Düsseldorfer Entscheidungen Nr. 3047
Landgericht Düsseldorf
Urteil vom 15. September 2020, Az. 4a O 58/19
- I. Die Klage wird abgewiesen.
- II. Auf die Widerklage wird die Klägerin verurteilt, an die Beklagte EUR 12.570,70 zuzüglich Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz ab dem 14.01.2020 zu zahlen.
- III. Im Übrigen wird die Widerklage abgewiesen.
- IV. Die Kosten des Rechtsstreits trägt die Klägerin.
- V. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 115 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages.
- Tatbestand
- Die Klägerin nimmt die Beklagte wegen behaupteter unmittelbarer Patentverletzung auf Unterlassung, Auskunft und Rechnungslegung, Rückruf patentverletzender Erzeugnisse sowie auf Feststellung der Pflicht zum Leisten von Schadensersatz dem Grunde nach in Anspruch.
- Widerklagend verlangt die Beklagte Erstattung (Zahlung) vorgerichtlicher Anwaltskosten für die Abwehr einer Abmahnung der Klägerin sowie für die Aussprache einer Gegenabmahnung.
- Die Klägerin ist die im Register des Deutschen Patent- und Markenamts (vgl. den Registerauszug in Anlage K2) eingetragene Inhaberin des deutschen Teils des Europäischen Patents EP 2 878 XXX B1 (nachfolgend: Klagepatent; vorgelegt in Anlage K1). Das in deutscher Verfahrenssprache erteilte Klagepatent wurde am 28.11.2014 unter Inanspruchnahme der Priorität der DE 10 2013 XXX 166 vom 28.11.2013 und der DE 10 2014 XXX 165 vom 21.05.2014 angemeldet. Das Europäische Patentamt veröffentlichte am 15.02.2017 den Hinweis auf die Erteilung des Klagepatents.
- Das Klagepatent steht in Kraft. In einem Einspruchsverfahren ist das Klagepatent von der Einspruchsabteilung des Europäischen Patentamts am 07.05.2019 in eingeschränkter Form aufrechterhalten worden. Die Entscheidung der Einspruchsabteilung ist in Anlage K3 vorgelegt worden.
- Die jeweils einzeln geltend gemachten Ansprüche 1 und 2 des Klagepatents lauten in der ursprünglich erteilten Fassung:
- „1. Scheibenverbund (1), der wenigstens zwei parallel oder nicht-parallel zueinander verlaufende Scheiben (2) umfasst,
- dadurch gekennzeichnet, dass die Scheiben (2) in einem Randbereich (3) des Scheibenverbunds (1) zumindest abschnittsweise ausschließlich mit Hilfe eines transparent ausgehärteten Klebers verbunden sind.“
- „2. Scheibenverbund (1) gemäß dem vorangegangenen Anspruch, dadurch gekennzeichnet, dass der Scheibenverbund (1) im Bereich wenigstens zweier Eckbereiche eine zwischen den Scheiben (2) angeordnete Verstärkung (5) zur Anbindung an einen Träger (6) aufweist, wobei die Verstärkungen (5) beispielsweise jeweils wenigstens eine von außen zugängliche Vertiefung (7) und/oder einen von außen zugänglichen Bolzen aufweisen, über die der Scheibenverbund (1) mit dem Träger (6) verbindbar ist.“
- In der vorliegend geltend gemachten, von der Einspruchsabteilung aufrechterhaltenen Fassung des Klagepatents lauten die Ansprüche 1 und 2 wie folgt:
- „1. Tür, Seitenwand oder Zwischenwand für ein Warenpräsentationsmöbel (11), wobei die Tür, die Seitenwand oder die Zwischenwand als Scheibenverbund (1) ausgebildet ist, wobei der Scheibenverbund (1) wenigstens zwei parallel oder nicht-parallel zueinander verlaufende Scheiben (2) umfasst, wobei die Scheiben (2) in einem Randbereich (3) des Scheibenverbunds (1) zumindest abschnittsweise ausschließlich mit Hilfe eines transparent ausgehärteten Klebers verbunden sind,
- dadurch gekennzeichnet, dass der Scheibenverbund (1) im Bereich wenigstens zweier Eckbereiche eine zwischen den Scheiben (2) angeordnete Verstärkung (5) zur Anbindung an einen Träger (6) aufweist.“
- „2. Tür, Seitenwand oder Zwischenwand für ein Warenpräsentationsmöbel (11), wobei die Tür, die Seitenwand oder die Zwischenwand als Scheibenverbund (1) ausgebildet ist, wobei der Scheibenverbund (1) wenigstens zwei parallel oder nicht-parallel zueinander verlaufende Scheiben (2) umfasst, wobei die Scheiben (2) in einem Randbereich (3) des Scheibenverbunds (1) abschnittsweise ausschließlich mit Hilfe eines transparent ausgehärteten Klebers verbunden sind,
- dadurch gekennzeichnet, dass sich der Kleber nicht über den gesamten umfangsseitigen Randbereich des Scheibenverbunds erstreckt.“
- Zur Veranschaulichung der beanspruchten Lehre werden nachfolgend die Figuren 1 und 2 des Klagepatents verkleinert eingeblendet:
- Fig. 1 zeigt nach Abs. [0035] der Beschreibung des Klagepatents eine Frontansicht eines erfindungsgemäßen Scheibenverbunds (Bezugsziffer 1) mit zwei Schreiben (Bezugsziffer 2), während Fig. 2 eine Draufsicht des in Fig. 1 gezeigten Schreibverbunds ist.
- Die Beklagte ist ein (…) Unternehmen, das unter anderem auf dem deutschen Markt Kühlmöbel bzw. Teile für Kühlmöbel vertreibt. Nach Abmahnung durch die Klägerin gab die Beklagte zu einer Vorgängerversion der angegriffenen Ausführungsform eine strafbewehrte Unterlassungs- und Verpflichtungserklärung ab (Anlage K8).
- In der Folgezeit belieferte die Beklagte unter anderem die Firma A in Deutschland mit Türen für Warenpräsentationsmöbel mit der Bezeichnung „B“ (nachfolgend: angegriffene Ausführungsform). Die (jetzt) angegriffene Ausführungsform unterscheidet sich von der Vorgängerversion durch ein zusätzliches Kunststoffprofil (von den Parteien auch „Klemmhalterung“ oder „Kantenschutzprofil“ genannt) zwischen den Längsseiten der Scheiben. Zur Veranschaulichung des Kunststoffprofils wird nachfolgend ein Bild von S. 9 der Klageerwiderung eingeblendet, wobei die Bezeichnungen dem Vortrag der Beklagten entsprechen:
- Mit Schreiben vom 03.06.2019 (Anlage K9) mahnte die Klägerin die Beklagte aus dem Klagepatent und dem deutschen Patent DE 10 2008 010 XXX B9 (nachfolgend: Abmahnpatent; vorgelegt als Anlage B5) ab und stützte sich hierin darauf, dass die Beklagte die angegriffene Ausführungsformen nach Deutschland geliefert hat. Die Beklagte wies die Abmahnung mit Schreiben vom 24.06.2020 zurück und sprach eine Gegenabmahnung aus (vgl. Anlage K10).
- Die Klägerin meint, die angegriffene Ausführungsform verletze die beiden geltend gemachten Ansprüche des Klagepatents.
- Der von den Ansprüchen verwendete Begriff der „Verbindung“ sei dahingehend zu verstehen, dass eine Verbindung nur dann vorliegt, wenn das als Verbindung zu qualifizierende Element sowohl für die mechanische Festigkeit als auch für die Dichtigkeit der zu verbindenden Scheiben sorgt. Der Fachmann sehe ein Element dann als Verbindung an, wenn es auf Grund seiner Fähigkeit, Lasten zu übertragen, Festigkeit und darüber hinaus Dichtigkeit vermittelt.
- Dies verdeutliche ein Unteranspruch, wonach neben dem Kleber und den Verstärkungen keine weiteren Elemente zwischen den Schreiben angeordnet sein sollen. Der breitere Anspruch 1 könne daher nicht als Ausschluss von jeglichem zusätzlichen Element zwischen den Scheiben verstanden werden. Vielmehr seien nur solche Elemente vom Anspruch ausgeschlossen, die eine Verbindung im oben genannten Sinne zwischen den Scheiben herstellen.
- Die Verbindung zwischen den beiden Glasscheiben der angegriffenen Ausführungsform werde ausschließlich durch den Kleber (Kunstharz) hergestellt. Das Kunststoffprofil (von den Parteien als „Kantenschutz“ oder „Klemmhalterung“ bezeichnet) spiele hinsichtlich einer Verbindung zwischen den beiden Scheiben keine Rolle – es stelle keine patentgemäße Verbindung her. Dies zeige ein Sachverständigengutachten des C (Anlage K14).
- Die Klägerin beantragt:
- I. Die Beklagte wird verurteilt,
- 1. es bei Meidung eines für jeden Fall der Zuwiderhandlung vom Gericht festzusetzenden Ordnungsgeldes bis zu EUR 250.000,00 – ersatzweise Ordnungshaft – oder Ordnungshaft bis zu sechs Monaten, im Falle wiederholter Zuwiderhandlung bis zu insgesamt zwei Jahren, die an dem Geschäftsführer der Beklagten zu vollziehen ist,
- zu unterlassen,
- Türen, Seitenwände oder Zwischenwände für ein Warenpräsentationsmöbel, wobei die Türen, die Seitenwände oder die Zwischenwände als Scheibenverbund ausgebildet sind, wobei der Scheibenverbund wenigstens zwei parallel oder nicht-parallel zueinander verlaufende Scheiben umfasst, wobei die Scheiben in einem Randbereich des Scheibenverbunds abschnittsweise ausschließlich mit Hilfe eines transparent ausgehärteten Klebers verbunden sind
- in der Bundesrepublik Deutschland anzubieten, in Verkehr zu bringen oder zu gebrauchen oder zu den genannten Zwecken entweder einzuführen oder zu besitzen,
- wenn sich der Kleber nicht über den gesamten umfangsseitigen Randbereich des Scheibenverbunds erstreckt
(Anspruch 2 des EP 2 878 XXX); - 2. es bei Meidung eines für jeden Fall der Zuwiderhandlung vom Gericht festzusetzenden Ordnungsgeldes bis zu EUR 250.000,00 – ersatzweise Ordnungshaft – oder Ordnungshaft bis zu sechs Monaten, im Falle wiederholter Zuwiderhandlung bis zu insgesamt zwei Jahren, die an dem Geschäftsführer der Beklagten zu vollziehen ist,
- zu unterlassen,
- Türen, Seitenwände oder Zwischenwände für ein Warenpräsentationsmöbel, wobei die Türen, die Seitenwände oder die Zwischenwände als Scheibenverbund ausgebildet sind, wobei der Scheibenverbund wenigstens zwei parallel oder nicht-parallel zueinander verlaufende Scheiben umfasst, wobei die Scheiben in einem Randbereich des Scheibenverbunds zumindest abschnittsweise ausschließlich mit Hilfe eines transparent ausgehärteten Klebers verbunden sind,
- in der Bundesrepublik Deutschland anzubieten, in Verkehr zu bringen oder zu gebrauchen oder zu den genannten Zwecken entweder einzuführen oder zu besitzen,
- wenn der Scheibenverbund Im Bereich wenigstens zweier Eckbereiche eine zwischen den Scheiben angeordnete Verstärkung zur Anbindung an einen Träger aufweist
(Anspruch 1 des EP 2 878 XXX); - 3. der Klägerin darüber Auskunft zu erteilen, in welchem Umfang die Beklagte die zu Ziff. I.1. und Ziff. I.2. bezeichneten Handlungen seit dem 15.02.2017 begangen hat, und zwar unter Angabe
- a) der Namen und Anschriften der Hersteller, Lieferanten und anderer Vorbesitzer der Erzeugnisse,
- b) der Namen und Anschriften der gewerblichen Abnehmer sowie der Verkaufsstellen, für die die Erzeugnisse bestimmt waren,
- c) der Menge der ausgelieferten Erzeugnisse sowie der Preise, die für die betreffenden Erzeugnisse bezahlt wurden,
- wobei zum Nachweis der Angaben die entsprechenden Kaufbelege (Rechnungen, hilfsweise Lieferscheine) in Kopie vorzulegen sind, wobei geheimhaltungsbedürftige Details außerhalb der auskunftspflichtigen Daten geschwärzt werden dürfen;
- 4. der Klägerin darüber Rechnung zu legen, in welchem Umfang die Beklagte die zu Ziff. I.1. sowie I.2. bezeichneten Handlungen seit dem 15.03.2017 begangen hat und zwar unter Vorlage eines chronologisch geordneten Verzeichnisses und unter Angabe
- a) der einzelnen Lieferungen, aufgeschlüsselt nach Liefermengen, -zeiten und -preisen unter Einschluss der Typenbezeichnungen sowie der Namen und Anschriften der Abnehmer einschließlich der Verkaufsstellen, für welche die Erzeugnisse bestimmt waren,
- b) der einzelnen Angebote, aufgeschlüsselt nach Angebotsmengen, -zeiten und -preisen unter Einschluss der Typenbezeichnungen sowie der Namen und Anschriften der Angebotsempfänger,
- c) der betriebenen Werbung, aufgeschlüsselt nach Werbeträgern, deren Auflagenhöhe, Verbreitungszeitraum und Verbreitungsgebiet, im Falle von Internet-Werbung der jeweiligen Domain, Zugriffszahlen und Schaltungszeiträume,
- d) der nach den einzelnen Kostenfaktoren aufgeschlüsselten Gestehungskosten und des erzielten Gewinns,
- wobei der Beklagten vorbehalten bleibt, die Namen und Anschriften der nicht-gewerblichen Abnehmer und der Angebotsempfänger statt der Klägerin einem von der Klägerin zu bezeichnenden, der Klägerin gegenüber zur Verschwiegenheit verpflichteten und in der Bundesrepublik Deutschland ansässigen und vereidigten Wirtschaftsprüfer mitzuteilen, sofern die Beklagte dessen Kosten trägt und ihn ermächtigt und verpflichtet, der Klägerin auf konkrete Anfrage mitzuteilen, ob ein bestimmter Abnehmer oder Angebotsempfänger in der Aufstellung enthalten ist;
- 5. die unter Ziff. I.1 und I.2. bezeichneten, seit dem 15.02.2017 in Verkehr gebrachten Erzeugnisse gegenüber den gewerblichen Abnehmern in Deutschland unter Hinweis auf den patentverletzenden Zustand der Erzeugnisse und mit der verbindlichen Zusage zurückzurufen, etwaige Entgelte zu erstatten sowie notwendige Verpackungs- und Transportkosten sowie mit der Rückgabe verbundene Zoll- und Lagerkosten zu übernehmen und die erfolgreich zurückgerufenen Erzeugnisse wieder an sich zu nehmen.
- II. Es wird festgestellt, dass die Beklagte verpflichtet ist, der Klägerin sämtlichen Schaden zu ersetzen, der der Klägerin durch seit dem 15.03.2017 begangene Handlungen gemäß Ziff. I.1. sowie I.2. entstanden ist und noch entstehen wird.
- Ferner beantragt die Klägerin für die vorläufige Vollstreckbarkeit der Ansprüche auf Unterlassung und Rückruf einerseits und die Ansprüche auf Auskunft und Rechnungslegung andererseits sowie für die Kostengrundentscheidung Teilsicherheiten festzusetzen.
- Hilfsweise beantragt die Klägerin, ihr nachzulassen, die Zwangsvollstreckung hinsichtlich der Kosten gegen Sicherheitsleistung (Hinterlegung oder Bankbürgschaft) abzuwenden.
- Die Beklagte beantragt,
- die Klage abzuweisen.
- Die Beklagte meint, die angegriffene Ausführungsform verletzte die Lehre des Klagepatents nicht. Es fehle an Scheiben, die zumindest abschnittsweise ausschließlich mittels eines transparent ausgehärteten Klebers verbunden sind.
- Entscheidender Vorteil der patentgemäßen Lehre sei der Verzicht auf andere Verbindungselemente abgesehen von dem transparenten Kleber. Hierdurch werde das anspruchsgemäße Ziel erreicht, den Scheibenverbund in möglichst großem Umfang transparent zu gestalten und auf störende Begrenzungen zu verzichten. Ein transparenter Kleber müsse zumindest an einigen Abschnitten („abschnittsweise“) des Randbereichs vorhanden sein und an diesen Orten müssten die Scheiben nur („ausschließlich“) mittels des Klebers verbunden sein.
- Bei der patentgemäßen Verbindung spiele weder die Dichtigkeit innerhalb des Scheibenverbunds noch die Kraftübertragung eine Rolle. Dies ergebe sich schon daraus, dass der geschützte Scheibenverbund nach Abs. [0001] für beliebige Zwecke einsetzbar sein soll. Bei der Verwendung als Fenster oder Glastrennwand komme es auf Kraftübertragung und Dichtigkeit nicht an. Das Klagepatent sei auch nicht auf Isolierverglasungen beschränkt. Die Ansprüche könnten schon deshalb keine Dichtigkeit fordern, weil sie nur die Verbindung hinsichtlich eines Abschnitts vorgeben und im Übrigen die Ausgestaltung der Randfläche dem Fachmann überließen.
- Eine patentgemäße Verbindung betreffe keine lastübertragende und dichte Verbindung, sondern werde vom Fachmann als wie auch immer geartete Kopplung zwischen den Glasscheiben verstanden, die ausschließlich von einem transparent ausgehärteten Kleber gebildet werden solle. Jegliches zusätzliches Element werde vom Wortlaut der Ansprüche ausgeschlossen.
- Entgegen der Lehre des Klagepatents (vgl. Abs. [0003]) verzichte die angegriffene Ausführungsform nicht auf zusätzliche Verbindungselemente – diese seien vielmehr mit den transparenten Kunststoffprofilen an den Längsseiten vorhanden. Die Glasscheiben der angegriffenen Ausführungsformen würden ausschließlich durch die mechanische Kraft der Kunststoffprofile in ihrer Position gehalten. Das Kunstharz (Kleber) zwischen den Scheiben diene nicht der Befestigung oder Stabilisierung der Glasscheiben, sondern allein der luftdichten Abdichtung – aber nur als eine zusätzliche Absicherung, da bereits die Kunststoffprofile eine Abdichtung bewirkten. Die angegriffene Ausführungsform erreiche den vom Klagepatent angestrebten abschnittsweise transparenten Rand aufgrund des nicht vollständigen transparenten Kunststoffprofils gerade nicht.
- Eine abschnittsweise Verbindung im Klagepatent liege nicht darin, dass bei der angegriffenen Ausführungsform Stellen im Randbereich existieren, in denen der Kleber innenseitig von den Kunststoffprofilen Kontakt zu beiden Scheiben hat. Diese Stellen seien keine Abschnitte im Sinne des Klagepatents. Der Begriff „Abschnitt“ beziehe sich auf Seiten oder Abschnitte von Seiten.
- Die eingesetzten Kunststoffprofile seien von großer Bedeutung für die Funktion und Stabilität der Tür. Das von der Klägerin vorgelegte, sogenannte Gutachten des C weise schon im Ausgangspunkt gravierende formale und inhaltliche Mängel auf. Auch die aufgeführten Einzelversuche wiesen Mängel auf. Unabhängig hiervon, sei der Aufbau der Versuche von vornherein für die Beurteilung der Eigenschaften des Kunststoffprofils (Klemmhalterung) bei der angegriffenen Ausführungsform unbrauchbar.
- Mit der Widerklage macht die Beklagte Erstattung der Kosten für die Verteidigung gegen die Abmahnung vom 03.06.2019 (Anlage K9) geltend und verlangt zudem Ersatz für die Kosten der Gegenabmahnung vom 24.06.2019 (Anlage K10).
- Die Abmahnung der Klägerin sei unberechtigt in Bezug auf das Klagepatent, da dieses – wie vorstehend ausgeführt – nicht verletzt sei.
- Die Abmahnung der Klägerin sei aber auch unberechtigt, soweit sie auf das DE 10 2008 010 XXX B9 (nachfolgend: Abmahnpatent; vorgelegt in Anlage B5) gestützt war. Das Abmahnpatent werde offensichtlich von der DE 10 2007 XXX 417 (nachfolgend: DE‘417; vorgelegt in Anlage B7) neuheitsschädlich vorweggenommen. Die Beklagte behauptet, die fehlende Rechtsbeständigkeit des Abmahnpatents sei der Klägerin positiv bekannt gewesen. Das Abmahnpatent werde zudem nicht verletzt. Hierzu verweist die Beklagte auf den Vortrag im Parallelverfahren 4a O 43/20.
- Die unberechtigte Abmahnung der Klägerin sei ein Eingriff in den eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb, der eine Gegenabmahnung zu dessen Abwehr gerechtfertigt habe, da weitere Abmahnungen drohten.
- Die Beklagte hat zunächst angekündigt, widerklagend die Zahlung von EUR XXX zu beantragen, die Widerklage dann aber in der mündlichen Verhandlung vom 01.09.2020 um EUR 14,00 zurückgenommen.
- Widerklagend beantragt die Beklagte nunmehr,
- die Klägerin zu verurteilen, an die Beklagte EUR 18.468,50 zuzüglich Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz ab Rechtshängigkeit zu zahlen.
- Die Klägerin beantragt,
- die Widerklage abzuweisen.
- Hierzu trägt die Klägerin vor, die Abmahnung der Klägerin vom 03.06.2020 sei berechtigt und die Gegenabmahnung unbegründet.
- Das Klagepatent werde – wie dargelegt – verletzt, so dass die Abmahnung insoweit berechtig war.
- Die Abmahnung sei aber auch berechtigt, soweit sie auf das Abmahnpatent gestützt ist. Es sei nicht nachvollziehbar, warum das Abmahnpatent nicht verletzt sein sollte. Insofern verweist die Kläger auf das Verfahren 4a O 43/20.
- Bei dem Abmahnpatent handelt es sich um ein erteiltes Schutzrecht, das nach wie vor in Kraft steht; die Klägerin habe auf die Erteilung vertrauen dürfen. Der Rechtsbestand können ohne Rechtsbestandsangriff nicht zum Gegenstand des Verletzungsverfahrens gemacht werden.
- Die Widerklage ist der Klägerin am 13.01.2020 zugestellt worden.
- Für die weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird ergänzend auf die ausgetauschten Schriftsätze samt Anlagen sowie auf das Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 01.09.2020 Bezug genommen.
- Entscheidungsgründe
- Die zulässige Klage ist unbegründet (hierzu unter A.). Die zulässige Widerklage ist teilweise begründet, im Übrigen unbegründet (hierzu unter B.).
- A.
Der Klägerin stehen gegen die Beklagte die geltend gemachten Ansprüche aus Art. 64 EPÜ i.V.m. §§ 139 Abs. 1, Abs. 2, 140a Abs. 3, 140b PatG, §§ 242, 259 BGB nicht zu, da die angegriffene Ausführungsform nicht die Lehre des Klagepatents verwirklicht. - I.
Das Klagepatent (nachfolgend entstammen Abs. ohne Quellenangabe dem Klagepatent) betrifft einen Scheibenverbund. Dieser soll als Tür, Seiten- oder Zwischenwand eines Warenpräsentationsmöbels, vorzugsweise eines Kühlmöbels, eingesetzt werden können (Abs. [0001]). - In seiner einleitenden Beschreibung erwähnt das Klagepatent lediglich, dass die DE 10 2011 009 XXX A1 einen Scheibenverbund gemäß dem Oberbegriff des Anspruchs 1 offenbart.
- Das Klagepatent übt am Stand der Technik in der einleitenden Beschreibung keine Kritik und nennt auch keine subjektive Aufgabe. Aus Abs. [0038] entnimmt der Fachmann aber, dass im Stand der Technik Türen mit zwei verbundenen Scheiben bekannt waren. Aufgrund der erforderlichen Verbindung haben derartige Türen auch immer einen undurchsichtigen Randbereich, der bei der Präsentation von Waren als störend empfunden wird. Dies zu überwinden kann als subjektive Aufgabe des Klagepatents angesehen werden.
- II.
Das Klagepatent schlägt in den unabhängigen Ansprüchen 1 und 2 (in der geltend gemachten Fassung) jeweils eine Tür, eine Seitenwand oder eine Zwischenwand für ein Warenpräsentationsmöbel vor. Diese Ansprüche lassen sich im Rahmen von Merkmalsgliederungen wie folgt darstellen, wobei die Unterschiede zwischen den Ansprüchen durch Kursiv-Schreibweise gekennzeichnet sind: - Anspruch 1:
- 1.1 Tür, Seitenwand oder Zwischenwand eines Warenpräsentationsmöbels, die als Scheibenverbund ausgebildet ist.
- 1.2 Der Scheibenverbund umfasst wenigstens zwei parallel oder nicht parallel zueinander verlaufende Scheiben.
- 1.3 Die Scheiben sind in einem Randbereich des Scheibenverbunds zumindest abschnittsweise ausschließlich mit Hilfe eines transparent ausgehärteten Klebers verbunden.
- 1.4 Der Scheibenverbund weist im Bereich wenigstens zweier Eckbereiche eine zwischen den Scheiben angeordnete Verstärkung zur Anbindung an einen Träger auf.
- Anspruch 2:
- 2.1 Tür, Seitenwand oder Zwischenwand eines Warenpräsentationsmöbels, die als Scheibenverbund ausgebildet ist.
- 2.2 Der Scheibenverbund umfasst wenigstens zwei parallel oder nicht parallel zueinander verlaufende Scheiben.
- 2.3 Die Scheiben sind in einem Randbereich des Scheibenverbunds abschnittsweise ausschließlich mit Hilfe eines transparent ausgehärteten Klebers verbunden.
- 2.4 Der Kleber erstreckt sich nicht über den gesamten umfangsseitigen Randbereich des Scheibenverbunds.
- III.
Das Klagepatent beansprucht in den unabhängigen Ansprüchen 1 und 2 jeweils eine Tür, Seiten- oder Zwischenwand eines Warenpräsentationsmöbels (Merkmale 1.1/2.1). Die Tür etc. ist patentgemäß als Scheibenverbund mit mindestens zwei Scheiben ausgestaltet (Merkmale 1.2/2.2). Jedenfalls in Abschnitten des Randbereichs des Scheibenverbunds sind die Scheiben ausschließlich mit Hilfe eines transparent ausgehärteten Klebers verbunden (Merkmale 1.3/2.3). Durch die Verbindung mittels eines transparent ausgehärteten Klebers ist der Randbereich zumindest abschnittsweise durchsichtig, so dass jedenfalls an diesen Verbindungsabschnitten ein Durchblicken möglich ist. Hierdurch wird das im Stand der Technik bestehende Problem eines den Blick störenden undurchsichtigen Rands des Scheibenverbunds gelöst. - Anspruch 1 verlangt weiterhin, dass der Scheibenverbund im Bereich wenigstens zweier Eckbereiche eine zwischen den Scheiben angeordnete Verstärkung zur Anbindung an einen Träger aufweist (Merkmal 1.4).
- Statt dieser Vorgabe schreibt Merkmal 2.4 von Anspruch 2 vor, dass sich der Kleber nicht über den gesamten umfangsseitigen Randbereich des Scheibenverbunds erstreckt. Entsprechend sieht Merkmal 1.3 von Anspruch 1 im Gegensatz zu Merkmal 2.3 von Anspruch 2 vor, dass nur „zumindest“ abschnittsweise eine Verbindung der Scheiben mittels des Klebers möglich ist. Eine nicht vollständige Erstreckung des Klebers über den umfangsseitigen Randbereich lassen dagegen beide Ansprüche zu.
- IV.
Eine Verwirklichung der allein streitigen Merkmale 1.3 von Anspruch 1 und 2.3 von Anspruch 2 lässt sich nicht feststellen, wobei es auf den oben dargestellten Unterschied zwischen diesen Merkmalen nicht ankommt. - 1.
Die Merkmale 1.3 und 2.3, - „Die Scheiben sind in einem Randbereich des Scheibenverbunds [Merkmal 1.3: zumindest] abschnittsweise ausschließlich mit Hilfe eines transparent ausgehärteten Klebers verbunden“,
- versteht der Fachmann dahingehend, dass ein transparent ausgehärteter Kleber an einigen Abschnitten („abschnittsweise“) des Randbereichs vorhanden ist und an diesen Stellen die Scheiben nur („ausschließlich“) mittels des Klebers verbunden sind. Dies entspricht auch der Auffassung der Einspruchsabteilung in ihrer Entscheidung vom 29.08.2019 (Anlage K3, Ziff. 8.3.1 / Seite 12). Eine Verbindung ausschließlich mit Hilfe des Klebers liegt nicht vor, wenn in dem betreffenden Abschnitt andere Bauteile – in welcher Form auch immer – an der Verbindung mitwirken. Für den Begriff der Verbindung kommt es auf die Dichtigkeit nicht an.
- a)
Im Randbereich des Scheibenverbunds müssen nach den Merkmalen 1.3/2.3 Abschnitte bestehen, in denen die Verbindung zwischen den Scheiben alleine durch den Kleber hergestellt wird. - aa)
Da es dem Klagepatent auf die Durchsichtigkeit des Randbereichs ankommt, die durch die Verwendung des transparent ausgehärteten Klebers erreicht werden soll, liegt eine (abschnittsweise) ausschließliche Verbindung nur dann vor, wenn in dem betreffenden Abschnitt kein anderes Bauteil an der Verbindung mitwirkt. Auch eine Verstärkung darf aus diesem Grund nicht in den Abschnitten nach Merkmal 1.3 bzw. 2.3 eingesetzt sein. Dies entspricht dem Verständnis der Einspruchsabteilung in der Entscheidung zum Klagepatent(Anlage K3, Ziff. 8.3.1 / Seite 13): - „d2) Die Abschnitte des umfangsseitigen Randbereichs wo eine Verstärkung vorhanden ist, fallen nicht unter die Definition „ausschließlich mit Hilfe eines (…) Klebers verbunden“. Anspruch 1 erfordert es nur, dass andere Abschnitte „ausschließlich mit Hilfe eines (…) Klebers“ verbunden sind.“
- Zwar handelt es sich hierbei nicht um einen Teil der Entscheidungsgründe der beschränkten Aufrechterhaltung des Klagepatents, in dem die Abweichung von der ursprünglichen Anspruchsfassung behandelt wird, so dass die Passage als Teil der Patentbeschreibung angesehen werden könnte (OLG Düsseldorf, Urteil vom 31.10.2019 – I-15 U 65/17 – Rn. 27 bei Juris). Gleichwohl sind die Ausführungen der Einspruchsabteilung als gewichtige sachkundige Äußerungen bei der Auslegung des Klagepatents zu berücksichtigen (BGH, GRUR 1998, 895 – Regenbecken).
- bb)
Die letzte Alternative von Unteranspruch 5 in der aufrechterhaltenen Fassung des Klagepatents (der insoweit Unteranspruch 4 des ursprünglich erteilten Klagepatents entspricht) steht dem nicht entgegen: - „Tür, Seitenwand oder Zwischenwand gemäß einem der vorangegangenen Ansprüche, dadurch gekennzeichnet, (…) dass neben dem Kleber und den Verstärkungen (5) keine weiteren Elemente zwischen den Scheiben (2) angeordnet sind.“
- Es kann diesem Unteranspruch nicht entnommen werden, dass Verstärkungen in den „ausschließlich-Kleber“-Abschnitten nach Merkmal 1.3/2.3 vorhanden sein dürfen. Vielmehr ist Unteranspruch 5 in seiner letzten Alternative auf die Tür etc. insgesamt bezogen: Auch in den Abschnitten mit Verstärkungen sind nach Unteranspruch 5 außer den Verstärkungen keine weiteren Elemente zulässig.
- Hieraus lässt sich im Umkehrschluss hinsichtlich der allgemeineren Ansprüche 1 und 2 allenfalls ersehen, dass nach den Hauptansprüchen im Rahmen (insgesamt) weitere Elemente zwischen den Scheiben angeordnet werden dürfen. Dies bezieht sich aber offensichtlich nicht auf die „ausschließlich-Kleber“-Abschnitte, da zusätzliche Elemente in diesen Bereichen gemäß Merkmal 1.3 bzw. 2.3 vermieden werden müssen.
- cc)
Soweit die Klägerin in der mündlichen Verhandlung vom 01.09.2020 auf Abs. [0027] verwiesen hat, kann hiermit ein abweichendes Verständnis der Merkmale 1.3 und 2.3 nicht begründet werden. Der Fachmann bezieht Abs. [0027] nicht auf die Abschnitte, in denen die Verbindung ausschließlich durch den Kleber geschaffen wird. Vielmehr wird in Abs. [0027] die Scheibe insgesamt angesprochen, die neben „eventuell vorhandenen Verstärkungen“ auch Beleuchtungs- oder Heizelemente umfassen kann. - b)
Eine Verbindung der Scheiben – die patentgemäß abschnittsweise ausschließlich über den Kleber hergestellt werden soll – liegt vor, wenn die Scheiben zusammengehalten werden. Die Verbindung hat den Zweck, die parallel oder nicht parallel zueinander verlaufenden Scheiben in ihrer jeweiligen Position zueinander zu halten. - Unzutreffend ist die Auffassung der Klägerin, eine Verbindung liege nur dann vor, „wenn das als Verbindung zu qualifizierende Element sowohl mechanische Festigkeit als auch für die Dichtigkeit der zu verbindenden Scheiben sorgt“ (S. 3 RE = Bl. 79 GA). Die Klägerin legt schon keine Belege für ihre Auffassung vor, „Verbindung“ sei ein auch die Dichtigkeit umfassender Fachbegriff. Hierauf kommt es aber nicht entscheidend
an. Der Fachmann orientiert sich also an dem in der Patentschrift zum Ausdruck gekommenen Zweck eines Merkmals, womit der technische Sinn der in der Patentschrift benutzten Worte und Begriffe – nicht die philologische oder logisch-wissenschaftliche Begriffsbestimmung – entscheidend ist. Die Patentschrift stellt dabei gleichsam ihr eigenes Lexikon dar (BGH, GRUR 2002, 515 – Schneidmesser I; GRUR 1999, 909 – Spannschraube). Insofern kann die Bedeutung eines Fachbegriffs nicht ungeprüft für das Verständnis eines Schutzrechts herangezogen werden. - Die geltend gemachten Ansprüche liefern keinen Anhaltspunkt, dass die Verbindung zwischen den Scheiben dicht sein muss, so dass ein geschlossener Raum zwischen den Scheiben entsteht. Im Anspruchswortlaut fehlt jeder Ansatzpunkt für eine solche Sichtweise. Im Gegenteil ist die beanspruchte „Tür, Seitenwand oder Zwischenwand eines Warenpräsentationsmöbels“ nicht auf den Einsatz in Kühl- oder Gefrierschränken begrenzt, wo eine Dichtigkeit vorteilhaft ist.
- Weiterhin schreibt das Klagepatent eine Verbindung ausschließlich mittels Kleber nicht für den gesamten Randbereich zwischen den Scheiben vor, sondern nur für Abschnitte – im übrigen Randbereich muss daher keine Verbindung bestehen, sodass eine Dichtigkeit des gesamten Scheibenverbunds nicht bestehen muss. Erst recht sieht das Klagepatent keine Dichtigkeit der Verbindung oder des Randbereichs insgesamt vor.
- Dem Klagepatent kommt es auch funktional nicht auf die Schaffung einer dichten Verbindung zwischen den Scheiben an. Vielmehr dient der abschnittsweise ausschließliche Einsatz des transparent ausgehärteten Klebers alleine der Durchsehbarkeit des beanspruchten Scheibenverbunds.
- Dass der Kleber flüssigkeitsdicht ist, beschreibt das Klagepatent in den Abs. [0040] und Abs. [0042] nur für ein Ausführungsbeispiel, das die breiter formulierten Hauptansprüche nicht auf derartige Ausgestaltungen beschränken kann (BGH, GRUR 2004, 1023 – Bodenseitige Vereinzelungsvorrichtung).
- Dem Klagepatent lässt sich ebenso wenig entnehmen, dass es die Kraftübertragung zwischen den Scheiben verbessern möchte. Zwar können durch eine Verbindung zwischen den Scheiben auch Kräfte übertragen werden. Auf diesen Aspekt kommt es dem Klagepatent in Merkmal 1.3 bzw. 2.3 aber nicht an.
- c)
Ein Abschnitt ist ein Teilstück entlang des Randes der Glasscheiben. Bereits nach dem Wortlaut der Merkmale 1.3/2.3 kommt es auf einen Abschnitt eines Randbereichs an. Gemeint ist damit die Erstreckung entlang den Kanten des Scheibenverbunds, nicht senkrecht dazu. - Der „ausschließlich-Kleber“-Abschnitt muss dabei eine für die Sicht eines Kunden relevante Größe besitzen, da es dem Klagepatent auf dessen ungestörten Blick auf die Waren ankommt. Nach Abs. [0003] kann ein solcher Abschnitt beispielsweise ein Bereich einer oder mehrerer Stirn- oder Seitenbereiche eines rechteckigen Scheibenverbunds sein.
- Dagegen ist kein patentgemäßer Abschnitt vorhanden, wenn sich senkrecht zum Rand der Glasscheiben Bereiche finden, in denen die Verbindung nur durch den Kleber hergestellt wird. Dem Klagepatent kommt es auf einen abschnittsweise insgesamt durchsichtigen Rand des Scheibenverbunds an. Dies wird nicht erreicht, wenn sich im Rand andere Verbindungselemente finden. Ein Abschnitt erstreckt sich daher immer entlang des Randes der Glasscheiben.
- 2.
Auf Grundlage der vorstehenden Erwägungen lässt sich eine Verwirklichung der Merkmale 1.3 bzw. 2.3 bei der angegriffenen Ausführungsform nicht feststellen. - a)
Die Verbindung zwischen den Scheiben der angegriffenen Ausführungsform verläuft (auch nach den von der Klägerin präsentierten Bildern) jedenfalls teilweise über das Kunststoffprofil, das in den Kleber eingebracht ist. Das Kunststoffprofil hält die Scheiben nicht nur mechanisch zusammen, sondern stellt auch eine Brücke für zwei Kleberseiten dar. Zur Veranschaulichung wird nachfolgend ein Ausschnitt aus einem von der Klägerin auf S. 11 der Klageschrift (Bl. 11 GA) gezeigten Bild eingeblendet, in dem das Kunststoffprofil und die Klebemasse erkennbar sind: - Dass das Kunststoffprofil für die Verbindung funktional möglicherweise keine ausschlaggebende Bedeutung hat, ist für die Merkmalsverwirklichung unerheblich. Dies hat die Klägerin im Übrigen schon nicht dargelegt. Ihr Vortrag geht dahin, dass auch ohne das Kunststoffprofil eine Verbindung zwischen den Glasscheiben besteht. Daraus lässt sich aber nicht ableiten, dass das Kunststoffprofil – wenn es nicht entfernt wurde – nichts zu der Verbindung beiträgt. Dass es weggelassen werden kann, ändert nichts daran, dass es bei der angegriffenen Ausführungsform tatsächlich vorhanden ist.
- Ob alleine mit dem Kunststoffprofil eine ausreichend stabile Verbindung zwischen den Scheiben hergestellt werden könnte, wie die Beklagte auf S. 10 der Klageerwiderung (= Bl. 50 GA) vorträgt, kann dahingestellt bleiben. Auch wenn dies nicht der Fall sein sollte, sind die Merkmale 1.3 und 2.3 nicht verwirklicht.
- Schließlich kommt es auch nicht auf den Aspekt der Luftdichtigkeit mit oder ohne Kleber an.
- b)
Eine Merkmalsverwirklichung lässt sich auch nicht damit begründen, dass jenseits der Innenseite des Kunststoffprofils (also vom Rand des Scheibenverbunds entfernt) Bereiche existieren, in denen sich zwischen den Scheiben nur Kleber befindet (ohne Vermittlung des daneben angeordneten Kunststoffprofils). Zur Veranschaulichung wird auf das von der Beklagten auf S. 13 der Klageerwiderung (Bl. 54 GA) eingeblendete Bild verwiesen, in dem der angesprochene Bereich zwischen den eingefügten, roten Linien liegt: - Derartige Bereiche sind – wie oben dargelegt – keine Abschnitte im Sinne des Klagepatents. Patentgemäß muss sich in einem Abschnitt über die gesamte Breite des Randbereichs ausschließlich Kleber befinden. Dies ist bei der angegriffenen Ausführungsform nicht der Fall.
- c)
Auch im Übrigen sind keine Abschnitte bei der angegriffenen Ausführungsform ersichtlich, bei denen die Verbindung zwischen den Scheiben ausschließlich durch den Kleber hergestellt wird. Die Kunststoffprofile erstrecken sich an den beiden Längsseiten der angegriffenen Ausführungsform. An der Ober- und Unterseite sind wiederum jeweils Abstandshalter mit Verstärkungselemente zwischen den Scheiben vorhanden. - B.
Die zulässige Widerklage ist teilweise begründet, im Übrigen unbegründet. Die Beklagte hat Anspruch auf Erstattung der ihr für die Abwehr der Abmahnung entstandenen Rechts- und Patentanwaltskosten (hierzu unter I.). Hinsichtlich der Kosten der Gegenabmahnung hat sie dagegen keine Ansprüche (hierzu unter II.). - I.
Die Beklagte hat gegen die Klägerin einen Anspruch auf Erstattung der ihr für die Abwehr der Abmahnung entstandenen Rechts- und Patentanwaltskosten in Höhe von EUR 12.570,70 als Schadensersatz für den Eingriff in den eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb (§ 823 Abs. 1 BGB), der in der Versendung der Abmahnung lag. - 1.
Die Abmahnung der Klägerin war sowohl hinsichtlich des Klagepatents (hierzu unter a)) und des Abmahnpatents (hierzu unter b)) jeweils schuldhaft unberechtigt. - a)
Die Abmahnung der Klägerin aus dem Klagepatent war unberechtigt, da die Lehre des Klagepatents durch die angegriffene Ausführungsform nicht verwirklicht wird und somit ein materieller Mangel (vgl. Kühnen, Hdb. der Patentverletzung, 12. Aufl. 2020, Kap. C. Rn. 131) der Abmahnung besteht. Zur Begründung der fehlenden Merkmalsverwirklichung wird auf die Ausführungen zur Klage verwiesen. - Die Klägerin handelte bei der Versendung der Abmahnung hinsichtlich des Klagepatents auch schuldhaft. Bei Irrtümern über andere Voraussetzungen als den behördlich geprüften Rechtsbestand des Abmahnschutzrechts führt prinzipiell jede fahrlässige Fehleinschätzung der Rechtslage zu einem Verschulden in Form von Fahrlässigkeit (Kühnen, a.a.O., Kap. C. Rn. 145). Eine solche fahrlässige Fehleinschätzung liegt hier vor.
- b)
Aufgrund der Vernichtbarkeit des Abmahnpatents war die Abmahnung auch insoweit schuldhaft unberechtigt. - aa)
Trotz des Bestehens des Abmahnschutzrechts kann eine Abmahnung unberechtigt sein, wenn die mangelnde Rechtsbeständigkeit des angegriffenen Abmahnschutzrechts so klar und eindeutig zu Tage tritt, dass die Abmahnung letztlich die Geltendmachung einer rein formalen Rechtsposition darstellt (Kühnen, Hdb. der Patentverletzung, 12. Aufl. 2020, Kap. C Rn. 130). - Das Abmahnpatent ist offenkundig nicht rechtsbeständig. Die Beklagte trägt nachvollziehbar vor, dieses werde durch die DE 10 2007 XXX 417 (nachfolgend DE‘417; vorgelegt in Anlage B7) neuheitsschädlich vorweggenommen. Bei der DE‘417 handelt es sich um eine nachveröffentlichte Anmeldung, die Stand der Technik des Abmahnpatents nach § 3 Abs. 2 PatG ist. Die Klägerin hat auf die schlüssige Argumentation der Beklagten zur neuheitsschädlichen Vorwegnahme keine Gründe für die Rechtsbeständigkeit des Abmahnpatents vorgebracht. Zwar ist das Verletzungsgericht nicht befugt, ein Patent für nichtig zu erklären – gleichwohl ist es nicht gehindert, die (ggf. offenkundige) Rechtsbeständigkeit (implizit) festzustellen.
- Zwar ist der Rechtsbestand des Abmahnpatents nicht angegriffen (etwa durch eine Nichtigkeitsklage). Gleichwohl ist die Abmahnung, soweit sie auf dieses Schutzrecht gestützt wird, als unberechtigt anzusehen. Die Klägerin verteidigt den Rechtsbestand des Abmahnpatents nicht. Sie hat auch nach der Antwort der Beklagten auf die Abmahnung (in Form der Gegenabmahnung) nicht versucht, Rechte aus dem Abmahnpatent geltend zu machen. In dieser Situation wäre es ein nicht gerechtfertigter Formalismus, wenn man verlangen würde, dass die Beklagte eine Nichtigkeitsklage gegen das Abmahnpatent einreichen muss, um einen Schadensersatzanspruch aufgrund des unberechtigten Eingriffs in ihren eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb zu haben.
- bb)
Die Klägerin handelte bei der Abmahnung aus dem Abmahnpatent auch schuldhaft. - Ein Verschulden liegt nicht vor, wenn der Verwarner sich durch eine gewissenhafte Prüfung und aufgrund vernünftiger und billiger Überlegungen die Überzeugung verschafft hat, das Abmahnschutzrecht sei rechtsbeständig. Dagegen kann ein Verschulden vorliegen, wenn dem Verwarner nach der Erteilung weitere patentvernichtende Entgegenhaltungen bekannt geworden sind oder er sich dieser Erkenntnis in vorwerfbarer Weise verschlossen hat (Kühnen, a.a.O., Kap. C. Rn. 144).
- Dass die Klägerin den Rechtsbestand ausreichend geprüft hat, kann nicht festgestellt werden. Vielmehr durfte die Klägerin nicht auf den Erteilungsakt vertrauen, da sie den fehlenden Rechtsbestand des Abmahnpatents kennen musste. Die Entgegenhaltung DE‘417 ist nachveröffentlicht und lag damit im Erteilungsverfahren des Abmahnpatents nicht vor. Demgegenüber war der Klägerin die Existenz und der Inhalt der DE‘417 bekannt. Bei dem Erfinder und Anmelder der DE‘417 handelt es sich um einen Geschäftsführer der Klägerin, der auch Erfinder des Abmahnpatents ist. Die Klägerin hat keine Gründe vorgetragen, warum sie gleichwohl von einer Rechtsbeständigkeit ausgegangen ist. Ihr Vortrag, eine fehlende Rechtsbeständigkeit sei ihr nicht bekannt, ist insoweit nicht ausreichend.
- 2.
Gegen die von der Beklagten angesetzte Höhe von EUR 12.570,70 zur Abwehr der Abmahnung geltend gemachten Anwaltskosten bestehen keine Bedenken. Die Klägerin hat hiergegen ebenfalls nichts erinnert. - Der Betrag von EUR 12.570,70 berechnet sich aus jeweils 2 x 1,3 Geschäftsgebühren (jeweils für Rechts- und Patentanwalt) aus EUR 500.000,00 Gegenstandswert für das Klagepatent und 2 Mal 1,3 Geschäftsgebühren aus EUR 500.000,00 Gegenstandswert für das Abmahnpatent (= 4 x EUR 4.176,90) zuzüglich 2 Mal EUR 20,00 Telekommunitionspauschale. Die Beklagte hat hinsichtlich des Klagepatents eine 0,65 Verfahrensgebühr (= EUR 2.088,45) je 2 Mal angerechnet.
- 3.
Der Anspruch auf Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit der Widerklage aus den zuerkannten Betrag von EUR 12.570,70 ergibt sich aus § 291 BGB. - II.
Im Übrigen war die Widerklage als unbegründet abzuweisen. Die Beklagte hat keinen Anspruch auf Zahlung von EUR 5.897,80 für die Anwaltskosten der Gegenabmahnung (Anlage K10). - Ein Anspruch auf die Erstattung der Gegenabmahnung besteht jedenfalls deshalb nicht, weil die Anwälte für die Gegenabmahnung keine Gebühren fordern durften. Dem Geschädigten steht ein Erstattungsanspruch im Hinblick auf vorgerichtliche Rechtsanwaltskosten nur dann zu, wenn er im Innenverhältnis zur Zahlung der in Rechnung gestellten Kosten verpflichtet ist (BGH, NJW 2011, 3167 Rn. 8 m.w.N; BGH, GRUR 2019, 763 – Ermittlungen gegen Schauspielerin; Kühnen, a.a.O., Kap. C Rn. 51).
- Nach § 15 Abs. 2 RVG kann der Rechtsanwalt Gebühren in derselben Angelegenheit nur einmal fordern. Dieselbe Angelegenheit liegt bei weisungsgemäß erbrachte anwaltliche Leistungen in der Regel vor, wenn zwischen ihnen ein innerer Zusammenhang besteht und sie sowohl inhaltlich als auch in der Zielsetzung so weitgehend übereinstimmen, dass von einem einheitlichen Rahmen der anwaltlichen Tätigkeit ausgegangen werden kann (BGH, GRUR 2019, 763, 765 Rn. 17 m.w.N. – Ermittlungen gegen Schauspielerin; Kühnen, a.a.O., Kap. C. Rn. 53). Für einen einheitlichen Rahmen der anwaltlichen Tätigkeit reicht es grundsätzlich aus, wenn die verschiedenen Gegenstände in dem Sinne einheitlich vom Anwalt bearbeitet werden können, dass sie verfahrensrechtlich zusammengefasst bzw. in einem einheitlichen Vorgehen – zum Beispiel in einem einheitlichen Abmahnschreiben – geltend gemacht werden können. Ein innerer Zusammenhang zwischen den anwaltlichen Leistungen ist zu bejahen, wenn die verschiedenen Gegenstände bei objektiver Betrachtung und unter Berücksichtigung des mit der anwaltlichen Tätigkeit nach dem Inhalt des Auftrags erstrebten Erfolgs zusammen gehören (BGH, GRUR 2019, 763, 765 Rn. 17 m.w.N. – Ermittlungen gegen Schauspielerin).
- Hiernach bilden die Abwehr der Abmahnung und die Erstellung der Gegenabmahnung eine Angelegenheit. Die Tätigkeit der Anwälte mündete in einem einheitlichen Schreiben – der Gegenabmahnung (Anlage K10). Die Argumente für die Unrechtmäßigkeit der Abmahnung sind dieselben, die auch die Gegenabmahnung begründen. Dass mit der Zurückweisung der Abmahnung zugleich eine Gegenabmahnung ausgesprochen worden ist, führt nicht zum Vorliegen zweier gebührenrechtlicher Angelegenheiten.
- C.
Den Parteien waren die hilfsweise beantragten Schriftsatzfristen nach § 283 ZPO nicht einzuräumen. Diese Vorschrift ermöglicht es dem Gericht, einer Partei, die sich in der mündlichen Verhandlung auf ein Vorbringen des Gegners nicht erklären konnte, weil es ihr nicht rechtzeitig vor dem Termin mitgeteilt worden ist, auf Antrag eine Schriftsatzfrist einzuräumen. Hiernach ist den Parteien vom Gericht keine Frist eingeräumt worden. - I.
Der Klägerin war keine Frist zum Schriftsatz der Beklagten vom 25.08.2020 einzuräumen. Voraussetzung für eine Schriftsatzfrist ist, dass das Vorbringen der säumigen Partei neue Angriffs- oder Verteidigungsmittel enthält, es darf sich also nicht in der Wiederholung früheren Vorbringens oder reinen Negativerklärungen erschöpfen (Zöller/Greger, ZPO, 33. Aufl. 2020, § 283 Rn. 2a). Der Schriftsatz der Beklagten vom 25.08.2020 umfasste lediglich die Übermittlung von Anlagen, insbesondere eine Übersetzung einer schon mit der Duplik überreichten Anlage. Es ist auch nicht erkennbar, warum sich die Klägerin hierzu in der mündlichen Verhandlung vom 01.09.2020 nicht hätte äußern können. Im Übrigen war diese Anlage für die Entscheidung nicht maßgeblich. - II.
Die Beklagte hat nur einen hilfsweise Frist zur Triplik vom 24.08.2020 beantragt. Dies ist dahingehend zu verstehen, dass nur soweit sie andernfalls unterliegen würden, eine Schriftsatzfrist beantragt wird. Hinsichtlich der Patentverletzung – die alleine Gegenstand der Triplik ist – obsiegt die Beklagte jedoch. Es ist auch nicht erkennbar, warum sich die Beklagte zum Vorbringen in der Triplik in der mündlichen Verhandlung nicht hätte äußern können. - D.
Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 92 Abs. 2 Nr. 1, 269 Abs. 3 S. 2 ZPO. Die Beklagte unterliegt nur im Rahmen der Widerklage hinsichtlich der Kosten der Gegenabmahnung und zu einem sehr geringen Teil aufgrund der Klagerücknahme. - Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit folgt aus § 709 S. 1, 2 ZPO.
- Dem Vollstreckungsschutzantrag der Klägerin war nicht stattzugeben. Die Klägerin hat weder dargelegt, dass die vorläufige Vollstreckung für sie einen nicht zu ersetzenden Nachteil nach § 712 Abs. 1 ZPO bringen würde, noch hat sie dies – wie von § 714 Abs. 2 ZPO vorgeschrieben – glaubhaft gemacht.
- E.
Der Streitwert wird auf bis EUR 518.482,50 festgesetzt.