Düsseldorfer Entscheidungsnummer: 3033
Landgericht Düsseldorf
Urteil vom 02. Juli 2020, Az. 4c O 13/19
- I. Das Versäumnisurteil des Landgerichts Düsseldorf vom 20.08.2019 wird aufgehoben. Die Klage wird abgewiesen.
- II. Die Kosten des Rechtsstreits trägt die Klägerin, mit Ausnahme der durch die Säumnis veranlassten Kosten, diese hat die Beklagte zu tragen.
- III. Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten für beide Parteien gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages vorläufig vollstreckbar.
- Tatbestand
- Die Klägerin nimmt die Beklagte aus dem deutschen Teil des europäischen Patents EP 2 002 XXX B1 (Anlage AR 4a, Übersetzung Anlage AR 4b; im Folgenden: Klagepatent) auf Unterlassung, Auskunftserteilung, Rechnungslegung, Rückruf, Vernichtung sowie auf Feststellung der Schadensersatzpflicht in Anspruch.
Das Klagepatent, welches eine Lumenspitze mit Linseneinspritzung für die Wundenversorgung unter Schutz stellt, wurde unter Inanspruchnahme einer Priorität der US 761XXX vom 12.06.2007 am 29.02.2008 in englischer Verfahrenssprache angemeldet. Unter dem 17.12.2008 wurde der Hinweis auf die Patentanmeldung und unter dem 22.12.2010 der Erteilungshinweis veröffentlicht.
Ursprüngliche Anmelderin und Inhaberin des Klagepatents war die A Inc., welche im Jahr 2011 auf die B AG verschmolzen wurde. Die Klägerin wurde sodann aufgrund einer Übertragungsvereinbarung vom 31.08.2018, die neben dem Klagepatent selbst auch alle aus ihm folgenden Rechte für die Vergangenheit einschloss, alleinverfügungsberechtigte Inhaberin des Klagepatents (Anlage AR 5). Unter dem 18.10.2018 erfolgte die entsprechende Eintragung im Register (vgl. Anlage AR 6). Aufgrund eines weiteren Übertragungs- und Abtretungsvertrags vom 01.07.2019 zwischen der Klägerin und der Holdinggesellschaft A Inc. wurde letztgenannte Ende Januar 2020 als alleinverfügungsberechtigte Inhaberin des Klagepatents in das Register eingetragen (vgl. Anlagen AR 28, 30a), wobei sich die Wirkung dieser Vereinbarung am 08.04.2019, als dem Datum der Abtretung, orientieren sollte (vgl. Anlage AR 30a, Ziff. 1.2). Neben der Übertragung des Klagepatents waren Gegenstand der Vereinbarung wiederum sämtliche in die Vergangenheit reichende, den vorherigen Patentinhabern entstandene Schadensersatz-, Auskunfts- sowie Rechnungslegungsansprüche.
Das Klagepatent steht auch mit Wirkung für die Bundesrepublik Deutschland in Kraft. Über die seitens der C GmbH, der deutschen Tochtergesellschaft der Beklagten, mit Schriftsatz vom 05.11.2018 zum Bundespatentgericht eingereichte Nichtigkeitsklage (vgl. Anlage AR 19) ist bisher nicht entschieden worden. Die Klägerin geht gegen diese Tochtergesellschaft der Beklagten außerdem separat gerichtlich in dem ebenfalls vor der Kammer anhängigen Verfahren mit dem Aktenzeichen 4c O 14/19 vor. - Anspruch 1 des Klagepatents in der originalen englischen Verfahrenssprache lautet:
„An intraocular lens injector cartridge (10), comprising:
a) a body (12) having an internal lumen (15);
b) a tubular nozzle (14) having an outer wall (36) and an opening (18), the nozzle projecting distally from the body, the opening being fluidly connected to the internal lumen of the body;
c) at least one peripheral protrusion (22) extending
laterally from the outer wall of the nozzle proximally from the opening; characterized in that
the at least one peripheral protrusion (22) is spaced proximally from the plane of the opening so as to provide an insertion depth limitation and prevent full insertion of the cartridge tip, in use, and wherein the nozzle opening is defined by an extended canopy (20, 20’, 20″) projecting distally from a plane of the opening (18, 18’, 18″) at least partially encircling the opening.“ - Übersetzt lautet Anspruch 1:
„Intraokularlinsen-Einführpatrone (10), die aufweist:
a) einen Körper (12) mit einem internen Lumen (15);
b) eine röhrenförmige Düse (14) mit einer Außenwand (16) und einer Öffnung (18), wobei die Düse distal von dem Körper vorsteht, wobei die Öffnung in Fluidverbindung mit dem internen Lumen des Körpers steht;
c) wenigstens einen peripheren Vorsprung (22), der sich seitlich von der Außenwand der Düse proximal von der Öffnung erstreckt;
dadurch gekennzeichnet, dass
der wenigstens eine periphere Vorsprung (22) proximal von der Ebene der Öffnung beabstandet ist, um eine Begrenzung der Einführtiefe bereit zu stellen und im Gebrauch die komplette Einführung der Patronenspitze zu verhindern, und wobei die Düsenöffnung durch ein erweitertes Dach (20, 20’, 20″) definiert ist, das distal von einer Ebene der Öffnung (18, 18’, 18″) vorsteht und die Öffnung wenigstens teilweise umgibt.“ - Bezüglich des Inhalts der „insbesondere“-geltend gemachten Ansprüche 4, 7 und 9 des Klagepatents wird auf die Klagepatentschrift verwiesen.
- Nachfolgende Figuren sind der Klagepatentschrift entnommen. Die Figur 1 zeigt eine vergrößerte Draufsicht auf die Linseneinführsystempatrone.
- Die Figuren 4 und 5 zeigen eine vergrößerte vordere Teilansicht bzw. vergrößerte Vorderansicht einer zweiten bzw. dritten Verkörperung der distalen Spitze der Linsenabgabesystempatrone der vorliegenden Erfindung.
- Nachstehende Figur 6 ist eine vergrößerte Seitenansicht der Linse, die in einen Schnitt in einem Auge eingesetzt wird.
- Die Klägerin ist Teil der A-Gruppe, welche ihrerseits zum B-Konzern gehört. Die A-Gruppe ist führend auf dem Bereich der Augenheilkunde. Sie entwickelt und produziert in der Augenchirurgie anwendbare Medizinprodukte. Eines dieser Produkte ist eine Einweg-Einführpatrone für Intraokularlinsen (IOL). Diese ist derart ausgestaltet, dass sie mit einer IOL vorbestückt ist, welche sodann vom Operateur ins Auge implantiert wird. Die Klägerin vertreibt dieses Produkt, welches seit Juli 2015 auch auf dem deutschen Markt erhältlich ist, unter der Bezeichnung „D“ (vgl. Anlage AR1a, 1b).
Das Unternehmen der Beklagten gehört zum C-Konzern, der weltweit, einschließlich der Bundesrepublik Deutschland, Medizinprodukte und auch eine Intraokularlinsen-Einführpatrone mit der Bezeichnung „E“ (im Folgenden: angegriffene Ausführungsform) vertreibt. Die angegriffene Ausführungsform wird insbesondere über die Website www.F.com angeboten, aus deren Impressum die Beklagte als Verantwortliche ersichtlich ist (vgl. Anlage AR 12). Im Internetauftritt der Beklagten finden sich zudem aus September 2018 stammende Pressemitteilungen, die die Vorbereitung der Produkteinführung der angegriffenen Ausführungsform in Europa betreffen, da insoweit die europäische CE-Kennung erlangt werden sollte. Eine Vorstellung dieses Produkts war für den G Kongress in H geplant (vgl. Anlage AR 13). Außerdem wurde die angegriffene Ausführungsform auf dem I präsentiert (vgl. Anlagen AR 14, AR 15). Die Beklagte ist zentral für die Koordination dieses Geschäftsfeldes verantwortlich. Für den Vertrieb in Europa, Afrika sowie den mittleren Osten ist die deutsche Tochtergesellschaft der Beklagten, die C GmbH, zuständig (vgl. Anlage AR 2). So wird die deutsche Tochtergesellschaft als eine Anbieterin von Intraokularlinsen in einer fachbezogenen Webapp der deutschen Fachzeitschrift „J“ aufgeführt, wenn der Benutzer den sog. „J-Finder“ benutzt (vgl. Anlage AR 16).
Schließlich wird die angegriffene Ausführungsform in einem von der Klägerin als Produktbroschüre bezeichneten Dokument der Beklagten mit allgemeinen Erläuterungen zur Funktionalität des Insert Shield abgebildet (vgl. AR 18) sowie auch in einem von der Beklagten gesponsorten Fachartikel vorgestellt (vgl. AR 23).
Nachstehende Abbildung ist der Anlage AR 18 entnommen: - Mit Schreiben vom 06.09.2018 mahnte die Klägerin die deutsche Tochtergesellschaft der Beklagten C GmbH aufgrund der bevorstehenden Markteinführung der angegriffenen Ausführungsform erfolglos ab. In der Folge beantragte die Klägerin mit Schriftsatz vom 14.09.2018 den Erlass einer einstweiligen Verfügung vor dem Landgericht Hamburg. Die antragsgemäß am 16.10.2018 erlassene Beschlussverfügung wurde auf den Widerspruch der dortigen Beklagten hin mit Urteil vom 14.12.2018 unter Verweis auf einen nicht hinreichend gesicherten Rechtsbestand des Anspruchs 1 des Klagepatents wieder aufgehoben (vgl. Anlage AR 3). Nunmehr ist vor dem Landgericht Hamburg das entsprechende Hauptsacheverfahren zwischen diesen Parteien anhängig.
- Die Klägerin ist der Ansicht, die angegriffene Ausführungsform mache wortsinngemäßen, unmittelbaren Gebrauch von der erfindungsgemäßen Lehre.
Das Klagepatent beschränke sich schon nicht nur auf eine bestimmte Operationsmethode, sondern betreffe verschiedene Techniken, die unter Zuhilfenahme des Wundkanals arbeiten würden (sog. „wound assisted“). Die seitens der Beklagten für eine Operationsmethode angeführte Bezeichnung „into the wound“ dagegen sei nur eine generische Beschreibung und kein auf dem Fachgebiet gebräuchlicher Ausdruck.
Die angegriffene Ausführungsform verfüge über ein erweitertes Dach, das distal von einer Ebene der Öffnung vorstehe und die Öffnung wenigstens teilweise umgebe. Das Klagepatent erfordere es nicht, dass diese Ebene räumlich-körperlich ausgestaltet werde. Sie diene lediglich als gedachter Bezugspunkt für die Anordnung des erweiterten Dachs. Der Ausdruck der „Ebene der Öffnung“ sei gegenüber der „Öffnung“ lediglich eine Konkretisierung.
Die angegriffene Ausführungsform weise ferner einen peripheren Vorsprung im Sinne der erfindungsgemäßen Lehre auf. Dieser sei in dem kappenartigen Insert Shield zu sehen. Hierzu meint die Klägerin, dass für einen erfindungsgemäßen peripheren Vorsprung die Anordnung irgendeines Elements in Betracht komme, das geeignet sei, die Einführtiefe zu begrenzen. Sofern eine physische Verbindung zwischen dem Vorsprung und der Düse verlangt werde, könne die Anspruchsverwirklichung auch hilfsweise darin gesehen werden, dass das Insert Shield mit der Außenwand der Düse durch einen Schiebemechanismus formschlüssig verbunden sei. Dazu ist die Klägerin ferner der Ansicht, dass diese Verbindung auch im Bereich der Düse liege, weil das Klagepatent unter einer Düse allgemein ein röhrenförmiges, distal vorstehendes Teil der Einführpatrone, enthaltend eine distale Spitze, verstehe. Neben der Begrenzung der Einführung der Einführpatrone der Länge nach solle auch der eingeführte Durchmesser begrenzt werden. Dies sei vor dem Hintergrund zu verstehen, dass schon im Stand der Technik bekannt war, dass sich der distale Teil der Düse üblicherweise in Richtung auf den Körper im Durchmesser erweitere.
Hinsichtlich der Ausgestaltung der angegriffenen Ausführungsform meint die Klägerin außerdem, dass das Insert Shield als peripherer Vorsprung verhindere, dass der vollständige Außendurchmesser der Düse in das Auge eingeführt werde. Das vorgeschobene Insert Shield bewirke, dass nicht die komplette Patronenspitze in das Auge eingeführt werden könne und es sich somit um eine „wound assisted delivery“ handele, bei welcher die IOL zwangsläufig die Wände des Wundtunnels berühre.
Dazu behauptet die Klägerin, dass das erweiterte Dach 3,0 mm lang sei, die Breite der Patronenspitze 1,7 mm betrage. Bei vorgeschobenem Insert Shield stehe ein unterer Abschnitt der Patronenspitze von 0,7 mm über den peripheren Vorsprung hervor; die Patronenspitze sei ab diesem Punkt geöffnet zur Abgabe der IOL. Diese Maßangaben in Bezugnahme auf einen 2 mm langen Wundkanal würden, so meint die Klägerin, bedeuten, dass die IOL über eine Strecke von ca. 1,3 mm in Kontakt mit der unteren Wundtunnelwand komme. Ferner behauptet die Klägerin, dass die IOL auch dann mit der unteren Wundtunnelwand in Berührung komme, wenn – unter Zueigenmachen des Vortrags der Beklagten – ein unterer Abschnitt von 0,9 mm an der Einführpatrone unterstellt werde, über den der periphere Vorsprung hervorstehe. - Der Rechtsstreit sei schließlich auch nicht mangels Rechtsbeständigkeit des Klagepatents auszusetzen.
- Ursprünglich hat die Klägerin beantragt,
I. die Beklagte zu verurteilen, - 1. es bei Meidung eines für jeden Fall der Zuwiderhandlung vom Gericht festzusetzenden Ordnungsgeldes bis zu EUR 250.000,00 – ersatzweise Ordnungshaft – oder einer Ordnungshaft bis zu sechs Monaten, im Falle wiederholter Zuwiderhandlung bis zu insgesamt zwei Jahren, wobei die Ordnungshaft an dem gesetzlichen Vertreter der Beklagten zu vollziehen ist, zu unterlassen,
- Intraokularlinsen-Einführpatronen, die aufweisen:
- a) einen Körper mit einem internen Lumen;
b) eine röhrenförmige Düse mit einer Außenwand und einer Öffnung, wobei die Düse distal von dem Körper vorsteht, wobei die Öffnung in Fluidverbindung mit dem internen Lumen des Körpers steht;
c) wenigstens einen peripheren Vorsprung, der sich seitlich von der Außenwand der Düse proximal von der Öffnung erstreckt; - dadurch gekennzeichnet, dass
- der wenigstens eine periphere Vorsprung proximal von der Ebene der Öffnung beabstandet ist, um eine Begrenzung der Einführtiefe bereitzustellen und im Gebrauch die komplette Einführung der Patronenspitze zu verhindern,
- und wobei die Düsenöffnung durch ein erweitertes Dach definiert ist, das distal von einer Ebene der Öffnung vorsteht und die Öffnung wenigstens teilweise umgibt,
- in der Bundesrepublik Deutschland anzubieten, in Verkehr zu bringen oder zu gebrauchen oder zu den genannten Zwecken einzuführen oder zu besitzen;
- 2. der Klägerin darüber Auskunft zu erteilen, in welchem Umfang sie (die Beklagte) die zu Ziffer 1. bezeichneten Handlungen seit dem 22. Dezember 2010 begangen hat, und zwar unter Angabe
- a) der Namen und Anschriften der Hersteller, Lieferanten und anderer Vorbesitzer,
b) der Namen und Anschriften der gewerblichen Abnehmer sowie der Verkaufsstellen, für die die Erzeugnisse bestimmt waren,
c) der Menge der ausgelieferten, erhaltenen oder bestellten Erzeugnisse sowie der Preise, die für die betreffenden Erzeugnisse bezahlt wurden, - wobei zum Nachweis der Angaben die entsprechenden Kaufbelege (nämlich Rechnungen, hilfsweise Lieferscheine) in Kopie vorzulegen sind, wobei geheimhaltungsbedürftige Details außerhalb der auskunftspflichtigen Daten geschwärzt werden dürfen;
- 3. der Klägerin in einer geordneten Aufstellung schriftlich darüber Rechnung zu legen, in welchem Umfang sie (die Beklagte) die zu Ziffer 1. bezeichneten Handlungen seit dem 22. Januar 2011 begangen hat und zwar unter Angabe:
- a) der einzelnen Lieferungen, aufgeschlüsselt nach Liefermengen, -zeiten, -preisen und Typenbezeichnungen sowie Namen und Anschriften der Abnehmer,
b) der einzelnen Angebote, aufgeschlüsselt nach Angebotsmengen, -zeiten, -preisen und Typenbezeichnungen sowie den Namen und Anschriften der gewerblichen Angebotsempfänger,
c) der betriebenen Werbung, aufgeschlüsselt nach Werbeträgern, deren Auflagenhöhe, Verbreitungszeitraum und Verbreitungsgebiet, im Falle von Internet-Werbung der Domain, der Zugriffszeit und der Schaltungszeiträume jeder Kampagne,
d) der nach den einzelnen Kostenfaktoren aufgeschlüsselten Gestehungskosten und des erzielten Gewinns; - wobei die Aufstellung mit den Daten der Rechnungslegung zusätzlich in einer mittels EDV auswertbaren, elektronischen Form zu übermitteln ist;
- 4. die in ihrem unmittelbaren oder mittelbaren Besitz oder in ihrem Eigentum befindlichen, unter Ziffer 1. bezeichneten Erzeugnisse, an einen von der Klägerin zu benennenden Gerichtsvollzieher zum Zwecke der Vernichtung auf ihre – der Beklagten – Kosten herauszugeben;
- 5. die unter Ziffer 1. bezeichneten, seit dem 22. Dezember 2010 in Verkehr gebrachten, Erzeugnisse gegenüber den gewerblichen Abnehmern unter Hinweis auf den gerichtlich (Urteil des … vom …) festgestellten patentverletzenden Zustand der Sache und mit der verbindlichen Zusage zurückzurufen, etwaige Entgelte zu erstatten sowie notwendige Verpackungs- und Transportkosten sowie mit der Rückgabe verbundene Zoll- und Lagerkosten zu übernehmen.
- II. festzustellen, dass die Beklagte verpflichtet ist, der Klägerin allen Schaden zu ersetzen, der ihr durch die zu Ziffer I.1. bezeichneten, seit dem 22. Januar 2011 begangenen Handlungen entstanden ist und noch entstehen wird.
- Die Klage nebst prozesseinleitender Verfügung unter Anordnung des schriftlichen Vorverfahrens ist der Beklagten ausweislich des internationalen Rückscheins am 27.06.2019 zugestellt worden. Da die Beklagte nicht innerhalb der ihr gesetzten Frist ihre Verteidigung angezeigt hat, ist am 20.08.2019 Versäumnisurteil gegen sie ergangen (Az. 4c O 13/19), mit welchem sie antragsgemäß verurteilt worden ist. Das Versäumnisurteil galt durch seine Aufgabe zur Post am 08.10.2019 als der Beklagten am 22.10.2019 zugestellt. Dagegen hat die Beklagte mit Schriftsatz vom 23.10.2019, bei Gericht eingegangen am 24.10.2019, Einspruch eingelegt sowie die einstweilige Einstellung der Zwangsvollstreckung beantragt.
- Nachdem die Klägerin eine weitere Antragsänderung im Hinblick auf die Abtretung des Klagepatents nebst aller Ansprüche an die A Inc., vorgenommen hat,
beantragt sie daher nunmehr,
das Versäumnisurteil vom 20.08.2019 mit der Maßgabe aufrechtzuerhalten,
1. die Beklagte gemäß Ziffer I. 2. des Tenors Auskunft an die A Inc., zu erteilen hat;
2. die Beklagte gemäß Ziffer 1.3. des Tenors Rechnung an die A Inc., zu legen hat;
3. die Beklagte in Ergänzung von Ziffer I. 5. des Tenors die Erzeugnisse wieder an sich zu nehmen hat;
4. gemäß Ziffer II. des Tenors die Feststellung der Schadensersatzverpflichtung sich - a. für den Zeitraum vom 22.01.2011 bis zum 30.08.2018 auf den der B AG, entstandenen oder noch entstehenden Schaden,
b. für den Zeitraum vom 31.08.2018 bis zum 07.04.2019 auf den der Klägerin entstandenen oder noch entstehenden Schaden und
c. für den Zeitraum ab dem 08.04.2019 auf den der A Inc. entstandenen oder noch entstehenden Schaden bezieht. - Die Beklagte beantragt,
das Versäumnisurteil der Kammer vom 20.08.2019 aufzuheben und die Klage abzuweisen;
hilfsweise den Rechtsstreit bis zu einer erstinstanzlichen Entscheidung über die beim Bundespatentgericht eingereichte Nichtigkeitsklage gegen den deutschen Teil des Klagepatents auszusetzen. - Sie meint, mit der angegriffenen Ausführungsform die erfindungsgemäße Lehre nicht zu verwirklichen.
Der angegriffenen Ausführungsform fehle es an einer Ebene der Öffnung, weil die Öffnung keinerlei ebene Fläche aufweise. Vielmehr sei, so behauptet die Beklagte, was auch unstreitig ist, die Öffnung abgeschrägt ausgestaltet. Das Klagepatent verlange insoweit aber eine gegenständliche Ebene der Öffnung und nicht nur einen gedachten Bezugspunkt. Die Beklagte ist daher der Ansicht, dass die Figuren 2 und 3 für die Frage des erweiterten Dachs im Sinne des Klagepatents nicht herangezogen werden könnten, weil es an einer Ebene der Öffnung fehle; im Übrigen habe die Klägerin im Anmeldeverfahren eine entsprechende Einschränkung vorgenommen.
Das Insert Shield stelle keinen erfindungsgemäßen peripheren Vorsprung dar. Ein Vorsprung im Sinne des Klagepatents erfordere es, dass er unmittelbar aus der Außenwand der Düse hervorspringe und kein Zwischenraum zur Düse vorhanden sei. Dazu behauptet die Beklagten, dass eine solche Verbindung dieser Elemente in der angegriffenen Ausführungsform auch dann fehle, wenn auf die äußere formschlüssige Verbindung des Insert Shield mit der Außenwand abgestellt werde. Denn diese befände sich nicht im Bereich der Düse der Einführpatrone, sondern im Bereich des Körpers, in dem die IOL gelagert sei.
Die Beklagte ist ferner der Ansicht, dass das Insert Shield auch nicht die Funktionen eines peripheren Vorsprungs erfülle. Bei einem peripheren Vorsprung müsse es sich nämlich um ein Element handeln, dass sich unmittelbar von der Düse erstrecke. Das Klagepatent ermögliche es, Düse und Vorsprung einstückig mit der distalen Spitze auszuformen. Die Zusammenfügung könne auch nachträglich erfolgen; es sei indes nicht zulässig, dass ein Abstand zwischen Düse und Vorsprung vorhanden sei. Dazu behauptet die Beklagte, dass in diesen Fällen der Vorsprung die Funktion des Haltgebens nicht mehr erfüllen könne. Auch unter Bezugnahme auf die äußere formschlüssige Verbindung zwischen der Einführpatrone und dem Insert Shield liege kein patentgemäßer peripherer Vorsprung vor, weil sich diese Verbindung nicht seitlich von der Außenwand der Düse erstrecke, sondern vielmehr im Bereich des Körpers liege. Unter dem Begriff der Düse begreife das Klagepatent indes den vordersten Bereich der distalen Spitze, aus welchem die IOL abgegeben werde und nicht denjenigen Teil der Vorrichtung, in dem sie gelagert sei. Der Bereich, in dem die IOL dagegen gelagert sei, sei der Körper.
Im Hinblick auf die tatsächliche Ausgestaltung der angegriffenen Ausführungsform behauptet die Beklagte daher, dass die Patronenspitze über ihr abgeschrägtes Ende hinaus, mithin auch mit dem kompletten Außendurchmesser der Patronenspitze, in das Auge eingeführt werde. Das wolle, so meint die Beklagte, die Lehre des Klagepatents aber gerade verhindern. Der vollständige Durchmesser erreiche die Patronenspitze schon im erweiterten Bereich der v-förmigen Öffnung, was unbestritten ist.
Insoweit behauptet die Beklagte, dass die angegriffene Ausführungsform in erster Linie bei solchen Operationsmethoden zum Einsatz kommt, bei denen die Einführpatrone bis unmittelbar in die Wunde eingeführt wird. Dagegen wolle das Klagepatent nur die wundunterstützte Einführung bereitstellen, die nicht erfordere die gesamte Patronenspitze in das Auge zu verbringen. Diese Operationsmethode könne grundsätzlich aber auch mit der angegriffenen Ausführungsform ausgeführt werden. - Jedenfalls sei der Rechtsstreit auszusetzen, da das Klagepatent nicht rechtsbeständig sei. Ihm könne mit Erfolg beruhend auf der Druckschrift DE 195 44 119 A1 „X“ (im Folgenden: D2), auf der Druckschrift US 5,XXX,925 „K“ (im Folgenden: D6) sowie der Druckschrift EP 1 857 XXX A2 „L“ (im Folgenden: D7) der Einwand mangelnder Neuheit, sowie beruhend auf der Kombination von Fachwissen, in Gestalt der D9 und dem Dokument US 4,765,XXX (im Folgenden: D3) der Einwand der mangelnden erfinderischen Tätigkeit. Schließlich sei das Klagepatent im hier geltend gemachten Umfang gegenüber der zugrundeliegenden Änderung unzulässig geändert worden. Die Ausdrücke „wenigstens teilweise umgibt“ in Merkmal 1.3.3 sowie „von der Ebene der Öffnung beabstandet“ in Merkmal 1.4.1 seien unzulässigerweise ergänzt worden.
- Wegen des weiteren Vorbringens der Parteien wird auf die zur Akte gereichten Schriftstücke nebst Anlagen Bezug genommen.
- Entscheidungsgründe
- A.
Die aufgrund des zulässigen Einspruchs der Beklagten gegen das Versäumnisurteil der Kammer gemäß § 342 ZPO in den Verfahrensstand vor Säumnis zurückversetzte zulässige Klage ist unbegründet. - I.
Die Klägerin ist prozessführungsbefugt trotz des Umstandes, dass die Holdinggesellschaft A Inc. mit der Vereinbarung über die Abtretung von geistigem Eigentum (Anlage AR 30b) materiell-rechtliche Inhabern des Klagepatents geworden ist.
Diese hat das Klagepatent wirksam von der Klägerin erworben. Außerdem hat die Klägerin ihr alle aus dem Klagepatent resultierenden Ansprüche abgetreten.
Die Parteien der Vereinbarung haben ausdrücklich den 08.04.2019 als dasjenige Datum bestimmt, ab dem ihre Regelungen wirksam sein sollen. Dies folgt schon aus lit. A und B der Präambel, die dem Trennungs- und Vertriebsvertrag explizit diesen Tag zuweist. Aufgegriffen wird dieser Zeitpunkt dann in Ziff. 1.2, der den maßgeblichen Stichtag im Übrigen regelt. Dabei sieht diese Vertragsklausel vor, dass die Abtretung in Ziff. 1 betreffend das Klagepatent nebst korrespondierenden Ansprüchen zum Abtretungsdatum wirksam werden und in anderen Fällen das Datum der Vereinbarung (Anm.: 1. Juli 2019) gelten soll.
Diesem bestimmten Wirksamkeitszeitpunkt steht nicht die Formulierung der Klägerin, wonach von der Vereinbarung das Patent und „sämtliche“ Ansprüche aus dem Patent erfasst sein sollen, entgegen mit der Folge, dass die in die Vergangenheit reichenden Ansprüche von ihrer Entstehung an, abgetreten werden sollen. Dieser seitens der Klägerin gewählte Ausdruck soll lediglich verdeutlichen, dass nicht etwa nur Ansprüche aus dem Patent bzw. nur das Patent selbst übertragen worden sind, sondern beides gemeinsam abgetreten wurde. Dass allein aufgrund dieses schriftsätzlichen Vorbringens die Wirksamkeitszeitpunkte aus der Vereinbarung nicht mehr gelten sollen, ist nicht ersichtlich.
Da die Rechtsübertragung auf die andere Gesellschaft des A-Konzerns nach Rechtshängigkeit der hiesigen Klage erfolgt ist (vgl. § 265 Abs. 2 ZPO), bleibt die aus dem Rubrum ersichtliche Klägerin prozessführungsbefugt (vgl. Kühnen, Hdb. der Patentverletzung, 12. Aufl., Kap. D, Rn. 113). Sie darf daher auch diejenigen Ansprüche weiterhin geltend machen, die infolge der Übertragung des Patents der neuen Inhaberin zustehen.
Auf die Regelung des § 30 Abs. 3 S. 2 PatG kommt es vorliegend nicht an. Danach bleibt, solange eine Rechtsänderung nicht eingetragen ist, der frühere Patentinhaber nach Maßgabe dieses Gesetzes berechtigt und verpflichtet. Mithin wäre ab dem Zeitpunkt, ab dem der nachfolgende Inhaber im Register eingetragen ist, zwar ausschließlich dieser zur prozessualen Geltendmachung berechtigt. Indes hat auf ein Prozessrechtsverhältnis die Änderung der Legitimation im Sinne des § 30 Abs. 3 S. 2 PatG in Bezug auf ein streitbefangenes Patent nach Eintritt der Rechtshängigkeit keinen Einfluss (Benkard/Schäfers, PatG, 11. Aufl., § 30, Rn. 17a). - II.
Das Klagepatent stellt Intraokularlinsen (IOLs) nebst Patronen zur Einführung dieser Linsen in ein Auge unter Schutz (Abs. [0001]).
Bei einer Verschlechterung des Sehvermögens, weil Trauma, Alter oder Krankheit die Linse weniger transparent machen und daher nur noch vermindert Licht auf die Netzhaut übertragen werden kann, spricht man medizinisch von einem Katarakt. Durch einen chirurgischen Eingriff, in dem die Linse entfernt und eine Kunstlinse implantiert wird, kann dieser Mangel behandelt werden (Abs. [0003]).
Wie in der Klagepatentschrift schon in Abs. [0004] dargestellt, waren bereits im Stand der Technik IOL bekannt, die weich und faltbar waren, weil sie aus Silikon oder weichen Acrylaten und Hydrogelen bestanden. Aufgrund dieser Beschaffenheit konnten weiche Linsen gerollt oder gefaltet werden und durch einen gegenüber einem vormals erforderlichen größeren Schnitt kleineren Schnitt in das Auge eingeführt werden (Schnittgröße ca. 3,0 mm). Eine beliebte Methode ist die Einführpatrone, die Linsen faltet und ein relativ kleines Lumen bereitstellt, wodurch die Linse in das Auge geschoben werden kann. Exemplarisch verweist das Klagepatent auf die US 4,691,XXX, welche eine geteilte Patrone mit einem Längsscharnier schützt. Derlei Design aufweisend gab es weitere Patente wie z.B. US 5,494,XXX und 5,499,XXX. Auch einteilige Patronen waren vorbekannt, etwa aus der US 5,275,XXX oder der 5,653,XXX.
Das Klagepatent beschreibt in Abs. [0005] ferner als vorbekannt, dass bereits im Stand der Technik Operationstechniken entwickelt wurden, um den chirurgischen Eingriff durch viel kleinere Schnitte (ca. 2,4 mm) durchführen zu können. Daher wurden Methoden zur wundunterstützten IOL-Einführung entwickelt, bei denen die IOL durch einen kleineren Schnitt eingebracht wird, ohne die Patronenspitze vollständig in die Wunde einzuführen. Die Wunde selbst stellt dabei einen Tunnel dar, durch den die IOL in die Vorderkammer des Auges gelangt. Es besteht kein Bedarf mehr an einem Schnitt, der groß genug ist, den Außendurchmesser der Patronenspitze aufzunehmen. - Hieran kritisiert das Klagepatent als nachteilig, dass der Erfolg der wundunterstützten Einführung von IOL in hohem Maße vom Grad der Geschicklichkeit und der Sicherheit des Chirurgen abhängt. Aufgrund dessen besteht Bedarf für eine Intraokularlinsen-Einführkartusche, die Merkmale zur gezielten Unterstützung der wundunterstützten IOL-Einführung bietet (Abs. [0008]).
- Zur Lösung dieser Aufgabe schlägt das Klagepatent daher in Anspruch 1 eine Vorrichtung mit folgenden Merkmalen vor:
- 1.1 Intraokularlinsen-Einführpatrone, die aufweist:
1.2 einen Körper mit einem internen Lumen;
1.3. eine röhrenförmige Düse mit einer Außenwand und einer Öffnung;
1.3.1 die Düse steht distal von dem Körper vor;
1.3.2 die Öffnung steht in Fluidverbindung mit dem internen Lumen des Körpers;
1.3.3 die Düsenöffnung ist durch ein erweitertes Dach definiert, das distal von einer Ebene der Öffnung vorsteht und die Öffnung wenigstens teilweise umgibt;
1.4 wenigstens einen peripheren Vorsprung, der sich seitlich von der Außenwand der Düse proximal von der Öffnung erstreckt;
1.4.1 der wenigstens eine periphere Vorsprung ist proximal von der Ebene der Öffnung beabstandet, um eine Begrenzung der Einführtiefe bereit zu stellen und im Gebrauch die komplette Einführung der Patronenspitze zu verhindern. - III.
Zwischen den Parteien stehen die Merkmale 1.3.3, 1.4 sowie 1.4.1 in Streit. Die Kammer vermag schon eine Verwirklichung des Merkmals 1.4.1 nicht festzustellen, sodass sich Ausführungen zu den anderen Merkmalen erübrigen. - 1.
Nach Merkmal 1.4.1 ist der wenigstens eine periphere Vorsprung proximal von der Ebene der Öffnung beabstandet, um eine Begrenzung der Einführtiefe bereitzustellen und im Gebrauch die komplette Einführung der Patronenspitze zu verhindern. - Das Klagepatent stellt mit diesem Merkmal die Funktion des in Merkmal 1.4 beanspruchten peripheren Vorsprungs heraus, die zum einen darin liegt, das Einführen der Patronenspitze ihrer Länge nach zu begrenzen (Einführtiefe), und zum anderen darin, das Einführen des vollständigen Außendurchmessers der Patronenspitze in das Auge zu verhindern.
- Es handelt sich bei diesem Merkmal um eine Zweckangabe, die sich auf den in Merkmal 1.4 beanspruchten peripheren Vorsprung bezieht. Zweck-, Wirkungs- und Funktionsangaben in einem Sachanspruch belehren den Fachmann über den möglichen Einsatz- und Gebrauchszweck der patentierten Erfindung. Hinsichtlich solcher Zweckbestimmungen ist anerkannt, dass diese grundsätzlich keinen Einfluss auf den Schutzbereich haben und diesen insbesondere nicht grundsätzlich einschränken, weil die Zweckangabe zunächst nur die funktionelle Eignung einer klagepatentgemäßen Vorrichtung klarstellend erläutert und auf diese Weise die technische – zumal: die räumlich-körperliche – Ausgestaltung der Vorrichtung mittelbar beschreibt (BGH GRUR 1979, 149, 151 – Schießbolzen), woraus der Umkehrschluss gezogen werden kann, dass sich der Schutzbereich auf jeden Gegenstand bezieht, der die gleichen Eigenschaften besitzt (BGH GRUR 1991, 436, 442 – Befestigungsvorrichtung II). Allerdings ist auch anerkannt, dass der Fachmann die Zweckbestimmung jedenfalls in der Weise ernst nimmt, dass er sie als Erkenntnisquelle dafür heranzieht, wie er die klagepatentgemäße Vorrichtung ausgestalten muss. In diesem Sinne ist eine Zweckangabe ebenso geeignet über eine bloß beispielhafte Erläuterung der Funktionsweise hinaus zur patentgemäßen Lehre beizutragen, indem sie die Merkmale der Vorrichtung mittelbar beschreibt (BGH GRUR 1981, 259, 260 – Heuwerbungsmaschine II). Auf die Bestimmung des Schutzbereichs wirkt sich eine solche Zweckangabe dann derart aus, dass die Vorrichtung so ausgebildet sein muss, dass sie den beschriebenen Zweck erreichen kann (BGH GRUR 2009, 837, 838 – Bauschalungsstütze; BGH GRUR 2006, 923, 925 – Luftabscheider für Milchsammelanlage). Vom Schutzbereich des eine Vorrichtung lehrenden Patents ist in diesem Fall demnach nur eine solche Vorrichtung umfasst, welche die mit der Zweckangabe gelehrte Funktion erfüllen kann, wenn also die Vorrichtung so ausgestaltet ist, wie sie durch den genannten Zweck bedingt ist (BGH GRUR 2009, 837, 838 – Bauschalungsstütze; BGH GRUR 1991, 436, 442 – Befestigungsvorrichtung II; BGH GRUR 1979, 149, 151 – Schießbolzen). Aus dem Umstand, dass es ausreichend ist, dass die Vorrichtung den vorgesehenen Zweck erreichen kann, folgt auch, dass die Vorrichtung nicht zwingend allein auf diesen Zweck zugeschnitten sein muss. Hinreichend ist es vielmehr, wenn der Zweck (neben anderen Zwecken) ohne weiteres erreicht werden kann. Nicht ausreichend ist es demzufolge, wenn der gelehrte Zweck erst dadurch erreicht werden kann, dass Änderungen an der Vorrichtung vorgenommen werden (BGH GRUR 2006, 923, 925 – Luftabscheider für Milchsammelanlage).
- Im vorliegenden Fall folgen aus dieser Zweckangabe keine eigenen Vorgaben für die räumlich-körperliche Ausgestaltung des peripheren Vorsprungs, weil dieser schon in Merkmal 1.4 räumlich-körperlich beschrieben wird.
- a.
Unter einer „Patronenspitze“ versteht das Klagepatent den distalen Bereich der Düse, der sich von ihrer äußersten Spitze bis hin zu demjenigen Punkt, an dem das erweiterte Dach endet und in die eigentliche röhrenförmige Düse übergeht, erstreckt. Die Patronenspitze ist derjenige, distal von dem peripheren Vorsprung liegende Teil der Düse, der planmäßig bei einem Eingriff mit dem Auge bzw. dem Augeninneren in Kontakt kommen soll. Sie erreicht beim Übergang des erweiterten Dachs in die rundum geschlossene Düse ihren vollständigen Außendurchmesser im Sinne der erfindungsgemäßen Lehre. Demgegenüber verfügt der Bereich der abgeschrägten Spitze/des erweiterten Dachs im Vergleich über einen kleineren Außendurchmesser. Der in das Auge eindringende spitze Endbereich der Düse hat somit durch den Ausdruck „Patronenspitze“ eine Konkretisierung erfahren. Der ebenfalls vom Klagepatent benutzte Begriff der „distalen Spitze“ ist synonym dazu zu verstehen. - Eine eigene Definition für die „Patronenspitze“ sieht die Klagepatentschrift nicht vor. Dieser Ausdruck wird im Klagepatentanspruch erstmals und einzig in Merkmal 1.4.1 benutzt und wird darüber hinaus auch in der Klagepatentbeschreibung nur in Abs. [0005] und [0010] erwähnt.
- So heißt es in Abs. [0010] der Klagepatentbeschreibung:
- „das Einführsystem […], das ein erweitertes Dach an der distalen Spitze der Patrone umfasst, […] die eine Einführtiefenbegrenzung und die Verhinderung des vollständigen Einführens der Patronenspitze gemäß den folgenden Angaben bietet.“
- Dieser Passage entnimmt der Fachmann zunächst die Lokalisierung der Patronenspitze im Verhältnis zu anderen Vorrichtungsbestandteilen. Es erfolgt die Beschreibung des Endbereichs der Patrone („distale Spitze der Patrone“) unter konkreter Zuordnung des erweiterten Dachs zu diesem („umfasst“). Aus dem Umstand, dass der Begriff der Patronenspitze sodann in demselben Satz und in demselben Kontext benutzt wird, erkennt der Fachmann, dass genau die Patronenspitze gemeint und durch jenes erweiterte Dach geprägt wird, das seinerseits, ausweislich des Merkmals 1.4, an die Öffnung der Düse angeschlossen und so auch distal hinter dem peripheren Vorsprung angeordnet ist.
- Außerdem folgt aus dieser Beschreibungsstelle, dass die Patronenspitze grundsätzlich, da sie die Wunden öffnen soll, dafür bestimmt ist, in das Auge eingebracht zu werden, allerdings nur in einem gewissen Maß. Denn ein darüber hinausgehendes, vollständiges Einschieben soll gerade verhindert werden – wie insoweit auch schon dem Anspruchswortlaut zu entnehmen ist.
- Dies entnimmt der fachkundige Leser z.B. dem Abs. [0018] der Klagepatentbeschreibung, der auszugsweise lautet:
- „[…], das geeignet ist, zu verhindern, dass die distale Spitze vollständig in eine Inzision eindringt.“
- Auch diese Beschreibungsstelle besagt, dass die distale Spitze derjenige Teil der Patrone ist, der mit dem Auge in Kontakt gebracht werden soll, wobei auch hier hervorgehoben wird, dass dies nicht in Gänze geschieht.
- Ferner fasst das Klagepatent mit dem in vorstehenden Beschreibungspassagen erwähnten Terminus „Patrone“ den mit der Linse beladenen Vorrichtungsteil und den röhrenförmigen Teil begrifflich zusammen. Patrone meint daher die Verbindung aus Düse und Körper, wobei der Körper kein Vorrichtungsbestandteil ist, der mit dem Auge in Berührung kommt. Auch deshalb versteht der Fachmann, dass die Patronenspitze/distale Spitze der Patrone einen Teilbereich der Düse adressiert. Der sich an die Einführpatrone als solche anschließende Kolben als weiterer Bestandteil eines Intraokularlinsen-Einführsystems, der die Linse in Richtung der Öffnung bewegt, ist im Übrigen nicht vom Klagepatentanspruch umfasst und außer Betrachtung zu lassen. Sofern das Klagepatent auch diesen Schubmechanismus einbeziehen will, spricht es deshalb nicht mehr von einer Patrone, sondern von einem „Einführsystem“ (vgl. Abs. [0010]).
- Für das Verständnis, dass die im Klagepatent sowohl im Anspruchswortlaut als auch in Beschreibungsstellen benutzten Ausdrücke „komplette Einführung“ bzw. „vollständiges Eindringen“ (vgl. Abs. [0018]) auf das begrenzte Eindringen der distalen Spitze ihrem äußeren Durchmesser nach bezogen ist, also darauf, dass nicht ihr vollständiger Außendurchmesser von dem Schnitt in das Auge aufgenommen werden darf, findet der Fachmann gleichermaßen Unterstützung in den genannten Beschreibungspassagen.
- Wörtlich heißt es in Abs. [0018] weiter:
- „Der periphere Vorsprung dient als Einschubtiefenbegrenzung und verhindert das vollständige Einschieben der distalen Spitze in den Wundeingang.“
- Abs. [0019] beschreibt dabei, dass das Dach bis zu einer solchen Tiefe in den Schnitt eingeführt wird, dass der periphere Vorsprung die Oberfläche des Auges berührt und ein weiteres Einführen verhindert.
- Aus diesen Beschreibungspassagen ergeben sich allgemeine Angaben, inwieweit die distale Spitze in den Wundeingang verbracht werden soll. Diese Möglichkeit der Einführung resultiert aus einem Zusammenspiel der eigentlichen distalen Spitze mit dem peripheren Vorsprung, was auch aus einer Gesamtschau mit dem Merkmal 1.4 folgt. Denn aufgrund der sich daraus ergebenden räumlich-körperlichen Ausgestaltung des peripheren Vorsprungs und seiner Anordnung an der Düse stellt das Klagepatent von vornherein schon nur einen bestimmten Bereich der Düse, nämlich die Patronenspitze, zur Verfügung, dessen Einführung in den Schnitt/Wundeingang erwünscht ist.
- Zunächst betreffen diese beiden Passagen der Klagepatentschrift die Begrenzung der Einführtiefe; es soll verhindert werden, dass die Düse ihrer Länge nach vollständig in das Auge eingeführt wird und dort möglicherweise Verletzungen verursacht (vgl. Abs. [0006]: Wundleckagen). Aus dem Umstand, dass neben der Einschubtiefenbegrenzung auch das vollständige Einschieben in den Wundeingang verhindert werden soll, erhält der Fachmann einen Hinweis auf eine zweite Funktion des peripheren Vorsprungs. Diese unterscheidet sich von der Begrenzung der einzubringenden Tiefe und steht selbständig neben der Einführtiefenbegrenzung. Dass damit die Bezugnahme auf den Außendurchmesser adressiert ist, erkennt der Fachmann gleichermaßen aus den Abs. [0018] und [0019]. So liefert zunächst der Abs. [0018] den Hinweis, dass die Patrone während des Gebrauchs im Allgemeinen in einem Winkel zum Auge gehalten wird. Abs. [0019] erläutert außerdem die Operationsvorgehensweise, wonach das Dach bis zu einer solchen Tiefe in den Schnitt eingeführt wird, dass der periphere Vorsprung die Oberfläche des Auges berührt und ein weiteres Einführen verhindert. Der obere Teil des Dachs hält den Schnitt offen und unterstützt die IOL während sie durch die Öffnung, durch den Schnitt und in das Auge eingeführt wird.
- Die dargestellten Beschreibungsabsätze offenbaren somit den maßgeblichen Beitrag des erweiterten Dachs zur Wundöffnung und zur Führung der Linse in den vorderen Bereich des Auges. Die Schräghaltung der Patrone wird durch die besondere Ausgestaltung des erweiterten Dachs über die Öffnung hinaus ermöglicht, weil dadurch nur ein unvollständiger Außendurchmesser der distalen Spitze vorhanden ist und sich der Operateur so diesen durch das erweiterte Dach bereitgestellten kleineren Durchmesser zunutze machen kann, bis dann bei Übergang des erweiterten Dachs in die Düse mit geschlossener Rohrform der vollständige Durchmesser der Patronenspitze erreicht ist.
- Dass mit der Verhinderung der kompletten Einführung genau diese Einführbegrenzung im Sinne des Außendurchmessers angestrebt wird, weiß der Fachmann auch deshalb, weil ihm bereits im Stand der Technik Operationsmethoden bekannt waren, wonach nicht mehr der vollständige Außendurchmesser der Patronenspitze in die Wunde eingeführt werden musste (vgl. Abs. [0005]). Abs. [0005] stellt dabei den Zusammenhang der Begrifflichkeiten „vollständiges Einführen“ zum Außendurchmesser her. Denn zum einen beschreibt Abs. [0005], dass die Patronenspitze nicht vollständig in die Wunde eingeführt wird und zum anderen, dass die Aufnahme des Außendurchmessers der Patronenspitze überflüssig geworden ist. Dass sich schon das nicht mehr vollständige Einführen der Patronenspitze auf den Durchmesser bezieht, ergibt sich daraus, dass die neue verkleinerte Schnittlänge von 2,4 mm in Bezug genommen wird. Von dieser vorbekannten Verbesserung wundgestützter OP-Methoden will das Klagepatent nicht abrücken.
- Weitere Anhaltspunkte für dieses Verständnis des peripheren Vorsprungs und der Verhinderung der kompletten Einführung der Patronenspitze liefert ferner die sehr schematische gehaltene Figur 6 der Klagepatentschrift. Sie zeigt diejenige Position der Einführungspatrone, in der die distale Spitze mit dem erweiterten Dach bereits in das Auge eingeführt ist und der periphere Vorsprung der Einführpatrone außen auf dem Auge aufliegt. Das ist daraus zu ersehen, dass sich die IOL mit der Bezugsziffer 13 in ausgefaltetem Zustand im Auge auf dem Weg zur richtigen Positionierung in der vorderen Augenkammer befindet. Nach der Lehre des Klagepatents erfolgt die Abgabe der IOL dann, wenn der periphere Vorsprung bereits zum Anliegen kam. Dementsprechend ist gezeigt, dass die obere Kante des peripheren Vorsprungs auf der Oberfläche des Auges liegt, wohingegen die untere Kante der Patronenspitze noch außerhalb der durch die mit der Bezugsziffer 50 gekennzeichneten, den Schnitt darstellenden gewölbten Linien liegt. Erst ab dieser unteren Kante weist die Patronenspitze aber ihren vollständigen Außendurchmesser auf.
- Auch bei einer technisch-funktionalen Betrachtung ist dem Fachmann bewusst, dass das Klagepatent mit dem peripheren Vorsprung zwei selbständig nebeneinanderstehende Funktionen adressiert. Die Begrenzung der Einführtiefe und die Verhinderung der kompletten Einführtiefe betreffen unterschiedliche Aspekte, wobei der eine nicht schon unmittelbar durch die Erfüllung des anderen bedingt wird. Denn insbesondere geht mit einer Begrenzung der Einführtiefe nicht zwingend einher, dass auch die komplette Einführung der Patronenspitze in die gewünschte kleine Inzision verhindert wird. Denn eine begrenzte Einführtiefe limitiert nicht zwingend zugleich den in das Auge zu verbringenden Durchmesser der Patrone. Es besteht daher technisch-funktionaler Bedarf, gesondert eine Einführbegrenzung für den Außendurchmesser vorzusehen, wobei es keine Anhaltspunkte im Klagepatent gibt, dass dies technisch nicht durch dasselbe Mittel wie die Einführtiefenbegrenzung bereitgestellt werden dürfte. Dementsprechend ist der periphere Vorsprung auch so anzuordnen, dass nicht der vollständige Außendurchmesser der distalen Spitze in das Augeninnere gelangen kann. Der vollständige Außendurchmesser muss hinter dem peripheren Vorsprung liegen. Aus diesem funktionalen Aspekt folgt außerdem das technische Erfordernis, dass der periphere Vorsprung in einem Zeitpunkt auf dem Auge zum Liegen kommt, bevor die distale Spitze ihren vollständigen Durchmesser erreicht hat. Andernfalls könnte der Vorsprung seine Funktion der Begrenzung nicht erfüllen.
- Demgegenüber finden sich in der Klagepatentschrift keine Hinweise für das Verständnis der Klägerin, wonach das Eindringen desjenigen Umfangs der Düse verhindert werden soll, den der distale Teil der Einführpatrone in Richtung auf den Patronenkörper aufweist. Dieser erweitert sich nämlich über den Verlauf der Düse. Danach käme es auf das Erreichen des vollständigen Durchmessers im Vergleich zum durch das erweiterte Dach bereitgestellten geringeren Durchmesser nicht an und somit könnte selbst der unmittelbar hinter dem peripheren Vorsprung liegende Durchmesser noch als nicht vollständig erachtet werden. Denn die Lehre des Klagepatents nimmt den sich allmählich erweiternden Umfang der Düse gar nicht in den Blick. Zwar mag aus dem Stand der Technik die herkömmliche Form einer Düse bekannt gewesen sein und so auch ihr sich zum Patronenkörper hin vergrößernder Durchmesser, was – wovon auch die erfindungsgemäße Lehre weiterhin ausgeht – dazu dient, die zunächst im geöffneten Zustand gelagerte IOL mittels der Schubbewegung durch die sich verschmälernde Düse zu falten oder zu rollen und sie sodann im gefalteten Zustand ins Auge zu transportieren (vgl. Abs. [0004] „Einführpatrone faltet“). Dabei hat der Fachmann weder aus dem Stand der Technik noch aus der Klagepatentschrift Anhaltspunkte, und dies sogar unabhängig von den Operationsmethoden, dass die Düse über ihren engsten Endbereich hinaus in ein Auge verbracht werden könnte, was aber unter technisch-funktionalen Gesichtspunkten erforderlich wäre, um auf den sich in diesem Bereich erweiternden Durchmesser abstellen zu können.
- b.
Das Klagepatent versteht die Begrenzung der Einführtiefe sowie die Verhinderung der kompletten Einführung der Patronenspitze in Bezug auf das Augeninnere, wobei dieses mit dem die Wunde bildenden Einschnitt, durch den der IOL der Eintritt in das Auge ermöglicht wird, beginnt. Erfasst von dem Augeninneren ist danach schon der durch zwei Wundlappen gebildete Wundkanal. - Dem Anspruchswortlaut ist dabei ein konkreter Bezugspunkt für die begehrten Begrenzungsfunktionen noch nicht zu entnehmen. Er folgt aber aus einer Betrachtung der Beschreibungsstellen, insbesondere unter Berücksichtigung des technisch-funktionalen Verständnisses der erfindungsgemäßen Lehre. Denn in seinen Beschreibungsstellen erläutert das Klagepatent, wie die erfindungsgemäße Vorrichtung benutzt werden soll, um das Erreichen der angestrebten Vorteile sicherzustellen. So entnimmt der fachkundige Leser dem Abs. [0010], dass das erweiterte Dach die Wunde öffnen und stützen soll, während die gefaltete Linse geführt und kontrolliert wird und durch die Wunde läuft. Konkretisiert wird diese Vorgehensweise durch Abs. [0019], wonach das Dach bis zu einer solchen Tiefe in den Schnitt eingeführt wird, dass der periphere Vorsprung die Oberfläche des Auges berührt und ein weiteres Einführen verhindert. Der obere Teil des Dachs hält den Schnitt offen und unterstützt die IOL, während sie durch die Öffnung, durch den Schnitt und in das Auge eingeführt wird. Ferner soll nach Abs. [0018] das vollständige Einschieben der distalen Spitze in den Wundeingang verhindert werden.
- Aus diesen Passagen ist zu ersehen, dass das Klagepatent keine einheitliche Terminologie aufweist, um zu beschreiben, in Bezug auf welchen Wund-/Augenbereich keine komplette Einführung der Patronenspitze erfolgen darf.
Vielmehr setzt es die eigentliche Wunde und den (Ein-) Schnitt begrifflich gleich. Diese sprachliche Handhabe zeigt dem Fachmann, dass der Kontakt des vollständigen Außendurchmessers der Patronenspitze mit dem Augeninneren überhaupt verhindert werden soll, wobei alles ab dem Einschnitt in Richtung auf die vordere Augenkammer dazuzuzählen ist, was insbesondere dem Begriff des Wundeingangs zu entnehmen ist. - In diesem Verständnis wird der Fachmann ferner durch im Stand der Technik vorbekannten Vorrichtungen unterstützt. Diese sahen nämlich schon vor, die IOL durch einen kleinen Schnitt in das Auge zu verbringen, ohne dabei die Patronenspitze vollständig in die Wunde einzuführen.
- Auch unter technisch-funktionalen Gesichtspunkten steht dieses Verständnis des Bezugspunktes für die Verhinderung der kompletten Einführung der Patronenspitze in Einklang mit der Lehre des Klagepatents. Denn die erfindungsgemäße Vorrichtung soll für die Einbringung einer IOL nur einen kleinen Einschnitt in Anspruch nehmen. Die Ausmaße des Einschnitts bedingen aber gerade, in welchem Ausmaß der Wundkanal aus den Wundlappen gebildet werden kann. Es kommt dem Klagepatent darauf an, schon den Wundkanal zu schützen und die Patronenspitze nicht vollständig einzuführen, um etwa dessen Einreißen zu vermeiden.
- 2.
Ausgehend von vorstehendem Verständnis macht die angegriffene Ausführungsform keinen wortsinngemäßen Gebrauch von der Lehre des Klagepatents. Die Kammer kann keine Verletzung des Merkmals 1.4.1 feststellen. Selbst wenn bei der angegriffenen Ausführungsform der Abstand zwischen dem vorgeschobenen Insert Shield und der Einführpatrone als unschädlich betrachtet wird, fehlt es an einer wirksamen Begrenzung dahingehend, dass das vorgeschobene Insert Shield die komplette Einführung der Patronenspitze ihrem Außendurchmesser nach verhindert. - Mittels welcher Operationsmethode die angegriffene Ausführungsform benutzt wird, ist nicht maßgeblich. Entscheidend ist nämlich nur die sich bei ihrer Anwendung ergebende tatsächliche Erstreckung der Patronenspitze in das Augeninnere, wenn auf dem Auge außen das Insert Shield aufliegt.
- a.
Die angegriffene Ausführungsform ist unstreitig so ausgestaltet, dass sie über ein kappenartiges „Insert Shield“ verfügt, welches separat auf die Patrone aufgesteckt werden kann. Dadurch wird die zur Verfügung stehende Länge der distalen Spitze verkürzt. Das Insert Shield ist über einen Befestigungsmechanismus an der Außenwand der Patrone fixiert und sein Endbereich umgibt die Düse in distaler Richtung nahezu vollständig. Die Patronenspitze, die aus dem Insert Shield hinausragt, weist entlang ihrer Längserstreckung zur Öffnung unterseitig einen v-förmigen Spalt auf, wobei der Durchmesser der Patronenspitze sowohl im aufgeweiteten als auch im spitzen Bereich des Spalts gleich groß ist. - b.
Die Kammer ist aufgrund des klägerischen Vorbringens nicht davon überzeugt, dass das Insert Shield bewirkt, dass nur ein gegenüber dem vollständigen Durchmesser der Patronenspitze kleinerer Durchmesser in das Auge bzw. den Wundkanal eingeführt werden kann. - Zum Nachweis der Verwirklichung des Merkmals 1.4.1 kann sich die Klägerin nicht mit Erfolg auf die als Anlagen AR 12 und AR 13 vorgelegten (Presse-) Mitteilungen zur angegriffenen Ausführungsform berufen. Beide Dokumente stellen das Insert Shield heraus und betonen, dass dieses ein präzises Injektorspitzen Einführ-Management zur Verfügung stellt und einem Operateur so eine verbesserte Kontrolle über das Einsetzen einer Linse in das Auge bereitstellt. Erwähnt werden dabei eine „two-handed screw“ und eine „one-handed“ Technik (push method). In beiden Fällen kommt das Insert Shield zur Anwendung und sie unterscheiden sich im Übrigen nur in der Handhabe durch den Operateur. Da es sich jedoch bei diesen Dokumenten um Werbeaussagen handelt, werden keinerlei explizite technische Details offenbart, die vorliegend für eine verlässliche Beurteilung der Merkmalsverwirklichung erforderlich wären. Dafür genügt auch die allgemeine Beschreibung, dass die Implantation mithilfe des Insert Shield entweder direkt in die Kapseltasche oder durch den Wundtunnel erfolgen kann, nicht. Vielmehr wären Angaben erforderlich gewesen, wann der Vorsprung auf dem Auge zum Aufliegen kommt und bis zu welchem Durchmesser die Patronenspitze in diesem Zeitpunkt bereits in den Wundkanal eingeführt worden ist.
- Im Ergebnis ebenso ohne belastbaren Aussagegehalt sind die „Produktbroschüre“ der Beklagten (Anlage AR 18) sowie ein von der Beklagten unterstützter Fachbeitrag (Anlage AR 23). Diese Dokumente erläutern den Aufbau der angegriffenen Ausführungsform und zeigen anhand von Bildern, wie die oben erwähnte ein- bzw. zweihändige Bedienung aussieht. Ebenso wird die angegriffene Ausführungsform mit und ohne vorgeschobenem Insert Shield dargestellt, wobei die Dokumente die erste Variante für eine Einführung durch den Wundkanal vorschlagen und die zweite Variante für ein Einsetzen unmittelbar in die Kapseltasche. Abgesehen von diesen allgemeinen Erklärungen ist nur ein aus vier kleinen Bildern bestehendes, identisches Foto in der Anlage AR 18 (Figur 8) bzw. ein Foto in der Anlage AR 23 (dort Figur 4) vorhanden, welches die angegriffene Ausführungsform im Einsatz darstellt. Hinweise auf die konkrete Einführung lassen sich diesem nicht entnehmen. Auf den vier Abbildungen sind unterschiedlich weit in ein Auge hineinragende Patronen ersichtlich. Dabei unterscheiden sich die erste und die zweite Reihe in jedem Fall dadurch, dass mit und ohne aufgesetztem Insert Shield gearbeitet wurde, worauf die Figur auch aufmerksam macht. Worin der jeweilige Unterschied zwischen den rechten und den linken Bildern liegt, ist dagegen nicht ersichtlich.
Hinzukommt, dass nicht eindeutig abgegrenzt werden kann, wie die Hornhaut und ein etwaiger Wundkanal verlaufen. Wie sich das Insert Shield am Äußeren des Auges verhält ist ebenso wenig ersichtlich. Gerade derlei Erkenntnisse wären aber entscheidend, um feststellen zu können, wie weit die Spitze tatsächlich ins Auge eingeführt worden ist und ob dies unter Mitwirkung des Insert Shield geschieht. Demgegenüber würde sich nämlich sogar aus den rein schematischen Abbildungen der Beklagten aus der Klageerwiderung schon das Gegenteil ergeben, ohne dass die Klägerin dies plausibel entkräftet hätte. - Stichhaltige Erkenntnisse zur Begrenzung des äußeren Durchmessers hat die Klägerin ebenso wenig anhand des zur Akte gereichten Gutachtens des Herrn Stephen S. Lane (Anlage AR 27a) aufzuzeigen vermocht. Vorwiegend betreffen seine Ausführungen allgemeine Aspekte der Ophthalmologie und der erfindungsgemäßen Lehre. Im Hinblick auf die angegriffene Ausführungsform selbst stützt sich der Gutachter lediglich auf eine Werbeaussage, die allgemein herausstellt, dass das „einzigartige Einführschild, [der] die Eindringtiefe begrenzt.“ Dies soll zu einem flachen Eindringen in die Wunde führen und die Wunde selbst schützen. Wie konkret dies bewerkstelligt werden soll und wie die Erstreckung in das Auge vermittelt über den Wundkanal ausfällt, stellt der Gutachter nicht dar.
- An vorstehender Bewertung der Merkmalsverwirklichung ändern schließlich die Ausführungen der Klägerin aus dem Schriftsatz vom 19.05.2020 in Ergänzung mit dem Vortrag aus der mündlichen Verhandlung nichts. Auch durch die Bezugnahme auf die Äußerungen der Frau Dr. M in ihrer eidesstattlichen Versicherung, von der Beklagten als Anlage ES 18a vorgelegt, gelingt es der Klägerin nicht, das tatsächlich dem Außendurchmesser nach begrenzte Eindringen der Patronenspitze der angegriffenen Ausführungsform in ein menschliches Auge nachzuweisen. Frau M beschreibt Möglichkeiten, eine IOL zu implantieren und erwähnt dabei auch eine Methode, bei welcher nur das Ende der Kartusche in den Einschnitt eingeführt wird, um die verringerte Größe des Einschnitts während der Injektion beizubehalten. Sie geht von einem Einschnitt aus, dessen Länge und Breite in der Regel gleich groß sind, nämlich etwa 2 mm. Ausgehend von dieser Maßangabe hat sie händisch einen Wundkanal und eine darin eingesetzte Kartusche gezeichnet, wobei es sich nicht um eine angegriffene Ausführungsform handelt. Die Klägerin hat sodann diese Zeichnung zur Grundlage ihres Vorbringens gemacht und daran die Eindringtiefe der angegriffenen Ausführungsform aufzeigen wollen, was ihr nach Ansicht der Kammer allerdings nicht gelungen ist. Im Hinblick auf die Zeichnung ist lediglich die Länge des Wundkanals unstreitig. Im Übrigen erscheint fraglich, ob die Größenverhältnisse in dieser Zeichnung belastbar sind; dies gilt vor allem bezüglich der Dicke der gezeichneten Hornhaut und ihr Verhältnis zur Größe des Schnitts sowie zur Patronenspitze.
- Insoweit hat sich die Klägerin hinsichtlich Größe und Abmessungen der Patronenspitze der angegriffenen Ausführungsform im Termin zur mündlichen Verhandlung aber jedenfalls auch die Angaben der Beklagten zu Eigen gemacht. Danach beträgt die Länge des erweiterten Dachs 3,5 mm (ursprünglich von der Klägerin behauptet: 3,0 mm) und der V-förmige Ausschnitt beginnt, gemessen von dem peripheren Vorsprung nach 0,9 mm (ursprünglich von der Klägerin behauptet: 0,7 mm) und die für den Austritt relevante Öffnung der Patronenspitze beginnt bei 1,6 mm.
- Nachstehend werden zur Veranschaulichung von den Parteien vorgelegten Zeichnungen eingeblendet:
- (Klägerin)
- (Beklagte)
- Der in diesem Zusammenhang von der Klägerin angeführte Kontaktabschnitt, entlang dessen die IOL im Wundkanal in die vordere Augenkammer gleitet, ist als solcher schon deshalb zum Beleg einer Anspruchsverwirklichung unbehelflich, weil für die Beurteilung der Patentverletzung nur die Ausgestaltung der angegriffenen Ausführungsform im Verhältnis zum Augeninneren maßgeblich ist, unabhängig davon, wie sodann die IOL durch den Wundkanal oder das Auge verläuft. Dies gilt umso mehr, als die Nutzung des Wundkanals auch bei vollständig in das Auge eingeführtem Durchmesser erfolgen könnte. So führt insbesondere der klägerische Verweis darauf, dass ein restlicher Bereich der Patronenspitze samt Öffnung im Wundtunnel verbleibe, gerade von der Verletzung des Klagepatents weg, weil schon der Wundtunnel zu dem Teil des Augeninneren gehört, in den der vollständige Durchmesser der distalen Spitze gerade nicht eindringen soll.
- Ein anderes tatsächliches Verständnis ergibt sich nicht aus den eigenen Berechnungen der Klägerin in der mündlichen Verhandlung. Diese bekräftigen vielmehr, dass der vollständige Durchmesser der Patronenspitze bei Anwendung der angegriffenen Ausführungsform in den Wundkanal gelangt. So ging die Klägerin jeweils von dem 2 mm langen Wundkanal aus und – abhängig von der Länge dieses unteren Abschnitts, hier 0,9 mm – einem Kontaktabschnitt von 1,1 mm. Das führt zu dem Ergebnis, dass die Patronenspitze in einer Länge 0,9 mm in den Wundkanal hineinragen muss. Ein anderes Verständnis dieser von der Klägerin angestellten Berechnungen ist jedenfalls nicht ersichtlich; zumal in diesem Sinne auch die eigenen zeichnerischen Darstellungen der Klägerin, integriert in diejenige Skizze der Frau M, zu lesen sind. Denn danach befindet sich das Ende des von der Klägerin als unteren Abschnitts bezeichneten Bereichs innerhalb des Wundkanals und mithin im Auge. Da genau dort aber die Patronenspitze ihren vollständigen Durchmesser – der jedenfalls bis zum Insert Shield gleich groß bleibt – erreicht, scheidet eine Anspruchsverwirklichung aus.
- Dass der untere Abschnitt, der bei vorgeschobenem Insert Shield über dieses hinausstehe, zumindest teilweise in den Wundkanal hineinragt, folgt überdies aus einer Gegenüberstellung der weiteren, vorhandenen Längenmaße. Das erweiterte Dach ist 3,5 mm lang, der Wundkanal 2 mm. Demnach verbleibt von dem oberen Dach ein Bereich von 1,5 mm, der nicht in den Wundkanal eingeführt wird. Da im unteren Bereich die v-förmige Öffnung 1,6 mm von dem Insert Shield beabstandet ist, ragt sie jedenfalls um 0,1 mm mit ihrem vollständigen Außendurchmesser in den Wundkanal hinein.
- Die ebenfalls in dem Schriftsatz vom 19.05.2020 enthaltenen Lichtbilder, die wiederum der Anlage AR 18 entnommen sind, geben trotz der seitens der Klägerin eingezeichneten Maßangaben keinen stichhaltigen Aufschluss über das Eindringen der Patronenspitze ihrem Umfang nach. Die schon zuvor aufgezeigten Unklarheiten gelten weiterhin. Auch ist die Klägerin nicht auf die seitens der Beklagten geäußerte Kritik eingegangen, wonach diese Bilder schon deshalb keinen zuverlässigen Hinweis auf die Einführtiefe der angegriffenen Ausführungsform geben, weil sich die Hornhaut aufgrund des fehlenden Innendrucks in dem fotografierten postmortalen Auge eingedrückt haben kann und somit keine tatsächlichen Gegebenheiten gezeigt werden. Ferner ist der Wundtunnel nicht gezeigt. Hinzukommt schließlich, dass nicht sicher beurteilt werden kann, wie sich der periphere Vorsprung außerhalb des Auges verhält, ob er bereits auf der Oberfläche aufliegt.
- IV.
Mangels Verletzung des Klagepatents stehen der Klägerin die geltend gemachten Ansprüche nicht zu. - B.
Die prozessualen Nebenentscheidungen beruhen auf §§ 91 Abs. 1, 709, 344 ZPO. - Da die tatsächlichen Ausführungen der Klägerin im Schriftsatz vom 19.05.2020 das Klagebegehren inhaltlich nicht stützen können, kam es insoweit auf die Fragestellung der Verspätung, §§ 296, 282 ZPO, nicht an.
- Streitwert: 500.000,- Euro