4b O 60/19 – Waage mit Tragplatte III

Düsseldorfer Entscheidungsnummer: 3020

Landgericht Düsseldorf

Urteil vom 18. Juni 2020 2020, Az. 4b O 60/19

  1. I.
    Die Beklagte wird verurteilt,
    1. es bei Meidung eines für jeden Fall der Zuwiderhandlung vom Gericht festzusetzenden Ordnungsgeldes in Höhe von bis zu EUR 250.000,00, ersatzweise Ordnungshaft, oder einer Ordnungshaft bis zu sechs Monaten, im Falle wiederholter Zuwiderhandlung bis zu insgesamt zwei Jahren, zu unterlassen
    Waagen mit einer Tragplatte zur Aufnahme einer zu wiegenden Masse und mit einer elektrischen Schaltvorrichtung zur Aus- oder Anwahl einer Funktion der Waage,
    in der Bundesrepublik Deutschland anzubieten, in den Verkehr zu bringen, zu gebrauchen oder zu den genannten Zwecken einzuführen oder zu besitzen,
    bei denen die Schaltvorrichtung einen kapazitiven Näherungsschalter mit einer an der Tragplatte angeordneten Elektrode zur Überwachung der Umgebungskapazität der Elektrode aufweist, wobei die Tragplatte aus einem elektrisch nicht leitenden Material besteht und die Elektrode unter der Tragplatte angeordnet ist und die mit der elektrischen Schaltvorrichtung erfolgende Aus- oder Anwahl einer Funktion im Einschalten der Waage besteht;
    (Anspruch 1)
    2. der Klägerin darüber Auskunft zu erteilen, in welchem Umfang sie (die Beklagte) die zu Ziffer I.1. bezeichneten Handlungen seit dem 23.09.2009 begangen hat, und zwar unter Angabe
    a) der Namen und Anschriften der Hersteller, Lieferanten und anderer Vorbesitzer
    b) der Namen und Anschriften der gewerblichen Abnehmer sowie der Verkaufsstellen, für die die Erzeugnisse bestimmt waren,
    c) der Menge der ausgelieferten, erhaltenen oder bestellten Erzeugnisse sowie der Preise, die für die betreffenden Erzeugnisse bezahlt wurden;
    wobei
    zum Nachweis der Angaben die entsprechenden Kaufbelege (nämlich Rechnungen, hilfsweise Lieferscheine) in Kopie vorzulegen sind, wobei geheimhaltungsbedürftige Details außerhalb der auskunftspflichtigen Daten geschwärzt werden dürfen;
    3. der Klägerin darüber Rechnung zu legen, in welchem Umfang sie (die Beklagte) die zu Ziffer I.1. bezeichneten Handlungen seit dem 17.01.2004 begangen hat, und zwar unter Angabe:
    a) der einzelnen Lieferungen, aufgeschlüsselt nach Liefermengen, -zeiten, -preisen und Typenbezeichnungen sowie den Namen und Anschriften der Abnehmer,
    b) der einzelnen Angebote, aufgeschlüsselt nach Angebotsmengen, -zeiten, -preisen und Typenbezeichnungen sowie den Namen und Anschriften der gewerblichen Angebotsempfänger,
    c) der betriebenen Werbung, aufgeschlüsselt nach Werbeträgem, deren Auflagenhöhe, Verbreitungszeitraum und Verbreitungsgebiet,
    d) der nach den einzelnen Kostenfaktoren aufgeschlüsselten Gestehungskosten und des erzielten Gewinns,
    wobei
    – die Angaben zu d) nur für die Zeit seit dem 23.10.2009 zu machen sind;
  2. – der Beklagten vorbehalten bleibt, die Namen und Anschriften der nichtgewerblichen Abnehmer und der Angebotsempfänger statt der Klägerin einem von der Klägerin zu bezeichnenden, ihr gegenüber zur Verschwiegenheit verpflichteten, in der Bundesrepublik Deutschland ansässigen vereidigten Wirtschaftsprüfer mitzuteilen, sofern die Beklagte dessen Kosten trägt und ihn ermächtigt und verpflichtet, der Klägerin auf konkrete Anfrage mitzuteilen, ob ein bestimmter Abnehmer oder Angebotsempfänger in der Aufstellung enthalten ist;
    4. die in ihrem unmittelbaren oder mittelbaren Besitz oder in ihrem Eigentum befindlichen, unter Ziffer I.1. bezeichneten Erzeugnisse auf ihre Kosten zu vernichten oder nach ihrer Wahl an einen von der Klägerin zu benennenden Gerichtsvollzieher zum Zwecke der Vernichtung auf ihre — der Beklagten — Kosten herausgeben;
    5. die unter Ziffer I.1. bezeichneten, seit dem 23.09.2009 in Verkehr gebrachten Erzeugnisse gegenüber den gewerblichen Abnehmern unter Hinweis auf den gerichtlich (Urteil des Landgerichts Düsseldorf vom 18.06.2020) festgestellten patentverletzenden Zustand der Sache und mit der verbindlichen Zusage zurückzurufen, etwaige Entgelte zu erstatten sowie notwendige Verpackungs- und Transportkosten sowie mit der Rückgabe verbundene Zoll- und Lagerkosten zu übernehmen und die Erzeugnisse wieder an sich zu nehmen.
    II.
    Es wird festgestellt,
    1. dass die Beklagte verpflichtet ist, der Klägerin für die zu I.1. bezeichneten, in der Zeit vom 17.01.2004 bis zum 22.10.2009 begangenen Handlungen eine angemessene Entschädigung zu zahlen;
    2. dass die Beklagte verpflichtet ist, der Klägerin allen Schaden zu ersetzen, der ihr durch die zu Ziffer I.1. bezeichneten, seit dem 23.10.2009 begangenen Handlungen entstanden ist und noch entstehen wird.
  3. III.
    Die Kosten des Rechtsstreits trägt die Beklagte.
  4. IV.
    Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 275.000,00 € vorläufig vollstreckbar, wobei für die teilweise Vollstreckung des Urteils folgende Teilsicherheiten festgesetzt werden:
    Ziffer I.1., I. 4. und I. 5. des Tenors: 125.000,00 €.
    Ziffer I. 2 und I. 3 des Tenors: 100.000,00 €
    Ziffer III. des Tenors: 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages.
  5. Tatbestand
  6. Die Klägerin nimmt die Beklagte wegen Verletzung des deutschen Teils des europäischen Patents EP 1 371 XXX B2 (Anlage 1; im Folgenden: Klagepatent) auf Unterlassung, Auskunft, Rechnungslegung, Vernichtung, Rückruf sowie Feststellung der Entschädigungs- und Schadensersatzpflicht in Anspruch.
  7. Die Klägerin ist eingetragene Inhaberin des Klagepatents, das am 07. Juni 2003 unter Inanspruchnahme der Priorität zweier deutscher Anmeldungen vom 14. Juni 2002 und vom 27. Februar 2003 angemeldet wurde. Die Patentanmeldung wurde am 17. Dezember 2003 veröffentlicht, der Hinweis auf die Erteilung des Klagepatents am 23. September 2009.
  8. Das Klagepatent war Gegenstand eines Einspruchsverfahrens vor dem Europäischen Patentamt. Mit Zwischenentscheidung der Einspruchsabteilung vom 26. Juni 2011 wurde es beschränkt aufrechterhalten. Die gegen diese Entscheidung gerichteten Beschwerden zweier Einsprechender wurden von der technischen Beschwerdekammer des Europäischen Patentamts mit Entscheidung vom 18. Januar 2013 zurückgewiesen.
  9. Anschließend wurde gegen das Klagepatent Nichtigkeitsklage vor dem Bundespatentgericht erhoben, die mit Urteil vom 9. September 2014 abgewiesen wurde. Die gegen dieses Urteil gerichtete Berufung wurde vom Bundesgerichtshof mit Urteil vom 28. März 2017 zurückgewiesen.
  10. Das Klagepatent steht in Kraft.
  11. Das Klagepatent betrifft eine Waage mit einer Tragplatte zur Aufnahme einer zu wiegenden Masse und mit einer elektrischen Schaltvorrichtung zur Aus- oder Anwahl einer Funktion der Waage.
  12. Die Klägerin stützt ihre Klage auf den unabhängigen Vorrichtungsanspruch 1, der lautet wie folgt:
  13. Waage (1) mit einer Tragplatte (4) zur Aufnahme einer zu wiegenden Masse und mit einer elektrischen Schaltvorrichtung (16, 24) zur Aus- oder Anwahl ei- ner Funktion der Waage (1), dadurch gekennzeichnet, dass die Schaltvorrich-tung (16, 24) einen kapazitiven Näherungsschalter mit einer an der Tragplatte (4) angeordneten Elektrode (18, 38, 44) zur Überwachung der Umgebungs-kapazität der Elektrode (18, 38, 44) aufweist, wobei die Tragplatte (4) aus einem elektrisch nicht leitenden Material besteht und die Elektrode (18, 38, 44) unter der Tragplatte (4) angeordnet ist und die mit der elektrischen Schaltvor-richtung (16, 24) erfolgende Aus- oder Anwahl einer Funktion im Einschalten der Waage besteht.
  14. Zur Veranschaulichung der erfindungsgemäßen Lehre wird nachfolgend die Figur 1 des Klagepatents wiedergegeben:
  15. Figur 1 zeigt ein Ausführungsbeispiel einer erfindungsgemäßen Waage in perspektivischer Ansicht.
  16. Die Beklagte vertreibt bundesweit digitale Küchenwaagen mit der Modellbezeichnung „A“ (angegriffene Ausführungsform). Die Klägerin erwarb ein Exemplar der angegriffenen Ausführungsform im Rahmen eines Testkaufs im Internet über Amazon Deutschland. Sie wendet sich mit ihrer Klage gegen das Anbieten und Vertreiben der angegriffenen Ausführungsform.
  17. Sie ist der Auffassung, dass die angegriffene Ausführungsform das Klagepatent verletze. Vor allem befinde sich die Elektrode sowohl unter als auch an der als Tragplatte anzusehenden Glasplatte.
  18. Sofern die Beklagte darüber hinaus mit Nichtwissen bestreite, dass die angegriffene Ausführungsform einen kapazitiven Näherungssensor aufweise, meint sie – die Klägerin – dass dieser Vortrag nicht ausreichend substantiiert sei. Außerdem habe sie mittels eines Versuchs ausschließen können, dass der Sensor auf Erschütterungen reagiere.
  19. Die Klägerin beantragt,

    wie erkannt,

  20. wobei die Klägerin jedoch gemäß Ziff. I. 4. nur beantragt hat, die in ihrem unmittelbaren oder mittelbaren Besitz oder in ihrem Eigentum befindlichen unter Ziff. I. 1. bezeichneten Erzeugnisse an einen von der Klägerin zu benennenden Gerichtsvollzieher zum Zwecke der Vernichtung auf ihre – der Beklagten – Kosten herauszugeben.
  21. Die Beklagte beantragt,
  22. die Klage kostenpflichtig abzuweisen.
  23. Sie ist der Auffassung, dass die erfindungsgemäße Lehre durch die angegriffene Ausführungsform nicht verwirklicht werde. Insbesondere sei die Elektrode nicht sowohl an als auch unter der Tragplatte angebracht. In diesem Zusammenhang müsse nicht die Glasplatte der angegriffenen Ausführungsform zu Grunde gelegt werden, sondern die darunter angebrachte Kunststoffplatte, weil diese die Gewichtskraft aufnehme und an den Gewichtssensor weiterleite. Dann sei aber die Elektrode nicht unter der Tragplatte, sondern darauf angeordnet. Hilfsweise argumentiert die Beklagte, dass die Glasplatte gemeinsam mit der Kunststoffplatte als Tragplatte im Sinne der erfindungsgemäßen Lehre anzusehen sei. In diesem Fall befinde sich die Elektrode innerhalb der Tragplatte. Doch auch wenn man die Glasplatte für sich genommen als Tragplatte betrachten würde, befinde sich die Elektrode nicht an dieser Platte, weil sich Tragplatte und Elektrode aufeinander zu bewegen würden.
  24. Die Beklagte bestreitet außerdem das Vorliegen eines kapazitiven Näherungsschalters mit Nichtwissen. Sie meint, dass die Klägerin dies nicht hinreichend dargelegt habe. Es könne sich im Übrigen nur um einen Berührungsschalter handeln, weil die Waage erst anspringe, wenn die Glasplatte berührt werde.
  25. Ferner sei der Streitwert von der Klägerin mit 500.000,00 EUR zu hoch bemessen. Die Klägerin habe keine Umstände vorgetragen, die auf eine erhöhte Bedeutung des vorliegenden Falles schließen lassen. Zum einen stelle sie – die Beklagte – die angegriffenen Produkte nicht selbst her, zum anderen sei der Marktwert des Klagepatents nur gering. Ferner sei die geringe Restlaufzeit des Klagepatents streitwertmindernd zu berücksichtigen. Daher sei hier ein Streitwert von 150.000,00 EUR angemessen.
  26. Entscheidungsgründe
  27. Die zulässige Klage ist begründet.
  28. Die Klägerin hat gegen die Beklagte Ansprüche auf Unterlassung, Rechnungslegung, Vernichtung und Rückruf sowie Entschädigung und Schadensersatz dem Grunde nach aus Art. 64 Abs. 1 EPÜ, §§ 139 Abs. 1, 2, 140a Abs. 1 und 3, 140b Abs. 1 und 3 PatG, Art. II § 1 Abs. 1 IntPatÜG, §§ 242, 259 BGB.
  29. I.
    Das Klagepatent betrifft eine Waage mit einer Tragplatte zur Aufnahme einer zu wiegenden Masse und mit einer elektrischen Schaltvorrichtung zur Aus- oder Anwahl einer Funktion der Waage, siehe Absatz [0001] (alle folgenden, nicht näher bezeichneten Absätze sind solche des Klagepatents) i.V.m. dem Oberbegriff des Patentanspruchs 1.
  30. In der Klagepatentschrift wird ausgeführt, dass solche Waagen im Stand der Technik bekannt gewesen seien. Es handele sich beispielsweise um elektrische Personenwaagen zum Messen und Anzeigen des Körpergewichts mit einer Schaltvorrichtung zum Ein- und Ausschalten, so dass der Bedarf an elektrischer Energie der Waage allein auf den Mess- und Anzeigevorgang beschränkt werden könne. Um den Schaltvorgang auszulösen, habe die Waage einen Kontaktschalter, der mit dem Fuß betätigt werden könne. Das Klagepatent sieht es jedoch als nachteilig an, dass ein solcher Kontaktschalter aufwändig zu verkabeln sei und der Benutzer zur Betätigung des Kontaktschalters genau auf den Schalter zielen müsse, siehe Absatz [0002].
  31. Alternativ dazu – so die Klagepatentschrift weiter – sei ein Akustikschalter bekannt, der auf Schwingungen durch Antippen der Waage reagiere. Allerdings sei es von erheblichem Nachteil, dass der Schalter unkontrolliert und unerwünscht auch auf Fremdgeräusche reagiere, Absatz [0003]. Weiterhin seien ständig in Betrieb befindliche Messsysteme bekannt, die über Gewichtsänderungen auf der Tragplatte aktiviert werden könnten. Nachteilig an solchen Messsystemen sei jedoch die ständige Stromaufnahme und der damit verbundene hohe Energiebedarf, Absatz [0004].
  32. Die Klagepatentschrift geht ferner auf die US 4,932,XXX ein, in der eine elektronische Waage mit Kalibriergewichtsschaltung offenbart werde. Die Waage weise einen Näherungssensor auf, mit dessen Hilfe der Kalibrierungsvorgang bei Annäherung einer Person an die Waage gesperrt oder abgebrochen werden könne, bevor die Waagschale durch Wägegut belastet werden könne, Absatz [0005].
  33. In der US 4,789,XXX werde hingegen eine Analysewaage beschrieben, bei der die Funktionen im Wesentlichen über ein mechanisch arbeitendes Bedientableau aus- oder angewählt werden könnten. Allerdings sei ein Gehäuse mit einer motorisch angetriebenen Tür vorgesehen, die mit Hilfe von Näherungssensoren oder sprachgesteuerten Sensoren aktivierbar sei, Absatz [0006].
  34. Schließlich werden in der Klagepatentschrift unter anderem die DE 41 24 XXX A1 und die US 4,208,XXX genannt, aus denen ein mechanischer Schalter für eine Waage beziehungsweise allgemein ein Näherungsdetektor bekannt sei, Absatz [0007].
  35. Vor diesem Hintergrund liegt dem Klagepatent die Aufgabe (das technische Problem) zu Grunde, eine Waage der eingangs genannten Art zu schaffen, die eine einfache Schaltmöglichkeit von hoher Funktionssicherheit bei gleichzeitig niedrigen Herstellungs- und Betriebskosten aufweist, Absatz [0008].
  36. Zur Lösung dieses Problems schlägt Patentanspruch 1 in der im Einspruchsverfahren eingeschränkt aufrechterhaltenen Fassung eine Waage mit den folgenden Merkmalen vor:
  37. 1. Waage (1)
    1.1 mit einer Tragplatte (4) und
    1.2 mit einer elektrischen Schaltvorrichtung (16, 24).
    2. Die Tragplatte (4)
    2.1 dient der Aufnahme einer zu wiegenden Masse,
    2.2 besteht aus einem elektrisch nicht leitenden Material.
    3. Die elektrische Schaltvorrichtung (16, 24)
    3.1 dient der Aus- oder Anwahl einer Funktion der Waage (1), die im Einschalten der Waage (1) besteht,
    3.2 weist einen kapazitiven Näherungsschalter auf.
    4. Der kapazitive Näherungsschalter weist eine Elektrode (18, 38, 44) auf.
    5. Die Elektrode (18, 38, 44)
    5.1 dient der Überwachung der Umgebungskapazität der Elektrode (18, 38, 44),
    5.2 ist an der Tragplatte (4) angeordnet,
    5.3 ist unter der Tragplatte (4) angeordnet.
    Die erfindungsgemäße Lehre soll zum einen besonders bedienungssicher sein, weil ein genaues Treffen des Schalters – wie bei einem mechanischen Schalter – nicht notwendig sei. Da auf mechanische, bewegliche Bauteile verzichtet werden könne, sei die erfindungsgemäße Waage zudem sehr betriebssicher und verschleißunanfällig. Die Schaltvorrichtung mit dem kapazitiven Näherungssensor führe außerdem zu einem niedrigen Energiebedarf, und durch den einfachen Aufbau mit wenigen Elementen sei die Waage auch in Großserienfertigung kostengünstig herzustellen. Außerdem weise sie eine hohe Verschmutzungssicherheit auf, Absatz [0009].
  38. II.
    Vorab bedürfen die Merkmale 3.2, 5.2 und 5.3 des Klagepatentanspruchs der Auslegung.
  39. 1.
    Nach Merkmal 3.2 weist die elektrische Schaltvorrichtung der Waage einen kapazitiven Näherungsschalter auf.
  40. Bei einem kapazitiven Näherungsschalter im Sinne des Klagepatents wird zum Schalten die Kapazität eines Kondensators genutzt, der elektrische Ladung speichert. Er besteht aus zwei elektrischen Platten, die durch ein als Isolator wirkendes Dielektrikum voneinander getrennt sind. Durch die Isolierung kann die Ladung nicht fließen, sondern sammelt sich an einer Platte an.
  41. Bei der erfindungsgemäßen Lehre befindet sich eine dieser Platten unter der Tragplatte und die weitere wird durch ein menschliches Körperteil gebildet. Das dazwischen liegende Dielektrikum wird durch die Tragplatte selbst und einen eventuellen Luftspalt gebildet. Die waagenseitige Platte ist mit Elektronen beladen, die erst abfließen können, wenn sich das menschliche Körperteil nah genug angenähert hat. Das Abfließen der Elektronen wiederum wird als Schaltimpuls gewertet.
  42. a)
    Das OLG Düsseldorf hat sich in seinem Urteil vom 6. Juni 2013 (Az. I-2 U 60/11) bereits mit dem Klagepatent befasst. In diesem Zusammenhang wird auf die folgenden Ausführungen zum Näherungsschalter verwiesen, die die Kammer sich vollumfänglich zu eigen macht:
  43. „Bei einem kapazitiven Näherungsschalter im Sinne des Klagepatents handelt es sich um ein elektronisches Bauteil, das bei einer durch die Annäherung eines Gegenstandes verursachten Änderung der Umgebungskapazität einen Schaltungsvorgang auslöst. Diese Funktionsweise wird nicht nur durch den Begriff „Näherungsschalter“ angedeutet, sondern geht auch aus dem Klagepatentanspruch hervor, demzufolge der kapazitive Näherungsschalter eine Elektrode aufweist, die der Überwachung der Umgebungskapazität dient (Merkmale 4 bis 5.1). In diesem Sinne wird der kapazitive Näherungsschalter auch in der Beschreibung des Klagepatents beschrieben. Dort heißt es:
  44. ‚Der kapazitive Näherungsschalter reagiert allein auf die Annäherung von Gegenständen mit anderen dielektrischen Eigenschaften als sie die stationäre Umgebung des Näherungsschalters aufweist. […] Bei der erfindungsgemäßen Waage überwacht eine mit einer elektronischen Auswerteeinheit verbundene Elektrode die Umgebungskapazität der Elektrode. […] [D]ie Auswerteeinheit reagiert bei bestimmten typischen Änderungen der Umgebungskapazität der Elektrode durch ein Signal an nachfolgende Schaltungsteile.‘ (Sp. 2 Z. 3-18; […]).
  45. […]
  46. Auch wenn der Fachmann tatsächlich allgemein zwischen Näherungsschaltern einerseits und Berührungsschaltern andererseits differenzieren sollte, ist es nach der Lehre des Klagepatents nicht ausgeschlossen, wenn der Schaltvorgang erst durch eine Berührung der Waage, insbesondere der Tragplatte ausgelöst wird.
  47. Bereits der Wortlaut des Klagepatentanspruchs gibt einen Hinweis darauf, dass sich ein kapazitiver Näherungsschalter dadurch auszeichnet, dass er auf eine Annäherung an die Elektrode (und nicht bereits der Waage) reagiert. Denn die Elektrode selbst dient der Überwachung ihrer Umgebungskapazität (Merkmal 5.1). Der Begriff des kapazitiven Näherungsschalters kann daher allenfalls dahingehend verstanden werden, dass der Schaltvorgang bereits vor der Berührung der Elektrode ausgelöst werden soll. Da aber die Elektrode erfindungsgemäß unter der Tragplatte angeordnet ist, ist eine Berührung der Elektrode von vornherein ausgeschlossen. Der Bereich auf der Tragplatte gehört zur Umgebung der Elektrode, deren Kapazität die Elektrode überwachen soll. Nichts anderes ergibt sich aus der eingangs zitierten Beschreibungsstelle. Auch dieser lässt sich lediglich entnehmen, dass der kapazitive Näherungsschalter auf die Annäherung von Gegenständen mit anderen dielektrischen Eigenschaften als die stationäre Umgebung des Schalters reagiert (Sp. 2 Z. 3-6). Die Tragplatte der Waage, die zum Auslösen des Schaltvorgangs gegebenenfalls zu berühren ist, ist jedoch nicht Teil des Schalters, sondern gehört zu seiner stationären Umgebung. Im Übrigen bezieht sich die Beschreibung des Klagepatents immer nur auf die Überwachung der Umgebungskapazität der Elektrode (Sp. 2 Z. 10-18).“
  48. Ferner führt das OLG zum unterschiedlichen Ansprechverhalten eines kapazitiven Berührungsschalters einerseits und eines kapazitiven Näherungsschalters andererseits aus:
  49. „Dieses hängt von der Empfindlichkeit beziehungsweise der Einstellung der Messelektronik und von der Stärke des vorhandenen elektrischen Feldes ab. Während der Näherungsschalter bereits bei einer Annäherung an den Schalter reagiert, löst der Berührungsschalter erst bei einer Berührung aus. Der mechanische Druck ist bei der Berührung unerheblich, da lediglich die Änderung des elektrischen Feldes maßgeblich ist. Dann macht es aber mit Blick auf die Funktion des Näherungsschalters für die erfindungsgemäße Waage keinen Unterschied, ob der Schalter reagiert, wenn sich der Gegenstand in einem minimalen Abstand zur Tragplatte unmittelbar vor der Berührung befindet, oder erst dann, wenn die Berührung tatsächlich erfolgt. Die Berührung stellt insofern quasi die stärkste Form der Annäherung dar.“
  50. b)
    Die Beklagten sind der Auffassung, dass zwischen einem Näherungs- und einem Berührungsschalter unterschieden werden müsse. Das Klagepatent erfordere einen Näherungsschalter, der nicht vorliege, wenn die Oberfläche der Tragplatte berührt werden müsse.
  51. Mit dieser Fragestellung hat sich das OLG Düsseldorf in der oben zitierten Entscheidung bereits beschäftigt und ausgeführt wie folgt:
  52. „Darüber hinaus grenzt sich das Klagepatent mit dem kapazitiven Näherungsschalter von der im Stand der Technik bekannten Verwendung eines Kontaktschalters ab, der in der Klagepatentschrift unter anderem deswegen als nachteilig angesehen wird, weil der Benutzer zur Schalterbetätigung auf eine exakt definierte Stelle der Waage zielen muss (Sp. 1 Z. 16-20). Der Begriff „Kontaktschalter“ darf dabei nicht bereits allein aufgrund des Wortbestandteils „Kontakt-“ in Abgrenzung zu einem Näherungsschalter dahingehend missverstanden werden, dass er eine Berührung der Waage erfordert, während der Näherungsschalter den Schaltvorgang bereits bei einer Annäherung an die Waage auslöst. Der Begriff „Kontaktschalter“ macht vielmehr lediglich deutlich, dass durch den Schalter unmittelbar der elektrische Kontakt hergestellt oder unterbrochen wird, um beispielsweise, wie in dem vom Klagepatent dargestellten Fall, die Waage ein- oder auszuschalten (Sp. 1 Z. 10 f). In diesem Fall handelt es sich um einen mechanischen Schalter, weil er vom Benutzer mit dem Fuß betätigt werden kann (Sp. 1 Z. 13-16; vgl. auch Sp. 2 Z. 24-27). Das Klagepatent sieht also nicht die für die Betätigung des Schalters erforderliche Berührung selbst als nachteilig an, sondern dass dafür genau auf den mechanischen Schalter gezielt werden muss. Dieser Nachteil wird durch die Verwendung eines kapazitiven Näherungsschalters beseitigt, weil nicht mehr genau der Schalter getroffen werden muss, um den Schaltvorgang auszulösen (vgl. Sp. 2 Z. 24-27), sondern eine Annäherung an den Schalter genügt. Insofern ist unbeachtlich, ob der Schaltvorgang bewirkt werden kann, bevor die Tragplatte berührt wird, oder ob dies nur mit einer Berührung der Tragplatte möglich ist. In beiden Fällen erfolgt der Schaltvorgang, wenn sich der Gegenstand der Umgebung der Elektrode annähert.
    […]“
  53. Das OLG Düsseldorf hat damit klargestellt, dass das Berühren der Tragplatte das Vorliegen eines Näherungsschalters nicht ausschließt. Denn für die Beurteilung, ob eine Berührung oder nur eine Annäherung an den Schalter erforderlich sei, müsse auf die Elektrode und nicht die gesamte Waage abgestellt werden.
  54. Dieser Auslegung steht auch nicht der Verweis der Beklagten auf das Urteil des Bundespatentgerichts vom 9. September 2014 entgegen. In diesem Urteil hat das Bundespatentgericht ausgeführt, dass der Fachmann, um zu der erfindungsgemäßen Lehre zu gelangen, die aus dem Stand der Technik bekannten Berührungsflecken als Näherungsschalter ausbilden müsse, der bereits die Waage einschaltet, bevor er berührt wird. Diese Auslegung steht nicht in Widerspruch zu den Ausführungen des OLG Düsseldorf. Denn auch das Bundespatentgericht stellt für die Beurteilung, ob ein Annähern oder Berühren vorliegt, nicht auf die Waage, sondern den Näherungsschalter an sich – und damit auf die Elektrode – ab. Diese wird aber bei einer Berührung der Tragplatte gerade nicht berührt.
  55. Auch der Bundesgerichtshof hat in seiner das Bundespatentgericht bestätigenden Entscheidung vom 28. März 2017 ausgeführt, dass es bei einer Waage im Interesse einer einfachen Handhabung erwünscht sei, dass sie durch eine nur leichte und kurze Berührung an einer beliebigen Stelle oder gar durch eine bloße Annäherung aktiviert werden kann (Urt. v. 28.3.2017 – X ZR 17/15, Rn. 35). Damit lässt auch der Bundesgerichtshof eine Berührung der Waage ausreichen.
  56. 2.
    Gemäß Merkmal 5.2 ist die Elektrode an der Tragplatte angeordnet und Merkmal 5.3 bestimmt, dass die Elektrode unter der Tragplatte angeordnet ist.
  57. Um die Anordnung der Elektrode im Verhältnis zur Tragplatte beurteilen zu können, ist zunächst zu bestimmen, welcher Teil der Waage die Tragplatte darstellt.
  58. a)
    Die Tragplatte wird zunächst im Klagepatentanspruch selbst beschrieben. So heißt es in Merkmal 2 bis 2.2, dass die Tragplatte der Aufnahme einer zu wiegenden Masse dient und aus einem nicht leitenden Material besteht.
  59. aa)
    Die Tragplatte, die in Absatz [0016] auch als Lastplatte bezeichnet wird, erfüllt also den Zweck, eine zu wiegende Masse aufzunehmen. So ist in Absatz [0002] von dem „Anzeigen des Gewichts einer auf der Tragplatte stehenden Person“ die Rede. Bei der Trag- oder Lastplatte handelt es sich also um eine Platte, die unmittelbar die zu wiegende Masse, wie beispielsweise eine Person, aufnimmt. Der Begriff des „Aufnehmens“ verdeutlicht, dass es sich um die Fläche handelt, mit der die zu wiegende Masse unmittelbar in Kontakt kommt.
  60. Die Figuren der Klagepatentbeschreibung, die hier ergänzend herangezogen werden, ohne den Klagepatentanspruch einzugrenzen, stützen diese Auslegung. Die Tragplatte, die in der Beschreibung durchgängig mit der Bezugsziffer 4 gekennzeichnet ist, ist sowohl in der Figur 1 als auch 2 und 3 erkennbar eine zuoberst angeordnete, durchgängige Platte.
  61. Damit die Tragplatte tatsächlich geeignet ist, die zu wiegende Masse aufzunehmen, muss sie entsprechend stabil ausgestaltet sein, damit ihr keine Beschädigungen drohen. Diese Stabilität muss die Tragplatte über die gesamte Fläche hinweg aufweisen, da sie ansonsten nicht vollständig nutzbar wäre. In Absatz [0018] wird insofern eine Glasplatte als mögliche Ausführungsform einer Tragplatte genannt.
  62. Auch nach dem allgemeinen Wortsinn ist eine Platte ein durchgängiges Stück aus einem bestimmten Material oder Materialverbund.
  63. bb)
    Die Tragplatte ist zu unterscheiden von weiteren Elementen, die mit ihr verbunden sind.
  64. Die Tragplatte ist zunächst von der Grundplatte abzugrenzen, die jeweils mit der beziehungsweise den Wägezellen – soweit vorhanden – verbunden sind. Darüber hinaus nennt die Patentbeschreibung weitere Teile, die sich zwischen der Grund- und der Tragplatte befinden und bereits sprachlich von der Tragplatte zu unterscheiden sind. So wird beispielsweise eine Blende mit der Bezugsziffer 40 genannt, die in Absatz [0020] dahingehend beschrieben wird, dass sie die Wägezelle im Wesentlichen verdeckt. Absatz [0020] verweist auf die Figuren 1 und 2, unter der Bezugsziffer 40 zu sehen ist die Blende jedoch nur in Figur 3. Zudem wird in Absatz [0012] ein Zwischenelement mit der Bezugsziffer 42 genannt, über das die Wägezelle mit der Tragplatte verbunden ist. Dieses Zwischenelement ist in Figur 3 zu sehen. Die Unterstreichung der Bezugsziffer 42 für das Zwischenelement in Figur 3 macht deutlich, dass es sich dabei um die Gesamtheit der Bauteile handelt, die die Tragplatte mit der Grundplatte verbinden.
  65. Die Beschreibung bestätigt die Auslegung des Begriffs der Tragplatte dahingehend, dass es sich dabei allein um die zuoberst angeordnete Fläche handelt, die der Aufnahme der zu wiegenden Masse dient. Denn eine funktionierende Waage besteht immer aus mehreren Teilen, die in irgendeiner Art und Weise miteinander verbunden sind. Diese Verbindung führt aber nicht dazu, dass solche Teile, die nicht unmittelbar der Aufnahme der zu wiegenden Masse dienen, der Tragplatte zugerechnet werden können. Ansonsten könnten Bauteile nahezu beliebig als Tragplatte angesehen werden.
  66. cc)
    Insgesamt ergibt sich aus dem Umstand, dass die Tragplatte die zu wiegende Masse aufnimmt, dass es sich dabei um den Teil der Waage handelt, der mit der zu wiegenden Masse unmittelbar in Kontakt kommt und daher an oberster Stelle angeordnet sein muss. Die Nennung weiterer, mit der Tragplatte verbundener Bauteile macht deutlich, dass die Tragplatte auch begrifflich getrennt von den anderen, mit ihr verbundenen Teilen gesehen werden muss, die anders als die zuoberst angeordnete Tragplatte nicht der Aufnahme der zu wiegenden Masse dienen.
  67. b)
    Die Elektrode muss sowohl an als auch unter der Tragplatte angeordnet sein.
  68. In diesem Zusammenhang wird auf die Ausführungen des OLG Düsseldorf in der oben genannten Entscheidung verwiesen, die sich die Kammer vollumfänglich zu eigen macht:
  69. „Soweit der Klagepatentanspruch verlangt, dass die zum Näherungsschalter gehörende Elektrode an sowie unter der Tragplatte angeordnet sein muss, ist dafür lediglich erforderlich, dass die Elektrode baulich der Tragplatte zugeordnet sein muss, indem sie mittelbar oder unmittelbar mit ihr verbunden ist, und dabei ihre Funktion als Teil des Näherungsschalters erfüllt. Weitere Anforderungen an die räumliche Anordnung der Elektrode im Verhältnis zur Tragplatte lassen sich weder dem Wortlaut des Klagepatentanspruchs, noch der Beschreibung des Klagepatents entnehmen. Insbesondere ist die erfindungsgemäße Lehre nicht darauf beschränkt, dass die Elektrode unmittelbar an der Tragplatte angeordnet ist. Geht man mit der Einspruchsabteilung des EPA davon aus, dass die Tragplatte regelmäßig ein im Verhältnis zu anderen Bauteilen bewegliches Teil einer Waage ist (vgl. S. 4 der Zwischenentscheidung, Anlage BK 5), wird durch die Zuordnung der Elektrode zur Tragplatte sichergestellt, dass sich die Elektrode mit der Tragplatte bewegt und immer dieselbe Umgebungskapazität im Verhältnis zur Tragplatte überwacht wird. Dies ist technisch sinnvoll, wenn – wie etwa bei einer Personenwaage – der Näherungsschalter dadurch ausgelöst wird, dass ein Fuß über der Tragplatte bewegt wird (vgl. Sp. 2 Z. 6-10). Dafür ist nicht erforderlich, dass die Elektrode an der Tragplatte „unmittelbar“ angeordnet ist oder diese „kontaktiert“.“
  70. Ferner verweist das OLG Düsseldorf auf die vorangegangene Entscheidung des LG Düsseldorf vom 31.5.2011, Az. 4b O 35/10. Dieses wiederum hatte sich mit der Frage beschäftigt, ob die Merkmale 5.2 und 5.3 des Klagepatents es zulassen, dass sich zwischen der Tragplatte und der Elektrode Luft befinden darf. Dabei kam die Kammer zu folgendem Schluss:
  71. „Auch insoweit gilt, dass eine unmittelbare Anordnung der Elektrode an der Tragplatte anspruchsgemäß nicht erforderlich ist. Es genügt, dass in einem solchen Umfang Kontakt zwischen Elektrode und Tragplatte besteht, dass die Elektrode funktionsgemäß arbeiten kann. … Das Klagepatent verlangt namentlich keinen vollflächigen Kontakt zwischen Elektrode und Tragplatte, so dass nicht schon jeder Zwischenraum zwischen diesen Teilen aus der Verletzung führt. …“
  72. Aus den oben zitierten Ausführungen ergibt sich, dass die Merkmale 5.2 und 5.3 funktional zu verstehen sind. Die Elektrode muss also so angebracht sein, dass sie als AN-/AUS-Schalter fungieren kann. Sie kann dazu mittelbar oder unmittelbar mit der Tragplatte verbunden sein, um Merkmal 5.2 zu erfüllen. Sie erlaubt damit auch eine Befestigung mittels Unterbau. Für die Verwirklichung von Merkmal 5.3 genügt es, wenn sich die Elektrode in irgendeiner Art und Weise unter der Tragplatte befindet. Auch hier ist eine unmittelbare Verbindung nicht notwendig.
  73. III.
    Die angegriffene Ausführungsform macht von der Lehre des Klagepatents Gebrauch. Insbesondere werden die Merkmale 3.2, 5.2 sowie 5.3 durch die angegriffene Ausführungsform verwirklicht.
  74. 1.
    Die Kammer ist auf Grund der Ausführungen der Klägerin davon überzeugt, dass es sich bei dem in der angegriffenen Ausführungsform verbauten Schalter um einen kapazitiven Näherungsschalter handelt. Denn zum Ein- und Ausschalten der Waage muss nicht die unter der Tragplatte befindliche Elektrode berührt werden, sondern der auf der Tragplatte entsprechend gekennzeichnete Bereich. Dabei wirkt die aus Glas bestehende Tragplatte als Dielektrikum und beabstandet gleichzeitig die Elektrode als erste Platte von dem sich nähernden Finger als zweite Platte. Da der Finger die Elektrode nicht berühren muss, sondern nur die Tragplatte, handelt es sich nicht um einen Berührungs- oder Kontaktschalter, sondern um einen Näherungssensor.
  75. Soweit die Beklagte bestreitet, dass es sich um einen Näherungsschalter handelt, hätte es ihr im Rahmen der sekundären Darlegungs- und Beweislast oblegen, diese Behauptung zu substantiieren. Dies erscheint jedoch auf Grund des Umstandes, dass unter der Tragplatte der angegriffenen Ausführungsform eine Elektrode angebracht ist und diese zum Ein- und Ausschalten der Waage nicht berührt werden muss, nahezu ausgeschlossen. Jedenfalls kann sich die Beklagte nicht darauf zurückziehen, dass sie die angegriffene Ausführungsform nicht selbst herstellt und der Hersteller selbst erklärt habe, keinen kapazitiven Näherungsschalter verbaut zu haben.
  76. 2.
    Auch die Merkmale 5.2 und 5.3 werden durch die angegriffene Ausführungsform verwirklicht, da sich die Elektrode sowohl an als auch unter der als Tragplatte anzusehenden Glasplatte befindet.
  77. a)
    Die Glasplatte der angegriffenen Ausführungsform ist als Tragplatte im Sinne der erfindungsgemäßen Lehre anzusehen. Die Glasplatte ist der oberste Teil der Waage und hat den Zweck, die zu wiegende Masse aufzunehmen. Sie weist die notwendige Stabilität auf, um bei Auflegen der zu wiegenden Masse nicht zu zerbrechen und besteht aus einer einstückigen, durchgängigen Fläche.
  78. Entgegen der Ansicht der Beklagten kann weder die unter der Glasplatte befindliche Kunststoffschicht allein, noch in Verbindung mit der Glasplatte gemeinsam als Tragplatte angesehen werden.
  79. aa)
    Die Kunststoffschicht stellt für sich genommen keine Tragplatte dar.
  80. Die angegriffene Ausführungsform muss in der Form beurteilt werden, wie sie von der Beklagten vertrieben wird. In dieser Form ist nicht die Kunststoffschicht das oberste Element der Waage, sondern die Glasplatte. Die Kunststoffschicht kann hingegen nicht als Tragplatte angesehen werden, weil sie die zu wiegende Masse nicht aufnimmt.
  81. Zwar mag eine gewisse Funktionalität der Waage auch dann gegeben sein, wenn die Glasplatte entfernt wird. Daraus folgt aber nicht, dass der Glasplatte nur eine untergeordnete Funktion als Verblendung zukommt, die nur optischen Zwecken dient und ohne weiteres weggelassen werden könnte. Denn bei der Kunststoffschicht handelt es sich schon nicht um eine durchgängig benutzbare Fläche. Sie weist in allen vier Ecken jeweils Löcher und eine große Aussparung für das Display und die zugehörigen Kabel auf, die ohne die Glasplatte allesamt schutzlos wären.
  82. Schließlich trägt die Beklagte selbst nicht vor, die angegriffene Ausführungsform auch ohne die Glasplatte vertreiben zu können.
  83. bb)
    Ferner können auch die Kunststoffschicht und die Glasplatte nicht zusammengenommen als Tragplatte angesehen werden. Denn nur die Glasplatte dient unmittelbar der Aufnahme der zu wiegenden Masse, was auf die Kunststoffschicht nicht zutrifft.
  84. Die Kunststoffschicht stellt keine Tragplatte, sondern eine Blende oder ein Zwischenelement im Sinne des Klagepatents dar. Die Blende und das Zwischenelement zeichnen sich – ebenso wie die Kunststoffschicht der angegriffenen Ausführungsform – dadurch aus, dass sie mit der Tragplatte verbunden sind und sich unmittelbar darunter befinden. Dabei ist die Ausgestaltung der angegriffenen Ausführungsform ähnlich wie das Ausführungsbeispiel in Figur 3 der Klagepatentbeschreibung. Die Figur zeigt – ebenso wie die angegriffene Ausführungsform – eine Blende mit einer Aussparung für das Display einerseits und für die Elektrode andererseits, wobei die Elektrode unmittelbar in die Blende eingelassen ist.
  85. b)
    Die Elektrode ist sowohl an als auch unter der Tragplatte angeordnet. Sieht man allein die Glasplatte als Tragplatte an, besteht kein Zweifel daran, dass die Elektrode darunter angebracht ist.
  86. Sie befindet sich ferner räumlich so nah an der Tragplatte, dass sie „an“ dieser angebracht ist. Dies ergibt sich zum einen daraus, dass die Elektrode ihre Funktion als AN-/AUS-Schalter erfüllt. Anderenfalls wäre die angegriffene Ausführungsform nicht benutzbar. Zum anderen reicht es aus, dass die Elektrode sich mittelbar an der Tragplatte befindet, indem sie in die Kunststoffschicht eingelassen ist, die wiederum mit der Tragplatte verbunden ist. Insofern ist der von der Beklagten behauptete Spalt, der zwischen der Glas- und der Kunststoffplatte verbleiben soll, unbeachtlich.
  87. Ebenso unbeachtlich ist der Vortrag der Beklagten, dass sich dieser Spalt bei Benutzung der Waage durch das aufliegende Gewicht auf Grund der Biegsamkeit der Glasplatte beziehungsweise der Kunststoffschicht verändern lässt. Da bereits der Spalt an sich nichts an der Verwirklichung des Merkmals 5.2 ändert, gilt dies auch für eine geringfügige Änderung desselben. Schließlich ist die Tragplatte erfindungsgemäß nicht durch ihre absolute Unbeweglichkeit gegenüber anderen Bauteilen – und damit auch nicht gegenüber der Elektrode – gekennzeichnet.
  88. IV.
    Die vorliegende Schutzrechtsverletzung führt zu den im Tenor ausgeurteilten Rechtsfolgen.
    1.
    Die Beklagte ist der Klägerin zur Unterlassung verpflichtet, § 139 Abs. 1 PatG.
    Die Wiederholungsgefahr wird auf Grund der bereits begangenen Verletzung vermutet (vgl. BGH, Urt. v. 16.9.2003 – X ZR 179/02, GRUR 2003, 1031, 1033 – Kupplung für optische Geräte).
  89. 2.
    Weiterhin hat die Klägerin gegen die Beklagte dem Grunde nach einen Anspruch auf Zahlung von Schadensersatz, § 139 Abs. 1 und 2 PatG.
  90. Das für die Zulässigkeit des Feststellungsantrags gemäß § 256 Abs. 1 ZPO erforderliche Feststellungsinteresse ergibt sich daraus, dass die Klägerin derzeit nicht in der Lage ist, den konkreten Schaden zu beziffern und ohne eine rechtskräftige Feststellung der Schadensersatzpflicht die Verjährung von Schadensersatzansprüchen droht.
  91. Die Beklagte ist zum Schadensersatz verpflichtet, weil sie die Patentverletzung schuldhaft beging. Als Fachunternehmen hätte sie die Patentverletzung bei Anwendung der im Geschäftsverkehr erforderlichen Sorgfalt zumindest erkennen können, § 276 BGB. Es ist auch nicht unwahrscheinlich, dass der Klägerin durch die Schutzrechtsverletzung ein Schaden entstanden ist.
  92. 3.
    Unabhängig vom Verschulden der Beklagten hat die Klägerin gegen diese für den Zeitraum zwischen der Offenlegung der Patentanmeldung und der Patenterteilung auch einen Anspruch auf Zahlung einer angemessenen Entschädigung dem Grunde nach, Art. II § 1 Abs. 1 IntPatÜG. Die Beklagte hat den Erfindungsgegenstand genutzt, obwohl sie wusste oder jedenfalls wissen musste, dass die benutzte Erfindung Gegenstand der Anmeldung des Klagepatents war.
  93. 4.
    Der Klägerin steht gegen die Beklagte auch ein Anspruch auf Rechnungslegung und Auskunft zu, § 140b Abs. 1 PatG. Der Anspruch auf Auskunft über die Herkunft und den Vertriebsweg der angegriffenen Ausführungsform ergibt sich auf Grund der unberechtigten Benutzung des Erfindungsgegenstands unmittelbar aus § 140b Abs. 1 PatG, der Umfang der Auskunftspflicht aus § 140b Abs. 3 PatG.
  94. Die weitergehende Auskunftspflicht und die Verpflichtung zur Rechnungslegung folgen aus §§ 242, 259 BGB, damit die Klägerin in die Lage versetzt wird, den ihr zustehenden Schadensersatzanspruch zu beziffern. Die Klägerin ist auf die tenorierten Angaben angewiesen, über die sie ohne eigenes Verschulden nicht verfügt, und die Beklagte wird durch die von ihr verlangten Auskünfte nicht unzumutbar belastet.
  95. 5.
    Die Klägerin hat schließlich gegen die Beklagte im tenorierten Umfang einen Anspruch auf Rückruf der patentverletzenden Vorrichtungen aus den Vertriebswegen und deren Vernichtung gemäß § 140a Abs. 1 und 3 PatG. Der Rückrufanspruch beschränkt sich nicht nur auf inländische Lieferungen. Zurückzurufen sind vielmehr auch solche Gegenstände, die sich aktuell im Ausland befinden, sofern sie den Makel der Schutzrechtsverletzung tragen (Kühnen, Handbuch der Patentverletzung, 12. Aufl. 2020, Kap. D. Rn. 721). Soweit die Beklagte vorträgt, es sei zumindest eine Lieferung einer angegriffenen Ausführungsform nach Erteilung des Klagepatents nachzuweisen, damit der Rückrufanspruch zugesprochen werden könne, greift dies nicht durch. Die Klägerin hat einen Testkauf vorgenommen, der zeigt, dass die Beklagte die angegriffene Ausführungsform in den Verkehr gebracht hat. Etwas anderes behauptet selbst die Beklagte nicht.
    Der Vernichtungsanspruch der Klägerin war insofern zu beschränken, als dass der Beklagten einzuräumen war, nach ihrer Wahl die patentverletzenden Erzeugnisse selbst zu vernichten.
  96. V.
    Die Nebenentscheidungen beruhen auf §§ 91 Abs. 1 S. 1, 709 ZPO.
  97. VI.
    Der Streitwert wird auf 275.000,00 EUR festgesetzt.
  98. Der Streitwert wird nach billigem Ermessen bestimmt, § 51 GKG i.V.m. § 3 ZPO. Maßgebend für die Streitwertfestsetzung ist das Interesse des Klägers an der Durchsetzung der geltend gemachten Ansprüche (Benkard, Patentgesetz, 11. Auflage 2015, Rn. 166); also das Interesse, das er an der zukünftigen Unterlassung weiterer Verletzungshandlungen sowie daran hat, dass der Beklagte über die von ihm in der Vergangenheit begangenen Benutzungshandlungen Rechnung legt und seine Verpflichtung zur Zahlung von Schadensersatz festgestellt wird (Pitz, aaO Rn. 172). Maßgeblich für die Bestimmung des Streitwerts ist der Zeitpunkt der Einreichung der Klage (Pitz, aaO Rn. 172).
  99. Der Streitwertangabe des Klägers kommt bei der Bestimmung des Streitwerts ein überragendes Gewicht zu (Kühnen, Handbuch der Patentverletzung, 12. Aufl. 2020, Kap. J, Rn. 172). Die Klägerin hat den Streitwert hier mit 500.000,00 EUR beziffert, die Beklagte hingegen mit 150.000,00 EUR. Die indizielle Wirkung des geschätzten Gegenstandswerts durch die Klägerin entfällt, wenn es Anhaltspunkte dafür gibt, dass der Wert wesentlich höher oder niedriger zu bemessen ist.
  100. Hier liegen Umstände vor, die eine niedrigere Bemessung als von der Klägerin angegeben rechtfertigen:
  101. Das OLG Düsseldorf setzte in einem vergleichbaren Fall, dem auch eine Verletzung des Klagepatents zu Grunde lag, den Streitwert bei noch zehn Jahren Laufzeit auf 375.000 EUR fest. Dabei entfielen 250.000,00 EUR auf den Unterlassungsanspruch, 100.000,00 EUR auf die Ansprüche auf Schadensersatz, Auskunft und Rechnungslegung sowie 25.000,00 EUR auf die übrigen Ansprüche.
  102. Vorliegend lag die Laufzeit des Klagepatents bei Klageeinreichung bei noch gut vier Jahren. Die verbleibende, reduzierte Restlaufzeit ist relevant für den Unterlassungsanspruch und wirkt sich insofern streitwertmindernd aus (siehe auch Benkard PatG/Schramm, 11. Aufl. 2015, PatkostG § 2 Rn. 16). Außerdem muss streitwertmindernd berücksichtigt werden, dass die Beklagte die angegriffene Ausführungsform nicht selbst herstellt, mithin von der Klägerin auch keine Unterlassung der Herstellung beantragt worden ist.
  103. Andererseits muss berücksichtigt werden, dass sich bei weiterem Fortschreiten der Schutzdauer des Klagepatents der Zeitraum, für den Auskunft und Schadensersatz zu leisten ist, verlängert, was sich wiederum streitwerterhöhend auswirkt. Außerdem kann der Marktwert des Klagepatents nicht – wie von der Beklagten behauptet – als gering eingestuft werden. Dies zeigt allein die Tatsache, dass die Kammer bereits mehrfach mit der maßgeblichen Verletzung des Klagepatents befasst gewesen ist.
  104. Vor diesem Hintergrund ist hier ein Streitwert von 275.000,00 EUR angemessen, wobei 100.000,00 EUR auf den Unterlassungsanspruch, 150.000,00 EUR auf die Ansprüche auf Feststellung von Schadensersatz und Entschädigung, Auskunft und Rechnungslegung und weitere 25.000,00 EUR auf die übrigen Ansprüche entfallen.

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