Düsseldorfer Entscheidungsnummer: 3043
Landgericht Düsseldorf
Urteil vom 15. September 2020, Az. 4a O 3/18
- I. Auf das Anerkenntnis hin wird die Klägerin verurteilt, der Beklagten Auskunft darüber zu erteilen, wann sie welche weiteren Unternehmen außer der A, der B, der C, der D und der E im Hinblick auf die mit der Klage angegriffenen Ausführungsformen F und/oder G wegen angeblicher Verletzung des Klagepatents abgemahnt hat.
- II. Auf die Widerklage hin wird die Klägerin verurteilt, an die Beklagte einen Betrag in Höhe von 44.813,60 EUR zzgl. Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 17.07.2020 zu zahlen.
- III. Auf die Widerklage hin wird festgestellt, dass die Klägerin verpflichtet ist, der Beklagten all denjenigen weiteren Schaden zu ersetzen, der der Beklagten dadurch entstanden ist und noch entstehen wird, dass die Klägerin Unternehmen im Hinblick auf die mit der Klage angegriffenen Ausführungsformen F und/oder G wegen angeblicher Patentverletzung aus dem Klagepatent abgemahnt hat.
- IV. Die Kosten des Rechtsstreits trägt die Klägerin.
- V. Das Urteil ist in Bezug auf den Tenor zu Ziffer I. vorläufig vollstreckbar und in Bezug auf den Tenor zu Ziffer II. und wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrags.
- Tatbestand
- Ursprünglich nahm die Klägerin die Beklagte wegen angeblicher Patentverletzung aus dem deutschen Teil des europäischen Patents EP 1 227 XXX (Klagepatent) in Anspruch. Nachdem da Klagepatent rechtskräftig widerrufen wurde, hat die Klägerin ihre Klage zurückgenommen. Die Beklagte nimmt die Klägerin im Wege der Widerklage wegen angeblich unberechtigter Schutzrechtsverwarnung und unberechtigter Abnehmerverwarnung auf Zahlung vorgerichtlicher Rechtsverfolgungskosten, Auskunft sowie Schadensersatzfeststellung in Anspruch.
- Mit anwaltlichem Schreiben vom 10.02.2017 (Anlage B 8) wies die Klägerin die Beklagte auf das Bestehen des Klagepatents hin, stellte fest, dass die angegriffene Ausführungsform der Beklagten von sämtlichen Merkmalen des Klagepatents Gebrauch mache und forderte sie unter Fristsetzung bis zum 17.02.2017 auf, die Umstände mitzuteilen, auf Grund welcher sich die Beklagte berechtigt sehe, das Klagepatent zu benutzen. Andernfalls werde der Klägerin empfohlen, Ansprüche wegen ungerechtfertigter Patentbenutzung geltend zu machen.
- Zu diesem Zeitpunkt war bereits eine Nichtigkeitsklage gegen das Klagepatent durch das Unternehmen H vor dem Bundespatentgericht anhängig und die Klägerin hatte hiergegen Widerspruch eingereicht.
- Nach dem Schreiben der Klägerin kam es zu umfangreichen Lizenzvertragsverhandlungen zwischen den Parteien unter Mitwirkung von Rechts- und Patentanwälten auf beiden Seiten.
- Am 11.08.2017 erteilte das Bundespatentgericht den als Anlage B 10 vorgelegten qualifizierten Hinweis nach § 83 Abs. 1 PatG, in welchem es mitteilte, dass der Senat der vorläufigen Auffassung sei, dass das Klagepatent mangels Neuheit bzw. erfinderischer Tätigkeit nicht rechtsbeständig sei. Es stützte sich hierin primär auf die Entgegenhaltung NK6.
- Mit Urteil vom 20.03.2018 erklärte das Bundespatentgericht das Klagepatent in vollem Umfang für nichtig. Die hiergegen erhobene Berufung blieb erfolglos. Der Bundesgerichtshof erachtete die Entgegenhaltung NK15 als neuheitsschädlich für den Anspruch 1 des Klagepatents.
- Nachdem in den Verhandlungen über einen möglichen Lizenzvertrag die Beklagte einen von ihr freigegebenen Entwurf mit Schreiben vom 20.09.2017 übermittelt hatte, teilte die Klägerin am 21.09.2017 mit, dass mit der entsprechenden Fassung Einverständnis bestehe. Eine Mitteilung über das Nichtigkeitsverfahren und den Hinweis des Bundespatentgerichts unterblieb seitens der Klägerin. Da die Beklagte bei einer parallel zu den Verhandlungen durchgeführten Recherche Kenntnis von einem ihrer Auffassung nach neuheitsschädlichen Dokument erlangte, übersandte sie dieses mit einer Stellungnahme am 20.10.2017 und unterließ eine Unterzeichnung des Lizenzvertrags. Mit Schreiben vom 24.10.2017 (Anlage B 13) setzte die Klägerin der Beklagten eine Frist von fünf Tagen zur Vertragsunterzeichnung und drohte im Falle der entsprechenden Weigerung mit einer Verletzungsklage gegen die Beklagte sowie der Einleitung von Schritten gegen das gesamte Vertriebsnetz der Beklagten unter Nennung konkreter Abnehmer wie I.
- Mit anwaltlichem Schreiben vom 03.11.2017 lehnte die Beklagte den Vertragsschluss ab und bot einen Lizenzvertrag zu einem deutlich geringeren Lizenzsatz an.
- Die Klägerin mahnte daraufhin jeweils unter dem 17.11.2017 drei Kunden der Beklagten, nämlich die Unternehmen B, und A ab. In den entsprechenden Abmahnungen (Anlagen B 14, B 15 a und B 15 b) setzte die Klägerin als Gegenstandswert jeweils einen Betrag von 250.000,00 EUR an.
- Die Unternehmen A, B und C nahmen das Angebot der angegriffenen Ausführungsform daraufhin zeitweise aus dem Vertrieb. Mit den Unternehmen C und B traf die Beklagte Freistellungsvereinbarungen, um den Weitervertrieb zu gewährleisten. Derzeit fehlen der Beklagten genaue Kenntnisse im Hinblick auf die Bezifferung etwaiger Umsatzrückgänge.
- Mit anwaltlichem Schreiben vom 29.11.2017 (Anlage B 16) wandte sich die Beklagte an die Klägerin und wies sie auf die ihrer Ansicht nach bestehende Rechtswidrigkeit der ausgesprochenen Abnehmerverwarnungen hin. Ferner wies sie auf das Schadenersatzrisiko nach § 945 ZPO hin, sollte die Klägerin trotz mangelnder Rechtsbeständigkeit des Klagepatents gegen Kunden der Beklagten vorgehen. Die Beklagte behielt sich insoweit rechtliche Schritte gegen die Klägerin vor.
- Mit Schreiben vom 05.03.2018 (Anlage B 1) mahnte die Klägerin eine weitere Kundin der Beklagten, nämlich das Unternehmen D ab. Eine weitere Abmahnung erfolgte gegenüber der E. Aus dem Schreiben der E (Anlage B 18) geht hervor, dass diese auch ihre Lieferanten unterrichtete. Ferner teilte das Unternehmen J der Beklagten mit, dass wohl eine Lieferantin abgemahnt worden sei.
- Die Beklagte ist der Ansicht, in dem ersten Schreiben der Klägerin liege bereits eine unzulässige Verwarnung. Jedenfalls habe sich die Klägerin aber auf Grund ihres Verhaltens bei den Vertragsverhandlungen und hier insbesondere durch das Verschweigen des Stands des Nichtigkeitsverfahrens schadenersatzpflichtig gemacht. Ferner bestehe eine Schadenersatzpflicht auf Grund des Schreibens vom 24.10.2017, in welchem die Beklagte die Verwarnung von Abnehmern androhte. Der Schaden umfasse mindestens die vorgerichtlichen Rechtsverfolgungskosten.
- Auch in Bezug auf die erfolgten Abnehmerverwarnungen sei die Klägerin zur Erstattung der vorgerichtlichen Rechtsverfolgungskosten der Beklagten verpflichtet. Die Abnehmerverwarnung sei in ihrer Auswirkung auf den Hersteller noch schwerwiegender als die Herstellerverwarnung. Die Rechtswidrigkeit folge zum einen daraus, dass die Klägerin die Abnehmerverwarnung nur eingesetzt habe, um die Beklagte zu dem Vertragsschluss zu zwingen, und zum anderen aus der Unterlassung der Mitteilung des qualifizierten Hinweises des Bundespatentgerichts. Die zur Abwehr der entsprechenden Abmahnungen erforderlichen Rechtsverfolgungskosten seien aus einem Gegenstandswert von 2.500.000,00 EUR zu ermitteln. Dieser errechne sich aus den insgesamt 5 Abmahnungen mit einem Gegenstandswert von jeweils 250.000,00 EUR. Der Betrag von 1.250.000,00 EUR sei zu verdoppeln, da es aus Sicht der Beklagten um die Unterbindung einer flächendeckenden Abmahnaktion gegangen sei.
- Die 1,8 fache Geschäftsgebühr für den mitwirkenden Patentanwalt sei auf Grund des Umfangs und der Schwierigkeit der Tätigkeit in Zusammenhang mit der Bearbeitung und Beantwortung der Schreiben vom 10.02.2017 und 24.10.2017 sowie der umfangreichen erforderlichen Prüfungstätigkeiten angemessen.
- Ferner bestehe hinsichtlich der Abnehmerverwarnungen ein Schadenersatzanspruch wegen Gewinneinbußen. Da dieser derzeit noch nicht bezifferbar sei, bestehe ein Feststellungsinteresse.
- Nachdem die Klägerin den Widerklageantrag zu III. mit Schriftsatz vom 31.07.2020 anerkannt hat, beantragt die Beklagte nunmehr,
- wie erkannt.
- Die Klägerin beantragt,
- die Widerklage im Übrigen abzuweisen.
- Sie behauptet, die Nichtigkeitsklage sei aus dem Patentregister ersichtlich gewesen. Es sei Sache des im Patentverletzungsverfahren mitwirkenden Patentanwalts gewesen, das Patentregister entsprechend zu überprüfen.
- Sie trägt im Schriftsatz vom 31.07.2020 vor, dass ihr nach derzeitigem Kenntnisstand keine weiteren Abmahnungen bekannt seien. Ihrer Ansicht nach handele es sich bei dem Anerkenntnis um ein „sofortiges“ im Sinne des § 93 ZPO, so dass insoweit die Kosten der Beklagten aufzuerlegen seien.
- Sie ist der Ansicht, als Patentinhaberin sei sie berechtigt gewesen, mögliche Patentverletzer abzumahnen. Sie habe lediglich von dem Recht Gebrauch gemacht, ihr Patent durchzusetzen. Ein Schaden sei der Beklagten nicht entstanden.
- Bei der vorläufigen Meinung des Bundespatentgerichts habe es sich lediglich um eine Wertungsfrage gehandelt, zumal das Patent letztendlich vom BGH auf Grund einer anderen Entgegenhaltung für nichtig erklärt wurde.
- Die Geschäftsgebühr in Höhe von 1,8 sei übersetzt. Auch sei kein Gegenstandswert von 2.5 Mio EUR anzusetzen, da keine flächendeckende Abmahnaktion stattgefunden habe.
- Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird Bezug genommen auf die wechselseitig zur Gerichtsakte gereichten Schriftsätze der Parteien sowie auf das Protokoll der mündlichen Hauptverhandlung vom 18.08.2020 (Bl. 198 f. GA).
- Entscheidungsgründe
- Die zulässige Widerklage ist begründet. Die Beklagte hat wegen unberechtigter Herstellerverwarnung einen Anspruch auf Ersatz vorgerichtlicher Rechtsverfolgungskosten in der geltend gemachten Höhe (hierzu unter I.). Sie hat wegen unberechtigter Abnehmerverwarnung ebenfalls einen Anspruch auf Erstattung vorgerichtlicher Rechtsverfolgungskosten in der geltend gemachten Höhe (hierzu unter II.) sowie auf Feststellung der Schadenersatzpflicht (hierzu unter III.). Die Kosten des Rechtsstreits hat insgesamt die Klägerin zu tragen (hierzu unter IV.).
- I.
Die Beklagte hat einen Anspruch auf Zahlung vorgerichtlicher Rechtsverfolgungskosten wegen einer ihr gegenüber erklärten unberechtigten Schutzrechtsverwarnung nach §§ 823 Abs. 1, 249 ff. BGB. Hierin liegt eine Verletzung ihres eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetriebs. - 1.
Voraussetzung eines entsprechenden Schadenersatzanspruchs ist zunächst das Vorliegen einer Schutzrechtsverwarnung. Diese ist abzugrenzen von einer bloßen Berechtigungsanfrage, die noch keinen Eingriff in den eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb darstellt. Mit einer bloßen Berechtigungsanfrage soll lediglich ein Meinungsaustausch über die tatsächliche und rechtliche Lage begonnen werden. Zu diesem Zweck wird der vermeintliche Verletzer auf das Schutzrecht und mögliche Benutzungshandlungen hingewiesen. Hieran schließt sich die Aufforderung an, sich zu der Angelegenheit zu äußern. Wichtig ist jedoch, dass in der Berechtigungsfrage weder ausdrücklich noch konkludent ein Unterlassungsbegehren ausgesprochen wird noch gerichtliche Schritte angedroht werden, denn in diesem Fall kann das Schreiben als Abmahnung gewertet werden (Kühnen, Handbuch der Patentverletzung, 12. Auflage 2020, Abschnitt C, Rn 186 f.). - So liegt der Fall hier. Das Schreiben der Klägerin vom 10.02.2017 (Anlage B 8) endet dergestalt, dass mitgeteilt wird, dass der Klägerin bei fruchtlosem Fristablauf empfohlen werde, Ansprüche wegen ungerechtfertigter Patentbenutzung geltend zu machen. Hierbei handelt es sich nach dem maßgeblichen objektiven Empfängerhorizont um die offene Drohung mit der Einleitung gerichtlicher Schritte. Die Schwelle zu einer Schutzrechtsverwarnung ist damit überschritten.
- Darüber hinaus liegt in dem Schreiben der Klägerin an die Beklagte vom 24.10.2017 eine weitere Schutzrechtsverwarnung.
- 2.
Beide Schutzrechtsverwarnungen waren rechtswidrig. Dies ist dann der Fall, wenn sie entweder an formalen oder an materiellen Mängeln leiden. Beide Schutzrechtsverwarnungen leiden sowohl an einem formellen als auch an einem materiellen Mangel. - a)
Ein formeller Mangel liegt unter anderem dann vor, wenn anhängige Angriffe gegen das Verwarnungsschutzrecht verschwiegen werden (BGH, GRUR 1995, 424 – Abnehmerverwarnung). - Bereits zum Zeitpunkt der ersten Schutzrechtsverwarnung im Februar 2017 war die Nichtigkeitsklage des Unternehmens H gegen das Klagepatent rechtshängig. Mangels einer Erwähnung dieses Rechtsbestandsangriffs in den beiden Schreiben liegt ein formeller Mangel vor.
- b)
Ein materieller Mangel ist ebenfalls zu bejahen. Dieser liegt unter anderem dann vor, wenn das Verwarnungsschutzrecht nicht besteht bzw. (auch nach der Abmahnung) rechtskräftig für nichtig erklärt wird (Kühnen, Handbuch der Patentverletzung, 12. Auflage 2020, Abschnitt C, Rn 130). - Dies ist hier ebenfalls der Fall, da der Bundesgerichtshof das Klagepatent in letzter Instanz vollumfänglich für nichtig erklärt hat.
- 3.
Ein Verschulden ist ebenfalls zu bejahen, und zwar in Bezug auf beide Schutzrechtsverwarnungen. - a)
Zwar genügt beim Eingriff in den eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb eine fahrlässige Handlung, allerdings gelten bei Schutzrechtsverwarnungen grundsätzlich mildere Maßstäbe. - Bei einer unberechtigten Schutzrechtsverwarnung genügt für die Annahme eines Verschuldens nicht die Möglichkeit, dass das beanspruchte Schutzrecht keinen Bestand haben und der vertretene Rechtsstandpunkt unrichtig sein könnte. Denn der Verwarner rechnet, mindestens nach Kenntnis der vom Verwarnten vorgebrachten Gegengründe, mit der theoretischen Möglichkeit, dass sein Schutzrecht keinen Bestand haben könnte; er hält diese Möglichkeit aber für fernliegend und würde die Verwarnung nicht aussprechen, wenn er von der Unrichtigkeit seines Rechtsstandpunkts Kenntnis hätte. Der Vorwurf der Fahrlässigkeit kann nicht schon allein auf diese Möglichkeit gegründet werden, mit der in Streitigkeiten des gewerblichen Rechtsschutzes immer gerechnet werden muss. Die möglichen Zweifel an der Rechtslage müssen vielmehr einen konkreten Beziehungspunkt haben, der vom Verwarner hätte beachtet werden können (BGH, GRUR 1979, 332 – Brombeerleuchte, BGH, GRUR 2018, 832 – Ballerinaschuh). Bei einem eingetragenen Schutzrecht darf der Verwarner von der Rechtsbeständigkeit seines Schutzrechts ausgehen, weil das DPMA vor der Eintragung die Schutzfähigkeit geprüft hat. Die Sorgfaltspflichten eines Schutzrechtsinhabers würden im Allgemeinen überspannt, wenn von ihm bei einer Verwarnung eine bessere Beurteilung der Rechtslage verlangt würde, als sie der Eintragungsbehörde möglich war (BGH I ZR 98/02 – Verwarnung aus Kennzeichenrecht II, zum Markenrecht).
- b)
In Bezug auf den formellen Mangel des Verschweigens der Nichtigkeitsklage ist das Verschulden zu bejahen. Ein sorgfältig handelnder Schutzrechtsinhaber in der Position der Klägerin hätte die Gegenseite umfassend über die aktuelle Schutzrechtslage informiert, so dass insoweit jedenfalls Fahrlässigkeit vorliegt. - Ein Mitverschulden seitens der Beklagten kann die Kammer nicht feststellen. Nach § 254 BGB ist die Kürzung des zu ersetzenden Schadens um den Mitverschuldensanteil des Geschädigten grundsätzlich vorgesehen. Die Beweislast für das Vorliegen eines Mitverschuldens trägt insoweit der Schädiger und zwar sowohl in Bezug auf den Grund als auch in Bezug auf das Ausmaß des Anteils (Oetker in MüKo BGB, 8. Auflage 2019, § 254, Rn 145). Die insoweit beweisbelastete Klägerin hat für ihre von der Beklagten bestrittene Behauptung, diese hätte sich im Register über die rechtshängige Nichtigkeitsklage informieren können, keinen Beweis angetreten. Darüber hinaus hat sich die Kammer durch einen Blick in das öffentlich zugängliche Register des DPMA davon überzeugt, dass dort als Veröffentlichungstag der Nichtigkeitsklage der 18.01.2018 angegeben ist. Dieser Umstand ist nach § 291 ZPO als offenkundige Tatsache in die Beweiswürdigung einzubeziehen. Mithin konnte sich die Beklagte zum Zeitpunkt beider Abmahnungen nicht über die Nichtigkeitsklage informieren, da diese noch nicht in einem öffentlich zugänglichen Register veröffentlicht worden war. Ein Mitverschulden scheidet aus.
- c)
In Bezug auf den materiellen Mangel der fehlenden Rechtsbeständigkeit gilt für das erste Abmahnschreiben, dass insoweit das Verschulden der Klägerin zweifelhaft ist. Zum Zeitpunkt des ersten Schreibens lag lediglich die Nichtigkeitsklage des Unternehmens K vor, so dass hier bloß die Gegengründe eines Konkurrenten vorlagen, die nach den oben dargestellten Grundsätzen keinen hinreichenden Bezugspunkt für Zweifel am Rechtsbestand darstellen. - Dies kann aber dahinstehen, da jedenfalls hinsichtlich der zweiten Abmahnung vom 24.10.2017 ein Verschulden zu bejahen ist. Zu diesem Zeitpunkt hatte die Klägerin bereits Kenntnis von dem ausführlichen Hinweis des Bundespatentgerichts, welches das Klagepatent als nicht rechtsbeständig einstufte. Nunmehr war also ein konkreter Bezugspunkt vorhanden. Hiervon ausgehend musste die Klägerin auf Grund vernünftiger und billiger Überlegungen nach gewissenhafter Prüfung zu der Überzeugung gelangen, dass das Klagepatent nicht rechtsbeständig ist bzw. so erhebliche Zweifel am Rechtsbestand bestehen, dass zunächst von einer Abmahnung Abstand zu nehmen war.
- Entgegen der Auffassung der Klägerin ist es unerheblich, dass der Bundesgerichtshof seine Nichtigkeitsentscheidung letztendlich auf eine andere Druckschrift gestützt hat als das Bundespatentgericht in seiner vorläufigen Auffassung. Der Bundesgerichtshof hat seine Entscheidung auf den seiner Auffassung nach nächstliegenden Stand der Technik – die NK 15 – gestützt. Diese war zum Zeitpunkt der vorläufigen Auffassung des Bundespatentgerichts noch nicht Streitgegenstand. Der Bundesgerichtshof musste sich mit der NK 6 (maßgeblich in der vorläufigen Auffassung des Bundespatentgerichts) nicht mehr befassen, da nunmehr weitere näher liegende Dokumente in das Verfahren eingeführt worden waren. Aus der Entscheidung des Bundesgerichtshofs lässt sich damit nicht ersehen, ob er die vorläufige Auffassung des Bundespatentgerichts in Bezug auf die NK 6 teilt.
- Es verbleibt dabei, dass ein gewissenhafter Schutzrechtsinhaber durch den Inhalt der vorläufigen Auffassung gehalten war, von einer Abmahnung jedenfalls bis zur mündlichen Verhandlung vor dem Bundespatentgericht abzusehen.
- 4.
Sämtliche Voraussetzungen einer unberechtigten Schutzrechtsverwarnung liegen vor, so dass die Klägerin nach §§ 249 ff. BGB Schadenersatz zu leisten hat. - a)
Der Schaden des Verwarnten liegt bei materiellen Mängeln zumindest in den Anwaltskosten zur Abwehr der Abmahnung (Kühnen, Handbuch der Patentverletzung, 12. Auflage 2020, Abschnitt C, Rn 150). Die Beklagte schaltete nach Erhalt des Schreibens vom 24.10.2017 ihre Rechts- und Patentanwälte ein. Es kam zu Telefonaten und umfangreichen Stellungnahmen. Schließlich wurde mittels eines anwaltlichen Schreibens an die Klägerin am 03.11.2017 reagiert. Insoweit ist eine als Schaden erstattungsfähige Geschäftsgebühr nach RVG angefallen. - b)
Die Höhe der geltend gemachten Rechts- und Patentanwaltsgebühren ist nicht zu beanstanden. Der Gegenstandswert entspricht dem Streitwert des hiesigen Verfahrens und wird auch von der Klägerin nicht beanstandet. - Der Ansatz einer 1,8-fachen Gebühr für den mitwirkenden Patentanwalt ist entgegen der Auffassung der Klägerin nicht zu beanstanden. In Patent- und Gebrauchsmusterstreitigkeiten liegt die angemessene Gebühr regelmäßig oberhalb der 1,3 Gebühr nach Ziffer 2300 VV, da es sich bei Streitigkeiten über technische Schutzrechte typischerweise um schwierige Sachverhalte handelt (Kühnen, Handbuch der Patentverletzung, 12. Auflage 2020, Abschnitt C, Rn 57). Gerade durch das Verschweigen der rechtshängigen Nichtigkeitsklage war eine umfangreiche eigene Rechtsbestandsrecherche notwendig und es bestand bei dem komplexen Sachverhalt erhöhter Abstimmungsbedarf, so dass wenigstens eine 1,5-fache Gebühr angemessen erscheint. Der Ansatz einer 1,8-fachen Gebühr liegt damit noch in dem dem Rechts- und Patentanwalt zugestandenen Ermessenspielraum von 20 % (BGH, NJW-RR 2012, 887 – Spielraum des Anwalts bei der Bemessung von Rahmengebühren).
- c)
Der durch die Beauftragung der Rechts- und Patentanwälte zur Abwehr der Abmahnung bereits entstandene Freistellungsanspruch der Beklagten hinsichtlich der Kosten der vorgerichtlichen Rechtsverfolgung hat sich durch die im Antrag auf Abweisung der Widerklageanträge manifestierte, endgültige Weigerung der Klägerin, die Anwaltskosten zu zahlen, in einen Zahlungsanspruch umgewandelt (vgl. OLG Hamm, GRUR-RR 2014, 133). - II.
In Bezug auf die Abnehmerverwarnungen durch die Klägerin steht der Beklagten ebenfalls ein Zahlungsanspruch hinsichtlich der vorgerichtlichen Rechtsverfolgungskosten im geltend gemachten Umfang zu. - 1.
Die von der Klägerin ausgesprochenen Abnehmerverwarnungen leiden in gleicher Weise an dem materiellen Mangel der nachträglichen rechtskräftigen Vernichtung des Klagepatents wie die Schutzrechtsverwarnungen gegenüber der Beklagten und sind damit rechtswidrig. Zur Begründung wird auf die obigen Ausführungen unter Ziffer I. Bezug genommen. - 2.
Ein Verschulden ist hier ebenfalls zu bejahen. Anders als bei der Herstellerverwarnung sind bei der Abnehmerverwarnung erhöhte Sorgfaltspflichten zu beachten. Wird nicht der Hersteller der beanstandeten Gegenstände, sondern dessen Abnehmer verwarnt, bedarf es bei der gebotenen Abwägung der Interessen des Verwarnenden und des Herstellers einer besonders sorgfältigen Prüfung der Rechtslage. Der Abnehmer wird im Allgemeinen – wenn er auf Konkurrenzprodukte ausweichen kann – geneigt sein, sich der Verwarnung zu beugen, ohne deren Berechtigung näher zu prüfen, um damit einem Rechtsstreit aus dem Wege zu gehen. Die Gefahren, die derartige Verwarnungen für das Unternehmen des Herstellers mit sich bringen, liegen auf der Hand. Die allgemein anerkannte Rechtspflicht eines jeden, sich bei der Verfolgung seiner Rechte unter Berücksichtigung auch der Belange des vermeintlichen Schädigers auf die hierzu notwendigen Mittel zu beschränken, gebietet es, zu der risikoträchtigen Abnehmerverwarnung erst dann zu schreiten, wenn die Herstellerverwarnung erfolglos geblieben ist oder bei verständiger Abwägung der besonderen Umstände des Einzelfalls ausnahmsweise unangebracht erscheint und die vorausgegangene sorgfältige Prüfung der Rechtslage bei objektiver Betrachtungsweise den Verwarnenden davon überzeugen konnte, seine Ansprüche seien berechtigt. Wird die vorgenommene Prüfung der Rechtslage den gebotenen erhöhten Anforderungen nicht gerecht, verwarnt der vermeintliche Verletzte gleichwohl die Abnehmer, und stellt sich die Verwarnung als objektiv rechtswidrig heraus, trägt er das damit verbundene Risiko (Koch in: Ullmann, jurisPK-UWG, 4. Aufl. 2016, § 9, Rn 31 m.w.N.). - Zwar war zum Zeitpunkt der Abnehmerverwarnungen die Herstellerverwarnung gegenüber der Beklagten erfolglos geblieben. Allerdings hatte die Klägerin zum Zeitpunkt der Abmahnungen sowohl Kenntnis von der für sie negativen vorläufigen Auffassung des Bundespatentgerichts als auch von der Entgegenhaltung NK15, die der Bundesgerichtshof in letzter Instanz als neuheitsschädliche Druckschrift erachtete. Bei besonders sorgfältiger Prüfung hätte die Klägerin mithin den Mangel in der Rechtsbeständigkeit des Klagepatents erkennen und von den Abnehmerverwarnungen absehen müssen.
- 3.
Der Schaden der Beklagten besteht wenigstens in den Rechtsverfolgungskosten zur Abwehr der Abmahnungen. - a)
Der Ansatz einer 1,8-fachen Gebühr ist, wie oben dargelegt, nicht zu beanstanden. - b)
Der Ansatz eines Gegenstandswerts von insgesamt 2.500.000,00 EUR ist ebenfalls angemessen. - aa)
Nach § 15 Abs. 2 RVG kann ein Rechtsanwalt Gebühren in derselben Angelegenheit nur einmal fordern. Unter einer Angelegenheit im gebührenrechtlichen Sinne versteht man das gesamte Geschäft, das der Rechtsanwalt für den Auftraggeber auftragsgemäß besorgen soll. Der Inhalt bestimmt den Rahmen, innerhalb dessen der Rechtsanwalt tätig wird (von Seltmann in BeckOK RVG, 498. Auflage 2020, § 15 Rn 3). Nach § 22 RVG werden in derselben Angelegenheit die Werte mehrerer Gegenstände zusammengerechnet. Gegenstandsverschiedenheit liegt z.B. vor, „wenn ein gegen mehrere Personen gerichtetes Rechtschutzbegehren jeden Gegner selbstständig betreffende – wenn auch inhaltsgleiche – Leistungen betrifft, die jeder nur für sich erfüllen kann, oder anders ausgedrückt, die nicht nur dadurch durch alle zu erfüllen sind, dass nur einer der Schuldner die Leistung erbringt“ (OLG Köln, NJOZ 2015, 817 mwN). - Unter Berücksichtigung dieser Grundsätze handelt es sich bei der Befassung der Rechts- und Patentanwälte mit den fünf Abnehmerverwarnungen um dieselbe Angelegenheit, da sie von der Beklagten bereits nach dem Schreiben vom 24.10.2017 insgesamt mit der Abwehr der Abnehmerverwarnungen beauftragt worden waren. Allerdings handelt es sich um unterschiedliche Gegenstände, denn ein irgendwie geartetes Gesamtschuldverhältnis der Abnehmer lässt sich nicht erkennen. Es handelt sich um jeweils selbstständige, wenn auch inhaltsgleiche, Vorgänge.
- Ausgehend hiervon ist es korrekt, in der Honorarrechnung lediglich den einmaligen Anfall der Geschäftsgebühr auszuweisen. Da es sich um fünf unterschiedliche Gegenstände handelt, hat eine Addition des jeweiligen Gegenstandswerts in Höhe von 250.000,00 EUR zu erfolgen. Dies ergibt einen Gesamtgegenstandswert von 1.250.000,00 EUR.
- bb)
Unter Berücksichtigung des Schreibens der Beklagten an die Klägerin vom 29.11.2017 (Anlage B 16) ist dieser Gegenstandswert zu verdoppeln. - Wendet sich der Hersteller nach mindestens einer Abnehmerverwarnung an den Verwarner mittels einer Gegenabmahnung und geht es ihm dabei erkennbar darum, eine vom Verwarner offenbar ins Auge gefasste flächendeckende Abmahnaktion zu unterbinden, so ist der Gegenstandswert entsprechend zu erhöhen (OLG Düsseldorf, GRUR-RR 2014, 315 – Bestattungsgefäß).
- So liegt der Fall auch hier. In der Abmahnung der Klägerin vom 24.10.2017 teilte diese der Beklagten mit, dass sie das gesamte Vertriebsnetz der Beklagten als nicht lizenziert ansehe und Schritte gegen z.B. I einleiten werde (Unterstreichungen hinzugefügt). Nachdem die Beklagte durch konkrete Abnehmer von mehreren Abnehmerverwarnungen in Kenntnis gesetzt worden war, reagierte sie gegenüber der Klägerin nach umfangreicher rechtlicher Beratung mit dem als Anlage B 16 vorgelegten anwaltlichen Schreiben. Hierin wies sie die Klägerin ausführlich auf die Rechtswidrigkeit der Abnehmerverwarnungen und die daraus resultierende Schadenersatzpflicht der Klägerin hin. Damit verfolgte die Beklagte erkennbar unter anderem den Zweck, die Klägerin davon abzuhalten, weitere Abnehmer aus ihrem Vertriebsnetz abzumahnen. Dass dies nicht erfolgreich war, ist für die Berechnung des Gegenstandswerts unerheblich. Ebenfalls unerheblich ist, dass es sich nicht um eine klassische Gegenabmahnung handelte. Denn auch durch das „einfache“ Schreiben mit Hinweis auf die Rechtswidrigkeit brachte die Beklagte ihren Willen zum Ausdruck, die Abmahnaktion zu unterbinden.
- Eine Verdoppelung des Gegenstandswerts auf insgesamt 2.500.000,00 EUR erscheint vor dem Hintergrund angemessen, dass die Klägerin mit der Abmahnung des gesamten Vertriebsnetzes der Beklagten drohte.
- c)
Wie oben dargelegt, hat sich der Freistellungsanspruch bereits in einen Zahlungsanspruch umgewandelt. - III.
Der Schadenersatzfeststellungsanspruch ist ebenfalls begründet. - 1.
Wie oben bereits dargelegt, liegt bei Bejahung einer rechtswidrigen und schuldhaften Abnehmerverwarnung ein Eingriff in den eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb vor und damit sind über § 823 Abs. 1 BGB die Rechtsfolgen der §§ 249 ff. BGB eröffnet. Nach § 252 S. 2 BGB umfasst der Schadenersatz dabei auch den entgangenen Gewinn. - Es besteht damit grundsätzlich auch ein Anspruch auf Ersatz von Gewinneinbußen durch die Einstellung der Herstellung und des Vertriebs der angegriffenen Ausführungsformen. Dies gilt auch bei der Gewinneinbuße des Herstellers durch die Einstellung des Vertriebs durch den Abnehmer nach einer Abnehmerverwarnung (BGH, NJW-RR 2006, 621 – Schadenersatz für unberechtigte Inanspruchnahme aus Patent; LG Frankfurt a.M., Urteil vom 24. August 2016 – 2-06 O 426/15 –, juris;). Die abweichende Entscheidung des BGH (BGH, GRUR 1977, 805 – Klarsichtverpackung) ist auf Grund einer von dem hiesigen Fall abweichenden Sachverhaltskonstellation nicht einschlägig. Dort wurde zwar auch der Abnehmer verwarnt. Angesichts dessen, dass der Hersteller dort aber selbst keine Schutzrechtsverletzung durch die Lieferung beging, verneinte der BGH die notwendige Unmittelbarkeit. Im hiesigen Fall hingegen begehen aber beide Parteien der Lieferkette – der Kläger als Hersteller und der Verwarnte als Anbietender – potentiell eine Schutzrechtsverletzung. In diesem Fall wird die notwendige Unmittelbarkeit (Betriebsbezogenheit) für den Gewerbebetrieb des Herstellers bejaht (BGH, NJW-RR 2006, 621 – Schadenersatz für unberechtigte Inanspruchnahme aus Patent).
- Hierbei sind auch solche Schäden ersatzfähig, die erst nach Erhebung der Hauptsacheklage entstehen, da diese ebenfalls kausal auf der ursprünglichen Abmahnung beruhen (BGH, GRUR 2018, 832 – Ballerinaschuh).
- 2.
Derartige Gewinneinbußen sind ausgehend vom nicht bestrittenen Vortrag der Beklagten zu zeitweisen Vertriebseinstellungen der abgemahnten Abnehmer hinreichend wahrscheinlich. Der konkrete Schaden ist angesichts dessen, dass die Klägerin bislang keine vollständige Auskunft dahingehend erteilt hat, welche weiteren Abnehmer sie abgemahnt hat, noch nicht bezifferbar, so dass ein Feststellungsinteresse seitens der Beklagten zu bejahen ist. - IV.
Die Kosten des Rechtsstreits sind insgesamt der Klägerin aufzuerlegen. Für die Kosten der Klageerhebung folgt dies aus § 269 Abs. 3 ZPO. In Bezug auf die nicht anerkannten Widerklageanträge ist § 91 Abs. 1 ZPO einschlägig. Es kann offenbleiben, ob in Bezug auf den anerkannten Widerklageantrag § 93 ZPO Anwendung findet. Denn selbst wenn man ein sofortiges Anerkenntnis annähme, was angesichts der nicht vollständig erteilten Auskunft indes zweifelhaft ist (vgl. Herget Zöller, ZPO, 33. Auflage 2020, § 93 Rn 6.6), so findet jedenfalls insgesamt § 92 Abs. 2 Nr. 1 ZPO Anwendung. - Die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus §§ 708 Nr. 1, 709 ZPO.
-
V.
Der Streitwert wird auf insgesamt 555.000,00 EUR festgesetzt. Er lässt sich wie folgt aufschlüsseln: - Klage: 500.000,00 EUR
Widerklageantrag zu I. (Zahlung): 44.813,60 EUR
Widerklageantrag zu II. (SE-Feststellung): 7.000,00 EUR
Widerklageantrag zu III. (Auskunft): 3.000,00 EUR