Düsseldorfer Entscheidungsnummer: 3027
Landgericht Düsseldorf
Urteil vom 18. Juni 2020, Az. 4b O 129/18
- Die Beklagten werden gesamtschuldnerisch verurteilt,
- der Klägerin einen Betrag i.H.v. EUR 3.686,08 zzgl. Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 26. Januar 2019 zu zahlen.
- II.
Im Übrigen wird die Klage abgewiesen. - III.
Die Klägerin trägt die Kosten des Rechtsstreits zu 70% und die Beklagten zu 30%. Die Kosten der Streithelferin trägt die Klägerin zu 70%. Im Übrigen trägt die Streithelferin ihre Kosten selbst. - IV.
Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des jeweils zu vollstreckenden Betrages vorläufig vollstreckbar. - Tatbestand
- Die Klägerin nimmt die Beklagten wegen Verletzung des deutschen Patents DE 100 00 XXX B4 (Anlage K1; im Folgenden: Klagepatent) auf Zahlung von Rechts- und Patentanwaltskosten, entgangenem Gewinn und Kosten der Beweisführung in Anspruch.
- Die Klägerin ist eingetragene Inhaberin des Klagepatents, das am 12. Januar 2000 angemeldet wurde. Die Anmeldung wurde am 19. Juli 2001 offengelegt und der Hinweis auf die Erteilung des Klagepatents am 25. Februar 2010 veröffentlicht. Das Klagepatent ist durch Zeitablauf erloschen.
- Das Klagepatent betrifft ein Rollbandmaß, insbesondere zur Messung des Umfangs von Körperteilen.
- Die Klägerin stützt ihre Klage auf den Vorrichtungsanspruch 1, der lautet wie folgt:
- Rollbandmaß, bestehend aus einem Gehäuse-Ober- und Gehäuseunterteil, einer Bohrung im Gehäuse-Oberteil für einen Auslöseknopf, einer im Gehäuse angeordneten Federtrommel mit Zugfeder, deren Ende mit dem Gehäuse-Unterteil verbunden ist, einer Rücklaufsperre für die Zugfeder, einem auf der Federtrommel aufgerollten flexiblen Bandmaß und einer durch den Auslöseknopf betätigbaren Auslöseraste, wobei der Auslöseknopf mit einem U-förmigen Element verbunden ist, in das sich eine federelastisch ausgebildete Zunge erstreckt, die an einem Ende mit den Enden der beiden Schenkel des U-förmigen Elements und mit dem Auslöseknopf verbunden ist und an deren anderem Ende die Auslöseraste angeordnet ist, dadurch gekennzeichnet, dass
– das Gehäuse (2, 3) mit einem schlitzförmigen Aus- und Einlauf (14) für das Maßband und mit einer Halte- oder Einrastvorrichtung (16) für das Anfangsteil des Bandmaßes als ein in Längsrichtung einseitig unten geschlossener Schlitz ausgebildet ist, an dessen Ende sich eine Ausnehmung oder Einbuchtung (18) des Gehäuses (2; 3) zur Aufnahme des am Bandmaßanfang befindlichen Beschlages (17) befindet,
– der Bandauslauf und Bandeinlauf eine Messwert-Ablesekante und eine einrastbare Bandbremsvorrichtung zur Fixierung des Bandes für die Ablesung aufweist,
– zur fehlerfreien Handhabung des Rollbandmaßes die Einrastvorrichtung (16) von ihrem Eingang bis zum Null-Punkt des eingelegten Maßbandes die gleiche Länge L besitzt wie der Abstand des Aus- und Einlaufes (14) von der Einrastvorrichtung (16) aufweist,
– ein auf das Maßband wirkender Federzug beim Einroll- oder Messvorgang konstant ist,
– das Gehäuse (2; 3) zwischen dem Bandauslauf und Bandeinlauf (14) und der Einrastvorrichtung (16) eine zum Gehäuse gerichtete konvexe Wölbung (19) aufweist und
– das Bandmaß durch Bedienung des Auslöseknopfes in vertikaler Richtung ohne dessen Fixierung bedienbar ist. - Zur Veranschaulichung der erfindungsgemäßen Lehre wird nachfolgend die Figur 4 der Patentbeschreibung wiedergegeben, die eine Draufsicht auf das Gehäuseoberteil von unten zeigt:
- Die Klägerin verlangt mit ihrer Klage Aufwendungs- und Schadensersatz wegen Patentverletzung.
- Geschäftsgegenstand der Beklagten zu 1) – deren Geschäftsführer die Beklagten zu 2) und zu 3) sind – ist der Vertrieb von Werbeartikeln und künstlerischen Entwürfen sowie die Erstellung und Veröffentlichung von Werbeanzeigen.
- Die Beklagte zu 1) lieferte im Mai 2013 insgesamt 10.000 Rollmaßbänder zu einem Preis von 11.100,00 EUR netto an die A GmbH & Co KG, (angegriffene Ausführungsform), die sie zuvor bei der B oHG zu einem Preis von 9.700,00 EUR netto eingekauft hatte.
- Die Klägerin erfuhr von dem Verkauf der angegriffenen Ausführungsformen auf Grund einer Berechtigungsanfrage gegenüber der A GmbH & Co KG.
- Die Klägerin mahnte die Beklagten sodann mit Schreiben vom 19. Februar 2018 ab und machte Rechts- und Patentanwaltskosten auf der Grundlage eines Gegenstandswerts von 700.000,00 EUR von insgesamt 11.845,02 EUR geltend. Daraufhin gaben die Beklagten – ohne Anerkennung einer Rechtspflicht – mit Schreiben vom 6. März 2018 eine strafbewehrte Unterlassungserklärung ab und erteilten unter Vorlage einer Rechnung Auskunft über den Verkauf und die Lieferung der 10.000 Rollmaßbänder an die A GmbH & Co. KG. Zudem erstatteten die Beklagten der Klägerin Abmahnkosten für die Einschaltung eines Rechtsanwalts auf der Grundlage eines Gegenstandswerts i.H.v. 10.000,00 EUR, also insgesamt 745,40 EUR. Mit Fax vom 26. März teilten die Beklagten zudem ergänzend zu ihren bereits gemachten Angaben mit, von welchem Lieferanten sie die Rollmaßbänder bezogen hatten.
- Die Klägerin macht nunmehr Aufwendungsersatz für die Abmahnung i.H.v. 11.845,02 EUR abzüglich bereits gezahlter 745,40 EUR, mithin 11.099,62 EUR, außerdem Anspruch auf Wertersatz i.H.v. 1.400,00 EUR für den von der Beklagten zu 1) mit dem Weiterverkauf der Rollmaßbänder erzielten Gewinn und Schadensersatz i.H.v. 49,58 EUR für die Anschaffung eines elektrischen Cutters zwecks Beweisführung geltend.
- Sie ist der Auffassung, dass die angegriffene Ausführungsform das Klagepatent verletzen. Auf Grund der Verletzung hätten die Beklagten die für die Abmahnung entstandenen Gebühren zu erstatten, zu denen neben den Rechtsanwaltskosten in Höhe einer 1,3 Gebühr auch Patentanwaltskosten in gleicher Höhe gehörten. Diese Kosten seien auf der Grundlage eines Gegenstandswerts von 500.000,00 EUR zu bemessen, der für jeden der Geschäftsführer der Beklagten zu 1), hier die Beklagten zu 2) und zu 3), um jeweils 1/5 zu erhöhen sei, so dass insgesamt ein Gegenstandswert von 700.000,00 EUR zu Grunde zu legen sei. Neben den Gebühren sei auch die dafür anfallende Umsatzsteuer zu zahlen. Zudem sei der mit dem Verkauf der Maßbänder erzielte Gewinn in voller Höhe herauszugeben und die Kosten für die Anschaffung eines elektrischen Cutters zu erstatten.
- Die Klägerin beantragt,
- die Beklagten zu verurteilen, der Klägerin gesamtschuldnerisch einen Betrag i.H.v. EUR 12.549,20 zzgl. Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz gemäß § 247 BGB seit dem Tag auf die Klagezustellung zu zahlen.
- Die Beklagten beantragen,
- die Klage abzuweisen.
- Die Beklagten haben der B oHG mit Schriftsatz vom 28. Januar 2019 (Bl. 65 dA) den Streit verkündet. Diese ist dem Rechtsstreit beigetreten und hat sich dem Klageabweisungsantrag der Beklagten angeschlossen.
- Die Beklagten sind der Auffassung, dass die angegriffene Ausführungsform von dem Klagepatent keinen Gebrauch mache. Sie meinen, dass es der angegriffenen Ausführungsform an einer einrastbaren Bandbremsvorrichtung am Bandeinlauf bzw. Bandauslauf fehle. Sie tragen außerdem vor, dass die angegriffene Ausführungsform keinen Auslöseknopf mit einer federelastisch ausgebildeten Zunge aufweise. Vielmehr sei das U-förmige Element, nicht aber die Zunge, federelastisch ausgebildet. Zudem fehle es an einer einrastbaren Messwert-Ablesekante, weil das Band zwecks Ablesung händisch fixiert werden müsse. Darüber hinaus sei die Länge vom Eingang der Einrastvorrichtung bis zum Null-Punkt des eingelegten Maßbandes nicht identisch mit dem Abstand des Aus- und Einlaufs zur Einrastvorrichtung. Auch sei der auf das Maßband wirkende Federzug nicht konstant.
- Außerdem sei der von der Klägerin bezifferte Gegenstandswert vollkommen überzogen und nur mit 10.000,00 EUR anzusetzen. Zudem sei die Hinzuziehung eines Patentanwalts nicht notwendig gewesen.
- Entscheidungsgründe
- Die zulässige Klage ist teilweise begründet.
- Die Klägerin hat gegen die Beklagten einen Anspruch auf Aufwendungs- und Schadensersatz i.H.v. 3.686,08 EUR aus §§ 683 S. 1, 677, 670 BGB; 139 Abs. 1 und 2 PatG.
- I.
Das Klagepatent betrifft ein Rollbandmaß, das insbesondere zur Messung des Umfangs von Körperteilen geeignet ist. - Im Hinblick auf den Stand der Technik verweist die Klagepatentschrift zum einen auf weitere Patente desselben Erfinders. Dazu gehört die DE-PS 25 45 XXX, aus der ein Rollbandmaß bekannt sei, Absatz [0002] (alle folgenden, nicht näher bezeichneten Absätze sind solche des Klagepatents). Bei diesem Rollbandmaß weisen sowohl das Gehäuse-Ober- als auch Unterteil Flächenteile auf, die aus den Gehäuseflächen ausgeschnitten werden und über verbleibende Stege mit dem jeweiligen Gehäuseteil verbunden seien. Die Flächenteile selbst seien über einen Steg miteinander verbunden. Dabei wirke das im Gehäuse-Oberteil ausgeschnittene Flächenteil als Auslöseknopf und das im Gehäuse-Unterteil ausgeschnittene Flächenteil als Auslöseraste. Ein weiteres Rollbandmaß der gleichen Art sei aus der EP 582 XXX B1 bekannt, Absatz [0003].
- Zum anderen verweist das Klagepatent auf weitere Patentschriften und hebt dabei die US 2 129 XXX A hervor, die ein Rollbandmaß beschreibe, das jedoch aus einer verhältnismäßig großen Anzahl von Bauteilen bestehe und dessen Einsatz auf die Durchführung von Umfangsmessungen beschränkt sei, Absatz [0004].
- Vor diesem Hintergrund beschreibt das Klagepatent die Aufgabe (das technische Problem) dahingehend, ein Rollbandmaß zu entwickeln, das Umfangs- und Längenmessungen in einfacher Weise und genau reproduzierbar ermögliche. Daneben soll es ein Minimum an Bauelementen aufweisen und kostengünstig gefertigt werden können, Absatz [0005].
- Zur Lösung dieser Aufgabe schlägt das Klagepatent mit dem von der Klägerin geltend gemachten Anspruch 1 eine Vorrichtung mit den folgenden Merkmalen vor:
- 1. Rollbandmaß bestehend aus einem Gehäuse-Ober- und Gehäuseunterteil, wobei
- 1.1 das Gehäuse mit einem schlitzförmigen Aus- und Einlauf für das Maßband ausgebildet ist, wobei
- 1.1.1 der Bandauslauf und Bandeinlauf eine Messwert-Ablesekante und eine einrastbare Bandbremsvorrichtung zur Fixierung des Bandes für die Ablesung aufweist;
- 1.2 das Gehäuse mit einer Halte- oder Einrastvorrichtung für das Anfangsteil des Bandmaßes als ein in Längsrichtung einseitig unten geschlossener Schlitz ausgebildet ist, an dessen Ende sich eine Ausnehmung oder Einbuchtung des Gehäuses zur Aufnahme des am Bandmaßanfang befindlichen Beschlages befindet, wobei
- 1.2.1 zur fehlerfreien Handhabung des Rollbandmasses die Einrastvorrichtung von ihrem Eingang bis zum Null-Punkt des eingelegten Maßbandes die gleiche Länge L besitzt wie der Abstand des Aus- und Einlaufes von der Einrastvorrichtung aufweist;
- 1.3 das Gehäuse zwischen dem Bandauslauf und Bandeinlauf und der Einrastvorrichtung eine zum Gehäuse gerichtete konvexe Wölbung aufweist.
- 2. Das Gehäuse-Oberteil weist eine Bohrung für einen Auslöseknopf auf, wobei
- 2.1 der Auslöseknopf mit einem U-förmigen Element verbunden ist, in das sich eine federelastisch ausgebildete Zunge erstreckt, die an einem Ende mit den Enden der beiden Schenkel des U-förmigen Elements und mit dem Auslöseknopf verbunden ist und an deren anderem Ende die Auslöseraste angeordnet ist, und
- 2.2 das Bandmaß durch Bedienung des Auslöseknopfes in vertikaler Richtung ohne dessen Fixierung bedienbar ist, und
- 2.3 der Auslöseknopf eine durch diesen betätigbare Auslöseraste aufweist.
- 3. Im Gehäuse ist eine Federtrommel mit Zugfeder angeordnet, deren Ende mit dem Gehäuse-Unterteil verbunden ist, wobei
- 3.1 ein auf das Maßband wirkender Federzug beim Einroll- oder Messvorgang konstant ist, und
- 3.2 das Rollbandmaß eine Rücklaufsperre für die Zugfeder aufweist, und
- 3.3 das Rollbandmaß ein auf der Federtrommel aufgerolltes flexibles Bandmaß aufweist.
- Die erfindungsgemäße Lehre soll den Vorteil bieten, dass auch eine Messung an schwer ablesbaren Stellen ermöglicht wird, da das Rollbandmaß nach der Messung mit dem fixierten Messwert an einen Ort gebracht werden könne, an dem der Messwert gut sichtbar und damit ablesbar sei, Absatz [0009].
- II.
Das Klagepatent bedarf hinsichtlich der Merkmale 1.1.1, 1.2.1, 2.1, und 3.1 der Auslegung. - 1.
Das Merkmal 1.1.1 sieht vor, dass der Bandauslauf und Bandeinlauf eine Messwert-Ablesekante und eine einrastbare Bandbremsvorrichtung zur Fixierung des Bandes für die Ablesung aufweisen. - a)
Bei dem Bandauslauf bzw. Bandeinlauf handelt es sich um eine schlitzförmige Ausbildung, siehe Absatz [0006]: - „Erfindungsgemäß wird die Aufgabe durch ein Rollbandmaß der eingangs genannten Art gelöst, bei dem das Gehäuse mit einem schlitzförmigen Aus- und Einlauf für das Maßband […] ausgebildet ist. […]“
- Dieser Ein- und Ausgangsschlitz findet sich auch in den Figuren 4 und 7 und ist mit dem Bezugszeichen 14 gekennzeichnet. Das Bezugszeichen 14 wird im Rahmen des Klagepatentanspruchs für den „Bandein- und Bandauslauf“ verwendet und auch als „schlitzförmiger Aus- und Einlauf“ bezeichnet. Alle Begrifflichkeiten bezeichnen inhaltlich dasselbe, so dass im Folgenden einheitlich der Begriff „Bandauslauf“ verwendet wird.
- b)
Der Bandauslauf muss einerseits eine Messwert-Ablesekante und andererseits eine einrastbare Bandbremsvorrichtung zur Fixierung des Bandes zwecks Ablesung aufweisen. - aa)
Die Messwert-Ablesekante ergibt sich bereits aus dem Umstand, dass der Bandauslauf schlitzförmig ist. So dient die eine Kante des Schlitzes als Messwertablesekante. - bb)
Daneben muss der Bandauslauf eine einrastbare Bandbremsvorrichtung aufweisen. - Der Begriff des Einrastens findet sich im Klagepatent mehrfach und wird jeweils im Sinne eines „mechanischen Ineinandergreifens“ verstanden. So nennt Merkmal 1.2 eine Halte- beziehungsweise Einrastvorrichtung, mit der das Anfangsteil des Bandmaßes fixiert werden kann. Merkmal 2.1 nennt ferner den Auslöseknopf, an dessen Ende sich eine „Auslöseraste“ befindet. Durch diese Auslöseraste wird die Rücklaufsperre gelöst, die das unbeabsichtigte Zurücklaufen des Maßbandes verhindern soll.
- Das Klagepatent meint damit jeweils einen Formschluss, bei dem ein Bauteil das andere hintergreift, so dass das eine das andere jedenfalls in eine Richtung an einer Bewegung hindert bzw. in einer Position hält. Da mit dem Begriff des „(Ein-)Rastens“ durchgängig ein solches mechanisches Ineinandergreifen gemeint ist, ist nicht erkennbar, dass im Rahmen des Merkmals 1.1.1 von einem anderen Verständnis auszugehen ist.
- Jedoch lässt sich weder der Patentbeschreibung, noch den Zeichnungen entnehmen, dass der Bandauslauf selbst die Möglichkeit eines mechanischen Ineinandergreifens bietet. Die Figuren 3, 4 und 7 zeigen vielmehr, dass – wie auch in Merkmal 1.1.1 beschrieben – der mit der Bezugsziffer 14 bezeichnete Bandauslauf schlitzförmig ausgestaltet ist und selbst keine Möglichkeit bietet, das Maßband an einer Bewegung zu hindern.
- Würde man aber den Begriff der „einrastbaren Bandbremsvorrichtung“ so auslegen, dass dem Bandauslauf räumlich ein Mechanismus zugeordnet sein müsste, der durch ein mechanisches Ineinandergreifen von Bauteilen das Maßband bremst, wären die in der Beschreibung näher erläuterten und in den Zeichnungen zu sehenden Ausführungsbeispiele nicht patentgemäß.
- Eine Auslegung des Patentanspruchs, die zur Folge hätte, dass keines der in der Patentschrift geschilderten Ausführungsbeispiele vom Gegenstand des Patents erfasst würde, kommt jedoch nur dann in Betracht, wenn andere Auslegungsmöglichkeiten, die zumindest zur Einbeziehung eines Teils der Ausführungsbeispiele führen, zwingend ausscheiden oder wenn sich aus dem Patentanspruch hinreichend deutliche Anhaltspunkte dafür entnehmen lassen, dass tatsächlich etwas beansprucht wird, das so weitgehend von der Beschreibung abweicht (BGH, Urt. v. 14.10.2014 – X ZR 35/11 – Zugriffsrechte, in GRUR 2015, 159, 1. Ls; BGH, Urt. v. 12.05.2015 – X ZR 43/13 – Rotorelemente, in GRUR 2015, 875, Rn. 16).
- Es gibt keine Anhaltspunkte dafür, dass die Ausführungsbeispiele nicht unter die erfindungsgemäße Lehre fallen sollten. Vor diesem Hintergrund ist der Begriff der „einrastbaren Bandbremsvorrichtung“ funktional und damit in dem Sinne auszulegen, dass ein mechanisches Ineinandergreifen von Bauteilen auch an anderer Stelle genügt, sofern sich die bandbremsende Wirkung zumindest auch am Bandauslauf entfaltet.
- Bei dieser Auslegung reicht es für die Verwirklichung der erfindungsgemäßen Lehre, wenn – wie aus der Beschreibung ersichtlich – die Rücklaufsperre eine Einrastvorrichtung aufweist, die ein Zurückschnellen des Maßbandes verhindert und dieses damit bremst. Diese Wirkung wird durch den schlitzförmig ausgestalteten Bandauslauf verstärkt, über den das Maßband stramm gezogen und damit weiter fixiert werden kann.
- Bereits dadurch wird der erfindungsgemäße Vorteil erreicht, dass das Maßband nach dem Strammziehen in seiner aktuellen Position fixiert wird. Denn so bleibt der gemessene Wert unverändert erhalten und kann an der Messwert-Ablesekante abgelesen werden, siehe auch Absatz [0009]:
- „Zur Messung wird das Maßband um den zu messenden Körper gelegt und das Bandende in den Schlitz gelegt und der Beschlag des Bandanfanges in die Ausnehmung eingeführt und so das Maßband mit dem Gehäuse verbunden. Durch Betätigung des Druckknopfes zum Einrollen des Maßbandes wird das Maßband stramm gezogen, wobei stets eine gleiche Zugspannung erreicht wird. In dieser Position ist das Maßband fixiert, so dass durch Entnahme des Maßbandes aus dem Schlitz und der Ausnehmung der gemessene Wert unverändert erhalten bleibt und an der Messwert- Ablesekante des Gehäuses abgelesen werden kann. Dies hat den großen Vorteil, dass auch eine Messung an schwer ablesbaren Stellen durchgeführt werden kann, da das Rollbandmaß nach der Messung mit dem fixierten Messwert an einen Ort gebracht werden kann, an dem der Messwert gut sichtbar und damit ablesbar ist.“
- 2.
Nach Merkmal 1.2.1 muss die Einrastvorrichtung von ihrem Eingang bis zum Null-Punkt des eingelegten Maßbandes die gleiche Länge L besitzen wie der Abstand des Aus- und Einlaufes von der Einrastvorrichtung aufweist. - Dies ist aus den folgenden Gründen für eine korrekte Messung notwendig:
- Beim Einführen in die Einrastvorrichtung wird das Maßbandende fixiert. Das hat zur Folge, dass das Maßbandende, soweit es sich in der Einrastvorrichtung befindet, nicht für die Messung zur Verfügung steht. Das wiederum würde die Messung verfälschen, da dieser Teil des Maßbandes bei der Messung auf den Umfang aufgeschlagen würde.
- Um das weitgehend zu vermeiden, beabstandet das Gehäuse die Einrastvorrichtung von dem Bandauslauf. So wird beim Anlegen des Maßbandes zwecks Messung der in dieser Beabstandung liegende – nach Merkmal 1.3 konvex ausgebildete – Teil des Gehäuses an den zu messenden Körper angelegt. Das bedeutet, dass dieser Teil bei der Umfangsmessung außen vor bleibt und nicht mitgemessen wird.
- Auf der einen Seite wird der Messung also die Länge, mit der sich das Maßband in der Einrastvorrichtung befindet, hinzugefügt. Auf der anderen Seite wird der beabstandete Teil bei der Messung vom Umfang abgezogen. Die dadurch geschehende Nivellierung führt im Ergebnis zu einer korrekten Messung, soweit die beiden Teile – der abzuziehende und der hinzuzufügende Teil – gleich lang sind. Und genau das sieht das Klagepatent mit Merkmal 1.2.1 mit der gleichen Länge L zwischen dem Eingang der Einrastvorrichtung bis zum Null-Punkt des eingelegten Maßbandes einerseits und dem Abstand des Aus- und Einlaufes von der Einrastvorrichtung andererseits vor.
- Dabei ist jedoch zu beachten, dass die beiden Längen nicht exakt übereinstimmen müssen. Im Rahmen des Merkmals 1.2.1 geht es darum, eine möglichst genaue und gleichzeitig einfache und praktikable Messung zu gewährleisten. Dazu nimmt das Klagepatent gewisse Ungenauigkeiten in Kauf. So ist zum einen nicht klar, ob zur Bestimmung der Länge L zwischen dem Eingang der Einrastvorrichtung bis zum Null-Punkt des eingelegten Maßbandes der direkte Abstand der Punkte zu Grunde zu legen ist – also eine Gerade – oder aber die konvexe Wölbung miteinzubeziehen ist – also ein Kreisbogen. Hinzu kommt, dass das Maßband bei der Messung am Eingang der Einrastvorrichtung geknickt wird. Da Maßbänder typischerweise eine gewisse Dicke aufweisen und keinen scharfen Knick ermöglichen, kommt es auch dadurch zu einer Ungenauigkeit bei der Messung.
- Gewisse Ungenauigkeiten können auch ohne weiteres in Kauf genommen werden, wenn man den Einsatzzweck des erfindungsgemäßen Rollmaßbandes betrachtet. Dieser liegt in der Umfangsmessung von Körperteilen, wie beispielsweise dem Hüft-, bzw. Bauchumfang. Dabei handelt es sich um Messungen in einer Größenordnung, bei der kleinere Messungenauigkeiten von wenigen Millimetern vernachlässigt werden können.
- Vor diesem Hintergrund setzt das Merkmal 1.2.1 eine Übereinstimmung der Längen L nicht exakt, sondern nur insoweit voraus, als dass damit eine praktikable Umfassungsmessung ermöglicht wird.
- 3.
Merkmal 2.1 macht strukturelle Vorgaben zur Ausgestaltung des U-förmigen Elements und zu der Zunge, die sich in das U-förmige Element erstreckt. Dabei muss die Zunge unter anderem federelastisch ausgestaltet sein. - Gemäß Absatz [0027] erstreckt sich das U-förmige Element mit der elastischen Zunge über die Mittelachse des Gehäuses. Die Mittelachse des Gehäuses bildet gleichzeitig die Schwenkachse der Zunge. Dies ist auch erkennbar aus der Figur 7 der Klagepatentbeschreibung, die die Zunge mit dem Bezugszeichen 7, das U-förmige Element mit dem Bezugszeichen 6 und die beiden Schenkel mit den Bezugszeichen 8 und 9 zeigt.
- In Absatz [0027] heißt es zudem, dass die Zunge zur Ebene des U-förmigen Elements mit den Schenkeln einen Winkel bildet. Das ist insofern sinnvoll, als dass das U-förmige Element bzw. die Zunge bei einem Betätigen des Auslöseknopfes gegen das Gehäuseoberteil gedrückt werden. Denn die Kraft, die auf den Auslöseknopf wirkt, überträgt sich über die Schenkel – die sich auf der Mittelachse und damit der Schwenkachse der Zunge befinden – auf das U-förmige Element und die Zunge. Diese beiden Elemente werden, je nachdem, wie sie angeordnet sind, nacheinander gegen das Gehäuseoberteil gedrückt. Der Patentanspruch legt nicht fest, in welchem Winkel das U-förmige Element und die Zunge zueinander stehen, bzw. welches dieser beiden Elemente zuerst gegen das Gehäuseoberteil gedrückt wird.
- Der Anspruchswortlaut schließt nicht aus, dass neben der Zunge auch das U-förmige Element federelastisch ausgebildet ist. Vielmehr spricht für eine solche federelastische Ausbildung auch des U-förmigen Elements bereits der Umstand, dass eben dieses und die Zunge miteinander verbunden als einteiliges Element ausgebildet sind, so dass mit der Federelastizität der Zunge auch die Federelastizität des U-förmigen Elements einhergeht und umgekehrt.
- 4.
Nach Merkmal 3.1 ist der auf das Maßband wirkende Federzug der im Gehäuse angeordneten Zugfeder beim Einroll- oder Messvorgang konstant. - Der Federzug kommt zum Tragen, wenn das Maßband durch Betätigung des Druckknopfes stramm gezogen wird. Dazu heißt es in Absatz [0010]:
- „Für die Durchführung einer genauen und reproduzierbaren Messung ist es besonders von Bedeutung, dass der auf das Maßband wirkende Federzug beim Einroll- oder Messvorgang konstant ist. Für die Genauigkeit der Messung ist es nach der Erfindung vorteilhaft, wenn das Maßband eine auslösbare Rückholsperre mit kleiner Rasterung aufweist, welche durch Tastendruck auslösbar ist.“
- Durch den konstanten Federzug wird gewährleistet, dass bei der in Absatz [0009] beschriebenen Verwendung des Rollbandmaßes beim Strammziehen immer eine gleiche Zugspannung erreicht wird. Die Notwendigkeit der gleichen Zugspannung wird beispielsweise bei der Umfangsmessung eines Körperteils deutlich. Wenn beim Strammziehen nicht immer die gleiche Zugspannung erreicht wird, kann das Maßband mal mehr und mal weniger stramm gezogen werden und gegebenenfalls sogar einschneiden und dadurch jeweils zu unterschiedlichen Messergebnissen führen.
- Dabei ist jedoch zu beachten, dass der Begriff des „konstanten Federzugs“ keine streng mathematische Konstanz erfordert, sondern nur, soweit dies im Rahmen einer praktischen Umsetzung möglich ist.
- III.
Die angegriffene Ausführungsform macht von der Lehre des Klagepatents Gebrauch. Insbesondere werden die Merkmale 1.1.1, 1.2.1, 2.1 und 3.1 verwirklicht. - 1.
Das Merkmal 1.1.1 wird von der angegriffenen Ausführungsform verwirklicht. - Die angegriffene Ausführungsform weist einen Bandauslauf in Form eines Schlitzes auf, aus der das Maßband ein- und ausläuft. Dieser Bandauslauf weist eine Messwert-Ablesekante und eine einrastbare Bandbremsvorrichtung auf.
- Bei Benutzung der angegriffenen Ausführungsform wird das Maßband zunächst um einen Körper gelegt und dann über die Einrastvorrichtung mit dem Gehäuse verbunden. Nach dem Strammziehen kann das Maßband entnommen werden. Damit der abzulesende Wert erhalten bleibt, muss das Maßbandende einerseits aus der Einrastvorrichtung entnommen werden. Durch das Zusammenwirken der Rücklaufsperre und das Strammziehen des Maßbandes über die Kante des Bandauslaufs wird das Maßband in der Position fixiert, die ein Ablesen des Messwerts ermöglicht, siehe das nachfolgend wiedergegebene Bild aus der Klageschrift vom 6. Dezember 2018 (Bl. 22 dA):
- Durch diese Vorgehensweise entfaltet die scharfe Kante ihre Bremswirkung und das Maßband bleibt auch ohne weitere manuelle Einwirkung von außen fixiert, so dass der Messwert über die Messwert-Ablesekante abgelesen werden kann.
- Dabei ist auch zu beachten, dass die angegriffene Ausführungsform in der Gestaltung des Gehäuses und der Bandbremsvorrichtung dem in den Figuren 3, 4 und 7 der Patentbeschreibung dargestellten Ausführungsbeispiel gleicht.
- Insgesamt kann die angegriffene Ausführungsform damit in gleicher Weise benutzt werden wie von der erfindungsgemäßen Lehre vorgesehen und in Absatz [0009] der Patentbeschreibung erläutert.
- 2.
Das Merkmal 1.2.1 wird ebenfalls verwirklicht. Danach muss die Einrastvorrichtung von ihrem Eingang bis zum Null-Punkt des eingelegten Maßbandes die gleiche Länge L besitzen wie der Abstand des Bandauslaufs von der Einrastvorrichtung. - Das ist bei der angegriffenen Ausführungsform der Fall. Nach dem Vortrag der Klägerin beträgt der Abstand zwischen dem Nullpunkt des Maßbandes und dem Eingang der Einrastvorrichtung bei der angegriffenen Ausführungsform 2,5 cm. Außerdem soll der Abstand zwischen Bandauslauf und dem Eingang der Einrastvorrichtung ebenfalls 2,5 cm betragen.
- Die Beklagten halten dem entgegen, dass die Länge nicht dieselbe sei, sondern ein Unterschied von mindestens 10% vorliege. Dieser Vortrag ist jedoch nicht hinreichend substantiiert. Den Beklagten wäre es möglich und zumutbar gewesen, die jeweilige Länge zumindest genau zu messen und zu benennen.
- Zwar ist einzuräumen, dass das Foto in der Klageschrift vom 6. Dezember 2018 (Bl. 25 dA) einen Abstand von 2,5 cm nicht zeigt. Auf dem Foto ist zu sehen, dass das Maßbandende nicht bis zum Beschlag in der Einrastvorrichtung eingerastet ist, sondern noch einen zusätzlichen Abstand von etwa 1 mm aufweist. Außerdem lässt sich an der Eingangskante der Einrastvorrichtung nur ein Wert von etwa 2,2 bis 2,3 cm ablesen.
- Hingegen ist bei der Messung des Abstands zwischen dem Bandauslauf und dem Eingang der Einrastvorrichtung zu beachten, dass sich der Metallbeschlag um den Nullpunkt des Maßbandendes legt. Daher darf die Dicke des Beschlags bei der Messung nicht miteinbezogen werden. Bei Abzug des Beschlags, der eine Dicke von etwa 1 mm aufweist, wäre die entsprechende Länge nicht mit 2,5 cm, sondern mit etwa 2,4 cm anzusetzen.
- Dann ergäbe sich ein Unterschied zwischen den beiden zu vergleichenden Längen von etwa 1 bis 2 mm. Auf diese im unteren einstelligen Millimeterbereich liegende Abweichung kommt es jedoch für die Verwirklichung des Merkmals 1.2.1 nicht an. Denn es handelt sich dabei um Abweichungen, die zu vernachlässigen sind, weil es – wie oben unter Ziff. II. 2. beschrieben – bei der Umfangsmessung auf ein derart exaktes Messergebnis nicht ankommt.
- 3.
Das Merkmal 2.1 wird durch die angegriffene Ausführungsform ebenfalls verwirklicht. Der Auslöseknopf ist mit einem U-förmigen Element verbunden, in das sich eine Zunge erstreckt. Diese Zunge ist federelastisch ausgebildet. - Aus dem von der Klägerin in ihrer Klageschrift eingefügten Bild (siehe Bl. 12 dA) ist der Auslöseknopf zu sehen, der mit dem U-förmigen Element und der Zunge gemeinsam als einteiliges Element ausgebildet ist. Aus der daneben von der Klägerin eingefügten Abbildung (Bl. 13 dA) ist erkennbar, dass ein Betätigen des Auslöseknopfes dazu führt, dass sowohl das U-förmige Element als auch die Zunge gegen das Gehäuse-Oberteil gedrückt werden und damit federelastisch ausgebildet sein müssen, da sie anderenfalls brechen würden.
- Soweit die Beklagten behaupten, dass bei der angegriffenen Ausführungsform nicht die Zunge federelastisch ausgebildet sei, sondern allein das U-förmige Element, verkennen sie, dass beide aus demselben Material bestehen und dieselbe Schwenkachse aufweisen. Das hat zu Folge, dass bei einem federelastischen U-förmigen Element auch die Zunge federelastisch ist.
- 4.
Auch das Merkmal 3.1 wird durch die angegriffene Ausführungsform verwirklicht, da der auf das Maßband wirkende Federzug der im Gehäuse angeordneten Zugfeder beim Einroll- oder Messvorgang konstant ist. - Die Klägerin hat hinreichend substantiiert vorgetragen, dass es sich bei der in der angegriffenen Ausführungsform verwendeten Feder um eine Rollfeder handelt, die sich durch eine gleichförmige Kraft-Weg-Kennlinie auszeichnet.
- IV.
Die vorliegende Schutzrechtsverletzung führt zu den im Tenor ausgeurteilten Rechtsfolgen. - 1.
Der Klägerin steht ein Anspruch auf Erstattung der vorgerichtlichen Rechts- und Patentanwaltskosten im Umfang von 3.426,50 EUR aus §§ 683 S.1, 677, 670 BGB zu. Dieser Betrag ergibt sich aus jeweils einer 1,3 Geschäftsgebühr für einen Rechts- und einen Patentanwalt i.H.v. jeweils 1.732,90 EUR, der Telekommunikationspauschale i.H.v. jeweils 20,00 EUR sowie der zusätzlich zu zahlenden Umsatzsteuer von 19% abzüglich der bereits von den Beklagten gezahlten 745,50 EUR. - Ginge man hier davon aus, dass die Klägerin gegen die Beklagten lediglich einen Anspruch auf Freistellung von den Rechtsanwaltsgebühren hatte, hat sich dieser gemäß § 250 BGB in einen Zahlungsanspruch umgewandelt, weil die Beklagten bereits vorgerichtlich eindeutig zu erkennen gegeben haben, dass sie die Erfüllung ablehnen (siehe auch OLG Hamburg, Urt. v. 30.10.2017 – 7 U 93/05, Rn. 20 f.). Darüber hinaus konnten die Beklagten auch nicht aufzeigen, dass die Klägerin eine Honorarvereinbarung mit ihrem Prozessbevollmächtigten schloss, auf deren Grundlage ein niedrigerer als der ausgeurteilte Betrag zu zahlen war.
- a)
Der zu Grunde zu legende Gegenstandswert für die Abmahnung beträgt vorliegend 80.000,00 EUR. Er entspricht dem Streitwert, der der Hauptsache zu Grunde zu legen wäre (Rohjahn/Rektorschek in Hasselblatt, MAH Gewerblicher Rechtsschutz, 5. Auflage 2017, Rn.3). - Der Streitwert wiederum wird nach billigem Ermessen bestimmt, § 51 GKG i.V.m. § 3 ZPO. Maßgebend für die Streitwertfestsetzung ist das Interesse des Klägers an der Durchsetzung der geltend gemachten Ansprüche (Benkard, Patentgesetz, 11. Auflage 2015, Rn. 166); also das Interesse, das er an der zukünftigen Unterlassung weiterer Verletzungshandlungen sowie daran hat, dass der Beklagte über die von ihm in der Vergangenheit begangenen Benutzungshandlungen Rechnung legt und seine Verpflichtung zur Zahlung von Schadensersatz festgestellt wird (Pitz, aaO Rn. 172). Während bei der Streitwertfestsetzung des Gerichts der Zeitpunkt der Klage maßgeblich ist (Pitz, aaO Rn. 172), muss vorliegend auf den Zeitpunkt der Abmahnung abgestellt werden.
- b)
Zwar kommt der Streitwertangabe des Klägers bei der Bestimmung des Streit- bzw. Gegenstandswerts ein überragendes Gewicht zu (Kühnen, Handbuch der Patentverletzung, 12. Aufl. 2020, Kap. J, Rn. 172). Die Klägerin hat den Gegenstandswert für die Abmahnung auf insgesamt 700.000,00 EUR beziffert. Dabei sollen 500.000,00 EUR auf die Unterlassung entfallen und dieser Wert auf Grund der Haftung der Beklagten zu 2) und zu 3) jeweils um 100.000,00 EUR erhöht werden. - Die indizielle Wirkung des geschätzten Gegenstandswerts durch die Klägerin entfällt jedoch, wenn es Anhaltspunkte dafür gibt, dass der Wert wesentlich höher oder niedriger zu bemessen ist. Das ist hier der Fall.
- aa)
Ausschlaggebend für die Bemessung des Gegenstandswertes ist das wirtschaftliche Interesse der Klägerin an der Durchsetzung der mit der Abmahnung geltend gemachten Ansprüche. - Für die in diesem Rahmen vorzunehmende Schätzung sind insbesondere der Umsatz des Verletzten mit den patentierten Gegenständen, der Umsatz des Verletzers mit den patentverletzenden Gegenständen sowie – im Hinblick auf das Unterlassungsbegehren – die verbleibende Schutzdauer zu berücksichtigen. Dies bedeutet aber nicht, dass das wirtschaftliche Interesse am Unterlassungsanspruch mit den kumulierten Umsätzen gleichzusetzen ist. Vielmehr geht es darum, das wirtschaftliche Interesse an einer Abwehr der mit weiteren Verletzungshandlungen verbundenen Nachteile, mithin den zu erwartenden wirtschaftlichen Schaden bei einer ungehinderten Fortsetzung der Schutzrechtsverletzung zu ermitteln. Insbesondere kann bei Streit über den Gegenstandswert eine über die restliche Laufzeit des Schutzrechts angestellte Lizenzbetrachtung einen rechnerischen Anhaltspunkt für den Wert des Unterlassungsanspruchs liefern, indem diejenigen Lizenzgebühren ermittelt werden, die dem Abmahnenden mutmaßlich bei einer Fortsetzung der Benutzungshandlungen zustehen würden. Fehlt es an Anhaltspunkten für die Höhe der Lizenz, ist die Heranziehung des regelmäßig höher liegenden Verletzergewinns nicht ausgeschlossen. Die übrigen Ansprüche können durchweg in einem anteiligen Verhältnis zum Wert des Unterlassungsanspruchs bemessen werden (vgl. dazu auch: Kühnen: Hb. d. Patentverletzung, 11. Aufl.: Kap. J Rn 128 bis 152).
- bb)
Hier ist über die Umsätze oder Gewinne der Klägerin nichts bekannt, auch zur Höhe einer Lizenz fehlt es an Vortrag. Die Beklagte hat allerdings durch eine einmalige Aktion einen Umsatz von etwa 11.000,00 EUR mit einem Gewinn von 1.400,00 EUR erwirtschaftet. Auch wenn es nur einen Verstoß gab, waren weitere Verletzungshandlungen nicht gänzlich ausgeschlossen. Wird berücksichtigt, dass es sich bei der Klägerin nicht um ein auf die Herstellung oder den Handel mit Maßbändern und Messinstrumenten spezialisiertes Unternehmen, sondern um ein im Bereich der Werbemittel aktives Unternehmen handelte, war nicht mit einer hohen Anzahl weiterer Verkäufe geschützter Maßbänder zu rechnen. Vielmehr stellen die Maßbänder nur eines von vielen Werbemitteln im Angebot der Beklagten dar. Geht man von einer ein- bis zweistelligen Anzahl weiterer Verkäufe im Umfang des einen tatsächlich durchgeführten Verkaufs aus, kann hier unter Zugrundelegung des erwirtschafteten Gewinns ein Streitwert für den Unterlassungsanspruch vom Zeitpunkt der Abmahnung bis zum Ende der Schutzdauer des Patents von 25.000,00 EUR zu Grunde gelegt werden. - Streitwerterhöhend kommen Auskunft und Rechnungslegung, Schadensersatz, Entschädigung und Vernichtung hinzu. Zwar hat die Beklagte nach ihrer Auskunft in der Vergangenheit bis auf die eine Verkaufsaktion keine Verletzungshandlungen begangen, dies war der Klägerin jedoch nicht bekannt, so dass ihr wirtschaftliches Interesse durchaus höher zu beziffern ist. Da zudem der auf den Unterlassungsanspruch entfallende Teil der Schutzdauer deutlich geringer ist als der auf die übrigen Ansprüche entfallende vergangene Teil der Schutzdauer, sind die übrigen Ansprüche mit dem gleichen Wert wie der Unterlassungsanspruch zu bemessen statt – wie sonst üblich – mit der Hälfte. Das führt zu einer Erhöhung des Streitwerts um weitere 25.000,00 EUR auf insgesamt 50.000,00 EUR.
- cc)
Die Mithaftung der Geschäftsführer führt zu einer Erhöhung dieses Streitwerts um jeweils 30 % für den Beklagten zu 2) und zu 3), also um weitere 30.000,00 EUR auf insgesamt 80.000,00 EUR. - Die gesonderte Geltendmachung von Unterlassungsansprüchen gegenüber dem gesetzlichen Vertreter dient in erster Linie dazu, Rechtsverletzungen desselben zu erfassen, die unabhängig von der juristischen Person erfolgen. Da die Verfolgung von Ansprüchen gegen die gesetzlichen Vertreter jedoch nur zusätzlich – etwa für den Fall, dass das entsprechende Unternehmen zur vollständigen Zahlung des Schadenersatzes nicht in der Lage ist – erfolgt, ist der Streitwert nicht in derselben Höhe auch für jeden gesetzlichen Vertreter anzusetzen, sondern rechtfertigt jeweils einen Abschlag von 70 % (OLG Düsseldorf Urt. v. 15.5.2014 – 2 U 27/13, BeckRS 2014, 20371, Rn. 20 ff.).
- c)
Während der Anwalt eine Geschäftsgebühr nach §§ 2, 13, 14 RVG Nr. 2300 VV RVG verlangen kann, sind die Gebühren für einen Patentanwalt in gleicher Höhe erstattungsfähig. - Der Kläger kann zur Wahrnehmung seiner Interessen neben einem Rechtsanwalt auch einen Patentanwalt beauftragen. Eine Doppelvertretung kann selbst in einfach gelagerten Fällen nicht als rechtsmissbräuchlich oder nicht notwendig eingestuft werden, da sie dem Willen des Gesetzgebers entspricht und den sich aus technischen Schutzrechten und entsprechenden Verletzungstatbeständen ergebenden Problemen gerecht wird (Kühnen, aaO Kap. C Rn. 58; LG Düsseldorf, InstGE 6, 37 – Abmahnkostenerstattung bei Patentverletzung).
- d)
Auf die für die Abmahnung zu zahlenden Gebühren i.H.v. 3.505,80 EUR entfallen 19% Umsatzsteuer, so dass sich ein Gesamtbetrag i.H.v. 4.171,90 EUR ergibt. - Denn während Entschädigungs- oder Schadensersatzleistungen kein Entgelt im Sinne des Umsatzsteuerrechts darstellen, ist das hingegen der Fall, wenn der Leistende im Auftrag des Leistungsempfängers eine Aufgabe übernimmt. Nach diesen Rechtsgrundsätzen stellt eine Abmahnung eine Leistung gegen Entgelt im Sinne des § 1 Abs. 1 Nr. 1 S. 1 UStG dar (siehe BFH, Urteil vom 21.12.2016, Az. XI R 27/14, in GRUR 2017, 826, Rn. 18 ff.).
- 2.
Auch die Pflicht zur Erstattung der Anschaffungskosten für den elektrischen Cutter i.H.v. 49,58 EUR, den der Prozessbevollmächtigte zwecks Beweisführung anschaffte, beruht auf den §§ 683 S.1, 677, 670 BGB. - Wie auch bei den Kosten für die Abmahnung handelt es sich dabei um erforderliche und zweckmäßige Kosten zur Wahrnehmung der Rechte der Klägerin.
- 3.
Weiterhin hat die Klägerin gegen die Beklagte dem Grunde nach einen Anspruch auf Zahlung von Schadensersatz gemäß § 139 Abs. 1 und 2 PatG in Höhe von 210,00 EUR. - Diese Summe ergibt sich aus dem Gewinn in Höhe von 1.400,00 EUR, den die Beklagte zu 1) mit dem Verkauf der angegriffenen Ausführungsformen erzielte, und der Bestimmung des Anteilsfaktors, der zahlenmäßig ausdrückt, inwieweit der von der Beklagten zu 1) erzielte Gewinn kausal auf den patentverletzenden Handlungen beruht.
- a)
Von dem von der Beklagten zu 1) erzielten Gewinn, der unstreitig bei 1.400,00 EUR liegt, ist ein Anteil von 15 % auf die Verletzung des Klagepatents zurückzuführen. - Von dem ermittelten Gewinn ist als Verletzergewinn nur dasjenige herauszugeben, was auf der Rechtsverletzung beruht. Es ist nicht ohne weiteres anzunehmen, dass der erzielte Gewinn in vollem Umfang auf der Benutzung der geschützten technischen Lehre beruht, indem jeder Kaufentschluss und damit der gesamte Gewinn allein dadurch verursacht worden ist. So können für die Entscheidung zum Kauf eines Gebrauchsgegenstandes neben den technischen Vorteilen der erfindungsgemäßen Lösung die Formgestaltung des Produkts, sein Hersteller oder die verwendete Marke und damit verbundene Qualitätserwartungen, der Preis und andere vom Patent unabhängige Faktoren die Marktchancen beeinflussen (BGH, GRUR 2012, 1226 – Flaschenträger; BGH, GRUR 2013, 1212 – Kabelschloss; zum Urheberrecht BGH, GRUR 2009, 856 – Tripp-Trapp-Stuhl; OLG Düsseldorf, InstGE 13, 199 – Schräg-Raffstore; Kühnen, Handbuch der Patentverletzung, 7. Aufl., Rn. 2703).
- Der erforderliche ursächliche Zusammenhang zwischen der Schutzrechtsverletzung und dem erzielten Gewinn ist daher nicht im Sinne adäquater Kausalität zu verstehen, sondern es ist wertend zu bestimmen, ob und in welchem Umfang der erzielte Gewinn auf mit dem verletzten Schutzrecht zusammenhängenden Eigenschaften des veräußerten Gegenstandes oder anderen Faktoren beruht (OLG Düsseldorf, InstGE 5, 251 – Lifter; BGH, GRUR 2009, 856 – Tripp-Trapp-Stuhl). Die Höhe des herauszugebenden Verletzergewinns lässt sich insoweit daher nicht berechnen. Es ist vielmehr gemäß § 287 ZPO unter Würdigung aller Umstände des Einzelfalls (BGH, GRUR 2007, 431 – Steckverbindergehäuse) nach freier Überzeugung darüber zu entscheiden, ob zwischen der Schutzrechtsverletzung und dem erzielten Gewinn der ursächliche Zusammenhang im Rechtssinne besteht und wie hoch der danach herauszugebende Gewinnanteil zu beziffern ist (BGH, GRUR 1993, 55 – Tchibo/Rolex II; BGH, GRUR 2009, 856 – Tripp-Trapp-Stuhl; OLG Düsseldorf, InstGE 13, 199 – Schräg-Raffstore). Die Gesamtheit aller Umstände ist sodann abzuwägen und zu gewichten (BGH, GRUR 1993, 55 – Tchibo/Rolex II; BGH, GRUR 2012, 1226 – Flaschenträger; Kühnen, aaO, Rn. 2699; Voß/Kühnen in: Schulte, aaO, § 139 Rn. 129 m. w. N.).
- b)
Grundlegendes Kriterium für die Bestimmung des Kausalanteils ist der Abstand der geschützten Erfindung gegenüber dem marktrelevanten Stand der Technik. Dieser
lässt regelmäßig Rückschlüsse darauf zu, in welchem Umfang die Nachfrage des Produkts auf die mit der Verwendung des Klagepatents zusammenhängenden Eigenschaften des Verletzungsgegenstandes zurückzuführen ist. Er spiegelt wider, dass die Verkaufs- und Erlösaussichten maßgeblich davon abhängen, ob und in welchem Umfang gleichwertige Alternativen und damit Umgehungsmöglichkeiten des Klagepatents im Verletzungszeitraum zur Verfügung standen (BGH, GRUR 1995, 578 – Steuereinrichtung II). Ergibt sich, dass gegenüber dem erfindungsgemäßen Produkt im Wesentlichen gleichwertige Alternativen existieren, da es sich lediglich um eine Detailverbesserung eines bereits bekannten Produkts handelt, ist eher anzunehmen, dass der Kaufentschluss nicht allein auf der Verwendung der technischen Lehre, sondern auf weiteren Faktoren beruht (BGH, GRUR 1993, 55 –Tripp-Trapp-Stuhl). - c)
Bei der Bewertung des Anteilsfaktors kann hier nur der Abstand zu dem im Klagepatent gewürdigten Stand der Technik und der Umstand gewürdigt werden, dass es sich um einen preiswerten Massenartikel handelt. - aa)
Vorliegend betrifft das Klagepatent ein Rollbandmaß, das laut Klagepatentbeschreibung den Vorteil bieten soll, einerseits Umfangsmessungen in einfacher und genau reproduzierbarer Weise durchführen zu können und andererseits nur ein Minimum an Bauteilen aufweisen und dadurch kostengünstig hergestellt werden soll. - Eine Verbesserung zum Stand der Technik ist laut Patentbeschreibung zum einen im Hinblick auf eine kostengünstige Produktion zu sehen, die durch ein Minimum an Bauteilen erzielt werden soll, siehe Absatz [0005]. Da es sich bei den angegriffenen Ausführungsformen um in Massenproduktion hergestellte Produkte handelt, spielt eine günstige Herstellung und der damit einhergehende günstige Endpreis eine wesentliche Rolle für die Kaufentscheidung. Dies zeigt bereits der vorliegende Fall, bei dem die Beklagte zu 1) insgesamt 10.000 der angegriffenen Ausführungsformen bei einem Dritten kaufte und wieder weiterverkaufte. Ein solcher Weitervertrieb ist nur dann lohnenswert, wenn die Produkte günstig eingekauft werden können.
- Zum anderen soll eine Verbesserung dahingehend vorliegen, dass Umfangs- und Längenmessungen in einfacher und genau reproduzierbarer Weise durchgeführt werden können. Dies gilt im Hinblick auf Umfangsmessungen durch das Zusammenwirken der Einrastvorrichtung und das durch den konstant wirkenden Federzug ermöglichte Strammziehen des Maßbandes. Durch das Einrasten des Maßbandendes ist eine manuelle Fixierung während des Messens nicht weiter notwendig und muss nur bei Lösen des Maßbandes wieder erfolgen. Das gleichmäßige Strammziehen soll die Reproduzierbarkeit der Messergebnisse gewährleisten.
- Inwiefern die erfindungsgemäße Lehre jedoch einen Vorteil auch bei Längenmessungen bringen soll, ist nicht erkennbar.
- bb)
Neben dem Abstand zum Stand der Technik ist vor allem zu berücksichtigen, dass das Rollbandmaß als Werbegeschenk konzipiert war, so dass für den Abnehmer vielleicht das eine oder andere technische Merkmal als interessante Spielerei, in erster Linie aber der geringe Preis für den Kauf entscheidend war. - d)
Da es sich bei dem von der Beklagten zu 1) vertriebenen Produkt um ein Massenprodukt handelt und die Klägerin nicht dargelegt hat, dass das erfindungsgemäße Rollbandmaß einen großen Abstand zum Stand der Technik aufweist, wird der Anteilsfaktor hier mit 15 % angesetzt. Dies führt zu einem Herausgabeanspruch im Hinblick auf den Verletzergewinn in Höhe von 210,00 EUR. - IV.
Die Nebenentscheidungen beruhen auf §§ 92 Abs. 1, 101, 709 S. 1, 2 ZPO. - V.
Der Streitwert wird auf 16.055,00 EUR bis zum 2. Dezember 2019, ab dem 3. Dezember 2019 auf 12.549,20 EUR festgesetzt.