber Auskunft zu erteilen, in welchem Umfang die Beklagten die zu Ziffer I.1 bezeichneten Handlungen seit dem 2. Juni 2013 begangen haben, und zwar unter Angabe
der Namen und Anschriften der Hersteller, der Lieferanten und anderer Vorbesitzer, der gewerblichen Abnehmer oder Auftraggeber sowie unter Angabe der Mengen der ausgelieferten, erhaltenen oder bestellten Erzeugnisse sowie der bezahlten Preise,
wobei die Beklagten zum Nachweis der Angaben die entsprechenden Einkaufs- und Verkaufsbelege (Rechnungen hilfsweise Lieferscheine) in Kopie vorzulegen haben, wobei Daten, auf die sich die geschuldete Auskunft und Rechnungslegung nicht bezieht und hinsichtlich derer ein berechtigtes Geheimhaltungsinteresse der Beklagten besteht, abgedeckt oder geschwärzt sein können
3.
dem Kläger durch ein vollständiges und geordnetes Verzeichnis darüber Rechnung zu legen, in welchem Umfang die Beklagten die zu 1. bezeichneten Handlungen seit dem 2. Juni 2013 begangen haben, und zwar unter Angabe
a)
der einzelnen Lieferungen, aufgeschlüsselt nach Liefermengen, -zeiten und -preisen (und ggf. Typenbezeichnungen) sowie der Namen und Anschriften der Abnehmer einschließlich der Verkaufsstellen, für welche die Erzeugnisse bestimmt waren,
b)
der einzelnen Angebote, aufgeschlüsselt nach Angebotsmengen, -zeiten und -preise (und ggf. Typenbezeichnungen) sowie den Namen und Anschriften der Angebotsempfänger,
c)
der betriebenen Werbung, aufgeschlüsselt nach Werbeträgern, deren Auflagenhöhe, Verbreitungszeitraum und Verbreitungsgebiet,
d)
der nach den einzelnen Kostenfaktoren aufgeschlüsselten Gestehungskosten und des erzielten Gewinns,
wobei den Beklagten vorbehalten bleibt,

  1. die Namen und Anschriften ihrer nichtgewerblichen Abnehmer sowie der Angebotsempfänger statt der Kläger einem von diesem zu bezeichnenden, ihr gegenüber zur Verschwiegenheit verpflichteten, vereidigten Wirtschaftsprüfer mit Sitz in der Bundesrepublik Deutschland mitzuteilen, sofern die Beklagten dessen Kosten tragen und ihn berechtigen und verpflichten, dem Kläger auf konkrete Anfrage mitzuteilen, ob ein bestimmter nichtgewerblicher Abnehmer oder Angebotsempfänger in der Rechnung enthalten ist.
  2. II.
    Es wird festgestellt, dass die Beklagten gesamtschuldnerisch verpflichtet sind, dem Kläger allen Schaden zu ersetzen, der ihm durch die zu I. 1. bezeichneten Handlungen entstanden ist und noch entstehen wird, die die Beklagten seit dem 2. Juni 2013 begangen haben.
    III.
    Die Beklagte zu 1. wird weiter verurteilt, die in ihrem unmittelbaren oder mittelbaren Besitz und/oder Eigentum befindlichen, unter oben I.1. fallende Roller auf eigene Kosten zu vernichten oder nach ihrer Wahl an einen von ihr zu benennenden Treuhänder zum Zwecke der Vernichtung auf ihre – der Beklagten – Kosten herauszugeben.
    IV.
    Die Beklagte zu 1. wird weiter verurteilt, die unter Ziffer I. 1. beschriebenen, in den Besitz Dritter gelangten und dort befindlichen Roller, aus den Vertriebswegen zurückzurufen, indem diejenigen Dritten, denen durch die Beklagte zu 1. oder mit deren Zustimmung Besitz an den Erzeugnissen eingeräumt wurde, unter Hinweis darauf, dass die Kammer mit dem hiesigen Urteil auf eine Verletzung des Klagegebrauchsmusters DE 20 2013 XX XXX.8 erkannt hat, ernsthaft aufgefordert werden, die Erzeugnisse an die Beklagte zu 1. zurückzugeben, und den Dritten für den Fall der Rückgabe der Erzeugnisse eine Rückzahlung des gegebenenfalls bereits gezahlten Kaufpreises sowie die Übernahme der Kosten der Rückgabe zugesagt wird, sowie
    endgültig zu entfernen, indem die Beklagte zu 1. die erfolgreich zurückgerufenen Erzeugnisse wieder an sich nimmt oder die Vernichtung derselben beim jeweiligen Besitzer veranlasst;
    V.
    die Beklagten werden verurteilt, als Gesamtschuldner an den Kläger eine weitere Summe von EUR 5.797,10 nebst Zinsen in Höhe von 5 %-Punkten über dem Basiszinssatz seit dem 16. August 2019 zu zahlen und werden weiter verurteilt, als Gesamtschuldner an den Kläger eine weitere Summe von EUR 139,30 nebst Zinsen in Höhe von 5 %-Punkten über dem Basiszinssatz seit dem 16. August 2019 zu zahlen.
    VI.
    Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
    VII.
    Die Kosten des Rechtsstreits werden den Beklagten auferlegt.
    VIII.
    Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar gegen Sicherheitsleistung in Höhe von EUR 250.000,00. Darüber hinaus werden folgende Teilsicherheiten festgesetzt:
    Die Ansprüche auf Unterlassung, Vernichtung und Rückruf (Ziff. I.1, III. und IV. des Tenors) sind gemeinsam gesondert vorläufig vollstreckbar gegen Sicherheitsleistung in Höhe von EUR 190.000,00.
    Die Ansprüche auf Auskunft und Rechnungslegung (Ziff. I.2 und I.3 des Tenors) sind gemeinsam gesondert vorläufig vollstreckbar gegen Sicherheitsleistung in Höhe von EUR 25.000,00.
    Die Kostengrundentscheidung ist gesondert vorläufig vollstreckbar gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 115 % des jeweils zu vollstreckenden Betrags.
  3. Tatbestand
  4. Der Kläger nimmt die Beklagten wegen Verletzung des Gebrauchsmusters DE 20 2013 100 XXX U1 (Anlage LR 8; nachfolgend: Klagegebrauchsmuster) auf Unterlassung, Auskunft, Rechnungslegung, Vernichtung, Rückruf und Entfernung aus den Vertriebswegen, Feststellung der Schadensersatzpflicht sowie Erstattung der Abmahnkosten und der für den Testkauf entstandenen Kosten in Anspruch.
  5. Der Kläger ist Inhaber des Klagegebrauchsmusters, das am 28. Januar 2013 angemeldet und am 11. März 2013 eingetragen wurde. Seine Bekanntmachung erfolgte am 2. Mai 2013. Das Klagegebrauchsmuster steht in Kraft.
  6. Das Klagegebrauchsmuster betrifft einen Roller.
  7. Der vom Kläger geltend gemachte Anspruch 1 lautet wie folgt:
  8. „Roller (10), aufweisend:
  9. eine Deckanordnung (20), die einen Pedalabschnitt (23), einen hinteren Abschnitt (24) und vorderen Abschnitt (25) aufweist,
  10. wobei der hintere und der vordere Abschnitt (24, 25) an zwei entgegengesetzten Enden des Pedalabschnitts angeordnet sind, wobei der hintere Abschnitt (24) mit einem Hinterrad (241) drehbar verbunden ist, wobei der vordere Abschnitt (25) mit einer Radachse (26) drehbar verbunden ist, wobei ein Paar Vorderräder mit zwei entgegensetzten Enden der Radachse (26) drehbar verbunden sind, wobei der vordere Abschnitt (25) einen ersten Gleitschlitz (258) aufweist, wobei die Radachse (26) eine Eingriffsausnehmung (265) aufweist, wobei ein Eingriffselement in dem ersten Gleitschlitz (258) derart gleitend aufgenommen worden ist, dass es wahlweise zwischen einer ersten und einer zweiten Position mit der Eingriffsausnehmung (265) in Eingriff steht, und wobei die Radachse (26) in der ersten Position in Bezug auf den vorderen Abschnitt (25) festgelegt ist, und
  11. eine Lenkstange (30), die an dem zu dem vorderen Abschnitt (25) benachbarten Ende der Deckanordnung (20) montiert ist.“
  12. Die nachfolgend leicht verkleinert abgebildete Figur 2 ist der Klagegebrauchsmusterschrift entnommen und zeigt eine perspektivische Explosionsteilansicht eines Rollers gemäß der Erfindung.
    Die Beklagte zu 1) ist die Vertriebs- und Logistikgesellschaft und die 100%-ige Tochtergesellschaft der B mit Sitz in C, die Roller und Dreiräder für Kinder herstellt. Die Beklagte zu 2) ist die Geschäftsführerin der Beklagten zu 1). Die Beklagte zu 1) vertreibt in Deutschland unter anderem das Kinderrollermodell „D“ (nachfolgend: angegriffene Ausführungsform).
  13. Die nachstehend eingeblendeten Abbildungen sind der Klageschrift entnommen und zeigen die angegriffene Ausführungsform unter anderem im teilweise auseinandergebauten Zustand, sowie den vorderen Abschnitt der angegriffenen Ausführungsform und den Verbau von silbernen, zylinderförmigen Arretierstiften. Die Beschriftungen stammen vom Kläger.
  14. Die Abbildung 2 zeigt den vorderen Abschnitt der angegriffenen Ausführungsform mit zwei runden Bohrungen/Öffnungen, die zwei silberne, zylinderförmige Stifte aufnehmen können. Die silbernen, zylinderförmigen Arretierstifte sind in dem Teilbereich, mit dem sie in die Bohrungen/Öffnungen gesteckt werden, mit einem Federelement umgeben. Die Arretierstifte können durch Verdrehen des T-artigen Schalters auf dem vorderen Abschnitt des Rollers in den Bohrungen versenkt werden (vgl. Abbildung 1). Die Abbildung 3 zeigt die Arretierstifte in einer ersten Position (links), bei der sie aus der Öffnung hervorstehen, und in einer zweiten Position (rechts), bei der sie in der Öffnung versenkt sind. In Abbildung 4 ist gezeigt, wie die Arretierstifte mit zwei kleinen Öffnungen der Radachse in der ersten Position (links) in Eingriff stehen, so dass die Radachse fixiert ist, und in der zweiten Position (rechts) nicht mit ihr in Eingriff stehen, so dass die Radachse verschwenkbar ist.
  15. Im Jahr 2017 führten die Patentanwälte der Beklagten bereits mit dem (…)n Patentamt Korrespondenz über eine Berechtigunganfrage an die E, wobei die Patentanwälte der Beklagten im Namen der Muttergesellschaft tätig wurden. Im Jahr 2018 wandten sich die klägerischen Patentanwälte erfolglos mit einer Berechtigungsanfrage an die Vertreter der Muttergesellschaft (vgl. Anlage LR 5).
  16. Der Kläger führte daraufhin zwei Testkäufe bei den Unternehmen „F“ und „G“ durch (Anlagen LR 11, 12) und erwarb die angegriffene Ausführungsform. Sodann mahnte er die Beklagte zu 1) mit Schreiben vom 25. Februar 2019 (Anlage LR 6) ab, welche die Abmahnung mit Schreiben vom 22. März 2019 (Anlage LR 7) als unberechtigt zurückwies.
    Der Kläger ist der Auffassung, die angegriffene Ausführungsform verletze das Klagepatent wortsinngemäß.
  17. Der erfindungsgemäße Gleitschlitz solle lediglich ein Gleiten ermöglichen und zur gleitenden Aufnahme eines Eingriffselementes dienen. Er sei nicht mit einer Nut gleichzusetzen. Da erst der Unteranspruch 2 eine radiale Verschiebbarkeit des Eingriffselementes konstatiere, stelle ein Gleitschlitz auch eine Öffnung dar, die für eine axiale Verschiebbarkeit geeignet sei. Die ovale Form werde dem Fachmann in Unteranspruch 9 lediglich als eine weitere, einschränkende Ausführungsform der Erfindung vorgestellt. Der Begriff der Bohrung werde in einem vollkommen anderen Zusammenhang in der Klagegebrauchsmusterschrift verwendet. Der Anspruch 1 erfasse auch Alternativen wie eine axiale oder tangentiale Gleitbewegung. Der Begriff „horizontal“ komme in der Gebrauchsmusterschrift nicht vor.
  18. Die Eingriffsausnehmung müsse lediglich geeignet sein, ein Eingriffselement aufzunehmen. Andere Anforderungen stelle der Anspruch nicht.
  19. Die angegriffene Ausführungsform verfüge über zwei runde Gleitschlitze, welche die silbernen Arretierstifte als Eingriffselemente aufnähmen, die in den Schlitzen in axialer Richtung beweglich seien. In der ersten Position stehe das Eingriffselement mit der Eingriffsausnehmung in Eingriff, so dass – insoweit unstreitig – die Radachse in Bezug auf die Deckanordnung fixiert ist und in der zweiten Position bestehe kein Eingriff, so dass die Radachse gegenüber der Deckanordnung verschwenkbar ist. Die Arretierstifte würden von den runden Öffnungen gleitend aufgenommen, so dass sie wahlweise zwischen einer ersten und einer zweiten Position mit der Eingriffsausnehmung in Eingriff stünden. Bei den Öffnungen handele es sich um Durchgangsbohrungen, die Gleitschlitze mit offenen Enden darstellten.
  20. Hilfsweise liege eine äquivalente Verletzung vor, weil die kreisförmige Öffnung, eine kreisförmige Eingriffsausnehmung und axiale Gleitbewegung gleichwirkende Austauschmittel darstellten, die für den Fachmann auch ohne weiteres auffindbar gewesen seien, weil es sich um bekannte Lösungen handelte, um zwei Teile je nach Bedarf gegeneinander zu fixieren, und sie sich an dem im Anspruch zum Ausdruck kommenden Lösungsgedanken der Fixierung von Radachse und Deckanordnung orientierten.
  21. Der Kläger meint ferner, das Klagegebrauchsmuster sei schutzfähig. Das Verletzungsgericht sei im vorliegenden Fall auch an das Ergebnis des Rechercheberichts des DPMA (Anlage LR 13) gebunden, weil die Entgegenhaltung DE 100 36 XXX A1 (Anlage B1; nachfolgend: DE XXX) bereits recherchiert und seitens des DPMA nicht als neuheitsschädlich eingestuft worden sei. Die DE XXX offenbare nicht alle Merkmale des Klagegebrauchsmusteranspruchs 1. Ferner seien in (…) auf die gleiche Erfindung ein Patent und in der VRC ein Gebrauchsmuster erteilt worden. Beides seien ebenfalls Belege für die Schutzfähigkeit des Klagegebrauchsmusters.
  22. Die Kosten der Patentanwälte (vgl. Anlage LR 17) seien bereits als Vorschuss und die Kosten der Prozessbevollmächtigten (vgl. Anlage LR 18) seien ebenfalls gezahlt worden.
  23. Nachdem der Kläger zunächst nur Anträge im Hinblick auf Unterlassung, Auskunft auch hinsichtlich der Hersteller sowie Rechnungslegung, Rückruf, Vernichtung, Feststellung der Schadensersatzpflicht und Erstattung der außergerichtlichen Abmahnkosten geltend gemacht hat, beantragt er nunmehr,
  24. I.
    die Beklagten zu verurteilen,
    1.a)
    es bei Meidung eines für jeden Fall der Zuwiderhandlung vom Gericht festzusetzenden Ordnungsgeldes bis zu 250.000,00 EUR – ersatzweise Ordnungshaft – oder einer Ordnungshaft bis zu 6 Monaten, im Fall wiederholter Zuwiderhandlung bis zu insgesamt 2 Jahren, wobei die Ordnungshaft im Falle der Beklagten zu 1) an deren Geschäftsführerin zu vollstrecken ist,
    zu unterlassen
    einen Roller, aufweisend eine Deckanordnung, die einen Pedalabschnitt, einen hinteren Abschnitt und einen vorderen Abschnitt aufweist, wobei der hintere und der vordere Abschnitt an zwei entgegengesetzten Enden des Pedalabschnitts angeordnet sind, wobei der hintere Abschnitt mit einem Hinterrad drehbar verbunden ist, wobei der vordere Abschnitt mit einer Radachse drehbar verbunden ist, wobei ein Paar Vorderräder mit zwei entgegengesetzten Enden der Radachse drehbar verbunden sind, wobei der vordere Abschnitt einen ersten Gleitschlitz aufweist, wobei die Radachse eine Eingriffsausnehmung aufweist, wobei ein Eingriffselement in dem ersten Gleitschlitz derart gleitend aufgenommen ist, dass es wahlweise zwischen einer ersten und einer zweiten Position mit der Eingriffsausnehmung in Eingriff steht, und wobei die Radachse in der ersten Position in Bezug auf den vorderen Abschnitt festgelegt ist und eine Lenkstange, die an dem zu dem vorderen Abschnitt benachbarten Ende der Deckanordnung montiert ist,
    in der Bundesrepublik Deutschland herzustellen, anzubieten. In Verkehr zu bringen oder zu gebrauchen oder zu den genannten Zwecken einzuführen oder zu besitzen,
    1.b)
    hilfsweise,
    für den Fall, dass die Kammer nicht auf wortsinngemäße Verletzung erkennt,
    es bei Meidung eines für jeden Fall der Zuwiderhandlung vom Gericht festzusetzenden Ordnungsgeldes bis zu 250.000,00 EUR – ersatzweise Ordnungshaft – oder einer Ordnungshaft bis zu 6 Monaten, im Fall wiederholter Zuwiderhandlung bis zu insgesamt 2 Jahren, wobei die Ordnungshaft im Falle der Beklagten zu 1) an deren Geschäftsführerin zu vollstrecken ist,
    zu unterlassen
    einen Roller, aufweisend eine Deckanordnung, die einen Pedalabschnitt, einen hinteren Abschnitt und einen vorderen Abschnitt aufweist, wobei der hintere und der vordere Abschnitt an zwei entgegengesetzten Enden des Pedalabschnitts angeordnet sind, wobei der hintere Abschnitt mit einem Hinterrad drehbar verbunden ist, wobei der vordere Abschnitt mit einer Radachse drehbar verbunden ist, wobei ein Paar Vorderräder mit zwei entgegengesetzten Enden der Radachse drehbar verbunden sind, wobei der vordere Abschnitt einen ersten Gleitschlitz aufweist, der als runde Bohrung ausgeführt ist, in der eine axiale Bewegung eines Eingriffselements möglich ist, wobei die Radachse eine runde Eingriffsausnehmung aufweist, wobei ein zylindrisches Eingriffselement in dem ersten Gleitschlitz derart gleitend aufgenommen ist, dass es in axialer Richtung beweglich ist und wahlweise zwischen einer ersten und einer zweiten Position mit der Eingriffsausnehmung in Eingriff steht, und wobei die Radachse in der ersten Position in Bezug auf den vorderen Abschnitt festgelegt ist und eine Lenkstange, die an dem zu dem vorderen Abschnitt benachbarten Ende der Deckanordnung montiert ist,
    in der Bundesrepublik Deutschland herzustellen, anzubieten, in Verkehr zu bringen oder zu gebrauchen oder zu den genannten Zwecken einzuführen oder zu besitzen,
    2.
    dem Kläger darüber Auskunft zu erteilen, in welchem Umfang die Beklagten die zu Ziffer I.1 bezeichneten Handlungen seit dem 2. Juni 2013 begangen haben, und zwar unter Angabe
    der Namen und Anschriften der Hersteller, der Lieferanten und anderer Vorbesitzer, der gewerblichen Abnehmer oder Auftraggeber sowie unter Angabe der Mengen der ausgelieferten, erhaltenen oder bestellten Erzeugnisse sowie der bezahlten Preise,
    wobei die Beklagten zum Nachweis der Angaben die entsprechenden Einkaufs- und Verkaufsbelege (Rechnungen hilfsweise Lieferscheine) in Kopie vorzulegen haben, wobei Daten, auf die sich die geschuldete Auskunft und Rechnungslegung nicht bezieht und hinsichtlich derer ein berechtigtes Geheimhaltungsinteresse der Beklagten besteht, abgedeckt oder geschwärzt sein können,
    3.
    dem Kläger durch ein vollständiges und geordnetes Verzeichnis darüber Rechnung zu legen, in welchem Umfang die Beklagten die zu 1. bezeichneten Handlungen seit dem 2. Juni 2013 begangen haben, und zwar unter Angabe
    a) der einzelnen Lieferungen, aufgeschlüsselt nach Liefermengen, -zeiten und -preisen (und ggf. Typenbezeichnungen) sowie der Namen und Anschriften der Abnehmer einschließlich der Verkaufsstellen, für welche die Erzeugnisse bestimmt waren,
    b) der einzelnen Angebote, aufgeschlüsselt nach Angebotsmengen, -zeiten und -preise (und ggf. Typenbezeichnungen) sowie den Namen und Anschriften der Angebotsempfänger,
    c) der betriebenen Werbung, aufgeschlüsselt nach Werbeträgern, deren Auflagenhöhe, Verbreitungszeitraum und Verbreitungsgebiet,
    d) der nach den einzelnen Kostenfaktoren aufgeschlüsselten Gestehungskosten und des erzielten Gewinns,
    wobei den Beklagten vorbehalten bleibt,
  25. die Namen und Anschriften ihrer nichtgewerblichen Abnehmer sowie der Angebotsempfänger statt der Kläger einem von diesem zu bezeichnenden, ihr gegenüber zur Verschwiegenheit verpflichteten, vereidigten Wirtschaftsprüfer mit Sitz in der Bundesrepublik Deutschland mitzuteilen, sofern die Beklagten dessen Kosten tragen und ihn berechtigen und verpflichten, den Kläger auf konkrete Anfrage mitzuteilen, ob ein bestimmter nichtgewerblicher Abnehmer oder Angebotsempfänger in der Rechnung enthalten ist.
  26. II.
    Es wird festgestellt, dass die Beklagten gesamtschuldnerisch verpflichtet sind, dem Kläger allen Schaden zu ersetzen, der ihm durch die zu I. 1. bezeichneten Handlungen entstanden ist und noch entstehen wird, die die Beklagten seit dem 2. Juni 2013 begangen haben.
    III.
    Die Beklagte zu 1. wird weiter verurteilt, die in ihrem unmittelbaren oder mittelbaren Besitz und/oder Eigentum befindlichen, unter oben I.1. fallende Roller auf eigene Kosten zu vernichten oder nach ihrer Wahl an einen von ihr zu benennenden Treuhänder zum Zwecke der Vernichtung auf ihre – der Beklagten – Kosten herauszugeben.
    IV.
    Die Beklagte zu 1. weiter zu verurteilen, die unter Ziffer I. 1. beschriebenen, in den Besitz Dritter gelangten und dort befindlichen Roller, aus den Vertriebswegen zurückzurufen, indem diejenigen Dritten, denen durch die Beklagte zu 1. oder mit deren Zustimmung Besitz an den Erzeugnissen eingeräumt wurde, unter Hinweis darauf, dass die Kammer mit dem hiesigen Urteil auf eine Verletzung des Klagegebrauchsmusters DE 20 2013 100 XXX.8 erkannt hat, ernsthaft aufgefordert werden, die Erzeugnisse an die Beklagte zu 1. zurückzugeben, und den Dritten für den Fall der Rückgabe der Erzeugnisse eine Rückzahlung des gegebenenfalls bereits gezahlten Kaufpreises sowie die Übernahme der Kosten der Rückgabe zugesagt wird, sowie
    endgültig zu entfernen, indem die Beklagte zu 1. die erfolgreich zurückgerufenen Erzeugnisse wieder an sich nimmt oder die Vernichtung derselben beim jeweiligen Besitzer veranlasst;
    V.
    die Beklagten zu verurteilen, als Gesamtschuldner an den Kläger eine weitere Summe von 5.897,80 EUR nebst Zinsen in Höhe von 5 %-Punkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen sowie die Beklagten weiter zu verurteilen, als Gesamtschuldner an den Kläger eine weitere Summe von 139,30 EUR nebst Zinsen in Höhe von 5 %-Punkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen.
  27. Die Beklagten beantragen,
  28. die Klage abzuweisen.
  29. Die Beklagten erklären sich mit Nichtwissen zu der Zahlung der außergerichtlichen Kosten seitens des Klägers.
  30. Sie sind weiter der Auffassung, dass die angegriffene Ausführungsform das Klagegebrauchsmuster nicht verletze.
  31. Das Klagegebrauchsmuster verstehe den Begriff des Gleitschlitzes technisch als eine Nut im Sinne einer länglichen Vertiefung, die als Führungslager in radialer und horizontaler Hinsicht diene. Es unterscheide diesen von einer einfachen Bohrung oder einer Durchgangsbohrung, die als Öffnung bezeichnet werde. In Absatz [0022] heiße es zudem, dass der erste Gleitschlitz in einer ovalen Form ausgebildet „ist“. Es werde auch keine andere Form genannt. Dem Fachmann sei bei der Auslegung des Begriffes der Eingriffsausnehmung ferner bewusst, wie sich das Eingriffselement in dem Gleitschlitz bewege, der ein horizontales Gleiten ermögliche. Die Eingriffsausnehmung müsse dergestalt ausgebildet sein, dass es das horizontal gleitende Eingriffselement von dem Gleitschlitz aufnehmen könne also als geöffnete Hälfte eines Schlitzes.
  32. Die Klagegebrauchsmusterschrift beschreibe die Bewegungsebene nicht nur durch die ovale Form, sondern auch durch die beschriebene Kinematik von zwei Gleitschlitzen, die parallel zueinander seien und derart ausgebildet, um ausschließlich eine Bewegung zu erlauben, die dieser Parallelität entspreche. Eine andere als eine horizontale Gleitbewegung sei in der gesamten Klagegebrauchsmusterschrift nicht beschrieben. Die Gleitbewegung in Bezug auf die Tiefe des Schlitzes sei nicht erfasst.
  33. Die angegriffene Ausführungsform verwende keinen Gleitschlitz, sondern ein kreisförmiges Loch. Ein horizontales Gleiten in Erstreckungsrichtung des Schlitzes sei offensichtlich nicht möglich. Es stehe ein runder Stift eines Federelementes mit einer kreisförmigen Öffnung in Eingriff.
  34. Auch eine äquivalente Verletzung scheide aus. Der Fachmann sei aufgrund seiner Kenntnisse nicht befähigt gewesen, die angegriffene Ausführungsform in ihrer vom Klagegebrauchsmuster abweichenden Form als gleichwirkend aufzufinden. Das Klagegebrauchsmuster gebe dem Fachmann gerade keine Anregung, von dem Eingriffselement, das in einem Gleitschlitz horizontal gleitend aufgenommen sei und in die Eingriffsausnehmung eingreife, abzuweichen oder es zu verbessern. An anderer Stelle der Klagegebrauchsmusterschrift werde im Gegenteil gerade die besondere Sicherungsfunktion des Verriegelungsmechanismusses hervorgehoben. Anstatt einer Eingriffsausnehmung zwei deckungsgleiche Durchgangsbohrungen mit zwei Arretierstiften vorzusehen habe für den Fachmann nicht nahegelegen. Dies stünde zudem im Widerspruch zur der im Klagegebrauchsmusteranspruch gezeigten Lehre, wonach eine Nut vorgesehen sei, die eine bestimmte Bewegungsrichtung vorgebe. Ferner sei dieser Mechanismus ausgewählt worden, um ein bestimmtes Spiel zwischen dem Eingriffselement und der Eingriffsausnehmung zu gewährleisten, um Messtoleranzen zwischen dem Gleitschlitz, dem Eingriffselement und der Eingriffsausnehmung zu ermöglichen, die an verschiedenen Komponenten des Rollers angeordnet seien. Demgegenüber erfordere die Ausgestaltung der angegriffenen Ausführungsform eine hohe Maßgenauigkeit.
  35. Im Übrigen erhebt die Beklagte die Einrede der Verjährung und meint, der Anspruch sei verwirkt. Es sei zudem nicht ersichtlich, wieso die Klägerin zwei Testkäufe getätigt habe.
  36. Ferner sei das Klagegebrauchsmuster nicht schutzfähig, weil es von der DE XXX und auch von der US 2,XXX,XXX (Anlage B 2) jeweils neuheitsschädlich vorweggenommen werde.
  37. Für die weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird ergänzend auf die Schriftsätze der Parteien samt Anlagen sowie auf das Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 18. August 2020 Bezug genommen.
  38. Entscheidungsgründe
  39. Die Klage ist zulässig und – mit Ausnahme eines geringfügigen Teils der geltend gemachten Abmahnkosten – begründet.
  40. A.
    Die Klage ist zulässig. Die Fassung des Auskunfts- und Rückrufbegehrens ist im Hinblick auf den Vertriebsweg hinreichend bestimmt (§ 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO). Sie entspricht gängiger Praxis in Patent- und Gebrauchsmusterverletzungsverfahren und ist nicht zu beanstanden.
  41. B.
    Die Klage hat auch in der Sache ganz überwiegend Erfolg.
  42. Die Klägerin hat Ansprüche gegen die Beklagten auf Unterlassung, Auskunft, Rechnungslegung, Rückruf, Vernichtung und Schadensersatz sowie Erstattung eines Großteils der vorgerichtlichen Anwaltskosten und der Kosten für die Testkäufe aus §§ 24 Abs. 1, Abs. 2, 24a Abs. 1, 24b Abs. 1 und Abs. 3 GebrMG, §§ 242, 259 BGB wegen Verletzung des Klagegebrauchsmusters.
  43. I.
    Die angegriffene Ausführungsform verletzt den Klagegebrauchsmusteranspruch 1 unmittelbar, da sie insbesondere über einen erfindungsgemäßen ersten Gleitschlitz am vorderen Abschnitt verfügt, in dem ein Eingriffselement gleitend aufgenommen ist (Merkmale 3.3, 4.1).
  44. 1.
    Das Klagegebrauchsmuster betrifft einen Roller, und insbesondere einen Roller, der wahlweise mit einer Lenkerfunktion versehen ist.
  45. Anders als klassische Roller sind im Stand der Technik auch sog. Kickboards bekannt, die drei Rollen mit einer Lenkstange aufweisen. Gelenkt wird durch seitliches Kippen einer Lenkstange und Gewichtsverlagerung.
  46. Das chinesische Patent Nr. 2,XXX,XXX offenbart – so das Klagegebrauchsmuster – eine Lenkungssteuereinrichtung für einen Roller mit zwei Vorderrädern, der eine vordere Lenkerstange, einen Verbindungssitz, eine Torsionsfeder, eine Verbindungsstange, einen Handgriff und einen Rahmen aufweist. Die vordere Lenkerstange weist einen hinteren und einen vorderen Abschnitt auf, wobei letzterer mit zwei Armen versehen ist, die jeweils nach unten mit einer Drehgelenkstange versehen sind. Der Verbindungssitz ist mit der Drehgelenkstange der vorderen Lenkerstange drehbar verbunden, wobei dessen vorderes Ende mit einem Verbindungsblock versehen ist, in dem eine Durchgangsöffnung angeordnet ist. Die Verbindungsstange ist mit dem Verbindungsblock drehbar verbunden und die beiden Enden der Verbindungsstange sind jeweils mit der Durchgangsöffnung versehen. Laut dem Klagegebrauchsmuster führt dementsprechend eine Neigung des Handgriffs durch einen Fahrer dazu, dass die beiden Vorderräder gleichzeitig auslenken, wodurch der Roller nach links oder rechts ausschwenken kann.
  47. Hieran kritisiert das Klagegebrauchsmuster, dass diese Lenkungsart nicht leicht ist, weil der Fahrer, um den Roller zum Ausschwenken zu neigen, sein Gewicht an dem einen Fuß abstützen müsse und den andere Fuß vom Boden wegdrücken müsse, um den Roller anzutreiben. Für Fahrer mit schlechtem Gleichgewichtssinn oder langsamen Reflexen sei die Lenkung wegen der Unfallgefahr ungeeignet.
  48. Das Klagegebrauchsmuster stellt sich daher die Aufgabe, diese Nachteile zu vermindern und/oder zu vermeiden.
  49. 2.
    Zur Lösung dieser Aufgabe schlägt das Klagegebrauchsmuster einen Roller nach dem vorliegend geltend gemachten Anspruch 1 vor, der sich wie folgt gliedern lässt:
  50. 1.
    Roller (10), der eine Deckanordnung aufweist.
  51. 2.
    Die Deckanordnung, weist auf
  52. 2.1
    einen Pedalabschnitt,
  53. 2.2
    einen hinteren Abschnitt und
  54. 2.3
    einen vorderen Abschnitt.
  55. 3.
    Der hintere und der vordere Abschnitt sind an zwei entgegengesetzten Enden des Pedalabschnitts angeordnet.
  56. 3.1.
    Der hintere Abschnitt ist mit einem Hinterrad drehbar verbunden.
  57. 3.2
    Der vordere Abschnitt ist mit einer Radachse drehbar verbunden, wobei ein Paar Vorderräder mit zwei entgegensetzten Enden der Radachse drehbar verbunden sind.
  58. 3.3
    Der vordere Abschnitt weist einen ersten Gleitschlitz auf.
  59. 4.
    Die Radachse weist eine Eingriffsausnehmung auf.
  60. 4.1.
    Ein Eingriffselement ist in dem ersten Gleitschlitz derart gleitend aufgenommen worden, dass es wahlweise zwischen einer ersten und einer zweiten Position mit der Eingriffsausnehmung in Eingriff steht.
  61. 4.2
    Die Radachse ist in der ersten Position in Bezug auf den vorderen Abschnitt festgelegt.
  62. 5.
    Eine Lenkstange ist an dem zu dem vorderen Abschnitt benachbarten Ende der Deckanordnung montiert.
  63. 3.
    Die angegriffene Ausführungsform verwirklicht die Merkmale 3.3 und 4.1 des Klagepatentanspruchs 1.
  64. Die Verwirklichung der übrigen Merkmale ist zwischen den Parteien unstreitig, so dass es dazu keiner weiteren Ausführungen bedarf. Sofern die Beklagten angeführt haben, sie hätten bislang lediglich dahinstehen lassen, ob die anderen Merkmale des Klagegebrauchsmusteranspruchs 1 verwirklicht seien, liegt in diesem Vorbringen kein Bestreiten. Der Kläger hat die Verletzung der anderen Merkmale schlüssig behauptet. Dem sind die Beklagten auch in der mündlichen Verhandlung nicht mehr mit anders lautendem Vortrag entgegengetreten.
  65. a)
    Angesichts des Streits der Parteien bedarf der Begriff des Gleitschlitzes der Auslegung. Die Schutzansprüche eines Gebrauchsmusters sind nach denselben Grundsätzen wie Patentansprüche auszulegen (vgl. BGH, GRUR 2005, 754 – werkstoffeinstückig). Die Merkmale 3.3 und 4.1 beschäftigen sich mit der Anordnung des Gleitschlitzes in der Deckanordnung des erfindungsgemäßen Rollers.
  66. aa)
    Das Klagegebrauchsmuster versteht unter einem Gleitschlitz eine längliche Vertiefung, die eine gleitende Bewegung des Eingriffselements entlang der Erstreckung des Schlitzes ermöglicht. Der Gleitschlitz ist so gestaltet, dass das Eingriffselement, welches innerhalb des Schlitzes bewegt wird, durch ihn geführt wird. Funktional soll der Gleitschlitz eine gleitende Bewegung sicherstellen.
  67. Nach dem Wortlaut des Anspruchs muss der vordere Abschnitt der Deckanordnung einen ersten Gleitschlitz aufweisen (Merkmal 3.3.), in dem ein Eingriffselement gleitend aufgenommen ist (Merkmal 4.1). Es ist explizit die Rede von einem „Schlitz“. Mit diesem Begriff verbindet der Fachmann eine konkrete räumlich-körperliche Ausgestaltung. Diese erschöpft sich entgegen der Ansicht der Beklagten zwar nicht ausschließlich in einer Nut, die als Führungslager dient, aber sie beinhaltet jedenfalls eine längliche Erstreckung. Aus der Charakterisierung als „Gleitschlitz“ wird bereits die Funktion des Schlitzes deutlich, nämlich eine Gleitbewegung von einem Punkt zu einem anderen Punkt zu ermöglichen. Diese Funktion wird in Merkmal 4.1 wieder aufgegriffen, wonach der Gleitschlitz der gleitenden Aufnahme eines Eingriffselementes dient. Das bedeutet nichts anderes, als dass der Schlitz das Eingriffselement dergestalt aufnimmt, dass es in eine bestimmte Richtung beweglich ist. Wie die Bewegung zu erfolgen hat, erfährt der Fachmann ebenfalls aus Merkmal 4.1.: Das Eingriffselement soll wahlweise zwischen einer ersten und einer zweiten Position mit der Eingriffsausnehmung der Radachse in Eingriff stehen. In beiden Positionen ist das Eingriffselement dabei in dem ersten Gleitschlitz „gleitend aufgenommen“. Der Begriff „aufnehmen“ bedeutet, dass sich das Eingriffselement innerhalb des Gleitschlitzes befindet. Dabei lässt sich dem Anspruch nicht entnehmen, dass die Aufnahme des Eingriffselementes vollständig erfolgen muss, so dass auch eine teilweise Aufnahme genügt. Der Gleitschlitz dient dazu, den Weg des Eingriffselements in die Eingriffsausnehmung der Radachse zu ermöglichen.
  68. Zuzustimmen ist dem Kläger, sofern er anführt, dass das Klagegebrauchsmuster die Form des Gleitschlitzes in Anspruch 1 nicht verbindlich vorgibt, weil die ovale Form nur in einem Ausführungsbeispiel bzw. erst als besondere Ausgestaltung im Unteranspruch 9 genannt wird (vgl. Absatz [0022] des Klagegebrauchsmusters; im Folgenden sind Absätze ohne Quellenangabe solche des Klagegebrauchsmusters; Figur 1; Unteranspruch 9). Ferner legt auch erst Unteranspruch 2 die Bewegungsrichtung des Eingriffselements fest, da erst dort in einem zusätzlichen Merkmal die radiale Verschiebbarkeit in Bezug auf den Gleitschlitz gefordert wird. Mit den Begriffen „horizontal“ oder „vertikal“ operiert die Klagegebrauchsmusterschrift nicht. Vielmehr sind die Form und die Ausrichtung des Schlitzes vollkommen in das Belieben des Fachmanns gestellt. Möglich ist daher auch eine Ausgestaltung des Gleitschlitzes, die eine axiale/vertikale Verschiebung des Eingriffselements zulässt, solange das Eingriffselement in beide möglichen Eingriffspositionen durch den Gleitschlitz gleitend bewegt werden kann.
  69. Solange in technisch-funktionaler Hinsicht die gleitende Bewegung in seiner länglichen Erstreckung sichergestellt ist, bleibt die konkrete Ausgestaltung des Schlitzes vollständig dem Fachmann überlassen. Das Eingriffselement gleitet innerhalb des Schlitzes, so dass es innerhalb seiner Dimension zwei unterschiedliche Positionen einnehmen kann. Dies wird durch das einzige in den Figuren 1 bis 12 erläuterte Ausführungsbeispiel bestätigt. Absatz [0005] enthält insoweit keinen allgemeinen Beschreibungsteil, sondern gibt im Wesentlichen nur den Anspruchswortlaut wieder. Der erste Gleitschlitz des Ausführungsbeispiels und das Eingriffselement sind in den Absätzen [0023] und [0024] näher erläutert: Danach ist das Eingriffselement in dem ersten und zweiten Gleitschlitz gleitend aufgenommen und in Bezug auf den vorderen Abschnitt radial bewegbar. Das Eingriffselement (29) besteht aus einem ersten und zweiten Gleitabschnitt (291, 292), wobei an dem ersten Gleitabschnitt (291) ein Eingriffsabschnitt (293) ausgebildet ist. Der erste Gleitabschnitt (291) ist in dem ersten Gleitschlitz (258) aufgenommen, um zu bewirken, dass das Eingriffselement (29) in Bezug auf den vorderen Abschnitt (25) gleiten kann. Wenn das Eingriffselement in der ersten Position ist, steht der Eingriffsabschnitt (293) des Eingriffselementes (29) mit der Eingriffsausnehmung (265) der Radachse in Eingriff, um zu bewirken, dass die Radachse (26) in Bezug auf den vorderen Abschnitt festgelegt ist. Wenn das Eingriffselement (29) in der zweiten Position ist, steht der Eingriffsabschnitt (293) des Eingriffselements (29) von der Eingriffsausnehmung der Radachse (26) außer Eingriff, um zu bewirken, dass die Radachse (26) in Bezug auf den vorderen Abschnitt (25) drehbar ist. Wie in den dazugehörigen Figuren 1, 2, 4 und 7 ersichtlich ist, ist der Teil des Eingriffselementes (291, 293), der in Eingriff mit der Eingriffsaufnehmung (265) kommt, vom Gleitschlitz aufgenommen.
  70. Dieses Verständnis steht auch in Einklang mit der hiesigen Rechtsprechung, wonach die gebotene funktionale Betrachtung bei räumlich-körperlich definierten Merkmalen nicht dazu führen darf, dass ihr Inhalt auf die bloße Funktion reduziert und das Merkmal in einem Sinn interpretiert wird, der mit der beanspruchten räumlich-körperlichen Ausgestaltung nicht mehr in Übereinstimmung zu bringen ist (vgl. OLG Düsseldorf, Urteil vom 12. April 2018, Az.: I-2 U 32/17; GRUR-RR 2014, 185, 188 – WC-Sitzgelenk). Denn die räumlich-körperliche Vorgabe des Schlitzes erschöpft sich in dessen länglicher Erstreckung, unerheblich in welche Richtung diese erfolgt. Weitergehende Anforderungen stellt der Fachmann an das Bauteil des Gleitschlitzes nicht.
  71. bb)
    Der Anspruch verlangt in der Merkmalsgruppe 4 sowohl „ein“ Eingriffselement als auch „einen“ ersten Gleitschlitz. Der Fachmann wird diese Angaben als Mindestangaben verstehen, so dass nicht ohne weiteres ausgeschlossen ist, dass der Roller auch über mehrere Eingriffselemente oder Gleitschlitze verfügt. Zumindest für den Gleitschlitz ist dies im Unteranspruch 6 und in dem Ausführungsbeispiel (vgl. Abs. [0023], [0025], Figur 2) auch ausdrücklich gezeigt. Gewährleistet sein muss allerdings, dass auch bei Vorliegen von jeweils einem der genannten Bauteile die Merkmalsgruppe 4 erfüllt wird. Insofern konstatiert Merkmal 4.2, dass die Radachse in der ersten Position in Bezug auf den vorderen Abschnitt festgelegt ist. Unter Festlegen versteht das Klagegebrauchsmuster eine mechanische Sperre. Denn anders als in der zweiten Position, in der die Radachse in Bezug auf den vorderen Abschnitt drehbar ist, ist die Radachse in der ersten Position festgelegt (vgl. Abs. [0024]). Das bedeutet in Abgrenzung zur zweiten Position, dass die Radachse sich nicht mehr drehen lässt und keine Lenkbewegungen zulässt. Sofern das Merkmal 4.1. bestimmt, dass die Position bereits durch ein Eingriffselement, das in einem (ersten) Gleitschlitz gleitend aufgenommen ist, erreicht wird, müssen diese Bauteile des Rollers die Radachse festlegen können, damit es sich um einen erfindungsgemäßen Roller nach Anspruch 1 handelt.
  72. b)
    Nach diesen Grundsätzen weist die angegriffene Ausführungsform einen anspruchsgemäßen Gleitschlitz auf (Merkmale 3.3, 4.1).
  73. aa)
    Die angegriffene Ausführungsform verfügt über zwei runde, kreisförmige Bohrungen/Öffnungen im vorderen Abschnitt der Deckanordnung. Bei diesen handelt es sich um den anspruchsgemäßen Gleitschlitz, da nach obiger Auslegung eine kreisförmige und axial ausgerichtete Ausgestaltung des Schlitzes nicht ausgeschlossen ist. Die silbernen, zylinderförmigen Arretierstifte stellen die Eingriffselemente dar, die in die runden Öffnungen der Radachse eingreifen und ebenfalls in die runden Öffnungen der Deckanordnung ragen.
  74. Ausweislich der Abbildungen 3 und 4 und den skizzierten Darstellungen des Gleitschlitzes und des Eingriffselements im Querschnitt (Bl. 16, 111 GA) nehmen die zwei runden Bohrungen/Öffnungen die Arretierstifte gleitend auf, wobei sie in beiden Positionen in den kreisförmigen Bohrungen angeordnet sind. Wie der Kläger in der mündlichen Verhandlung darlegte, befinden sich die Arretierstifte während der gesamten Zeit innerhalb des Gleitschlitzes. In der Bewegung zur ersten Position gehen die Arretierstifte aus den Bohrungen/Öffnungen heraus in die Eingriffsausnehmungen der Radachse hinein. In der zweiten Position sind sie vollständig in den Bohrungen/Öffnungen versenkt. Auch in der ersten Position befinden sich die Arretierstifte jedoch noch teilweise in den Bohrungen/Öffnungen, so dass diese entsprechend Merkmal 4.1 gleitend aufgenommen sind. Entlang der axialen Erstreckung der Bohrung gleiten die Arretierstifte daher in den Bohrungen/Öffnungen zwischen zwei möglichen Positionen.
  75. bb)
    Der Kläger hat in der Verhandlung unwidersprochen dargelegt, dass auch einer der zylindrischen Arretierstifte allein das Trittbrett festhält. Insofern wird die erforderliche Immobilität der Achse auch mit einer Bohrung/Öffnung und einem Arretierstift erreicht.
  76. c)
    Die angegriffene Ausführungsform verwirklicht ebenfalls die Merkmale 4 und 4.1 wortsinngemäß in Bezug auf das Eingriffselement und die Eingriffsausnehmung.
  77. a)
    Die Form der Eingriffsausnehmung wird weder in Anspruch 1 noch in der Beschreibung verbindlich festgelegt. Die Eingriffsausnehmung muss so ausgestaltet sein, dass sie mit dem Eingriffselement in Eingriff stehen kann (Merkmale 4, 4.1). Andere Anforderungen stellt das Klagegebrauchsmuster nicht an die Ausnehmung. Gleiches gilt für das Eingriffselement.
  78. b)
    Bei den silbernen, zylinderförmigen Arretierstiften der angegriffenen Ausführungsform handelt es sich um Eingriffselemente (Merkmal 4.1), die in zwei Positionen mit den Öffnungen der Radachse, die anspruchsgemäße Eingriffsausnehmungen darstellen (Merkmal 4), in Eingriff bzw. nicht in Eingriff stehen können.
  79. II.
    Da es sich bei dem Klagegebrauchsmuster um ein ungeprüftes Schutzrecht handelt, hat die Kammer die Schutzfähigkeit in dem vom Kläger geltend gemachten Umfang in eigener Kompetenz zu überprüfen. Eine Stattgabe der Klage kann nur erfolgen, wenn die Kammer positiv von der Schutzfähigkeit des Anspruchs 1 überzeugt ist.
  80. Der Kläger ist insoweit darlegungs- und beweispflichtig für die Schutzfähigkeit. Seine Ansicht, die Kammer wäre an die Einschätzung des DPMA im Recherchebericht (Anlage LR 18), wonach die Entgegenhaltung DE XXX als nicht neuheitsschädlich beurteilt worden sei, gebunden, ist weder durch eine gesetzliche Grundlage noch durch entsprechende Einzelfallumstände, die eine solche Beurteilung tragen würden, gestützt. Vielmehr hat die Kammer sich wie bereits ausgeführt eine eigene Überzeugung hinsichtlich der Schutzfähigkeit zu bilden. Unbehelflich ist auch der Verweis auf die Erteilung des Patents und des Gebrauchsmusters in den USA und in der VRC, da es sich hierbei um andere Schutzrechte in anderen Rechtskreisen handelt, die andere Erteilungsvoraussetzungen haben mögen. Mehr als eine rein indizielle Bedeutung kommt auch ihnen nicht zu.
  81. Nach diesen Grundsätzen hält die Kammer den Anspruch 1 für schutzfähig.
  82. 1.
  83. Die DE XXX nimmt die Erfindung nach Anspruch 1 des Klagegebrauchsmusters nicht neuheitsschädlich vorweg. Es fehlt an einer unmittelbaren und eindeutigen Offenbarung der Merkmale 4.1. und 4.2.
  84. a)
    Die DE XXX offenbart eine Rückstelleinrichtung der Lenkung, die die Achse des gezeigten Rollers wieder in die Neutralstellung für die Geradeausfahrt verspannt (Anlage B 1, Abs. [0030]). Die Rückstelleinrichtung besteht im Wesentlichen aus der Stabfeder 8, die mittig durch eine Halterung 9 gehalten wird, die auf dem vorderen Abschnitt 1b des Hauptkörpers angebracht ist (Anlage B 1, Abs. [0031], [0032]; Figuren 2, 5). Die Halterung weist einen Schlitz 9a auf, der sich quer durch die Halterung erstreckt (Anlage B1, Absatz [0042]). Die Stabfeder 8 ist durch den Schlitz 9a hindurchgeführt. Die Feder weist an ihrem Mittelteil, der sich innerhalb der Halterung befindet, eine Verbreiterung 8c auf, die in der Halterung eingefangen ist. Dadurch wird die Stabfeder mittig fixiert und gegen seitliches Verrutschen im Schlitz 9a gesichert (Anlage B1, Absatz [0042]). Sodann offenbart die DE XXX, dass der Haltepunkt variabel sein kann. So kann die Halterung 9 ein Außengewinde aufweisen, auf das ein Einstellknopf mit Innengewinde geschraubt werden kann, so dass der Einstellknopf den Schlitz 9a teilweise abdeckt (Anlage B1, Absatz [0043]). Zwischen dem Einstellknopf 10 und der Halterung 9 bzw. der Stabfeder 8 ist eine integrierte Drehsicherung vorgesehen, die ein unbeabsichtigtes Lösen des Einstellknopfes verhindert (Anlage B1, Absatz [0044]).
  85. Die Stabfeder 8 stellt das Eingriffselement dar, das sich im Schlitz 9a (Gleitschlitz) befindet. Sie kann in verschiedene Positionen verbracht werden, so dass die Feder mehr oder weniger schwergängig gespannt wird. Damit ist aber nicht eine erste Position, in dem die Achse festgelegt bleibt (Merkmal 4.2) gezeigt, und ein zweite Position, in der die Radachse schwenkbar ist, sondern letztlich nur ein Variation von Positionen, bis zu denen die Feder verspannt werden kann und die so die Lenkkraft beeinflussen, die der Nutzer aufzuwenden hat. Ein mechanisches Sperren der Achse in einer bestimmten Position ist nicht ersichtlich. So ist nicht unmittelbar und eindeutig offenbart, dass die Radachse bei einem völligen Herabdrehen des Einstellknopfes 10 tatsächlich keine Lenkbewegung mehr zulässt und festgelegt ist. So spricht die DE XXX nur von einer Neutralstellung der Achse. Ob die Achse tatsächlich festgelegt werden kann und die Lenkbewegungen unterbunden sind, bleibt offen.
  86. b)
    Hinzu tritt, dass die Stabfederenden (Eingriffselement) an der Achse anliegen und auf einer rinnenartigen Vertiefung 4g, 4h geführt werden (Anlage B1, Absatz [0033]). Die permanente Führung der Enden in den Vertiefungen ist aber kein In-Eingriff-Stehen im Sinne des Anspruchs nach Merkmal 4.1. Denn Absatz [0023] der Klagegebrauchsmusterschrift stellt klar, dass in der zweiten Position das Eingriffselement von der Eingriffsausnehmung außer Eingriff stehen soll.
  87. 2.
    Die Entgegenhaltung US 2, XXX, XXX (Anlagen B2, B2a; nachfolgend: US XXX) offenbart nicht die Merkmale 4.2 und 5.
  88. Ausweislich der Figuren 4, 5, 6 und 14 sowie Seite 7 der Anlage B2a zeigt die US XXX einen unteren Teil einer Radachse 13, der im Inneren zwischen den beiden Seiten des Stücks 20 in umgekehrter U-Form des oberen Teils der Achsen mittels eines Königszapfen 14 gehalten wird, der durch die in der Mitte des Stücks in umgekehrter U-Form in Längsrichtung geschnittenen Schlitze und durch das in der Mitte des unteren Teils der Achsen gebohrte Loch 30 gesteckt wird. Der Zugsattelzapfen 14 wird innerhalb der beiden Schlitze, die in den hängenden Enden des Stücks in umgekehrter U-Form geschnitten sind, mit einem Splint 22 festgehalten.
  89. Es ist nicht unmittelbar und eindeutig ersichtlich, wie der Zapfen 14 als Eingriffselement die Radachse in der ersten Position in Bezug auf den vorderen Abschnitt des Trittbrettes festlegen soll (Merkmal 4.2). Der Zapfen wird zwar mit einem Splint in dem Schlitz gehalten, aber die Achse ist flexibel. So wird das Kippen des vertikalen Arms 7 durch die Gleitbewegung des Unterteils der Achsen 13 ermöglicht, das mit dem Königszapfen 14 in einem Winkel von 45 Grad in den Schlitzöffnungen 21 in das umgekehrte U-förmige Stück des Oberteils der Achsen auf- und abgleitet (Seite 8 der Anlage B2a). Nicht genügend für eine Festlegung ist eine definierte Anschlagsposition, so dass die Räder nicht mehr drehen können. Die US XXX zeigt keine Festlegung der Achse, sondern lediglich, dass der Lenkbewegung irgendwann durch einen Anschlag ein Ende gesetzt wird. Im Übrigen halten die Stahldrahtfedern 34 den unteren Teil der Achsen in einer normalen bzw. geraden Position für den Geradeauslauf des Rollers (vgl. Seite 8 der Anlage B2a). Insofern ist nicht ersichtlich, dass durch den Königszapfens eine normale Position der Achse – die nicht gleichbedeutend mit der ersten Position im Sinne des Klagegebrauchsmusters ist, bei der Lenkbewegungen unterbunden werden – eingestellt wird.
  90. Daneben erscheint auch eine unmittelbare und eindeutige Offenbarung des Merkmals 5 zweifelhaft, denn danach soll die Lenkstange an dem zum vorderen Abschnitt der Deckanordnung benachbarten Ende montiert sein. Der in der US XXX offenbarte Flansch 5 befindet sich ausweislich der Figuren 1 und 2 eher auf dem vorderen Abschnitt der Deckanordnung und nicht an dessen benachbarten Ende. Die US XXX erläutert in ihrer Beschreibung (Seite 4 der Anlage B2a), dass auf und vor der Plattform ein bodenartiger Flansch 5 mit vertikalem Arm 7 angebracht ist, der mit Schrauben 6 an der Plattform befestigt ist. Auch aus der Angabe „auf oder vor“ der Plattform lässt sich keine eindeutige räumliche Eingrenzung eines benachbarten Endes erkennen.
  91. III.
  92. Die unberechtige Nutzung der Lehre des Klagegebrauchsmusteranspruchs 1 zieht die tenorierten Rechtsfolgen nach sich.
  93. 1.
  94. Der Kläger hat gegen die Beklagten dem Grunde nach einen Anspruch aus § 24 Abs. 1 und 2 GebrMG auf Unterlassung und Schadensersatz.
  95. Mit dem Vertrieb der angegriffenen Ausführungsform benutzen die Beklagten die klagegebrauchsmustergemäße Erfindung. Die Beklagte zu 2) haftet als gesetzliche Vertreterin der Beklagten zu 1), unter deren Geschäftsführung es zu den Verletzungshandlungen kommt.
  96. Die Beklagten begingen die Gebrauchsmusterverletzung ebenfalls schuldhaft. Als Fachunternehmen und dessen Geschäftsführerin hätten sie die Schutzrechtsverletzung bei Anwendung der im Geschäftsverkehr erforderlichen Sorgfalt zumindest erkennen können, § 276 BGB. Es ist weiterhin nicht unwahrscheinlich, dass dem Kläger durch die Gebrauchsmusterverletzung ein Schaden entstanden ist. Das für die Zulässigkeit des Feststellungsantrags erforderliche Feststellungsinteresse ergibt sich daraus, dass der Kläger derzeit nicht in der Lage ist, die Höhe des ihm zustehenden Schadensersatzes zu beziffern und ohne eine rechtskräftige Feststellung der Schadensersatzpflicht die Verjährung seiner Ansprüche drohen kann.
  97. 2.
    Der Kläger hat gegen die Beklagten auch Ansprüche auf Auskunft und Rechnungslegung aus § 24b Abs. 1 und 3 GebrMG und §§ 242, 259 BGB im tenorierten Umfang. Erst durch die Auskunft und Rechnungslegung wird der Kläger in die Lage versetzt, die ihm zustehenden Schadensersatzansprüche beziffern zu können. Anhaltspunkte für eine Unzumutbarkeit der Auskunftserteilung bestehen nicht.
  98. 3.
    Dem Kläger steht ebenfalls ein Anspruch auf Rückruf gegen die Beklagte zu 1) nach § 24a Abs. 2, 1. Alt. GebrMG zu. Dieser ist auch nicht unverhältnismäßig. Die bloße Behauptung ohne substantiierten Vortrag hierzu genügt nicht. Anhaltspunkte für eine Unverhältnismäßigkeit sind nicht ersichtlich.
  99. 4.
    Weiter steht dem Kläger neben dem Anspruch auf Rückruf auch ein Anspruch auf Entfernung der angegriffenen Ausführungsform aus den Vertriebswegen gemäß § 24a Abs. 2, 2. Alt. GebrMG gegen die Beklagte zu 1).
  100. Der Anspruch des Klägers gegen die Beklagte zu 1) verpflichtet letztere, alle ihr zu Verfügung stehenden und zumutbaren tatsächlichen und rechtlichen Möglichkeiten auszuschöpfen, um die weitere oder erneute Zirkulation patentverletzender Gegenstände in den Vertriebswege auszuschließen (vgl. BGH, GRUR 2017, 785, 786 – Abdichtsystem (10. ZS); GRUR 2019, 518 – Curapor (1. ZS)). Unter dem Begriff des Vertriebsweges fallen keine privaten Endverbraucher, sondern Gewerbetreibende. Sofern die Beklagte vorträgt, es gäbe Teile des Vertriebsweges, an denen sie nicht beteiligt sei, ist das angesichts des zuvor gesagten unerheblich. Der pauschale Vortrag, dass es ihr nicht möglich sei, alle Besitzer der streitgegenständlichen Roller ausfindig zu machen, genügt nicht, um eine Unverhältnismäßigkeit des Anspruchs anzunehmen. Sofern die Beklagte zu 1) damit private Abnehmer meint, ist der Anspruch von vorneherein nicht darauf gerichtet und ihre Verteidigung auch insoweit unbehelflich.
  101. 5.
    Dem Kläger steht ein Vernichtungsanspruch gem. § 24a Abs. 1 GebrMG zu, da die Beklagte zu 1) mangels anderer Anhaltspunkte Eigentum und Besitz an der angegriffenen Ausführungsform innehat. Die Beklagten haben darüber hinaus nicht substantiiert zur Unverhältnismäßigkeit des Vernichtungsanspruchs vorgetragen.
  102. 6.
    Der Kläger hat dem Grunde nach einen Anspruch auf Erstattung der Abmahnkosten, der aus § 24 Abs. 2 GebrMG folgt, jedoch nur in Höhe von EUR 5.797,10.
  103. Die Beklagten haben nach Vorlage der Rechnungen ihr Bestreiten mit Nichtwissen nicht mehr aufrechterhalten. Der Kläger hat insoweit vorgetragen, dass die mit Rechnung des Patentanwaltes von 25. Juni 2020, sowie mit Rechnungen vom 21. März 2019 und 7. Juni 2019 (Anlagenkonvolut LR 13 bis LR 18) gestellten Honorarforderungen seiner Prozessbevollmächtigten bereits vom ihm beglichen wurden. Zwar ergibt sich aus den Kostennoten des Rechtsanwaltes nicht, dass die Rechnung für Leistungen an den Kläger gestellt wurde und alle drei Rechnungen weisen andere Beträge aus. Da der dahingehende pauschale schriftsätzliche Vortrag des Klägers, damit seien die Leistungen abgerechnet worden, vom Beklagte nicht mehr bestritten worden ist, ist er indes als zugestanden anzusehen (§ 138 Abs. 3 ZPO). Allerdings hat der Patentanwalt lediglich Abmahnkosten in Höhe von € 2.848,90 in Rechnung gestellt, so dass die Erstattung auf diese Höhe beschränkt ist und eine weitergehende Erstattung nicht stattfindet.
  104. Aus der Abmahnung vom 25. Februar 2019 ergibt sich die Forderung in Höhe von EUR 5.897,80 für zwei angesetzte Geschäftsgebühren in Höhe von 1,3 für den Rechts- und Patentanwalt. Hiervon sind lediglich EUR 5.797,10 zu erstatten. Bei der Berechnung der Geschäftsgebühr aus EUR 250.000,00 beläuft sich eine 1,3 Geschäftsgebühr auf EUR 2.928,20. Da sowohl für Rechts- und Patentanwalt die außergerichtlichen Abmahnkosten geltend gemacht werden können (vgl. BGH, GRUR 2011, 662 – Patentstreitsache), beläuft sich die Summe der zu erstattenden Kosten daher insgesamt auf EUR 5.797,10 (= EUR 2.928,20 (Geschäftsgebühr RA) + EUR 20,00 (Auslagenpauschale RA) + EUR 2.848,90 (abgerechnete Abmahnkosten PA)).
  105. 7.
    Der Kläger hat einen Anspruch auf Zahlung der Testkaufkosten in tenorierter Höhe als Schadensersatz gem. § 24 Abs. 2 GebrMG dem Grunde nach gegen die Beklagten.
  106. a)
    Auch wenn der Kläger die Testkaufkosten grundsätzlich als ein Teil seines prozessualen Kostenanspruchs nach §§ 91 ff ZPO geltend machen kann (vgl. OLG Düsseldorf, NJOZ 2009, 486; Cepl/Voß/Rüting, 2. Aufl., § 91 ZPO Rn. 166 m.w.N.), ist es ihm wegen der insoweit ungewissen Rechtslage nicht verwehrt, adäquat verursachte Rechtsverfolgungskosten, die aus seiner Sicht zur Wahrnehmung und Durchsetzung seiner Rechte erforderlich und zweckmäßig waren, bereits im Erkenntnisverfahren geltend zu machen (vgl. (zum Markenrecht) BGH, GRUR 2017, 1160, 1166 – BretarisGenuair; NJW 2004, 444, 446). Dieser Grundsatz findet auch im Gebrauchsmusterrecht entsprechende Anwendung.
  107. b)
    Auf den Einwand der Beklagten, warum zwei Testkäufe erforderlich gewesen sein, hat der Kläger in der mündlichen Verhandlung dargelegt, dass er das Ausmaß der Verletzungshandlungen abschätzen wollte und insofern sowohl das stationäre Angebot bei G (Anlage LR 11) als auch das Online-Angebot bei F (Anlage LR 12) überprüft habe. Ein solches Vorgehen war jedenfalls zweckmäßig und ein unverhältnismäßiges Produzieren von Kosten ist angesichts der Wertigkeit des Produktes nicht zu erkennen. Nachdem der Beklagte diesem Vortrag auch nicht mehr anderweitig entgegengetreten ist und der Kläger mit seinem Antrag auf Zahlung von € 139,30 unter den Kosten bleibt, die er durch die beiden Rechnungen in Höhe von € 75,78 (Anlage LR 11) und € 89,99 (Anlage LR 12) belegt hat, war dem Antrag insgesamt zu entsprechen.
  108. 8.
    Die Ansprüche sind auch nicht verjährt. Gem. § 24f S. 1 GebrMG gelten die Verjährungsvorschriften des BGB, so dass die regelmäßige Verjährung nach § 199 Abs. 1 BGB greift. Der Kläger hat im Juni 2017 von der angegriffenen Ausführungsform und deren Herstellung durch die (…) Mutter Kenntnis gehabt bzw. dort angefragt und im Juni 2019 Klage gegen die Beklagten erhoben. Selbst wenn man die Kenntnis hinsichtlich der Tätigkeit der Muttergesellschaft bereits für die Beklagten ausreichen ließe, wären die Ansprüche nicht verjährt.
  109. 9.
    Für eine Verwirkung haben die Beklagten nicht ansatzweise hinreichend substantiiert zum Zeitmoment und vor allem nicht zum Umstandsmoment vorgetragen. Eine Verwirkung der Ansprüche scheidet mithin aus.
  110. IV.
    Einer Schriftsatzfrist für den Kläger im Hinblick auf die Entgegenhaltung US XXX bedurfte es nicht, da der Kläger in der mündlichen Verhandlung Gelegenheit hatte, sich ausführlich zu der Entgegenhaltung zu äußern und dazu auch in der Lage war.
    Der nicht nachgelassene Schriftsatz der Beklagten vom 7. September 2020 gab keinen Anlass zur Wiedereröffnung (§§ 296a, 154 ZPO) und fand keine Berücksichtigung bei der Entscheidung.
  111. V.
  112. Die Kostenentscheidung richtet sich nach §§ 92 Abs. 1, Abs. 2 Nr. 1, 269 Abs. 3 S. 2 ZPO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 709 ZPO, wobei auf Antrag Teilsicherheiten auszusprechen waren (vgl. § 108 ZPO).
  113. VI.
  114. Der Streitwert wird auf EUR 250.000,00 festgesetzt.

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